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Spiegel der Vergangenheit

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Carcia ergreift sein Glas. Im beleuchteten Spiegel gegenüber dem Tresen schimmert die helle Flüssigkeit wie pures Gold. Zufrieden prostet er dem dunkelhaarigen Mann mit dem kantigen Gesicht zu, der ihn mit kalten Augen ansieht. Genüsslich nimmt er einen ersten Schluck und wie jedes Mal, kommt es ihm vor, als brenne dieses Wasser des Lebens alle Schuld weg. Die vollkommene Absolution.

Aus der Innentasche seines dunklen Maßanzugs zieht er ein Notizbuch und streicht sorgsam zwei Buchstaben durch.

Der Auftrag ist erledigt.

Er bestellt einen weiteren Drink und während er zuschaut, wie ein frisches Glas mit seinem Lieblingsgetränk gefüllt wird, öffnet sich die Tür hinter ihm.

Eine junge Frau erscheint. Sie zögert einen Moment, sieht sich kurz um und steuert mit schwungvollem Gang direkt auf ihn zu.

Carcia benötigt nur eine Sekunde, um die attraktive Erscheinung einzufangen.

Ende Dreißig, etwa 1 Meter 75 groß, schlank, rote lange Haare.

Adrenalin schießt durch seinen Körper.

Geübt erklimmt sie einen Barhocker, zwei Sitze von ihm entfernt. Der Duft ihres kostbaren Parfüms hüllt ihn ein. Aus seinem Unterbewusstsein drängen sich Bilder, gleich einem unaufhaltsamen Lavastrom, glühend heiß an die Oberfläche und nehmen erbarmungslos Gestalt an.

Ihre Hände, die sich in Panik um seine Arme klammerten; verzweifelt nach allem suchend, das Halt bot. Ihr durchdringender Schrei, während sie in die Tiefe stürzte. Der Anblick ihres Körpers, zerschmettert auf dem harten Asphalt.

„Laura“ stöhnt alles in ihm. Dennoch bleibt er stumm.

Zum ersten und einzigen Mal verletzte er seine Prinzipien. Länger als gewöhnlich observierte er diese Frau. Sie zog ihn in ihren Bann und er versuchte nicht einmal zu entkommen. Im Gegenteil, er suchte ihre Nähe. Ein sorgfältig von ihm geplanter Zufall und sie liefen sich über den Weg. Dann, ein einziger Blick und eine heftige, wenn auch kurze Affäre begann.

Sie liebten sich in unpersönlichen Hotelzimmern, immer auf der Hut vor Entdeckung. Und nach jedem Treffen stellte er sich die gleiche Frage. Wie sollte er aus diesem Desaster je wieder herauskommen? Wollte er es überhaupt? Endlich begegnete er der Frau, nach der er sein ganzes Leben lang gesucht hatte, und nun, da er sie gefunden hatte, sollte er sie töten.

Er wusste das Schicksal verhöhnte ihn, und er wollte das Schicksal verhöhnen, indem er es ignorierte, so lange es möglich war.

In seiner Verzweiflung zog er es sogar in Erwägung, Lauras Tod vorzutäuschen, um mit ihr in einem südamerikanischen Land unterzutauchen, von der Bildfläche zu verschwinden. Doch schnell wurde ihm klar, dass der Einfluss seines Auftraggebers zu groß war, um solche Phantasien zu verwirklichen. Selbst in der heruntergekommensten Absteige würde man sie aufspüren. Es gab keine gemeinsame Zukunft für sie beide. Er musste seinen Auftrag ausführen.

Und er tat es!

Danach beseitigte er die Spuren ihres Zusammenseins, fuhr mit dem Aufzug nach unten und durchquerte die Lobby des Hotels. Er mischte sich unter die aufgeregte neugierige Menschenmenge, die sich vor dem Eingang um Lauras toten Körper versammelt hatte. Ein letzter Blick, dann machte er sich unbemerkt aus dem Staub.

Entgegen seinem Grundsatz trank er später in irgendeiner Hotelbar mehr als zwei Glenfinish. Wie viele es insgesamt an diesem Tag waren, wusste er nicht mehr.

Von da an verbannte „The Hunter“, wie er in der Branche genannt wurde, seine Empfindungen in die tiefsten Winkel seines Erinnerungsvermögens. Bis heute.

Carcia greift erneut nach seinem Notizbuch. Wann genau…? Gerade noch rechtzeitig fällt ihm ein, wie töricht das ist und er zieht seine Hand zurück. Er zwingt sich zur Ruhe.

SIE IST TOT! Das ist alles vorbei. Vergessen?

***

Julia ist sich absolut sicher. Sie hat ihn gefunden. Die Art, wie er sie ansieht, das plötzliche Zucken seiner Mundwinkel und das kaum erkennbare Zittern seiner Hände, das alles lässt keinen Zweifel zu. Sie ist endlich am Ziel. Nun gilt es die Karten richtig auszuspielen.

„Ach herrje. Ist Ihnen nicht gut?“

„Ja, nein, danke. Es geht mir gut. Nur eine vorübergehende Unpässlichkeit“, erwidert Carcia.

„Es scheint fast, als hätte mein Anblick Sie schockiert. Dabei habe ich mir so viel Mühe gegeben die Spuren der letzten Nacht zu überschminken!“ Julia zieht einen Schmollmund. „Und es liegt bestimmt nicht an mir?“, hakt sie nach. Dabei blinzelt sie Carcia mit großen Unschuldsaugen an.

„Nein, bestimmt nicht“, versichert er. Und mehr zu sich selbst. „Es hat absolut nichts mit Ihnen zu tun.“

„Na, dann ist es ja gut“, seufzt Julia erleichtert. „Darf ich Sie trotzdem zu einem Drink einladen? Sie sehen aus, als könnten Sie einen vertragen.“

Ohne einen eventuellen Widerspruch abzuwarten, gibt sie dem Barkeeper ein entsprechendes Zeichen.

„Danke, das ist nicht notwendig“, wehrt Carcia ab.

„Oh, bitte. Tun Sie mir den Gefallen. Außerdem trinke ich nicht gerne alleine. Aber setzen wir uns doch dort hin.“

Zielstrebig steuert Julia auf die äußerste Sitzgruppe in der Ecke zu. Carcia bleibt nichts übrig, als ihr zu folgen, wenn auch widerwillig.

„Hier ist es doch viel bequemer. Meinen Sie nicht auch?“

Auffallend langsam gleitet sie in den weich gepolsterten Sessel. Dabei rutscht ihr ohnehin schon knapper Rock noch ein Stück nach oben.

„Ich bin Julia.“

Der Druck ihrer schmalen kühlen Hand erstaunt Carcia. Er passt so gar nicht zu der grazilen Erscheinung.

„Und wie ist Ihr Name?“

„Juan, mein Name ist Juan.“

Diese Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend. Die Haare, die Augen, die Figur, ja sogar die Bewegungen sind die gleichen. Sollte sie den Sturz etwa doch…? Nein, ganz unmöglich. Nicht aus dem achten Stockwerk.

„Argentinier?“

Julias Frage reißt ihn aus seinen Gedanken.

„Wie, eh…ja. Woher…?“

„Geraten.“

Und ehe Carcia weitere Überlegungen anstellen kann, fragt sie: „Haben Sie Feuer?“ und kramt gleichzeitig umständlich in ihrer kleinen Handtasche.

Carcia verneint, steht aber auf, um von der Bar eins der Streichholzheftchen zu holen. Unterdessen greift Julia zu ihrem Handy. Sie drückt eine Kurzwahltaste und sobald der Angerufene abgehoben hat, sagt sie nur die Worte: „Laura, Zimmer 28.“

Bevor Carcia wieder an den Tisch zurückkommt, verschwindet das Handy in ihrer Tasche.

Zufrieden lächelt sie ihn an. „Sie sind ein Schatz.“

Während Carcia ihr Feuer gibt, fällt sein Blick auf die Zigarettenpackung, die auf dem Tisch liegt. Die gleiche Marke. Er schüttelt den Kopf. Zufall, nichts als Zufall.

„Ja, ja ich weiß. Rauchen ist ungesund. Trotzdem brauchen Sie nicht so entsetzt zu tun. Jeder hat doch eine kleine Untugend. Der eine raucht, der andere trinkt oder tut sonst irgendetwas Unmoralisches. Was ist mit Ihnen? Was ist Ihr kleines Laster?“

Julia bläst den Rauch ihrer Zigarette gezielt in seine Richtung.

„Ich, eh…ich habe kein Laster“, antwortet Carcia langsam. Er muss nießen.

„‘Tschuldigung.“ Julia lächelt. „Und, was ist das?“ Sie zeigt auf den Whisky.

„Das“, erwidert er gelassen, „das ist Genuss, kein Laster.“

Mit einem Mal empfindet Carcia den Zigarettenqualm nicht mehr als lästig. Er meint sogar einen angenehmen Geruch zu schnuppern.

Entspannt lächelnd lehnt er sich zurück. Seine dunklen Augen versinken in Julias Blick und in seinem Gehirn formt sich der Satz – du bist genau der Typ Frau, auf den ich stehe. Zwar ein wenig unbedarft, aber reizvoll genug für ein kleines Intermezzo.

Julia bemerkt sein steigendes Interesse. Jetzt hat sie ihn sicher am Haken.

„Ah, ich verstehe.“ Sie schaut ihm tief in die Augen, während ihre Stimme in einen monotonen Singsang verfällt. „Ein sogenanntes Lebenselixier. Es brennt die Sünden weg, die man tagsüber begangen hat. Wie ein reinigendes Sakrament, oder so ähnlich?“

Woher verdammt noch mal…? Diese Äußerung hatte er nur Laura gegenüber einmal erwähnt. Carcia greift sich an die Schläfen. Ein unsichtbares Band spannt sich plötzlich um seinen Kopf.

Julia legt die glimmende Zigarette auf den Aschenbecher und schiebt ihn ein Stück näher zu Carcia. Immer tiefer dringt sie in seine Gehirnzellen. Vor jetzt an wird er alles tun, was sie von ihm verlangt und ihr alles sagen, was sie wissen will.

Verzweifelt versucht Carcia sich gegen diesen unsichtbaren Schraubstock, in dem sein Kopf zu stecken scheint, zu wehren.

„Wehren Sie sich nicht, Juan“, hört er die Worte, wie durch eine Nebelwand. „Es ist zwecklos“, raunt Julia.

Dabei haften ihre Augen auf den seinen.

„Sie haben nicht die geringste Chance. Genauso wenig wie Laura eine Chance gegen Sie hatte. Erinnern Sie sich an Laura?“

Carcia sieht Julia stumpf an.

„Laura war meine Schwester, meine Zwillingsschwester. Sie hat Sie geliebt. Wussten Sie das nicht? Sie wollte mit Ihnen weggehen. Sie hätte alles für Sie getan. Aber Sie haben sie getötet!“

Carcia zuckt wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Er hört Julias Stimme, versteht was sie zu ihm sagt, ist jedoch nicht imstande sich zu äußern.

„Das war nicht nett von Ihnen, Juan.“

Beißend scharf kommen die letzten Worte über Julias Lippen.

„Dafür müssen Sie büßen.“

Jetzt geht es Carcia richtig schlecht. Er fühlt sich elend.

„Hier, trinken Sie Ihren geliebten Whisky. Es wird Ihr Letzter sein.“

Julia hält ihm das Glas hin, aber Carcia zögert.

„Nein, ich habe Ihren Drink nicht vergiftet“, beantwortet Julia zynisch lächelnd seine unausgesprochene Frage.

Mit zitternden Händen kippt Carcia den Rest des Lebenswassers in sich hinein und setzt das Glas klirrend auf der Tischplatte ab.

„Jetzt möchte ich von Ihnen nur noch wissen, wer Ihnen den Auftrag gab, meine Schwester zu ermorden. Ich möchte den Namen wissen. Danach werden Ihre Schmerzen vorbei sein. Ich verspreche es.“

„Lauras Ehemann“, antwortet Carcia quälend, wie unter einem Zwang. „Van Holden gab mir den Auftrag.“

Julias Gesicht verzieht sich zu einem teuflischen Grinsen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Van Holden, dieses Schwein. Jetzt wird auch er seine gerechte Strafe erhalten und Laura würde gerächt sein.

„Juan, Sie gehen jetzt in Ihr Zimmer. Dort öffnen Sie die Tür zum Balkon, klettern über das Geländer und dann lassen Sie sich einfach fallen. Es ist ganz leicht. Haben Sie verstanden?“

Carcia starrt Julia mit leeren Augen an und nickt.

„Danach erhalten Sie die Absolution. Möchten Sie das?“

Wieder nickt Carcia mechanisch.

„Gehen Sie“, zischt Julia mit eiskalter Stimme. Doch als Carcia sich erhebt, fasst sie dessen Hand.

„Ach, eine Kleinigkeit noch, Juan. In Ihrem Zimmer wartet ein Mann auf Sie. Vielleicht kennen Sie ihn, vielleicht auch nicht, ist egal. Sie werden ihn mitnehmen, auf Ihrem Flug ins Nichts!“

Nachdem Carcia gegangen ist, lehnt sich Julia in den Sessel zurück. Bald wird ihr Leben wieder in geordneten Bahnen verlaufen. Die feuchtfröhlichen Partys, aber vor allen Dingen die Nächte, mit diesen widerlichen abscheulichen Männern, mit denen sie sich hatte einlassen müssen, um den Tod ihrer Schwester zu rächen, gehören ab jetzt der Vergangenheit an. Sie wird wieder in ihre Praxis gehen, mit Menschen sprechen und ihnen manchmal auch durch suggestive Beeinflussung helfen, sich in ihrem Alltag wieder zurechtzufinden.

Julia sieht auf ihre Armbanduhr. Der Countdown dürfte jetzt beginnen.

An der Rezeption fragt sie: „Ist mein Mann mittlerweile eingetroffen?“

„Ihr Gatte ist vor einer Stunde eingetroffen, Frau van Holden. Er erwartet…“

Der schrille Schrei einer Frau unterbricht das Gespräch.

Der Concierge schaut auf und beobachtet, wie einige Leute vor dem Hotel zusammenlaufen. Mit ausnehmend leidenschaftsloser Routine schickt er einen Boy nachzusehen, was der Anlass für diesen Krawall sein mag.

„Herr van Holden… und ein anderer Herr…tot“, berichtet der Hotelbursche kreidebleich.

Die Herren haben anscheinend ausgecheckt, für immer, denkt Julia zufrieden.

Urlaub mit Flo

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