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1. Das Übliche, bitte!

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»Romantikluder!«

»Reiseschlampe!«

»Besser eine Reiseschlampe, als einer, der seit Jahren in derselben Stadt festhängt.« Zebulons Oberlippe kräuselte sich verächtlich. Sein glutenfreies IPA schwappte über, als er es auf die verkratzte Tischplatte knallte. »Wann hast du das letzte Mal irgendwas außer Berlin gesehen?«

»Ich brauche nichts anderes.« Rob lächelte provozierend. »Hier gibt’s Cafés, in denen ich schreiben kann, gutes Bier und heiße Männer. Außerdem bin ich nicht innerlich so hohl, dass ich ständig vor mir selbst ans andere Ende der Welt flüchten muss.«

»Im Kopf bist du hohl«, knurrte Zebulon und kippte den Rest seines Biers in drei Schlucken hinunter. Schaum blieb in seinem Bart hängen. Den hatte er sich während einer dreiwöchigen Aggressionstherapie auf Tuvalu stehen lassen. Die dunkelblonden Haare hingen strähnig auf die Schultern seines verknitterten Leinenhemdes.

Robs Hemd war nicht verknittert, sondern gebügelt und so geschnitten, dass es jeden einzelnen Muskel betonte. Außerdem hatte er es nicht für nötig gehalten, die obersten Knöpfe zu schließen.

»Wie läufst du überhaupt rum, du Verkäufer billiger Mädchenträume?« Zebulon schnaubte. Schaumflöckchen wirbelten durch die Luft. »Du siehst aus wie ein drittklassiger Vorstadtcasanova.«

»Du siehst aus wie ein Jutesack.« Rob grinste.

Valentin war sicher, dass zumindest Rob diesen Streit nicht ernst nahm. Trotzdem rutschte er vorsichtig zurück, um nicht in die Schusslinie zu geraten. Seine Lehne stieß gegen den Stuhl hinter ihm und er entschuldigte sich hektisch bei der älteren Dame, die dort saß.

Das Hemingways war voll. Sie hatten kaum ihren üblichen Stammtisch ergattern können. Überall standen Menschen mit Bieren in der Hand und lärmten gegen die Gitarrenriffs aus der Anlage an. Hinter der Theke rasten Meghan und ihr Freund hektisch hin und her. Biere wurden gezapft, Whiskys eingeschenkt und Cocktails gemischt. Vor allem wurden Biere gezapft. Valentin blickte in sein halb leeres Glas und nahm den herben Geruch des Guinness auf. Er musste sich mäßigen. Höchstens drei Bier. Mehr vertrugen weder sein Magen noch sein Geldbeutel. Blieb also noch eins am heutigen Abend.

Er trank meistens Guinness, weil es ihn an Irland erinnerte. Beziehungsweise an seinen Traum, Irland irgendwann zu bereisen. Über seinem Bett hing ein gigantisches altes Reiseplakat, das die Vorzüge der Grünen Insel anpries. Jeden Abend schaute er darauf und freute sich auf den Tag, an dem er endlich auf einem der sich windenden Pfade wandern würde. Aber das musste warten. Er hatte weder das Geld noch den richtigen Reisepartner. Ob Professor Südberg schon mal in Irland gewesen war? Bestimmt. Professor Südberg war garantiert überall gewesen. Der könnte Valentin die schönsten Ecken der Insel zeigen, wenn … Wenn er ihn je bemerken würde.

Valentin versuchte, nicht an seine mangelnde Bemerkenswertheit zu denken. Er war klein und schmal und zu allem Übel noch bebrillt. Die graue Strickjacke und die karierte Hose hingen so schräg an seinem Leib, als würden sie sich schämen, zu ihm zu gehören. Seine braunen Locken schienen ebenfalls flüchten zu wollen, wie er nach einem Blick in den Spiegel bemerkte, der gegenüber an der Wand hing. Valentin sah aus, als trüge er ein Vogelnest auf dem Kopf. Aber auch für einen Frisör hatte er kein Geld.

Verstohlen blickte er in die Runde. Heute war nur der harte Kern da: Rob, Zebulon, Milan und er selbst. Milan saß auf seinem Stuhl wie ein gelangweiltes Felsmassiv in einer Lederjacke. Als er Valentins Blick bemerkte, deutete er auf die beiden Streithähne und rollte mit den Augen.

»Nette Beleidigung, du Jutesack«, sagte Rob gerade. »Hast du das in deinem Schrei-Kurs gelernt?«

»Aggressionstraining beinhaltet weit mehr als Schreien. Schreien kann jeder dahergelaufene Romantikautor.« Zebulon strich über seinen Bart. »Beim Aggressionstraining geht es darum, die tiefsten Gefühl hervorzuholen, die …«

»He, Valentin«, unterbrach Milan, der offenbar genug von der üblichen Streiterei hatte. »Wie läuft’s mit der Überarbeitung? Bist du fertig?«

Oh. Valentin wünschte, der Streit wäre ewig weitergegangen. Sich räuspernd betrachtete er das bauchige Bierglas in seinen Händen. »Ja, schon, aber mir sind noch ein paar Fehler aufgefallen. Ich muss unbedingt überprüfen, wie das Strafrecht 1679 Hühnerdiebstahl bewertete.«

»Hühnerdiebstahl.« Milan hob eine Augenbraue. Mist, jetzt schauten ihn alle an. »Wer klaut in deinem Buch denn Hühner?«

»Ein … ein Mitglied der Schauspieltruppe wird des Hühnerdiebstahls bezichtigt, unter anderem. Deshalb können sie nicht aus Marbach ausreisen und Marias Bruder holt sie ein. Das ist ein entscheidendes Detail.«

Er hob den Blick und ärgerte sich gleich, dass er es getan hatte. Diese resignierten Gesichter! Die verstanden einfach nicht, dass sein Debütroman … Na, dass Valentin es richtig machen wollte! Sein erstes Buch sollte gut werden! Korrekt recherchiert, mit anschaulichen Beschreibungen und allem!

»Ich will, dass es sich echt anfühlt«, murmelte er. »Dass man wirklich glaubt, man wäre in der Frühen Neuzeit. Da kann ich keine Fehler machen. Nur noch ein Durchgang, okay?«

»Und dann schickst du es ab?« Milan wirkte, als würde er ihm kein Wort glauben.

»Ja. Vielleicht. Sobald ich es noch auf Passivkonstruktionen überprüft habe …«

»Mann, Valentin.« Rob beugte sich vor. »Du hast das Ding drei Mal neu geschrieben und zwanzig Mal überarbeitet. Schick es an Milans Agentin, bevor die das Interesse verliert.«

»Sobald ich die Gesetze überprüft habe«, sagte Valentin und sah Rob böse an.

Böse Blicke interessierten Rob nicht. »Scheiß auf Überprüfungen. Weißt du, wie oft ich meine Bücher überprüfe? Ein Mal. Das reicht. Es interessiert die Leser einen Dreck, ob man drei Peitschenschläge für Hühnerdiebstahl bekommt oder den Galgen. Die wollen eine Story, die sie packt. Und dein Buch ist eh gut genug. Schick es ab.«

Es soll nicht gut genug werden, dachte Valentin. Es soll perfekt werden. Aber das sagte er nicht. Rob, der pro Jahr acht Liebesromane veröffentlichte, konnte man nichts von Perfektion erzählen. Menschen, die perfekte Bücher schreiben wollten, hielt der für Feiglinge und Faulpelze.

»Irgendwer meckert eh immer, das kannst du nicht vermeiden«, sagte er, als hätte er Valentins Gedanken erraten.

»Genau.« Zebulon fuhr sich durch die Haare. »Auf meinem Blog hat sich doch tatsächlich so eine Nulpe beschwert, dass ich schlecht recherchiert hätte. Die meinte, die beliebteste Speise in Irland wäre Muschelsuppe und nicht Stew. So ein Schwachsinn. Ich war da! Ich weiß ja wohl, was die sich auf den Teller kippen, oder nicht?!«

»Wie war es?«, fragte Valentin sehnsuchtsvoll. »Irland?«

Zebulon schaute, als hätte jemand gefurzt, und zwar genau vor seinem Gesicht. »Irland ist der totale Mainstream. Da fährt doch jede Mutti aus Buxtehude hin, damit sie von den malerischen Weiden schwärmen kann. Provinziell ist das. Ich bin nur da hingefahren, weil der Verlag mich geschickt hat. Die hätten sonst mein Aggressionstraining auf Tuvalu nicht bezahlt.«

»Schön blöd, dass sie es getan haben«, sagte Rob. »Als wärst du vorher nicht schon zickig genug gewesen.«

»Wer ist hier zickig, du Provinzstricher?«

Die Diskussion ging weiter. Valentin flüchtete sich in seine Fantasiewelt, wie so oft. Er stellte sich vor, wie er Professor Südberg nach den Hühnerdiebstählen fragte. Die Frühe Neuzeit war schließlich dessen Spezialität. Vielleicht sollte er es tun. Gleich nach der nächsten Vorlesung. Ob die ebenso informativ und … schön sein würde wie die letzte? Bestimmt. Mit klopfendem Herzen hatte er gelauscht, als der wunderbare Professor von den Auswirkungen des Indienhandels auf die wirtschaftlichen Strukturen Europas erzählt hatte. Südbergs Adlernase und die dezent grauen Schläfen hatten Valentin so abgelenkt, dass er beinahe vergessen hätte, mitzuschreiben.

Von den Hühnerdiebstählen erzähle ich Ihnen am besten über einem Glas Rotwein, sagte Professor Südberg in Valentins Fantasie. Dann lächelte er distinguiert und kam näher. Natürlich roch er nach Sandelholz und dem Ledereinband alter Bücher. Bevorzugen Sie Merlot oder Pinot Noir?

Merlot, hauchte Valentin und der Professor nickte gnädig.

Und dann saßen sie in seinem Arbeitszimmer. Valentin kannte es, weil er hier die letzte Hausarbeit abgegeben hatte. Es war traumhaft. Randvoll mit Büchern. Als Schreibtischstuhl benutzte der Professor einen Ohrensessel. Einen lederbezogenen Ohrensessel. An der rechten Wand, unter den gesammelten Werken Kierkegaards, stand ein gemütlich aussehendes Sofa. Dort würden sie sitzen und Merlot trinken. Der Professor, dessen Vorname Sven-Sebastian lautete, würde Valentin das Du anbieten und ihm tief in die Augen schauen und dann …

»Sicher, dass du das Buch nicht einfach abschicken willst?«, fragte Milan, unbemerkt von den beiden Krawallbürsten.

»Nur noch eine Überarbeitung. Ehrlich.«

Milan zuckte mit den Achseln. »Wie du meinst. He, was ist eigentlich mit deinem Mitbewohner? Zieht der jetzt aus?«

»Ja.« Valentins Magen krampfte sich zusammen. Er hatte sich ganz gut mit Frank verstanden. Der war ruhig gewesen, hatte den Putztag eingehalten und meistens sein Geschirr abgespült. Er war alles gewesen, was man sich von einem Mitbewohner wünschen konnte. Nur hatte er Valentin fast jeden Abend von seiner Exfreundin erzählt und das war ihm nach zwei Jahren doch ein wenig auf die Nerven gefallen. Die Storys waren immer bitterer und galliger geworden, je länger der Abend gedauert hatte. Unschöne Worte waren gefallen. »Schlamperte Seekuh« war noch der netteste Ausdruck gewesen, den Frank für sie gefunden hatte.

Nun war er wieder mit seiner Exfreundin zusammen.

»Sie haben eine Wohnung gefunden, im Wedding. Er zieht morgen aus.«

»Morgen schon?«

»Ja, das war der Deal. Sie mussten sie ab sofort nehmen. Sie haben sie nur bekommen, weil der letzte Mieter gestorben ist. Schwerer Alkoholiker. Sie haben ihn erst gefunden, als er bei den Nachbarn durch die Decke getropft ist. Das ist eine einmalige Gelegenheit, meinte Frank. Die Vermieter haben sogar den Boden ersetzt.«

»Und was ist mit dir? Zahlt er dir die Miete für die nächsten Monate? Was steht in eurem Vertrag?«

»Drei Monate. Aber Frank hat kein Geld für zwei Mieten.« Valentin zögerte. »Er hat mir einen neuen Mitbewohner besorgt. Der zieht übermorgen ein.«

»Das ist ja spontan.« Kommst du damit klar?, fragte Milans stoischer Blick.

Valentin straffte sich. »Natürlich. Der neue Mitbewohner ist Altenpfleger. Ein sicherer, netter Job. Bestimmt ist er auch nett.«

»Du kennst ihn noch nicht?«

»Das ging alles sehr schnell«, gab Valentin zu. »Aber irgendwie bin ich froh, dass Frank auszieht. Der Neue hat hoffentlich keine Exfreundin.«

»Vielleicht hat er einen Exfreund.« Robs Zähne blitzten. Seit wann hörte der denn mit? »Vielleicht ist er super-heiß und lässt dich diesen langweiligen Prof vergessen, dem du immer nachjaulst, wenn du besoffen bist.«

Valentins Ohren glühten. Er hätte den anderen nie von Sven-Sebastian, also Professor Südberg, erzählen sollen. Nie. Leider war er betrunken gewesen und hatte auf Trost gehofft. Da war er bei Rob an der falschen Adresse gewesen. Der hatte weder für Liebe noch Liebeskummer etwas übrig.

»Er ist nicht langweilig. Er hat Stil.« Er zwang sich, Rob fest in die Augen zu schauen. »Im Gegensatz zu … zu anderen Leuten.«

»Wen meinst du denn?« Rob legte den Kopf schief. Ein lauerndes Grinsen erschien. »Doch nicht etwa mich, oder?«

»D-dir fehlt doch nur noch ein Goldkettchen, damit du wie ein Lude aussiehst«, brachte Valentin hervor.

Meckerndes Lachen erklang. Zebulon. Wann hatte Zebulon zuletzt gelacht? Musste lange her sein, er klang wie ein eingerosteter Rasenmäher. Selbst in Milans Gesicht erschien sowas wie ein Schmunzeln.

Robs Mund verzog sich zu einem dreckigen Grinsen. »Valentin, du schurkischer Fiesling«, sagte er und griff sich ans Herz. »Pass auf, dass du mich nicht zum Weinen bringst.«

»Tut mir leid.« Valentin senkte den Kopf und ärgerte sich sofort. »Ich meine … Du hast angefangen.«

»Weiter so, Valentin.« Milan prostete ihm zu. »Keine Rücksicht auf Rob. Der hat alles verdient, was ihm zustößt.«

»Das habe ich. Und noch viel mehr.« Stolz hob Rob sein Glas an die Lippen.

Zebulon schnaubte und holte zu einer längeren Geschichte über das Töten des Egos und das Geschenk der Demut aus.

Später erinnerte Valentin sich an diesen Stammtisch als den letzten, bevor das Unglück über ihn hereinbrach. Das Unglück namens Jayson Käsebier.

Valentin

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