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2 Rechtsnormen

2.1 Charakteristika von Rechtsnormen

Übersicht 4

Charakteristika von Rechtsnormen

– Normierung menschlichen Verhaltens

– Rechtsetzung durch den Staat

– Rechtsetzung durch Mehrheitsentscheidung

– Rechtsetzung durch formalisierte Verfahren

2.1.1 Normierung menschlichen Verhaltens

Gegenstand von Rechtsnormen ist im Wesentlichen die Normierung menschlichen Verhaltens bzw. deren Rechtsbeziehungen. (In früheren Zeiten waren mitunter auch Vorschriften für die Natur und für Tiere vorgesehen, wenn z. B. ein Pferd einem Reiter einen tödlichen Tritt versetzt hatte. Als heute kurios anmutendes Beispiel gilt auch der Berner Maikäferprozess von 1479; vgl. Arzt 1996, 2).

2.1.2 Rechtsetzung durch den Staat

Rechtsetzung durch Schaffung von Rechtsnormen mit allgemeiner Verbindlichkeit ist Aufgabe des Staates, dem insoweit ein Rechtsetzungsmonopol zukommt.

Vertiefung: Auch dies war in früheren Jahrhunderten nicht selten anders, als es etwa den Göttern oder einem einzelnen Gott oblag, Recht zu stiften. So wird z. B. in der Bibel berichtet, dass Gott seine zehn Gebote auf zwei steinerne Tafeln geschrieben habe (5. Buch Moses, 22). Spätestens seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert war das staatliche Rechtsetzungsmonopol jedoch nicht mehr umstritten, wenn es auch unterschiedlich begründet wurde. Die Begründung des Philosophen Rousseau war z. B. die, dass die Mitglieder der Gesellschaft mit dem Staat einen „contrait social“ („Sozialvertrag“) geschlossen und damit das Rechtsetzungsmonopol vertraglich an den Staat abgegeben haben, damit dieser verbindlich für alle Rechtsnormen setze.

„Staat“ kann dabei ein Nationalstaat sein oder als Gliedstaat eines solchen ein Bundesstaat in einem föderativen System wie der Bundesrepublik Deutschland, unter bestimmten Voraussetzungen auch eine kommunale Gebietskörperschaft. Von zunehmender Bedeutung ist zudem die Setzung von Rechtsnormen durch die Europäische Union sowie, wenn auch zum Teil erst in Ansätzen, durch die Vereinten Nationen.

2.1.3 Rechtsetzung durch Mehrheitsentscheidungen

In den modernen demokratischen Staaten erfolgt die Setzung von Rechtsnormen zumeist aufgrund von Mehrheitsentscheidungen der vom Volk gewählten Abgeordneten in den Parlamenten. In Deutschland ist dies auf der Bundesebene der Deutsche Bundestag unter Mitwirkung des Bundesrates, in den Bundesländern sind dies die Landtage. Der dort zum Ausdruck gebrachte Mehrheitswille beinhaltet zwar keine Garantie für Gerechtigkeit oder sachliche „Richtigkeit“ der in Rechtsnormen einfließenden parlamentarischen Entscheidungen; dennoch wird diese Vorgehensweise in den westlichen Demokratien als relativ bestes, weil „demokratisches“ Rechtsetzungsverfahren angesehen. Zum Traditionsbestand in den modernen Verfassungsstaaten der Neuzeit gehört dabei aber auch, dass Minderheiten geschützt und maßgeblich am Verfahren beteiligt werden. Bestimmten Minderheiten werden sogar zusätzliche Verfahrensrechte zugestanden (z. B. den Minderheitsfraktionen in den Parlamenten).

2.1.4 Rechtsetzung durch formalisierte Verfahren

Wie schwierig und häufig umstritten es ist, „gerechte“ Entscheidungen zu treffen und dem Gerechtigkeitsgefühl entsprechende Rechtsnormen zu verabschieden, ist bereits in Kapitel 1 deutlich geworden (siehe 1.3.4). Wie dargestellt lässt sich nämlich oft nicht ohne Weiteres sagen, welche Festlegungen „gerecht“ sind, weil nicht selten mehrere „gerechte“ Entscheidungen und Rechtsnormen denkbar erscheinen. Auch der Verweis auf das „Gerechtigkeitsgefühl“ (wessen?) oder auch auf die „Vernunft“ (von wem?) führt oft nicht weiter, da Gefühle und Ansichten über das „Vernünftige“ allzu häufig auseinander gehen.

Von daher liegt es nahe, dass der Gesetzgeber sich zwischen mehreren Alternativen „gerechter“ oder „vernünftiger“ Rechtsnormen entscheidet und durch die Schaffung entsprechender Rechtsnormen damit verbindlich festlegt, was „rechtens“ sein soll (vgl. oben 1.3.4). Wichtig für die Legitimation solcher Entscheidungen ist, dass dabei bestimmte Verfahrensregelungen eingehalten worden sind, die z. B. gewährleisten, dass zumindest eine umfassende Abwägung zwischen verschiedenen Alternativen und dass eine umfassende Beteiligung der relevanten Institutionen und Organisationen stattgefunden hat. In nahezu allen Verfassungen wird deshalb detailliert vorgegeben, wie Gesetzgebungsverfahren abzulaufen haben und wie das Zusammenwirken im Parlament, mit der Regierung und ggf. den Verbänden oder anderen Beteiligten zu erfolgen hat.

2.1.5 Zunahme des Bestandes an Rechtsnormen

Die Anzahl und der Umfang von Rechtsnormen haben seit Jahrzehnten immer mehr zugenommen. Wesentliche Gründe für die Zunahme des Bestandes an Rechtsnormen sind u. a. in Übersicht 5 angeführt.

Übersicht 5

Gründe für die Zunahme des Bestandes an Rechtsnormen:

– Rückgang traditioneller Hilfepotentiale

– Zunahme öffentlicher Hilfen

– Zunahme von Verrechtlichung durch „Vergesetzlichung“

– Zunahme von Verrechtlichung aufgrund von „Vergerichtlichung“

– Rechtliche Regelung bisher nicht geregelter sozialer oder ökonomischer Sachverhalte

Vertiefung: Traditionelle Hilfepotentiale stell(t)en neben den Kernfamilien die Großfamilien, die Nachbarschaft oder die dörfliche Gemeinschaft dar. Die (Groß-)Familie war Jahrtausende lang – und ist es in vielen Teilen der Welt bis heute – Grundlage und Garant für die Alterssicherung. Von daher war man bemüht, möglichst viele Kinder zu bekommen. Auch was sonst von der engeren Familie nicht geleistet werden konnte, übernahm mitunter die Großfamilie oder die dörfliche Gemeinschaft. Der soziale Wandel hat zumindest in West- und Mitteleuropa weitgehend dazu geführt, dass diese traditionellen Hilfepotentiale stark zurückgegangen oder fast vollständig verschwunden sind.

Dies ging gleichsam Hand in Hand mit der Zunahme öffentlicher Hilfen, etwa in Form der Krankenversicherung, der Rentenversicherung oder der Versicherung gegen andere Lebensrisiken sowie in Form von staatlicher Fürsorge und staatlichem Schutz. In Deutschland kam es seit den 1880er Jahren zur Entwicklung der Kranken-, Invaliden-, Unfall- und Rentenversicherung, und die Sozialgesetzgebung wurde in den folgenden Jahrzehnten immer weiter ausgebaut.

Damit einher ging eine wesentliche Ausweitung des Bestandes an Rechtsnormen aufgrund neuer Gesetze, es kam also zu einer zunehmenden Verrechtlichung durch „Vergesetzlichung“. Dies gilt keineswegs nur für den Sozialbereich, sondern für fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Mit der Zunahme des Straßenverkehrs wurden entsprechende Rechtsnormen in diesem Bereich erforderlich. Mit Blick auf die Wirtschaft mussten Rechtsnormen geschaffen werden, die Wettbewerb ermöglichen oder begrenzen, Arbeitnehmer schützen oder bestimmte Wirtschaftsbeziehungen insgesamt „ordnen“.

Da aber kaum ein Gesetz alle nur denkbaren Fälle regeln kann, ist es Aufgabe der Gerichte, nicht nur Streit zu schlichten, sondern auch Recht fortzuentwickeln. Durch Entscheidungen von Gerichten entsteht also Recht in Form von „Richterrecht“, das die vom Gesetzgeber geschaffenen Rechtsnormen interpretiert und ergänzt. Das dadurch geschaffene Richterrecht wird so ebenfalls zu einem maßgeblichen Orientierungspunkt für die Rechtspraxis. Insbesondere höchstrichterliche Entscheidungen der obersten Bundesgerichte tragen maßgeblich zur Rechtsfortentwicklung bei (Verrechtlichung durch „Vergerichtlichung“).

2.2 Objektive und subjektive Rechtsnormen

2.2.1 Objektives und subjektives Recht

Für die gesamte Rechtsordnung und auch die Soziale Arbeit ist es wichtig, zwischen objektivem und subjektivem Recht zu unterscheiden.

Unter objektivem Recht oder objektiven Rechtsnormen versteht man die gesamte Rechtsordnung bzw. die Gesamtheit der existierenden Rechtsnormen. Dazu zählen alle Gesetze wie z. B. das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) oder das Sozialgesetzbuch (SGB). Auf die dort enthaltenen objektiven Rechtsnormen kann sich der Einzelne allerdings nur berufen bzw. auf ihrer Grundlage Klage vor den Gerichten erheben, wenn ihm zusätzlich auch ein subjektives Recht, meist in Form eines (Rechts-)Anspruchs, zusteht. Häufig ist es so, dass mit objektiven Rechtsnormen auch subjektive Rechte Einzelner verbunden sind. Allerdings ist dies keineswegs immer der Fall. Deshalb muss man objektive und subjektive Rechte voneinander unterscheiden, wie die Übersicht 6 verdeutlicht.

Übersicht 6

Rechte

1. Objektives Recht

= die gesamte Rechtsordnung

= die Gesamtheit der Rechtsnormen

2. Subjektive Rechte

= Rechte des Einzelnen

2.1 Herrschaftsrechte als Rechte,

2.1.1 die sich gegen jedermann richten (= absolute Rechte), z. B. Eigentumsrechte;

2.1.2 die sich gegen einzelne Personen richten (= relative Rechte), z. B. Forderungen aufgrund eines Kaufvertrages.

2.2 Gestaltungsrechte, z. B. Kündigung eines Mietvertrages

2.3 (Rechts-) Ansprüche

2.3.1 des Privatrechts (§ 194 BGB),

2.3.2 des öffentlichen Rechts (z. B. §§ 24, 27 SGB VIII).

Vertiefung: Objektive Rechtsnormen stellen gleichsam Verpflichtungen Einzelner bzw. eines Trägers hoheitlicher Verwaltung dar. Berufen kann sich der Bürger jedoch nur auf subjektive Rechte, die ihm ausdrücklich in einer Rechtsnorm zugebilligt werden; diese kann er dann auch vor Gerichten gegen den Willen anderer durchsetzen („einklagen“). Die wichtigsten subjektiven Rechte, als Rechte des Einzelnen, sind Ansprüche; vielfach wird dafür auch der inhaltsgleiche Begriff „Rechtsansprüche“ verwendet. Solche gibt es sowohl im privaten Recht als auch im öffentlichen Recht. § 194 BGB definiert einen privatrechtlichen Anspruch allgemein als das Recht eines Einzelnen, von einem anderen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu verlangen. Aufgrund eines Kaufvertrages hat der Käufer gemäß § 433 BGB z. B. einen Anspruch, von dem Verkäufer die Übergabe eines gekauften Autos zu verlangen, während der Verkäufer gegenüber dem Käufer einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung hat.

Beispiele des öffentlichen Rechts für ein solches subjektives Recht in Form eines Anspruchs sind etwa der Anspruch eines Kindes ab dem vollendeten ersten/dritten Lebensjahr auf den Besuch einer Tageseinrichtung (§ 24 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). Und ein Personensorgeberechtigter (zumeist ein Vater und/oder eine Mutter) hat unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung. In beiden Fällen können diese Ansprüche gegenüber der öffentlichen Verwaltung (hier: dem Jugendamt) vor Gericht „eingeklagt“ und damit durchgesetzt werden.

2.2.2 Möglichkeiten der Einteilung von Rechtsnormen

Vertiefung: Wenn man noch einmal einen Blick auf das objektive Recht wirft, kann man die verschiedenen Rechtsnormen wie in Übersicht 7 einteilen.

Übersicht 7

Möglichkeiten der Einteilung von Rechtsnormen

1. nach der Rechtsquelle: Gesetzes- und Verordnungsrecht sowie Gewohnheitsrecht

2. nach dem Geltungsbereich der Rechtsnorm: inländisches und ausländisches Recht

3. nach dem Inhalt der Rechtsnorm: öffentliches Recht und Privatrecht

4. nach der Wirkung der Rechtsnorm: zwingendes und dispositives Recht

5. nach der Zeit: ab einem / bis zu einem bestimmten Datum

Weitere Vertiefung: Neben dem Gesetzes- und Verordnungsrecht gibt es auch ungeschriebenes, so genanntes Gewohnheitsrecht, das gewohnheitsmäßig allgemein anerkannt wird. Aufgrund der oben dargestellten Zunahme der geschriebenen Rechtsnormen gibt es in Deutschland nicht mehr viel Gewohnheitsrecht. Ein „klassisches“ Beispiel dafür war das früher gewohnheitsrechtlich anerkannte „Züchtigungsrecht“ von Eltern und Lehrern; zum Glück ist inzwischen in Rechtsnormen definitiv geregelt worden, dass eine solche „Züchtigung“ (also: das Verprügeln von Kindern zu Zwecken der „Erziehung“) unzulässig und verboten ist.

Vom (Herkunfts- und) Geltungsbereich her kann man inländisches und ausländisches Recht unterscheiden. Besonders wichtig ist die Unterscheidung zwischen Zivilrecht (oder Privatrecht) und öffentlichem Recht (dazu 2.4). Von der Wirkung her gibt es zwingendes und dispositives Recht. Zwingendes Recht gilt immer ohne Ausnahme, dispositives Recht lässt ggf. ein Abweichen von Rechtsnormen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zu.

Beispiel:

Für den Fall der Ehescheidung sieht das BGB unter bestimmten Voraussetzungen nachehelichen Unterhalt für den geschiedenen „Ex“-Ehepartner vor (§ 1569 ff. BGB). Von diesen Regelungen können die (früheren) Eheleute jedoch gemäß § 1585c BGB abweichende Vereinbarungen schließen, können also aufgrund eines (notariellen) Vertrages z. B. auch auf nachehelichen Unterhalt verzichten.

Nicht mehr von großer Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen vor- und nachkonstitutionellem Recht. Mit vor- bzw. nachkonstitutionellem Recht (von lat. „constitutio“ = Verfassung) sind Rechtsnormen gemeint, die vor bzw. nach Inkrafttreten des Grundgesetzes (im Jahre 1949) geschaffen worden sind. Die für die Soziale Arbeit wichtigsten Rechtsnormen stammen mittlerweile fast alle aus der Zeit nach 1949. Ein Beispiel für nach wie vor gültiges vorkonstitutionelles Recht ist das Gesetz über die religiöse Kindererziehung aus dem Jahre 1921.

2.3 Hierarchie, Zitierweise und Strukturen von Rechtsnormen

2.3.1 Rechtsquellen

Es gibt Rechtsnormen unterschiedlicher Herkunft und Bedeutung, die in einem gestuften, hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Die verschiedenen Rechtsnormen werden in diesem Zusammenhang häufig auch als „Rechtsquellen“ bezeichnet.

Grundsätzlich ist es so, dass die von der jeweils „höheren“ Ebene erlassenen Rechtsnormen denjenigen übergeordnet sind, die auf einer „unteren“ staatlichen Ebene erlassen worden sind. Deshalb gehen Rechtsnormen der Europäischen Union denen der Bundesrepublik Deutschland (als Gesamtstaat) vor, deren Rechtsnormen wiederum gegenüber denen vorrangig sind, die auf Landesebene geschaffen sind (dazu: Hömig/Wolff 2018, Erläuterungen zu Art. 31 GG).

Auf das Europäische Recht soll im Folgenden nicht näher eingegangen werden, da es bislang für die Soziale Arbeit in Deutschland noch keine wesentliche Bedeutung erlangt hat. Dies wird sich möglicherweise in den nächsten Jahren ändern, wie die Entwicklungen z. B. im Bereich des Wirtschaftsrechts, des Gesundheitsrechts, des Umweltrechts und partiell auch bereits des Sozialversicherungsrechts gezeigt haben. Auf Rechtsnormen der Europäischen Union soll an dieser Stelle auch deshalb (noch) nicht eingegangen werden, weil dort zum Teil Begriffe verwendet werden, die im deutschen Recht eine andere Bedeutung haben.

Die deutschen geschriebenen Rechtsnormen stehen in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander (Übersicht 8).

Übersicht 8

Stufung/Hierarchie von Rechtsnormen in Deutschland

1. Bundesrecht

1.1 Grundgesetz (GG) = Bundesverfassung

1.2 Bundesgesetz

1.3 Bundesrechtsverordnung

Bundesrecht bricht Landesrecht (Art. 31 GG)!

2. Landesrecht

2.1 Landesverfassung

2.2 Landesgesetz

2.3 Landesrechtsverordnung

2.4 Satzung, z.B. von Gemeinden oder Sozialversicherungsträgern

Die oberste Rechtsnorm bzw. oberste Rechtsquelle in Deutschland ist das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik aus dem Jahre 1949, unsere Bundesverfassung (im Einzelnen dazu Kap. 8). Dort sind die wesentlichen Grundentscheidungen für das Verhältnis von Bürger und Staat und für den Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland getroffen worden. Danach ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat und zugleich ein Rechtsstaat. Außerdem enthält das Grundgesetz in den Art. 1 bis 19 Grundrechte und in den Art. 20 bis 146 Regelungen des so genannten Staatsorganisationsrechts: über die Verfassungsorgane und ihr Verhältnis zueinander (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht) sowie über weitere Themenbereiche wie Verwaltung, Finanzverfassung, Bundeswehr u. a. m. Das Grundgesetz geht allen anderen Rechtsnormen der Bundesrepublik Deutschland sowie der Länder vor, bzw. diese dürfen nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Ist z. B. ein Bundesgesetz nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, kann es vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben werden.

Die für die Soziale Arbeit bedeutendsten Rechtsnormen sind in Bundesgesetzen enthalten. Es gibt ca. 1700 Bundesgesetze, die vom Deutschen Bundestag unter Mitwirkung des Bundesrates beschlossen worden sind. Sie gelten in ganz Deutschland. Die beiden für die Soziale Arbeit wichtigsten Bundesgesetze sind das Sozialgesetzbuch (SGB) mit derzeit zwölf „Büchern“ sowie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) mit fünf „Büchern“. Für die Soziale Arbeit von Bedeutung sind ggf. auch andere Bundesgesetze wie z. B. das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung, die Zivilprozessordnung oder das Aufenthaltsgesetz (früher: Ausländergesetz). Die Bundesgesetze kommen aufgrund eines im Grundgesetz genau beschriebenen Gesetzgebungsverfahrens unter Mitwirkung des Bundesrates zustande, werden vom Bundespräsidenten unterzeichnet und im Bundesgesetzblatt verkündet. Eine ganze Reihe von Verlagen gibt Sammlungen der wichtigsten Bundesgesetze heraus, die zudem mittlerweile großteils auch über das Internet zugänglich sind.

Auf der dritten Ebene der bundesrechtlichen Rechtsnormen gibt es Bundesrechtsverordnungen. Einige der mehr als 2600 Bundesrechtsverordnungen sind auch für die Soziale Arbeit von Bedeutung, z. B. Bundesrechtsverordnungen zum Sozialhilferecht. In einer Bundesrechtsverordnung werden weitere Einzelheiten in Ausführung eines bestimmten Bundesgesetzes geregelt. Dabei ist wichtig zu wissen, dass die Bundesrechtsverordnungen nicht vom Deutschen Bundestag beschlossen werden, sondern von der Bundesregierung oder einzelnen Bundesministern. Bei den Bundesrechtsverordnungen handelt es sich mithin nicht um Rechtsnormen der Legislative, sondern der Exekutive, die zum Erlass von Bundesrechtsverordnungen allerdings im jeweiligen Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt worden sein muss.

Neben den Rechtsnormen, die von der Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat geschaffen worden sind (Grundgesetz, Bundesgesetze und Bundesrechtsverordnungen), gibt es in jedem der 16 Bundesländer nach demselben hierarchischen Prinzip wiederum eine Landesverfassung, gibt es Landesgesetze und Landesrechtsverordnungen. Die jeweilige Landesverfassung stellt das höchste Landesgesetz im jeweiligen Bundesland dar, das allen anderen Rechtsnormen des Landes (Landesgesetzen und Landesrechtsverordnungen) vorgeht. Umgekehrt dürfen diese nicht gegen die Landesverfassung verstoßen, wenn sie nicht verfassungswidrig sein sollen.

In jedem Bundesland gibt es zahlreiche Landesgesetze, die vom jeweiligen Parlament (Landtag) erlassen werden. Das Sozialrecht ist zwar ganz überwiegend in Bundesgesetzen geregelt, wird aber zum Teil durch Landesgesetze als Landesausführungsgesetze zum jeweiligen Bundesgesetz weiter konkretisiert. Schließlich gibt es auch auf der Landesebene Landesrechtsverordnungen als „Recht der Exekutive“, in denen wiederum Einzelheiten in Ausführung des jeweiligen Landesgesetzes durch die Landesregierung oder einen Landesminister aufgrund einer entsprechenden Ermächtigung in einem Landesgesetz geregelt werden.

In den meisten Bundesländern gibt es zahlreiche kommunale Gebietskörperschaften (Gemeinden, Städte und Landkreise). Diese sind häufig aufgrund von Landesgesetzen dazu ermächtigt, ihrerseits Rechtsnormen zu erlassen, und zwar in Form von so genannten Satzungen. Beispiele dafür sind z. B. Satzungen einer Stadt über den Jugendhilfeausschuss, Haushaltssatzungen, Friedhofssatzungen, Feuerwehrsatzungen und im Bereich der Hochschulen Grundordnungen sowie Studien- und Prüfungsordnungen.

Was gilt nun für das Verhältnis zwischen Bundesrecht und Landesrecht? Hierzu gibt es in Art. 31 GG eine klare Regelung: „Bundesrecht bricht Landesrecht“. Das heißt: Alle Rechtsnormen des Bundesrechts gehen allen Rechtsnormen des Landesrechts vor. Es gilt also in Deutschland: Grundgesetz vor Bundesgesetz und Bundesrechtsverordnung; diese gehen wiederum der Landesverfassung, den Landesgesetzen, den Landesrechtsverordnungen und dem Satzungsrecht (von Gemeinden und Hochschulen etc.) vor. All die genannten Rechtsnormen (oder Rechtsquellen) werden insgesamt als „Rechtsvorschriften“ bezeichnet, die auch gegenüber dem einzelnen Bürger, soweit er davon betroffen ist, Geltung beanspruchen.

2.3.2 Gliederung und Zitierweise von Rechtsnormen

Wie sind nun Rechtsnormen gegliedert und wie werden sie zitiert? Einen Überblick dazu vermittelt die Übersicht 9.

Übersicht 9

Gliederung und Zitierweise von Gesetzen

(und anderen Rechtsnormen)

1. Gliederung von Gesetzen

– ggf. in: Bücher (im BGB oder SGB)

– ggf. in: Kapitel

– ggf. in: Abschnitte

– ggf. in: Unterabschnitte oder Titel

– grds. in: Paragrafen (§§) oder selten: Artikel (Art.)

2. Zitierweise von Paragrafen (§§) oder Artikeln (Art.)

– Absätze: I, II, III oder Abs. 1, 2, 3 oder (1), (2), (3)

– Sätze: 1, 2, 3 oder Satz 1, 2, 3 oder S. 1, 2, 3

– ggf. Halbsätze: Halbsatz 1, 2, 3 oder Halbs. 1, 2, 3

– ggf. Nummern: Nr(n). 1, 2, 3

Große Gesetzeswerke wie das BGB, das SGB oder das Baugesetzbuch sind in mehrere „Bücher“ unterteilt. Das BGB hat fünf, das Sozialgesetzbuch (SGB) derzeit zwölf Bücher. Sodann sind einzelne Gesetze mitunter in Kapitel unterteilt; weitere Untergliederungsmöglichkeiten sind ggf. Abschnitte, Unterabschnitte oder Titel.

Die „Basiseinheit“ von Rechtsnormen ist der einzelne Paragraf. Dieser wird durch das Zeichen § symbolisiert, der zwei ineinander verschlungenen Buchstaben „S“ entspricht (für lateinisch: signum sectionis = Zeichen der Abteilung/des Abschnitts). In besonders bedeutenden Gesetzeswerken, insbesondere im Grundgesetz und in den Landesverfassungen, aber auch in vielen Gesetzen des Freistaates Bayern, werden die einzelnen Paragrafen (etwas „feierlicher“) als Artikel (Art.) bezeichnet.

Wie umfangreich ein einzelner Paragraf gestaltet wird, entscheidet der Gesetzgeber unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten. Es gibt Paragrafen, die nur wenige Worte bzw. nur einen einzigen Satz enthalten (§ 1 BGB lautet: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.“). Häufig werden Paragrafen in mehrere Absätze unterteilt, die mit römischen Ziffern (I, II, III) oder abgekürzt mit „Abs.“ oder mit in Klammern gesetzten arabischen Ziffern – (1), (2), (3) – zitiert werden. Beispiel: § 38 II oder § 38 Abs. 2 oder § 38 (2).

Häufig werden sodann Absätze eines Paragrafen nochmals in mehrere Sätze unterteilt, die mit arabischen Buchstaben (1, 2, 3) oder mit „S.“ bezeichnet werden. Beispiel: § 67 II 3 oder § 67 Abs. 2 S. 3 oder § 67 (2) 3. Es kommt aber auch vor, dass einzelne Paragrafen nur in Sätze unterteilt werden – und nicht in Absätze. Einzelne Sätze werden gelegentlich noch unterteilt in Halbsätze (zitiert Halbs. 1, 2, 3 usw.) oder ggf. in Nummern untergliedert (zitiert Nr. 1, 2, 3 etc.).

Damit exakt klar wird, worüber man spricht und welche Rechtsnorm im Einzelnen gemeint ist, ist es unbedingt erforderlich, Gesetze und Paragrafen so präzise wie möglich zu zitieren. Hat also z. B. ein bestimmter Paragraf Absätze oder Sätze oder Halbsätze oder Nummern, ist dies auch bei der Lösung eines Falles in einer Klausur exakt zu bezeichnen. Beispiel aus dem Sozialhilferecht: Gemäß „§ 9 Abs. 2 S. 1 SGB XII“ soll Wünschen der Leistungsberechtigten … entsprochen werden, soweit sie angemessen sind“.

2.3.3 Strukturen von Rechtsnormen

Rechtsnormen (sowohl des Bundes- als auch des Landesrechts) können inhaltlich sehr unterschiedlich strukturiert sein. Im Sinne der Übersicht 10 kann man fünf Grundstrukturen von Rechtsnormen unterscheiden, wobei es allerdings auch „Kombinationen“ derselben geben kann.

Übersicht 10

Strukturen von Rechtsnormen

1. Vollständige Rechtssätze (Konditionalprogramme): Tatbestand → Rechtsfolge („wenn“ → „dann“)

2. Unvollständige Rechtsätze, z. B. § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII

3. Final- und Zweckprogramme, z. B. § 11 I 1 SGB VIII

4. Generalklauseln, z. B. § 157, § 242 BGB

5. Unbestimmte Rechtsbegriffe, z. B. § 27 I SGB VIII

Die klassische Rechtsnorm ist der so genannte vollständige Rechtssatz, der einen Tatbestand und eine Rechtsfolge enthält und deshalb mitunter auch als „Konditionalprogramm“ bezeichnet wird. Solche vollständigen Rechtssätze enthalten also einen Tatbestand („wenn …“) und eine Rechtsfolge („… dann …“). Der Tatbestand der jeweiligen Rechtsnorm enthält die abstrakten Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtsfolge. Die Rechtsfolge tritt ein, wenn der Tatbestand durch den konkreten Sachverhalt im Einzelfall erfüllt ist.

Als Beispiel für einen solchen vollständigen Rechtssatz wird häufig § 823 Abs. 1 BGB genannt, der die Schadenersatzpflicht bei so genannten unerlaubten Handlungen betrifft (dazu im Einzelnen 6.3). § 823 Abs. 1 BGB lautet wie folgt: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt“ (dies ist der Tatbestand mit den abstrakten Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtsfolge), „ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet“. Der zweite Teil dieser Rechtsnorm ist die Rechtsfolge „Schadenersatz“, die dann eintritt, wenn der Tatbestand (erster Halbsatz der Rechtsnorm) durch einen konkreten Sachverhalt ausgefüllt wird. Dies wäre z. B. der Fall, wenn ein Mann A. einen anderen Mann B. dadurch an seiner Gesundheit verletzt, dass er ihn mit einem Baseballschläger geschlagen hat.

Neben vollständigen Rechtssätzen mit Tatbestand und Rechtsfolge gibt es auch so genannte unvollständige Rechtssätze, auch Hilfsnormen genannt. Diese enthalten z. B. Definitionen.

Beispiel:

Im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) „ist Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, …“. Bei einem solchen unvollständigen Rechtssatz fehlt es an der für den vollständigen Rechtssatz notwendigen Bezeichnung eines Tatbestandes und einer damit verbundenen Rechtsfolge.

Wiederum eine andere Grundstruktur enthalten die so genannten Final- oder Zweckprogramme. Hier gibt der Gesetzgeber (zumeist einer Behörde) ein bestimmtes Ziel bzw. einen bestimmten Zweck vor.

Beispiel:

„Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen“ (§ 11 Abs. 1 S. 1 SGB VIII).

Des Weiteren verwendet der Gesetzgeber in Rechtsnormen mitunter so genannte Generalklauseln. Berühmte Generalklauseln des Zivilrechts sind z. B. § 157 BGB („Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern“) oder § 242 BGB („Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“). Solche Generalklauseln werden mitunter etwas geringschätzig auch als „Gummiparagrafen“ bezeichnet. Sie dienen dazu, in abstrakter Weise etwas zu regeln, was sich mangels Vorhersehbarkeit aller künftigen Sachverhalte nicht konkret regeln lässt. Generalklauseln sind bewusst so flexibel formuliert, dass sie auch im Zeitpunkt des Erlasses der jeweiligen Rechtsnorm nicht vorhersehbaren Entwicklungen gerecht werden können. Zugleich ist es auch möglich, aufgrund von Generalklauseln „ungerechte“ Ergebnisse zu korrigieren, die sich bei strikter Anwendung einzelner Rechtsnormen ergeben würden.

Vertiefung: Dahinter verbirgt sich auch ein rechtsphilosophisches Problem, das Juristen beschäftigt, seitdem es Rechtsnormen gibt. In dieser Kontroverse stehen Vertreter des so genannten Rechtspositivismus solchen des so genannten Naturrechts gegenüber. Die so genannten Rechtspositivisten wollen nur diejenigen Rechtsnormen akzeptieren, die formal ordnungsgemäß zustande gekommen sind und in Gesetzen und Rechtsverordnungen ihren konkreten Ausdruck gefunden haben. Nur diese dürften Geltung beanspruchen.

Die Vertreter des so genannten Naturrechts gehen demgegenüber davon aus, dass es „über“ den in Gesetzen und Rechtsverordnungen staatlich gesetzten Rechtsnormen noch ein „ungeschriebenes“ Recht oder ein „Vernunftrecht“ („Naturrecht“) gibt, das allgemeine, humane Prinzipien von Billigkeit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit beinhaltet. Solche allgemeinen Prinzipien der Gerechtigkeit hat der Gesetzgeber z. B. in den genannten Normen der §§ 157 und 242 BGB zum Ausdruck gebracht.

Dass beide Positionen jedoch nicht verabsolutiert werden sollten, zeigt das folgende, sehr anschauliche Beispiel des Sinneswandels von Gustav Radbruch, eines berühmten Rechtsphilosophen, Strafrechtlers und späteren Reichsjustizministers in der Weimarer Republik, der zunächst ein überzeugter Vertreter des Rechtspositivismus war, bevor er in Kenntnis der Auswirkungen der Barbareien der nationalsozialistischen Diktatur später Anhänger des Naturrechts geworden ist (vgl. Radbruch 1973, 175 f., 178, 328).

Im Jahre 1932, also vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, hatte sich Radbruch „rechtspositivistisch“ wie folgt geäußert:

„Vermag niemand festzustellen, was gerecht ist, so muss jemand festsetzen, was rechtens sein soll, und soll dann das gesetzte Recht der Aufgabe genügen, den Widerstreit entgegen gesetzter Rechtsanschauungen durch einen autoritativen Machtspruch zu beenden“ … „Für den Richter ist es Berufspflicht, den Geltungswillen des Gesetzes zur Geltung zu bringen, das eigene Rechtsgefühl dem autoritativen Rechtsbefehl zu opfern, nur zu fragen, was rechtens ist, und niemals, ob es auch gerecht sei… Auch wenn er, weil das Gesetz es so will, aufhört, Diener der Gerechtigkeit zu sein, bleibt er noch immer Diener der Rechtssicherheit.“ (175 ff.)

Völlig anders äußerte sich Radbruch sodann im Jahre 1945, also nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und in Kenntnis dessen, was deutsche Juristen während der Zeit des Nationalsozialismus auf der Grundlage formal ordnungsgemäß zustande gekommener Rechtsnormen (auch) an Verbrechen begangen haben, wie folgt:

„Wenn Gesetze den Willen zur Gerechtigkeit bewusst verleugnen, zum Beispiel Menschenrechte Menschen nach Willkür gewähren und versagen, dann fehlt diesen Gesetzen die Geltung, dann schuldet das Volk ihnen keinen Gehorsam, dann müssen auch die Juristen den Mut finden, ihnen den Rechtscharakter abzusprechen … Es gibt also Rechtsgrundsätze, die stärker sind, als jede rechtliche Satzung, so dass ein Gesetz, das ihnen widerspricht, der Geltung bar ist. Man nennt diese Grundsätze das Naturrecht oder das Vernunftrecht.“ (328)

Heutzutage werden betreffend Rechtspositivismus und Naturrecht vermittelnde Positionen vertreten. Es wird davon ausgegangen, dass die vom Gesetzgeber des demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland beschlossenen Rechtsnormen grundsätzlich gerecht sind, dass sie jedoch in Ausnahmefällen auf der Grundlage von Generalklauseln ggf. relativiert oder eventuell sogar korrigiert werden müssen, wie dies auch in der Rechtsprechung immer wieder einmal geschieht (vgl. z. B. Fall 3: „Der Unterhaltsverzicht“ in Wabnitz 2019, 53, 172 f.).

Schließlich gibt es neben Generalklauseln auch so genannte unbestimmte Rechtsbegriffe (dazu auch 11.3), die mitunter ebenfalls etwas despektierlich „Gummiparagrafen“ genannt werden. Mit ihnen wird seitens des Normgebers auf außerjuristische Sachverhalte verwiesen oder ebenfalls versucht, mit Blick auf eine nicht vorhersehbare Vielzahl von Einzelsachverhalten in der Rechtspraxis zu sachlich überzeugenden Ergebnissen zu kommen.

Beispiel:

Gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), „wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist“ und die Hilfe für seine Entwicklung „geeignet“ und „notwendig“ ist. Mit Hilfe dieser drei unbestimmten Rechtsbegriffe kann auf eine Vielzahl von Erziehungsdefiziten reagiert werden. Zugleich wird es möglich, die im Einzelfall passgenaue Hilfe auszuwählen, um das konkrete Erziehungsdefizit bei einem bestimmten Kind oder Jugendlichen zu beseitigen.

2.4 Zivilrecht und Öffentliches Recht

Die verschiedenen Teilgebiete des Rechts werden in Deutschland traditionell entweder dem Zivilrecht (Privatrecht) oder dem Öffentlichen Recht zugeordnet. Diese Unterscheidung ist auch für die Soziale Arbeit von erheblicher Bedeutung und wird deshalb in der nächsten Übersicht erläutert, und zwar auf eine bewusst vereinfachende Art und Weise (Juristen haben hierzu zahlreiche „verfeinernde“ Theorien entwickelt).

Übersicht 11

Abgrenzung von Zivilrecht und Öffentlichem Recht

1. Zivilrecht (Privatrecht): Auf beiden Seiten einer Rechtsbeziehung stehen sich Privatpersonen gegenüber.

2. Öffentliches Recht: Auf mindestens einer Seite einer Rechtsbeziehung befindet sich der „Staat“ (als Träger unmittelbarer oder mittelbarer hoheitlicher Verwaltung; dazu Kap. 9.1).

Das Zivilrecht (oder Privatrecht) regelt also die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander, und zwar sowohl zwischen natürlichen Personen als auch juristischen Personen des Privatrechts (dazu 4.1). Das öffentliche Recht hingegen regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Staat. Das öffentliche Recht regelt darüber hinaus auch die Organisation von Staat und Verwaltung und die Rechtsbeziehungen zwischen mehreren Trägern hoheitlicher Verwaltung untereinander, wenn z. B. mehrere Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemeinsame Dienste einrichten oder zwei Gemeinden einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die gemeinsame Nutzung einer Kläranlage schließen.

Die wichtigsten Rechtsgebiete des Zivilrechts sowie des Öffentlichen Rechts werden in der Übersicht 12 aufgezählt.

Übersicht 12

Rechtsgebiete des Zivilrechts und des Öffentlichen Rechts

1. Zivilrecht (oder Privatrecht)

1.1 Bürgerliches Recht (BGB)

1.1.1 Allgemeiner Teil (Buch 1)

1.1.2 Schuldrecht (Buch 2)

1.1.3 Sachenrecht (Buch 3)

1.1.4 Familienrecht (Buch 4)

1.1.5 Erbrecht (Buch 5)

1.2 Sonstiges Privatrecht, Arbeits- und Wirtschaftsrecht

1.2.1 Arbeitsrecht

1.2.2 Handelsrecht

1.2.3 Gesellschaftsrecht

1.2.4 Banken-, Kredit-, Versicherungsvertragsrecht

1.2.5 Wettbewerbsrecht

2. Öffentliches Recht

2.1 Völkerrecht, Recht der Europäischen Union

2.2 Staats- und Verfassungsrecht

2.3 Verwaltungsrecht

2.3.1 Allgemeines Verwaltungsrecht

2.3.2 Sozialrecht als besonderes Verwaltungsrecht

2.3.3 Steuerrecht als besonderes Verwaltungsrecht

2.3.4 Weitere Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts

2.4 Strafrecht

2.5 Prozessrecht

Das für die Soziale Arbeit wichtigste Gesetz des Zivilrechts ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Für die Soziale Arbeit am wichtigsten sind das Buch 4. Familienrecht des BGB sowie Teile des Buches 1. Allgemeiner Teil sowie des Buches 2. Schuldrecht. Darauf wird in den Kapiteln 4 bis 6 (sowie im Parallelwerk des Verfassers: Wabnitz 2019) näher eingegangen. Ergänzt werden die materiell-rechtlichen Regelungen des BGB durch das Zivilprozessrecht als formelles Recht, das der Feststellung und Durchsetzung von Zivilrecht dient (vgl. dazu Kap. 7). Allgemein gesprochen haben das Bürgerliche Recht und das dazugehörende Zivilprozessrecht die in Übersicht 13 genannten Regelungsaufgaben.

Übersicht 13

Regelungsaufgaben des Bürgerlichen Rechts (BGB) als dem wichtigsten Gebiet des Zivilrechts (Privatrechts)

1. Allgemeine Regelungen über Personen, Geschäftsfähigkeit, Vertretung etc. (Buch 1. Allgemeiner Teil).

2. Regelung des freiwilligen Kontaktes von Personen untereinander = Vertragsrecht (Buch 2. Recht der Schuldverhältnisse).

3. Regelung des ungewollten Kontaktes von Personen untereinander = Recht der unerlaubten Handlungen etc. (Buch 2. Recht der Schuldverhältnisse).

4. Regelung der Organisation menschlicher Gemeinschaften, z. B. von Vereinen (Buch 1. Allgemeiner Teil), Familien (Buch 4. Familienrecht) oder von Erbengemeinschaften (Buch 5. Erbrecht).

5. Regelung des Besitzes und Eigentums an Sachen und Rechten (Buch 3. Sachenrecht).

6. Ergänzend gilt für die Feststellung und Durchsetzung des Bürgerlichen Rechts das Zivilprozessrecht, insbesondere die ZPO (Zivilprozessordnung).

Im Bereich des öffentlichen Rechts ist das Sozialrecht als Teil des Verwaltungsrechts das wichtigste Rechtsgebiet für die Soziale Arbeit. Rechtsgrundlage dafür ist vor allem das Sozialgesetzbuch (SGB) mit derzeit zwölf Büchern. Regelungsgegenstand des Sozialgesetzbuchs sind u. a. die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung, das Kinder- und Jugendhilfe- sowie das Sozialhilferecht. In Kapitel 10 wird ein Überblick über das Sozialgesetzbuch sowie weitere Sozialgesetze gegeben.

Auch einzelne Artikel des Grundgesetzes sind für die Soziale Arbeit von Bedeutung und werden deshalb in Kapitel 8 dargestellt. Teil des öffentlichen Rechts ist auch das einschlägige Prozessrecht, in dem u. a. das gerichtliche Verfahrensrecht enthalten ist. Darauf wird in den Kapiteln 7 und 12 näher eingegangen. Teil des öffentlichen Rechts ist schließlich auch das Strafrecht sowie das Strafprozessrecht; beide Rechtsgebiete sind auch für die Soziale Arbeit von Bedeutung und werden deshalb in den Kapiteln 13 und 14 näher erläutert.

Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit

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