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Monate waren seit der ersten Entdeckung vergangen. Monate fieberhaften Betriebs für alle Sternwarten der Erde. Jedes verfügbare Objektiv war auf die blendende Scheibe der Sonne gerichtet: Die weltberühmten Instrumente der Michigansternwarte, wie das kleinste Fernrohr der zahllosen LiebhaberAstronomen. Leuchtend klar, wie ein Hohn für die Menschen, lachte der ewige Lichtball von oben. Die Sommerhitze brannte entsetzlich. Die Augenärzte schwelgten in Hochkonjunktur. Jeder wollte der Wiederentdecker des Punkts sein. Das Wettrennen riss auch die Nüchternsten mit sich. Große Preise der führenden Presse waren der nicht mehr versagende Antrieb. Das unbeteiligte Publikum hatte die erste Notiz voller Gleichmut gelesen. Was ging es der Punkt an. Jetzt aber war es dabei, voll verbissenem Eifer und fast ohne zu wollen, mitschwimmend im Taumel. Die Fernrohre stiegen fast täglich im Preis, und was zuerst nur ein exotisches Hobby schien, war Jagd nach Millionen, das Glücksspiel der Armen.

Außer den beiden ersten Entdeckern, der Michigansternwarte und jenem Don Ebro, hatte sich noch ein Forscher aus Oxford mit ähnlichen Daten gemeldet. Sonst war auf der ganzen verschlafenen Welt die große Entdeckung verborgen geblieben. Der Laie begriff diese Tatsache schwer. Doch wer im Betrieb einer Sternwarte stand, nahm dieses Versagen fast gleichgültig hin. Seit Jahrzehnten war die Erforschung des Himmels ein Schachspiel am Schreibtisch der Sternwartendirektoren geworden. Sternwartengelehrte rühmten sich selbst, seit Jahren kein Fernrohr angefasst zu haben. Für viele Gelehrte war Geburt und Sterben der kosmischen Welten nur noch eine Rechnung, ein Integralrebus mit Formeln und Wurzeln. Und die Assistenten der Großinstitute ermüdeten durch ihren reizlosen Tagdienst und wurden Statistiker, Handlanger, Träumer.

Naturgemäß gab es auch Zweifler und Neider. Man erinnerte an die zahlreichen Sinnestäuschungen früherer Jahrzehnte. Man wies mathematisch und logisch Undenkbarkeit nach. Selbst die Witzblätter nahmen den dankbaren Stoff auf. Der Possenrefrain: »Du siehst schwarze Punkte - du bist wohl verrückt!« wurde ein geflügeltes Wort in allen Sprachen der Welt.

Neue Theorien wurden heftig und laut in der Presse von mehr oder weniger anerkannten Fachleuten diskutiert. Im Gegensatz dazu verhielten sich die wahren Entdecker schweigend. Der Brite aus Oxford war selbst kein Fachmann und wollte sich in diesem Punkte nicht äußern. Der Forscher Don Ebro war spurlos verschwunden. Auch in Valparaiso war nichts zu erfahren. Man kannte weder den Mann noch seine Warte. Man wusste dort nur von der Sternwarte Nagels. So hing an den Fotos der Michiganwarte die ganze Beweislast. Ihr Ruf war die Säule des ganzen Gebäudes.

Die Michigansternwarte schwieg aber weiter. Professor Earthcliffe war unerreichbar für jeden Reporter und schloss sich oft tagelang hintereinander ins Schreibzimmer ein, wo er nur mit Zahlen jonglierte. Trotzdem geschah einiges auf der Warte. Der fotographische Refraktor samt Kamera und Kinoapparat lief den ganzen Tag automatisch dem Sonnenball nach. Große Beobachtungsgenauigkeit war hierzu nicht mehr nötig. Eine Aufnahme in jeder Sekunde genügte vollkommen, das schwarze Objekt nicht entwischen zu lassen. Sofern man es antraf. Sofern...

So erhielt man an lichtklaren Tagen bis zu 30.000 Sonnenaufnahmen. Die Filmstreifen schlangen das Geld und die Arbeit, jedoch tagtäglich erfolglos. Der Haarschopf des kleinen Professors schien dünner und dünner vom Zupfen zu werden. Herr Wepp machte mürrisch die tägliche Meldung. Der Punkt blieb verschwunden, ein offenes Rätsel.

Nach etlichen Monaten öffnete Earthcliffe eines Morgens sein Zimmer, ging quer durch das Herbstlaub der Gartenanlagen zum Sternenturm hinüber und sah stumm und sinnend den Aufnahmen zu. Eine Stunde später gab er ohne lange Erklärung den kurzen Befehl, alle weiteren Nachforschungen einzustellen, durch das Telefon, klanglos.

Ein befreites Aufatmen lief durch den riesigen Steinbau. Die Fernrohre zogen die Ringleiber ein. Die gigantische Kuppel des Sonnenturms schloss sich. Die Michigansternwarte, Stolz und Hoffnung der Astronomen, sank lautlos in Schlummer, dem Meister gehorchend.

Professor Earthcliffe selbst zog sich ganz in sein seltsames Zimmer zurück. Tag für Tag turnte er vor seiner schillernden Tafel verzweifelt herum, rannte, die Haare raufend, durch das Labyrinth der unheimlichen Möbel, oder saß unbeweglich, im Denken erstarrt, vor den ewigen Rätseln der sternklaren Nacht.

Tiefe Falten durchliefen die Stirn; scharf und kantig stand der gekniffene Mund. Schweigsam, in sich gekehrt, kam er mittags zu Tisch. In stummen Gedanken versunken, nahm er lustlos sein Mahl ein.

Auf die besorgten Fragen der Tochter gab der Professor nur wie abwesend Auskunft. Das freundliche Lächeln, zu dem er sich zwang, die väterlich liebevolle Geste, mit der er der Tochter das Haar strich, geschah wie im Schlaf, starr, mechanisch und matt.

»Es stimmt etwas nicht!«, war sein einziger Satz. »Etwas stimmt dabei nicht. Etwas stimmt dabei nicht!«

Mabel kannte den Vater zu gut, und sie fragte nicht mehr. Sie nahm die Angelegenheit weniger ernst, machte sich aber Sorgen um den Vater. Aufgrund des höhnischen Punkts konnte auch sie die sonnigen Tage nicht mehr unbeschwert genießen.

Panik

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