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1995 – Die Tat
ОглавлениеVier Burschen feierten ihr Abitur. Das heißt, sie waren die Letzten, die übrig geblieben waren, von einundvierzig Abiturienten, die die Hochschulreife am Laubachtal Gymnasium bestanden hatten. Sie machten seit genau einer Woche Party, und zwar auf "höchstem Niveau", wie Helmut zu sagen pflegte, wenn er exzessives Feiern meinte. Die meisten ihrer Mitschüler hatten dem Mix aus ausgiebigem Trinken und dem Genuss verschiedenster weicher Drogen nach und nach Tribut zollen müssen und waren insgeheim froh, dass sie sich ausklinken konnten oder gar mussten. Der andere Teil der Schüler, die nichts von den ausschweifenden Feierlichkeiten hielten, hatte sich schon kurz nach dem offiziellen Prozedere zurückgezogen.
Helmut, Peter, Michael und Gerhard waren die Letzten. Der übriggebliebene Rest des Abiturjahrgangs 1995 vom Laubachtal Gymnasium in Waldbachkleinkeim. Irgendwie hatte es sie an diesem Sommerabend auf das Parkfest in Hattenbach verschlagen. Hattenbach war die Kreisstadt des nach ihr benannten und benachbarten Hattenbachkreises. Hier gab es ebenfalls ein Gymnasium und man kannte den ein oder anderen von dort.
An jenem frühen Freitagabend war mächtig Betrieb auf dem Parkgelände. Unter den alten und dementsprechend hohen Eichen tummelten sich die Menschen. Das Fest hatte eine lange Tradition und zog Besucher von nah und fern an. Auf zwei Bühnen spielten Bands. Es gab Stände, an denen man die Erzeugnisse der hiesigen Landwirtschaft und Artikel von Handwerkern und ansässigen Künstlern erwerben konnte. Dazwischen immer mal wieder ein Getränkeausschank oder ein Imbissbetrieb. Der Parkplatz vor dem Parkeingang war zu einem kleinen Rummelplatz mit Fahrgeschäften und Losbuden umfunktioniert worden. Ein buntes Gemisch aus Markt, Kirmes und Open Air Festival. Das tolle Wetter, das das gesamte Ambiente unterstrich, und das anstehende Wochenende, taten ein Übriges zum regen Besucherstrom hinzu.
Die jungen Männer legten gleich an einem der hübsch dekorierten Getränkestände einen Halt ein und genehmigten sich eine Runde Bier. Erst danach wollten sie ihren Rundgang über das Gelände fortsetzen. Sie flachsten untereinander und insgeheim wussten sie, und wünschten sich sogar, dass ihre Feiertortur langsam einmal ein Ende fand. Nur klar auszusprechen getraute sich es keiner. Es wollte sich keiner eine Blöße geben. Aber irgendwann fängt man an, sich vor Bier zu ekeln.
Peter Barth gab den Fahrer. Er war der Typ eines Draufgängers und polarisierte in der Abschlussklasse mehr als jeder andere. Entweder er wurde gemocht oder er wurde verabscheut. Dazwischen gab es nichts. Auch nicht in den Meinungen des Lehrerkollegiums über ihn. Seine Abiturarbeiten hatte er in den Fächern Englisch, Deutsch und Biologie geschrieben. Nichts Berühmtes, aber problemlos das Abitur gebaut. Ihm reichte das Ergebnis vollkommen. Peter hatte nicht den Ehrgeiz, durch Arbeit eine glanzvolle berufliche Karriere hinzulegen, ihm genügte es, wenn er einen finanziell soliden und nicht allzu zermürbenden Beruf finden würde. Seine Motivation lag eher darin begründet, genug Zeit und Mittel zu haben, um anständig Party zu feiern, solange er noch jung war. Da er sich noch nicht im Klaren war, wie sein Berufsziel letztendlich genau aussehen sollte, hatte er vor, sich zunächst bei der Bundeswehr zu verpflichten.
Er war ein Kerl, dem man seine Affinität zum Sport ansah. Die anderen wirkten gegen ihn fast wie Hänflinge. Mit seiner Größe und seinen breiten Schultern hatte er durchaus das Zeug, Respekt einzuflößen, obwohl sein Gesicht erstaunlich weiche Züge aufwies. Dazu passte sein blondes Haar und das einnehmende Lächeln, das ihm trotz seiner beeindruckenden Größe die Jungenhaftigkeit gab. Peter hing meist mit Helmut ab. Die beiden waren seit Kindergartenzeiten Freunde und hatten bis dahin mehr Zeit miteinander verbracht, als mit ihren Familien. Sie wussten alles voneinander, mehr als ihre Eltern mitsamt Geschwistern, Lehrern oder anderen Freunden. Peter und Helmut waren ziemlich beste Freunde. Wenn sie zusammen getrunken oder eine Tüte Gras geraucht hatten, offenbarte Peter seinem Freund die Seite von sich, die sonst niemand ahnte, geschweige denn wusste. Peter Barth hatte häufiger, wenn er unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stand, massive Gewaltfantasien, die sich hauptsächlich gegen Frauen richteten. Helmut nahm es nicht ernst. Er nahm es deshalb nicht ernst, weil sie weit über seine Vorstellungskraft hinausgingen und er die Abartigkeiten alleine schlechtem Stoff oder eben übermäßigem Alkoholgenuss geschuldet sah.
Helmut Stahl war der älteste der Clique. Er hatte den anderen vier Stunden des Lebens voraus. Oftmals stand er kurz davor, eine Ehrenrunde drehen und ein Schuljahr wiederholen zu müssen, aber irgendwie schaffte er es immer, gerade noch das Klassenziel zu erreichen. Das zeigte zwei Dinge: Zum einen, nahm Helmut die Schule nicht so ernst, wie er es eigentlich hätte tun sollen und zum anderen, wenn er die Schule ernst nahm, steckte durchaus Potential in ihm. Im Geheimen hatte er sich die gleiche Ansicht angeeignet, die auch sein Freund Peter bevorzugte. Erst einmal locker durchs Leben gehen und dann weiter sehen. Er hatte ein Faible für die späten sechziger und frühen siebziger Jahre und zeigte das auch anhand seines Äußeren. Helmut hatte braune, über die Schulter fallende Haare, die er oft zu einem Zopf zusammengebunden trug. Damit sah er schon aus wie ein Relikt aus jenen vergangenen Zeiten. Er trug am liebsten Hosen mit einem Schlag und um seine Handgelenke hatte er sich viele bunte Stoffbändchen gebunden. Helmut lachte fast nie. Es hatte nichts damit zu tun, dass er über keinen Humor verfügte, aber er hielt Lachen ganz einfach für uncool. Nur wenn er stark alkoholisiert oder total bekifft war, konnte er ungezwungen lachen. Deshalb war es immer das Zusammensein mit "seinen Jungs", das ihm die Unbekümmertheit bescherte, die ein junger Mann eigentlich haben sollte.
"Wir hätten gerne vier Bier", sagte Gerhard Weise und fügte an: "Große!" Der Mann hinter dem Pavillon nickte, zapfte die Biere fertig und stellte sie auf der Umrandung des Verkaufsstandes ab. Gerhard nickte zufrieden, gab dem Mann neun Mark und verteilte die Gläser. Dabei bestellte er sofort noch einmal vier Bier. Große!
"Willst du uns hinrichten?", fragte Peter und schüttelte dabei den Kopf.
"Nein, aber wir sollten nicht vergessen, warum wir hier sind", antwortete Gerhard und hörte sich dabei sehr unternehmungslustig an. Jetzt schüttelte jeder seiner drei Mitstreiter den Kopf. Es war ihnen inzwischen anzumerken, dass sie das Bier mehr oder weniger mit Überwindung trinken mussten. Richtig schmecken tat es ihnen nicht mehr und Durst hatten sie längst keinen mehr. Einzig Gerhard schien richtig aufzublühen und entwickelte eine kaum für möglich gehaltene Motivation.
Gerhard Weise war erst vor weniger als einem halben Jahr auf das Laubbachtal Gymnasium gekommen. Er hatte sich sofort um den Anschluss an die Clique von Helmut, Peter und Michael, der die Gruppe komplett machte, bemüht. Und das Erstaunliche war, er schaffte es sehr schnell, ihr Vertrauen zu gewinnen. Es hätte die anderen eigentlich verwundern müssen, denn sich kurz vorm Abitur in eine jahrelange, fast geschlossene, gut funktionierende und homogene Gemeinschaft zu drücken, ist eine seltene Leistung. Zumal die drei, neben ihren gemeinsamen Interessen, Hobbys und Träumen, etwas ganz Spezielles verband. Sie waren alle am 6. 6. 1976 zur Welt gekommen. Allein das war schon besonders, und dass sich ihre Eltern sehr gut kannten und in ihren Jugendjahren viel Gemeinsames unternommen hatten, machte diesen Umstand noch ein Stück außergewöhnlicher. Keiner maß diesem Sachverhalt Bedeutung zu und keiner machte sich Gedanken darüber, wie viel Gerhard mit jedem einzeln von ihnen gemein hatte. Obwohl es mehr als sonderbar war. Es war fast so, als schiene er sie schon seit ewigen Zeiten zu kennen.
Gerhard Weise kam aus Norddeutschland. Eine Krebserkrankung seiner Mutter, die im fünfundzwanzig Kilometer entfernten Aubach wohnte, hatte sich dermaßen verschlimmert, dass er zu ihr ziehen musste. Er hatte sich ohnehin mit seinem Vater, mit dem er bis dahin zusammen wohnte, überworfen. Ein Orts- und Schulwechsel so kurz vor dem Abitur ist zwar sehr ungewöhnlich, aber stellte für ihn anscheinend überhaupt kein Problem dar. Er gehörte zu den besten Abiturienten, die das Laubbachtal Gymnasium im Jahr 1995 hatte.
Gerhard gehörte zu den mittelgroßen Menschen mit einem mittleren Bodyindex. Alles an ihm wirkte durchschnittlich. Ein durch und durch unauffälliger junger Mann. Einzig das scharf geschnittene Gesicht mit den dunkelbraunen, fast schwarzen Augen stach hervor, wenn man ihn betrachtete. Gerhard vermied jedoch meist direkten Augenkontakt, und wenn man es denn schaffte, dass er dem Blick standhielt, konnte man frösteln. Man glaubte eine Glut in ihnen zu erkennen. Eigentlich waren es Augen, die das weibliche Geschlecht liebte, aber nach eigenem Bekunden hatte er noch kein ernsthaftes Interesse an Mädchen. Nicht dass er schwul sei, nein, aber er wollte seine sexuelle Orientierung erst noch ausloten und sich nicht binden. Im Moment fand er Mädchen für eine Freundschaft doof, aber Mädchen zum Spaß haben, das war eines seiner angestrebten Ziele und er vermochte seinen Freunden diese Ansicht so eindrücklich zu vermittelen, dass sie ihm uneingeschränkt beipflichteten. Gerade zu einer gelungenen Abiturfeier gehörte ein unvergessliches amouröses Erlebnis, wie er in den vergangenen Tagen immer wieder anklingen ließ. Seine Freunde stimmten ihm in dieser Hinsicht euphorisch zu. Gerhard entwickelte urplötzlich einen Eifer, den seine Freunde so noch nie an ihm erlebt hatten. Während sie vorsichtig vom Bier tranken, kippte er das erste Glas mit zweimal ansetzen herunter und ließ einen lauten Rülpser folgen, der die umstehenden Besucher aufmerksam werden ließ. Die anderen mussten zwangsläufig lachen und die Glut in Gerhards dunklen Augen schien einen Tick heller zu werden und ein Grinsen zog sich über sein Gesicht. Er wusste, dass die Zeit reif war.
"Na, auf Leute, trinkt doch mal! Wir wollen doch nicht vergessen, warum wir hier sind!", rief er seinen Freunden zu und prostete schon mit dem zweiten Glas. Die Anderen lachten gezwungen und tranken. Sie hatten die Gläser kaum abgesetzt, da wiederholte sich das Spiel schon wieder.
"Was ist denn mit dir los? Druckbetankung?", meinte Peter kopfschüttelnd und verzog ein wenig sein Gesicht. Gerhard antwortete nicht, sondern hob erneut das Glas. Es muss wie ein Signal gewirkt haben, denn alle taten es ihm gleich.
Die zwei großen Bier zeigten erste Wirkung. Schließlich waren sie seit einer Woche nicht mehr richtig nüchtern gewesen. Jeden Tag Alkohol und zwar in nicht unbeträchtlichen Mengen, dazu der ein oder andere Joint, hatte sie in eine Art Dauerrausch versetzt. Selbst Peter, der fuhr, hielt sich keineswegs zurück. Das Abitur beflügelte und der Alkohol enthemmte.
Der Vierte im Bunde war Michael Kressel. Er war der Besonnenste des Quartetts. Ein kühler, pragmatisch denkender junger Mann. Er hatte vor, nach dem Abi Architektur zu studieren, allerdings erst nach einer einjährigen Pause, die er dazu nutzen wollte, Europa kennenzulernen. Michael spürte sofort, wie das Bier wirkte. Aber egal, er hatte sich vorgenommen, diesen Tag ohne Rücksicht auf sein Wohlbefinden noch hinter sich zu bringen und dann die Feierlichkeiten zu beenden. Die Nachwirkungen, die er sicher haben würde, konnte er dann in aller Ruhe und mit aller Zeit dieser Welt auskurieren. Darauf freute er sich, aber heute wollte er noch einmal ein Schwein gegen sich selbst sein. Deshalb war er es auch, der Gerhard Unterstützung angedeihen ließ:
"Kommt, ex und hopp, heute gilt es nochmal!"
*
Knapp einhundert Meter weiter saß ein junges Mädchen auf dem Geländer des Autoscooters und schaute gelangweilt dem Treiben auf der Bahn zu. Nadia Haferkamp war ein aufgeschlossenes 15-jähriges Mädchen, das mit seiner Erscheinung und seinem Auftreten das Interesse der Jungs weckte. Kokett lehnte es aber jede der Avancen gleichaltriger Burschen ab. Für Nadia kam jemand ohne Auto überhaupt nicht in Frage. Das Mädchen mit den kurzen schwarzen Haaren war nicht unerfahren, was das Zusammensein mit Jungs betraf. Seine Unschuld hatte es vor einem Jahr auf der Motorhaube eines Toyotas verloren und es hatte ihr Spaß gemacht. Irgendwie strahlte Nadia die vorher angesprochene Aufgeschlossenheit aus, aber die jungen Burschen, die sich alle um den Autoscooter herumtrieben, holten sich einer nach dem anderen eine Abfuhr. Sie gab sich gelangweilt und nutzte ihren Status hemmungslos aus, um Zigaretten und Bier zu schnorren. Die Sonne gab ihren braungebrannten Armen und Beinen, die unter dem dunkelblauen, mit weißen Punkten besetzten Sommerkleid zum Vorschein kamen, einen goldglänzenden Teint. Insgesamt wirkte Nadia sehr sexy und erwachsener als sie war. Sie wohnte im Besatzerviertel, einem Stadtteil der auf dem Gelände der ehemaligen russischen Kaserne entstanden war, die nach dem Abzug der Sowjettruppen zum Herzstück eines großen, neuen Wohngebietes geworden war. Die im Volksmund "Besatzerviertel" genannte Siedlung war nicht das Aushängeschild der Stadt. Zuviel Kriminalität hatte sich von Anfang an dort ausgebreitet und festgesetzt. Davon war auch Nadias Umfeld geprägt. Sie hatte längst die Normen aufgebrochen, die man ihr versucht hatte einzuimpfen, und lebte nach ihren eigenen Regeln. Als sie sich eine weitere Zigarette anzündete, sah sie die vier jungen Männer auf sich zukommen. Sie schienen einen ausgelassenen Eindruck zu machen.
*
"Kommt, wir gehen mal da runter zum Autoscooter, vielleicht finden wir noch was zum Spaß haben. Dort können wir auch besser eine Tüte rauchen, als hier bei dem Spießervolk", meinte Gerhard, grinste dreckig dabei und zeigte in Richtung des kleinen Vergnügungsparks. Sie hatten inzwischen das vierte große Bier getrunken und der Alkohol hatte längst wieder seinen angestammten Platz in ihren Blutbahnen eingenommen.
"Ja, kommt, er hat recht. Jetzt noch eine Tüte, das bringt es doch. Und vielleicht bekommen wir Spaß", unterstützte Peter den Vorschlag. Gerhard hatte die ganze Woche über schon Andeutungen über die Art Spaß gemacht, den er meinte. Dabei hatte er festgestellt, dass seine Freunde seine immer wilder und wüster werdenden Fantasien mit jedem Tropfen Alkohol und jedem Zug Gras vermehrt teilten und Geschmack daran fanden. Michael tat es als Einziger als das übliche Geschwätz eines euphorisierenden Abiturienten ab. Die insgeheime Zustimmung seiner Freunde machte Gerhard auf seltsame Art zufrieden und verschaffte ihm jedes Mal ein verstecktes Grinsen. Er wusste, dass heute sein Tag war. Sie tranken aus und schlenderten gutgelaunt ihrer speziellen Art Spaß entgegen.
*
Es begann zu dämmern. Im Park und auf dem Platz, wo der kleine Rummel aufgebaut war, herrschte inzwischen Hochbetrieb. Von einer Losbude und dem Autoscooter erklang Musik, die man wechselseitig hören konnte. Grelles, flackerndes Licht illuminierte die Umgebung. Gerhard schlug sofort den Weg dorthin ein, wo Nadia saß. Sie setzten sich unmittelbar vor das Mädchen und Gerhard drehte, ohne sich um das Drumherum zu kümmern, einen Joint.
"Seht mal her, ist das nicht ein schönes Teil", sagte er, als er fertig war, und hob die übergroße Zigarette wie einen Pokal in die Höhe.
"Wow, na los, mach ihn an!", rief Michael überschwänglich, während er zum Takt der Musik hin und her tänzelte.
"Ja, mach schon!", unterstützen ihn die anderen.
Demonstrativ steckte Gerhard den Joint an, nahm aber nur die Winzigkeit eines Zuges und reichte ihn an Michael weiter. Der inhalierte, als gäbe es kein Morgen mehr.
Nadia schaute dem Treiben nicht ohne Faszination zu. Das waren coole Jungs, anders als diese Milchbubis, die die ganze Zeit hier um sie herumschwirrten. Gerhard bemerkte ihr Interesse sofort. "Na, hast du Lust mitzurauchen?"
Nadia hatte kaum Erfahrungen mit Drogen. Sie hatte zwar schon zwei-, dreimal an einem Joint gezogen, aber das war nichts Besonderes für sie gewesen. Jeder Alkoholrausch beeindruckte sie mehr. "Klar, warum nicht", antwortete sie kokett.
"Hey Leute, lasst der Lady hier auch noch was übrig, sie möchte gerne mit uns etwas Spaß haben", sagte Gerhard und tätschelte dabei, wie zufällig und an nichts denkend, Nadias Knie. Er bemerkte, dass ihr die kurze Berührung nicht unangenehm war und dass sie keine Anstalten machte, ihr auszuweichen. Mit dieser Feststellung zog er seine Hand zufrieden zurück.
"Oh, aber natürlich, gerne doch!" bemerkte Peter übertrieben nett und reichte dabei den Joint an Gerhard zurück. Der gab ihn, ohne selbst zu inhalieren, sofort an das Mädchen weiter. Nadia wollte keine Schwäche zeigen und als kleines Mädchen dastehen. Sie zog an der Haschischzigarette, und als sie sie weiterreichen wollte, meinte Gerhard: "Noch einmal, Kleines, du wirst sehen, es tut dir gut." Nadia zog noch einmal und die Jungs sahen es mit Genugtuung. Sie stellten sich einander vor und begannen zwanglos miteinander zu reden.
Inzwischen hatte Helmut für neuen Nachschub an Bier gesorgt. Er kam mit vier Plastikbechern in den Händen an und musste sich sofort Vorwürfe dafür anhören, dass er zu geizig war, Pfand für Gläser zu bezahlen und dass er Nadia vergessen hatte, da sie nun auch dazugehörte. Sie wusste zwar bis dato noch nichts davon, nahm es aber mit Freude zur Kenntnis und bekam Helmuts Bierbecher gleich dazu. Helmut ging noch einmal los. "Fünf Stück! Bitte!", rief ihm Peter laut nach. Ohne sich umzudrehen, streckte Helmut die Hand mit dem berühmten Mittelfinger nach oben.
Nadia musste sich eingestehen, dass die Wirkung des Stoffes doch erheblich stärker war, als das, was sie bisher kannte. Dabei bemühte sie sich zu lächeln.
"Fahr doch mal jemand ´ne Runde mit dem Mädel hier", schlug Gerhard vor und wusste, dass er damit bei Peter offene Türen einrannte.
"Aber klar doch, kommst du mit?" fragte Peter durchaus anständig.
"Ja, aber nur eine Tour, ich bin nicht so der Autoscooterfan." Nadia willigte ein.
Gerhard und Michael schauten ihr anerkennend hinterher, als sie mit Peter in einen der Wagen stieg.
"Strammer Feger, geiler Arsch!", bemerkte Gerhard und beobachtete seinen Kumpel genau. Michael schaute dem Mädchen lange hinterher. Alles läuft nach Plan, dachte sich Gerhard.
Helmut kam zurück. Diesmal mit fünf Bechern Bier. Er fing an zu verteilen. Die beiden Becher für Peter und Nadia stellte er auf dem Schotter ab. Dann trank er einen Schluck und zog ausgiebigst an der Tüte.
"Die Kleine ist rattenscharf, mit der könnten wir bestimmt richtig Spaß haben", meinte Gerhard an Helmut gewandt, und in seinen Augen schien die Glut nun ein bisschen mehr zu lodern.
"Ja, geiles Geschoss!", antwortete Helmut und zog erneut am Joint. Gerhard nahm ihm daraufhin das Teil ab. "Das lassen wir den beiden übrig, die sollen auch noch was davon haben und vielleicht macht der Stoff dem Mädchen ja Lust auf mehr." Als Peter und Nadia wieder in ihrem Kreis zurück waren, reichte Gerhard ihnen direkt den Joint und ihr Bier. Permanent war er darum bemüht, dass jeder trank und rauchte. Er selbst hielt sich sehr zurück und zwar so geschickt, dass es den anderen nicht auffiel.
Die Stimmung wurde ausgelassener, die Dämmerung hatte längst der Nacht Platz gemacht. Es war noch angenehm warm, das Bier schmeckte allmählich wieder besser und das grelle Licht der Glühbirnenketten, mit denen sich die Attraktionen schmückten, erhellte den Platz. Gerhard drehte einen neuen Joint. Er hatte vorher schon Peter Mut gemacht und ihm eingeredet, dass Nadia bestimmt nicht abgeneigt wäre, ein bisschen Spaß zu haben. Außerdem würde sein Stoff ein Übriges tun, um das Mädchen etwas offener werden zu lassen. Dabei zwinkerte Gerhard seinem Freund mit einem Auge zu. Ganz so schnell konnte er ihn nicht überzeugen, aber immerhin hatte Peter inzwischen seinen Arm um Nadias Hüfte gelegt und auch Helmut war ihr inzwischen immer näher gerückt. Michael konnte zwar auch nicht die Augen von dem hübschen Mädchen lassen, aber er hielt sich mehr zurück und wurde daher zum Bier holen auserkoren. Und insgeheim und unauffällig führte Gerhard Regie bei ihrem ausgelassenen Treiben. Alles entwickelte sich in seinem Sinne.
"Hier ist doch nichts Richtiges los, lasst uns noch woanders hin fahren, wo wir mehr Ruhe haben und noch ´ne Tüte bauen können", schlug Gerhard plötzlich vor.
"Ja, wir nehmen uns Bier mit und hauen uns irgendwo hin", pflichtete Helmut bei.
"Nee, ich fahr´ nicht mehr. Ich bin viel zu breit und zu stoned." Peter war wenigstens nicht so breit, dass er seinen Führerschein auf Spiel setzte. Darin war er konsequent.
Gerhard hatte damit gerechnet, aber er wollte sich seinen Plan nicht durchkreuzen lassen. Alles lief gut für ihn. "Ich kann noch fahren." Die Anderen schauten ihn überrascht an. Sie waren durchweg alle vom Alkohol und vom Dope stark gezeichnet. Auch die junge Nadia.
"Was ist? Ich bin fit! Peter, gib mir den Schlüssel, ich fahre. Wir können doch jetzt nicht die Party einfach beenden. Was soll Nadia von uns denken, oder, Nadia?" Nadia lächelte nur. Sie war weit weg und es ging ihr gut.
"Na seht ihr. Komm, Peter, gib dir einen Ruck. Nadia will doch auch noch ein bisschen Action." Sie waren zu besoffen, um alles zu registrieren. Helmut und Michael hatten Gerhards Aufforderung genauso wenig richtig interpretiert wie das Mädchen. Einzig Peter war bei dem Wort Action aufmerksam geworden und schaute dabei das Mädchen von oben bis unten an. Ihre nackten Beine machten ihn kirre. Peter warf Gerhard den Schlüssel zu und dann machten sie sich auf zum Auto.
*
Sie verließen Hattenbach und fuhren auf der K 54 zurück Richtung Waldbachkleinheim. Gerhard hatte in den Wochen zuvor, alleine, einige Touren in die nähere Umgebung unternommen und sich Örtlichkeiten angeschaut, die ihm für seinen Plan besonders geeignet schienen. Gerhard wusste genau, wo er hin wollte. Michael saß auf dem Beifahrersitz. Er hatte Schwierigkeiten die Augen offen zu halten. Peter und Helmut hatten Nadia in ihrer Mitte und saßen ziemlich beengt im Fond. Die Nähe zu dem Mädchen und die zwangsläufigen Berührungen mit Nadias nackten Beinen und Armen ließen Peters Adrenalinspiegel stetig wachsen. Sein Atem wurde heftiger und kürzer wenn er an ihre Haut dachte, und dieser Gedanke machte sich mehr und mehr breit in ihm. Gerhard hatte den Rückspiegel so eingestellt, dass er das Geschehen auf dem Rücksitz beobachten konnte. Auch Helmut genoss die Nähe zu Nadia offensichtlich, und das gefiel Gerhard. Es entwickelte sich alles, wie er es in der Inszenierung vorgesehen hatte. Er war zufrieden, und je mehr er zufrieden war, umso mehr hätten seine Begleiter das Glühen seiner Augen bemerken können. Aber Michael konnte kaum noch die Augen offenhalten und Peter und Helmut waren inzwischen viel zu sehr damit beschäftigt, auszutesten, wie weit sie bei dem Mädchen würden gehen können. Noch waren es scheinbar übliche, harmlose und zufällige Berührungen, die Nadia zwar registrierte, aber nicht als das bewertete, was sie wirklich waren. Zumal sie wegen des Alkohols und des Haschischs einige Wahrnehmungsmängel hatte und die Berührungen freizügiger als gewohnt hinnahm. Manchmal konnte Gerhard sogar ein Kichern oder Lachen hören.
Er bog links ab und fuhr eine ganze Weile dem Feldweg entlang, bis er den Wald erreicht hatte, dann bog er wieder links ab und fuhr ein Stück dem Waldrand entlang zu einer Art Lichtung. Vögel stiegen aus den Bäumen in den klaren Nachthimmel auf. Er parkte rückwärts ein und machte das Licht aus. Die Nacht war relativ hell, man konnte gut sehen, wenn man den Augen ein bisschen Zeit zur Gewöhnung gab. Und es war warm. So warm, wie man es sich in lauen Sommernächten vorstellt. Michael döste nun vollends auf dem Beifahrersitz und bekam von dem, was sich auf der Rückbank abspielte, nichts mit. Dort passierte das, was Gerhard vorausgesehen und auf das er hingearbeitet hatte.
Peter knutschte inzwischen mit Nadia und seine rechte Hand schien jeden Quadratzentimeter ihres Körpers abzutasten, während Helmut wie beiläufig versuchte, seine Hand unter ihr Kleid zu schieben. Das Mädchen machte keinerlei Anstalten sich zu wehren, die Wirkung des Haschischs im Zusammenspiel mit dem Alkohol nahm immer mehr zu. Gerhard beobachtete alles im Rückspiegel, während er einen letzten Joint baute. Er zündete ihn an und nahm einen schwachen Zug. Dann drehte er sich um und hielt ihn Peter hin.
"Hier, nimm mal einen Zug und gib ihn auch der Kleinen. Ich hab´ mir Mühe gegeben", sagte Gerhard und grinste Peter teuflisch dabei an. Dabei zwinkerte er ihm zu und machte eine leichte Kopfbewegung in Richtung des Mädchens, an dessen Augen man inzwischen gut ablesen konnte, wie weit es in diesem Moment schon der Welt entrückt war. Helmut hatte derweil Nadias Beine auseinandergedrückt und streichelte ihr über die Schenkel. Sein Blick war nicht minder begierig und lüstern, als der seiner Freunde. Peter fasste Nadia fest am Hals, zog sie zu sich hin und hielt ihr den Joint vor den Mund. Sie konnte gar nicht anders, als daran zu ziehen. Eigentlich war es ihr auch egal. Inzwischen war ihr ziemlich alles egal und sie registrierte es nur im Unterbewusstsein, genauso wie Helmuts fordernde Finger, die sich den Weg in ihren Slip suchten. Einzig Michael bekam von all dem nichts mit. Noch nicht.
"Lass Nadia noch einmal ziehen, Peter, und dann lasst uns aussteigen, hier ist es doch total unbequem." Gerhard führte wieder das Kommando.
"Ja, eine gute Idee", pflichtete Peter bei und fing an, immer lauter werdend zu lachen. Aus diesem Lachen tönte ein dermaßen dreckiges Echo, dass man Angst bekommen konnte. Nadia nahm es nicht wahr. Dafür Gerhard umso mehr. Das Mädchen stolperte mehr aus dem Auto, als dass es ging. Inzwischen war auch Michael wieder zu sich gekommen. Er musste erst einmal seine Gedanken ordnen und versuchte zu verstehen, was gerade passierte. Gerhard ließ ihm keine Zeit. Er nahm Peter den Joint aus der Hand und gab ihn Michael. "Komm, du wirst doch jetzt nicht schlapp machen. Nimm einen Zug. Guter Stoff!" Und Michael zog tatsächlich, obwohl er das Gefühl hatte, jeden Moment kotzen zu müssen. Gerhard nahm ihm den Joint wieder ab und reichte ihn an Helmut weiter. Die Geschäftigkeit, mit der er dafür sorgte, dass jeder seinen Teil abbekam, war beeindruckend. Peter hatte Nadia auf die Motorhaube gedrückt und küsste sie verlangend. Das Mädchen, dessen rot unterlaufene Augen davon zeugten, dass es ihm nicht gut gehen konnte, machte inzwischen fast einen apathischen Eindruck. Sie spürte die fremde Zunge, die sich in ihrem Mund bewegte, hatte aber keine Kraft, sich dagegen zu wehren. Das Mädchen sträubte sich gegen Peters Annäherungen. In ihren Gedanken empfand sie Abscheu und Ekel und als sie seine Hand spürte, wollte sie sich ihr entziehen, doch es war ein hoffnungsloses Unterfangen, jedwede Kraft war aus ihr gewichen und es hatte den Anschein, als ergebe sie sich Peters Drängen. Sie konnte keine Gegenwehr aufbringen, ihre Muskeln schienen wie gelähmt. Alles kein Grund für Peter, von ihr abzulassen, im Gegenteil, ihre Passivität befeuerte nur noch mehr seine Gier nach Nadia. Eine Hand war zwischen ihren Beinen und mit der anderen Hand drückte er die ihre gegen seinen Schritt. Sie sollte seine Erregung spüren. Helmut sah dem Geschehen zu und rieb sich das Kinn.
"Na los, geh´ hin. Die Kleine kann es vertragen und du willst doch auch bisschen Spaß", flüsterte ihm Gerhard ins Ohr und hielt ihm dabei wieder den Joint hin. "Na los!"
Kein Mensch weit und breit, eine herrliche Sommernacht, unsere letzte Nacht zum Feiern, ein geiles Mädchen und ich hab´ mein Abitur. Ach, scheiß drauf, dachte sich Helmut, inhalierte von dem Stoff und ging um das Auto herum zu Peter und Nadia, die heftig knutschend mehr auf der Motorhaube lagen als an ihr lehnten. Michael beobachtete das Treiben immer noch wie benebelt, aber bewertete es in keinster Weise. Es schien völlig normal. Noch.
"Mach doch ein bisschen mit Michael. Das Mädchen ist doch scharf, schau hin, wie sie Peter den Schwanz reibt", meinte Gerhard leise. Michael konnte nicht umhin und schaute hin. Es erregte ihn schon, obwohl man eigentlich erkennen konnte, dass von Nadia keinerlei Initiative ausging. Es war Peter, der ihre Hand führte, während er mit seiner anderen versuchte, in ihren Slip zu gelangen. Helmut zog ihr die Unterhose herunter. Er und Peter steigerten sich in einen Rausch. Nadia spürte überall Hände, hatte aber keine Kraft sich in irgendeiner Weise zu wehren. Kalte Schauer jagten über ihren Rücken. Sie empfand Ekel und Abscheu und hätte am liebsten geschrien, doch es ging nicht. Sie brachte kaum einen Ton heraus, so sehr sie sich anstrengte. Höchstens ein Wimmern oder einmal ein leises "... hört auf". Ihre Bewegungen liefen wie in Zeitlupe ab, sie fühlte sich, als sei sie gelähmt und verzweifelte an ihrer Hilflosigkeit. Was haben die mir für ein Zeug gegeben, dachte sie sich in ihrer Hilflosigkeit und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Es wurde alles zu einem einzigen Alptraum für das junge Mädchen. Sie wünschte sich zurück. Zurück nach Hause. Irgendwie bemerkte sie trotz ihres trancehaften Zustandes, dass böse Dinge im Gang waren und dass das alles kein gutes Ende nehmen würde. Fürchterliche Angst überkam Nadia und immer mehr Tränen rannen über ihr Gesicht.
Gerhard drückte und schob Michael derweil immer näher ans Geschehen. Es war ein ganz besonderes Drücken, ein Drücken, das Michael gar nicht als ein solches spürte, aber irgendwie war er plötzlich mittendrin. Er sah den nackten Unterleib, ihr Höschen an den Kniekehlen, die Hände seiner Freunde und das verzerrte Gesicht des Mädchens. Seine Gedanken fuhren Karussell. Dann fasste er dem Mädchen in den Schritt. Helmut zog den Reißverschluss des Kleides auf und streifte es über ihre Schultern. Der Anblick ihrer Brüste verstärkte ihre Raserei nur noch. Michael küsste ihre Brust und Peter griff so fest zu, dass Nadia laut "aua!" rief. Peter griff erneut zu, diesmal noch fester. Wieder ein Schrei.
"Sie quiekt!", meinte Gerhard, der einfach so daneben stand und das Treiben beobachtete, an Peter gewandt. "Ihr scheint das zu gefallen."
"Ja, es macht ihr Spaß!", lachte Peter und griff wieder fest zu. Michael war einen Schritt zurückgewichen, dafür hatte Helmut seinen Platz eingenommen und vergrub sein Gesicht auf ihrem Busen. Nadia bündelte all ihre verbliebene Kraft und begann sich zu wehren. Aber gegen einen Kerl wie Peter war das ein sinnloses Unterfangen. Sie begann zu weinen und zu beten.
"Schau mal, die Kleine! Ich denke du solltest ihr jetzt mal dein Rohr geben Peter." Gerhard war ein Meister im Anstacheln und Peter war fast wie von Sinnen. Nadia wehrte sich nun noch mehr und versuchte mit aller Kraft, sich aus ihrer Lage heraus zu winden. Aber Helmut hielt sie fest, während er weiter versuchte ihre Brustwarzen zu küssen.
"Lasst mich! Lasst mich jetzt in Ruhe!" Nadia wurde mehr und mehr klar, was vor sich ging, was die Kerle vorhatten. Das hatte sie nicht gewollt. Sie versuchte mehr dagegen anzukämpfen, aber all ihre Versuche und ihr Betteln und Flehen blieben erfolglos. Je mehr sie sich wehrte, umso mehr stachelte sie Peter an und umso mehr hielt Helmut sie fest. Peter zog ihren Slip noch weiter herunter. Sie strampelte mit den Beinen. Helmut hielt ihre Arme fest. Es war, als wären sie in einen Schraubstock gespannt. Peter war wie weggetreten. Niemand bemerkte, dass er gerade dabei war, vollends die Kontrolle zu verlieren. Niemand außer Gerhard. Der wähnte sich endlich am Ziel. Er wusste, dass er gewonnen hatte und er sah voraus, welch böses Ende ihr Treiben nun in Kürze haben würde. Das machte ihn zufrieden. In seinen Augen brannte ein lichterlohes Feuer und seine Lippen bebten.
Als Peter sich bückte, um dem Mädchen die Unterhose vollends über die Knöchel zu ziehen, traf ihn Nadia mit einem Tritt mitten ins Gesicht. Es war noch nicht einmal allzu fest, aber sofort blutete seine Nase. Mit einem Sprung war er über ihr. "Du kleine, verdammte Fotze!", schrie er sie mit wutverzerrter Miene an. So laut, dass die anderen regelrecht erschraken und die Vögel erneut aus den Bäumen aufstiegen. Die nächtliche Ruhe war spätestens jetzt vorbei. Der frühe Tag verlor seine Unschuld.
Seine Faust landete mit einem fürchterlichen Geräusch in ihrem Gesicht. Von oben herab hatte er mit all seiner Kraft, die er in den Hieb gelegt hatte, dem Mädchen einen Großteil der Gesichtsknochen gebrochen. Sofort folgte der zweite Schlag. Ohne jegliche Hemmung schlug er zu. Was die Treffer anrichteten, war ihm egal. Seine blinde Wut steigerte sich in exzessives Schlagen. Helmut, der das Mädchen bei den ersten Schlägen noch festgehalten hatte, hatte es angesichts des unerwarteten Gewaltausbruchs erschrocken losgelassen und schaute mit Entsetzen zu, was sein Freund mit dem Mädchen machte. Nadias Hände, die sie sich schützend vor ihr Gesicht hielt, bildeten keinen ernstzunehmenden Widerstand gegen den Schlaghagel, den ihr Peiniger auf sie nieder prasseln ließ. Jeder Treffer erzielte eine verheerende Wirkung. Dem Mädchen wurde schwarz vor Augen, alle Kraft verließ sie und sie wurde ohnmächtig.
Nadia lag regungslos auf der Motorhaube. Sie blutete überall aus ihrem entstellten und sofort vollkommen zugeschwollenen Gesicht. Sogar aus den Ohren lief ein kleines Rinnsal Blut. Wutschnaubend stand Peter über ihr. Er wischte sich den Schweiß und den Rotz aus dem Gesicht, der ihm während seines angsteinflößenden Kontrollverlusts aus der Nase gelaufen war. Völlig wirr schaute er in die Runde. In diesem Moment hörte man nur sein Atemholen, das sich ganz allmählich auf ein Normalmaß reduzierte. Helmut und Michael schauten fassungslos auf das wie leblos daliegende Mädchen. Gerhard, der hinter den beiden stand, beobachtete mit leicht zur Seite geneigtem Kopf die Szenerie. Fast hatte es den Eindruck, als ob sich seine Lippen zu einem Grinsen geformt hätten.
"Ach du Scheiße!", flüsterte Michael vor sich hin, ohne die Augen von Nadia abwenden zu können. Helmut sagte gar nichts und Peters wirr aufgerissene Augen schienen plötzlich Hilfe zu suchen. "Was ist, was guckt ihr so blöde? Was machen wir jetzt?", stammelte er und schaute seine Freunde reihum an. Die Situation wurde ihnen allen schlagartig bewusst.
"Die bewegt sich nicht mehr. Du hast sie totgeschlagen!", meinte Michael leise und machte dabei den gleichen hilflosen und verzweifelten Eindruck wie Peter. Alle waren schlagartig nüchtern, zwar nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen, aber die Wirkung des Alkohols und des Dopes waren wie weggewischt.
"Die ist nicht tot, sie atmet doch noch", meinte Peter kleinlaut und man konnte deutlich die Hoffnung heraushören, die er in seine Feststellung gelegt hatte.
Plötzlich trat Gerhard hervor und ging zu dem bewusstlosen Mädchen. Er fühlte fachmännisch ihren Puls und hinterließ damit sofort Eindruck bei seinen Freunden.
"Sie wird sterben. Ihr Puls ist mehr als schwach, in ein paar Minuten ist sie tot." Gerhard sagte es ganz ruhig, fast schon professionell.
"Was erzählst du für eine Scheiße? Die Kleine ist nur bewusstlos, das wird schon wieder. Die hat bloß zuviel gesoffen." Peter wollte Gerhards Worte nicht wahrhaben.
"Da wird gar nichts mehr, Peter, ihr habt sie totgeschlagen." Gerhard wählte seine Worte mit Bedacht. Absichtlich sagte er "ihr". Er wollte sie alle zu Schuldigen machen, das gehörte zu seinem Plan.
"Was heißt hier ihr?", fragte Helmut empört.
"Peter hat geschlagen, wir haben doch nichts gemacht", pflichtete ihm Michael mit der gleichen Empörung bei. Peter schaute fassungslos in die Runde und dann blieb sein Blick an Gerhard hängen, gerade so, als wartete er darauf, dass er ihm zur Seite sprang. Gerhard tat ihm gerne den Gefallen.
"Michael, die Polizei ist nicht blöd. Sie werden die Leiche genauestens untersuchen und dann feststellen, dass ihr sie alle angefasst und begrapscht habt. Und glaubst du wirklich, dass Peter alleine die Schuld auf sich nehmen wird, wenn es eng für ihn wird? Ihr seid alle dran. Peter vielleicht ein bisschen mehr, aber sie werden auch deine Spuren finden und die von Helmut auch. Und ich hänge schließlich auch mit drin, da mache ich mir nichts vor und deshalb müssen wir gemeinsam eine Lösung finden, wie wir aus der Sache herauskommen. Am besten wäre es natürlich, das wäre alles nicht passiert und deshalb müssen wir es eben so drehen, als wäre es nicht passiert. Wir müssen das Mädchen verschwinden lassen. Sie darf nicht gefunden werden."
Alle schauten ihn wegen seiner messerscharfen Analyse an. Jedem fehlten zuerst einmal die Worte und sie mussten das Gehörte sacken lassen.
"Entschuldige mal, das Mädchen lebt!", echauffierte sich Michael.
"Es wird nicht überleben, Michael. So oder so. Besser wäre es, ihr würdet ihrem Leiden ein Ende bereiten." Wieder dieses kurze, gespenstische Sacken lassen der Worte.
"Wie meinst du das?", fragte Michael und fürchtete sich insgeheim vor der Antwort.
"Schlagt sie tot", antwortete Gerhard ohne jede Gefühlsregung.
"Du bist verrückt, du bist ja noch verrückter als der Psychopath da", kreischte Michael heraus und zeigte dabei auf Peter, der wie gebannt, aber vollkommen desorientiert, dem Disput lauschte.
"Ich komme noch ziemlich glimpflich aus der Sache raus, mein Freund, ich habe nur zugesehen, aber ihr habt sie angefasst und versucht, sie zu vergewaltigen."
"Quatsch, das war doch keine Vergewaltigung", mischte sich Helmut ein. Man sah ihm an, dass er überlegte.
"Das werden die bei Gericht anders sehen und wir kommen vor Gericht Helmut. Es sei denn ...", den Rest des Satzes ließ er geflissentlich offen, er bemerkte, dass das Nachdenken eingesetzt hatte. Dieses Nachdenken zermarterte seine drei Freunde, das wusste er nur zu genau. Eben jenes Wissen um die Qualen der jungen Männer bei ihrer Entscheidungsfindung verschaffte ihm eine tiefe Befriedigung. Gerhard wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass er gewonnen hatte. Peter und Helmut waren bereit. Bereit zu Töten. Und Michael? Es wird nur noch ein klein wenig Überzeugungskraft kosten, dann ist auch Michael im Boot, dachte sich Gerhard.
"Und du, Michael, was meinst du?", fragte Gerhard und stellte ihm gleich eine Perspektive in Aussicht. "Wir werden alle vor Gericht kommen und wir werden verurteilt werden. Ich könnte es schaffen, auf Bewährung bestraft zu werden, aber du und Helmut ihr seid dran. Fünf oder sechs Jahre Knast sind euch sicher, dann könnt ihr euer Abitur in die Tonne kloppen. Von Peter brauchen wir gar nicht zu reden, der Penner geht bestimmt zehn Jahre in den Bau. Mit vier Jungs, die ein junges Mädchen vergewaltigen und so zurichten, kennen die keine Gnade." Er konnte es sich leisten, Peter zu beschimpfen, denn er wusste, dass er ihn "sicher" hatte.
"Was sollen wir deiner Meinung nach tun? Sie wirklich totschlagen?" Michael sagte es aus der puren Verzweiflung heraus.
"Ja", antwortete Gerhard, ging zum Auto und öffnete den Kofferraum. Er fand, wonach er suchte. Einen Wagenheber. Dann kam er um das Auto herum, schob Nadias Körper achtlos von der Motorhaube und drückte Peter den Wagenheber in die Hand.
"Schlag zu! Wir schlagen alle ein Mal. Ist das okay? Mitgefangen, mitgehangen! Mach du den Anfang." Peter war entsetzt. Er hielt den Wagenheber in Händen und schaute sich apathisch um. Zuschlagen konnte er nicht. Gerhard nahm den Wagenheber
Was nun kam, überraschte sie und ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Mit dieser Konsequenz hatte niemand gerechnet. Alle starrten wortlos auf Gerhard.
Er holte aus und schlug dem Mädchen den Schädel ein. Ein fürchterliches Geräusch war zu hören, als das Knochengerüst brach. Spritzer von Blut und Sekret trafen sein Gesicht. Das austretende Blut verfärbte augenblicklich das Gras. Als er sich zu seinen Freunden hindrehte, war ein bösartiges, ihn völlig fremd wirkendes, Gesicht zu sehen. Seine Augen waren zusammengekniffen und er hatte ein teufliches Grinsen aufgesetzt. Er flößte Angst ein. Sofort ohne jegliches Zögern drückte er Peter das Mordinstrument in die Hand und schrie ihn an: "Na los, schlag zu! Ich hab´s auch getan, ich hab´ es sogar für dich getan! Mach endlich, oder willst du ins Gefängnis?"
Peter fühlte sich dermaßen unter Druck gesetzt, dass er glaubte, keinen Ausweg mehr zu sehen. Er schlug zu. Zwar nur mit halber Kraft, aber er schlug zu. Ihm liefen die Tränen über das Gesicht und er fing hemmungslos an zu weinen. Gerhard nahm ihm den Wagenheber aus den Händen und gab ihn an Helmut weiter. Er nickte ihm nur zu und sagte ansonsten kein Wort. Helmut wog die ganze Zeit seinen Kopf hin und her, schluckte und machte zwei, drei Schritte zu dem Mädchen hin. Dann ließ er den Wagenheber niedersausen. Sein Schlag traf punktgenau, obwohl er gar nicht hin sah. Er warf den Wagenheber mit Abscheu neben die tote Nadia und stellte sich zu Gerhard und Peter. Alle schauten nun auf Michael.
Michael weinte tränenlos. Er schüttelte den Kopf und schluchzte leise vor sich hin. Es war klar, was nun von ihm erwartet wurde. "Oh mein Gott, das geht nicht", stammelte er leise vor sich hin.
"Lass Gott aus dem Spiel und nimm dir den verdammten Wagenheber", forderte Gerhard ihn laut und bestimmt auf.
"Ich kann es nicht!"
"Doch, du kannst und du musst!" Gerhards Unnachgiebigkeit machte allen Angst. So hatten sie ihn noch nie erlebt.
"Ich kann nicht!", wiederholte Michael verzweifelt.
"Tu es!"
Michael trat langsam vor. Schritt für Schritt. Gerade so, als habe er Angst, dass der leblose Körper ihn jeden Moment anspringen könnte.
"Worauf wartest du?", stachelte ihn Helmut nun auch an. Er wollte alles nur noch so schnell wie möglich hinter sich bringen. Ihre Abiturfeier hatte sich zu einem einzigen Alptraum entwickelt.
Michael bückte sich und hob den Wagenheber auf. Er hielt ihn fest in der Hand. Dann schlug er zu. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern dreimal. Michael legte alle Kraft in seine Schläge. Seine Freunde schauten ihm fassungslos zu. Schwer atmend ließ er von der Leiche ab und ging zu den anderen. Den Wagenheber hielt er immer noch in den Händen. Er drückte ihn Gerhard fest in die Hand.
"Hier nimm, ich hoffe du bist zufrieden. Du bist ja ein wahrhafter Teufel!", sagte Michael und man spürte, wie angewidert er war. Von sich und von den anderen. Gerhard zuckte kaum merklich mit den Schultern und war mehr als zufrieden.
"Jetzt sollten wir mit der Selbstzerfleischung aber aufhören und das Mädchen wegschaffen. Sie darf nicht gefunden werden." Daran hatte bisher keiner von ihnen gedacht und eigentlich hätte ihnen auffallen können, wie kühl und berechnend Gerhard mit der Sache umging, aber zu sehr standen sie unter Schock. Einem Schock über ihr eigenes Verhalten und ihree Erkenntnis, dass sie zu Mördern geworden waren. Jeder Einzelne.
"Und wo willst du hin mit ihr?, fragte Helmut.
"Wir fahren zum Astplatz in Waldbachkleinheim, warten bis es hell ist und verbrennen sie."
"Du bist verrückt, du bist ja total krank!" Michaels Wut war kaum in Worte zu fassen, doch Gerhard blieb ganz ruhig.
"In der Dunkelheit kann man das Feuer von weitem sehen, deshalb warten wir bis es hell geworden ist und machen dann erst Feuer. Wir können alles vorbereiten und es wird schnell gehen. Ein bisschen Glück gehört dazu, aber um diese Uhrzeit ist noch niemand unterwegs. Es ist eine große Chance, dass sie niemals gefunden wird. Wer glaubt schon, dass auf dem Astplatz ein Mädchen verbrannt wird?" Die Antwort blieb offen, weil keinem angesichts ihrer irrwitzigen Situation ein wirkliches Gegenargument einfiel.
"Okay, lasst uns das Mädchen in den Kofferraum legen und dann fahren wir, damit wir hier wegkommen." Peter drängte.
Schließlich einigten sie sich auf Gerhards Plan. Während der Fahrt herrschte eisiges Schweigen. In Hattenbach tankten sie an einer 24-Stunden-Tankstelle und befüllten dabei den kleinen Reservekanister gleich mit Benzin. Helmut bezahlte. Er hatte kaum Spuren ihres blutigen Rituals auf seiner Kleidung abbekommen. Es lief reibungslos und unauffällig. Dann machten sie sich auf den Weg nach Waldbachkleinheim.
Der Holzplatz lag weit abseits der Gemeinde, auf einem Grundstück, das von wildem Baumbestand und Sträuchern umgeben und daher schlecht einsehbar war. Ein idealer Platz. Die Schranke war nur pro forma vorhanden und niemals verschlossen. Sie parkten den Wagen so, dass er im Vorbeifahren nicht gesehen werden konnte. Aber wer sollte schon um diese Uhrzeit vorbeifahren? Auf dem Astplatz gab es insgesamt drei Feuerstellen, zwei kleinere und eine größere. Sie entschieden sich für die am wenigsten einsehbare. Sie häuften dürre, ausgetrocknete Äste und vertrockneten Baum- und Strauchschnitt aufeinander und dann holten Peter und Helmut den Leichnam und legten ihn auf den aufgetürmten Haufen. Sie warteten noch zwei Stunden. Sie sprachen kaum ein Wort. Friedhofsstille lag über dem Platz. Peter, Helmut und Michael schauten aus unendlich leeren Augen entweder vor sich hin oder auf den Leichnam des Mädchens. Nichts wünschten sie sich sehnlicher, als ein Lebenszeichen von ihr. Aber diese Hoffnung wurde ihnen nicht erfüllt. Als es anfing hell zu werden, nahm Gerhard den Kanister und schüttete ihn bis auf einen minimalen Rest über Nadias Körper. Es schien als steigerte sich die gespenstische Stille sogar noch. Gerhard hielt Michael sein Feuerzeug hin. Es war nur eine Provokation. Er wusste, dass Michael nie das Feuer entzünden würde, es wäre wie ein zweites Mal Töten gewesen. Gerhard grinste ihn verächtlich an. Ihm war es inzwischen egal, er hatte längst sein Ziel erreicht. Er riss ein Stück von Nadias Kleid ab, tränkte es mit den letzten Tropfen Benzin und zündete es an. Dann warf er das brennende Stück Stoff auf den Haufen. Sofort schoss eine Flamme hoch und das Bündel Holz und Mensch stand lichterloh in Flammen. Sie standen wortlos um das Feuer und drei der vier hätten alles dafür gegeben, die letzte Nacht ungeschehen machen zu können. Sie schauten schweigend zu, wie Nadias Körper von den Flammen verzehrt wurde. Der süßliche Geruch des verbrannten Fleisches stieg ihnen in die Nase und sie wussten, dass sie ihn nie im Leben vergessen würden. Und doch war es faszinierend zu sehen, wie schnell ein Mensch verbrennt, wenn nur das Feuer groß genug ist und mächtig Hitze entwickelt. Sie ließen sich Zeit, ab und zu warf Gerhard ein Bündel Äste nach, um das Feuer groß genug zu halten.
"Wie geht´s jetzt weiter?", fragte Helmut schließlich in die Runde, als er glaubte, dass sie wieder fahren konnten, da sie ohnehin nichts mehr tun konnten. Das Feuer hatte nur fast ganze Arbeit geleistet. Um alle Spuren zu vernichten war das Feuer nicht heiß genug gewesen. Also scharrten sie mit bloßen Händen die Knochen zusammen und vergruben sie notdürftig in dem sandigen Boden. Es war eine ekelhafte Arbeit, aber sie wollten nichts dem Zufall überlassen. Es gab kein Zurück mehr und jeder von ihnen hatte zu diesem Zeitpunkt entschieden, sich nicht das Leben durch diesen Vorfall zerstören zu lassen. Sie waren jung, sie hatten gerade ihr Abitur gemacht und die Welt stand ihnen offen. Dass das allerdings längst passiert war, daran dachte keiner von ihnen. Keiner außer Gerhard! Nur bei genauerer Untersuchung hätte man feststellen können, dass hier vorhin ein Mensch verbrannt worden war. Nichts deutete mehr darauf hin. "Wir fahren jetzt alle erst einmal nach Hause und schlafen uns aus, damit wir wieder auf klare Gedanken kommen. Kein Mensch wird uns etwas anhängen können, wenn wir uns ganz normal verhalten und zusammenhalten", antwortete Gerhard.
"Aber man hat uns gesehen", meinte Michael in scharfem Ton.
"Das stimmt, aber wer will uns erkannt haben? Ist dir ein Bekannter über den Weg gelaufen? Und die Kiddies am Autoscooter können uns, wenn überhaupt, nur ganz vage beschreiben, da mache ich mir nicht viele Sorgen."
"Die Bullen sind nicht blöd, Gerhard, ich hab´ auch nicht gerade ein gutes Gefühl", bekräftigte Helmut Michaels Zweifel.
"Passt auf, Leute, was sollen wir jetzt hier groß diskutieren, ändern können wir eh nichts mehr. Wir legen uns eine Geschichte zurecht und an der müssen wir festhalten. Wobei die Frage ist, ob die Polizei überhaupt auf unsere Spur kommt. Das Mädchen hat gesagt, sie sei fünfzehn, und sie sah nicht gerade aus wie die Unschuld vom Lande. Selbst wenn sie schon als vermisst gemeldet ist, werden die Bullen nicht zwangsläufig von einem Verbrechen ausgehen. Die denken, dass sie vielleicht irgendwo herumvögelt, oder was weiß ich. Außerdem ist Hattenbach sechsundzwanzig Kilometer weg, also lasst uns nicht die Nerven verlieren und erst einmal drüber schlafen. Morgen treffen wir uns und dann sehen wir weiter. Und lasst eure Klamotten verschwinden, verbrennt sie am besten."
Das Wort „verbrennen“, ließ sie frösteln. Die andern überlegten, murmelten allesamt etwas vor sich hin und nickten Gerhards Plädoyer schließlich ab.
"Also kommt, lasst uns fahren."
*
Sie hatten sich für 15:00 Uhr im "Sam´s" verabredet, um sich auf eine endgültige Absprache festzulegen, die für jeden von ihnen bindend war. Peter und Helmut kamen zusammen, Michael ein wenig später. Es war wieder ein herrlicher Sommertag. Sie nahmen in der hintersten Ecke im Biergarten unter einer großen Linde Platz. Hier, etwas Abseits, hatten sie ein klein wenig das Gefühl von Sicherheit. Außerdem spendete der Baum Schatten. Allen ging es mehr als dreckig und keiner war richtig in der Lage, über die vergangene Nacht zu sprechen. Sie wollten auf Gerhard warten. Er war ihr Kopf geworden, der am besten und analytischsten die Situation beurteilen konnte. Aber Gerhard kam nicht. Nicht um 15:00 Uhr, nicht um 15:15 Uhr und nicht um halb vier. Sie begannen sich Sorgen zu machen und ein mulmiges Gefühl beschlich jeden von ihnen. Peter versuchte ihn anzurufen, bekam aber von der automatischen Ansage nur die Mitteilung, dass die Nummer nicht bekannt sei. Komisch! Sie warteten bis vier. Gerhard kam immer noch nicht. Er kam überhaupt nicht mehr. Er verschwand ganz einfach und hinterließ, außer seinen Abiturarbeiten im Laubachtal Gymnasium, nicht den geringsten Hinweis darauf, dass er je existiert hatte. Von diesem Samstag an war er wie vom Erdboden verschluckt. Alle Bemühungen der drei, herauszufinden, wo Gerhard geblieben war, blieben erfolglos. Es war unheimlich, machte Angst und ließ sie nicht mehr los.
Es sollten neunzehn lange Jahre vergehen, bis sich Gerhard mit grausamster Konsequenz und in neuem Gewand bei ihnen zurück melden würde.
*