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Eine Herzensangelegenheit als Einleitung
Оглавление1977. Helmut Schmidt war Kanzler, die Hosen hatten Schlag und im Kinderprogramm zogen Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer ihre Kreise um Lummerland. Ich war wie alle achtjährigen Mädchen, die mit jeder Faser ihres Herzens dem Pferdevirus verfallen waren. Das dachte ich zumindest. Für mich war es normal, möglichst jede freie Minute mit Pferden zu verbringen, alles für sie zu tun und die Box und den Sattelschrank sauberer zu halten als das eigene Zimmer. Immer ansprechbar zu sein, wenn eines der viel bestaunten sogenannten „Privatpferde“ auf dem Hof trocken geführt oder geritten werden musste; das war eine große Ehre, und kleine Handlangerdienste waren eine Selbstverständlichkeit. Etwas, wovon meine Mutter zu Hause nur träumte …
Diese Ruhe und Zufriedenheit, die die Pferde in mir auslösten, das Gefühl des stillen Miteinanders, des wortlosen Dialogs – all das, so dachte ich, würde jeder so erleben. Irgendwann merkte ich, dass mir im Umgang mit den Pferden vieles wesentlich leichter fiel als anderen. Wo sie kämpften, arbeitete ich mit den Pferden zusammen. Ich sog alles auf, was mir mein damaliger Reitlehrer und heutiger Meister Helmut Beck-Broichsitter über Pferde vermittelte. Es war für mich selbstverständlich, anderen dabei zu helfen, ebenfalls mit ihren Tieren Freude zu empfinden. Turniere zu bestreiten gehörte irgendwie dazu, war für mich aber nie der eigentliche Antrieb zum Reiten.
Ich liebte es, mit Menschen zusammen zu sein, im Team zu arbeiten. So rutschte ich automatisch in den Beruf der Reitlehrerin. Anfangs dachte ich noch, es ginge um die Vervollkommnung bestimmter Reittechniken. Doch je länger ich diesen Beruf ausübe, desto mehr weiß und erlebe ich, dass es um andere Dinge geht, sich alles auf einer anderen Ebene abspielt. Das hängt mit der gewandelten Rolle des Pferdes zusammen.
Pferde waren nach dem Zweiten Weltkrieg in der Landwirtschaft und beim Militär überflüssig geworden. Traktoren und Autos ersetzten ihre Arbeitskraft in kürzester Zeit. Der Pferdebestand sank so stark, dass mancher schon fürchtete, Pferde seien bald nur noch im Zoo zu bestaunen. Dass es anders kam, liegt an den Freizeitreitern.
Diese Pferdeliebhaber holten besondere Rassen nach Deutschland, ritten auf Pferden, über die Sportreiter damals die Nase rümpften. Dass heute Isländer, Iberer und Barockpferde im Stall selbstverständlich neben Hannoveranern und Holsteinern stehen, ist das Verdienst dieser Freizeitreiter: Menschen wie Ursula Bruns, die Erfinderin der „Immenhof“-Filme und Gründerin des „Reit-Zentrums Reken“. Menschen wie Wolf Kröber, der 1972 die „Equitana“ aus der Taufe hob, inzwischen die größte Pferdemesse der Welt. Sie prägten Generationen von Reitern, die nach neuen Wegen suchten, sich dem Tier zu nähern – auch meine.
Bei dieser Suche haben wir etwas wiedergefunden, was uns selbst durch unsere Gesellschaft, unseren hektischen Alltag und die Technisierung verloren ging: innezuhalten, sich Zeit zu nehmen, im Hier und Jetzt zu leben, wertfrei auf das Innerste eines Lebewesens zu reagieren sowie Wahrhaftigkeit, Gemeinschaftsgefühl und tiefe Ruhe.
Indem wir uns auf die Pferde einlassen, öffnen sie uns die Tür zu einer Welt, die viele von uns längst verloren haben. Doch genau diese ist es, die uns heilen und gesunden lässt. Das mag sich pathetisch anhören, aber jetzt sind es die Pferde, die unsere Seelen retten können – wenn wir es zulassen.
In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder, wie die Kunden mithilfe ihres Pferdes an Themen arbeiten, die nur dem Anschein nach mit reiterlichen, dafür aber viel mit persönlichen Problemen zu tun haben. Fast immer geht es darum, loszulassen, sich stark zu machen, Position zu beziehen, sich einzulassen, hinzugeben, Ziele zu formulieren und so unendlich viel mehr. Pferde sind für mich daher der Schlüssel zu den Menschen.
Ich wünsche Ihnen eine erfüllende und spannende Reise mit Ihrem vierbeinigen Freund!
Mein großer Dank gilt meinen Pferden Pecado, Surprise, Lancelot, Elegido, Salut, Missunde, Poor Boy, Graaf Bobby und Leven.
Ihre Regina Johannsen
Ein Bild des gegenseitigen Vertrauens.
(Foto: Christiane Slawik)
(Foto: Julia Moll)