Читать книгу "Wer seiner Seele Flügel gibt …" - Renate Holm - Страница 23

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In Wien sagt man: »Das Glück ist ein Vogerl«. Mir gefällt diese Formulierung, weil sie viel schöner und fantasievoller ist, als realistischerweise festzustellen, dass einem das Glück nun einmal nicht in den Schoß fällt. Ehrlich gesagt, glaube ich auch nicht, dass man mit Glück alleine Karriere machen kann. Ich glaube daran, sich auf faire und anstrengende Weise etwas erarbeiten zu können. Wie sich die Fügungen des Schicksals dann in der Folge ergeben, ist wiederum eine andere Frage – und bis zu einem gewissen Grad natürlich immer auch ein bisschen Glückssache … Wenn ich an die Schlüsselerlebnisse denke, die meine Karriere vorangetrieben haben, war es meine Mutter, die den allerersten – ja, man kann sagen schicksalhaften – Impuls setzte. Ich war zwölf Jahre alt, als sie mir als Belohnung für ein besonders gutes Schulzeugnis eine Kinokarte für die Verfilmung der Puccini-Oper Madame Butterfly schenkte. Es war die erste Oper meines Lebens. Maria Cebotari sang die Butterfly. Ich war vom ersten Moment an äußerst ergriffen und verlor völlig die Fassung. Ich weinte, und wie eine Zwiesprache mit Gott flüsterte ich auf dem Heimweg immer und immer wieder den Satz »Bitte lass mich Sängerin werden …« Es war ein zutiefst spiritueller Moment … Zum damaligen Zeitpunkt konnte ich natürlich nicht ahnen, welche Umwege das Leben für mich bereithalten sollte, ehe mein Kindheitstraum von einer Opernkarriere in Erfüllung gehen sollte. Der Wunsch war seit diesem Kinobesuch jedenfalls fest in meinem Herzen verankert.

Auch die zweite richtungsweisende Initiative verdanke ich meiner Mutter. Als ich 19 Jahre alt war, vereinbarte sie einen Termin zum Vorsingen bei der Gesangslehrerin und Sängerin Waltraud Waldeck. Meine Stimme war bereits in der Schule aufgefallen (… im Singen hatte ich nämlich eine Eins, dafür eine Drei in Mathematik!). Nun galt es also, meinen Traum an der Realität oder, besser gesagt, an den Möglichkeiten meiner Stimme zu messen. Nach dem Vorsingen meinte die Waldeck: »Ja, Renate, du hast eine sehr schöne Naturstimme. Aus dir mache ich eine große Opernsängerin! Aber wir werden jeden Tag dafür arbeiten und üben müssen. J e d e n Tag!«


Die Arie der Madame Butterfly, meiner großen Traumrolle, habe ich leider nur 1961 im Fernsehen gesungen, in der großen Lou-van-Burg-TV-Show


Dieser Filmbesuch – mit Maria Cebotari als Madame Butterfly – war der wirklich entscheidende Einschnitt in meinem Leben, Sängerin zu werden


Als zahnärztliche Helferin habe ich mein Gesangsstudium finanzieren können, auch diese Tätigkeit hat mir viel Freude gemacht. Und wer weiß? Wenn es mit dem Singen nicht geklappt hätte, wäre ich vielleicht als Dr. Renate Franke eine berühmte Zahnärztin geworden …

Beflügelt von dem Vertrauen, das Frau Waldeck in mich setzte, hatte ich bereits am nächsten Tag meine erste Gesangsstunde bei ihr. Da ich auf Wunsch meiner Mutter (ich sollte eine abgeschlossene Berufsausbildung haben) kurz zuvor eine Lehre als zahnärztliche Helferin begonnen hatte, hieß dies für mich zwei Jahre lang täglich elf Stunden Zahnarztpraxis, womit ich mir letztendlich das Gesangsstudium finanzierte, und anschließend eine Stunde Gesangsunterricht!

So wie mit Waltraud Waldeck verband mich auch mit meiner zweiten Lehrerin, Maria Ivogün, ein sehr herzliches Verhältnis. Maria Ivogün war eine weltberühmte Koloratursopranistin und später sehr erfolgreich als Lehrerin. Es war eine ganz große Auszeichnung, mich ebenso wie Elisabeth Schwarzkopf und Rita Streich zu ihren Schülerinnen zählen zu dürfen, und zugleich mehr als reine Glückssache. Denn es war kein Zufall, dass ich bei ihr studieren durfte. Diese Geschichte möchte ich gerne erzählen:

Anfang der Fünfzigerjahre gab es in Berlin den Nachwuchswettbewerb Wir suchen Talente. Ähnlich wie heute bei Die große Chance konnten junge, unbekannte Künstlerinnen und Künstler hier ihr Glück versuchen – und es war sogleich an meiner Seite, denn mit dem Lied der Nachtigall von Franz Grothe gewann ich diesen Wettbewerb auf Anhieb. Sofort bekam ich erste Angebote und fasste auch den Mut, mich für eine öffentliche Mikrofonprobe beim Rundfunksender RIAS Berlin anzumelden. Und siehe da: Die Glückssträhne hielt an, und ich machte auch bei diesem Wettbewerb den ersten Platz! Nun prasselten die Angebote förmlich auf mich ein, doch diesem Glück nicht trauend – weil es ja nun mal ein Vogerl ist! –, wollte ich Gewissheit. Ehe ich irgendwo zusagte, erbat ich mir eine Woche Bedenkzeit. Diese Pause nutzte ich, um mir von »höchster« Stelle einen Rat zu holen.

Heute kann ich es fast nicht mehr nachvollziehen, dass ich damals den Mut aufbrachte, der großen Erna Berger vorzusingen … Sie zählte neben Maria Cebotari zu meinen ganz großen Vorbildern. Ihr wollte ich vorsingen, ihre Meinung wollte ich einholen, von ihr wollte ich erfahren, ob ich meinen Beruf zugunsten einer Gesangskarriere aufgeben sollte. Ich sang die Butterfly-Arie, danach die Königin der Nacht und das Nachtigallen-Lied. Begleitet wurde ich von Michael Raucheisen – zur damaligen Zeit einer der berühmtesten Pianisten und der Gatte von Maria Ivogün. Als der letzte Ton verklungen war, sagte Erna Berger: »Mein Kind, ich wäre froh gewesen, wenn ich in Ihrem Alter die Königin der Nacht schon so hätte singen können! Sie können mit ruhigem Gewissen Ihren Beruf beim Zahnarzt aufgeben und Sängerin werden. Und Sie werden eine außergewöhnliche Karriere machen! Leider kann ich Sie selbst aus Zeitgründen nicht unterrichten, aber ich rate Ihnen, bei Maria Ivogün Gesangsunterricht zu nehmen.« Diesen Moment werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. Es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl … Zugleich war dieses Ereignis die große Wende in meinem Leben – sozusagen vom »normalen« bürgerlichen Leben hin zu einer künstlerischen Laufbahn, und das begann gleich mit einem einschneidenden Ereignis.


Jetzt ist es so weit: mein erster Auftritt bei einem Konzert vom Rundfunk RIAS Berlin mit dem Nachtigallen-Lied.

Die Namensverwechslung – oder warum aus Renate Franke Renate Holm wurde

Meine allererste Gesangsaufnahme bei dem Rundfunksender RIAS Berlin war zufälligerweise ein Wiener Lied und hieß An der Donau, wenn der Wein blüht. An jenem Nachmittag, an dem es ausgestrahlt werden sollte, saßen wir – meine Mutti und einige Freunde – gespannt vor dem Radio. Die Moderatorin sagte das Lied an und es erklang meine Stimme erstmalig über den Äther. Ich weiß nicht, was lauter war, die Rhythmusinstrumente des Orchesters oder unser aller Herzklopfen … Als das Lied zu Ende war, warteten wir aufgeregt, dass nun zum ersten Mal auch mein Name – Renate Franke – genannt werden würde. Denn das war mein bürgerlicher Name.



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