Читать книгу Die Weimarer Republik 1929-1933 - Reiner Marcowitz - Страница 8

Einleitung

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Seit Jahrzehnten beschäftigt sich die Geschichtswissenschaft mit Entstehung und Entwicklung der Weimarer Republik. Insbesondere deren Endphase war „stets eine Determinante der historischen Forschung“ (Andreas Wirsching). Das erklärt sich nicht nur mit dem Wissen um die verhängnisvollen Folgen des Untergangs der ersten deutschen Demokratie – dem Aufkommen des Nationalsozialismus und der Geschichte des „Dritten Reiches“ –, sondern auch aus dem verständlichen Wunsch nach 1945 heraus, aus der Vergangenheit lernen zu wollen, um sicherzustellen, dass sich Vergleichbares nicht wiederholt. Ein solcher rein negativer Bezug auf das Menetekel Weimarer Republik legitimierte vor allem in der alten Bundesrepublik Deutschland die Weimar-Forschung, die in ihrer Intensität allenfalls noch durch die Beschäftigung mit dem „Dritten Reich“ übertroffen wurde.

Indes dürfte mittlerweile hinreichend erwiesen sein, dass nicht nur „Bonn“, sondern auch „Berlin“ nicht „Weimar“ ist, um ein bekanntes Diktum des Schweizer Publizisten Fritz René Allemann (1910–96) aus den 1950er-Jahren aufzugreifen: Die Bundesrepublik Deutschland erweist sich trotz ökonomischer und politischer Krisen bis heute als ein äußerst stabiles Gebilde. Dennoch hat die Erforschung der deutschen Geschichte der Jahre 1918/19 bis 1932/33 aus mehrerlei Gründen nichts von ihrer Relevanz eingebüßt: Erstens spiegelt sie eindrucksvoll die zeitlosen Gefährdungen liberaler Demokratien. Zweitens ist sie gerade in letzter Zeit zu Recht als eine „Krisenzeit der klassischen Moderne“ (Detlev Peukert) entdeckt worden, deren janusköpfigen Symptome – technischer Fortschritt und sozialstaatlicher Ausgleich, aber auch technokratische Sozialdisziplinierung und menschliche Entwurzelung – zum einen eine Brücke ins „Dritte Reich“ schlagen, deren Tragfähigkeit es weiter zu untersuchen gilt, und zum anderen auch unserer Gegenwart nicht gänzlich fremd sind. Drittens lässt sich am Beispiel der Weimarer Republik besonders gut die Verschränkung struktureller und personaler Faktoren im historischen Geschehen nachweisen.

Dies gilt gerade auch für die hier interessierenden Jahre zwischen dem Beginn der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929 und der Berufung Adolf Hitlers (1889–1945) zum Reichskanzler Ende Januar 1933: Die weltweite ökonomische Krise Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre führte in Deutschland zur umfassenden Staatskrise, deren Symptome die Delegitimierung des parlamentarischen Systems, ein damit einhergehendes Anwachsen extremistischer, fundamentaloppositioneller Kräfte von links und rechts sowie deren gewalttätiger Agitation und schließlich der schleichende Übergang von der Demokratie zur faktischen Präsidialdiktatur waren. Indes wäre es falsch, aus dem offensichtlichen Zusammenhang von wirtschaftlicher Verelendung und politischer Radikalisierung das zwangsläufige Scheitern der Weimarer Republik abzuleiten. Vielmehr soll im Folgenden erörtert werden, inwieweit die unleugbaren strukturellen Belastungen der Republik von Weimar vor allem in ihrer Endphase von einzelnen sowie gesellschaftlichen Gruppen gezielt für ihre jeweiligen republikfeindlichen Zwecke ausgenutzt wurden und erst dadurch ihre verhängnisvollen Wirkungen zeigten.

Die Gliederung orientiert sich an strukturellen wie an chronologischen Aspekten des Themas. Das erste Kapitel behandelt die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Deutschland seit dem Herbst 1929, weil sie als ein wesentlicher Katalysator, wenn nicht sogar als eine notwendige Voraussetzung für den Untergang der ersten deutschen Demokratie erscheinen. Analysiert werden einerseits Ausmaß und Entwicklung der ökonomischen Krise, die vor dem Hintergrund einer trügerischen wirtschaftlichen Erholung in den Jahren zuvor gesehen werden muss, andererseits die zeitgenössischen Konzepte zu ihrer Behebung. Ferner interessieren die psychosozialen Folgen der Massenarbeitslosigkeit und die hieraus resultierende verstärkte soziale Fragmentierung der deutschen Gesellschaft ebenso wie deren wachsende politische Desorientierung und Radikalisierung, durch die sich die Wirtschaftskrise in Deutschland zur umfassenden Staatskrise auswuchs.

Das zweite Kapitel schildert die Entwicklung der Großen Koalition Ende der 1920er-Jahre, der letzten demokratisch legitimierten Regierung der Weimarer Republik. Zunächst wird – in einem notwendigen zeitlichen Rückgriff – ihre Entstehung im Jahr 1928 untersucht, weil sich an ihr bereits jene strukturellen Divergenzen zwischen den beteiligten Parteien ablesen lassen, die später zum Bruch der Koalition führten. Es folgt eine Darstellung der Verhandlungen über den Young-Plan, der erstmals Höhe und Dauer der deutschen Reparationszahlungen festlegte. Dies bedeutete zwar einen großen Erfolg der deutschen Außenpolitik, erwies sich hingegen innenpolitisch als eine schwere Belastung, weil die lange Zahlungsdauer der nationalistischen Rechten einen neuen Anlass für ihre aufhetzende Agitation gegen die Weimarer Republik bot. Schließlich werden unmittelbarer Auslöser und tiefere Ursachen des Bruchs der Großen Koalition sowie dessen zeitgenössische und historische Bewertungen analysiert.

Im Mittelpunkt des dritten Kapitels steht die Regierungszeit des ersten Präsidialkanzlers, Heinrich Brüning (1885–1970): Als Erstes wird die Bedeutung seines Regierungsantritts für das politische System der Weimarer Republik untersucht. Dann werden jeweils Innen- und Außenpolitik der Jahre 1930 bis 1932 erörtert, wobei die Verzahnung beider Bereiche herausgearbeitet wird, insbesondere im Hinblick auf den Zusammenhang von strikter Deflationspolitik im Innern und forcierter Revision der Reparationsverpflichtungen nach außen. Dabei wird auch auf die bis heute andauernde Kontroverse über Brünings Politik eingegangen und – im Zusammenhang mit seinem Sturz im Mai 1932 – sein Anteil am Untergang der Weimarer Republik ausgelotet.

Das vierte Kapitel ist dem Aufstieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) zur „Volkspartei“ gewidmet, der sich in der Regierungszeit Brünings abzeichnete. Allerdings werden in diesem Kapitel auch die wesentlichen Strukturmerkmale des Nationalsozialismus – der Dualismus von Führerprinzip und Weltanschauung sowie die Ambivalenz von Partei und Bewegung – herausgearbeitet und lange strittige Aspekte des Themas – Zusammensetzung von Mitglieder- und Wählerschaft sowie die Frage der Finanzierung der Partei – untersucht, zu denen die Forschung gerade in den letzten Jahren wichtige neue Erkenntnisse geliefert hat.

Das fünfte Kapitel behandelt Entstehung und Entwicklung des Präsidialkabinetts Papen. Aufgrund seiner kürzeren Lebensdauer wird es zwar ungleich knapper abgehandelt als die vorherige Regierung Brüning. Dennoch liegt dieser Darstellung die Prämisse zugrunde, dass die Monate von Juni bis Dezember 1932 nicht nur einen einfachen chronologischen Appendix der vorangegangenen Jahre darstellen, sondern ihnen ein Eigenwert zukommt. Die Regierung Papen brach mit dem bisherigen politischen System, indem sie gezielt die Grundlagen des Weimarer Verfassungsstaates aushöhlte: Dazu gehörte sowohl der illegale „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932 – die Absetzung der geschäftsführenden preußischen Regierung – als auch die Ausschreibung von Neuwahlen auf Reichsebene, die kurz darauf den radikalen Parteien von links – der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) – und vor allem von rechts – der NSDAP – endgültig die Möglichkeit zur Blockade des Reichstags eröffneten, sowie schließlich die Pläne für einen „Neuen Staat“, die auf einen offenen Verfassungsbruch hinausliefen.

Im Mittelpunkt des sechsten Kapitels steht das Präsidialkabinett Schleicher, das gleichfalls nicht als ein kurzes Intermezzo verstanden wird, dem zwangsläufig die nationalsozialistische Regierungsübernahme folgen musste, sondern gerade als eine retardierende Phase, die noch einmal Spielräume zur Abwendung dieser Entwicklung eröffnete: Dazu gehört zum einen das „Querfront“-Konzept des neuen Reichskanzlers, also der Versuch, eine Koalition vor allem der Gewerkschaftsflügel von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) bis hin zur NSDAP zu schmieden. Besondere Aufmerksamkeit haben in der Forschung der letzten Jahre zum anderen aber auch die Staatsnotstandspläne des Generals gefunden als einer letzten Möglichkeit zur Abwendung einer Kanzlerschaft Adolf Hitlers. Dass diese dann am 30. Januar 1933 dennoch zustande kam, erscheint folglich nicht als eine unvermeidliche Entwicklung, sondern als ein Ereignis, das noch einmal besonders deutlich jene unselige Verkettung struktureller und personaler Elemente in der Endphase der Weimarer Republik belegt, deren Nachweis im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht und die in einer abschließenden Schlussbetrachtung noch einmal resümiert wird.

Die Weimarer Republik 1929-1933

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