Читать книгу Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Rita anonym um 1900 - Страница 7

Januar 1901

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1. Jänner 1901(?): Wenigstens ein paar Sätze muss ich schreiben. Nachmittags waren wir bei Rydbergs eingeladen, und da waren auch die Warth Edle von Wernhoff!! dort. Mit der Lisel habe ich geredet wie gewöhnlich, aber mit dem R. kein Wort. Sie sind früher fort als wir, und da hat mich die Heddy gefragt, was ich mit dem R. gehabt habe. Er hat von mir gesagt: Die schwarze Gans kann mir gestohlen werden. Und dann hat er gesagt, mir kann man alles aufbinden. Ich bin so dumm, dass ich alles glaube. Was das eigentlich heißen soll, weiß ich nicht; denn er hat mir nie etwas aufgebunden. Übrigens werde ich mir nicht den ersten Tag im Jahr durch den verderben lassen. Aber da hat die Hella Recht, wenn man am 1. Jänner einen ordinären Menschen zuerst begegnet, so ist das schon ein schlechter Anfang. Ich begegnete nämlich in der Frühe, wie ich aus dem Tore ging, unseren alten Briefträger, der immer so brummt wenn ihm nicht gleich aufgemacht wird. Ich schaute schnell weg und drüben ging gerade ein feiner junger Herr, aber das nützte nichts mehr, der ordinäre Briefträger war doch der erste.

12. Jänner: Ich ärgere mich furchtbar. Wir dürfen nicht mehr auf Eis gehen, weil die Inspee wieder mit ihren dummen Ohren anfängt und die Mama bildet sich ein, sie hat sich im vorigen Jahr die Mittelohrentzündung am Eis geholt. Also gut, dann soll sie nicht gehen; aber ich? Was kann denn ich dafür, dass sie so empfindlich ist? Der Papa ist sonst wirklich die Gerechtigkeit selber, aber in diesem Falle verstehe ich ihn nicht. Das ist doch einfach lächerlich, das heißt, es ist zu traurig, als dass man sagen kann lächerlich. Ich bin empört. Jedenfalls rede ich gar nichts.

12. Februar: Jetzt habe ich einen ganzen Monat nicht geschrieben, weil ich so viel lernen musste. Und heute haben wir die Zeugnisse bekommen. Im Fleiß habe ich, trotzdem ich so gelernt habe in der letzten Zeit, wieder nur einen Zweier. Die Frau Dr. M. hat eine großartige Ansprache gehalten und hat gesagt: Wie die Saat, so die Ernte. Das ist aber nicht immer wahr. In Naturgeschichte habe ich zweimal nichts gekonnt und habe doch 1 bekommen und in Geschichte habe ich nur einmal nichts gekannt und habe Genügend bekommen. Allerdings kann mich das Fräulein V. nicht leiden, weil ich damals in der Elektrischen nicht gegrüßt habe. Und deshalb hat sie auch im Jänner, wie die Mama nachfragen war, gesagt: „Es fehlt ihr am richtigen Ernst.“ Und damals habe ich gehört, wie der Papa zur Mama gesagt hat: Mein Gott, sie ist doch noch ein Kind, aber heute hat er mir doch einen Skandal wegen dem Fleißzweier gemacht. Das hat er doch wissen können. Die Dora hat, wie sie behauptet, lauter Einser, aber sie zeigt das Zeugnis nicht. Und was ich nicht sehe, das glaube ich nicht. Und die Mama verrät sie einfach nicht.

15. Februar: Der Papa ist wütend, weil der Oswald ein Nichtgenügend hat im Griechisch. Eigentlich ist das Griechisch ganz unnötig; denn niemand braucht es, außer die Leute in Griechenland, und dorthin geht doch der Oswald ohnehin nie, wenn er auch auf den Landesgerichtsrat studiert wie der Papa. Die Dora lernt natürlich Latein; na, das tue ich mir nicht an. Die Hella hat keine besonderen Noten, und ihr Papa tobte!!! Er verlangt, sie soll die Beste sein. Aber sie ist gar nicht so erpicht darauf und sagt: Man muss nicht alles haben. Wenn sie im zweiten Halbjahr nicht lauter Einser hat, darf sie nicht weiter gehen ins Lyz. Sie muss in die Bürgerschule gehen. Dann bringt sie sich um. Der Papa ist auch sehr komisch; wozu hat man denn Geschichtenbücher, als dass man sie liest. Gestern lese ich im Töchteralbum und der Papa kommt herein und sagt: Du, lies lieber im Geschichtsbüchel als im Geschichtenbuch und schlägt mir das Buch zu. Ich habe einen solchen Zorn gehabt, dass ich mich schon um 7 Uhr ohne Nachtmahl ins Bett gelegt habe.

20. Februar: Heute begegnete ich der Goldfee. Sie redete mich an und fragte, warum ich nicht aufs Eis komme. Das Kostümfest am 14. sei großartig gewesen. Ich sagte: Denken Sie sich Fräulein, meine Schwester hatte im vorigen Jahr Mittelohrentzündung, und deshalb dürfen wir beide heuer nicht aufs Eis. Sie lachte furchtbar und sagte so entzückend süß: Ja, die böse Schwester. Sie ist einfach göttlich: Ein rehbraunes Kostüm mit feinem Pelz, ich glaube Zobel, besetzt und einen riesigen braunen Kastorhut mit Schinébändern, hochfein. Und dann diese Augen und der Mund. Ich glaube, sie wird den Herrn heiraten, der immer mit ihr gelaufen ist. Wenn wir im Herbst wieder neue Winterkleider bekommen, lasse ich mir ein rehbraunes mit Pelz machen, wir müssen doch nicht immer gleich angezogen sein. Die Hella und die Lizzi sind nie gleich angezogen.

8. März: Mit der Franke spreche ich nie mehr ein Wort; eine solche Falschheit. Ich habe solche Kopfschmerzen, weil ich die ganze Stunde geweint habe. Sie schreibt der Hella und mir in der Rechenstunde auf: Ein Verhältnis heißt ganz etwas anderes. Und das Fräulein schaut gerade her und sagt: Wem hast du zugenickt? Und sie sagt: Der Lainer. Weil sie gelacht hat über das Wort „Verhältnis“. Das war aber wirklich nicht wahr. Ich habe zuerst an gar nichts gedacht und erst wie ich den Zettel lese, fällt der Hella und mir ein, was Verhältnis heißt. Nach der Stunde ruft uns das Fräulein St. hinunter ins Professorenzimmer und sagt der Frau Dr. M., dass wir, die Franke und ich, so gelacht haben über das Wort „Verhältnis“. Und die Frau Dr. M. sagt: Was gibt es denn da zu lachen; rechnet lieber ordentlich. Und das Fräulein sagt: Schämt Euch, in der ersten Klasse sollt Ihr solche Sachen gar nicht wissen. Ich werde mir Eure Mutter vorladen. In der Deutschstunde hat die Frau Dr. M. einen Spruch als Aufsatz gegeben: Rein das Herz und wahr das Wort, klar die Stirn und frei das Aug, das sei des Menschen Hort, oder so ähnlich; ich muss es mir von der Hella abschreiben, denn ich habe die ganze Stunde geweint.

10. März: Heute hat sich die Franke herausreden wollen; aber die Hella und ich haben ihr gleich gesagt, wir reden nicht mehr mit ihr. Und sie soll nur dran denken, was für Sachen sie uns gesagt hat. Und da hat sie alles abgeleugnet und gesagt, wir haben ohnehin schon alles gewusst. Wir sollen uns nur nicht so verstellen. Das ist eine Gemeinheit. Wir haben eigentlich gar nichts gewusst und sie hat uns alles gesagt. Und schon oft hat die Hella zu mir gesagt, sie wollte, dass wir gar nichts wüssten. Weil sie immer Angst hat, sich zu verraten. Und dann, weil sie oft an so etwas denkt, wenn sie lernen soll. Das ist bei mir gerade ebenso. Und manchmal träumen einem auch solche Sachen, wenn man gerade Nachmittag davon geredet hat. Aber es ist doch besser, wenn man alles weiß.

22. März: Ich komme so selten zum Schreiben, erstens haben wir sehr viel zu lernen und zweitens freut es mich nicht mehr, seit der Papa das gesagt hat. Wie ich das letzte Mal geschrieben habe, das war an einem Samstag nachmittags, da kommt der Papa herein und sagt: Kommt Kinder, wir fahren nach Schönbrunn. Das ist Euch gesünder als Tagebuchkritzeln, das Ihr dann höchstens irgendwo liegen lasst. Also hat die Mama es doch dem Papa gesagt in den Ferien. Das hätte ich nie geglaubt von der Mama, denn ich hatte sie gebeten, sie soll mir schwören, dass sie's niemanden sagt. Und sie hat gesagt: Bei so etwas schwört man nicht; aber ich sage es auch so niemandem. Und jetzt muss sie es doch gesagt haben, obwohl sie es mir versprochen hatte, nichts zu sagen. Da ist ja die Falschheit von der Franke nichts dagegen, denn die kennen wir doch erst seit heuer, aber dass die Mama das tut, das hätte ich nie geglaubt. Ich habe es der Hella erzählt, wie wir aufs Tivoli jausnen gingen und sie sagte, sie würde auch ihrer Mama nicht ganz trauen, eher noch dem Papa. Aber der hätte ihr, wenn ihr das passiert wäre, das Tagebuch um die Ohren gehauen. Ich habe mir nichts anmerken lassen, aber am Abend habe ich der Mama nur ein ganz kleines Bußerl gegeben. Und sie hat gesagt: Was hast du denn, mein Kleines, ist dir etwas passiert? Und da habe ich mich nicht halten können und habe grässlich geweint und gesagt: Du hast mich schmählich verraten. Und die Mama hat gesagt: „Ich?“ Ja, du; du hast dem Papa das vom Tagebuch gesagt, obwohl du mir versprochen hast, nichts zu sagen. Zuerst erinnerte sich die Mama nicht einmal daran; aber dann erinnerte sie sich gleich und sagte: „Aber, Kindchen, der Papa darf doch alles wissen. Du hast doch nur nicht wollen, dass die Dora etwas erfährt.“ Das ist wohl wahr, das wäre schon gar schön gewesen; aber der Papa hätte es auch nicht wissen brauchen. Und die Mama war furchtbar lieb und nett, und ich ging erst um 10 Uhr ins Bett. Aber sagen werde ich ihr doch auf keinen Fall mehr etwas, und das ganze Tagebuch freut mich nicht mehr. Die Hella sagt: Das ist eine Dummheit; deswegen soll ich nur weiterschreiben; aber ein andermal soll ich nichts verlieren, und dann soll ich nicht gleich immer alles der Mama und dem Papa klatschen. Sie sagt ihrer Mama gar nichts mehr, seit damals im Sommer, wo ihr ihre Mama eine Ohrfeige gegeben hat, weil ihr das fremde Mädchen alles gesagt hat. Es ist wahr, die Hella hat recht, ich bin sehr kindisch, dass ich mit allem gleich zur Mama renne und ihr alles erzähle. Und das ist vom Papa auch nicht schön, dass er mich so aufzieht mit dem Tagebuch; wahrscheinlich hat er selber nie eines gehabt.

27. März: Juchu, wir fahren zu Ostern nach Hainfeld; ich freue mich riesig. Die Freundin der Mama wohnt dort, und ihr Mann ist dort Doktor, deshalb müssen sie jahraus, jahrein dort wohnen. Voriges Jahr im Winter war sie einmal mit der Ada auf drei Tage bei uns, weil sie augenleidend ist. Die Ada ist zwar beinahe so alt wie die Dora, aber die Dora sagt in ihrer Frechheit: „Nach ihrem geistigen Niwo passt sie entschieden besser zu dir.“ Die Dora glaubt nämlich, so gescheit wie sie, ist kein anderer Mensch. Und zwei Buben haben sie, aber die kenne ich nicht genau, weil sie erst 8 und 9 Jahre sind. Die Freundin der Mama war schon einmal im Irrenhaus, weil sie trübsinnig war, wie ihr kleines Kind mit zwei Jahren gestorben ist. Ich kann mich gut erinnern, das muss vor zwei Jahren gewesen sein, da sagten die Eltern immer, die arme Anna, unter drei Tagen hat sie ihr Kind verloren. Und ich habe geglaubt, wirklich verloren, und habe einmal gefragt, ob sie es schon gefunden haben. Ich glaubte nämlich, im Wald verloren, weil bei Hainfeld so viel Wald ist. Und ich kann seither nicht leiden, wenn jemand sagt verloren statt, er ist gestorben, weil man sich dann nie auskennt, wie es gemeint ist.

Am 8. April fangen die Osterferien an, und wir fahren am 11., am Gründonnerstag.

6. April: Ich weiß nicht, wie ich das machen soll mit dem Tagebuchschreiben. Mitnehmen will ich es eigentlich nicht und mir alles merken und dann nachher alles schreiben, das weiß ich, das tue ich dann nicht. Die Hella meint, ich soll mir Schlagwörter, so sagt immer die Frau Dr. M., aufschreiben in Hainfeld und dann wenn ich zurückkomme, alles ordentlich aufschreiben. Sie macht es auch so. Sie fahren nämlich auf die Brionischen Inseln. Ich war noch nie am Meere. Die Hella sagt aber, es ist gar nicht so großartig. Sie war schon viermal. Aber sie ist nicht gar so vernarrt wie alle anderen Leute. Also muss es nicht so wunderbar sein. Und ich denke mir 's auch ziemlich fad.

12. April: Gestern angekommen. Ada sehr lieb und die zwei Buben furchtbar ordinär. Der Ernstl sagt zur Ada: Ich geb dir ein Paar am A..., wennst nicht augenblicklich mein Revolver hergibst. Die Ada ist schon so groß wie ihre Mama. Sie reden alle etwas bäurisch. Auch der Herr Doktor. Er trinkt furchtbar viel Bier, ich glaube 8 l.

14. April: Heute Papa nachgekommen. Hat den Herr Doktor riesig gern. Haben sich geküsst. Da hab ich furchtbar lachen müssen. Vormittag waren wir im Wald; aber es sind noch keine Veilchen, nur ganz wenig Schneeglöckchen, aber dafür riesig viel Nießwurz, ganz rote.

15. April: Gestern um 4 Uhr Auferstehung. Wir waren nicht drinnen in der Kirche, weil die Mama Angst hatte, der Dora wird schlecht vom Weihrauch und vom Stiefelgeruch. Solche Faxen! Es war sehr schön. Heute nachmittags fahren wir in die Ramsau, dort ist es sehr schön.

16. April: Heute ist der Papa weggefahren. Morgen fahren wir. Zu Pfingsten wird die Ada von der Mama zur Firmung geführt. Da kommen alle zu uns. In der Ramsau bin ich im Sumpf stecken geblieben. Das war wirklich grässlich. Aber der Herr Doktor hat mich herausgehoben. Und dann haben wir furchtbar gelacht, wie meine Schuhe und die Strümpfe ausgeschaut haben. Zum Glück habe ich mich an einem Baumstumpf halten können, sonst wäre ich untergesunken.

18. April: Die Hella sagt, es war großartig auf den Brionischen Inseln. Sie ist ganz dunkelbraun. Aber das habe ich nicht gern, und drum gehe ich nie in meinem Leben nach dem Süden. Die Hella sagt zwar, wenn man im Winter heiratet, muss man die Hochzeitsreise nach dem Süden machen. Aber ich sehe das gar nicht ein, ich verschiebe es einfach auf den Sommer.

Die Ada ist erst dreizehn, nicht vierzehn wie die Dora, und der Herr Pfarrer schimpft furchtbar, dass sie noch nicht gefirmt ist. Die Mama führt sie heuer zur Firmung. Wir werden nicht gefirmt, weil die Eltern niemand bitten wollen. Aber ich möchte schon gefirmt werden, denn da muss man eine Uhr kriegen und kann sich zu Weihnachten etwas anderes wünschen.

21. April: Wir haben wahnsinnig viel zu lernen. Denn der Herr Landesschulinspektor wird bald kommen. Das ist immer sehr unangenehm. Die Mme. A. sagt zwar: die Inspektion gilt den Lehrkräften und nicht den Schülern. Aber trotzdem ist es auch für die Schülerin gräulich. Erstens weil sie sich blamiert und zweitens die Geschichten, die die Lehrkraft dann hinterdrein macht. Die Dora sagt, eine ungünstige Inspektion kann einem die Note um zwei Grade verschlechtern. Da fällt mir gerade ein, dass ich noch gar nicht geschrieben, warum der Oswald zu Ostern nicht da war. Er durfte nämlich, obwohl er durchaus keine guten Noten hat, nach Pola zur Tante Alma fahren, weil der Richard heuer das letzte Mal in die Ferien kommt. Dann fährt er auf drei Jahre mit dem Dampfer Ozean nach dem Orient oder in die Türkei oder nach Persien, das weiß er noch nicht genau. Wenn der Oswald Lust hat, geht er auch zur Marine in zwei Jahren.

9. Mai: Heute war der Herr Landesschulinspektor da, zuerst in Naturgeschichte, da kam ich, Gott sei Dank nicht dran, und dann in Deutsch; da kann ich dran, beim Lesen und bei der Inhaltsangabe der wandelnden Glocke. Gott sei Dank hab' ich alles können.

14. Mai: Heute ist der Geburtstag von der Mama. Wir haben absolut keine Zeit gehabt, ihr etwas zu arbeiten, so haben wir eine wunderbare elektrische Lampe für den Nachttisch gekauft, der Knopf ist eine herabhängende Weintraube und der Ständer ist aus Messing. Sie hat eine große Freude gehabt. Gestern war die Frau v. R. da, das ist eine Freundin der Mama und von der Mama der Hella. Bei der Frau v. R. möchte ich sehr gern Klavierstunden haben, sie gibt nämlich welche, seit ihr Mann, der Major war, gestorben ist, obwohl sie reich ist.

15. Mai: Das wegen der Inspektion muss doch wahr sein; der Prof. Igel-Nickel sagte heute in der Pause zum Herrn Religionsprofessor: Also jetzt kommt er noch die ganze Woche, und dann sind wir für dieses Jahr sicher. Wir, das heißt natürlich die Lehrkräfte. Aber eigentlich können die Lehrkräfte nicht immer etwas dafür, wenn die Schüler nichts können. Der Oswald sagt zwar, ja es ist einzig und allein ihre Schuld. Ich bin auch froh, wenn die Inspektion vorüber ist. Die Lehrkräfte sind ganz anders, wenn der Herr Inspektor da ist, manche sind besser, manche sind strenger und die Mme. A. sagt: Es ist ihr immer ganz schlecht vor Angst.

29. Mai: Zu Pfingsten war die Frau Dr. Haslinger aus Hainfeld mit der Ada und den zwei Buben da wegen der Firmung. Am Pfingstsonntag ist auch der Herr Dr. gekommen, und abends sind alle wieder gefahren. Die Ada ist sehr schön, aber sie sieht doch bäuerisch aus. Ich lasse mich auf keinen Fall firmen, wir mussten drei Stunden warten, obwohl der Freitag vor Pfingsten ein sehr feiner Tag ist. Die Dora war gar nicht mit; nur die Mama und ich und die Ada und ihre Mama. Alle Bandl-Frauen glaubten, ich sei auch ein Firmling, weil ich auch weiß angezogen war. Das hat die Ada auch ein bisschen gefuchst. Am Samstag waren wir vor- und nachmittags in der Stadt, weil das der Ada lieber war als auf den Kahlenberg; Sonntag vormittags in Schönbrunn und nachmittags fuhren sie schon weg. Die Uhr, die Ada bekommen hat, war sehr schön, und von der Dora und mir extra ein goldenes Halskettchen. Sie hat sich sehr gefreut, nur hatte sie Sonntagnachmittags gräulich Kopfweh. Weil sie den Stadtlärm nicht gewöhnt ist.

31. Mai: Die Ada weiß auch schon Verschiedenes, aber nicht alles. Einiges habe ich ihr gesagt. Heuer im Winter hat sich ein Mädchen in H. ins Wasser gestürzt, weil sie ein Kind bekommen sollte. Da waren alle sehr aufgeregt, und da hat ihre Mama einiges gesagt, aber eben nicht alles. Die Ada hat schon einmal gesehen, wie eine Hündin ihre Jungen bekommen hat, aber das hat sie ihrer Mama nicht gesagt; denn die wäre wahrscheinlich sehr böse darüber gewesen. Aber sie konnte nichts dafür, der Hund gehörte dem Herrn, der neben ihnen wohnt, und da hat sie gerade in den Flur gesehen. Und die Ada erwartet es täglich, da sie schon bald 14 Jahre wird. Jedes große Mädel in H. hat einen Verehrer. Die Ada sagt, sobald sie 14 Jahre ist, bekommt sie auch einen; sie weiß schon, wen.

3. Juni: Heute hat die Ada geschrieben, bei der Mama hat sie sich für die Firmung bedankt, und mir hat sie extra geschrieben. Es ist eigentlich komisch, dass sie nicht mit der Dora gute Freundin geworden ist, sondern mit mir. Aber ich glaube, die Dora redet nicht solche Sachen, höchstens mit ihren Freundinnen im Lyz., besonders mit der Frieda Ertl. Und drum hat die Ada mit mir Freundschaft geschlossen, obwohl ich gerade um zwei Jahre jünger bin. Sie ist wirklich ein liebes Mädel.

19. Juni: In unserer Klasse kommt fortwährend etwas weg, zuerst die Überschuhe der Fleischer, dann meine neuen Handschuhe und jetzt schon dreimal Geld und heute das neue Täschchen vom Fräulein Steiner. Es war eine große Untersuchung. Aber es ist nicht herausgekommen. Wir glauben alle, es ist die Schmolka. Aber niemand will es sagen. Wir haben heute gar nicht aufgepasst in der Stunde, besonders wie die Sch. um ½12 hinausgegangen ist.

20. Juni: Auf unserem Klosett hat die Schuldienerin abgefallene Perlen gefunden, aber da sie nichts wusste, hat sie sie auf den Mist geworfen. Ob wirklich die Sch.? das wäre furchtbar gemein. Das Frl. St. ist schrecklich aufgeregt, weil sie das Täschchen von ihrem Bräutigam zum Geburtstag bekommen hat und weil seine Photographie drin war. Eigentlich tut mir aber die Sch. doch leid. Niemand redet mit ihr, obwohl es gar nicht bewiesen ist. Sie ist furchtbar blass und hat immer Tränen in den Augen. Und die Hella meint auch, sie ist es vielleicht doch nicht, denn sie ist einer von den Lieblingen vom Frl. St., und sie hat sie auch sehr gern. Sie trägt ihr immer die Hefte nach Hause.

22. Juni: Unser Klosett war verstopft, und wie der Schuldiener nachschaute, fand er das Täschchen. Aber was hat das Fräulein davon; sie kann es doch unmöglich mehr brauchen. Wir haben die ganzen Stunden gelacht, so oft wir eins das andere anschauten, und die Lehrkräfte haben furchtbar geschimpft. Nur die Frau Dr. M. sagte: „Ich bitt' Euch, jetzt lacht Euch offen aus über die in jeder Hinsicht unappetitliche Geschichte und dann basta.“

23. Juni: Heute war ein Skandal. Die Verbenowitsch sammelt die Deutschhefte ab, und wie ihr die Sch. ihr Heft geben will, sagt sie: Bitte das Heft persönlich abzugeben; ich will mit (dann machte sie eine lange Pause) Ihnen nichts zu tun haben. Wir waren alle ganz entsetzt, und die Sch. war so weiß wie die Wand. Um 10 Uhr bat sie, nachhause gehen zu dürfen, weil ihr schlecht sei. Morgen wird jedenfalls ihre Mama kommen.

24. Juni: Die Mama der Sch. war nicht da. Die Verbenowitsch sagt: Natürlich nicht! Die Sch. war auch nicht da. Die Hella sagt, sie würde so etwas nicht auf sich sitzen lassen, sie würde sich ins Wasser stürzen. Also, eigentlich ins Wasser stürzen, das tut man doch nur aus anderen Gründen. Aber ich würde es meinem Papa sagen, damit er in die Schule geht. Die Franke sagt: Ja, das ist alles recht schön, weil Ihr es nicht getan habt; aber wenn eine es getan hat, dann traut sie sich gar nichts zu sagen zu Hause. Übrigens ist der Vater der Sch. schwer krank, er ist ganz gelähmt und liegt schon seit zwei Jahren im Bett und kann nicht reden.

27. Juni: Heute sind die Hella und ich mit der Frau Dr. M. gegangen. Eigentlich geht sie nie mit jemanden, aber die Hella ist auf einmal von mir weggerannt und zu der Frau Dr. hin und sagt: Bitte schön, Frau Dr. um Verzeihung, dass ich Sie auf der Gasse belästige; wir müssen Sie sprechen. Und sie war ganz rot dabei. Da sagt die Frau Dr.: „Was ist denn?“ Und die Hella sagt: „Kann man nicht herausbekommen, wer das Täschchen genommen hat? Wenn es die Sch. doch nicht war, so kränkt sie sich zu Tod, wie die Kinder sie behandeln, und wenn sie es war, dann dulden wir sie nicht mehr unter uns.“ Die Hella war wirklich großartig, und die Frau Dr. M. hat sich alles von uns erzählen lassen, auch das von der Verbenowitsch mit den Heften; wir haben deutlich gesehen, sie hatte Tränen in den Augen, und sie sagte: „Das arme Kind! Kinder, ich werde mich ihrer annehmen, das verspreche ich Euch.“ Und wir küssten ihr beide die Hand und mir klopfte das Herz bis zum Hals. Und die Hella sagte: „Sie sind ein Engel.“ So etwas bringe ich nie heraus.

28. Juni: Heute war die Sch. wieder da, aber die Frau Dr. M. hat nichts gesagt. Wir, die Hella und ich, haben sie fortwährend angeschaut, und die Hella hat sich dreimal geräuspert und da hat die Frau Dr. gesagt: Bruckner, höre doch auf mit deinem Räuspern; davon werden deine Halsschmerzen nur ärger. Aber mir scheint, sie hat dazu mit den Augen gezwinkert. Also vergessen hat sie nicht. Ich wollte zu der Sch. reden, aber die Hella sagte: Warte noch, wir dürfen der Frau Dr. nicht vorgreifen. Jetzt hat sie alles in die Hand genommen. Morgen vor neun gehen wir vor ihrem Hause auf und ab, bis sie kommt.

30. Juni: Gestern war leider Feiertag und heute hatte die Frau Dr. erst um 11 Uhr Unterricht. Aber sie hat schon mit der Sch. geredet, nur wissen wir nicht, wann und wo; in der Pause bestimmt nicht, und während der Stunde ist die Sch. nicht geholt worden.

1. Juli: Heute gingen wir mit ihr. Gott, sie ist so süß. Liebe Kinder, sagt sie, das ist eine so traurige Sache, in der man auf keinen Grund kommt. Die Sch. behauptet fest und steif, sie war es nicht und seht Kinder, ob sie es tat oder nicht, diese Tage brennen sich ihr unauslöschlich in die Seele ein und die Hella fragte: „Bitte Fr. Dr. geben Sie uns einen Rat, was sollen wir tun, mit ihr reden oder nicht?“ Da sagte sie: Kinder, ich glaube, dass sie nach dieser Sache im nächsten Jahr nicht mehr zu uns kommen wird; ihr tut ein gutes Werk, wenn ihr ihr die letzten Tage erträglich macht. Intim wart Ihr ja nie mit ihr, aber ein paar freundliche Worte schaden euch nicht und können sie stützen. Und ihr 2 habt ein großes Ansehen in der Klasse; euer Beispiel wird gut wirken. Wir gingen bis zur Schule mit ihr und deshalb konnten wir ihr nicht die Hand küssen; aber die Hella sagte ganz laut: Gott, wie himmlisch süß! Sie muss es gehört haben. Aber die Sch. war nicht in der Schule. Der Papa sagt, er ist froh, bis Schulschluss ist, denn ich bin schon ganz verrückt wegen der Geschichte. Aber er ist doch dafür, dass wir, ich und die Hella, etwas zur Sch. sprechen. Und die Mama auch. Nur die Dora sagte: Ja, es ist ganz recht, aber doch ein wenig reserviert.

5. Juli: Die Sch. war nicht mehr in der Schule. Morgen bekommen wir die Zeugnisse.

6. Juli: Wir haben furchtbar geweint, ich und die Hella und die Verbenowitsch, weil wir jetzt beinahe drei Monate die Frau Dr. M. nicht sehen werden. Ich habe nur in Geschichte und Naturgeschichte 2, sonst lauter 1. Die Franke sagt: Wer dem Professor Igel-Nigl nicht zu Gesicht sieht, kann lernen, dass er krumm und dumm wird, und er kriegt doch keinen Einser. Der Papa ist sehr zufrieden. Die Dora hat natürlich lauter Einser und die Hella drei Zweier. Und die Lizzi, mir scheint, auch drei oder vier. Der Papa hat uns jeder ein 2 K-Stück geschenkt, die können wir verjuxen, hat er gesagt. Und von der Mama haben wir Spitzenkragen bekommen.

9. Juli: Wir gehen heuer nach Hainfeld, das ist fein, ich freue mich schon; aber erst am 20., weil der Papa nicht früher Urlaub bekommt und die Mama mag den Papa nicht so lange allein lassen. Überhaupt wegen der paar Tage. Nur leider ist die Hella schon fort, heute früh nach Parsch bei Salzburg; das Wort ist so unangenehm und die Hella geniert sich auch sehr, es zu sagen; wie man einem Ort einen so ordinären Namen geben kann. Sie haben eine ganze Villa gemietet.

12. Juli: Es ist gräulich fad. Fast jeden Tag habe ich einen Streit mit der Dora, weil sie sich so viel einbildet. Gestern kam der Oswald. Er ist furchtbar fesch, beinahe so groß wie der Papa, das heißt um einen Viertelkopf kleiner, aber der Papa ist eben riesig groß. Und dann hat er eine ganz tiefe Stimme, die hatte er früher nicht. Und die Haare hat er schief abgeteilt, das steht ihm sehr gut. Er behauptet, er bekommt schon einen Schnurrbart, aber das ist nicht wahr; den müsste man doch sehen; fünf Haare sind doch kein Schnurrbart.

19. Juli: Gott sei Dank, übermorgen fahren wir endlich. Der Papa wollte, die Mama sollte mit uns vorausfahren, aber sie wollte nicht. Aber eigentlich wäre es ganz gut gewesen.

24. Juli: Wir wohnen nur drei Häuser weit von H. entfernt. Die Ada und ich sind den ganzen Tag beisammen. Und von der Dora ist zufällig eine Schulkollegin da, die sie ganz gut leiden kann, die Rosa Tilofsky. Der Oswald sagt: Hainfeld ist zum bucklig werden fad; er wird sich irgendwo von einem Freund einladen lassen. Hier bleibt er auf keinen Fall die ganzen Ferien. Von der Ada sagt er: „Ländliche Einfalt“. Wenn er wüsste, wie viel die weiß. Und die Rosa T. nennt er einen Wimmerlkomplex, weil sie zwei oder drei Wimmerln hat. Überhaupt hat der Oswald an jedem etwas auszusetzen: Von der Dora sagt er: Sie ist ein grüner Frosch, weil sie immer so blass ist und kalte Hände hat und von mir sagt er: Da kann man überhaupt noch gar nichts sagen: „Das ist noch ein ganz unreifer Embryo.“ Gott sei Dank, weiß ich aus der Naturgeschichte, was ein Embryo ist, nämlich ein kleiner Frosch. „Ich habe mich wütend geärgert und da hat der Papa gesagt: Tröst' dich, er ist auch noch lange kein Mann, sonst wäre er höflicher gegen seine Schwestern und deren Freundinnen.“ Das hat ihn sehr geärgert, und seither redet er kein Wort, wenn die Ada und die Rosa mit uns zusammen sind. Jetzt kommt bald mein Geburtstag, da werde ich, Gott sei Dank, zwölf, und dann noch zwei Jahre, dann bin ich 14; auf das freue ich mich riesig. Heute hat mir die Hella geschrieben zum zweiten Male. Sie fährt im August nach Ungarn zu ihrem Onkel, der hat ein großes Gut, und dort lernt sie reiten.

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Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski

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