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1. Die Straflosigkeit der Selbsttötung
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Der Grundsatz des absoluten Lebensschutzes (s.o. Rn. 5 ff.) umfasst nicht den Schutz gegen den Inhaber des Lebens selbst: die Selbsttötung[40] ist straflos.
Die Selbsttötung wird ursprünglich nicht als Tötungsdelikt, sondern als Verletzung besonderer Pflichten gegen die Gemeinschaft betrachtet; so in Rom, wo sie nur gestraft wird, wenn von Soldaten begangen, oder nach altdeutschem Recht, das die Hinterziehung einer verwirkten Strafe durch Selbsttötung mit schändender Symbolstrafe ahndete. Später wird die Selbsttötung mit dem Teufelsglauben in Verbindung gebracht: daher Verbrennung der Leiche oder ihre Versenkung im Sumpf. Zum Tötungsdelikt wandelt sich die Selbsttötung erst unter kirchlichem Einfluss. Ausgangspunkt ist die absolute Formulierung des Gebots „Du sollst nicht töten“ gegenüber dem Gebot „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten“. Art. 135 PGO spricht von „Straff eygener tötdung“, begnügt sich aber damit, bei der Selbsttötung von Angeklagten die drohende Vermögenskonfiskation auf die Erben zu erstrecken. Im 17. Jhndt. wird der nun sog. „Selbstmord“ mit unehrlichem Begräbnis, der Versuch mit Arbiträrstrafe bedroht; so auch noch teilweise im 18. Jhdt. (insbesondere nach § 123 Josephina 1787). Die Abolitionsbewegung setzt Mitte des 18. Jhdts. ein, in Preußen seit 1751, doch sieht das Allgemeine Landrecht noch außerstrafrechtliche Rechtsschmälerungen vor; auch bestraft es die Strafhinterziehung durch „Selbstmord“ (II, 20, §§ 803–805). Mit dem Beginn des 19. Jhndt. setzt sich in Deutschland die strafrechtliche Indifferenz der Selbsttötung allgemein durch[41].
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Die Häufigkeit der Selbsttötung zeigt in Europa ein deutliches Ost-West-Gefälle. In Deutschland geht sie nach einem Höhepunkt 1977 (19 729) laufend zurück (2013 10 076). Bei Männern erfolgt eine Selbsttötung rd. dreimal so häufig wie bei Frauen[42]. Dazu kommen über 100 000 Selbsttötungsversuche.
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Z.T. wird angenommen, dass auch die Selbsttötung die Tatbestände der §§ 211 f. StGB erfüllt („einen Menschen“) und nur entschuldigt ist[43]. Die Straflosigkeit der Selbsttötung folgt jedoch aus dem Zusammenhang des Gesetzes (§ 216) und dem historischen Willen des Gesetzgebers (Goltd. Mat. II 363) und wird von der Rechtsprechung ständig bejaht[44].
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Das Recht, einem für sinnlos und unerträglich gehaltenen Leben zu entfliehen, entspricht sogar der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 1, 2 GG[45]. Demgegenüber anerkennt die h.L. nur einen rechtsfreien Raum[46].