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KLEINGELD

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Der Frühling hat sich binnen weniger Tage durchgesetzt. Bäume strecken ihre frischen grünen Blätter aus, in deren Schatten Schüler Schutz suchen vor der brennenden Mittagssonne. Die Ohren verstopft mit Drähten, die Augen geschlossen, wippen sie im Rhythmus der Musik ihrer Playlists, während sich Rentner bunt behütet unbemerkt an ihnen vorbeischieben, ein wissendes Lächeln auf den Lippen. Die Räder ihrer Rollatoren knirschen verstohlen im Staub der Allee und im Standesamt herrscht wieder Hochbetrieb.

Als sich beide abermals begegnen, erkennt sie Busch kaum wieder. Er ist unrasiert, die Haut wirkt fahl, die Wangen eingefallen. Selbst die braunen Augen, deren Intensität ihr einmal den Tag erhellten, scheinen nun versteckt unter schweren Lidern. Doch als sie ihm gegenübersteht, sie ihn endlich genauer betrachten kann, findet sie einen Teil ihrer alten Leuchtkraft wieder.

"Wo bist du gewesen?" Ihre Hand streicht über seinen Ellenbogen, die Bartstoppeln sind seltsam ergraut. Es beruhigt sie wenig, dass das Fahle in Haut und Haar in erster Linie von Staub herzurühren scheint. Busch trägt immer noch diesen schrecklichen Anzug. Er sieht darin aus, als sei er dem Zirkus entlaufen. Die Knie zieren helle Flecken, unter den Achseln zeichnen sich Schweißränder ab.

Er habe sinniert, Tag und Nacht, behauptet Busch müde lächelnd. Er habe sinniert, wie es weitergehen soll. Er schaut über sie hinweg, die Fußgängerzone entlang bis zum Platz, wo früher sein Beisel war.

Ihre Hand greift nach seiner Stirn, um die Temperatur zu messen. Die Geste ist ihr einstmals in Fleisch und Blut übergegangen, doch dem eigenen Sohn kann Sandra nur noch selten die Hand auflegen. Kevin geht jetzt in die erste Klasse, wohnt allein in den Ferien bei ihr. Ansonsten scheint alles in Ordnung. Busch hat kein Fieber, wirkt körperlich gesund.

"Hast du etwa deinen Laden zurück?" Sandra ist seinem Blick gefolgt. Seit gestern ist er ihre ganze Hoffnung, das Café hat ihr zum Monatsende gekündigt. Angeblich reiche ihre Qualifikation nicht aus. Über Umwege hat sie jedoch erfahren, dass die Tochter einer einheimischen Kollegin mit der Schule fertig ist und über den Sommer einen Job sucht. Das Mädchen wird heute zur Probe arbeiten. Und Sandra soll sie anlernen.

Busch schüttelt den Kopf. Wieso sie darauf komme, fragt er mit schmalen Lippen.

"Weil wir uns ausgerechnet hier treffen. Und du siehst aus", sie streicht über seinen Oberarm, "als kämest du vom Bau."

Nein, er habe viel nachgedacht während der letzten Tage, widerspricht Busch, ihrem Blick ausweichend. Er sei momentan nicht einmal mehr sicher, ob er nochmals eine Bar eröffnen wolle. Er wohne jetzt in einem Atelier, trage sich mit dem Gedanken, Künstler zu werden.

"Künstler?" Sandra runzelt die Stirn. Ihre Hand wandert zu seiner Wange. Nein, es bleibt dabei. Es ist kein Fieberwahn. Auch wenn Busch wirres Zeug redet.

Jäger habe ihm ein Atelier für einige Tage zur Verfügung gestellt. Er werke dort gegen die schlechten Gedanken an.

Alles klingt so fremd, so unwirklich für Sandra. Sie greift nach seinen Händen. Die Fingerkuppen sind rau wie eine Käsereibe und die Nägel tragen Trauerränder. Außerdem raucht Busch wieder wie ein Schlot. Sie schließt daraus, dass Jiska noch nicht zurück ist. Gern würde Sandra nach ihr fragen. Aber sie traut sich nicht. Sie fürchtet eine Wunde aufzureißen. Lieber fragt sie etwas Belangloses: "Was machst du dann hier? So früh am Tage?"

Ihr Lächeln wird nicht erwidert. Statt zu antworten, fragt Busch zurück, wie viel Uhr es wäre und ob sie wisse, wo die nächste Bankfiliale sei. Er habe es eilig. Mittags würden fast alle Geschäfte schließen, in dieser verdammten Kleinstadt. Er rümpft die Nase.

Sandra horcht auf. Busch und Bank? Sie erinnert sich, dass er ihr noch einen Monatslohn schuldet. Aber sie hütet sich ihn zu fragen. Ihr Herz klopft. Sie freut sich, mit ihm hier zu stehen und zu plaudern. Ist neugierig, was Busch auf der Bank will. Also versucht sie ihn auszuhorchen.

"Hast du im Lotto gewonnen?", fragt Sandra schelmisch.

So ungefähr, antwortet Busch. Dann schaut er nach links und rechts, als wolle er vermeiden, dass jemand mithöre. Er strahlt plötzlich wie ein kleiner Junge, der auf dem Jahrmarkt das große Los gezogen hat. Er habe dringend einen Gewinn einzulösen, weiht er Sandra ein.

"Egal, wo?"

Busch nickt.

"Na, dann geh' doch dort rein!" Sie weist hinter seinen Rücken.

Er dreht sich erstaunt um und scheint zufrieden. Er bräuchte unbedingt ihre Hilfe dabei.

Sandra traut ihren Ohren nicht. Busch hat sie im Beisel nie um Hilfe gebeten. Lieber hat er den Laden allein aufgeräumt, bis in den frühen Morgen. Angeblich aus Kostengründen.

Sie müsse ihm helfen, bettelt er sie an. Denn, wenn er es jetzt verbocke, wäre alles vorbei. Dann könne er sich aufhängen, wie sein Vater.

Sie müsse, wiederholt Sandra still für sich. Die Formulierung macht sie misstrauisch. Sie müsse sterben, will sie antworten. Irgendwann, früher oder später. Momentan eher früher. Doch dann sieht sie erneut dieses Leuchten in seinen Augen.

"Was hättest du denn getan, wenn wir uns nicht begegnet wären?"

Sie hört es selbst - es klingt wie Zustimmung. Der kurz auftauchende Gedanke, Busch wolle (wie alle anderen Kerle auch) sie nur ausnutzen, ringt sie entschlossen nieder. Wieder mal.

Er hätte sie sonst im Café aufgesucht, kommt prompt die Antwort. Sie wäre die Einzige, der er momentan vertrauen könne.

Jetzt, jetzt wäre die Gelegenheit nach Jiska zu fragen. Sandra schluckt. Der Mund scheint völlig ausgetrocknet.

Es werde auch nicht umsonst sein, setzt er nach.

Sandra schweigt. Sie mag es nicht, wenn sie bedrängt wird. Lieber hätte sie vorher zugestimmt, ohne Bestechungsversuch. Das müsste er doch längst kapiert haben, oder nicht?

Zehn Prozent. Er lässt nicht locker.

"Zehn Prozent wovon?", fragt sie entnervt. Am liebsten ließe sie ihn jetzt stehen und ginge einfach weiter.

Busch angelt ein Stück Papier aus der Tasche. Es ist ein großer, ein lila Geldschein. Beeindruckend groß. Er hält ihn ihr unter die Augen.

Sandra rechnet geschwind. Fünfzig Euro. Die kann sie jetzt gut gebrauchen. Wer weiß, wann die Agentur das erste Mal die Stütze zahlen wird. Ach, da muss sie ja auch noch hin, fällt ihr ein. Sie seufzt. Wieder ein verlorener Tag in ihrem beschissenen Leben.

"Was soll ich tun für das Geld?"

Es kann nichts Gutes sein, sie weiß es. Oder es ist sehr zeitaufwändig. Normalerweise muss sie für fünfzig Euro einen ganzen Nachmittag zwischen Theke und Terrasse wie ein von Igeln gejagter Hase hin- und her hetzen und sich dabei von schlecht gelaunten Menschen anpöbeln lassen. Es ist hart verdientes Geld, sehr hart verdientes.

Sie müsse lediglich in die Filiale gehen und den großen in kleine Scheine umtauschen, sucht Busch sie zu überreden.

"Ist der Schein echt?"

Natürlich, versichert er mit großen Augen.

"Und was ist dann der Haken?"

Busch hebt die Schultern. Er kenne keinen.

"Warum gehst du dann nicht gefälligst selber rein?"

Sie ist wütend, kehrt ihm den Rücken zu. Natürlich ist ein Haken dabei! Stets soll man diesen Kerlen nicht allein nur das Essen kochen, sondern partout auch noch den Arsch putzen.

Weil ihn niemand in diesem Aufzug ernst nehme, sie ebenso wenig, ruft er ihr nach.

Sandra, kaum zwei Schritte weiter, hält ein.

Er komme zum Umziehen immer noch nicht in die eigene Wohnung. Jiska melde sich einfach nicht. Sie sei wie vom Erdboden verschwunden. Selbst Jäger wisse nicht, wo sie steckt. Er sei am Ende. Er verhungere, er verdurste, wenn er nicht wenigstens diesen Schein umgetauscht bekomme.

Sie hat die Verzweiflung gehört, auch ohne den letzten Satz.

Er hatte gehofft, dass wenigstens der Tankwart ihm den Fünfhundert Euro-Schein abnehme, wo er doch regelmäßig bei ihm einkaufe, erklärt er ihr weiter, als sie wieder mit ungläubigen Augen vor ihm steht. Aber selbst der habe den Kopf geschüttelt, als Busch mit dem Schein immerhin zwei Sixpacks Bier und Zigaretten haben kaufen wollen.

"Erwartest du heute Abend Gäste im Atelier?"

Es klingt wie ein Vorwurf, soll es ruhig. Sandra würde nämlich auch gern eingeladen werden.

Busch überhört den Vorwurf. Er brauche die leeren Flaschen für eine Skulptur.

Sandra versteht nur Bahnhof.

Sicher, er schütte das Bier nicht weg. Aber Ziel sei nicht das Trinken im eigentlichen Sinne, sondern die künstlerische Materialbeschaffung, gewissermaßen.

Es hilft nichts. Sie zieht die Unterlippe nach oben.

Wenn er fertig sei, könne sie ihn ja im Atelier besuchen und sich die Skulptur anschauen. Busch sieht auf die Uhr.

Sandra nickt und hält die Hand auf.

Er lächelt und legt das Geld hinein. Er warte draußen. Seitdem das Malheur mit dem Mäusemädchen passiert sei, setzt er hinzu, habe er eine regelrechte Phobie gegen Fünfhundert-Euro-Scheine entwickelt. Und Banken seien ihm von jeher ein Gräuel gewesen.

Sandra versteht kein Wort. Sie will nur schnell die fünfzig Euro verdienen. Vielleicht trinken sie ja anschließend noch einen Kaffee zusammen.

Er werde es ihr erklären, später, sagt Busch und streicht Sandra unvermittelt mit der Hand über die Wange. Sie fühlt, wie das Gesicht brennt, als sie das Foyer der Bank betritt, will besser nicht nachdenken, wann ein Mann sie auf diese Art und Weise das letzte Mal berührt hat. Sie hofft, er hat es unbewusst, ohne Absicht, ohne Berechnung getan.

Hinter dem Schalter erwartet sie ein großer junger Mann mit rundem Gesicht, schmalen Lippen, dunkelblonder Popperlocke und einem unverbindlichen Lächeln. Er nimmt die Brille zwischen Daumen und Ringfinger, rückt sie über der Nase gerade. Dazwischen mustert er Sandra über den Rand hinweg von oben bis unten. Wahrscheinlich bildet er sich ein, er sei die Ursache ihres roten Kopfes. Auf seine Frage, was er für sie tun könne, holt sie schweigend den Geldschein aus der Jackentasche und breitet ihn auf dem Tresen aus. Die von der Arbeit lädierten Hände streichen die Banknote sorgsam, beinahe liebevoll glatt. Zufällig passt ihr Nagellack zur Farbe des Geldes.

Ja, und?

Der Mann schaut sie an wie einstmals ihre Mutter, wenn sie sie der Lüge überführen wollte. Es sind dieselben kalten Augen, die Sandra noch heute in der Nacht verfolgen. Sie schaut auf den Schein, der vom vielen Glattstreichen einen Katzenbuckel macht. Wer sträubt sich hier bloß vor wem?

"Ich möchte den einen großen Schein in mehrere kleine umtauschen." Sandra flötet, mit Inbrunst. Sie piepst. Wenn sie sich bemüht, klingt ihre Stimme immer so schrecklich hoch. Wahrscheinlich wird sich das nie ändern.

Woher sie ihn habe, brummt der Mitarbeiter hinter der Theke. Er dürfte in ihrem Alter sein, entdeckt eine unüberbrückbare Divergenz zwischen Schein und Sandra.

Statt zu antworten, legt sie stumm die Unterarme auf den Tresen, schaut auf das Geld zwischen ihnen und dann den Bankmitarbeiter an. Ist er so blöd oder tut er nur so?

Der geschniegelte Fatzke hält wider Erwarten stand. Ja, er revanchiert sich mit einem Lehrerblick. Nein, so einen Besserwisser könnte man ihr ohne weiteres auf den Bauch binden. Da würde nichts passieren, selbst nach der langen Zeit. Allein, Carlos war auch einmal Lehrer, fällt ihr ein. Aber ihm sieht man es wenigstens nicht an. Und er schaut auch nicht so dämlich drein.

"Mein Mann hat ihn mir gegeben", sagt Sandra schnippisch. Die Worte gleiten erstaunlich leicht über ihre Lippen.

Ihr Mann?

Sein gespieltes Erstaunen kann er sich sonst wohin schieben. Wie eine Nonne aus dem Kloster sieht sie nun wahrlich nicht aus. Sandra weist hinaus vor die Tür. "Ja, mein Mann!", wiederholt sie entrüstet. "Woher er ihn hat, hat er mir allerdings nicht verraten."

So, so. Verlegen rüttelt er erneut an seiner viel zu großen Brille. Sandra bemerkt die billigen Anzugknöpfe am Unterarm. Zum ersten Mal gefällt ihr Buschs Anzug besser.

Sie möge ihn einfach mal hereinholen, verlangt er nun.

Meint der das wirklich im Ernst? Sandra starrt den Mann verständnislos an. Will er sie etwa übergehen, sie einfach in Luft auflösen? Ihr feministisches Unterbewusstsein schlägt Alarm. Sie wird sich das nicht bieten lassen, runzelt die Stirn, ringt um die passende Antwort, während der Typ sich auf Zehenspitzen stellt. Er sucht Busch, hinter dem Eingang. Die linke Hand rutscht gleichzeitig wie unabsichtlich unter den Tresen. Sandra bemerkt es. Sie braucht eine stolze, eine gerechte Antwort für dieses arrogante Schwein. Doch der erste Schwall an Worten, der ihr auf der Zunge liegt, sind Wörter ihrer Jugendzeit. Böse Worte. Aber mittlerweile ist sie Mutter, sie hat eine Aufgabe. Nicht zu vergessen die fünfzig Euro.

Ob es der Mann mit dem bunten Anzug sei?

Sandra schämt sich. Wenn Carlos hereinkommen muss, wird sie wohl kaum zehn Prozent erhalten. Ratlos sieht sie zu, wie vor ihrer Nase der Hemdsaum aus der Anzughose rutscht und sich über die Gürtelschnalle legt. Blasse, gewaxte Haut blitzt dazwischen auf. Der trägt ja nicht einmal ein Unterhemd! Igitt.

Warum ihr Mann denn nicht hereinkomme?

Sie ignoriert den süffisanten Ton. Erneut stützt er die Hände auf die Theke, versucht über die Schaufensterabdeckung hinwegzusehen. Als der zerfledderte Saum der goudafarbenen Unterhose hervorlugt, wird es Sandra zu viel. Sie dreht sich weg, flüchtet in einen Hustenanfall.

Ob ihr Mann etwa Ausländer sei, der deutschen Sprache nicht mächtig, bohrt der Typ unentwegt weiter.

Sie hört die Anspannung. Auf seiner Stirn haben sich Schweißperlen gebildet. Was geht jetzt in diesem Kopf vor? Nichts Gutes in jedem Fall. Ihre Gedanken summieren sich, wachsen zu einem Turm, der sie zu erschlagen droht. Nein, das sieht sie nicht ein! Nicht sie schon wieder! Männer werden als Angsthasen geboren, und sie bleiben es ein Leben lang. Weshalb sonst gibt es so viele Waffen auf dieser Welt? Lass die sich doch in erster Linie die Köpfe einrennen! So wie früher.

Sie winkt Busch energisch zu, als er am Eingang vorbeiwandert. Er sieht sie nicht. Entschlossen geht Sandra zwei Schritte Richtung Ausgang, kehrt dann zurück und nimmt den Schein mit. Gerade die Geschniegelten sind die Niederträchtigsten. Zufrieden geht sie hinaus. Im Anblick des Geldautomaten im Vorraum durchfährt sie ein aberwitziger Gedanke. Was wäre, wenn sie gegenüber Busch behaupten würde, der Schein sei falsch, der Mitarbeiter hätte ihn eingezogen, sie sollten besser fliehen?

Sandra stockt vor Schreck, schaut auf den Abtreter zu ihren Füßen. Nein, sie kann es nicht, sie will es nicht. Ehrlich währt am längsten, hat ihre Mutter gesagt.

Busch steht vor dem Schaufenster gegenüber. Das Gesicht, das er zieht, als sie gemeinsam die Filiale betreten, ist nicht zu beschreiben. Es könnte bei Uneingeweihten Mitleid erwecken. Bei Sandra erweckt es Verständnis für Jiskas Verschwinden. Und Wut auf ihre Mutter.

"Schatz, der Herr möchte wissen, woher du den Schein hast?" Vorsichtshalber schlüpft Sandra in die Vermittlerrolle.

Busch starrt erst sie, dann den Mitarbeiter an.

Ja, woher das Geld stamme, wiederholt er ihre Frage. Er klingt ziemlich freundlich, im Gegensatz zu ihr. Derweil ziehen die Kollegen hinter ihm ihre Jacken über, wollen in die Mittagspause gehen.

Was die Bank das angehe, poltert Busch. Der Mann zuckt zurück.

Es sei doch nur eine Formsache, bettelt der Angestellte. Die Kollegen winken. Zum Abschied knurrt leise ein Magen.

Wenn ich hier mit fünf Millionen stünde, fährt Busch fort, als sie unter sich sind, egal ob echt oder falsch, würden Sie keine Fragen stellen. Sie würden dort drüben das Büro öffnen oder uns zum Essen einladen. Er grinst hämisch, bedeutet ihr, sie möge ihm den Schein zurückgeben. Sie und ihre Chefs würden uns die Füße küssen für so viel Geld. Aber so?

Sandra zerrt es aus ihrer Jackentasche, legt den Schein in seine Hand.

Es gehe die Bank einen feuchten Kehricht an, woher er das Geld habe, resümiert Busch. Der Mitarbeiter solle es einzig in kleine Scheine wechseln.

Busch schiebt den Zankapfel über die Theke. Er schwebt ein kurzes Stück über das Holz, landet vor dem Schild "Ihr Service vor Ort".

Sandra mustert verblüfft die beiden Streithähne. Eigentlich geht es um nichts. Aber beide benehmen sich wie Idioten. Sie drückt Buschs Hand. Er drückt zurück.

Er sei Künstler, erläutert er jetzt etwas gesetzter. Das Geld sei Teil eines Vorschusses seines Auftraggebers.

Der Mitarbeiter hebt die Augenbrauen. Was Busch sagt, erscheint ihm schlüssig.

Ob er so freundlich sein würde, ihm den Namen des Auftraggebers zu nennen?

Wozu, braust der frischgebackene Künstler erneut auf. Er habe seinem Mäzen Diskretion zugesichert.

Die Diskretion werde nicht verletzt, da niemand weiter den Namen erfahre.

Sandra presst Buschs Finger zusammen.

Es sei Jäger, der Eigentümer der „Kunstgaleere“.

Der Bankbeamte reißt die Augen auf. Gleichzeitig kippt der Oberkörper ein Stück nach vorn, die gestylte Locke fällt auf die Stirn. Welche Stückelung Sie denn wünschten? Hastig wird die Locke mit einer fahrigen Geste beiseitegeschoben.

Busch scheint unbeeindruckt vom Sinneswandel. Oh, er sei bezüglich der Stückelung sehr flexibel, erwidert er aufgeräumt. Hauptsache, die Scheine seien echt.

Der nun vor Höflichkeit sprühende Kassenvorsteher reibt eilfertig die Banknote zwischen Daumen und Zeigefinger, dreht den Schein gegen das Licht. Sie mögen bitte einen Moment warten, sagt er unvermittelt ernst und verschwindet hinter einem Paravent.

Sandra bemerkt, wie Busch blass wird.

"Was ist los mit dir?", zischt sie.

Nichts! Er schüttelt den Kopf.

Sie packt ihn am Arm, glaubt ihn stützen zu müssen, als er einen Schritt zur Seite macht. Die Luft im Raum ist tatsächlich stickig, fällt Sandra nun auf. Sie würde hier auf Dauer Kopfschmerzen bekommen. Oder Atembeschwerden.

Sie warten. Leises Gemurmel im Hintergrund. Sollten sie doch nicht allein gewesen sein? Telefoniert er am Ende mit der Polizei? Sandra schaut sich um im Kassenraum. Die Zimmerdecke gehört wohl nicht zum Aufgabenbereich des Reinigungspersonals. Die Zeit dehnt sich wie die Vorbereitungen für ein Porträt beim Fotografen. Als Sandra die erste Kamera gefunden hat, kehrt der geschniegelte Fatzke zurück. Er strahlt.

Im Tausch gegen die fünfhundert Euro lege er Ihnen die gesamte Bandbreite an Euro-Noten vor, verkündet er, manche davon sogar doppelt. Es folgt ein unsicheres Wiehern, dann die Aufforderung, Busch möge nachzählen. Der nickt nur stumm, sichtbar erleichtert, steckt das Geld ohne zu prüfen in die Innentasche seines Clownsanzugs.

Sie mögen die Filiale bald wieder beehren, tönt es hinter ihrem Rücken.

Wenn es keine elektronischen Türöffner gäbe, würde er jetzt bestimmt hinter seinem Tresen hervorspringen, an ihnen vorbeihasten und mit einem Diener die Tür aufreißen, stellt sich Sandra vor. Schade eigentlich. Sie hat Geschmack am gemeinsamen Auftritt gefunden, wundert sich über Buschs Eile. Immerhin verschafft sie ihr die Ehre, bei der Hand genommen zu werden.

Liebe Grüße an Herr Jäger, hört sie noch. Sie wird sie ausrichten, ganz bestimmt. Dann sind beide wieder draußen.

Busch atmet hörbar durch.

"Was war eben los mit dir?", fragt sie verstört und windet sich aus seiner Hand. Die Finger schmerzen vom energischen Zugriff.

Wie, wann? Er dreht sich nicht um, marschiert voran, geradewegs Richtung Beisel. Als er ausgeflippt sei?

Sandra versucht zu folgen. "Nein", ruft sie ihm nach.

Er blickt über die Schulter. Das würde sie doch verstehen, oder?

"Ich meine, als dir übel war." Sie gibt Gas, will sich nicht mehr so leicht abschütteln lassen. "Ich hatte Angst, du kippst um", sagt sie, als sie wieder neben ihm läuft.

Busch hält ein und seufzt. Er habe für einen Augenblick geglaubt, Jäger verarsche ihn komplett, mit allem.

"Wie, mit allem?" Sandra ist ebenso stehengeblieben.

Mit seinem Auftrag, mit dem Geld, mit seinen Aussagen über den Verbleib von Jiska.

Jetzt! Jetzt wäre die Chance zu fragen. Aber Sandra fühlt sich leer wie eine Tüte Popcorn nach einem Film mit Überlänge. Sie ist müde und erschöpft, braucht dringend eine Auffrischung.

"Wollen wir einen Kaffee trinken?"

Busch tippt sich an die Stirn, zückt das Geld und reicht ihr die versprochenen fünfzig Euro.

"Kommst du nicht mit?"

Nein, er habe noch so viel zu tun, lehnt Busch ab.

Sandra ist enttäuscht. "Bevor du gehst..." Sie packt ihn am Arm. "Ich muss dir noch etwas verraten, etwas Wichtiges."

Wenn es denn sein müsse, seufzt er.

Warum Männer beständig auf der Flucht sein müssen, schießt es ihr durch den Kopf. Sie ist pikiert über seine arrogante Art, aber irgendwo gefällt es ihr auch.

"Es ist wichtig, dass du es erfährst, bevor Jiska zurückkehrt."

Sandra hat ihr Ziel erreicht. Er hört zu. Soll sie mehr von jenem Abend im Barock erzählen? Nein, es würde ihn nur verunsichern.

"Du riechst aus dem Mund."

Busch lächelt unsicher, presst die Lippen zusammen.

"Es ist nicht schlimm für mich", fährt sie fort, die Hand immer noch auf seinem Unterarm. "Ich wollte es dir nur sagen, bevor du das nächste Mal versuchst, eine andere Frau zu küssen. Aus alter Freundschaft. Manche Damen schreckt nämlich so etwas ab."

Er habe gestern Abend einige Flaschen Bier getrunken, für seine Materialsammlung, redet Busch sich raus.

Sie schüttelt den Kopf. "Ich weiß, wie Restalkohol riecht, zur Genüge. Es ist anders, tiefer."

Busch wendet sich ab. Nein, das glaube er nicht. Es liege an der fehlenden Zahnbürste. Er habe keine im Atelier, spüle sich mit Wasser den Mund aus, morgens und abends. Das wird der Grund sein.

"Du kannst auch zu mir kommen, zum Duschen. Oder Baden."

Busch nickt nachdenklich. Er werde darauf zurückkommen. Für einen Moment steht er wie erstarrt. Sein Blick reicht über ihren Scheitel hinweg. Sandra wagt es nicht ihm zu folgen.

Ob er ihr auch etwas anvertrauen könne? Sie dürfe aber mit niemandem darüber sprechen.

Ihr Herz klopft wie das eines Kindes vor der weihnachtlichen Bescherung. Sandra presst die Lippen zusammen und nickt.

Seine Hand wandert in die rechte Innentasche, zieht ein zerschlissenes Stück Papier hervor. Er reicht es ihr.

"Was ist das?"

Lies!

Mein Liebster,

jede Minute mit Dir habe ich genossen. Nun aber kann ich nicht mehr. Du weißt: "Wir haben versucht, auf unserer Schussfahrt zu wenden." Leider ist mein Karren gegen die Wand gefahren.

Glaube mir: ich liebe Dich, für immer. Und wir werden uns wiedersehen, ganz gewiss. Vielleicht auch erst im nächsten Leben.

Unendlich viele Küsse, Jiska

Sandra liest die Nachricht zweimal. Ihre Hände zittern. Ob er liest, was sie darin liest?

Sie gibt Busch den Brief zurück. Ja, es stimmt, denkt sie. Glücklich hat Jiska im Barock nicht ausgesehen. Die beiden Frauen hatten sich gestritten. Laut, sehr laut sogar. Aber Selbstmord? Nein, unmöglich. Wer das plant, streitet sich nicht mit dem Kellner um ein paar Getränke; verlangt nach dem Geschäftsführer, erteilt ihm eine Ohrfeige.

"Was denkst du, was mit ihr passiert ist?"

Busch zuckt die Schultern. Er wisse bald gar nichts mehr. Manchmal denke er, Jäger halte sie gefangen und er müsse sie befreien. Er habe allerdings keine Ahnung, wo dessen Skihütte sei, zum Beispiel. Auf der anderen Seite: Würde Jäger dann mit ihm in Kontakt treten, ihm einen Auftrag erteilen? Einen Auftrag, der in seiner Entlohnung einem Freikauf gleicht?

"Vielleicht ist es das", bestätigt Sandra.

Vielleicht. Busch starrt verloren auf das Pflaster unter ihren Füßen.

"Was willst du jetzt tun?"

Er werde den Auftrag erfüllen, unbedingt. So gut er kann. Und dann werde er weitersehen.

"Was ist das genau für ein Auftrag?"

Er erkläre es ihr ein anderes Mal. Und dann ist Busch weg.

Blütenteppich

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