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Die Bullen kamen zu zweit. Zunächst bemerkte ich sie nicht, erst als mich Carmen mit einer Kopfbewegung samt einigen Grimassen auf die Männer aufmerksam machte.

Sie standen beim Eingang und sahen sich um. Einer trug einen hellen Anzug, der andere eine Lederjacke. Zum Glück war das Licht schummerig und sowohl Ana-Jeisol als auch ein paar Männer befanden sich zwischen ihnen und mir. Remo, der am Tresen aushalf, warf mir einen warnenden Blick aus suppentellergroßen Pupillen zu und nickte energisch mit dem Kinn Richtung Tür ins Obergeschoss. Dann kam er hinter der Theke vor und steuerte die Bullen an.

Ich zog Ana-Jeisol mit mir, wobei ich darauf achtete, dass sie mich vor den Bullen abschirmte. An der Treppe traf ich Nelson. Er war im Bild, das sah ich ihm an. Nelson führte mich nach oben. Dort blieben wir stehen. Nelson legte einen Finger auf den Mund und lauschte. Wir hörten, wie unten die Tür geöffnet wurde, begleitet von einem Schwall Musik und Lärm. Männerstimmen verschwanden in Remos Büro. Nelsons zusammengezogene Brauen signalisierten, dass er fieberhaft nachdachte.

Er nahm meine Hand und führte mich den Gang entlang, bis zum letzten Zimmer auf der linken Seite. Da schloss er auf, schob mich hinein und lehnte die Tür an. Dieser Raum war gefüllt mit ein paar zerlegten Betten und anderen Einrichtungsgegenständen. Wir hockten uns auf Püschelhocker, die dort lagerten. Ich blickte Nelson fragend an, er hob aber nur vage die Schultern. Dabei lauschte er konzentriert und machte dabei eine abwiegelnde Handbewegung, die ich als »nur die Ruhe« interpretierte.

Minutenlang blieb alles still, nur entfernt und dumpf war der Lärm aus der Bar zu hören.

Tania Sotelo hatte sich also doch gemerkt, was ich ihr erzählt hatte. Wenn die Bullen die Mädels befragen würden, konnte es uns an den Kragen gehen. Ich war sicher, Yanet würde mir eins auswischen wollen.

Plötzlich fiel mir auf, dass ich nur dieses Nuttenzeug anhatte. Wenn wir hochgenommen werden sollten, wollte ich wenigstens ordentlich angezogen sein. Ich bedeutete Nelson mit Händen und Grimassen, was ich vorhatte. Er betrachtete unverholen meine Erektion. Sie hatte zwar nachgelassen, war aber noch deutlich sichtbar. Im String fand sich nicht genügend Platz. Ich drehte mich sofort zur Seite. Das fehlte gerade noch.

Bevor mich Nelson aufhalten konnte, huschte ich hinaus in Carmens Zimmer. Ich hatte Glück, es war leer. Meinen Kram zog ich einfach oben drüber.

Gerade als ich fast fertig war, hörte ich Stimmen von unten. Remo lachte laut.

Mit den Schuhen in der Hand flitzte ich zurück, hinter mir Schritte und Stimmen, die nach oben kamen. Nelson stand mit halb geschlossenen Augen hinter der Tür.

In Windeseile schlüpfte ich in die Treter. Meine zitternden Hände erschwerten das Schnüren.

Nelson riskierte immer wieder ein Auge nach draußen. Er tippte mir auf die Schulter, dann zeigte er in Richtung der Tür am Stirnende des Gangs. Gleichzeitig hielt er mich mit einer Geste zurück, damit ich nicht sofort aufsprang und losrannte.

Die Stimmen kamen näher, ich begriff, dass die Bullen in jedes Zimmer hineinschauten. Türen klappten, Remo kommentierte lachend. Zusammengekauert auf dem Boden linste ich selbst hinaus. Ich sah Remo klopfen und eine Tür öffnen. Der Bulle im Anzug machte einen langen Hals. Der andere war nicht zu sehen. Remo deutete auf irgendetwas und der Bulle betrat den Raum.

Mit ein paar schnellen Schritten war Nelson an der Tür, auf die er vorher gezeig hatte. Sie ließ sich fast lautlos öffnen. Ich folgte ihm. Wir betraten eine große Dachterrasse und Nelson drückte die Tür ganz sachte wieder ins Schloss.

Unter uns lag die Straße, dahinter die Autobahn. Zu den anderen Seiten erstreckten sich dunkle Gebäude und unbeleuchtete Höfe. Neben der Tür gab es einen kleinen Holzverschlag, an dem kletterte Nelson empor. Oben angekommen reichte er mir eine Hand und hievte mich hoch. Mit einem großen Schritt konnten wir auf das Flachdach treten. Nelson führte mich zum entfernten Ende, dabei ermahnte er mich, leise zu gehen. Wir warfen uns hinter einer Lichtkuppel flach auf den kühlen Teeranstrich.

Ab und zu lugte der Mond zwischen den Wolken hervor und tauchte alles in ein bleiches Licht mit scharfen Schatten.

Das Dach säumte eine höchstens zwanzig Zentimeter hohe Einfassung. In der Mitte, zwischen den Lichtkuppeln, erhob sich eine Art Aufsatz. Er war etwa einen Meter hoch und zwei mal zwei Meter im Grundriss. Einige Rohre verbanden ihn mit dem Untergrund. Das war die einzige Stelle, hinter der man sich zuverlässig verbergen konnte. Sicher aber auch die erste, hinter der ein Verfolger nachsehen würde.

Die Leuchtreklame verbreitete zudem ein diffuses rosafarbenes Licht, was die Sicht eher erschwerte denn erleichterte.

Die Stimmen von Remo und dem Bullen drangen von der Terrasse herauf. Die Unterhaltung klang recht entspannt, aber es machte mich nervös, dass ich nicht verstand, wovon geredet wurde. Die Stimmen wurden wieder leiser, schließlich sperrte die zuklappende Tür die Geräusche wieder ein.

Nelson stand bereits, als die Tür erneut geöffnet wurde. Zu den Stimmen von eben gesellte sich eine dritte. Ich verstand nur den Namen »Yanet«. Er wurde mehrmals genannt. Nelson warf sich mit einem unterdrückten Fluch wieder hin.

Wir hörten jemand schnaufend und polternd den Holzverschlag erklimmen. Der Polizist mit dem hellen Anzug krabbelte auf das Dach. Er rief Anweisungen nach unten, worauf sich Schritte schnell entfernten. Von Remo war nichts mehr zu hören.

Der helle Anzug hob sich deutlich gegen den Nachthimmel ab, obwohl sich der Bulle geduckt an der Einfassung festhielt. Ich spürte, wie er intensiv über das Dach spähte. Nach ein paar erstarrten Minuten ächzte er sich hoch und watschelte gebückt ein paar Schritte.

»Ei, pode ir saindo logo«3332, rief er.

Nach dem ersten Schreck realisierte ich, dass er nicht in unsere Richtung blickte. Er beobachtete den Dachaufsatz. Nach einer kurzen Pause zog er eine Pistole aus der Jacke. Dann watschelte er zu dem verrohrten Aufsatz, in dem jetzt Wasser rauschte. Unbeholfen bewegte er sich daran entlang und lugte um die Ecke. Er stieß zischend Luft aus, hielt sich an einem Rohr fest und spähte wieder übers Dach. Er war höchstens noch sechs, sieben Meter weg.

Torkelnd näherte er sich noch ein Stückchen. Am nächsten Oberlicht stoppte er wieder schwer atmend. Auf einmal verstand ich, dass er an Höhenangst litt.

Sollte ich hingehen und ihn runterstoßen? Ich wechselte mit Nelson einen langen Blick. Er überlegte etwas Ähnliches, das sah ich ihm an. Wenigstens hatte er keine Knarre in der Flosse. Das war auch besser so, schließlich hatte der Bulle seine Waffe parat und auf die kurze Entfernung traf selbst ein Scheintoter.

Ich hörte den Bullen etwas brummeln, dann flog die Dachterrassentür auf und sein Kollege rief »Senhor Peres, o senhor ainda está alí? O senhor viu alguem? Năo? É melhor que o senhor desca, aqui em baixo tem alguma coisa na moita!«

Ich verstand kein Wort, nur der Tonfall verriet, dass es um etwas Dringendes ging.

»Sim, eu estou indo«3433, antwortete der Polizist. Er watschelte zurück, immer mit einer Hand den Kontakt zum Boden suchend. Wir hörten die Stimmen leiser werden und Nelson sprang auf. Mit drei Schritten erreichte er die nach hinten liegende Dachkante, peilte kurz ins Dunkle, drehte sich herum und schob sich liegend über den Rand nach unten. Ich fürchtete, das Gebäude maß bestimmt zehn Meter Höhe, entsprechend ungläubig schaute ich ihm hinterher. Er winkte mir, dass ich ihm folgen sollte, dann verschwand er.

Trotz des Straßenlärms hörte ich ihn einen Augenblick später aufklatschen. Ich krabbelte zur Kante. Ungefähr fünf Meter unter mir kauerte Nelson auf einem angrenzenden Flachdach und beobachtete die Hinterhöfe und das Gewirr der benachbarten Gebäude. Es wirkte alles dunkel und ruhig. Wieder winkte er, ich sollte zu ihm kommen.

Ich zögerte, mir war der Sprung zu tief. Nelson deutete auf eine Stelle an der Wand, knapp zweieinhalb Meter unter mir. Dort erkannte ich eine Art Sims, wie die Fensterbank eines zugemauerten Fensters. Mir gefiel das überhaupt nicht, aber ich wollte auch wieder runter vom Dach. Also wagte ich mich ebenfalls über den Rand. Die Schwierigkeit begann, als ich in dieser klimmzugartigen Haltung mein Gewicht langsam und kontrolliert nach unten verlagern musste. Schließlich hing ich nur noch an den Fingerspitzen, erreichte aber mit den Füßen nicht den Sims. Mir fehlten ein paar Zentimeter. Zurück war nicht möglich, es blieb mir nichts anderes übrig als einfach loszulassen. Mit den Fußspitzen berührte ich kurz diesen Sims, drückte mich dabei von der Wand ab, damit ich mir nicht das Make-Up am Verputz ruinierte.

Ich prallte auf Nelson. Wir purzelten wie Kegel über das Dach, ich fiel auf meine lädierte Seite und Nelson auf den Bauch. Leise fluchend rappelte er sich auf. Für einen Moment glaubte ich, er würde auf mich losgehen. Dann zog er mich aber nur auf die Beine.

Nelson hastete zum Dachende und winkte mich mit. An der Stelle, die er ansteuerte, schloss sich eine Mauer an, die zwei Höfe voneinander teilte. Wir mussten nochmal eineinhalb Meter absteigen, um auf die breite Mauerkrone zu gelangen.

Auf dem Boden war es nicht schwer auf einem dreißig Zentimeter breiten Pfad zu laufen. Wenn links und rechts nicht gerade Stacheldraht gespannt war. In zweifünfzig Höhe sah die Sache schon ganz anders aus. Auf beiden Seiten stapelte sich Schrott und Gerümpel. Morsch, scharfkantig und sicher rattenverseucht. Nelson zischte auf der Mauer entlang wie ein Zirkusakrobat. Nach etwa fünfzehn Metern knickte die Einfriedung rechtwinklig ab, dann musste er noch ein paar Meter bis zu einem Drahttor zurücklegen. Hier hüpfte er zielsicher auf ein altes Blechfass und von dort auf den Boden.

Ich schlich hinterher.

Das Tor war mit Kette und Vorhängeschloss gesichert, aber so präpariert, dass Nelson es ohne Schlüssel aushaken und öffnen konnte. Es quietschte beim Bewegen nur ganz leise. Wir betraten auf eine dunkle Zufahrt, von der noch weitere Höfe abgingen. Sie mündete in eine unbelebte Straße.

Nelson führte mich dorthin, bog an der nächsten Kreuzung ab. Nicht weit, dann hörte ich den Lärm der Autobahn lauter werden und wir standen an der Ecke zur Rua Bandeirantes. Das Amorosa Louca war keine hundert Meter entfernt. Davor schien alles ganz ruhig zu sein, mal abgesehen vom Verkehr. Keine Menschen am Straßenrand oder zwischen den vielen geparkten Wagen. Einen Polizeiwagen konnte ich nicht entdecken.

Auch der kürzeste Weg zur Pension führte dort entlang. Nach einem Moment Zaudern machte ich mich auf den Weg.

»Ei, policia, alí.«3534

Nelson gestikulierte wild und hielt mich zurück. Er zeigte auf einen hellen Wagen, der sich schräg in eine zu kurze Lücke gezwängt hatte. Das Pufflicht färbte ihn rosa.

Das war ein Argument. Trotzdem wollte ich weg und ins Bett, für den Tag hatte ich genug erlebt. Kurz entschlossen nahm ich die Perücke ab und verstaute sie unter der Jacke. Das müsste für inkognito eigentlich reichen, bildete ich mir ein.

Nelson Kinnlade sackte bis auf seine Fußspitzen. So hatte er mich noch nicht gesehen. Ich sagte »Tschau« und stiefelte los.

Nach ein paar Metern drehte ich mich rum, aber er befand sich immer noch im Schatten des Lieferwagens und stierte mir nach.

Unbehelligt kam ich bis zum Amorosa Louca.

Direkt vor meiner Nase flog die Tür auf. Die Polizisten schoben die widerstrebende Yanet vor sich her. Ich rannte fast in sie hinein. Mitgenommen sah sie aus, verschmierte Schminke und Tränenfahnen unter den Augen, Kratzer im Gesicht, die Haare zerzaust. Immerhin trug sie einen Mantel, nicht nur die Arbeitskleidung. Hastig drängelte ich mich vorbei. Etwa fünfzehn schnelle Schritte später wusste ich, dass sie mich doch erkannt hatte.

»Ah, aqui está ela, esta gringa burra, aqui!«3635

Ihr Geschrei schallte über die Straße. Ich legte einen Blitzstart hin, so gut ich es mit meiner Blessur schaffte.

»Pare, polícia, fique parado!«3736, hörte ich den Bullen mit dem Höhenkoller schreien.

Wildes Getrappel hinter mir. Ich raste auf die nächste Straßenecke zu, doch die Schritte hinter mir wurden schnell lauter. Weit würde ich nicht kommen, wenn kein Wunder geschah.

Ein unbeleuchtetes Motorrad brauste vorbei, stellte sich mir schlingernd und bremsenquietschend in den Weg. Das Wunder war Nelson, noch im Anzug, aber mit Helm. Ich sprang auf und wäre fast wieder runter gefallen, so ruckartig donnerte er los. Ich klammerte mich an ihm und dem Sitz fest, während er abbog. An der nächsten Ecke bog er nochmal ab und jagte Sekunden später in die Zufahrt hinein, aus der wir vorher zu Fuß herausgekommen waren. Die letzten Meter rollte die Maschine mit ausgeschaltetem Motor in eine dunkle Ecke.

Kurz danach tönte eine Sirene, erst lauter werdend, dann leiser, dann wieder lauter. Der weiße Wagen donnerte mit Karacho an der Zufahrt vorbei. Auf dem Dach klebte ein Blaulicht. Ein paar Minuten später kam er wieder vorbei, diesmal bedeutend langsamer.

Danach entspannte sich Nelson. Er zog den Helm ab und holte mal wieder sein Purpfeifchen raus. Die nächste halbe Stunde verbrachten wir ohne zu reden, nur hin und wieder in aromatische Qualmwolken gehüllt. Schließlich schlich Nelson zur Straße, hielt die Nase spürend wie ein Wolf in den Wind. Er kam zurück, setzte den Helm auf, drehte das Motorrad und sah mich an.

»Onde?«, fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. »A casa?«

»Sim, pension Aida«3837, sagte ich.

Er nickte und wir fuhren los, langsam und gesittet.

An Kreuzungen hielt er besonders wachsam Ausschau. Mir war das mäßige Tempo recht, ich fror im Fahrtwind. Bald waren wir in der Nähe der Pension. Nelson hielt in einiger Entfernung an, um die Lage zu peilen. Er bedeutete mir, dass er »aqui« auf mich warten würde.

»Porque?«, fragte ich, weil ich den Grund nicht verstand.

»Policía na pension, possible«, sagte er, »mais perigoso, alí.«3938

Irgendwas mit Gefahr und Polizei. Machte er sich nun Sorgen um mich? Das hätte er früher machen sollen, nicht da, wo es fast eigentlich schon zu spät war.

»E onde?«, fragte ich.

»A mi casa«, lautete seine lapidare Antwort. Er spürte, dass ich nicht überzeugt war.

»Alina alí, tambêm.«4039

Ich war unschlüssig, was ich tun sollte. Auf keinen Fall wollte ich mich tiefer in windige Situationen hineinziehen lassen. Ich hatte nur die Perücke abgenommen, nicht mein Hirn. Andererseits hatte er schon recht, dass die Bullen auch in die Pension kommen könnten.

Was Yanet über mich wusste, war mir schleierhaft. Bisher hatte ich aber keinen Grund gesehen, den Mädels nichts über meine Unterkunft zu erzählen.

Mein Schädel brummte wieder und fühlte mich schlagskaputt. Ich wollte nur reingehen und mich aufs Bett schmeißen.

Nelson wurde ungeduldig, er hob die Hände mit den Handflächen nach oben, zog die Augenbrauen hoch und fragte »E?«

Ich nickte. Ja, ich musste mich entscheiden, anstatt draußen in Winterstarre zu fallen.

»Okay«, erwiderte ich und schob ab. Mir war selbst nicht klar, was ich damit meinte.

Leise öffnete ich die Tür, Nora sollte nichts mitbekommen. Im Eingang brannte die Nachtbeleuchtung und aus ihrem Reich hörte ich einen Fernseher quäken. Auf Zehenspitzen schlich ich hinauf in mein Zimmer.

Auf dem Bett lagen meine gewaschenen Klamotten, eine Tafel Schokolade obenauf. Ich setzte mich daneben.

Viel zu packen würde es nicht geben. Was würde Nelson wohl tun, wenn ich ihn einfach draußen sitzen ließ und mich in die Decken einrollte?

Die Matratze wollte mich verschlingen. Drei Nächte hätte ich noch gehabt, dann hätte ich ohnehin gehen müssen. Wenn Nora mich nicht ohne Kohle dort gedulden hätte? Vielleicht hätte ich ihr im Haus helfen müssen.

Mir drängte sich die Vision auf, wie sie mich an ihr Bett dirigierte, ihren Rock hochhob, unter dem sie nackt war. Ich sollte mich zu ihr runter beugen, mit der Nase die graugesprenkelte Wolle zerteilen und sowohl Geschmack als auch Geruch ignorierend mit Zunge und Mund meinen Aufenthalt verdienen.

Ich stand sofort auf. Meine Sachen stopfte ich in den Rucksack und rollte die Decken zu einem Paket. Den Schlüssel warf ich auf das nackte Laken, dann schlich ich mich davon. Nachdem ich die Außentür hinter mir zu gezogen hatte, hastete ich mit eingezogenem Kopf zum Motorrad.

»Rápido, rápido«4140, sagte ich. Er konnte für meinen Geschmack gar nicht schnell genug losfahren.

13

Nelson steuerte auf den Seitenstreifen, bremste plötzlich ab und lenkte in eine Lücke zwischen den Betonabsperrungen. Auf dieser Seite der Schnellstraße gab es jede Menge dunkles Gelände, erst in einiger Entfernung funzelte Licht. Wir mussten noch in der Stadt sein, denn wir waren nur zwanzig Minuten unterwegs gewesen.

Nach den Absperrungen wurde der Untergrund holprig und führte bergab. Nelson ließ das Motorrad sehr langsam rollen und wich den tiefsten Furchen, die im Scheinwerferlicht als dunkle, unergründliche Pfützen erschienen, aus. Ein paar Hunde rannten kläffend auf uns zu. Nelson ignorierte sie. Aus der Nachtschwärze schälte sich eine Bretterbude heraus, oder war es Wellblech? Schon waren wir daran vorbei und es tauchten noch mehr Buden auf. Sie standen alle auf der Seite des zerfurchten Pfades, die der Schnellstraße zugewandt war. Umgeben von mickrigem Gesträuch, manche dicht aneinander, andere mit genügend Platz für Gerümpel drumherum. Hinter den Hütten stieg der Fahrdamm bis weit über die Dächer an. Dort dröhnten Lastwagen und strichen Lichtkegel von Scheinwerfern vorbei. Bis auf die struppigen Köter wirkte alles öde und verlassen Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich vielleicht bei Nora geblieben.

Nelson hielt auf eine der wenigen zweistöckigen Baracken zu, die anscheinend das Ende der Ansiedlung bildete. Dieser Bau sah besser aus als die meisten anderen. Er war komplett aus Holz zusammen gezimmert. Er verfügte über eine Art einstöckigen Anbau, davor lag, umschlossen von einer Holzeinfriedung, ein Vorgarten. Die Vorderfront der Baracke zierte eine kleine Verandaüberdachung. Wir tuckerten darunter und Nelson stellte den Motor ab.

Ich war froh, dass ich absteigen konnte, trotz der Decken war mir saukalt geworden.

Während ich mir die Füße vertrat, näherten sich knurrend ein paar Hunde. Sie hatten es eindeutig auf mich abgesehen. Irgendwo hatte ich mal gehört, dass Hunde Schwarze und Weiße am Geruch unterscheiden könnten. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie es bei mir probierten. Nelson bückte sich kurz, griff zum Boden und hob den rechten Arm. Die Viecher gingen sofort auf Respektabstand.

Nelson trieb sie aus dem Vorgarten, dann stellte er eine verwitterte Holzpalette in die Eingangsöffnung des Zauns. Er schloss das Motorrad mit einer voluminösen Kette ab, schnappte seinen Helm und öffnete die windschiefe Tür, die in den Anbau führte.

Eigentlich wollte ich sein Zuhause nicht kennenlernen. Aber ich war in diesem Moment auf ihn angewiesen, wenn ich nicht auf der Straße schlafen mochte.

Nelson kramte im Dunklen herum. Es wurde hell. In einer Ecke lehnte eine Leuchtstoffröhre, deren Leuchtkörper zur Wand zeigte und für indirektes Licht sorgte. Ich war überrascht, mit elektrischem Licht hatte ich nicht gerechnet.

Ich stand in einem Jungenzimmer. Die Wände waren mit Plakaten voll gepinnt. Auf einem liebkoste ein Bürschlein namens Robinho einen Pokal, ein anderes zeigte einen Typen in Alufolie, der mit der Faust aus einem Rennwagen winkte. Turnschuhe und volle Ascher wetteiferten um die Geruchshoheit. In einer Ecke lag eine Matratze. Ein Stuhl, der aussah wie aus einem Straßenlokal entführt, und eine verschrammte Kommode rundeten die Einrichtung ab. Es war letztlich eine jämmerliche Bretterkiste von höchstens zehn Quadradtetern Größe, durch deren rohe Wände der Straßenlärm ungehindert eindrang.

Nelson hing seine Jacke an einen Nagel und setzte sich auf die Matratze. Er gähnte ausgiebig, öffnete Schlips und Hemdkragen, dann kratzte er sich langsam am Kopf. Ich befürchtete, er würde gleich einschlafen, während ich noch herumstand. Er blickte zu mir auf und klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich.

Glaubte er wirklich, dass ich mich zu ihm legen würde? Ich wollte nicht mal die Nacht mit ihm im selben Zimmer verbringen. Mir war sein Blick auf meine Erektion noch im Gedächtnis. Außerdem musste ich mal.

»Alina, onde?«, fragte ich. Nelson schaute auf die Uhr.

»Em breve«, murmelte er matt.

Schlauer machte mich das nicht.

»Banheiro?«4241 Mit dieser Frage ging ich das andere Problem an. Nelson stemmte die Lider hoch, dann sich selbst. Er nahm eine Taschenlampe von der Kommode, mit der er nach draußen stiefelte. Ich folgte ihm. Hinter der Bretterbude, aber noch innerhalb der Umzäunung, stand ein Klohaus. Mit der Taschenlampe wagte ich mich hinein. Hätte der Geruch geleuchtet, wäre ich ohne Schneebrille blind geworden.

Zum ersten Mal in meinem Leben pinkelte ich in ein Loch in einem Brett. Obendrein litt ich immer noch an dem Ständer, was die Sache nicht einfacher machte. Es plätscherte so laut unter mir, dass ich fürchtete, die Brühe würde mir an den Hintern spritzen. Zum Abwischen gab es Zeitungspapier. Ich suchte mir ein Stück ohne Foto. Händewaschen gab es nicht. Draußen entdeckte ich dann den kleinen Graben, der vom Klo wegführte und sich im Dunkeln verlief.

Zurück am Haus hörte ich Nelson mit jemandem reden. Alina saß auf dem Stuhl und hörte sich an, was an dem Abend geschehen war, soviel begriff ich. Ich war sehr erleichtert sie zu sehen. Besonders, weil sie mich nach dem ersten Schreck über meinen kurzgeschorenen Schädel freundlich begrüßte. Nachdem Nelson alles erzählt hatte, gähnte sie ausgiebig.

»Ich bin müde. Willst du auch schlafen, Ne-uw? Schläfst du bei mir? Morgen besprechen wir alles, oder?«

Wir ließen Nelson alleine. Alina führte mich zu der anderen Tür, die sie leise öffnete. Sie legte den Zeigefinger auf die Lippen und flüsterte »Meine Mama schläft.«

Vorsichtig bewegte sie sich durch einen größeren Raum mit knarrendem Boden, an einem Tisch mit etlichen Stühlen vorbei zu einer Leiter. Die führte durch ein Loch in der Decke nach oben.

Wir kletterten die Leiter hinauf. Erst dort schaltete Alina eine Lampe ein. Auch ihr Zimmer war eine Holzkiste, allerdings in Barbieausführung. Spiegel, Vorhang, eine Vase mit Grünzeug, in der Mitte ein kleiner Teppich auf den rohen Brettern. Das Bett war ordentlich gemacht und mit einer Decke überzogen. Die kleine Nachttischfunzel tauchte Teile des Raums in tiefe Schatten. Alina zeigte auf einen Vorhang und flüsterte »Dort schlafen die Kinder.«

»Welche Kinder?«

»Meine. Und meine Schwestern.«

»Viele?«

»Zwei Kinder und zwei Schwestern.«

Das hatte mir gerade noch gefehlt, ein paar schmutzige Rotznasen, die beim ersten Sonnenstrahl krakeelen würden, egal ob ich noch schlief oder nicht.

Dort wohnten also mindestens sieben Personen auf höchstens vierzig Quadratmetern. Das war ungefähr die Größe meiner Wohnung in Berlin.

Alina schüttete Wasser aus einem Kanister in eine rote Plastikschüssel auf der Kommode und machte Katzenwäsche. Ich tat es ihr gleich, nachdem ich mich notdürftig abgeschminkt hatte.

Sie schälte sich aus ihren Jeans, zögerte einen Moment, zog sich das T–Shirt über den Kopf und legte den BH ab. Natürlich drehte ich mich diskret weg, achtete aber darauf, dass ich doch alles sehen konnte. Leider verschwand ihr geschmeidiger Körper sofort unter einem Schlafshirt. Der Slip blieb an.

Ich streifte den Nuttenkram ab. Mit Schlafshirt und Slip konnte mich wieder zu ihr drehen. Sie saß auf dem Bett und betrachtete mich. Auf dem Schoß hielt sie ein Kissen. Sie klopfte mit der Rechten sachte auf die Matratze. Ich schnappte meine Decken aus der Pension und ließ mich neben ihr nieder.

»Du bist auch ein hübscher Junge«, sagte sie.

»Ich bin kein Junge.«

»Aber du hast was von einem Jungen.« Sie zeigte auf meine immer noch geschwollene Körpermitte.

»Das spielt überhaupt keine Rolle.«

»Schade.«

»Das ist viel wichtiger.« Ich zog mein Schlafshirt hoch und zeigte ihr meinen Busen.

»Ja, das ist auch schön«, erwiderte sie, »aber das habe ich selbst.«

Sie schob mein Kissen zum Fußende und bettete ihren Kopf auf das Kissen gegenüber.

Aha, so sollte das also sein. Ich war enttäuscht und erleichtert zugleich. Ohne einen Tropfen Alkohol war ich zu gehemmt, Körperkontakt hatte ich ebenfalls genug. Alina löschte das Licht und wühlte sich in ihre Decke.

Wenig später ging ihr Atem ruhig und gleichmäßig.

Ich fühlte mich ganz nah und ewig weit weg.

Noch eine ganze Weile lag ich wach, geplagt von meinem Brummschädel. Was war mit Yanet passiert, so scheiße wie sie aussah? Warum wurde sie von den Bullen mitgenommen?

Beim ersten Piep war ich hellwach. Der Straßenlärm wühlte schon länger in meinem Gehörgang, zum Halbschlaf hatte es aber immer noch gereicht. Das Kinderquaken dagegen war zu nah und zu fremd. Zwei knopfäugige Zwerge in Schlafanzügen, die ich ins Zimmer wuseln sah, peilten verlegen zu mir rüber.

Alina brummelte verschlafen irgendwas, da kuschelten sie sich zu ihr ins Bett. Damit war es mit der Ruhe endgültig vorbei. Sie zappelten wie Kaulquappen und schnatterten wie Gänse.

Ein paar Minuten hielt ich das aus, dann setzte ich mich auf. Jetzt starrten mich drei Paar Kastanienaugen an.

Alina stellte uns vor, der ältere hieß Marc, die Rotznase war Andre.

Eine Weiße mit raspelkurzem Stoppelhaar in Mamas Bett, daran mussten sie sich erst gewöhnen.

Ich war jedenfalls erschüttert, denn Alina musste schon als Jugendliche schwanger geworden sein.

Unten hörte ich jemand klappern und scharren. Ich zog mich an und kletterte hinunter.

Der Wohnraum war möbliert mit dem großen Tisch, einem Geschirrschrank, dem die Glastür fehlte, Kühlschrank und Herd, sowie einer Kommode mit Glotze.

Hinter einem halb offenen Vorhang konnte ich ein zerwühltes Bett und einen schmalen Kleiderschrank erkennen. Die Hintertür stand offen. Sie führte hinaus zum Scheißhaus und lockte mit einer großen Raute Sonnenlicht auf den abgewetzten Brettern. Langsam schlenderte ich dorthin.

Ich sah mir die Gegend genauer an. Zur einen Seite gab es noch mehr Bruchbuden, Gerümpelhaufen und struppiges Gesträuch dahinter. Da und dort ragten die emporschießenden Blätter von Bananenstauden in die Höhe. Geradeaus erhob sich der vermüllte Fahrdamm, auf dem der Verkehr brauste. Über allem spannte sich ein blauer Himmel mit ein paar hingesprenkelten Federwolken.

Zur anderen Seite gab es keine Hütten mehr, nur eine Art Trampelpfad verschwand im Gestrüpp. In einiger Entfernung erhob sich ein Hochspannungsmast, dessen Leitungen den Himmel in Streifen schnitten.

Ich ließ mir die Sonne aufs Gesicht scheinen. Das war wenigstens etwas.

»Ola«, sagte eine Frauenstimme hinter mir. In der Tür stand eine drahtige Frau mit silbern durchwirktem dunklen Haar, das durch einen Pferdeschwanz straff an den Hinterkopf gezogen wurde. Ihr Blick wirkte skeptisch.

»Bom dia«, sagte ich, stolz auf mein schnell gelerntes Portugiesisch, »eu seu Nel, amiga da Alina e Nelson.«4342

»Muito prazer«, erwiderte sie und kam ein Stückchen näher. »Eu sou Marta, a mae. Você viu« Sie zögerte, sucht nach Worten. »Você viu o Jose Luis, o meu mais velho, morto na clínica, não foi?«4443

Ich verstand ungefähr worum es ging. »Cristina?«

Sie verzog den Mund, sagte etwas unwillig »Sim, Cristina.«

Es folgten noch ein paar unverständliche Sätze. Marta merkte es, sie hielt inne, dann reichte sie mir die Hand.

»Seja bem vind! Alina devo traduzir. Um cafezinho?«4544

Ich nickte heftig. Sie deutete auf die offene Tür und ging vor.

Zwei Mädchen deckten den Tisch. Die Ältere, vielleicht vierzehn, hatte ihre Haare zu einem buschigen Pferdeschwanz gebunden, der ihr weit über den Rücken hinunter reichte. Ein rosa Top und bauchfreie Jeans mit weißem Gürtel wiesen sie als Teenager aus. Die Kleinere trug die Haare kurz und steckte in Jeans einem grüngelben Brasilien–T–Shirt.

Auf der Kommode im Hintergrund brodelte Wasser in einem Topf mit Tauchsieder. Marta stellte uns vor.

»Minhas filhas, Luiza e Dani. Este é Nel.«4645

Dani, die Ältere, blickte mich kaum an, ihr »Ola« war fast unhörbar. Luiza schien weniger schüchtern, sie musterte mich neugierig.

Alinas Kinder kletterten die Leiter herunter. Andre zog mich am T–Shirt und plapperte auf mich ein.

»Não falo portugûes«4746, erwiderte ich. Von solchen Kleinigkeiten ließ er sich jedoch nicht aufhalten. Als ich ihm auf seine Fragen nicht antwortete, zeigte er mir ein Spielzeugauto.

Luiza schickte ihn vom Tisch weg, weil er beim Fahren alles rammte, was im Weg stand. Da zeigte ich ihm, wie das Auto Arme, Beine, Bauch und Rücken hoch und runter fahren konnte.

Marta stellte mir eine Tasse Kaffee hin. Andre setzte sich sofort neben mich und überschüttete mich mit einem neuen Redeschwall.

Zum Glück ließ sich nun Alina blicken, das lenkte ihn ein von mir ab. Schließlich saßen wir alle außer Nelson am Tisch.

An Martas Kopf vorbei blickte ich auf ein großes Plakat, das über ihrem Bett hing. Ihr röhrender Hirsch war ein bärtiger älterer Typ mit der Ausstrahlung eines Teddybärs. Darunter stand Luiz Inácio Lula da Silva und Vota PT, dazwischen, richtig groß Zero Foam. Marta bemerkte meinen Blick.

»Nosso presidente«4847, erklärte sie.

Alina übersetzte, dass Lula schon viel für sie getan hätte und er ein Glück für Brasilien wäre. Wegen ihm hätte man endlich Strom und irgendwann werde es auch ordentliche Häuser geben.

Vielleicht sollte er bis dahin genügend Bretter, Wellblech und Plastikplanen spendieren, dachte ich ohne es auszusprechen.

Ich vermutete stark, dass Martas Kinder von verschiedenen Männern stammten, von denen aber keiner mehr eine Rolle spielte. Im Präsidenten hatte sie sich einen ausgesucht, der sich nicht so leicht aus dem Staub machen würde, sie aber genauso enttäuschen konnte.

Ich fragte Alina, ob sie zur Arbeit musste oder die Kinder zur Schule, aber Alina lachte und erklärte »Heute ist fünfzehnter November, Feiertag.4948 Nur Mama arbeitet, heute kann sie gute Geschäfte machen. Wir gehen zum Parque do Ibirapuera. Dort treffen wir Freunde und Verwandte. Willst du mitkommen?«

»Hat das Amorosa Louca heute zu?«

Mich plagten Geldsorgen, ich brauchte cash.

»Heute ist Montag, da ist es zu«, erwiderte Alina. »Heute feiern alle, die nicht unbedingt arbeiten müssen.«

Meine Knete musste also bis morgen Abend reichen. Ich wollte mich auf keinen Fall von der Ribeirofamilie aushalten lassen.

Marta war nach einem Kaffee schon fertig, sie schnappte sich eine Tasche und ging. Ich fragte mich, was sie arbeitete, ihren Aufzug mit Cordhose, fleckiger Jacke und dicken Schuhen konnte ich keinem Job zuordnen. Nach Chefposten sah es jedenfalls nicht aus.

Ich half den Mädchen beim Abräumen und Abspülen, Alina hantierte mit Plastikeimern, Wasser und Tauchsieder herum. Als ich Pipi machen musste, sah ich sie hinter der Hütte an einem wackeligen Tisch mit mehreren Eimern, in denen sie Wäsche stampfte. Ich holte sofort meine schmutzigen Sachen, stellte mich dazu und machte mit.

Es gab Berge zu bewältigen, anstrengend war es auch, aber ich tat gerne etwas Sinnvolles. Dabei brannte uns die Sonne auf den Pelz und wir plauderten.

Ich betrachtete Alina heimlich, weil ich ein Anzeichen der anderen Seite an ihr suchte. Von dieser Aggressivität war jedoch nichts zu sehen, sie schien wie weggeblasen.

»Seit wann wohnt ihr hier?«, fragte ich.

»Sind jetzt zwei Jahre her.«

»Und wo habt ihr vorher gewohnt?«

»In Paraisópolis. Ungefähr ein Jahr.«

»Wieso seid ihr hier in eine Favela gezogen?«

Alina lachte. Es klang bitter.

»Paraisópolis ist auch eine Favela. Aber viel schlimmer als hier. Rodrigo ist dort verschwunden. Hier ist es besser für uns. Mama und Nelson haben eine Arbeit.«

»Was macht Nelson eigentlich im Amorosa Louca, wenn er kein Callboy ist?«

Alina senkte die Stimme. »Er ist Hausmeister, putzt und hilft aus. Er redet nicht gern drüber. Angeblich ist das kein Job für einen Mann. Aber er kann froh sein, dass ihm Cristina den vermittelt hat.«

Sie kicherte leise.

»Aber wer ist Rodrigo? Und warum seid ihr überhaupt in eine Favela gezogen?«

»Rodrigo ist der Vater von Andre und Marc. Vielleicht tot, vielleicht weggelaufen, wer weiß? Außerdem sind wir nordestinos.5049 Für uns gibt es keinen anderen Platz.«

»Was sind nordestinos?«, fragte ich.

»Wir sind aus dem Norden hergezogen, aber uns mag hier niemand. Sie sagen, wir nehmen ihnen von dem Wenigen, was sie haben, zu viel weg.«

Das kannte ich auch aus Deutschland, wobei die Armen nicht aus dem Norden kamen.

Eine Pause entstand, bis Alina mit verträumtem Blick weitersprach.

»Ich möchte irgendwann in einem richtigen Haus wohnen, mit Garten und Zimmer für alle. Mit schönem Bad. Und fließendem Wasser. Nicht mehr am Tankwagen kaufen.«

Sie seufzte. »Und einer Waschmaschine natürlich.«

Wir hingen die Wäsche auf gossen das Wasser in den Abflussgraben hinter dem Grundstück.

Ab und zu kam jemand den Trampelpfad entlang, grüßte und wechselte ein paar Worte mit Alina. Ich wurde bestaunt als neues Objekt des Siedlungstratsches.

»Oi.« Nelson trottete verpennt aus dem Haus. Andre hing an seinem Unterarm und bremste ihn auf dem Weg zum Klo.

Ich ging mit Alina Kaffee machen. Dani lümmelte vor der Glotze. Das Programm erschien mir noch dämlicher als deutscher Kommerzmüll. Erst nach kurzem Streit mit Alina reduzierte sie die Lautstärke.

Nach dem Kaffee sollte Alina Nelsons Haare schneiden. Er fürchtete, dass sein blondierter Hahnenkamm einfach zu auffällig war.

Ich sah mich in der Zwischenzeit vor dem Haus um. Dort existierte ein Stromkasten. Das Kabel dazu hing an Masten, die den Weg zur Straße säumten. Eine dünne Leitung führte zum Haus.

Vom Weg fiel das Gelände sanft ab zu einem Fluss, der sich bräsig dahinschleppte. Bäume und Büsche suchte man dort vergebens, es gab nur schnell wachsendes Grünzeug, dazwischen viele Flächen mit Flusskieseln und allerlei Unrat.

Jenseits des Wasserlaufs lag ein Streifen Grünland, dahinter Fabrikhallen. Zwischen Weg und Wasser gab es keine Hütten. Sicher überschwemmte der Fluss öfter mal das Gelände, entsorgte den Abfall und brachte dafür neuen.

Etwa zwanzig Bruchbuden säumten den Fahrweg, gegen die meisten war das Ribeiroanwesen eine komfortable Villa. Alle hatten Satellitenschüsseln, so groß wie Obstkörbe für Riesen.

14

»Hallo Nel«, rief Alina. Sie winkte mir, ich sollte kommen. Nelson packte das Motorrad für den Ausflug in den Park. Ich erkannte ihn kaum wieder. Seine Schwester hatte alles weggeschnitten was blond war und noch Einiges mehr. Nur ein paar Millimeter trennten ihn von der Glatze.

Die Maschine wurde so beladen, dass er niemand mitnehmen konnte. Wir anderen gingen zur Straße, dort gab es eine Bushaltestelle. Dani blieb zu Hause.

Zweimal mussten wir umsteigen und für das letzte Stück in die brechendvolle Metro.

Wir kamen an einem Haupteingang zum Park heraus, genauso wie Hunderte mit uns.

Alina erklärte, dass Kinder gerne geklaut wurden. Deshalb passten wir in diesem Gedränge höllisch auf sie auf.

Mit den Massen strömten wir in eine Allee, die zu einer grünen, dunklen Röhre verwachsen war.

Nach ein paar hundert Metern verlief sich die Menge langsam, wir hielten uns nach rechts und verließen den Hauptweg über eine Wiese. Etwas später erreichten wir einen riesigen Teich, dessen Saum wir folgten.

Überall auf den weitläufigen Wiesen und am Wasser hatten sich Leute niedergelassen. Paare bevorzugten das Ufer.

Trotzdem war immer noch genügend Platz. Eingeengt musste sich niemand fühlen. Aus einer Gruppe von etwa zehn Leuten winkte uns Nelson mit beiden Armen.

Alina stellte sie mir alle der Reihe nach vor, den Schwall an Namen und Verwandtschaftgraden konnte ich mir aber nicht merken. Ricardo war zum Glück nicht dabei. Dafür gehörten viele Kinder dazu.

Wir breiteten Decken aus, darauf wurde das Essen drapiert. Es gab Obst, Salate, Gebäck, kleine Würstchen und Berge von Bananen.

Ich aß sehr wenig und auch nur, weil es mir aufgenötigt wurde. Schließlich hatte ich weder etwas mitgebracht noch etwas davon gekauft.

Die Schatten wurden langsam länger und der Himmel bezog sich schleierig. Auf dem Rücken liegend betrachtete ich die Wolken. Das Geplätscher der Unterhaltung lullte mich ein. Manchmal verstand ich einzelne Worte, damit fantasierte ich mir was zusammen. Nelson erzählte etwas über mich, der Name Sorocaba fiel ein paar Mal. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er die ganze Wahrheit berichtete.

»Alí, Isabel.« Nelson sprang auf und wedelte mit den Armen.

»Ola, Isabel, aqui.«

Ich richtete mich auf. Eine braunäugige Kleine mit langen Haaren kam lachend näher. Sie trug Jeans und Flipflops. Schwarz lackierte Zehennägel glänzten.

Nachdem sie alle begrüßt hatte, war ich an der Reihe. Sie betrachtete meine Stoppelhaare.

»Cool. Hallo, ich bin Isabel.«

Mein Herz machte einen Hüpfer, denn sie sprach Englisch.

»Meine Mutter ist mit dem Bruder von Martas erstem Mann verheiratet, also ich bin eigentlich auch eine Kusine von Alina und Nelson. Und natürlich von Dani und Luiza.«

»Freut mich. Ich bin Nel.«

Ich gab ihr sehr förmlich die Hand. Zu förmlich, für das was ich fühlte.

»Ich komme gerade von der Arbeit und muss sofort was essen.«

Sie setzte sich neben mich und griff zu.

Zwischendurch redete sie viel und lebhaft, wechselte übergangslos von Portugiesisch zu Englisch und zurück. Ich betrachtete sie unauffällig. Sie gehörte zu denen, die im Alter richtig rund werden würden, dachte ich. Bis dahin hatte sie nur einen runden, festen Hintern und eine beachtliche Oberweite.

Nach einer Weile legte ich mich wieder auf den Rücken und betrachtete die Wolken. Sie sollte nicht merken, dass ich sie anstierte.

Ich fühlte mich beobachtet. Tatsächlich ruhte Isabels Blick auf mir. Sie wendete sich nicht ab, als ich ihn erwiderte.

Ihren Gesichtsausdruck wusste ich allerdings nicht zu deuten. Ob sie etwas über die Vorfälle in Sorocaba wusste?

»Wie lange wirst du noch hierbleiben, Nel?«

Ich war über diese Frage so überrascht, dass ich ins Stottern geriet.

»Bis … Am vierten Dezember kann ich … geht mein Flug.«

Sie stand auf und verabschiedete sich. Wieder gab ich ihr die Hand, obwohl ich sie lieber umarmen wollte.

Ich starrte hinter ihr her, bis sie nicht mehr zu sehen war. Alina bemerkte es und verzog den Mund.

Die Kinder quengelten, sie waren müde und mussten nach Hause. Wir suchten unsere Sachen zusammen und gingen.

Von der Bushaltestelle an der Siedlung aus musste ich Andre tragen, so fertig war er.

Das Haus lag verwaist, Dani war nicht da. Eigentlich ideal für Diebe, die Türen wurden zwar verriegelt, aber selbst ich hätte ohne Weiteres eine dieser Bretterbuden einrennen können. Dort musste man den Nachbarn trauen, oder seine Hütte ständig bewachen.

Ich ging runter zum Fluss, über dem der Sonnenuntergang den Himmel wie Heringsalat in Rosaschattierungen einfärbte. Die Ratten kamen zum Spielen raus.

Isabels Blick ging mir nicht aus dem Schädel.

Knirschende Schritte schreckten mich auf. Ein Typ näherte sich, brummelt »Oi«, dann setzte er sich einen Meter entfernt hin.

Nach einer Minute öffnete er den Mund und redete. Nach ein paar Sätzen stellte er eine Frage, die ich nicht verstand. Ich sah ihn mir genauer an. Er war ein halbes Hemd mit ledrigem Gesicht. In den tiefen Falten um Mund und am Hals kreuzten graue Stoppeln die Klingen. Selbst über die Entfernung stellte ich fest, dass er so roch wie er aussah. Mit »Não falo portugûes« wollte ich ihn loswerden.

Er ließ sich nicht beirren. Wieder begann er mit seinem Gequassel, nur diesmal langsamer. Einige Worte wiederholte er mehrmals und so ganz allmählich begriff ich, worum es ging. Er erwähnte Nelson und Alina, sagte mehrfach »Sorocaba« und »Cavalcani«. Einen Satz wiederholte bestimmt zehnmal, wobei er sich immer wieder an die Stirn tippte. Zum Schluss erzählt er was von »dinheiro«.

»Ah, ich glaube du willst Geld, du fiese Kanalratte. Du glaubst, du weißt was, womit du Kohle machen kannst, was?«

Ich sagte das nicht unfreundlich, aber auf Deutsch. Schließlich wusste ich nicht, wie gefährlich er war, über den Gestank hinaus. Ich konnte mir auch nicht denken, woher dieser Penner irgendwas wissen konnte.

»Tja, da hast du Pech«, sagte ich und stand auf, drehte mich zu ihm und zog meine leeren Hosentaschen auf links. Das musste eigentlich ein internationales Zeichen sein. Er gaffte mich ungläubig an, verzog das Gesicht und faselte was von »gringa« und »dinheiro«.

»Hast Recht, du hässliche Schleimkröte«, erwiderte ich im Nel-Normalmodus, »klar hab ich Kohle. Ist redlich zusammengefickt. Kannst du haben, Drecksack.«

Damit schnipste ich ihm eine Fünfzig-Centavo-Münze vor den Latz. Sie plinkerte an ihm runter in den Kies.

Er sprang auf und drohte mir mit der Faust.

»Ha, willst du boxen? Mit dir nehm ichs auf. Komm schon, ich hab richtig Lust dir eine reinzuhauen.«

Ich nahm die Fäuste hoch und machte einen Schritt auf ihn zu. Eigentlich war das nicht meine Art, aber er hatte mich in die richtigen Stimmung gebracht.

»Nel!«, rief Alina. Sie war auf dem Weg zu uns. Einen Moment hielt der Kerl unschlüssig inne, dann schlurfte er davon. Leider war meine beschauliche Abendstimmung ruiniert. Ich ging Alina entgegen.

»Was wollte Pepinho von dir?«, fragte sie.

»Geld erpressen, glaube ich. Er hat was von Sorocaba und Cavalcani gefaselt. Aber ich bin pleite.«

Alina blieb ruckartig stehen.

»Sicher? Canalha, wie kann er davon Wind bekommen haben? Wir reden mit Nelson, wenn er nach Hause kommt. Mama ist zu Hause, sollst ihr von Jose Luis erzählen … Cristina natürlich. Mama sagt immer Jose Luis.«

Wir schlenderten langsam zurück. Alina hakte sich bei mir ein.

»Gefällt dir Isabel? Viele wollen sie, aber sie ist lésbica, du verstehst? Du, was bist du? Bisschen Mann und bisschen Frau, oder was?«

Die Frage war für Außenstehende nicht leicht zu beantworten, deshalb nahm ich die Abkürzung.

»Lésbica tambêm.«5150

»Ah, muss ich Angst vor dir haben, eh?«

Sie ließ mich los und lachte.

Marta wartete auf uns. Sie sah ernst und müde aus. Ihre Haare und die Hose waren mit Sägemehl übersät.

Das Reden fiel mir schwer, ein hartnäckiger Frosch saß in meinem Hals und ich musste mich dauernd räuspern und Tränen zurückhalten. Bisher hatte ich keine Gelegenheit gehabt, Cristinas Tod zu verdauen, das spürte ich deutlich.

So gut es ging beantwortete ich Martas Fragen.

Sie wirkte bedrückt, als sie sich hinter ihren Vorhang zurückzog.

Ich wollte mich auch gerne hinlegen, aber ich traute mich nicht. Es war Alinas Bett.

Draußen knatterte Nelsons Motorrad, ein paar Minuten später stand er in der Tür.

Alina nahm ihn sofort wieder mit nach draußen. Ich folgte. Alina redete auf ihn ein.

Nelsons gute Laune verschwand auf der Stelle. Stattdessen ballte er die Fäuste und schimpfte. Nicht lange, dann lag er mit Alina im Streit. Nelson beendete den erregten Wortwechsel, indem er einfach ging. Alina lief hinter ihm her und hielt ihn nochmal am Arm fest. Er riss sich los und verschwand in der Dunkelheit.

»Er geht zu Pepinho. Ich will das nicht, er macht bestimmt einen Fehler. Aber er will nicht hören.«

So was hatte ich mir schon gedacht. Einen Moment standen wir schweigend herum. Alina fragte »Schlafen?«

Okay, same proceedure as last night, Ms. Sophie, dachte ich.

Ich klammerte mich fest, weil Nelson das Motorrad im Zickzack durch die Autokolonnen jagte. Sollte ich doch runter fallen, würde ich nicht auf dem Asphalt landen, da war kein Platz. Eher auf einer Windschutzscheibe. Bestimmt hätte der Fahrer die Sichtbehinderung mit dem Scheibenwischer zu beseitigen versucht.

Wir waren auf dem Weg zum Amorosa Louca, darauf hatte ich den ganzen Tag gewartet.

Aus Langeweile war ich spazieren gegangen. Zuerst musste ich durch eine Freiluftlatrine. Hier kam mir das Berliner Hundescheißesonar sehr zur Hilfe.

Ich war am Fluss, der Cabuçu hieß, entlang gelaufen bis zur Einmündung in den Rio Tiete.5251 Der Tiete war ein ähnlich trauriges Rinnsal, nur breiter. Vielleicht stank er auch anders.

Nelson bog in die Rua Bandeirantes ein. Langsam rollten wir am Amorosa Louca vorbei. Dann bog er noch zweimal ab, weil er das Motorrad an den versteckten Platz hinter dem Puff stellen wollte.

Ich verließ mich ganz auf Nelsons Bullenspürnase, so gelangten wir unbehelligt ans Ziel.

Remo ließ uns schweigend ein. Sorgfältig schloss er hinter uns ab. Er geleitete uns in sein Büro, warf sich in seinen Schreibtischstuhl und betrachtete uns nachdenklich.

Über seiner rechten Augenbraue hatte er eine verfärbte Schwellung mit einem frischen Schramme.

Eine Minute unbehagliches Schweigen folgte. Als Nelson den Mund aufmachte, stoppte ihn Remo.

»Klappe halten. Ihr hättet mir sagen müssen, dass ihr diesen Arzt gekillt habt. Verdammt, ich muss so was wissen.«

Er redete abwechselnd Portugiesisch und Englisch.

»Benutzt mal euren Grips, falls ihr welchen habt. Dieser Cavalcani ist ein bekannter Schönheitschirurg, der macht aus Vogelscheuchen richtige Barbies. Für ziemlich einflussreiche Leute hier in der Stadt. Außerdem ist er bei der PP.5352 Der hat Freunde ganz oben. Die Sache verläuft nicht so einfach im Sand.«

»Aber ich wollte das nicht …«

»Seht mich an.« Er zeigte auf sein Gesicht. »Glaubt mir, ich habe wirklich gute Kontakte, aber das ist mir noch nie passiert. Fast hätten die mich eingebuchtet. Zum Glück gibts da diesen Staatsanwalt … Geht euch nichts an. Jedenfalls ist die Sache noch nicht ausgestanden. Die suchen jetzt, bis sie welche finden, denen sie das anhängen können. Bevor sie das bei mir probieren seid ihr dran, merkt euch das.«

Nach dieser Ansage beruhigte sich Remo allmählich wieder.

»Nel, du kannst deine Visage hier nicht mehr sehen lassen, das ist einfach zu riskant und du bist zu ersetzen. Nur den Laden hier kann ich nicht alleine schmeißen, ich muss jemanden finden, dem ich trauen kann, das dauert ein paar Tage. Bis dahin muss Nelson helfen. Aber er muss sich aus der Schusslinie halten.«

»Was ist mit mir? Ich brauche das Geld. Eine andere Frisur habe ich doch auch.«

»Nel, halt mal die Luft an. Ich sehe das, aber bei dir hilft das nicht viel. Du siehst dermaßen europäisch aus. Für dich habe ich was anderes. Das ist weitgehend bullenfrei. Nächsten Montag mache ich eine Party für ein paar Leute mit viel Geld und hohen Ansprüchen. Ganz privat, da machst du mit. Denk dir einen anderen Namen aus. Sicher ist sicher. Ich zahle Dreihundert fix. Das heißt aber, alles machen, was die Kunden wollen und Open End. Sollte kein Problem sein, die sind fast alle über Fünfzig, saufen gerne und wir fangen nachmittags um sechs an. Du bist um halb fünf hier. Verstanden?«

Natürlich willigte ich sofort ein. Zwar klang das wie völliger Müll und eine Zumutung, aber es war ein Strohhalm.

»Was ist eigentlich mit Yanet? Warum haben die Bullen sie mitgenommen? Hat sie mich verpfiffen?«

»Das geht dich nichts an. Ich glaube, das willst du auch nicht wissen. Jedenfalls ist sie selbst schuld. Für ne Nutte ist es gesünder die Klappe zu halten, auch bei den Bullen. Für mich ist das ein schwerer Verlust. Da musst du eigentlich für aufkommen.«

»Wie meinst du das? Du weißt, dass ich nichts habe.«

»Wir finden schon was. Aber nicht jetzt. Zisch ab, bevors hier losgeht.«

»Ich will noch Geld für den abgebrochen Abend.«

Remo zog die Augenbrauen zusammen. Dann warf er wortlos fünfzig Reais auf den Tisch.

Ich verkniff mir weitere Fragen und haute ab. Mir war fast ein bisschen leicht ums Herz, denn ein paar Tage frei von dieser Arbeit hatte was von Begnadigung. Außerdem kam ich an meiner Kneipe vorbei und für ein Gläschen hatte ich genug einstecken.

15

Nur noch zwei Tage bis Montag. Ich saß vor der Hütte und langweilte mich. Ein Typ mit einem Handkarren rumpelte den Weg entlang. Das Auffälligste an ihm waren seine dreckstarrenden Lumpen.

Er warf die Beutel mit dem Müll, die Marta heute Morgen an den Zaun gestellt hatte, auf seinen Karren. Er machte kehrt und das Knirschen der Karrenräder verklang. Ich wollte rein und einen Kaffee holen.

In dem Moment, in dem ich die Nase durch die Tür steckte, landete eine Faust mittendrauf. Fest und ziemlich überraschend. Ich sah Sternchen und kippte um.

Die Sternchen verblassten, weil der Mond aufging. Ich hob den Kopf. Über mich beugte sich ein stämmiger Kerl, der sich die Handknöchel rieb. Sein Kopf war rund wie ein Kürbis, aus kurzen braunen Locken ragten zwei fleischige Ohrläppchen wie Suppentassenhenkel heraus. Dicke goldene Ringe hingen daran. Seit ich in São Paulo war, lag ich für meinen Geschmack zu viel vor den Fußspitzen von unterbelichteten Typen herum. Aus meiner Nase rann es warm über die Lippen, es schmeckte nach Blut.

Noch ein paar andere Typen bevölkerten die Hütte. Einen kannte ich. Das war der Gnom, den Alina Pepinho genannt hatte. Er sah so aus, als wäre er neulich mit einer Wand zusammen gestoßen.

Neben Dani stand ein junger Schlacks mit einer Hand auf ihrem Schlüsselbein. Genau dort platziert, wo der Hals begann und das T-Shirt die nackte Haut freigab. Vor Martas Bett kauerte ein Typ mit Narbenfresse, der halb gebückt auf jemand darunter einredete. Sein Tonfall war freundlich und beruhigend, also hatte sich der Kleine dort verkrochen.

»Was wollt ihr?«, fragte ich und wollte aufstehen. Mit einem gezielten Tritt beförderte mich der Kürbiskopf wieder auf die Bretter.

Aus dem Hintergrund schob sich ein kleiner, moppeliger Typ, Anzug und graumeliertem Bart wie Lula, Anzug nach vorne.

»Português?«, fragte er.

»Não, no entiendo.«5453 Das Reden fiel mir schwer.

»Espaniol?«

»Ja, ein bisschen«, erwiderte ich.

»Wo ist Nelson?«

Pepinho mischte sich ein, zeigte nach nebenan. Der Anzugträger schickte den Kürbiskopf und den Typ vom Bett nach nebenan.

»Aufstehen und hinsetzen.«

Ächzend gehorchte ich. Ich hätte dringend einen Lappen gebraucht, um das Blut aufzufangen. Es tropfte jetzt nicht nur auf mein Shirt, sondern auch auf die Jeans. Dafür hatten Männer wie er natürlich keine Augen. Die hatte er auf meinen Busen gerichtet. Damit nicht genug, er war so dreist zu betatschen.

»Puta, eh …«, grunzte er.

Ich musterte seinen Hosenlatz, dann trat ich zu. Leider erwischte ich ihn nicht richtig. Er fluchte und scheuerte mir eine. Mir wurde für Momente schwarz vor Augen.

Mit einigem Getöse schleiften die Kerle Nelson herbei. Zum Aufwecken hatten sie seine Lippe blutig geschlagen. Große Lust auf Widerstand strahlte er nicht aus. Vor dem Anzugträger duckte er sich regelrecht. Der hielt ihm einen Vortrag. Pepinho stand dabei und warf mit zeternder Stimme die eine oder andere Bemerkung ein.

Die Kerle ließen Nelson los. Dann durfte Pepinho vortreten und zuschlagen. Er machte es nicht routiniert, aber mit Inbrunst. Nelson wehrte sich nicht. Er ließ die Arme hängen und schwankte mit den Schlägen hin und her.

Dani gab einen Schreckenslaut von sich. Der Schlacks grub seine Finger noch tiefer in ihre Haut, mit der anderen packte er ihren Pferdeschwanz. Sie hielt still und die Hand wanderte in das T-Shirt hinein.

Pepinho verstauchte sich die Flosse und ließ von Nelson ab, nachdem er ihn noch mal getreten hatte.

Der Anzugträger redete nun von Geld, soviel konnte ich verstehen.

Nelson schüttelte mehrfach den Kopf, während er seinen Kiefer vorsichtig abtastete. Der Anzugträger wendete darauf sich an mich. »Du musst Geld geben.«

»Woher soll ich Kohle haben, du saublöder Bock?«

»Spanisch reden«, sagte er laut.

»Ich habe nichts, bin pleite. Was glaubst du, warum ich hier hause?«, radebrechte ich.

»Du hast Geld gestohlen von dem reichen Arzt. Wo ist das?«

»Wir haben dort nichts gestohlen.«

»Dann …« Er überlegte. »Dann nimmt Toni das Mädchen mit.«

Er zeigte zu dem grinsenden Schlacks rüber, der in Danis T–Shirt herumwühlte. Sie wimmerte leise.

»Nimm deine Dreckpfoten da weg. Du, du …« Ich suchte ein Schimpfwort. »Du stronzo!«5554

Die Wut trieb mich vom Stuhl hoch. Ich wollte auf der Stelle jeden ungespitzt in den Boden rammen.

Die Narbenfresse packte mich am Arm und am Shirt. Der Ausschnitt zog sich fest in meine Kehle. Ich musste stillstehen. Er fasste sofort nach, verstärkte seinen Griff und ich konnte nur noch mit den Augen rollen.

»Pass auf«, sagte der Anzugträger, »oder du kommst auch mit. Franco will dich bestimmt gerne haben.«

Ich überlegte fieberhaft. Mir musste was einfallen, aber schnell.

»Moment, wartet. Ich habe doch Geld.«

»Ah, du hast Geld? Wo?«

»In meiner Hosentasche. Der soll ich mal loslassen.«

Ein kurzes Kommando, dann konnte ich mich wieder bewegen. Mit scharfem Blick verfolgte er, wie ich in meinen Hosentaschen suchte. Die paar Reais ließ ich stecken, um die ging es mir nicht. Rechts hinten wurde ich fündig. Ich warf einen verknitterten Scheck über zehntausend Dollar auf den Tisch. Der Anzugträger nahm ihn, las, drehte und wendete das Papier und kratzte sich am Kopf.

»Woher hast du das?«

»Hat mir die Klinik gegeben.«

Das stimmte zwar nicht ganz, aber in dieser Situation nahm ich es nicht so genau.

Er überlegte und überlegte. So hatte er sich das Geld wohl nicht vorgestellt. Andererseits schienen zehntausend Dollar eine heftige Versuchung zu sein. Endlich fasste er einen Entschluss.

»Gut. Aber wenn der falsch ist, kommen wir zurück. Dann bist du dran. Das Mädchen auch.«

Nelson ließ sich widerstandslos zur Seite schubsen. Durch die offenen Türen hörten wir ihre Schritte leiser werden. Wir verharrten wie gelähmt.

Andre krabbelte weinend unter dem Bett hervor und kletterte auf Danis Schoß. Ich ging nach draußen und wusch das Blut aus meinem Gesicht. In dem Spiegelstück zeigte sich die verheerende Verwüstung, die diese Kerle angerichtet hatten. Meine linke Wange war feuerrot, Nase und Augen geschwollen, obwohl ich nicht geflennt hatte, keine Träne, ehrlich.

Ich schleppte mich wieder rein. Nelson saß am Tisch und tastete seine Blessuren ab.

»Du verdammter Blödmann, saublöder Depp«, fauchte ich.

Nelson buckelte mit einem waidwunden Blick. Er hatte zwar nichts verstanden, wusste aber, weshalb ich wütend war.

»Está PCC«5656, sagte er leise.

Das sagte mir nichts, ich zuckte mit den Schultern.

»Mafia.«

Das klang arg ehrfürchtig. Sicher war ich dumm genug, dass ich keine Angst hatte. Nelson dagegen war völlig zusammengesunken und ich glaubte kurz vorm Heulen. Ich bereitete einen Kaffee, weil ich eine gute Mutter war. Und weil ich selber einen brauchte.

»Obrigada«5757, hauchte Dani. Mit großen verweinten Augen sah sie mich an. Sieh mal an, das Mädel hatte trotz ständigem Fernsehen begriffen, um was es ging und dass ich sie verteidigt hatte.

»Ist schon okay«, sagte ich und nahm sie in die Arme. Dann öffneten sich auch bei mir alle Schleusen.

15

Ich saß in meiner Stammkneipe, trank ein Gläschen Roten und wartete darauf, dass es halb fünf wurde. Äußerlich war ich vorbereitet. Das Nuttenzeug war unter der schmuddeligen Jeans versteckt und dazu hatte ich mich für die verlatschten Treter entschieden. Die anderen Schuhe steckten in meinem Rucksack.

Ich nahm mir vor sofort aus der Favela zu verschwinden, sobald ich das Geld für diesen Einsatz eingesackt hatte. Bis dahin hoffte ich, dass die Kerle von der Mafia nicht zurück kämen.

Fast beneidete ich Marta um ihren Job. Mit ein paar anderen zimmerte sie aus Schrottholz Gartenhütten. Ihr Arbeitsplatz lag unter der Brücke einer Autobahnkreuzung. Auf die Leitplanken stellten sie die Musterbuden.

Dummerweise hatte ich schon immer nur linke Hände.

Es wurde Zeit.

Ich atmete tief durch und machte mich auf den Weg.

Wir fuhren mit einem Sonnenbrillen tragenden stiernackigen Fahrer, der uns im Rückspiegel beobachtete. Ich saß zwischen Carmen und Franca. Mir hätte es gut getan, wenn sie dasselbe Parfum benutzt hätten.

So war es wie auf einem Jahrmarkt für die Nase. Von der einen Bude die Oberkrainer, von der anderen Discosound. Meine Duftrezeptoren orientierten sich zu Carmen. Sie hatte mir gefehlt.

Den Platz vorne hatten wir Ana–Jeisol und ihrer Überlänge gelassen.

Die Lange schwatzte unentwegt, zog sich mit Hilfe des Spiegels in der Sonnenblende die Lippen nach, gackerte über ihre eigenen Scherze und sorgte für die Unterhaltung.

Auf die Strecke achtete ich nicht so sehr. Asphalt, Abgase und Hochhäuser hingen mir schon zum Hals raus.

Carmen erklärte mir, wie es bei einem Puff-Homeservice zuging. Am meisten schreckte mich das Großkotzgehabe der reichen Säcke. So interpretierte ich jedenfalls die Geschichten, die Carmen erzählte. Auf einer dieser Parties wurden die Nutten an Leinen geführt und mussten sich nach Fingerschnipsen auf allen Vieren nähern, um den Typen einen zu blasen.

Nach fast einer Stunde bogen wir in eine Tiefgarage ein. Dort passierten wir eine Schranke, an der uns die Wachleute nach kurzer Kontrolle schmunzelnd durchwinkten.

Nach dem Parken hinderte uns der Chauffeur am Aussteigen. Wir müssten warten, bis Remo mit dem zweiten Wagen neben uns angekommen war. Er transportierte die andere Hälfte des Kommandos. Wir wurden zu einem Aufzug geführt, der mit serviço5858 beschildert war. Der Stiernacken schloss ihn auf und wir zwängten uns hinein.

Ich wurde zwischen Carmen und Dayana, einer gertenschlanken jungen Transfrau, eingequetscht. Mit von der Partie waren noch Patty und Giovanna. Ich konnte beim besten Willen nicht sagen, welche cis waren und welche trans.5959 Der Aufzug brauchte lange, bis er zum Stehen kam. Über eine Sprecheinrichtung meldete uns der Stiernacken an.

Die Tür öffnete sich in den Flur einer Wohnung. Dort erwartete uns ein junger Typ im Anzug. Remo wurde von ihm mit Handschlag begrüßt, der Stiernacken musste mit einem Kopfnicken zufrieden sein.

Wir anderen wurden nur kurz taxiert, dann in ein Zimmer geschickt.

Ein kahler Raum, nur ein großer Resopaltisch mit ein paar Stühlen, eine Bank und ein fahrbarer Kleiderständer mit Bügeln. Dort hing eine einsame Schürze. Ein Rollo verdunkelte das kleine Fenster, an der Decke sorgte eine Neonröhre für krankes Licht.

Remo hielt einen kurzen Vortrag, bei dem er auf die eine oder andere zeigte, unter anderem auch auf mich. Bevor er ein paar Sätze auf Englisch erübrigte, stellte er den Typ im Anzug als Carlos Texeira vor.

»Nel, wenn du was nicht verstehst, frag Carmen, die kennt sich aus. Ich bleibe im Hintergrund und passe auf. Bei Fragen kannst du dich auch an Carlos halten. Von den Kunden können wahrscheinlich alle Englisch. Wir zeigen ein paar Vorführungen. Du machst mit beim Sandwichfick. Viagra drin? Gut, okay. Ihr wartet hier. Wir holen euch. Ihr geht erst mal an die Bar, schön langsam, damit die Kunden Appetit kriegen. Noch Fragen?«

Ich fragte mich, ob ich den Kunden den Appetit verderben konnte, ohne dass es Remo merkte. Ich betrachtete mich nochmal in Carmens Taschenspiegel. Mit dem dunklen Lidschatten und üppig aufgetragenem Lippenstift erkannte ich mich kaum wieder. Mein Gesicht schien schmäler geworden zu sein, fast hohlwangig. Die Spuren der Keile hatte ich mit reichlich Make-Up überdeckt.

Alle fummelten ein bisschen nervös an sich herum, wühlten in ihren Handtaschen nach Mentholkaugummis oder rauchten.

Nach zehn Minuten holte uns Texeira. Durch eine schwere Tür führte er uns in einen gediegenen Vorraum. Dunkle Holztüren, cremefarbene Wände, blaugrauer Teppichboden.

Wir durchquerten noch eine Tür und betraten einen riesigen Salon. Direkt gegenüber flutete Tageslicht durch eine Glasfront, die sich auf eine grüne Dachterrasse öffnete, herein. Dahinter türmten sich die Hochhäuser von Downtown.

Seitlich schloss ein um zwei Stufen vertiefter Wohnbereich mit dunklem Parkett an. Riesige Bilder bedeckten die wenigen freien Wandflächen.

Auf den ledergepolsterten, eingebauten Sitzbänken des Wohnbereichs hockten unsere Kunden. Glotzende Männer in Anzügen, Gläser in den Pfoten.

Wir trippelten langsam zur Theke. Alle wackelten mit den Ärschen, außer mir.

Die Theke war klein, wirkte aber mit ihrer polierten Holzplatte kostspielig wie alles in diesem Penthouse. Die Flaschenbatterien glitzerten.

Giovanna übernahm den Ausschank. Sie hatte sich in ein schwarzes, kurzes Flatterkleid, das an den Seiten nur mit ein paar Schnüren zusammengehalten wurde, gewandet. Darunter trug sie sichtbar nichts. Sie strich ihre blonde Mähne nach hinten und blickte uns erwartungsvoll an.

Alle bestellten sich einen Drink. Ich nicht, ich wollte einen klaren Kopf behalten. Zumal sich an einem Thekenende schon zwei Männer andockten, die uns musterten. Einen davon kannte ich. Schaffrath, der Lulli aus dem Konsulat.

Scheiße, das war alles, was ich dabei dachte. Diesem halbseidenen Heini hatte ich was vorgejammert und dann begegne ich ihm bei einem Ringelpiez für Schweineschwänze.

Dayana und Patty schwebten zu den Typen hinunter und fragten, ob die etwas mit ihnen trinken würden. Einer von ihnen, ein schlanker Kerl zwischen Vierzig und Fünfzig spielte den Dolmetscher. Einige verstanden offenbar kein Portugiesisch.

»Das ist Ruben Felipe Pinhão Coelho«, flüsterte Carmen, »er ist Polizeioffizier.«

Verdammt, das hatte ja so kommen müssen. Ich hoffte nur, die Testoschübe vernebelten seinen Verstand.

Außer dem Polizeioffizier lümmelten noch vier andere Männer auf den Polstern herum. Einer von ihnen hatte schon gut getankt. Er redete viel, laut und jovial. Sicher ging er stramm auf die Sechzig zu, trotz seiner vollen, grauen und dunklen gesträhnten Haare.

Ich war überzeugt, dass sein Krawattenknoten das Einzige war, das auf Halbmast hing. Wenigstens hockte er nicht so steif herum wie die anderen.

Er war auch der erste, der handgreiflich wurde. Er zog Dayana auf seinen Schoß und fummelte an ihr rum.

Dann übergab er sie dem kleinen Dicken mit der Goldrandbrille neben ihm. Ich hätte wegen seinem Urlaubsteint wetten können, das er ein Brasilianer war. Dayana lachte vergnügt und strich dem Dicken über den Kahlkopf.

Der angesäuselte Typ stemmte sich aus den Polstern und schritt zur Theke. Mit dem, was er bestimmt für unwiderstehlichen Charme hielt, ging er Giovanna um einen Drink an.

»He, Frank«, sagte er zu Schaffrath, »haben Sie das auch schon mal probiert? Caipirinha mit Guarana, hervorragend, wenn Sie den Kater ohne Kopfschmerzen überstehen wollen.«

Vor Schreck zuckte ich zusammen. Kein Wunder, das waren die ersten deutschen Worte, die ich seit dem Telefonat mit dem Konsul hörte.

Schaffrath zeigte seine Bierflasche vor.

»Danke für den Tipp, aber ich trinke am liebsten Bier.«

»Matthew, wie ist es mit Ihnen? Einen brazilian macho?«6060, fragte er nun den Burschen neben Schaffrath.

Der schüttelte den Kopf.

»No, Mr. Cleancomer.« Nach brazilian macho sah er auch überhaupt nicht aus, eher schlapp und schwammig. Allerdings klingelte es bei mir, als ich diesen Namen hörte. Ich wusste bloß nicht, wann und wo ich ihn schon mal gehört hatte.

»Hey Klaus, komm her«, rief Pinhão Coelho den Angesäuselten. Der Polizeioffizier balancierte ein Tablett auf den Knien. Aus einem Beutel mit weißem Pulver formte er auf der glatten Fläche einige Linien. Die erste zog er sich mit einem grüngelb geringelten Strohhalm selbst in die Nase. Vorsichtig reichte er das Tablett herum. Ich sah genau, wer sich bediente und wer nicht. Der Dicke mit dem Urlaubsteint griff ebenfalls zu, ein alter, hagerer Typ mit dickrandiger Brille und Sonnenbrand zwischen seinen flusigen Haarresten lehnte ab.

Die Vertretertype mit dem geschniegelten Graukopf und dem Schnauzer musste sich erst erklären lassen, wie er sich bedienen musste. Das übernahm Klaus, der sofort zur Stelle war. Ich hörte ein paar deutsche Wortfetzen.

Vielleicht sollte ich mich an einen Deutschen ranmachen, damit er mir hilft, überlegte ich. Männer neigten ja immer zur Gefühlsduselei, wenn sie gesoffen und gefickt hatten. Zuerst war ich aber dran. Auf Remos Zeichen nahm Carmen mich mit zu den Lederpolstern, wo Franca sich an einem etwa fünfzigjährigen Kerl mit raspelkurzem Haar zu schaffen machte.

Wir schnappten uns Franca, jede auf einer Seite. Carmen rollte ihr Stretchkleidchen hoch und zeigte dem Typen ihre rasierte Möse. Er starrte wie das Kaninchen auf die Schlange. Oder umgekehrt.

Wir zogen Francas Schenkel weit auseinander, damit er auch einen Blick auf ihr rosiges Arschloch werfen konnte.

Klaus beugte sich zu ihm hinüber.

»Hey Jack, was mögen Sie lieber? Cunt or ass?«6161

Statt einer Antwort schluckte Jack nur schwer.

Wir platzierten Franca auf ein bereitgelegtes Polster, dann ging es zur Sache.

Zuerst knutschten wir herum und brachten uns soweit wie möglich auf Touren. Dann schälten wir Franca komplett aus ihrem Kleidchen.

Ich ignorierte alles andere und orientierte mich nur an Carmen.

Zuerst griff sie in Francas braune Mähne und bugsierte sie so zwischen uns auf die Knie. Dann schob sie meinen Schwanz zwischen Francas Lippen. Ich ließ Franca nur kurz gewähren, dann drehte ich ihren Kopf herum und dockte sie bei Carmen an. Wenn die ganzen Typen nicht gewesen wären, hätte mich das Spiel richtig angemacht, so musste eben Viagra helfen. Carmen drückte Franca in meine Arme und setzte den bereitliegenden Vibrator an. Dazu spreizte ich Francas Schenkel so weit als möglich. Auch Carmen achtete darauf, dass die Männer alles sehen konnten. Franca maunzte und windete sich ein bisschen, aber es war alles nur Show. Zuerst ließ Carmen den Vibrator um Francas Loch herum tanzen, bevor sie ihn langsam versenkte.

Die Typen dahinter sabberten mit leicht offenen Mäulern. Ich musste meinen Blick abwenden, sonst wäre mir schlecht geworden. Zum Abschluss nahmen wir Franca zwischen uns, penetrierten sie von zwei Seiten und ließen sie hin und her flippern, bis sie Orgasmus spielte.

Ich musste anschließend ganz schön fummeln, um meine Erektion wieder unter den Klamotten zu verstauen.

Franca machte sich dagegen an Jack ran. Dessen Kopf leuchtete wie eine Glühbirne. Carmen brauchte sich nicht anzuziehen, sie wurde von Pinhão Coelho, dem Polizeichef, abgeschleppt.

Bei der Gelegenheit entkam ich zur Theke und orderte bei Giovanna ein Glas Wein. Klaus folgte mir, zum Glück hatte er aber Patty, Jack und Franca im Schlepptau. Sie verschwanden durch eine Tür.

Gerade als Remo mich zurück zu den Männern schicken wollte, tauchte Schaffrath neben mir auf. Kurz entschlossen rettete ich mich in ein Gespräch mit ihm.

»Gehört das hier zur normalen Entspannung für Leute vom Konsulat?«

»Nein, das nicht.« Er rieb sich den Unterkiefer. »Das sind besondere Umstände. Aber Sie haben mir einen Bären aufgebunden. Ich dachte, Sie seien aus Berlin und nun jobben Sie hier. Fanden Sie das zu peinlich, um es mir zu erzählen?«

Remo beobachtete uns. Es kam hier sicher nicht oft vor, dass er als mehrsprachiger Lude verständnislos neben einem Gespräch stand.

»Doch, ich komme aus Berlin. Aber nach der Sache mit der Klinik habe ich Geld gebraucht. Wenn Sie mir geholfen hätten, müsste ich hier nicht jobben.«

»Es tut mir leid. Aber inzwischen habe ich neue Informationen. Vielleicht …« Er brach ab und schaute sich nach Worten suchend um.

»Los, spucken Sies aus. Ich brauche immer noch Hilfe.«

»Ja«, sagte er zögernd, »eigentlich bin ich beruflich hier, zu dieser … hm, Veranstaltung hat mich Dr. Klinkhammer, äh, Klaus eingeladen. Den haben Sie sicher schon bemerkt.«

»Himmel, das ist ihr fachkundiger Konsul? Verdammt, seine Stimme kam mir bekannt vor.«

»Nicht so laut. Der mit dem Schnäuzer ist auch Deutscher. Ich weiß noch nicht, was hier alles läuft. Aber vielleicht können wir uns gegenseitig helfen.«

»Raus damit, wenn Sie eine Idee haben.«

Er nickte.

»Okay. Es wäre ganz gut für mich, wenn Sie mit mir in eins von den Schlafzimmern gingen. Keine Sorge, ich will nichts von Ihnen. Für mich ist es aber besser, wenn die anderen denken, ich würde hier richtig mitmachen. Ich muss Ihnen da noch was erklären, aber nicht hier. In einem Schlafzimmer können wir uns in Ruhe unterhalten. Okay?««

Ich ließ mich nicht lange bitten, schnappte mein Glas und hakte mich bei ihm ein.

»Gehen wir, Frank.«

Schaffrath führte mich und sein Flaschenbier durch die Tür, hinter der die anderen verschwunden waren. Wir betraten einen kurzen Flur. An der Stirnseite endete er in einer Tür mit Rauchglasscheibe, durch die mattes Licht schien. Rechts und links gab es noch mehr Türen.

Schaffrath öffnete die letzte links. Uns erwartete ein kleines Schlafzimmer mit einem breiten Bett. An der gegenüber liegenden Wand gab ein Fenster den Blick auf die Skyline frei. Das Zimmer war gerade groß genug, damit man um das Bett herumgehen konnte. Schaffrath verriegelte die Tür, wir setzten uns auf die Bettkante. Über dem Kopfteil hing ein Kunstdruck à la Diego Riviera, der sich in der Spiegeltür des Einbauschrankes verdoppelte.

»Insgesamt gibt es fünf davon«, sagte Schaffrath, dem nicht entgangen war, wie ich mich umgesehen hatte.

»Wie, fünf? Von was?«

»Fünf Schlafzimmer. Hinter der Glastür ist das größte, das benutzt aber nur der Hausherr selbst.«

»Wer ist das, der Hausherr?«

»Ruben Felipe Pinhão Coelho. Das ist der Schlanke mit den dunklen Haaren, der ohne Brille. Ein Polizeikommandant bei der Militärpolizei. Er hat uns heute die Wohnung gezeigt. Die kleinen Schlafzimmer können wir benutzen, wenn wir in Ruhe … äh, also Sex haben wollen.«

Ich trank einen Schluck Wein.

»Warum wollen Sie nicht mitmachen, obwohl Sie hier sind?«, fragte ich.

Schaffrath holte tief Luft und senkte die Stimme.

»Okay, Frau Arta, das war doch Ihr Name? Ich erkläre Ihnen jetzt mal ein bisschen was. Wir haben beim Deutschen Generalkonsulat ein Problem mit Dr. Klinkhammer. Es gibt Klagen über sein Verhalten. Angeblich kassiert er für bestimmte Leistungen Schmiergeld. Außerdem gibt es Gerüchte, dass er Kontakte überall hin hat, auch zu Leuten, die in illegale Geschäfte verwickelt sind. Das vergessen Sie bitte sofort wieder, das sage ich Ihnen nur, damit Ihnen klar wird, worum es geht. Sie sehen ja auch selbst, was er hier treibt. Wir können ihn nicht einfach rausschmeißen. Das gäbe einen Riesenskandal. Einflussreiche Brasilianer haben durch ihn gute Geschäfte gemacht und protegieren ihn. Der kleine Dicke zum Beispiel ist Luis Enrique Pastrana, er ist Ministerialbeamter im Wirtschaftsministerium der Provinzregierung. Der mit dem Sonnenbrand ist Tom de Vries von der Amrobank, die wollen hier ein paar neue Projekte finanzieren. Egal, unwichtig für Sie. Es ist überhaupt besser, wenn Sie nicht zu viel wissen, das kann für Sie gefährlich werden. Uns geht es darum, Dr. Klinkhammer dazu zu bewegen, seinen Posten freiwillig aufzugeben. Uns fehlen nur die richtigen Argumente. Da könnten Sie uns helfen.«

»Wie haben Sie sich das vorgestellt? Ich hab von nichts eine Ahnung und kennen tue ich auch keinen von den Typen. Warum hat dieser Kokainklausi Sie überhaupt eingeladen?«

Schaffrath hob beruhigend die Hand.

»Moment. Es soll nicht gefährlich für Sie sein. Wenn wir außer mir einen Zeugen hätten für diese Sause mit dem Stoff und dem ganzen Kram, wären wir schon einen Schritt weiter. Ich bräuchte eine schriftliche Aussage von Ihnen und die Zusage, dass Sie dies notfalls in Deutschland vor Gericht wiederholen, sonst nichts. Sie können auch noch zusätzlich die Ohren aufsperren, vielleicht schnappen Sie was auf, was wir gebrauchen können. Betrunkene sind manchmal ganz schön unvorsichtig. Klinkhammer hat mich eingeladen, weil ich seit ein paar Wochen viel mit ihm zu tun habe, wir bereiten die Deutsch–Brasilianischen Industrie- und Handelstage vor. Ich habe einfach versucht, einen engeren Kontakt zu bekommen. Also, wollen Sie das machen?«

»Von wollen kann keine Rede sein. Was ist mit der Sache in der Klinik? Hat Klinkhammer da auch seine Finger drin?«

Schaffrath zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht, es kann aber sein. Ich werde mich darum kümmern. Versprochen. Also, helfen Sie mir? Ich könnte auch über einen kleinen Hilfsfond ein bisschen Geld lockermachen.«

Er blickte mich erwartungsvoll an. Die Geschichte hatte mir gerade noch gefehlt. Wenn er rauskriegen würde, was noch geschehen war, würde er garantiert einen Rückzieher machen.

»Okay, ich versuchs. Hauptsächlich, weil mir diese Arbeit nicht gefällt. Ohne Papiere ist es auch.«

»Mir würde Ihre Arbeit auch nicht zusagen, und mit dem illegalen Job, nunja, ganz unberechtigt sind ihre Befürchtungen nicht. Hier kommt man schnell ins Gefängnis.«

Er beugte sich vor und redete sehr leise. »Möglicherweise zieht Dr. Klinkhammer schon den Schwanz ein, wenn wir präsentieren, was wir haben. Dann bleibt Ihre Anonymität gewahrt und Sie sind sicher. Also, Stillschweigen, ziehen Sie niemand ins Vertrauen. Äußerste Vorsicht. Hier ist meine Karte, rufen Sie mich morgen an. Wir machen einen Termin und Sie kommen zu mir aufs Konsulat. Okay? Nochmal, sehen Sie sich vor mit dem schnauzbärtigen Mann. Das ist Dr. Kellner vom VDI. Er ist anscheinend ein guter Bekannter von Dr. Klinkhammer. Und er versteht natürlich Deutsch.«

Er überreichte mir seine Karte. Aber ich hatte keine Tasche. Schließlich steckte ich sie in die geschlossene Spitze des Schuhs. Wir tranken schweigend aus.

»Wir sollten wieder rüber gehen, oder?«, fragte Schaffrath. »Mit … Sex könnten wir doch jetzt fertig sein, nicht wahr?«

Am liebsten hätte ich ein Triumphgeheul ausgestoßen. Dieser Knabe musste meine Rettung sein. Ich glaubte, er war ein netter, mitfühlender Kerl. Nur vielleicht ein bisschen dämlich. Aber so waren Männer nun mal, damit konnte ich umgehen.

»Moment, Frank, warten Sie.«

Ich verwuschelte seine Haare, so gut es bei diesen kurzen Haaren eben ging. Dann zog ich ihn heran und verschmierte meinen Lippenstift in seinem Gesicht. Er zuckte zwar zusammen, ließ es aber geschehen.

»Das Hemd. Knöpfen Sie es auf und falsch wieder zu. Ja, so, und einen Knopf offen lassen. Gut so, okay. Wenn Sie mein Mann wären und so nach Hause kämen, würde ich Ihnen eins mit dem Nudelholz über die Birne ziehen. Sind Sie verheiratet?«

»Ja« sagte er, »aber ich machs ab, bevor ich nach Hause komme. Gehen wir. Nachher werde ich nicht mehr mit Ihnen reden, nur noch so nebenbei. Bis Morgen.«

Schaffrath gab mir die Hand. Diesmal ergriff ich sie.

16

Im Salon war die Ordnung ein bisschen verloren gegangen. Pastrana, der Holländer und Jack waren verschwunden, Giovanna, Patty und Dayana ebenfalls.

Pinhão Coelho stand hinter Ana–Jeisol und schlug ihr mit der flachen Hand auf die nackten Arschbacken. Klinkhammer beobachtete und feuerte ihn an.

»Na Frank, auch auf den Geschmack gekommen?«, rief er Schaffrath entgegen.

Seine Zunge hatte erste Lähmungserscheinungen, der Lautstärke tat das aber keinen Abbruch.

Matthew lümmelte auf den Ledersitzen herum. Auch er beobachtete, was man mit einem Hintern alles anstellen konnte.

Dann nahm er mich ins Visier. Sofort zog ich mich an die Bar zurück. Es half nichts, er folgte mir und quatschte mich an. Ich sollte mit ihm einen Cocktail genießen, sagte er mit öligen Augen. Ich beschloss den gewollten Doppelsinn zu ignorieren und einen Caipirinha zu nehmen. Das sollte aber für den Abend der letzte sein, damit ich einen klaren Kopf behielt. Ein paar Minuten sabbelten wir Müll, aber er wollte unbedingt mit mir ins Separée.

Seufzend schnappte ich mir aus der Schachtel hinter der Theke ein paar Kondome und zog mit ihm ab. Nur noch den heutigen Abend überstehen und keinen Bockmist bauen, dann bin ich gerettet, so versuchte ich mich zu trösten. Wir landeten im selben Zimmer, in dem ich mit Schaffrath geredet hatte.

Matthew redete nicht lange herum, er wollte gefickt werden. Leider roch er ungewaschen und ich mochte weder seine Stimme noch sein schleimiges Geschwätz, aber ich gab mein Bestes.

Dank des Wundermittels war meine Erektion allen Anfechtungen gewachsen und nach fünf Minuten Schwerstarbeit spritzte er in das Gummi ab, das ich ihm vorsorglich übergestreift hatte. Das Gleitmittel rund um seine Rosette hatte sich in braunen Schmier verwandelt.

Matthew verriet mir, dass gegenüber ein Badezimmer zu finden war. Dorthin verschwand ich so schnell wie möglich, ohne ihn grob zu brüskieren. Ich schrubbte mich gründlich und wartete, bis das Kotzgefühl vorbei ging.

Das Bad war ein Traum mit mehreren Ebenen und dunklem Naturstein. Erhellt wurde es durch eine riesige Lichtkuppel. Ich setzte mich auf das Bidet und zählte eine ganze Weile die Wolken.

Im Salon wurde Dinner aufgetragen. Auf dem Esstisch gegenüber der Theke lag Franca. Giovanna schleppte mehrere große Tabletts mit Tapas aus der Küche herbei. Alles scharte sich um sie, während Patty und Giovanna Francas nackten Körper unter der Anleitung des Bullen mit Häppchen dekorierten. Körperstellen, auf denen nichts liegen blieb, wurden mit Guacomole und Tomatensoße bedeckt.

Der holländische Banker setzte eine randlose Halbbrille auf, studierte das Speisenangebot oder den Servieruntergrund eingehend und sonderte dann und wann einen Kommentar ab. Jack amüsierte sich über de Vries Aussprache. Dessen Englisch klang, als hätte er seine Zunge gegen einen Rollmops eingetauscht.

Pastrana fraß schon eins der Tabletts kahl. Er kaute langsam und bedächtig, aber unerbittlich.

Mich ekelte es schon wieder, also ging ich zur Theke und ließ mir noch einen Wein geben. Ich spürte, dass Remo nicht zufrieden mit meinem Benehmen war. Sein Blick unter den zusammengezogenen Brauen fixierte mich scharf.

»Los, rüber mit dir«, zischte er leise, zum Tisch deutend. Den Erfolg des Tages wollte ich nicht gefährden, also fügte ich mich. Ich postierte mich dort, wo ich am weitesten von Matthew entfernt war, landete aber neben Kellner, dem dritten Deutschen mit dem Schnauzbart.

Mit Riesenpupillen glotzte Kellner mich an.

»Hey, who is your name?«

Das musste ich mir zweimal durch den Kopf gehen lassen, bevor ich begriff was er sagen wollte.

»Hallo, ich bin Sabrina. Und Sie?«

»Ach, du kannsch Deutsch?« Er rückte sofort näher. »I bin Dr. Kellner. Du kannsch Bernd zu mer sage.«

Ein Schwabe. Oder irgendwas aus der Gegend. Ich wusste nicht ob ich lachen oder weinen sollte.

»Bernd, so ein schöner Name. Ich habe einen Onkel der so heißt.«

Einen Moment fürchtete ich, ich hätte zu dick aufgetragen. Aber es war nur eine Denkfalte auf seiner Stirn, kein Argwohn. Woher sollte er auch wissen, welch eine Arschgeige dieser Onkel Bernd war.

»Ach, bisch aus Deutschland? Won her?«

»Aus Hannover, und Sie?«

»I bin aus Pforzheim, i bin gelernte Maschinebauinschnör un schaff fürn VDI. Kennschte den? Die meischte Leut kenne den ned, isch abbern große Verband.«

Jaja, so einen Langen wie Kellner hatte ich nicht.

»Interessant. Und was machen Sie in Brasilien?«

Seine Mundwinkel sackten nach unten. »Bissle schaffe, aber am Mittwoch sollt i operiert wern. Des isch aber schief gegange un i muss warte obs no klappt.«

»Weshalb wollen Sie sich operieren lassen?«

Am liebsten hätte ich ihn geschüttelt, damit er nicht so behäbig antwortete.

»I krieg oine neue Niere, aber sagsch ned weider.«

»Wo denn?«

»Na hier.« Er fasste sich auf die Hüfte.

»In welchem Krankenhaus, meine ich.«

»Kahsada Belehsa heischt des. Warum willschte des wisse?«

Ich gab mir große Mühe, dass er meine Erregung nicht bemerkte.

»Haben Sie noch nie davon gehört, dass Menschen hier Organe geklaut werden, zur Transplantation?«

Kellner hob abwehrend die Hände.

»I klau nix. I zahl fünfzehntausend dafür. Kannsch den Klaus frage.«

Ich überlegte, ob ich ihn erschlagen könnte. Dieser Scheißkerl könnte auf eine meiner Nieren scharf gewesen sein. Wenn er wirklich meine Niere bekommen hätte, würde das bedeuten, es gäbe zwischen ihm und mir Gemeinsamkeiten, was mir so widerlich erschien, dass es ein Grund für Selbstmord oder Mord gewesen wäre. Aber auch wenn es nicht um meine Niere gegangen sein sollte, er hätte es verdient, dass ich ihm was antue.

Ich musste das Thema fallen lassen, bevor Klinkhammer darauf aufmerksam werden würde. Nach einer kleinen Pause fing Kellner wieder an.

»Sagemol, bischte a oina vun dene Mannweiber? Hoschte dei Ding no?«

Wie konnte es eigentlich sein, dass solche Blindgänger immer die besten Jobs bekamen und dann noch ins Ausland geschickt wurden? Kein Wunder, dass das deutsche Ansehen in der Welt nicht besser war.

»Mein Ding habe ich noch und es funktioniert auch. Hast du … haben Sie mich nicht gesehen, wir haben doch da was vorgeführt.«

Ich zeigte auf das Polster am Boden. Er patschte sich mit der flachen Hand an die Stirn.

»Ouh, des hen i vgesse. Hat mer abber gfalle. Machschte sowas öffder?«

»Jeden Tag, wenn wir Zeit haben. Das ist gut zum Entspannen. Sollten Sie auch mal machen.«

Er riss die Augen auf, der Schnauzer zitterte. »I wellets gern mol probiera, i wois nur koi, diewos mit mir machet. Moinsch hier … Du un die Gloine … i täts scho gern mache.«

Meine Güte, das fehlte gerade noch. Ich stellte mir vor, wie er seine Hose vorm Weghängen akkurat zusammenfaltet, seine Schuhe parallel ausgerichtet unters Bett schiebt und musste einen Schreikrampf unterdrücken. In diesem Moment wurde das Buffet eröffnet.

»Kommen Sie, Bernd, dazu müssen wir erstmal das ganze Zeugs von Franca runter essen und sie sauber lecken.«

Ich hoffe, das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Carmen hakte sich bei mir ein.

»Alles in Ordnung, Nel? Du siehst nicht fröhlich aus.«

Sie flüsterte ganz leise. Ich auch.

»Alles okay, aber ich habe keine Lust mehr, mein Kopf tut weh.«

»Ach, du Arme. Es dauert nur noch ein, zwei Stunden, dann haben die Männer genug. Schaffst du das noch so lange?«

»Es wird schon gehen, Süße, keine Sorge.«

Pinhão Coelho wartete, bis sich alle eingefunden hatten, blickte grinsend in die Runde und wünschte Guten Appetit. Die Mutigen stürzten sich sofort darauf.

Klinkhammer lutschte an Francas dickem Zeh. Er beobachtete dabei ihr Gesicht. Sie verzog keine Miene, lag ganz ruhig.

Jack begann gleich in der Körpermitte, fraß erst eine Hüfte frei und näherte sich so dem Ziel. In seinem Stoppelbart sammelte sich der Schmier, der es nicht zum Mund schaffte. Selbst von der Stirn schob sich Brei in den Haaransatz.

Schließlich zuckte Franca zusammen und kicherte. Oliven kullerten an ihr herunter. Pinhão Coelho fing mit den Lippen ein paar davon auf, die er in ihren Mund fallen ließ. Dann stellte er einen Stuhl an das Kopfende des Tischs, stieg darauf, öffnete seine Hose und holte seinen Schwanz heraus. Dabei trank er in großen Schlucken aus einer Wasserflasche. Er sah sich um und winkte Ana-Jeisol herbei. Die postierte sich hinter ihm, zog seine Hose weiter hinunter und versenkte eine Hand zwischen seinen Arschbacken. Die Hand bewegte sich in kleinen Kreisen, dann zuckte Pinhão Coelho zusammen. Gleichzeitig erhob sich sein Schwanz. Ana-Jeisol umfasste ihn und zog leicht daran. Es begann mit ein paar Tropfen, bevor ein ordentlicher Strahl entsprang. Ana-Jeisol lenkte ihn. Zuerst auf Francas Kopf und in ihren offenen Mund. Dann mit schnellen Bewegungen in die Runde. Trotz hastiger Flucht bekamen alle was ab. Der Bulle und Ana-Jeisol konnten sich kaum halten vor Lachen.

Nur Jack ließ sich nicht beirren. Er schlang einfach weiter, obwohl Ana-Jeisol ihn gezielt bespritzte.

Ich wäre lieber verhungert, als etwas von dem Zeugs zu fressen.

»Hasch koin Hunger?«, fragte Kellner.

Dieser Pornohippieschwabe hatte einen Vorrat an Proviant auf der Nasenspitze deponiert. Auf seinem Revers glänzten dunkle Flecken. Auch seine Haare schienen nass geworden zu sein.

»Nee danke, echt nicht …«, erwiderte ich.

Ich wendete mich schnell ab, ging zur Theke und ließ mir das Glas füllen.

»Was ist los mit dir?« Remo sah mich prüfend an.

»Mir ist übel. Aber ich gebe mir alle Mühe.«

Remo zog die Schultern hoch und ließ sie wortlos wieder fallen. Ich wollte meine Bezahlung nicht gefährden, daher gesellte ich mich wieder zum Tisch. Ich kam gerade recht.

Mit Ana-Jeisols tätiger Hilfe ejakulierte der Bulle in langen Fäden über den Tisch. Die Blase war wohl leer gewesen.

Die Kerle lungerten danach etwas unschlüssig herum. Außer Jack mochte niemand mehr essen. Unter dem Tisch bildeten sich Pfützen.

Es wird Zeit aktiv zu werden, damit ich den Rest der Veranstaltung überstehe, dachte ich. Und bevor sich noch jemand ausschleimen würde. Die Flucht vor Kellners Fickträumen war auch wichtig.

Also achtete ich darauf, dass sich Klinkhammer immer zwischen mir und Kellner befand. Klinkhammers rempelte mich an, weil er zufällig einen Schritt zurück trat. Wein schwappte über meine Hand und lief an meinen Beinen herunter.

»O Mist.«

Klinkhammer war noch klar genug und registrierte mein Deutsch. Er drehte sich um.

»Ach, bist du etwa Deutscher?«

»Ja, ich bin Deutsche.«

Klinkhammer bemerkte den kleinen Unterschied nicht. Aber er wurde neugierig.

»Aha. Wie heißt du? Wo kommst du her?«

»Ich bin Sabrina, ich komme aus B…, Hannover.« Fast hätte ich mich verquatscht.

»Dr. Klaus Klinkhammer. Konsul.« Er deutete eine Verbeugung an. »Kennen wir uns nicht irgendwo her? Bist du schon länger in Brasilien?«

»Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Die Lüge ging mir glatt über die Lippen. Ich war froh, dass er mir nicht seine Hand anbot. Sie glänzte schmierig.

»Sabrina, aha. Schöner Name, selbst ausgedacht?«

»Hab ich mir von ner echten Wahnsinnsfrau geliehen.«

Diese Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Schade, dass Sabrina nichts davon mitbekommen würde.

»Ach. Und, was machst du hier?«

Die Worte krochen nur noch mühsam über seine Lippen. Sobald sie in Freiheit waren, sanken sie schwer zu Boden.

»Ich bin hier zum Spaß haben. Und weil ich so dekorativ bin.«

»Haha, und, klappt das?«

»Noch nicht so richtig. Vielleicht können Sie mir dabei helfen?«

»Hehe, vielleicht. Du bist ja eine Sierde, wirklich. Hast du schon gegessen? Danach noch was vor?«

Ich verstand nicht, was er mit »Sierde« meinte.

»Ich habe noch nichts vor«, erwiderte ich, mit Seitenblick auf den Schwabenheini.

»Ich bin schon voll. Auch wegen der Pipinummer. Nehmen wir noch einen Drink? Komma mit sur Bar.«

Jetzt hatte ich das mit der »Sierde« verstanden. Ich folgte Klinkhammer, der mich am Ellenbogen zur Bar führte.

»Caipi mit Guarana?«, fragte er und bestellte zwei, ohne die Antwort abzuwarten.

Am Tisch richtete sich Franca mit Jacks Kopf zwischen den Beinen auf. Unter Gejohle rutschten die Reste an ihr hinunter. Gordon und der Bulle packten sie an den Armen, Jack die Beine. Sie wurde vom Tisch gehoben und Richtung Bad getragen. Ana-Jeisol hielt die Türen auf.

Klinkhammer bereitete dieser Abgang sichtlich Freude.

»Gebt acht, dass ihr Jack nicht ersäuft. Der kriegt seinen Kopf da unten nicht mehr weg«, brüllte er hinterher.

Dann verlangte er von Remo ein Handtuch und wischte sich damit Gesicht und Hände ab.

Ich hätte gerne meinen Ellenbogen abgewischt, aber das durfte Klinkhammer nicht bemerken. In diesem unbeobachteten Moment warf mir Schaffrath einen besorgten Blick zu.

Klinkhammer ließ das Handtuch auf den Boden fallen.

»Na, scheint so, als ob Frank dich nicht gerne abgibt. He, Frank, ich darf mir doch mal eben Ihrn Freund hier ausleihen, oder?«

Schaffrath nickte verwirrt. Klinkhammer kippte den Rest seines Drinks.

»Nochmal dasselbe.« Er knallte sein Glas auf die Theke.

»Mach leer. Lass uns mal nach nebenan gehn.«

Er unterdrückte mühsam einen Rülpser und beobachtete, wie ich den Alkohol in mich hinein schüttete.

»So is brav. Nimm mal die Gläser, hups, un komm, wir haben noch was vor, hehe.«

Ich folgte ihm vorsichtig mit den Drinks in der Hand. Einen waidwunden Blick aus einem schnauzbärtigen Dackelgesicht konnte ich noch erhaschen. Ich zweifelte, ob ich mit Klinkhammer besser dran war.

Klinkhammer öffnete die Tür zum ersten Schlafzimmer. Lautes Kreischen, Gelächter und Wasserrauschen drang aus dem Bad. Ich wurde ins Zimmer geschoben, hinter mir verriegelte Klinkhammer die Tür. Schwer schnaufend sank er aufs Bett und fixierte mich.

»Stell mal die Gläser ab. Ja, da, gut. Na, hast du dich von Schaffrath breitschlagen lassen hinter mir her zu spionieren?«

Das traf mich wie ein Donnerschlag. Mir blieb der Mund offen stehen. Als Klinkhammer weiterredete, klang er auch nicht mehr so besoffen.

»Ich weiß doch, was der vorhat. Der hält mich wohl für blöd. Die wollen mich absägen, aber so einfach ist das nicht. Dass die sich ausgerechnet den Schaffrath dafür aussuchen … Der schleimt sich doch schon seit Wochen bei mir ein. Glaubt der etwa, ich merke das nicht? Jetzt hat er sich noch ne Nutte angelacht, die ihm helfen soll. Haha, das macht mir Spaß. Ich hab ihn ordentlich eingeseift. Wart mal ab, das dauert nicht lang, dann frisst der mir aus der Hand, haha. Richtig Bimbes6262, öfters mal ne Nase voll und ordentlich ficken, dann geht er im Geschirr. Der Schuss geht nach hinten los, haha.«

Er trank einen ordentlichen Schluck.

»Komm, steh nicht so dämlich rum, setz dich. Ich will dir nichts tun. Was hat er dir denn versprochen? Was sollst du machen? Aushorchen?«

»Ich … ich hab Probleme mit dem Aufenthalt, mit der Polizei, ich brauch dringend Geld.«

»Haha, viel kanns ja nicht sein, was er anbietet. Schaffrath hat doch keinen Etat, das sind doch nur Peanuts. Bist ein billiges Flittchen, was?«

»Viel brauche ich ja nicht, nur ein bisschen Geld, damit ich mir ein Zimmer nehmen kann bis ich zurückfliege. Jetzt hause ich in einer Baracke bei Bekannten, ganz schön mies. Ich hab noch nicht mal ein eigenes Bett.«

»Soso. Bist in ner Favela untergekrochen, was? Weißt du eigentlich, wie gefährlich das ist? Da traut sich noch nicht mal die Polizei rein.«

»Nee, ganz so schlimm ist das da nicht, aber trotzdem, ich muss da raus.«

»Nicht so gefährlich? Soso. In welcher bist du denn untergekrochen? Paraisópolis?6363 Du kannst doch noch nicht mal Portugiesisch, oder?«

»Nee, das ist so eine ganz kleine, zwischen dem Fluss und der Straße. Ich weiß nicht, ob die überhaupt einen Namen hat. Aber wenn ich da noch länger bleiben muss, dreh ich echt durch.«

Klinkhammer blickte mich sinnend an. Seine blassblauen Augen schimmerten wässrig, in seinem Gesicht hatten sich die Spuren der Ausschweifungen tief eingegraben. Sein ehedem sicher markantes Kinn war konturlos weich geworden und hatte sein Alleinstellungsmerkmal verloren. An sich hätte ich auf so einen geschissen, in dem Augenblick war er aber oben auf. Ich lege mir besser eine Unterstützungsreserve zu, das könnte noch ganz hilfreich sein, dachte ich.

»Also, pass mal auf«, sagte er, »ich mach dir einen Vorschlag. Du erzählst mir, wie Schaffrath das einfädeln will. Dann rufst du mich morgen an, wir machen einen Termin, wo du schriftlich bestätigst, dass er dich für eine Intrige gegen mich bezahlen wollte. Ich lasse dafür zweitausend Reais springen, bar bei Unterschrift. Einverstanden?«

Ich tat so, als ob ich überlegen musste. »Dreitausend. Für Dreitausend kommen wir sofort ins Geschäft.«

Klinkhammer lachte. »Du verkennst deine Lage, Freundchen. Ich könnte dich hier und heute aus dem Verkehr ziehen lassen. Auch für immer, eine Bemerkung von mir reicht. Aber gut, die Sache macht mir Spaß. Sagen wir Dreitausend, soll mir recht sein. Also, wie will ers machen?«

»Ich soll eine Aussage gegen Sie unterschreiben und notfalls in Deutschland vor Gericht wiederholen.«

Er riss die Augen auf und glotzte mich an.

»Das ist alles? Einfach nur eine Aussage? Von dir?«

»Ja, mehr wollte er nicht.«

Er legte den Kopf in den Nacken und lachte dröhnend.

»Ich glaubs ja nicht. So ein Anfänger. Damit wollen die mich kriegen? Noch nicht mal eine ordentliche Intrige bringen die hin. Eine Aussage. Ich fass es nicht, eine Aussage. Von einer Nutte. Von nem Transvestit, der auf den Strich geht. O Mann, o Mann. Allein schon wegen seiner Blödheit gehört er bestraft.«

Klinkhammer konnte sich kaum beruhigen, immer wieder lachte er und schüttelte dabei den Kopf. Sollte sich jemals die Gelegenheit ergeben, werde ich ihm die Eier abschneiden, dachte ich. Mit einer Nagelschere, ich schwörs.

Er leerte sein Glas und kam langsam wieder runter.

»Gut, wir sind uns einig. Hier ist meine Karte, ruf mich morgen an. Zur Feier des Tages heben wir noch einen. Geh mal was holen, dann kannst du mir einen blasen. Kannst du bestimmt gut, du weißt wie man mit so nem Ding umgeht, oder?«

Himmel hilf, mir blieb wirklich nichts erspart. Eigentlich hätte ich Schaffrath zu ihm schicken sollen. Er hatte das verbockt.

Aus der Schachtel an der Theke nahm ich Gummis mit, aber egal wie viel Zeit ich mir ließ, zum Schluss landete ich doch wieder bei Klinkhammer.

Der hatte sich es auf dem Bett gemütlich gemacht. Ausgestreckt, mit Schuhen, Arme hinterm Kopf. Er setzte die Füße auf den Boden, gluckerte einen ordentlichen Schluck weg und machte die Beine breit.

»So, machma, zeigmalwassukanns.«

Randvoll, dieser Drecksack. Trotzdem musste ich vor ihm auf dem Boden knien. Schade, dass ich keine Nagelschere dabei hatte. Langsam knöpfte ich seine Anzughose auf. Sein Schwanz sprang mir, plötzlich befreit, entgegen. Er hatte eine veritable Erektion. Ich fasste einmal fest zu, Klinkhammer schnaufte laut und sank erwartungsvoll auf den Rücken. Ich öffnete eine Packung, fingerte das Gummi raus und pustete hinein.

»Wassmachsendanoch?«, blubberte er.

»Gleich, ich muss nur das Gummi drüber ziehen.«

»Nee, hörauf, brauchse nich, willichnich. Willdir ins Maul spritzen …«

»Besser nicht, ich bin nicht ganz gesund.«

Mit diesen Worten rollte ich das Gummi über seinen Schwanz. Fast schaffte ichs nicht, denn er schrumpelte in Windeseile.

»Wie, was …«

Mühsam stemmte er sich wieder hoch. Sein Mund öffnete und schloss sich. Endlich fand er seine Stimme wieder.

»Finger weg, machdichraus, dssiss doch die Höhe.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

Ich hätte gejubelt, wenn die ganze Bande tot am Boden gelegen hätte, so sehr hasste ich diese Typen. Wenigstens konnte ich deutlich erkennen, dass die Sause dem Ende entgegen ging. Die meisten Männer mussten ihrem vorgerückten Alter Tribut zollen. Die jüngeren hatten ihren Fitnessvorsprung mit Drogen kompensiert. Jack und Matthew verabschiedeten sich schon, de Vries schlief quasi im Stehen. Nur der Schwabe hüpfte noch aufgeregt um Ana–Jeisol herum, die sich auf einem Lederpolster zusammengefaltet hatte. Als er mich erblickte, ließ er sofort von ihr ab und kam zu mir.

»I habs gmacht. Schad, dasd ned dabei wasch, abber der Klaus hat sich vorgdrengeld, der Seckl.«

»Tja Bernd, schade, Sie hatten mir schon den Mund ganz wässerig gemacht. Aber der Dr. Klinkhammer hat auch ganz schön was auf der Pfanne.«

Die Ironie nahm er nicht wahr. Ich hatte sowieso Zweifel an seiner geistigen Kapazität. Dafür hätte er mit seinem Mundgeruch Kammerjäger werden können.

Ich konnte ihn abschütteln. Allerdings landete ich dicht bei Pinhão Coelho. Der betrachtete mich, als würde er meine Anwesenheit erstmals richtig registrieren.

»Du heißt Nel Arta, nicht wahr?«, fragte er leise.

Ich schüttelte energisch den Kopf.

»Nein, ich heiße Sabrina.«

»Aber du bist du aus Deutschland?«

»Ja schon, aber …«

»Seit wann bist du in Brasilien?«

Ich geriet ins Stocken. »Seit zwei … Monaten …«

Er nickte versonnen, ein feines Lächeln spielte um seinen Mund. Damit war das Gespräch beendet.

Nacheinander fanden sich alle wieder im Salon ein. Klinkhammer sah verpennt und verwuschelt aus. Er würdigte mich keines Blicks, sondern blies sofort zum Aufbruch. Kurz danach verschwand er mit Kellner, Schaffrath und de Vries. Auf einen Wink von Pinhão Coelho sammelte Remo uns ein. Wir holten unsere Sachen und fuhren mit dem Aufzug nach unten. In der Tiefgarage wartete der Stiernacken mit dem Wagen auf uns. Fünf Minuten später rollten wir durch das nächtliche Verkehrsgewühl.

Ich ließ mich direkt an meiner Bushaltestelle an der Schnellstraße absetzen, winkte den Mädels zum Abschied hinterher und stiefelte los. Als beim Gehen die Anspannung nachließ merkte ich, wie fertig ich war. Ich hoffte, die ganze Anstrengung würde sich gelohnt haben, wenn ich mein Geld wie versprochen in Empfang nehmen konnte.

17

Ich schnaufte dreimal tief durch und hämmerte die Nummer von Schaffraths Karte in den speckigen Apparat. Es klingelte sechs-, siebenmal, bevor jemand abnahm.

»Schaffrath.«

»Hallo Frank, hier ist Nel. Ich möchte den Termin mit Ihnen machen. Ich kann jederzeit.«

Einen Moment herrschte Stille, dann räusperte sich Schaffrath vernehmlich.

Rotverschiebung

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