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Das Sein und das Bewusstsein von Karl Marx

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Marx, der Sohn eines Juristen, der Enkel eines Rabbiners. Der Vater konvertierte zum Protestantismus, um als Jude in Preußen weiter als Anwalt arbeiten zu können.

Marx studiert Rechtswissenschaften, verlagert seinen Schwerpunkt aber auf die Philosophie, nachdem er in Berlin Hegel gehört hatte.Schließt sich den Junghegelianern an, die den Hegelschen Satz „alles was ist, ist vernünftig“ auf ihre eigene Weise auslegten: „Alles was vernünftig ist, muss sein.“ Darin steckte kritisches Potential: die Gesellschaft musste so verändert werden, dass es in ihr vernünftig zuging.Zieht von Berlin nach Bonn, weil er dort mit einer Professur in Philosophie rechnet.Heiratet eine Adelige, hat mit ihr sieben Kinder, von denen nur drei bis ins Erwachsenenalter überleben.

Seinen unehelichen Sohn mit der Hausangestellten erkennt der Anwalt der Entrechteten und Enterbten nicht an. Helene Demuth, die Mutter, muss den Sohn in eine Pflegefamilie geben, während sie auch weiterhin als Dienstmädchen bei der Familie Marx arbeitet.

Marx schlägt sich als Redakteur durch, nachdem es nicht klappt mit der Professur in Bonn. Ist ständig in Geldschwierigkeiten.

Warum er zum Theoretiker der kommunistischen Bewegung wird, das erschließt sich für mich nicht aus dieser Biographie.Auch nicht, woher seine Affinität zur Philosophie kommt, die so stark ist, dass dagegen der ursprüngliche Berufswunsch in den Hintergrund tritt?

Wie wäre Marx Leben verlaufen, wenn er Philosophie-Professor in Bonn geworden wäre?

Arnold Künzli 4) kommt in seiner Marx-Psychographie zu dem Schluss, dass in wichtige Teilen der Marx‘schen Theorie in starkem Maße dessen jüdische Wurzeln wirkmächtig wurden, gerade weil Marx sein Judentum verdrängt habe. Und verdrängte Bewusstseinsinhalte könnten besonders wirksam werden, weil sie sich dem dem bewussten Zugriff entziehen. Mit Ausnahme von Marx Vater waren seine Vorfahren über viele Generationen Rabbiner, die Familie war also ganz besonders im jüdischen Glauben verwurzelt. Der Vater von Marx konvertierte zwischen 1816 und 1822 zum Protestantismus, da er als Jude in Preußen sein unter Napoleon angetretenes Amt als „Advokat- Anwalt“ nicht hätte weiterführen dürfen. Dieser Bruch mit dem Judentum war beruflich motiviert, was vermuten lässt, dass innerhalb der Familie weiterhin jüdische Regeln praktiziert wurden. Nach außen bekannte man sich zum Protestantismus, doch in der Familie galt die jüdische Tradition. In diesem Umfeld wuchs Marx auf und es ist anzunehmen, dass ihm aus seiner Kindheit jüdische Glaubensinhalte und Grundsätze nicht nur vertraut sind, sondern auch von ihm verinnerlicht wurden.

Künzli belegt anhand von Marx‘ eigenen Texten, dass wesentliche Argumentationsfiguren der Marx‘schen Theorie strukturell übereinstimmen mit jüdischen Glaubenssätzen...Die Übereinstimmung der Marxschen Vision von der heilsgeschichtlichen Mission des Proletariats mit der biblischen Prophetie von der heilsgeschichtlichen Mission des Volkes Israel ist so vollkommen, teilweise bis in die Satzstruktur hinein, dass der Text von Marx - ersetzt man Proletariat durch >Israel< , Klasse durch >Volk< und umgekehrt - oft geradezu der Bibel entnommen zu sein scheint. ... Und es ist eine nahezu wortwörtliche Umschreibung der Situation Israels in der ägyptischen Knechtschaft und der Mission Israels, die ganze Menschheit aus aller Knechtschaft zu erlösen, indem sie sich selbst befreit. ...

Allein die Satzstruktur verrät schon, dass Marx ein ihm apriorisch mächtiges>Wissen< auf die Wirklichkeit projizierte: >Damit< in dieser Wirklichkeit ein Stand die Rolle des Volkes Israel spielen kann, >muss< ein Stand der allgemeinen Unterjochung gefunden werden. Damit sich das Proletariat aus einem zeit- und ortsgebundenen, temporären, historisch relativen Knechtschaftsverhältnis in eine absolute, unbedingte heilsgeschichtliche Potenz verwandeln konnte, musste zunächst die Bourgeoisie zu einer solchen Potenz erhoben, dämonisiert werden. ...

Marx hat sein Leben lang nie anders vom Proletariat gesprochen. Es war und blieb sein Volk Israel, das die Entfremdung des Menschen schlechthin repräsentierte. In der >Heiligen Familie< erklärte Marx das Proletariat zum Vollstrecker eines geschichtlichen Auftrags: >Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist ... unwiderruflich vorgezeichnet.

Das Erstaunlichste aber ist, dass Marx die Parallele >Proletariat - Volk Israel< sogar selbst zog. ... in >Die Klassenkämpfe in Frankreich< verwendete Marx selbst dieses Bild und zog selbst die Parallele >Proletariat - Volk Israel<, wenn er schrieb: >Das jetzige Geschlecht gleicht den Juden, die Moses durch die Wüste führt. Es hat nicht nur eine neue Welt zu erobern, es muss untergehen, um den Menschen Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind.

Marx lernte das wirkliche Proletariat erst Ende 1843, Anfang 1844 in Paris kennen, also erst zu einem Zeitpunkt, da seine Vorstellung vom Proletariat als einem modernen Volk Israel bereits ausgebildet war. ...Aber andererseits wurde Marx durch diese apriorische Identifizierung des Proletariats mit dem Volk Israel dazu verführt, das Proletariat - und sein Verhältnis zur Bourgeoisie - zu mythologisieren. Er sah von allem Anfang an nicht das wirkliche, sondern ein idealisiertes Proletariat...Dass es sich hier um eine unbewusste Idealisierung, Mythologisierung des Proletariats handelte, hat keiner überzeugender bestätigt als Marx selbst, der später ein Leben lang in seiner Korrespondenz mit Engels die Arbeiter verachtend als Knoten, Straubinger, eine Bande von Eseln ... titulierte. ...

Für Marx persönlich bedeutete die >Entdeckung< des Proletariats in gewissem Sinne das Ende seiner Entfremdung. Nun hatte er sein Volk gefunden, in dem er zu Hause war, den Ersatz für das verlorene Heimatvolk der Rabbiner-Ahnen und für das nie als solches erlebte preußische Vaterland, sein Volk überdies, dessen er allein schon um seiner Berufung willen bedurfte, brauchte er doch ein Medium, den Auftrag zur Menschheitserlösung zu verwirklichen. ... diese Überwindung der Entfremdung beruhte ... auf einer Projektion, der Identifizierung des Proletariats mit dem Volke Israel, und war deshalb, psychologisch gesehen, eine Pseudo-Überwindung. Ihre Voraussetzung war die Nicht-Überwindung, das Sich-nicht-bewusst-Werdens seines jüdischen Selbsthasses, der seinerseits durch die Verdrängungen, die er implizierte, eine entscheidende Voraussetzung dieser Projektionen war.

Das Proletariat als projiziertes Volk Israel bei Marx hatte mit dem real existierenden Proletariat wenig zu tun. Marx hatte in seiner Dialektik von Sein und Bewusstsein das Sein des einzelnen auf dessen ökonomische Situation reduziert. Wie sich der einzelne auf die Realität bezieht ist jedoch auch von historischen, kulturellen und psychologischen Gegebenheiten abhängig. Marx hatte Faktoren wie die familiäre Situation, den lebensweltlichen Hintergrund, religiöse und kulturelle Einflüsse und die individuelle psychische Disposition unterschätzt. Das hat die Geschichte das Kommunismus und Sozialismus gezeigt.

Hier komme ich nicht weiter mit den marxistischen Kategorien. Auch nicht, wenn ich darüber nachdenke, wie Edwin, der Facharbeiter, und Elsa, die Büroangestellte, ein im marxistischen Sinne „richtiges“ Bewusstsein entwickeln konnten. Richtiges Bewusstsein. Was für ein Ausdruck. Als gäbe es falsches Bewusstsein. Für wen? Warum lassen sich meine Freunde Elsa und Edwin, denen es doch als Mitglieder der Arbeiterklasse recht gut geht, angeblich nicht manipulieren? Wo haben sie es her, ihr „richtiges“ Bewusstsein? Woher wissen sie um ihre historische Offensive aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Heer der Arbeiter und Angestellten? Von der historischen Mission der Arbeiterklasse, sich und die ganze Menschheit von den Fesseln der Ausbeutung zu befreien? Das fragt nur die leise Stimme in mir. Der Gruppendruck war groß, damals. Und Linke übten eine große Anziehung aus auf mich. Demonstrationen, alternative Lebensformen, Protest in Literatur und Musik. Moral, Religion, Erziehung, alles wurde in Frage gestellt. Das gefiel mir, vor allem sollte das Leben freier und leichter werden, wenn autoritäre Erziehungsgrundsätze in Familie, Schule und Gesellschaft überwunden würden.

Er nennt's Vernunft

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