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Kapitel 2 – Muss die gerade jetzt auftauchen?

Es war dunkel als Siegfried Egger, kurz Siggi genannt, das Stiegenhaus des Gemeindebaus im sechzehnten Bezirk betrat. Den ganzen Tag hatte der Himmel eine dunkelgraue Färbung gehabt, jetzt war er schwarz. Man konnte weder die Sterne, noch den Mond erkennen und es begann leicht zu regnen. Siggi war froh, als sich hinter ihm die hölzerne Eingangstüre mit den gelben Sicherheitsglasfenstern schloss und das kommende, schlechte Wetter aussperrte. Als er sich mit der Hand über die kurzgeschorenen, roten Haare strich, spritzten kleine Regentropfen in alle Richtungen davon. Er ging die fünf vor ihm liegenden Stufen, die mit weißem, schwarz gesprenkeltem Granit bedeckt waren, hinauf und ließ die goldfarbenen Postkästen links liegen. Um die Werbung kümmerte er sich später. Mehr war erfahrungsgemäß nicht in der Post zu finden. Er wollte nach Hause. Nach dem ersten Treppenabschnitt, der in einem Flur mit drei Wohnungstüren endete, konnte er sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden. Entweder stieg er weiter die Stufen hinauf, bis in den vierten Stock, oder er nahm den kleinen Aufzug, der nicht mehr als zwei Personen fasste. Er entschied sich für die Fahrt nach oben und drückte den Knopf um die Kabine zu rufen. Die beige gestrichene Aufzugstür hatte ein schmales Glasfenster, das, bis auf kleine Bereiche oben und unten, die gesamte Höhe der Tür einnahm. Durch dieses Fenster sah Siggi die Kabine von oben herabkommen. Hoffentlich ist niemand im Lift, dachte er. Er wollte von keinem gesehen werden. Die Innentür schob sich zur Seite und mit einem Klicken wurde die äußere Tür zum Öffnen freigegeben. Der Aufzug war leer. Er stieg ein, drückte den Knopf für den vierten Stock und die Schiebetür schloss sich sanft und leise. An der Rückwand der hellbraun ausgekleideten Kabine war ein Spiegel angebracht. Siggi betrachtete die blutunterlaufenen, braunen Augen. Er stellte fest, dass die Haut unrein und fahl war. Es gab Zeiten, da hatte er besser ausgesehen, dachte er. Er öffnete die blaue Daunenjacke, die bei jeder Bewegung Federn ließ. Bald wäre er zu Hause und konnte es sich gemütlich machen, nach diesem ereignisreichen Tag. Der Aufzug erreichte das gewünschte Stockwerk und er stieg aus. Am Gang, der, wie die Treppe, mit den weißen Granitfliesen ausgelegt war, befanden sich drei dunkelbraune Wohnungstüren. Eine links, eine rechts und eine in der Mitte. Neben der mittleren Tür, die in seine Wohnung führte, war der Hauptsicherungskasten für diese Etage. Als er die Schlüssel in den verschlissenen, hellblauen Jeans suchte, fiel sein Blick auf das Namensschild an der Tür. Siggi wurde bewusst, dass die Bude, in der er im Augenblick lebte, nicht seine war. Es hatte lange keine Bleibe mehr gegeben, wo Egger darauf stand.

Die Wohnung gehörte einem alten Kumpel, dem er ab und zu bei den Unternehmungen half. Ihre Bekanntschaft war gut, sodass sein Freund ihn hier eine Zeit lang gratis wohnen ließ. Das war dringend notwendig. Er hatte kein Geld. Die Geschäfte liefen schlecht. Die Stadt hatte ordentlich aufgeräumt in den letzten Jahren. Seinen Stammplatz in der Opernpassage hatte er verloren.

Die Passage, die in den Fünfzigerjahren errichtet wurde, um die Fußgänger von der Straße in den Untergrund zu verlegen, damit sie den zunehmenden Autoverkehr nicht behinderten, bestand aus drei zusammengelegten Unterführungen. Die Opernpassage, die Kärntnertorpassage und die Westpassage. Durch die Verbindung der drei Tunnel wurde der Resselpark, der vor der Karlskirche angelegt war, mit den Stationen der Wiener Untergrundbahnen der Linien zwei und vier verbunden. Es war ein Umschlagplatz für eine Unmenge an Passanten, die entweder zur Kirche, in die Innenstadt oder die U-Bahnlinie wechseln wollten. Es war einer der ergiebigsten Verkaufsplätze für Drogen. Die Dealer gingen in der Menschenmenge unter und konnten leicht anonym bleiben. Das nutzte Siegfried Egger, der versuchte, sich hier seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Rauschmitteln zu verdienen. Vor neun Jahren wurde die Polizeiinspektion vergrößert und die Beamten aufgestockt. Das erschwerte den Dealern die Arbeit. An jeder Ecke lauerten Polizisten. Als vor fünf Jahren die gesamte Unterführung generalsaniert wurde, kam ein neues Lichtkonzept und die einzelnen Passagen wurden verbreitert, damit sich die unzähligen Menschen besser verteilten. Das war das Ende des Drogenhandels in der Opernpassage. Es gab keine dunklen Ecken mehr, keine Masse an Leuten, in die man untertauchen konnte und dutzende Polizisten. Die Passage war von allem Gesindel gesäubert, hatte die Presse verkündet.

Siggi wich in den Stadtpark an der Ringstraße aus. Eine riesige Anlage, die vom ersten bis in den dritten Gemeindebezirk reichte, mit vielen Versteckmöglichkeiten in Büschen und Bäumen. Er wurde im Zuge der Umgestaltung der Wiener Ringstraße nach dem Abriss der alten Stadtmauer Mitte des neunzehnten Jahrhunderts angelegt. Nach der Sanierung der Opernpassage war der Park von Dealern überlaufen und bald streifte dort vermehrt Polizei herum. Egger war als Kleindealer dem Polizeiaufgebot und vor allem der Konkurrenz nicht gewachsen. Dauernd musste man auf der Hut sein, was sich für jemanden der süchtig und die meiste Zeit high war als schwierig erwies.

Er versuchte in einschlägigen Lokalen Fuß zu fassen. Diese befanden in fester Hand des organisierten Verbrechens und jene, die das Geschäft störten, indem sie in die eigene Tasche wirtschafteten, wurden gnadenlos beiseite geräumt. Egger war auf den Straßenverkauf angewiesen. Er trieb sich vermehrt am Wiener Gürtel und der angrenzenden Felberstraße, in der Nähe des Westbahnhofes, herum. Dort zogen die Gehsteigschwalben ihre Kreise. Diese Ladys gingen dem ältesten Gewerbe der Welt nach und Siggi konnte dem einen oder anderen Freier und den Damen ein bisschen Stoff verkaufen, sofern der zuständige Zuhälter nicht mit Drogen handelte. Vor vier Jahren bildeten sich Bürgerinitiativen, die Fackelzüge durch die Straßen der Stadt veranstalteten, um gegen den Straßenstrich in Wohngebieten zu demonstrierten. Das hatte zur Folge, dass die Prostitution in Wien, außerhalb von Bordellen, an nicht mehr als zwei Orten erlaubt war. Im Wiener Prater und in Auhof, einem kargen Gewerbegebiet am westlichen Stadtrand. Beide Standorte boten weder den Damen, noch den Dealern Sicherheit. Die Frauen durften dort stehen, sodass sie von der Polizei weitestgehend in Ruhe gelassen wurden, die Drogenhändler nicht. Es gab viele Polizeistreifen. Die Uniformierten sollten für den Schutz der Damen sorgen und ruinierten Siggi das ohnehin schlechte Geschäft.

Die letzten Jahre waren für Siegfried Egger ungünstig verlaufen. Es gab keine Absatzplätze für einen kleinen, selbstständigen Dealer. Er wurde überall vertrieben. Die Einnahmen aus dem Drogenhandel deckten die Kosten für die eigene Sucht nicht mehr. Er musste sich andere Dinge einfallen lassen, um an Geld zu kommen.

Nachdem er die Wohnung betreten hatte, befand er sich in einem mickrigen Vorraum, von dem aus linker Hand eine Tür ins Bad führte, eine andere Tür geradeaus in den einzigen Wohnraum der kleinen Einzimmerwohnung. An der rechten Wand des Vorzimmers stand ein Kleiderschrank, in den er die Daunenjacke hängte, nachdem er sie auf Blutflecken untersucht und sie für sauber befunden hatte. Gott sei Dank war das Blut nicht auf die Kleidung gespritzt. Es wäre am Weg durch die Stadt aufgefallen. Er zog die gelben Arbeitsstiefel aus, die an der Spitze eine Stahlkappe eingearbeitet hatten und die er seit der Lehrzeit besaß. Er war dreiunddreißig. Die Lehre lag lange zurück. Dementsprechend waren die Schuhe verschlissen und der Stahl an manchen Stellen sichtbar, weil das Oberleder fehlte. Die Füße schienen seitdem nicht gewachsen zu sein. Der restlicher Körper hatte in den Jahren an Größe zugelegt, sodass er knapp einen Meter neunzig erreichte. Siggi ging ins Bad, das aus einem winzigen Heizkörper, einer Toilette, einem kleinen Waschbecken mit darüber hängendem Spiegelschrank und einer Badewanne bestand. Wenn man auf den Lokus wollte, musste man die Badezimmertür schließen, da der Raum keinen Platz bot. Der alte Duschvorhang, der rechts neben dem Waschbecken zusammengeschoben auf den nächsten Einsatz wartete, verbreitete einen feuchten Geruch.

Egger stellte sich vor den Waschtisch und zog sein schwarzes T-Shirt aus, auf dem Eddie, das Maskottchen der Heavy-Metal-Band Iron Maiden, eine englische Fahne schwenkte. Darüber der unverkennbare Schriftzug des Bandnamens. Zuerst drehte er das Leibchen vor sich, um es ebenfalls auf Blutflecken zu untersuchen. Sauber. Er roch daran und warf es in die Badewanne. Er musste es auswaschen. Im Spiegel betrachtete er den ausgemergelten, sehnigen Oberkörper. Es stimmte, die letzten Jahre waren schlecht, dachte Siggi. War es ihm sein ganzes Leben nicht gut ergangen? Er erinnerte sich.

*

In den Achtzigern, in Favoriten, dem zehnten Wiener Gemeindebezirk. Seine Eltern hatten eine kleine Wohnung erhalten. Eine Sozialwohnung der Stadt, die an bedürftige Familien vergeben wurde. Sie hatten die Unterkunft nach der Geburt von Siegfried zugewiesen bekommen. Es war nicht das beste Viertel der Hauptstadt. Sein Vater fühlte sich sofort zu Hause. Beim Branntweiner traf er Gleichgesinnte, wenn sie sich in dem kleinen Lokal den ganzen Tag über das Bier, den Wein und die Schnäpse einflößten. Die Auflage der Stadt, damit sie die Unterkunft behalten konnten, war, dass er sich eine Arbeit suchen und bald eine bezahlbare Wohnung nehmen musste. Das Wohnrecht in der Sozialwohnung war begrenzt. Siggi glaubte sich zu erinnern, dass von zehn Jahren die Rede war. Das spielte keine Rolle. Sie blieben nicht lang. Das Kindergeld und das Arbeitslosengeld verwendete Siegfrieds Vater hauptsächlich, um seine Sucht zu finanzieren. Für die Familie verblieb das Notwendigste. Die Mutter und er mussten öfter in die Gruft essen gehen, eine von der Caritas betriebene Obdachloseneinrichtung im sechsten Bezirk.

Für die Drogensucht erpresste oder erbettelte der Vater Geld von irgendwelchen Saufkumpanen. Oder er schlug jemanden im Auftrag eines anderen gegen Bezahlung zusammen. Mit der durchtrainierten Statur und den hundert Kilo bei einem Meter fünfundachtzig war das für ihn kein Problem. Rudolf Egger hatte zeit seines Lebens auf der Straße gelebt und kannte alle Tricks. Wenn er statt des schönen, blauen Hemdes, das er normalerweise beim Ausgehen trug, das karierte Flanellhemd über das ärmellose, gerippte, weiße Unterhemd anzog, konnte seine Frau Annemarie damit rechnen, ihn verarzten zu müssen. Das war das Schlägerhemd. Zu Hause trug Rudolf ein Unterleibchen zu einer grauen Stoffhose mit einem schwarzen Ledergürtel, der unheimlich wehtat, wie Siegfried wusste. Die Erinnerung war in vielen Punkten verschwommen. Das wütende Gesicht des Vaters, mit dem dichten, schwarzen Schnurrbart und den zerrauften Haaren, wie er den Gürtel aus der Hose fädelte, wenn er nicht spurte, sah er klar vor sich. Seine zierliche, blonde Mutter verzog sich in diesen Fällen ins Badezimmer und ließ ihn mit dem Geruch von Schweiß und Alkohol auf den starken Armen und der breiten, behaarten Brust zurück. Sich einzumischen brächte ihr eine gleichartige Behandlung mit dem Gürtel ein.

Seine Eltern lernten sich auf der Straße kennen. Annemarie, Annerl nannten sie ihre Erziehungsberechtigten, war ein fesches Punkmädchen. Rudolf hatte keine bunten Haare. Der Nonkonformismus war ihm mit den Punks gemein. Es war ein Wunder, dass sie sich für das Kind entschieden, als die Mutter schwanger wurde. Siggi dachte, dass er sein Leben dem Frauenarzt zu verdanken hatte, der die Schwangerschaft feststellte. Er war Arzt und Sozialhelfer zugleich, der nach den offiziellen Ordinationszeiten zu den einschlägigen Plätzen in Wien fuhr, um dort den ärmsten kostenlos zu helfen. Nach der Untersuchung holte er den Vater in den kleinen Bus, der dem Arzt als mobile Ordination diente, und redete auf ihn ein. Er war es, der sie wegen der Bleibe an die Stadt und seinem alten Herrn ein Entzugsprogramm vermittelte. Die Wohnung nahmen sie.

Es war kurz nach Siegfrieds sechstem Geburtstag, die Einschulung stand bevor, als die Polizei an der Wohnungstür in Favoriten klingelte. Der Inspektor teilte der Familie mit, dass man Rudolf Egger in einer öffentlichen Toilette nahe dem Stadtpark gefunden hatte. Siggi kannte den Ausdruck Goldener Schuss noch nicht. Mama war unglücklich und weinte bitterlich. Ihm wurde erklärt, dass sein Vater nicht mehr nach Hause käme. Im Gegensatz zur Mutter war er unschlüssig, ob er traurig sein sollte. Er vermisste den Gestank nach Alkohol, das Herumschreien, das mitten in der Nacht vom polternden Lärm aufgeweckt werden und vor allem den Gürtel nicht.

Der Tod des Vaters hatte für Siggi negative Folgen. Seine Mutter war lethargisch. Annemarie sah sich den ganzen Tag irgendwelche Talkshows oder Familienserien im Fernsehen an, bei denen man sie unter keinen Umständen stören durfte. Den Großteil der Zeit mit einer Wodkaflasche in der Hand. Kurz nach dem ersten Schultag musste Siegfried alleine zur Schule gehen. Seine Mutter brachte es noch fertig das Mittagessen vorzubereiten, bevor sie auf dem Sofa in Selbstmittleid versank. Wenn Siggi von der Ausbildungsstätte nach Hause kam, hatte sie einen Vollrausch und schlief. Er war ein Schlüsselkind, obwohl jemand zu Hause war. Bald bekam er statt des Mittagessens Geld in die Hand gedrückt. Der kleine Lebensmittelhändler am Schulweg verkaufte ihm Semmeln mit Wurst oder Leberkäse, von denen er sich die nächsten zwei Jahre hauptsächlich ernährte. Täglich gab er Siggi Flaschen für Annerl mit.

Zwei Jahre später ging ihr der Schnaps aus. Und das kurz vor dem Vollrausch und lange bevor Siegfried frische Pullen brachte. Zittrig startete Annemarie das Auto, das seit Rudolfs Tod nicht bewegt worden war. Sie hatte vor Einkaufen zu fahren, obwohl der kleine Lebensmittelhändler keine zwanzig Schritte von der Wohnung entfernt war. Sie wollte auf der Südosttangente, der Wiener Stadtautobahn, über die Donau in den einundzwanzigsten Bezirk, weil sie dort aufgewachsen war und sich erinnerte, dass es dort einen Lebensmittelmarkt gab, in dem sie als Kind eingekauft hatte. Von dieser Einkaufsfahrt kam Annemarie nicht mehr zurück. Erneut erschienen Polizisten an der Haustür und brachten schlechte Nachrichten. Bei dem Besuch war ein Mitarbeiter des Jugendamtes zugegen. Sie erklärten ihm, dass seine Mutter einen schweren Autounfall unter Alkoholeinfluss gehabt hatte und nahmen den Rotschopf mit.

Ein paar Monate später stand Siggi vor einer kleinen, schlanken, blondgefärbten Frau und einem dicken, grauhaarigen Mann. Sie waren in das Heim gekommen, in das der Mitarbeiter des Jugendamtes ihn gesteckt hatte, nachdem er zu Hause abgeholt worden war. Die beiden stellten sich als Hermine und Heinz Hrdlicka vor. Seine Großeltern. Er kannte sie nicht und sollte mitgehen. Sie kümmerten sich um ihn und sagten Siegfried, dass sie ihm eine erfreulichere Zukunft böten. Alles war besser, als im Heim zu bleiben.

Sie brachten Siggi in ihr Haus nach Mistelbach, einer vierzig Kilometer nordöstlich von Wien gelegenen Stadt. Sein Leben sollte jetzt besser werden. Hermine und Heinz hatten keine Ahnung. Zunächst beschlossen sie, Siegfried ein Jahr aus der Schule zu nehmen, damit er in Ruhe die traumatischen Erlebnisse verarbeiten konnte. Oma und Opa waren beide zu Hause. Hermine ihr ganzes Leben lang Hausfrau, Heinz pensionierter Maschinenbauschlosser. Sie klebten an Siggi. Anstatt ihm zu helfen, schienen sie darum bemüht, die Schuld der Tochter zu negieren und alles auf den Vater zu schieben. Ihr größtes Anliegen war, Annerl Siegfried gegenüber reinzuwaschen. „Wir wussten es. Gleich, als sie ihn uns vorgestellt hatte, wussten wir, dass Rudolf kein Guter war“, war ein Satz, den er öfter hören musste. „Wäre Annerl nicht zur Hochzeit gegangen, lebe sie noch!“, ein Zweiter. Und wenn Siegfried sich nicht gemäß den Vorgaben seiner Großeltern benahm, hörte er: „Der Siggi ist wie der Vater.“ Mit der Zeit machte es ihm Spaß Oma und Opa zu provozieren und auf die Palme zu bringen. Das war leicht, mit Sätzen wie: „Der Papa hat das anders gemacht.“, oder, „Beim Papa war es viel besser, der hat mir das erlaubt.“

Im nächsten Jahr musste Siggi die Schulbank drücken. Für die Hrdlickas wurde der Besuch in der Schule zum fixen Bestandteil ihres Wochenplanes. Der Rotschopf kompensierte seine Zerrissenheit und Haltlosigkeit mit Aufsässigkeit. Er bekam Strafen von der Lehranstalt und Maßregelungen von den Großeltern. Siggi entglitt ihnen zunehmend. Er hatte gute Phasen, wie er es heute bezeichnete. Siegfried schaffte die Volksschule und die Hauptschule wider alle Erwartungen ohne Probleme. Nach dem neunten Pflichtschuljahr begann er eine Lehre. Zu spät.

„Willst du dir ein bisschen Taschengeld verdienen?“ Mit dieser Frage fing alles an. Ein Päckchen hier hin bringen, eines dort hin. Ohne zu wissen, was sich darin befand. Hermine und Heinz hielten ihren Enkel finanziell kurz. „Du lernst, mit Geld umzugehen und das Wenige zu schätzen. Du wirst uns dankbar sein“, sagten sie. Regelmäßig wurde Siegfried das geringe Taschengeld gekürzt. Als Strafmaßnahme, wenn er unartig war. Auf dieses Geld war er nicht mehr angewiesen. Siggi erfüllte sich seine Wünsche, indem er Pakete für Geld transportierte. Bald wusste Siegfried, was in den Päckchen war und als er probieren wollte, hielt ihn niemand davon ab. Im Gegenteil. Seine Auftraggeber ermutigten ihn. Einem abhängigen Boten musste man weniger bezahlen. Er gab sich mit Naturalien zufrieden. Es begann Siggis Aufstieg. Von Cannabis über Koks zu Heroin. Der übliche Leidensweg, wie er heute wusste.

Die berufliche Karriere ließ nicht lange auf sich warten. Siggi stieg vom Boten zum Dealer auf und neben den Naturalien kam Geld in die Kasse. Die Hrdlickas fielen aus allen Wolken, als ihr Enkel ihnen eröffnete, dass er die Lehre nicht beendete. Sie hielten zunächst zu ihm, da er sich freiwillig zum Zivildienst anmeldete. Die Großeltern dachten, dass der Beruf nichts für ihn gewesen sei, und er aus diesem Grund die Berufsausbildung geschmissen hatte. „Der Ersatzdienst wird ihn auf den rechten Weg bringen. Dort wird er Verantwortung lernen und es kann sein, dass er dort den Traumberuf findet“, redeten sich Oma und Opa ein. Siegfried hatte andere Gründe. Mit dem Zivildienst ersparte er sich das Militär. Den verpflichtenden Dienst am Staat wollte er unter keinen Umständen in einer Kaserne absolvieren. Dort gab es regelmäßige Drogenkontrollen und Zimmerüberprüfungen mit ausgebildeten Drogenhunden. Das wäre schlecht fürs Geschäft gewesen. Neben dem Zivildienst konnte er sich in aller Ruhe dem Handel mit Rauschmitteln widmen. Dachte er. Er musste feststellen, dass Zivildiener wie Soldaten überprüft wurden, was für ihn in einer Jugendstrafe endete und mit dem Eintrag in der schwarzen Liste der üblichen Verdächtigen.

Aus dieser Entwicklung entwickelten sich für Siggi zwei schwerwiegende Folgen. Hermine und Heinz Hrdlicka reichte es mit dem Egger-Kind und sie warfen ihn hinaus. Er musste sich eine eigene Wohnung suchen, was zunächst kein Problem darstellte, da er genug Geld gespart hatte, um sich ein kleines Heim in Wien anzumieten. Das Geld ging schnell aus, weil die zweite Folge war, dass die Organisation in ihm seit seiner Jugendstrafe ein Sicherheitsrisiko sah. Bei jedem Verdacht, jeder größeren Menge Drogen, welche die Polizei sicherstellte, und jedem geplatzten Drogenhandel stand die Kriminalpolizei bei ihm auf der Matte. Der erste Schritt ihrer Ermittlungen war, die schwarze Liste der üblichen Verdächtigen abzuarbeiten. Es war eine Frage der Zeit, bis sie Siegfried Egger erneut erwischten. Aufgrund der Volljährigkeit käme er nicht mit einer Jugendstrafe davon. Und was täte Siggi? Packte er aus? Verriet er seine Hintermänner, um sich ein milderes Strafmaß auszuhandeln? Sie machten Siegfried klar, dass er weder als Kurier, noch als Dealer weiterarbeiten konnte. Gerne verkauften sie ihm weiterhin das benötigte Heroin zum Vorzugspreis. Als kleines Dankeschön für seine Dienste. Ohne Einkommen, ohne Ausbildung und aufgrund der Tatsache, dass er für die Sucht bezahlen musste, begann er dieses und jenes zu stehlen, um Geld heranzuschaffen. Zuerst geringfügigere Diebstähle. Dinge, die man leicht zu Geld machen konnte. Mobiltelefone, Handtaschen und Artikel aus Kaufhäusern. Siggi entwickelte seine Technik weiter. Lernte von befreundeten Dieben und Einbrechern und schuf sich ein Netzwerk von Hehlern, welche die Sachen gegen eine kleine Provision verkauften. Bald brach er professionell in Häuser ein. Wie heute.

*

Siggi wusch sich sein Gesicht mit kaltem Wasser, als könnte er damit die Erinnerungen abwaschen. Für eine kurze Zeit gelang dies. Langfristig vergaß er, wenn er high war. Er schaute in den Spiegel. Die Haut war von der eiskalten Flüssigkeit gerötet. Egger drehte den Wasserhahn zu, verließ das Bad und ging durch das Vorzimmer ins Wohnzimmer. Dort ließ er sich auf die mit orange, gelb und dunkelbraun gestreiftem Stoff bezogene Couch nieder, die seit den Siebzigern in der Wohnung stand. Die Eckbank schloss rechts an den Türrahmen an. Zwei Sitzplätze waren an der Wand, bevor sie eine L-förmige Biegung machte und bis zur Mitte des Raumes weiteren drei Personen Platz bot. Davor stand ein rechteckiger Tisch auf dem mit braunen Teppichfliesen ausgelegten Boden, der an seinen vier Ecken abgeschrägt und mit beigefarbenen Keramikfliesen bedeckt war. Er setzte sich auf einen Platz an der Wand, von dem man linker Hand einen Durchgang in die kleine Küche sah, deren orangefarbene Schranktüren im Widerstreit mit dem grünen Linoleumboden standen. Egger holte eine Zigarettenpackung und ein billiges Feuerzeug aus der Hosentasche, zündete sich eine an und zog den Aschenbecher, den er aus einem Lokal mitgehen ließ, von der Mitte des kleinen Tisches zu sich heran. Er überlegte, ob er den alten Röhrenfernseher, der in der linken hinteren Ecke des Wohnzimmers auf einem Beistelltisch stand, einschalten sollte. Er ließ es bleiben. An der Gegenüberwand waren zwei Fenster, die blassgelben Rollos heruntergelassen. Zwischen den Fensteröffnungen befand sich ein kleiner, dunkelbrauner Esstisch mit zwei Sesseln. Siggi spürte einen leichten Druck im Rücken. Er legte die brennende Zigarette im Aschenbecher ab, griff nach hinten und zog ein Küchenmesser aus dem Gürtel. Er hatte es nach der Tat eingesteckt, da er es nicht am Tatort zurücklassen wollte. Siegfried hatte vergessen, dass ein Messer zwischen Gürtel und Hosenbund steckte. Ein Glück, das er es sich nicht in den Rücken gestochen hatte, als er sich setzte. Er betrachtete die Klinge, drehte sie in der Hand. Sie war blutverschmiert. Siggi legte das Messer auf den Couchtisch, stand auf und zog die Jeans aus. Er prüfte, ob die Hose Blutflecken aufwies. Mit einem blauen Slip bekleidet betrachtete er im Stehen seine Hose. Sie hatte auf der Gesäßnaht Spuren von Blut. Das Schneidegerät hatte abgefärbt, dacht er sich. Er musste die Jeans waschen. Was war heute schief gelaufen? Die kleine Stadtvilla hatte vielversprechend ausgesehen.

*

Die Villa stand inmitten anderer Häuser gleicher Bauart. Jedes für sich, umgeben von Gärten, hohen Zäunen und Hecken. Es war kalt diesen Morgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Es versprach ein trüber Tag zu werden, wie die Tage zuvor. In der Früh war es kalt gewesen und es hatte nach Winter gerochen. Es würde um einiges wärmer. Bei der ungewöhnlichen Wetterlage fand Egger die Kombination aus Daunenjacke und T-Shirt angemessen. Er konnte bei ansteigender Temperatur den Reißverschluss der Jacke öffnen und war tagsüber nicht übermäßig eingepackt. Hinter der rosafarbenen Stadtvilla war ein Bahndamm, der den Einblick auf das Grundstück von dieser Seite aus unmöglich machte. Am Tag zuvor hatte er sich am Damm entlang bis zu dem Haus geschlichen und sich im schmalen Streifen aus Buschwerk, der die Bahnböschung von der Grundstücksgrenze trennte, versteckt. Er hatte sein nächstes Ziel ausgespäht und es schien ein Volltreffer zu sein. Die Villa wurde von einem älteren Pärchen bewohnt. Keine Kinder oder andere Mitbewohner. Gestern verließen sie gemeinsam gegen acht das Haus und kamen erst am späten Nachmittag zurück. Einzubrechen wäre leicht gewesen. Am ersten Tag der Beobachtung war ihm das zu riskant, obwohl er dringend Geld brauchte. Siggi hatte dahingehend schlechte Erfahrungen gemacht. Einen kleinen Rundgang um die Villa gönnte er sich. Die Bewohner schienen beide berufstätig zu sein. Gut. Den ganzen Tag ein unbewachtes Haus, von hohen Hecken umgeben, die zu dieser Jahreszeit kein Grün trugen. Sie boten einen hervorragenden Sichtschutz, obwohl die Blätter fehlten. Heute wagte er es. Siegfried sah die Wolken am Himmel an. Alles grau. Er hoffte, dass der Regen noch auf sich warten ließ. Eine nasse Wiese konnte er nicht gebrauchen. Man schleppte den Schmutz ins Haus und hinterließ Fußspuren. Im Haus, aufgrund der schlammigen Schuhe, und davor, in der weichen Erde. Siggi war bei jedem Einbruch darauf bedacht gewesen, wenig Spuren zu hinterlassen. Er war keiner der Einbrecher, die alle Laden und Schränke aufrissen und Sachen durchwühlten. Er suchte gezielt und verließ den Tatort in dem Zustand, in dem er ihn aufgefunden hatte. Den Schmuck und das Bargeld ausgenommen. Die Hausbesitzer sollten erst spät bemerken, dass er hier gewesen war. Siegfried zog die Riemen des militärgrünen Rucksacks, den er für das Diebesgut mitgenommen hatte, enger um die Schultern.

Im morgendlichen Zwielicht beobachtete Egger, wie sich der Hausherr an der Türschwelle mit einem Kuss von seiner Frau verabschiedete. Er ging ohne Ehefrau. Es war erst sieben Uhr. Musste er früher zur Arbeit? Siggi war davon überzeugt, dass die Frau noch fortginge, da sie mit einem eleganten Nadelstreifkostüm bekleidet war. Er wartete weiter. In dieser Stadtvilla gab es reiches Diebesgut zu holen. Bei seinem vortägigen Rundgang war es ihm gelungen, einen Blick durch die Fenster zu werfen. Die Terrassentüren, die man von Bahndamm aus sehen konnte, führten ins hell eingerichtete Wohnzimmer. Die beiden Chesterfield Sofas waren nicht billig gewesen und der große Flachbildfernseher zeichnete das Haus als lohnenswertes Ziel aus. Alles war sauber und aufgeräumt. Sein Rundgang hatte ihn an der Eingangstür vorbei zur Vorderseite des Gebäudes geführt. Durch das erste Fenster hatte er eine rustikale Küche, in der scheinbar nicht viel gekocht wurde, gesehen. Dort schaute er sich heute um. Das Geld war öfter in der sprichwörtlichen Kaffeedose versteckt, als man dachte. Egger hatte das Haus umrundet. An der Hauswand gegenüber dem Eingang hatte er erneut durchs Fenster gespäht. Ein Arbeitszimmer. Hier musste er hineingehen, wenn er im Haus war. Bei den Terrassentüren einbrechen, das Büro und die Küche durchsuchen, durch das Wohnzimmer und im Anschluss hinaus, wo er hereingekommen war. Der Plan stand.

Die Hausherrin musste bald die Villa verlassen. Siegfried lag auf der Lauer. Wenn man bewegungslos in einer Hecke kauerte, wurde es frisch. Die Tatsache, dass der nächste Schuss lange überfällig war, verbesserte Siggis körperliches Befinden kein bisschen. Er zog sich die alten, schwarzen Lederhandschuhe an, die bis jetzt in den Taschen seiner Daunenjacke gesteckt hatten. Eine Stunde musste er warten. Er getraute sich nicht, zu rauchen. Wenn die Hausbesitzerin vom Wohnzimmer aus Richtung Damm schaute, wäre ihr die leuchtende Glut aufgefallen. In der Wartezeit hatte er, ohne angezündete Zigarette, öfter das Gefühl entdeckt worden zu sein. Die Frau sah von Zeit zu Zeit aus dem Fenster in den Garten. Sie stand hinter den Scheiben der Terrassentüren und schien ihn geradewegs anzusehen. Er versuchte, sie einzuschätzen. Ein teures Kostüm, dunkle, schulterlange Haare, schlank. Der Kragen ihrer weißen Bluse war über die Schultern des Nadelstreifsakkos gelegt. Eine Managerin bei einem großen Betrieb, dachte er. Eine Businessfrau. Hatte sie ihn entdeckt? Rief sie die Polizei? Siegfried verwarf den Gedanken. In den Büschen war er ausreichend geschützt. Vor allem, wenn man nicht damit rechnete, dass hier jemand hockte und vor sich hin fror. Jetzt könnte sie das Haus schön langsam verlassen, dachte Siggi. Der Entzug entfachte eine unangebrachte Hast in ihm. Wäre es besser gewesen gestern zuzuschlagen? Nein, das wäre überstürzt gehandelt. Er musste sich zusammenreißen. Es dauerte noch eine Weile, bis er zu frischem Stoff kam. Wenn er kein Bargeld fände, müsste erst das Diebesgut verkauft werden. In diesem Fall ließe er eine Geldbörse aus einer Handtasche mitgehen. Egger wollte solche kleinen Diebstähle nicht mehr machen. Das Risiko stand in keiner Relation zum Gewinn. Die potentiellen Opfer wurden aufmerksamer und aufgrund der Tatsache, dass jeder ein Mobiltelefon bei sich trug, war die Polizei schnell alarmiert.

Gegen acht Uhr war es soweit. Die Hausbesitzerin verließ die Villa und sperrte gewissenhaft die Vordertür ab. Sie ging den Weg bis zum grünen, schmiedeeisernen Gartentor und schloss diese hinter sich ab. Jetzt hatte er das Haus den ganzen Tag für sich. Egger schaute sich um. Kein Mensch zu sehen. In geduckter Haltung schlich er aus den Büschen und überwand den Zaun, bei dem die Eisenspitzen viel zu weit auseinanderlagen, als dass sie jemanden aufhielten. Die Hecke hinter dem Zaun stellte ein größeres Problem dar, da man sich nach den Eisenstangen nicht zu Boden sinken lassen konnte, sondern die dünnen, instabilen Äste überwinden musste. Er nahm den Rucksack ab und warf ihn in den Garten. Siegfried stieg über den Zaun und legte sich flach auf die Hecke. In dieser Position verteilte er sein Gewicht und sank nicht im Geäst ein. Er rollte sich ab und sprang auf den Rasen. Nachdem er sich die Tasche erneut geschultert hatte, erreichte er mit schnellen Schritten die Terrasse. Er prüfte die Umgebung. Alles ruhig. Er ging ans Werk.

Eine der Terrassentüren war gekippt. Es wurde leichter, als er gedacht hatte. Siggi zog einen langen Schraubendreher aus dem Rucksack und begann die Tür auszuhebeln. Seine Lehrmeister hatten gute Arbeit geleistet und die Erfahrung tat ihr Übriges. Er verschaffte sich schnell Zutritt und verstaute den Schraubendreher im Ranzen. Egger betrat das Wohnzimmer. Um diesen Raum kümmerte er sich am Schluss. Das Zimmer, das dem Fluchtweg am nächsten lag, kam zuletzt an die Reihe. Mit zunehmender Zeit, die er im Haus verbrachte, wurde das Risiko entdeckt zu werden größer. Aus diesem Grund hatte er sich angewöhnt, vom entferntesten Punkt Richtung Ausgang zu arbeiten. Sein Weg führte ihn in den Flur. Er betrachtete den Flachbildschirm. Wertvoll. Viel zu groß für den Rucksack. Wenn die Zeit reif war, kaufte er sich ein solches Gerät. Wenn er eine eigene Wohnung hatte. Den Blick auf den Bildschirm gerichtete, stieß er gegen den Couchtisch. Die Vase mit den gelbroten Tulpen wackelte bedenklich und Egger griff zu, um sie zu stabilisieren. Ohne die schnelle Reaktion wäre sie umgekippt und nach dem Aufrichten böten die Wasserspuren ein untrügliches Zeichen seiner Anwesenheit. Im Flur bog er nach links ab. Dort musste das Arbeitszimmer sein. Am Ende des Ganges befand sich eine Tür. Sie war verschlossen. Nicht versperrt. Als er eintrat, sah er sich einem massiven Schreibtisch gegenüber. Diesen hatte er gestern durch das Glasfenster gesehen, auf der anderen Seite des Zimmereingangs lag. Rechts neben dem Eingang führte eine Tür in einen weiteren Raum, den er sich anschaute, wenn er hier fertig war. In der rechten Wand befand sich ein zweites Fenster, das vierte an der Vorderseite des Hauses, direkt unter dem kleinen Türmchen, das der Villa ein märchenhaftes Aussehen verlieh. Vor jeder der grün gestrichenen Mauern standen vollgeräumte Bücherregale. Siggi konnte nicht unterscheiden, ob es sich um Stilmöbel oder echte Antiquitäten handelte. Er war kein Möbelexperte. Den Schreitisch, den er umrundete, um sich vor den dunkelbraunen, abgesteppten Ledersessel zu stellen, konnte er, wie die restlichen Möbel, nicht schätzen. Der Tisch war groß. Auf der Tischplatte stand eine goldfarbene Lampe mit grünem Schirm. Daneben eine Plexiglashalterung mit zwei Stiften. Als Schreibunterlage diente eine Matte aus dunkelgrünem Leder. An der linken und rechten Seite des reich verzierten Möbelstücks befanden sich vier Laden. Eine in der Mitte. Diese hatte ein Schloss und ließ sich nicht öffnen, wie Siggi feststellen musste. Wenn sich irgendetwas Wertvolles in dem Schreibtisch fände, wäre es hier. Siegfried durchstöberte die seitlichen Schubfächer. Er fand weder Dinge, die sich zum Mitnehmen anboten, noch den Schlüssel zur mittleren Lade. Er war gezwungen, sie aufzubrechen. Er tat das nicht gerne. Benutzte einer der Hausbesitzer das Arbeitszimmer, bemerkte er sofort das aufgebrochene Schloss. Warum sperrte man eine Lade ab, wenn sich darin wertloses Zeug befand? Egger verwendete erneut den Schraubendreher aus dem Rucksack und mit einem Knirschen öffnete sich die Schublade. Er durchsuchte den Inhalt. Fotos, Dokumente und zweihundert Euro in bar. Siggi steckte das Geld in die Innentasche der Jacke, den Rest ließ er zurück. Der nächste Schuss war gesichert. Er ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Wenn hinter den zahlreichen Büchern ein Safe zu finden gewesen wäre, könnte er diesen nicht öffnen. Seine Kenntnisse waren zu gering. Sorgfältig schob er die Lade zu, sodass bei einem flüchtigen Blick nichts Ungewöhnliches zu erkennen war. Siegfried ging zu der Tür, durch die er hineingekommen war. Ein schneller Rundblick in den Flur. Nichts. Er verschloss die Tür vom Arbeitszimmer aus und wandte sich dem zweiten Ausgang zu. Dieser Durchgang führte in ein Esszimmer, das weiß gestrichen war und einen hellen Parkettboden hatte. Links befanden sich die zwei mittleren Fenster der Vorderseite des Hauses. In der Mitte des Zimmers stand ein großer, schwerer Holztisch mit zwölf dunkelbraunen Ledersesseln. Zwei an den beiden Kopfenden und fünf an jeder langen Seite des Tisches. An den Mauern hingen Gemälde von Landschaften und an der Wand gegenüber stand eine stilvolle Kommode. Er fände dort Geschirr und Besteck. Wenn das Essbesteck aus Silber wäre, nähme er es mit. Siggi öffnete die Laden und Türen des Schrankes. Die Teller, Tassen und Schüsseln mit dem kleinen, filigranen Blumenmuster waren aus teurem Porzellan. Zu umfangreich und zu schwer, um sie mitzunehmen. Geschirr ließ sich schlecht verkaufen. Das Besteck war ein Reinfall. Es war aus Edelstahl. Er wollte den Platz im Rucksack nicht verschwenden. Im Wohnzimmer vermutete er Schmuck und die Küche böte noch eine Überraschung für ihn, dachte er. Durch die zweite Tür des Esszimmers gelangte er zurück in den Flur. Er verschloss diesen Eingang sorgfältig. Die Tür daneben führte in die Kochstube. Die übrige Einrichtung des Hauses fand Egger stilvoll, die Küche aus Kieferholz furchtbar. Überall das verästelte Muster groben Holzes. Die Schranktüren, die Arbeitsplatte und der Esstisch waren damit bedeckt. Ihm könnte bei diesem Anblick schwindelig werden. Zuerst machte er sich über die Hängeschränke her und durchsuchte sie. Gerade als Siggi den ersten Schrank öffnen wollte, hörte er, dass ein Schlüssel im Schloss der Eingangstür gedreht wurde.

Verdammt! Wer war das? Die Tür wurde geöffnet und eine Person trat ein. Er musste weg. Der Fluchtweg führte über den Flur, in dem sich der Eindringling aufhielt. Durch das Küchenfenster? Er müsste es öffnen und hinaus klettern. Das dauert zu lange, dachte er. Seine Gedanken rasten. Von einem Moment auf den anderen hatte sich die Lage grundlegend geändert. Fünf Minuten später und er wäre aus dem Haus gewesen. Oder zumindest im Wohnzimmer, wo er schnell durch die Terrassentür verschwunden wäre. Was tun? Er erinnerte sich, dass er vor zwölf Jahren bei einem Einbruch überrascht worden war. Bisher ein Einzelfall. Er hatte gedacht, das Haus wäre leer. Er hatte sich geirrt, nicht genug recherchiert. War gleich am ersten Tag eingebrochen. Im oberen Stock war der älteste Sohn der Familie noch zu Hause gewesen. Als dieser die Treppe heruntergekommen war, hatte sich Siegfried ein Messer gegriffen und ihn bedroht. Der junge Mann hatte die Hände gehoben und darum gefleht, dass Siggi ihm nichts tun solle. Egger hatte sich rasch aus dem Staub gemacht. Sie haben ihn geschnappt.

Und jetzt? Sollte er erneut ein Messer nehmen? Er war in der Küche. Hier gab es mit Sicherheit ein Schneidegerät. Auf der Arbeitsplatte lag ein langes Fleischmesser. Siggi griff zu. Er schlich zur Tür und späte um die Ecke. Sofort erkannte er das Nadelstreifkostüm der Hausbesitzerin. Sie drehte ihm den Rücken zu. War sie nicht arbeiten gegangen? Hatte sie Unterlagen vergessen, die sie im Büro brauchte? Egal. Sie war zurückgekommen. Er hoffte, dass sie an der Küche vorbei ins Arbeitszimmer ging, um die liegengelassenen Akten zu holen. Er könnte sich schnell über den Flur und das Wohnzimmer absetzen. Eine weitere Möglichkeit war, dass sie zuerst ein Glas Wasser trinken wollte. Sie käme in die Küche. Zu ihm. Es bliebe ihm zu reagieren. In einer solchen Situation musste man handeln, nicht kontern, oder man verlor die Kontrolle. Nach wie vor drehte die Managerin Siegfried den Rücken zu. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen. Sie wollte das saubere Haus nicht mit dem Dreck der Straße verschmutzen. Sie geht ins Arbeitszimmer, dachte Siggi. Für einen kurzen Abstecher in die Küche ließ man das Schuhwerk an. Oder? Egger war ratlos. Muss die gerade jetzt auftauchen? Wenn sie in die Kochstube will, muss ich sie vorher überraschen, dachte er. Sie sah ihn nicht. Wusste nichts von seiner Anwesenheit. Jetzt!

Er preschte vorwärts und packte sie von hinten. Umklammerte den Oberkörper mit dem linken Arm. Die sehnigen Muskeln hielten sie wie in einem Schraubstock gefangen. Der Duft eines süßlichen Parfüms stieg dem Angreifer in die Nase. Überrascht weiteten sich ihre Augen. Sie öffnete den Mund. Siegfried legte das Küchenmesser, das er in der rechten Hand hielt, an ihren Hals. Gerade als Siggi ihr befehlen wollte, nicht zu schreien, schrie sie. Schlecht, schoss es Egger durch den Kopf. Er musste sie zum Schweigen bringen. Alle Welt würde aufgrund ihres Geschreis auf ihn aufmerksam. Man hört den Schrei bis nach Deutschland, dachte er. Hör auf, herrschte er sie an. Er sprach die Worte nicht aus. Sie waren in seinen panisch herumirrenden Gedanken. Er zog das Messer durch ihre Kehle.

Das alles dauerte wenige Sekunden. Der Schrei verstummte sofort. Blut spritzte im Takt des vergänglichen Herzschlages aus der klaffenden Halswunde. Entsetzt löste Siegfried seinen Griff und ihr lebloser Körper schlug mit einem Krachen auf den Boden des Flurs. Egger starrte auf die Leiche. Er bemerkte, dass sie einen der Schuhe noch anhatte. Der andere lag neben ihr. Langsam bildete sich rund um den Kopf eine Blutlache. Sein Blick fiel auf das rot tropfende Küchenmesser. Er hatte sie umgebracht! Einen Moment verharrte er schockiert nahe der Leiche. Er fand zu sich. Er musste hier weg. Die Lache floss auf ihn zu. Bald hatte sie seine alten, gelben Arbeitsschuhe erreicht. Noch bevor die Schuhe das Blut berührten, machte er einen Schritt Richtung Wohnzimmer. Noch einen. Und noch einen. Bis er zu laufen begann. Er hob Daunenjacke und Rucksack an und schob das Messer zwischen Gürtel und Hosenbund. In seiner Panik arbeitete er sich durch das Gestrüpp der Hecke, bis er den schmiedeeisernen Zaun zu fassen bekam. Er kletterte darüber und lief die Büsche vor dem Bahndamm entlang. Nach Hause. Er wollte nach Hause.

*

Jetzt saß er da, mit einer Unterhose bekleidet und das blutverschmierte Messer vor sich auf dem Couchtisch. Zweihundert Euro in bar und eine Leiche war alles, was der Raubzug eingebracht hatte. Er nahm die Zigarette aus dem Aschenbecher. Sie war halb abgebrannt. Er machte einen Zug und drückte sie mit zittriger Hand aus. Er hatte vor gehabt, sofort seinen Freund anzurufen um Heroin zu bestellen. Zuerst musste er das Messer loswerden. Wenn die Polizei auf die Idee käme, dass es sich bei dem Einbruch um Beschaffungskriminalität handelte, stand er weit oben auf der Liste der üblichen Verdächtigen. Siggi ging in die Küche und öffnete eine der orangefarbenen Schranktüren. Er riss einen festen Müllsack von der Rolle ab, die er aus dem Kasten genommen hatte. Damit kleidete Egger seinen Rucksack aus, wobei er den Schraubendreher, der sich in der Tasche befunden hatte, im schwarzen Plastiksack verstaute. Aus dem Kühlschrank nahm er eine Flasche hochprozentigen Schnaps, die er in den Ranzen gleiten ließ. Er ging ins Bad, holte das Iron Maiden Shirt aus der Badewanne und stopfte es ebenfalls hinein. Siegfried vernichtete alle Beweise. Und er wusste wie. Er vergrübe sie im Wienerwald. Egger zog den Gürtel aus der Hose. Die verschlissenen Jeans fanden den Weg in den Müllsack, nachdem er die Taschen geleert hatte. Er umrundete die Sitzecke. Dahinter, gleich an der Rückseite der Bank, stand ein Einzelbett mit himmelblauen Bettbezügen, die mit kleinen, weißen Schäfchenwolken verziert waren. Er hatte die Bezüge als Kind von seinen Großeltern bekommen und neben den Arbeitsschuhen waren sie das Einzige, das er noch aus dieser Zeit hatte. Siegfried wollte sie vor langer Zeit ersetzen. Es fehlte das Geld und mittlerweile waren sie treue Begleiter geworden. Am Bett vorbei kam man zu einem Wandschrank, der bis zur Decke reichte und im selben Hellbraun gehalten war, wie die Teppichfliesen. Hier bewahrte Egger seinen gesamten, überschaubaren Besitz auf. Er zog das zweite Paar Jeans aus dem Möbelstück. Wenn er ein Paar vernichtete, war diese Hose die Letzte. Siggi zog sich die hellblauen Jeanshosen an, fädelte den Gürtel ein und griff erneut in den Schrank, um sich ein frisches T-Shirt herauszunehmen. Es war schwarz mit einem Piratenabzeichen auf der Brust, das statt der üblichen Knochen zwei Säbel unter dem Totenkopf gekreuzt hatte. Neu eingekleidet ging er zurück zum Couchtisch und steckte Zigaretten und Feuerzeug ein. Das Messer noch und er wäre bereit aufzubrechen. Vor dem Aufbruch wollte er sich erneut davon überzeugen, dass auf der Jacke keine Spuren waren. Auf die Daunenjacke und die Schuhe konnte er nicht verzichten. Siggi hatte keinen Ersatz. Er steckte das Messer in die Tasche und verschloss sie. Er ging ins Vorzimmer, nahm die blaue Jacke und betrachtete sie vorne und hinten. Nichts zu sehen. Siegfried zog sie an und schlüpfte in die Arbeitsschuhe. Er verließ die Wohnung.

Normalerweise erledigte Egger seine Wege zu Fuß. An ein Auto brauchte er nicht zu denken. Die Fahrscheine für die öffentlichen Verkehrsmittel waren teuer. Anschaffung, Versicherung, Erhaltung und Benzin für einen Wagen zu bezahlen für ihn ein Ding der Unmöglichkeit. Er säße die meiste Zeit high am Steuer und er hatte keinen Führerschein. Wenn sie ihn erwischten, wäre das eine lange Zeit Ersatzarrest. Die Geldstrafe könnte er nicht bezahlen. Mit den Öffentlichen fuhr er, wenn der Weg zu weit und die Zeit zu kurz war, um rechtzeitig ans Ziel zu kommen. Sein Umfeld beschränkte sich die meiste Zeit auf jene Orte, die innerhalb von ein paar Minuten zu Fuß erreichbar waren. Der Wienerwald zählte nicht zu diesen Plätzen. Er beschloss, in dem Fall mit Bahn und Bus zu fahren. Schwarzkappler, in Wien eine Bezeichnung für die Fahrscheinkontrolleure, weil sie früher schwarze Dienstkappen trugen, wären zu der späten Stunde auf der Verbindung in den Wald nicht anzutreffen. Siegfried riskierte eine Fahrt ohne Fahrschein. Der Weg war weit und nach Hause müsste er zu Fuß gehen, da die Busse auf dieser wenig benutzten Strecke nicht bis in die Nacht verkehrten. Obwohl der Rückweg bergab führte, berechnete er zwei Stunden dafür. Er seufzte. Er kehrte erst morgen Früh zurück.

*

Nachdem er die S-Bahn und den Autobus genommen hatte, stieg er eine schwache Stunde später in der Amundsenstraße, mitten im Schottenwald, einem Teil des Wienerwaldes, aus. Der vorletzte Bus in dieser Nacht verschloss hinter ihm die Türen und verschwand in der Dunkelheit. Siegfried sah ihm nach. Der letzte Autobus kam in dreißig Minuten. Wie er sich gedacht hatte, erreichte er den auf keinen Fall. Er hatte noch einiges zu erledigen. Der nächste fuhr erst um fünf Uhr Früh, da wäre er seit gut drei Stunden zu Hause, wenn er zu Fuß heimging. Er stand auf der zu dieser Zeit leeren Straße und blickte auf den dichten Wald, der zum Großteil aus Buchen, Eichen und Hainbuchen bestand. Die kahlen Äste ragten wie dürre Finger in den Himmel. Wenn die Bäume nicht Ende des neunzehnten Jahrhunderts von Josef Schöffel gegen die fieberhafte Baukonjunktur vor der Abholzung gerettet worden wären, bestünde für Siegfried heute keine Möglichkeit, seine Spuren zu verwischen. Und wenn ihm die Geschichte vom Kampf zwischen Privatisierungsinteressierten und Naturschützern bekannt wäre, er dankte diesem Herrn. Er betrat den Schottenwald und ging eine kurze Strecke bergauf. Die Äste und Blätter, die seit dem Herbst auf dem Untergrund lagen und sich langsam in frische, nährstoffreiche Erde verwandelten, knirschten und knackten unter den Schuhen. Normalerweise sollte der Boden um diese Jahreszeit mit Schnee bedeckt sein, dachte Egger. Bald erreichte er einen grünen Maschendrahtzaun. Ab hier war das Betreten gesetzwidrig. Der gesamte Wienerwald war von der UNESCO als Biosphärenpark naturgeschützt und es war verboten, außerhalb der vorgegebenen Wege zwischen den Bäumen zu wandeln. Der Zaun sollte die unerwünschten Besucher vom Wald und das Wild von der Straße fernhalten. Bei den Tieren gelang das. Siggi hatte keine Probleme den Zaun nach oben zu biegen, den Rucksack unten durch zu schieben und durchzuklettern. Nachdem das getan war, schwang er die Tasche auf seinen Rücken und bestieg weiter die tektonischen Abbrüche des Wiener Beckens, die sogenannte Thermenlinie, die den Hang steiler machten, als er erwartet hatte. Eine Stunde später erreichte er eine kleine Lichtung tief im Wald, die er als Grabstätte der Beweisstücke auswählte. Mit den Arbeitsschuhen schob er das trockene Blätterwerk beiseite und prüfte den Boden. Die Erde war nicht gefroren, was ihm sein Tun erleichterte. Siggi hatte weder Schaufel noch Spaten und das Loch musste tief genug werden, um den gesamten Müllsack aufnehmen zu können. Ein hartes Stück Arbeit stand ihm bevor. Er legte den Rucksack neben sich ab und suchte den Schraubendreher, mit dem er die Erde zunächst auflockern wollte. Mit unzähligen Stichen perforierte er den Waldboden, bis er locker genug schien, um mit den Händen zu schaufeln. Wenn der Mord keine Spuren auf der Kleidung hinterlassen hatte, tat es das Graben umso mehr. In kurzer Zeit waren die Jacke und die frische Hose mit Erde bedeckt. In diesem schmutzigen Aufzug könnte er ohnehin nicht mit dem Bus nach Hause fahren. Siggi wollte Handschuhe benutzen. Er unterließ es, da er erkannte, dass sich der Humus mit bloßen Händen leichter fassen ließ. Die Erde setzte sich unter seinen zu langen Fingernägeln fest. Sie roch frisch und feucht. Verbissen schob er eine Fuhre nach der anderen zur Seite. Schweiß lief Egger die Stirn herunter. Er behielt die Daunenjacke an. Es war zu kalt und er hatte nicht vor, die nächsten Wochen krank im Bett zu verbringen. Nach einiger Zeit, Siegfried hatte keine Ahnung, wie lange es gedauert hatte, tat sich vor ihm ein Loch auf, die Erde rundherum aufgeschüttet und von Blättern umgeben. Das reicht, dachte Siggi erleichtert. Er zog den Müllsack aus der Tasche und legte ihn mit der offenen Seite nach oben in das Erdloch. Er zog die Schnapsflasche aus dem Sack und warf den Schraubendreher und die Handschuhe hinein. Er hatte sie beim Mord getragen. Es war besser, sie zu vernichten, obwohl er keine anderen hatte. Siggi öffnete die Flasche, nahm einen kräftigen Schluck des brennenden Alkohols, den hatte er sich verdient, und schüttete den Rest auf die Beweisstücke. Die Metallgegenstände verbrannten nicht. Die Spuren wären unkenntlich gemacht, dachte er, als er in die Hosentasche griff und das Feuerzeug herausholte. Siegfried nahm einen der herumliegenden Äste und zündete ihn an. Gott sei Dank hatte es nicht stark geregnet. Das Holz war trocken genug, um in Brand zu geraten. Er wartete, bis sich die Flamme stabilisiert hatte, und warf die leere Schnapsflasche und den brennenden Ast in den Müllsack, wo der Alkohol sofort Feuer fing. Egger zündete sich eine Zigarette an und betrachtete während des Rauchens die Flammen, die aus dem Loch hervorzüngelten. Hoffentlich sah das Lagerfeuer niemand. Das war zu der Nachtzeit, an diesem abgelegenen Ort, unwahrscheinlich und ein Risiko, das er eingehen musste. In der Luft machte sich ein beißender Geruch breit. Entweder schmolz der Griff des Messers, des Schraubendrehers oder der Müllsack. Auf jeden Fall war es Zeit, das Feuer auszumachen. Siegfried warf den Zigarettenstummel in das Lagerfeuer und begann die rund um das Loch aufgeschüttete Erde mit dem Fuß hineinzukehren. Zuerst wehrten sich die Flammen noch. Bald war der Müllsack mit Erde zugedeckt und das Feuer erlosch. Egger trat die Erde platt und schob verrottetes Laub über die Stelle. Der Mord war ein dummer Zufall gewesen. Er musste noch nach Hause, seine Kleidung in der Badewanne waschen und keine Spur führte mehr zu ihm. Er hatte nichts mit dem Opfer zu tun. Sie erwischten ihn nicht.

BUCH

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