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9. Gegenrevolutionäre Bejahung der „konstitutionellen Demokratie“
ОглавлениеDamit sind Schmitts früheste Stellungnahmen zum Umbruch von 1918/19 einigermaßen geklärt. Es ließen sich spätere anschließen. Ein kleiner Artikel Reichspräsident und Weimarer Verfassung liest sich im März 1925 wie eine zusammenfassende Warnung vor der „großen Machtfülle“ des Reichspräsidenten: „Man kann sagen, daß keine Verfassung der Erde einen Staatsstreich so leicht legalisiert, wie die Weimarer Verfassung.“ (SGN 25) Ignorieren wir die späteren Schriften und beschränken uns auf die ersten Antworten der Monographien von 1919 und 1921, so ist abschließend zu sagen: Von einer umfassenden verfassungspolitischen Antwort auf den Systemumbruch kann damals noch keine Rede sein. Schmitt schweigt von Versailles und Genf; zur Weimarer Verfassung äußert er sich aber bereits dezidiert, auf die Souveränitätsfrage von Diktatur und Ausnahmezustand bezogen. Als Jurist meidet er direkte Stellungnahmen und versteckt sie „esoterisch“ hinter indirekten Spiegelungen. Deshalb sind Exkurse zu David Friedrich Strauss und Wallenstein68 innerhalb der beiden Monographien auch eine konfessionelle Botschaft: Schmitt grenzt sich von Strauss’ romantisierender Auffassung der Religionspolitik des antichristlichen Kaisers Julian ab und betrachtet Wallenstein als kommissarischen Diktator und „Aktionskommissar“ im Dienste kaiserlicher Reichseinungspolitik: „Allerdings verschafften die militärischen Erfolge Wallensteins dem Kaiser eine solche Macht, dass es einen Augenblick scheinen konnte, als bestünde die Möglichkeit, das Deutsche Reich zu einem nationalen Einheitsstaat unter einem absoluten Fürsten zu machen.“ (D 86) Kontrafaktisch deutet Schmitt hier eine versäumte historische Chance an, die 1848 erneut verfehlt worden sei.
Schmitt macht 1921 also das Telos des Einheitsstaats explizit, um die Risiken einer diktatorischen Wendung gegen die Reichseinheit aufzuzeigen. Von einer Apologie des Reichspräsidenten scheint er aber noch weit entfernt zu sein; eher warnt er vor den Gefahren eines Übergangs zur souveränen Diktatur des Reichspräsidenten. Seine Stoßrichtung richtet sich mehr gegen den „proletarischen Klassenkampf“. Hier liegt eine thematische Verknüpfung der beiden Monographien Politische Romantik und Die Diktatur: Während die Politische Romantik die Akteure im historischen Spiegel moralisch wie politisch zu diskreditieren scheint, zielt Die Diktatur auf den grundsätzlichen Wandel. Schmitt betont, dass sein Interesse „sich nicht erst an den gegenwärtigen Diskussionen über Diktatur, Gewalt oder Terror entzündet hat“ (D XIX), und er verweist auf frühere Schriften. Rechtsphilosophisch fragt er nach der „Rechtfertigung der Diktatur, die darin liegt, dass sie das Recht zwar ignoriert, aber nur, um es zu verwirklichen“ (XVI); die Diktatur zeige die „Möglichkeit einer Trennung von Normen des Rechts und Normen der Rechtsverwirklichung“. Schmitt sucht einen Zugang zu einem weiten Rechtsbegriff und will das Recht vom „Problem der konkreten Ausnahme“ (D XVII) her fassen. Daran schließt die Souveränitätslehre der Politischen Theologie an. Schmitt stellt sich dort in die Reihen der „Theorie der Gegenrevolution“ und beantwortet ein Jahr später, mit der Parlamentarismus-Schrift, die „Diktatur im marxistischen Denken“ dann mit einer Berufung auf Mussolini und den „nationalen“ oder nationalistischen Mythos. Im Vorwort zur zweiten Auflage der Diktatur schließt er 1927 dann erneut mit einem Verweis auf Mussolini und der Rede vom „autoritären Staat“.
Damit ist einigermaßen geklärt, mit welchen Erwartungen Schmitt die Weimarer Entscheidung für die „konstitutionelle Demokratie“ gegen die Rätediktatur begrüßte: Mit der Diktatur des Reichspräsidenten fand er die Antwort des „Caesarismus“. Seine Grundentscheidung war damals bereits antibolschewistisch und gegenrevolutionär. Der Wille zur Reichseinheit und die Ablehnung der „Diktatur des Proletariats“ stehen am Anfang seiner Weimarer Verfassungslehre.