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Heinrich IV. und Gregor VII.

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Inhaltsverzeichnis

Eine neue Idee ergriff die Geister, ein neues Schlagwort erklang und wirkte: die Unabhängigkeit der Kirche von weltlicher Gewalt. Es war eine ganz und gar berechtigte, selbstverständliche Idee, die früher oder später zur Auflehnung gegen Eingriffe der Kaiser in das kirchliche Gebiet führen mußte. Nicht nur aber Bevormundung von Seiten des Staates mußte die Kirche ablehnen; es lag ihr nah, ihrerseits eine solche über den Staat ausüben zu wollen. Mit dem Sitz in Rom war der Anspruch auf Herrschaft so notwendig verbunden, daß, sowie ein hervorragender, zur Herrschsucht neigender Mann Papst wurde, das Gefühl, Nachfolger der Cäsaren zu sein, ihn ergriff. Dann verschmolz die Idee des römischen Weltreichs mit der Idee der christlichen Weltkirche zu einem Trachten nach Weltherrschaft von fürchterlicher Kraft. Der Papst war dann nicht nur das Oberhaupt der christlichen Kirche, der dem Kaiser das weltliche Schwert zu führen überließ, sondern er war der römische Kaiser römischer Nation, der in dem römischen Kaiser deutscher Nation einen barbarischen Usurpator sah. Das machte sich geltend, sowie schwache Kaiser die Regierung innehatten. Während das Reich unter den Söhnen und Enkeln Karls des Großen zerfiel, in der Mitte des 9. Jahrhunderts, als man glaubte, der Untergang der Welt stehe bevor, bestieg den päpstlichen Stuhl Nikolaus I., ein vornehmer und gebildeter Römer, und ergriff die Zügel, die den erschlafften Händen der Karolinger entfallen waren. Die ratlose, rings von Barbarenhorden überflutete Christenheit klammerte sich an den neuen Elias, der in einer zertrümmerten Welt die einzige, die ewige Macht darstellte. Die Gunst des Augenblicks erkennend, legte er mit sicherer Hand den Grund zur Herrschaft: zog möglichst viele Streitfälle vor ein schiedsrichterliches Urteil, erklärte jeden für den Bann verfallen, der die von den römischen Bischöfen erlassenen Dekrete und Entscheidungen nicht anerkenne, suchte die Bischöfe von sich abhängig zu machen. Diese widerstrebten: der Erzbischof Günther von Köln protestierte gegen die Absicht des Papstes, die Welt zu beherrschen, fuhr fort, die Exkommunikation verachtend, in der Kirche zu amtieren, aber schließlich mußte er sich doch unterwerfen. Die außerordentlichen Machtansprüche Nikolaus I. konnten allerdings von seinen Nachfolgern nicht durchgesetzt werden; vergessen und aufgegeben wurden sie nicht. Nur auf Augenblicke konnten die beiden Gewalten, die gemeinsam die Welt regieren sollten, im schwebenden Gleichgewicht erhalten werden; zu sehr waren die Interessen der beiden Völker, denen sie angehörten, verschieden, zu sehr die Kaiser zugleich Könige der Deutschen, zu sehr die Päpste zugleich Herren von Rom, Cäsaren, Weltherrscher. Hätte Heinrich III. länger gelebt, so wäre der Kampf zwischen Kaiser und Papst hinausgeschoben; er entbrannte, als sich nach seinem Tode ein übermütiger, zuchtloser junger Mann und ein Dämon der Herrschsucht gegenübertraten.

In den Chroniken wird erzählt, daß, während Heinrich III. sich in Rom aufhielt, dort eines Zimmermannes Söhnchen bei der Arbeitsstätte seines Vaters mit Spänen spielend sie in der Form von Buchstaben zusammenlegte. Zufällig kam ein Priester vorbei und las, daß die Buchstaben den Satz bildeten: Dominabor a mari usque ad mare – ich werde herrschen von Meer zu Meer. Er schloß daraus, daß das Kind einst Papst werden werde und machte den Zimmermann darauf aufmerksam, der es daraufhin zur Schule schickte. Es wurde gelehrt und kam in die kaiserliche Kanzlei, wo des Kaisers junger Sohn ihn kennenlernte und zu verspotten pflegte. Da träumte der Kaiser einmal, daß dem Zimmermannssohn, der Hildebrand hieß, zwei Hörner bis an den Himmel wuchsen, mit denen er seinen Sohn erfaßte und in den Dreck warf. Die Kaiserin legte den Traum so aus, daß Hildebrand Papst werden und ihren Sohn vom Throne stoßen werde. Auch erzählte man sich, dem guten Bruno von Toul, dem Papst Leo IX., sei Hildebrand im Traum in einem flammensprühenden Gewand erschienen, und indem er das Hildebrand erzählt habe, habe er hinzugefügt: »Wenn du je, was Gott verhüte, den Apostolischen Stuhl besteigst, wirst du die ganze Welt in Verwirrung bringen.« Sicherlich machte sich die bedeutende Persönlichkeit des Mönchs schon früh bemerkbar, sein Wille gebot in Rom, bevor er selbst Papst wurde. In seinem Sinne wurde auf der berühmten Synode des Jahres 1059 beschlossen, daß die Papstwahl künftig dem Kardinalskolleg, Klerus und Volk, den Wählern nach altem kanonischen Recht, nur die formelle Zustimmung zustehen solle. Dem Kaiser sollte das Recht bleiben, die Wahl zu bestätigen, was aber auch nicht eigentlich ein Recht, sondern ein persönliches Zugeständnis des Papstes sein sollte. Dadurch war der Einfluß des Kaisers auf die Besetzung des Päpstlichen Stuhles ausgeschaltet. Die Kirche zu befreien war ein großes und gutes Ziel; aber Hildebrand kam es nicht mehr nur auf Freiheit, sondern auf Herrschaft an. Es scheint in der menschlichen Natur begründet zu sein, daß Freiheit unter den Menschen sich selten verwirklichen läßt, was Goethe in den furchtbaren Worten ausgedrückt hat, man müsse Amboss oder Hammer sein. Die einen Druck abwerfen wollen, trachten gewöhnlich danach, ihn selbst auszuüben; wer die anderen nicht unterwirft, muß fürchten, unterworfen zu werden. Hildebrand, als Papst Gregor VII., erklärte förmlich den Anspruch der Kirche, den Staat zu beherrschen; er begründete das mit der Stellvertretung des allmächtigen Gottes durch den Papst. Es kam nun darauf an, den kaiserlichen Einfluß auch auf die Wahl der Bischöfe abzustellen; das wurde vorbereitet durch die Ausdehnung des Begriffes der Simonie auf jeden Eingriff von weltlicher Seite in die Besetzung kirchlicher Stellen. Wären die Bischöfe nichts als Priester gewesen, hätte man diese Auffassung billigen müssen; da sie weltliche Fürsten waren, konnte der König auf das Recht, sie zu ernennen oder bei ihrer Ernennung mitzuwirken, nicht verzichten. Die Bischöfe waren seit der Zeit Ottos des Großen die Stütze des Thrones gewesen; geschickter und gefährlicher konnte der Papst den Kaiser nicht angreifen, als indem er sie ihm entzog, sie ihm im Zweifelsfalle zu Gegnern machte.

In dem Kampfe, den Hildebrand entzündete, waren zunächst für den Kaiser die Aussichten nicht schlecht. Die Neuerungen, die der Papst einführen wollte, waren zu einschneidend, zu umwälzend, als daß sie nicht hätten erschrecken und verwirren sollen. Der römische Adel, der durch die neuen Bestimmungen von der Papstwahl ausgeschlossen war, der niedere Klerus, der sich der reformatorischen Strenge, besonders dem Zölibat widersetzte, vor allen Dingen die Bischöfe selbst, sowohl in Deutschland wie in der Lombardei, waren natürliche Gegner des Papstes. Denn seine Absicht war, in der Kirche, die bisher aristokratisch verfaßt war, ein monarchisches, wenn nicht despotisches Regiment einzuführen, wodurch die Bischöfe päpstliche Beamte würden. Von der Natur schien der häßliche kleine Mönch nicht ausgestattet, um anziehend zu wirken; seine fanatische Wut hatte etwas zugleich so Imponierendes und Abstoßendes, daß man ihn den heiligen Satan nannte. Von seinem Namen schließend, hat man ihm germanische Abkunft zugeschrieben, auch die Möglichkeit, daß er jüdisches Blut gehabt habe, ist erwogen worden.

Zwei Umstände aber gab es, die dem Papst zustatten kamen: der Aufstand der Sachsen gegen den Kaiser und des Kaisers Persönlichkeit. Zum ersten Male trat jetzt verhängnisvoll hervor, was so oft noch zu bitteren Kämpfen führen sollte, daß ein Riß durch das Reich ging, der den Norden vom Süden trennte. Es zeigte sich, daß die Sachsen nicht so mit den übrigen Stämmen verschmolzen waren, wie man besonders zu der Zeit hatte glauben können, als Sachsen unter den Ottonen als Stammland der herrschenden Dynastie bevorzugt war. Auch die Salier hielten sich mit Vorliebe in Sachsen auf; das wurde nicht als willkommene Gunst aufgefaßt, sondern als Bestreben, die sächsische Freiheit zu beschränken. Dem lag die Tatsache zugrunde, daß die Salier die Verminderung des Königsgutes durch Erwerbungen in Sachsen ausgleichen wollten, ein berechtigtes Bestreben, das aber die Sachsen zum Widerstand reizte. Zur Zeit Ottos des Großen waren die Erzgruben am Rabenberge bei Goslar entdeckt worden; da alles Bergwerk Regal war, den Königen zustand, bekam dieser Ort für sie eine besondere Wichtigkeit. Heinrich III. machte Goslar geradezu zum Mittelpunkte seines Reiches und gab ihm einen Teil des Reichtums, den er seinem Berge verdankte, in Bauten von unvergleichlicher Pracht wieder. Er errichtete am Fuße des Rabenberges einen Palast, der das Vorbild vieler königlicher und fürstlicher Pfalzen wurde, und nahe dabei den vielbewunderten Dom, von dem ein einziges Portal übriggeblieben ist. Hing Goslar den Königen treu an, so wurden im allgemeinen ihre häufigen Besuche ungern gesehen, die, da die Herrscher mitsamt ihrem Gefolge von der Bevölkerung erhalten werden mußten, teuer zu stehen kamen. Man empfand die Dynastie als Fremde, und vollends als Eindringlinge betrachtete man die Süddeutschen, die sie mitbrachten. Heinrich IV. wurde vorgeworfen, daß er die Leute von niedriger Geburt und daß er Schwaben bevorzuge; damals kam die Rede auf, daß ein Sachse sieben Schwaben wert sei. Das gebieterische Auftreten der Salier, namentlich das etwas hochtrabende feierliche Wesen Heinrichs III., sein kirchlicher Eifer stießen ab; immerhin wird von einem sehr stolzen und ungebärdigen Volke eher noch ein strenger Gebieter ertragen, der folgerichtig klare Ziele verfolgt, als ein Unberechenbarer, der bald despotischen Gelüsten, bald sinnlichen Antrieben oder bequemen Ratschlägen nachgibt.

Es war ein Unglück für Heinrich IV., daß er seinen Vater mit sechs Jahren verlor, daß seine Mutter ihn, wie es scheint, nicht liebte, daß man ihn mit einer ungeliebten Frau verheiratete und bei ihr auszuharren zwang; aber alles das, wie auch der wechselnde Einfluß des barschen Anno von Köln und des verwöhnenden Adalbert von Bremen auf den Knaben, hätte auf einen anderen ganz anders wirken können. Es war augenscheinlich etwas Zersetzendes in seine Seele eingeboren, was den Keim der Größe sich nicht rein entfalten ließ. Es gibt eine merkwürdige Sage vom Grafen Wiprecht von Groitzsch, einem Kriegshelden, der in Heinrichs Schlachten kämpfte und ihm namentlich zu seinem letzten Siege über Rom verhalf. Als einst in Verona Wiprecht der tapferste aller Recken genannt wurde, gebot der König ihn herbeizurufen, er wolle ihn auf die Probe stellen. Wiprecht kam und wurde in einen Hof geführt, wo den Ahnungslosen ein Löwe anfiel, den der König vorher dorthin hatte bringen lassen. Der Held erschrak nicht, sondern packte das Tier und zwang es, sich zu seinen Füßen niederzulegen; dann fragte er den König, warum er ihn gerufen und was das alles zu bedeuten habe. Da der König schließlich gestand, daß er seine Mannhaftigkeit habe prüfen wollen, wurde Wiprecht zornig und sagte: »Ich habe als erster die Alpen überschritten, ich habe die Ehren und Siege erstritten, konnte der Anblick meiner Taten dir nicht genügen? Du hast mich zu eitler Augenweide einem wilden Getier preisgegeben; nun will ich dir nicht länger dienen.« Da fing der König an, sich zu fürchten, bereute, was er getan hatte und ruhte nicht, bis der Graf wieder versöhnt war. Wie Heinrichs Charakter in dieser Sage sich darstellt, so war er vielleicht wirklich: Mangel an Respekt vor den Menschen, Schwanken zwischen Übermut und Furcht, Unfähigkeit, die Grenze zwischen Zurückhaltung und Vertraulichkeit zu beobachten, mögen ihm manchen Anhänger entfremdet haben. Eine edle Gabe jedoch wog viele Fehler auf, daß er im Leben lernte, daß er Schwächen überwand und seine Kraft an Widerständen stählte.

Als Gregor VII. im Jahre 1076 den jungen Kaiser mit dem Banne bedrohte, hatte dieser die aufständischen Sachsen unterworfen und befand sich in gehobener Siegerstimmung; auf einer Synode in Worms vereinigten sich die Bischöfe, mit Ausnahme der sächsischen, mit ihm, um den Papst abzusetzen. Sie warfen dem Papst ruchlose Neuerungen vor, durch die er Zwietracht in der Kirche gesät habe; er habe sich eine völlig neue und unrechtmäßige Gewalt angemaßt, indem er die Gerechtsame, die der gesamten Bruderschaft der Bischöfe zukämen, an sich gerissen habe. Durch eine unter Nikolaus II. gehaltene Synode sei, von ihm selbst veranlaßt, festgesetzt, daß nur der als Papst anzuerkennen sei, der von den Kardinälen mit Zustimmung des Volkes und Bestätigung des Königs gewählt sei. Es wurde unterstellt, daß er, da die letztere gar nicht nachgesucht sei, nicht Papst sein könne. In einem besonderen Briefe betonte der König zunächst die Anmaßungen des Papstes gegenüber den Bischöfen, dann erst, daß der Papst dem König gedroht habe, ihn der königlichen Gewalt zu berauben, »als ob die Königs- oder Kaiserkrone in deiner und nicht in Gottes Hand läge.« Er schloß den Brief mit dem pathetischen Zuruf: »Steige herab, steige herab und verlasse den angemaßten Stuhl des heiligen Petrus.« Gregors Antwort war der Bannstrahl und die Auflösung des Treueides, mit dem die Untertanen an den König gebunden waren. Heinrich lud nun die Bischöfe nochmals zu einer Synode durch ein Rundschreiben, in dem er sagte, Gregor habe sich das Königtum und Priestertum zugleich angemaßt und dadurch Gottes Ordnung verachtet, die nicht auf einem, sondern auf zwei Prinzipien, Königtum und Priestertum, beruhe.

Inzwischen hatten sich bereits die Verhältnisse gegen den König gewendet: nicht nur, daß die Sachsen sich von neuem empörten, die Schwaben schlossen sich ihnen an, ja Herzog Rudolf von Schwaben ließ sich von den Heinrich feindlichen Fürsten bewegen, als Gegenkönig aufzutreten. Unter diesen Umständen fielen auch die Bischöfe, die eben noch mit dem König zusammen den Papst abgesetzt hatten, vom König ab und erklärten dem Papst ihre Unterwerfung. Die abtrünnigen Fürsten forderten Gregor auf, als Schiedsrichter über die Alpen nach Augsburg zu kommen; den König erklärten sie für abgesetzt, wenn er nicht binnen Jahresfrist vom Banne befreit sei.

Von allen verlassen, außerstande, das Glück der Waffen zu versuchen, faßte Heinrich den kühnen Entschluß, über die Alpen zu gehen und den Papst zur Zurücknahme des Bannes zu bewegen, um dadurch zu verhindern, daß der Abfall der Fürsten durch den Papst bündig gemacht werde. Es war mitten im Winter und die Kälte so groß, daß der Rhein vom November bis zum April zugefroren war; der Übergang über den Jupiterberg, wie der Mont Cenis im Mittelalter genannt wurde, immer schwierig, war so ein Wagnis und ein Schrecken. Aber der König erreichte sein Ziel und überraschte den Papst, der, auf dem Wege nach Deutschland, als er die Nachricht von Heinrichs Ankunft vernahm, ungewiß, was sein Feind vorhabe, sich auf die feste Burg Canossa zurückgezogen hatte. Die zahlreichen Gegner Gregors in Italien hofften, der König komme, um den Papst abzusetzen; aber das glaubte er auf eine gelegenere Zeit verschieben zu müssen; im Augenblick konnte er seinem Feinde eine Niederlage nur beibringen, indem er sich ihm unterwarf. Die Voraussetzungen des Christentums waren so, daß der Papst einem reuigen Sünder die Lossprechung vom Banne nicht versagen konnte. Man sah ihm nicht ins Herz; es war die Kehrseite der kirchlichen Äußerlichkeit, daß die festgesetzten äußeren Zeichen der Reue als solche gelten gelassen werden mußten. Indem Heinrich als Büßer erschien, zwang er den Papst, ihn wieder in den Schoß der Kirche aufzunehmen. Den Papst tröstete über das ertrotzte Zugeständnis der innere Vorbehalt, daß der König zwar vom Banne befreit, aber nicht als König wieder eingesetzt sei, während der König zufrieden war, die augenblickliche Gefahr beseitigt zu haben. Nachdem Gregor die Lösung vom Banne ausgesprochen hatte, gaben sich Papst und König den Friedenskuß.

Eine furchtbare Pause starrte zwischen den Gewitterschlägen des Riesenkampfes. König und Papst, der germanische und der römische Weltherrscher, standen sich Auge in Auge gegenüber, die Brust voll Haß und Rache, aber gelähmt durch das Bewußtsein, untrennbar miteinander verbunden zu sein. Sie waren nicht zwei Herrscher, von denen jeder des anderen Reich besitzen, von denen jeder den anderen vernichten möchte, sie waren unlöslich miteinander verwachsen und ineinander verbissen, und immer wieder kamen Augenblicke, wo ihnen das klar wurde. Der Papst begründete seinen weltlichen Besitz auf Schenkungen der Kaiser, die Kaiser empfingen ihre Krone in Rom durch den Papst, die Völker sahen zu ihnen beiden als zur Spitze der Christenheit auf; sie waren aufeinander angewiesen und konnten höchstens durch einen Personenwechsel vorübergehend zu gewinnen hoffen. Beide waren mächtig, wenn auch auf verschiedene Weise: dem Papst gehörte nur eine kleine Provinz, aber er herrschte über die religiösen Gefühle und Gedanken aller Christen, und sein Thron stand auf den Trümmern der alten Weltstadt Rom; der König war der Anführer der deutschen Ritter, die an die Stelle römischer Legionen getreten waren, aber ihm gehörte nur, was er sich durch eigene Kraft unterwarf. Beide konnten sich gegeneinander ihrer Macht nur soweit bedienen, als sie nicht sich selbst dadurch verletzten.

Heinrich, der seine hohe Gestalt und sein blondes Haupt vor dem häßlichen kleinen Mönchspapst gebeugt hatte, blieb im Herzen unbeugsam. Während der Papst im geheimen die Krönung des Gegenkönigs betrieb, trat er als rechtmäßiger König auf und hoffte auf einen Waffensieg über die Gegner. Rudolf fiel in der Schlacht und wurde in Merseburg begraben; schon vorher hatte Heinrich einen treuen Anhänger, den Grafen Friedrich von Büren, zum Herzog von Schwaben erhoben und dem bis dahin in bescheidenen Verhältnissen lebenden jungen Mann seine Tochter Agnes zur Frau gegeben. Nachdem Gregor den König von neuem exkommuniziert hatte, erklärte Heinrich auf einer Synode in Brixen mit mehreren Bischöfen in maßloser Sprache und unter ungeheuren Beschuldigungen Gregor für abgesetzt und Bischof Wibert von Ravenna zum Papst. Dann zog er nach Italien, erkämpfte sich den Einzug in Rom, wo ein Teil der Bevölkerung ihm anhing, und ließ sich von Wibert zum Kaiser krönen. Gregor wäre verloren gewesen, hätte er sich nicht den Beistand der Normannen gesichert gehabt, die in Unteritalien nach Verdrängung der Griechen und Sarazenen ein Reich gebildet und vom Papst zu Lehen genommen hatten. Wie einst die Päpste bei den Franken Schutz gegen die Langobarden gesucht hatten, so suchten sie jetzt gegen die zu Nachbarn gewordenen Deutschen Schutz bei den neu eingedrungenen Barbaren, die ihre Eroberung gern durch die Anerkennung von seiten einer rechtmäßigen Macht stützten. Obwohl Heinrich bedeutende Erfolge errungen hatte, ging in Deutschland und in Italien der Kampf weiter. Die großen grundsätzlichen Gegensätze, die ausgesprochen waren, zogen wie weithin sichtbare Fahnen Anhänger an sich und zwangen jeden, Partei zu nehmen. Streitschriften wurden gewechselt, die zwar lateinisch verfaßt waren, deren Inhalt sich aber doch auch unter den Laien verbreitete.

Die italienischen Bischöfe waren dem Kaiser im allgemeinen anhänglicher als die deutschen. Viele von ihnen waren Deutsche, allein der scharfsinnigste und folgerichtigste unter ihnen, Benzo von Alba, scheint ein Süditaliener, vielleicht griechischer Abkunft gewesen zu sein. Er brachte die Ansichten der älteren Bischöfe, die nicht daran zweifelten, daß der König das Recht habe, die Bischöfe einzusetzen, in eine zusammenhängende Theorie. Da die Bischöfe vom Könige weltliche Lehen empfingen, schuldeten sie ihm Gehorsam, begleiteten sie ihn doch auch wie andere Vasallen auf seinen Feldzügen als Anführer der Kriegsleute, die sie ihm zu stellen hätten. Da nun alle Bischöfe einander gleich seien, sagte Benzo, stehe auch der Papst unter dem Kaiser, und wenn er den Papst nicht einsetze, so dürfe doch wenigstens ohne seine Zustimmung kein Papst konsekriert werden. Über dem Kaiser stehe nur Gott, verglichen mit dem Kaiser wären alle Könige der Erde nur kleine Provinzkönige. Damit diese mystische Königsmacht eine irdisch sichere Grundlage bekomme, machte Benzo den merkwürdigen Vorschlag, eine allgemeine Steuer zu erheben, die den Kaiser in den Stand setzen würde, Beamte anzustellen und Söldner zu unterhalten, so daß er von seinen Lehensleuten unabhängig würde. Das Beispiel für eine solche Einrichtung fand er in Unteritalien, wo ähnliche Einrichtungen aus der römischen Zeit sich erhalten hatten. Kaum hätte ein derartiger Vorschlag in Deutschland unter Deutschen gemacht werden können, die jede Auflage von Steuern als einen unerträglichen Angriff auf die Rechte des freien Mannes betrachteten. Vielleicht erklärt sich auch daraus, daß die Idee des zentralisierten Staates sich in Italien erhalten hatte, die Anhänglichkeit der italienischen Bischöfe an den Kaiser.

Einer der namhaftesten Verfechter des Kaiserrechtes in Deutschland, Walram von Naumburg, suchte auch dem Papst gerecht zu werden. Einigkeit zwischen Kaiser und Papst müsse herrschen, sagte er, da beide über das Reich gesetzt wären, in die weltliche Herrschaft aber habe der Papst sich nicht zu mischen. Der Kaiser sei unabsetzbar, dem Papst bestritt er das Recht, die Untertanen vom Treueid zu lösen und dadurch eine Spaltung herbeizuführen. Die Bestimmung des Papstes, der Nachfolger Christi zu sein, wurde herangezogen, um ihm das Entzünden von Kriegen zum Vorwurf zu machen.

Die Anhänger des Papstes beriefen sich auf das Recht des Volkes, den König zu wählen, was das Recht, ihn abzusetzen, in sich schließe. Der Chorherr Manegold von Lautenbach beleuchtete das Vernunftgemäße dieses Rechtes, indem er darauf hinwies, daß jeder Verständige einen Schweinehirten, der die Herde nicht hütete, sondern verkommen ließe, mit Schimpf und Schande davonjagen würde; wieviel mehr müsse man mit einem untauglichen König aufräumen. Gerade für das Königreich dürfe man nicht einen beliebigen Tyrannen oder Schuft bestellen, sondern einen, der durch Adel und inneren Wert hervorrage. Durch Tyrannei breche der König den Vertrag, der für seine Einsetzung maßgebend gewesen sei, das Volk sei ihm keine Treue mehr schuldig.

Tyrannei und Willkür warfen andere Bischöfe dem Papst vor, wenn auch die meisten nicht so weit gingen, den Primat des Papstes zu leugnen. Sie hielten es aber für eine unerhörte Neuerung, daß der Papst sich in die bischöflichen Diözesanrechte einmischen und sie wie Knechte ein- und absetzen wolle, wie sie überhaupt Gregors Theorie, daß der Papst durch sein Amt heilig und unfehlbar werde, ablehnten. In einer von Heinrichs Schlachten kämpften sechzehn Bischöfe auf seiner Seite.

Das Seltsame und Entscheidende ist nun aber, daß auch die treuen Anhänger des Kaisers vor ihrem Tode den Frieden mit der Kirche suchten, soweit sie sich nicht schon früher bekehrt hatten. Gerade über die Deutschen hatte die Kirche mehr Macht als der Staat. Wohl war auch die Person des Königs in mystische Vorstellungen eingetaucht und über die Ebene des Irdischen erhoben; aber sein Walten verknüpfte sich doch nicht so mit dem Seelenleben der Menschen wie das der Kirche, die das Kind taufte, dem Erwachsenen das Abendmahl, dem Sterbenden die letzte Wegzehrung reichte und mit ihm betete. Alle Gedanken und Gefühle, die über das Irdische und Alltägliche hinweg der ewigen Heimat zustrebten, waren mit der Kirche verbunden; die blieb unangetastet, was für Vorwürfe auch gegen die Pfaffen erhoben werden mochten. Dachte doch der Kaiser selbst niemals daran, das Papsttum als solches anzugreifen, war er doch vielmehr immer geneigt, wo sich die Möglichkeit der Versöhnung zeigte, die Hand dazu zu bieten, und nie war er zu stolz, um sich vor dem römischen Bischof wie vor Gott in den Staub zu werfen. Obwohl die Kaiser sich im einzelnen Falle das Recht nahmen, den Papst abzusetzen, stritten sie ihm grundsätzlich nie das Recht ab, von ihnen die Ehrfurcht zu verlangen, die der Sohn dem Vater schuldig ist.

Der Tod Gregors VII., der fern von Rom im Schutz der Normannen starb, bedeutete für Heinrich IV. keine Erleichterung; denn Gregors Nachfolger traten in seinen Ideenkreis ein, und die Bischofseinsetzung blieb eine unlösbare Streitfrage. Daß es der Kurie gelang, die beiden Söhne des Königs, Konrad und Heinrich, nacheinander gegen den alternden Vater aufzuhetzen, offenbart die Zerrüttung des salischen Hauses, das seinem Ende zuging. Von seinem Sohne bekämpft und entthront starb der erst 55jährige Kaiser in Lüttich, vom dortigen Bischof und dem Herzog von Lothringen mit Liebe aufgenommen.

Gesammelte Werke von Ricarda Huch

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