Читать книгу Schaaf ermittelt - R.J. Simon - Страница 4

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Um kurz vor 4.00Uhr morgens war es doch recht frisch zu dieser Jahreszeit. Meteorologisch befanden sie sich am Übergang vom Herbst zum Winter und die Nächte waren bereits länger und empfindlich kalt. Das wundervoll gefärbte Laub der Bäume lag längst schon als bunte Farbkleckse auf den Straßen verteilt, und die Autoscheiben zeigte sich am Morgen milchig vom Frost.

Schaaf stand auf dem Bahnsteig des Mannheimer Hauptbahnhofs und wartete auf seinen ICE, der ihn nach Nizza bringen würde. Sein Chef buchte die erste Verbindung des Tages, damit die Reise des Kriminalhauptkommissars nicht noch eine Nachtfahrt beinhaltete. Die Reisedauer betrug, von Mannheim nach Nizza mit zwei Mal Umsteigen, fast 13 Stunden, sodass Schäfchen Nizza gegen 17.00 Uhr erreichte, wenn die Züge pünktlich waren und auf der Fahrt sowie beim Umsteigen alles glatt ging. Die Aufenthalte bei den Zugwechseln waren aber recht großzügig bemessen, sodass dabei nach aller Wahrscheinlichkeit nichts schiefgehen konnte. Nach der ersten Etappe blieben Schaaf 50 Minuten um den weiterführenden Zug zu erreichen und bei der zweiten sogar dreieinhalb Stunden.

Seine Gattin begleitete Schaaf, um ihn auf dem Bahnsteig zu verabschieden. Sie ließ es sich nicht nehmen bis zur letzten Minute bei ihrem Mann zu sein. Ab dem Moment, wenn Schäfchen den Zug bestieg, würden sie sich die nächsten zwei Wochen nicht sehen. Zum Trost konnten sie nur telefonisch in Verbindung bleiben. Wenn Schaaf auch immer gegen die moderne Geisel der Menschheit, die Handys, schimpfte: Durch diese praktische Erfindung konnte er, wann immer er wollte, mit seiner Frau sprechen. Das musste er notgedrungen zugeben. Tat das aber nicht gerne.

Frau Schaaf war es schon ein wenig wehmütig bei dem Gedanken des langen Abschieds. Natürlich kamen jeden Tag gemischte Gefühle in ihr hoch, wenn ihr Mann zu seinem gefährlichen Dienst ging. Obwohl Frau Schaaf wusste, dass ihr Mann immer vorsichtig war, einen unglaublichen Erfahrungsschatz und ein prima Team um sich herum hatte. Sein Job war nun mal riskant und es konnte täglich etwas Schlimmes geschehen. Und in den nächsten zwei Wochen lagen dann zudem noch 1000 km zwischen ihnen. Für eine besorgte Ehefrau eine ungeheure Distanz und quälende Umstände.

Schaafs Frau versuchte sich ihre Ängste nicht anmerken zu lassen. Sie wollte ihren Mann nicht damit belasten, dass sie sich sorgte und ihn dadurch beeinträchtigen. Das gelang nicht immer, aber doch meistens. In den über 20 Jahren Ehe bekam sie schon eine gute Übung darin. Weil Schaaf seine Frau ebenso gut kannte, wie sie ihn, wusste er allerdings ganz genau, dass sie sich verstellte und nicht so entspannt war, wie sie sich gab. Sie hatten besprochen, dass Schaaf diesen Austausch mitmachen solle und nun war es eben so weit.

Auf dem Bahnsteig tummelten sich zahlreiche Menschen. Es waren nicht wenige, die ebenfalls einen so frühen Zug nutzen wollten. Von der Kleidung und den eleganten Aktenkoffern her schloss Schaaf, dass es sich bei ihnen überwiegend um Geschäftsleute handelte. Sicherlich waren auch einige Menschen darunter, die eine private Reise antraten. So wie ein junges Pärchen in der Nähe, das mit großen Rucksäcken bepackt, ebenfalls auf den Zug wartete. Oder auch das Ehepaar mit dem etwas quengelnden Kind. Der Junge war sicherlich einfach nur müde.

Bis auf die wenigen Lautsprecherdurchsagen, welcher Zug gleich auf welchem Gleis einfahren würde, herrschte in der frühmorgendlichen Stimmung überwiegend Stille. Die wartenden Leute verhielten sich alle ruhig und es gab auf dem Bahnsteig keine hektische Betriebsamkeit. Der ausgestoßene Atem wehte lautlos als graue Dampfwolke davon.

Schaaf stand nahe bei seiner Frau und hielt sie für die letzten Minuten fest in seinem Arm. Schweigend warteten sie auf das Einfahren des Zuges, der Schaaf nach Frankreich bringen, und sie für diese ungewohnt lange Zeit trennen würde. In ihrer bisherigen gemeinsamen Ehe waren sie noch niemals über einen so langen Zeitraum getrennt gewesen. Urplötzlich klingelte und schepperte es in der Nähe. Ein Krach, als würde ein großes Regal mit Töpfen und deren Deckel zusammenbrechen, zerstörte die frühmorgendliche Ruhe. Mit den Augen der Richtung folgend, aus der der Lärm kam, erkannte Schaaf sofort das Malheur: Busch!

Sein Assistent, dem immerzu Ungeschicktheiten widerfuhren, die sonst keinem normalen Menschen passierten, war auf dem Bahnsteig angekommen und kündigte sein Erscheinen mit lautem Getöse an. Busch rappelte sich gerade wieder auf, nachdem er im vollen Lauf über mehrere Gepäckwagen gefallen und gestützt war. Er lag kurz in seiner gesamten Länge über einem dieser umgekippten Gepäckwagen, den Fuß zwischen dessen Metallstäben gefangen und musste zuerst zwei weitere, die er mitriss sortieren, bevor er sich mit weiterem Geklapper erheben konnte. Wie schaffte man es, einen Gepäckwagen umzuschmeißen?

Bert und Schneider, die Mitarbeiter von Schaaf, waren ebenfalls dabei und halfen Busch lachend wieder auf die Beine. Das war typisch für seinen Assistenten. Wenn irgendwo ein Fettnäpfchen stand: Busch sprang mit Anlauf und beiden Beinen hinein! Selbst wenn eigentlich gar nichts geschehen konnte: Busch gelangen die wirklich unglaublichsten Missgeschicke.

Busch brachte schon so manch Unmögliches zu Stande. Er sprühte sich morgens schon versehentlich Deo in die Augen; hielt bei Ermittlungen einmal einen Professor für einen Hausmeister und schlug sich sogar schon auf der Tischplatte beim Niesen selbst K.O. Ohne die unzähligen kleinen Malheurs, durch die Busch sonst noch den lieben langen Tag über auffiel.

Eben übersah er also die Gepäckkarren und schlug einen Salto darüber. Wenigstens verletzte er sich nicht dabei. Trotz allem Unglück das ihm widerfuhr, verfolgte ihn dabei auch stets das Glück.

Das Team von Kriminalhauptkommissar Schaaf erschien zu der frühen Tageszeit am Bahnhof, um ihren Chef zu verabschieden und ihm eine gute Fahrt zu wünschen. Darüber freute sich Schäfchen sehr. Seine Männer kamen zu ihm, begrüßten höflich seine Gattin und reichten ihm ebenfalls die Hände, um ihm zu sagen, dass er gesund wiederkehren soll.

Schneider sah Schaaf sofort an, dass der in dieser Nacht noch kein Bett gesehen hatte. Der versackte sicherlich wieder in irgendeiner Kneipe, weil er seine vermeintliche Traumfrau fand. Im Job ein sehr guter Mann, im Privatleben hingegen war Schneider ein Lebemann und Hallodri. In seiner Freizeit fand man ihn meist in Kneipen oder bei Weinfesten, wo er stets hoffte, die Frau fürs Leben zu finden. Schneider blieb der ewig Suchende, mit kurzzeitigen Unterbrechungen, wenn er glaubte "die Frau" gefunden zu haben. Diese Pausen konnten auch schon mal nur wenige Stunden lang sein. Der Bier und Pommesdunst, der Schneider umwehte, würde jedes Leugnen sinnlos machen, dass es in der vergangenen Nacht anders gewesen wäre.

"Ihr seid doch nur gekommen um zu sehen, ob ich auch wirklich fahre, damit ihr eure Ruhe vor mir habt", scherzte Schaaf.

"Nein Chef", wehrten alle drei einheitlich ab. Und Schaaf wusste natürlich dass dem nicht so war. Seine Leute beschwerten sich nie über ihren Chef. Sie achteten und schätzten ihn. Schaaf ließ nur Strenge walten, wenn sie nötig war. Ansonsten war er permanent für die Belange seiner Männer da, half ihnen wo er konnte und ließ niemals einen von ihnen im Stich. Das wussten seine Leute und honorierten es mit Loyalität. Sie waren alle zusammen eine Familie die zusammenstand und immer eine Einheit bildete und Schaaf ihr Oberhaupt.

"Bert halt mir die beiden Chaoten im Auge!"

"Klar Schäfchen. Mach` dir keine Sorgen. Genieße deinen Trip an die Côte d' Azur und vergesse mal für ein paar Tage die Arbeit hier. Wir halten schon die Stellung."

"Ich bin gespannt, was mich da erwartet."

"Das wird sicherlich spaßig. Und zeig den Franzosen wie gut ein deutscher Kommissar ermittelt."

"Na mal sehen. Ich werde da voraussichtlich nur passiv dabeistehen können."

"Kommen sie wieder gesund fort und fahren sie gut heim", versprach sich Busch.

In dieser Minute kündigte das leise Surren der Schienen den bereits angesagten ICE an, mit dem Schaaf die erste Etappe seiner Reise hinter sich bringen würde. Das bedeutete Abschied.

"Mein Zug kommt", sprach Schäfchen, verabschiedete sich endgültig von seinen Männern und umarmte ein letztes Mal seine Frau herzlich, gab ihr einen Kuss und stieg dann in den Zug ein.

"Gute Reise", rief Busch noch gegen den Lärm an und Frau Schaaf versuchte ihre Tränen im Zaum zu halten. Schneider und Bert hoben die flach ausgestreckten Handflächen zum Abschiedsgruß.

Kriminalhauptkommissar Schaaf lief den Gang im Waggon des noch stehenden Zuges entlang, bis er sein gebuchtes Abteil fand und dort dann das Fenster öffnete, um seiner Frau und seinen Leuten zuzuwinken. Frau Schaaf winkte aus dem Handgelenk heraus, Schneider hob weiter grüßend die Hand und Bert zeigte ihm zum Lebewohl den erhobenen Daumen.

Busch stand zwischen Bert und Schneider. Er riss die Arme nach oben, um sie, ausgestreckt weit über dem Kopf, zu schwenken. Dabei schlug er dann natürlich Bert und Schneider jeweils gegen deren Köpfe. Erst als Schneider seinem Kollegen mit der Schulter einen unsanften Rempler versetzte, bemerkte Busch, was er da trieb. Den Schubser, den der durchtrainierte Schneider seinem Kollegen verpasste, ließ den einen Schritt vorwärts taumeln, sodass der den körperlichen Hinweis unmöglich hätte übergehen können.

Schaaf musste bei diesem Anblick trotz des traurigen Abschieds lachen. Typisch Busch. Er sah daneben seine Frau stehen, die ihm leidmütig nachwinkte, als der Zug Fahrt aufnahm, unaufhaltsam beschleunigte und Schaaf immer weiter von ihr weg beförderte. Nach der ersten langgezogenen Kurve verschwand seine Frau und das Team aus Schaafs Blickfeld. Er schloss das Fenster und machte es sich bequem. Schaaf befand sich alleine in seinem Abteil. Das gedämpfte Rattern des Fahrwerks ließ ihn müde werden und so nickte Schäfchen wenig später weg. Seine Kreuzworträtsel und das Buch mit den Sudoku- und Binoxxospielen, welche er für die lange Fahrt mitführte, kamen vorerst nicht zum Einsatz.

Busch hätte ihm sicherlich wieder eine dieser neumodischen Apps auf das Smartphone laden wollen, wenn er die Leidenschaft Schaafs, Sudoku und Binoxxo zu spielen, erahnt hätte. Er wollte ihm in der nahen Vergangenheit schon verschiedene installieren von denen er glaubte sein Chef könnte ohne die nicht überleben. Einmal eine App, die die Mondphasen anzeigt und kurz vor dieser Reise eine um die Zugverbindungen anzusehen. "Wozu soll das gut sein?" fragte Schäfchen nach.

"Wenn mit den Verbindungen etwas nicht so funktioniert können sie sich über Alternativen erkundigen."

"Ich habe hier gültige Fahrscheine", hielt Schaaf seinem Assistenten die Tickets vors Gesicht. "Da steht alles drauf. Und wenn es Probleme mit einem Zug gibt, gehe ich einfach an die Information." Damit war die Sache für ihn abgehakt. Schaaf brauchte nicht für jede Bagatelle einen elektronischen Hilfsdienst. Er hatte es lieber mit Personen aus Fleisch und Blut zu tun.

Als junger Mann gehörten für Busch diese kleinen Programme auf dem Alleskönner Smartphone zum normalen Lebensalltag. Es gab fast keinen Bereich, in dem Busch sie nicht einsetzte. Leider gab es allerdings keine App gegen Buschs Tollpatschigkeit.

Schäfchen hasste hingegen diese hochmodernen und für ihn komplizierten Geräte. Er wollte lieber Papier in den Händen halten und mit einem ganz gewöhnlichen Kugelschreiber die Felder ausfüllen. Er mochte nicht ständig ein strahlendes Etwas aus Kunststoff und Metall in der Hand halten. Für ihn waren diese Smartphones gerade gut genug, um damit zu telefonieren. Selbst dabei verteufelte er sie, denn die Dinger klingelten grundsätzlich in den unpassenden Momenten.

Sein Unterbewusstsein ließ Schäfchen rechtzeitig erwachen, als es nicht mehr lange bis zum ersten Zugwechsel war. So konnte er sich ohne Eile auf das Aussteigen einrichten und den Zug dann verlassen. In dem unbekannten Bahnhof fand sich Schaaf dennoch sofort gut zurecht und wechselte ohne Hetze zu dem Bahnsteig, auf dem der Zug für die zweite Etappe einfahren würde. Schaaf überlegte, ob er sich gleich noch einen Kaffee genehmigen solle, entschied sich aber dann dafür, im Zug den Speisewagen aufzusuchen. Der nächste Abschnitt umfasste annähernd fünf Stunden Fahrzeit. Dadurch blieb ihm reichlich Zeit und die Länge der Etappe konnte Schaaf sich derart versüßen. Wenn Schaaf auch gerne Leerlaufzeiten damit ausfüllte sein Gehirn zu trainieren, fünf Stunden ausschließlich zu rätseln fand er dann auch ein wenig überzogen. Einen verbissenen Rätselmarathon zu veranstalten entsprach auch nicht seinen Vorstellungen.

Schäfchen liebte es seinen Geist zu trainieren. Er forderte sein Hirn gerne und trieb es, wann immer es ging, zu Höchstleistungen an. Das begann schon bei Telefonnummern, die er sich lieber merkte, als sie in seinem Handy abzuspeichern.

Die Vorstellung, dass er irgendwann unkontrolliert sabbernd in der Ecke saß und nichts mehr registrierte, trieb Schaaf zum Wahnsinn. Nur als leere Hülle auf der Welt dahin zu siechen wollte er niemals erleben. Das trieb ihn an seinen Geist in Schwung zu halten.

Außerdem brauchte er seinen Verstand für seinen Beruf ganz nötig. Nicht auszudenken, wenn ihm sein Gedächtnis oder gar sein logisches Denken verloren ginge. Schaaf brauchte den Überblick und musste gegenüber den Tätern gedanklich immer einen Schritt voraus sein. Alleine schon diese Tatsache trieb ihn ständig an Denksportaufgaben zu lösen.

Seine Frau wusste Bescheid, dass wenn er in einen solch unmenschlichen Dämmerzustand verfallen sollte, sie alle lebenserhaltenden Maßnahmen ablehnen musste. Eine dementsprechende Patientenverfügung erstellten sie gemeinsam schon früh.

So wie Schaaf es sich vornahm, setzte er es dann um. Er gönnte sich zunächst einen kräftigen Kaffee und verbrachte dann einen großen Teil der Reise in seinem Abteil mit den Rätseln. Zwischen einem Sudoku- mehreren Binoxxospielen und einem großen Kreuzworträtsel telefonierte er dann, um sich die Zeit weiterhin zu verkürzen, mit seiner Frau und anschließend mit Bert im Dezernat.

Bert berichtete ihm, dass heute die Mitteilung kam, in der stand, wann der Prozess gegen den Halsschlitzer eröffnet werden würde. Die Anklage war erhoben und bald wird sich der Psychopath vor Gericht verantworten müssen. Wie Schaaf es versprach, fassten sie ihn noch bevor er jetzt nach Nizza aufbrach. Der Termin lag weit genug in der Zukunft, sodass Schaaf bis dahin längst wieder aus Frankreich zurück sein würde. Als leitender Ermittler wurde er zu dem Prozess ganz sicher als Zeuge geladen werden. Was ihn verpflichtete, ebenfalls vor Gericht zu erscheinen. Sonst gab es keine nennenswerten Neuigkeiten. Alles lief seinen normalen Gang und es gab keinen spektakulären Fall, bei dem die Anwesenheit von Schaaf dringend nötig gewesen wäre.

„Mach du dir erst mal ein paar schöne Tage in Nizza“, sagte Bert zum Ende des Telefonats, um Schäfchen zu verdeutlichen, dass er sich keine Sorgen machen brauchte. Seine Abwesenheit dauerte ja erst wenige Stunden.

Gegen Mittag nahm Schaaf im Speisewaggon ein leichtes Essen ein. Durch seinen Job war er es gewohnt kein üppiges Mahl in der Mittagszeit zu verzehren. Auf der Speisekarte fand er dann auch, worauf er Appetit hatte.

Schaaf überbrückte so, mit dem Telefonieren, Rätseln und Essen, ganz erträglich die monotone Fahrzeit bis zum neuerlichen Wechsel der Strecke. Die Landschaften, die der Zug bis dahin durchfuhr, boten auch keine aufregenden Aussichten die Ablenkung geboten hätten. Entweder es ging durch grünes Gelände, was zwar schön aber nicht spannend war, oder durch zivilisierte Gegenden, wo dann meist Lärmschutzwälle den Blick begrenzten.

Auf dem letzten Abschnitt schlief Schaaf wieder kurzzeitig ein. Obwohl er doch eigentlich nichts tun musste, ermüdete ihn die Fahrt dermaßen. Naja, vielleicht genau deswegen. Sein Kreislauf fuhr wohl wegen der fehlenden Aufregung und dem eintönigen Ablauf herunter. Normalerweise stand Schaaf durch seinen Job ständig unter Strom. Für ihn war diese Zugfahrt, ausgenommen wenn eine solche in Verbindung mit Urlaub erfolgte, absolut ungewohnt. Es konnte ihm aber auch nichts schaden einmal während seines Dienstes einen ruhigen Tag ohne Stress und Anspannung zu verbringen.

Den Zielbahnhof Nizza erwartete Schaaf bald ungeduldig. Der letzte Teil der Strecke führte teilweise an der Küste entlang. Diese Perspektiven anzusehen erfreute Schaaf dann und durchbrach die Monotonie einer gewöhnlichen Zugreise. Ihm gefiel der gelegentliche Ausblick auf das Meer sehr. Das schien tatsächlich eine herrliche Gegend zu sein in die sein Einsatz ihn führte. Das Blau des Meeres, das satte Grün und die mediterrane Umgebung ließen dann auch seine Müdigkeit verfliegen. Das Panorama auf die herrliche Landschaft und auf die Häuser mit den typisch gedeckten Dächern dieser Region das vorbeizog, riss ihn aus der Lethargie. Schaaf war bis zum Einfahren in den Bahnhof von Nizza hellwach und voller Tatendrang, die bevorstehende Herausforderung anzunehmen.

Ihm zeigte sich eine gänzlich andere Umgebung, wie Schaaf sie bei seinen Urlauben sah, die er bis dahin in Frankreich erlebte. Mit seiner Frau verbrachte er die Ferien wenige Male im Norden des Landes. Dieser Küstenstreifen hatte auch seine Reize. Aber das sonnendurchflutete Bild mit den Palmen, den Feldern und dem Meer, das hier auf ihn wartete, gab einen völlig anderen Eindruck von Frankreich, als den, den er kannte. Und der entzückte Schäfchen sehr.

Mit seinen beiden Rollkoffern stieg Schaaf die Stufen aus dem Zug herunter, betrat den Bahnsteig und spürte sogleich die behagliche Wärme, die ihn umgab. Im Zug funktionierte die Klimaanlage einwandfrei und so blieb ihm verborgen, wie mit jedem Kilometer die Außentemperatur anstieg. Es war ein merklich anderes Klima, als er es zuletzt in Mannheim verspürte und welches sein verbliebener Eindruck von den Temperaturen war.

Sich noch orientierend umsehend, entdeckte Schaaf sofort zwei Männer im Anzug, die freundlich auf ihn zugingen, als sie ihn ebenfalls erblickten. Schaaf erkannte Kommissar Bernaude, dessen Bild ihm bei den Vorbereitungen zu diesem ungewöhnlichen Einsatz bereits übermittelt worden war. Den anderen kannte Schaaf nicht.

Bernaude trat vor Schaaf, reichte ihm wie einem alten Bekannten lächelnd die Hand und umarmte ihn danach innig. "Erzlich Willkomm in France Monsieur Schaaf."

"Hallo Monsieur Bernaude. Ich freue mich hier zu sein", sprach Schaaf deutlich, noch in Deutsch, um seinem französischen Kollegen die Verständigung leichter zu machen. Auch Kriminalhauptkommissar Schaaf zeigte ein freundlichtes Gesicht, zu dem er sich nicht verstellen musste. Seine Begeisterung war echt. Schaaf war froh die Zugfahrt hinter sich gebracht zu haben, freute sich über das wundervolle Wetter und von Bernaude schlug ihm Sympathie entgegen.

"Das ist meine, wie sagt man.... Assistent Jean-Claude Dupassier."

Schäfchen gefiel der französische Akzent. Er wollte nicht wissen, wie sein gesprochenes Französisch dagegen in den Ohren der Franzosen schmerzte. Die Verständigung zwischen ihnen funktionierte gegen alle Befürchtungen von Anfang an sehr gut.

Schaaf begrüßte auch den französischen Busch mit Handschlag und war gespannt, ob der ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen würde, wie sein eigener Assistent. Vom ersten Eindruck her schien Dupassier ihm jedenfalls ein ernster Zeitgenosse zu sein.

"Sie haben mich aber sofort erkannt", lachte Schaaf, um das Gespräch nicht einfrieren zu lassen.

"Was denken sie? Wir sind immerhin von der Polizei! Wenn wir nicht wissen wie jemand aussieht..." scherzte Jacques Bernaude erheitert.

Der Humor, und somit die Chemie zwischen Kriminalhauptkommissar Schaaf und Kommissar Bernaude, stimmte offensichtlich. Der Auftakt dieses Beamtenaustausches verlief recht erfrischend und versprach ein gutes Klima zwischen den beiden Kommissaren. Das ließ die ersten Bedenken sofort schwinden, und entspannte Kriminalhauptkommissar Schaaf erheblich. Kommissar Bernaude erging es da ganz sicher gleichermaßen.

Es wäre einem Drama gleich gekommen, wenn der Beamte, mit dem Schaaf zusammenarbeiten sollte, Antisympathien bei ihm erweckt hätte. Wer könnte unter solch ungünstigen Umständen motiviert arbeiten? Diesen Punkt konnte niemand im Vorfeld beeinflussen. Der stellte sich erst dann heraus, wenn man sich kennenlernte und gegenüberstand. Zum Glück stimmte die Stimmung zwischen Bernaude und Schaaf von Anfang an. Er sah keinen Grund, dass sich die im Nachhinein noch ändern sollte. Sein französischer Kollege schien sich auch nicht zu verstellen und gab sich so, wie er wirklich war.

"Ich würde vorgeschlagen, dass wir sie jetzt in ihr Hotel bringen. Sie können sich rein machen und heute Abend gehen wir gemeinsam essen. Bon?"

"Ja, das denke ich wäre optimal. Essen ist immer gut", lachte Schaaf seinen Kollegen an, denn er vermutete, dass Bernaude ebenfalls gerne gut aß.

"Formidable", amüsierte Bernaude sich.

Jacques Bernaude war zwei Jahre jünger als Schaaf. Das wusste er aus den Akten. Schneider suchte für Schaaf die Angaben über ihn aus dem Netz zusammen. Bernaudes körperliche Statur, was die Fülle betraf, war der von Schaaf sehr ähnlich. Auch Bernaude verschmähte scheinbar nie ein gutes Mahl. Auch darin stimmten die beiden überein.

Bernaude trug eine rahmenlose Brille und hatte dichte graue, etwas zu lange Haare. Er war einen guten Kopf größer als Schaaf aber sein Bauchumfang glich dem von ihm sehr genau. Der schelmische Blick in Bernaudes Gesicht verriet sofort, dass er ein humorvoller Mensch sein musste. Allerdings, so erkannte Schaaf auch, konnte er ebenso ernst und konsequent sein, wenn es die Umstände erforderten. Es gab also einige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden. Der gegenseitige Umgang miteinander war von Beginn an sehr respektvoll aber auch herzlich.

Bernaudes Assistent Jean-Claude Dupassier verhielt sich still und eher im Hintergrund. Das war wohl die Eigenschaft, die Assistenten eigen war. Auch an Dupassier erkannte Schaaf Parallelen zu Busch. Dupassier war ebenfalls schlank, aber nicht so schlaksig wie Busch. Er wirkte allerdings sehr viel ernster als Busch und hatte mit Sicherheit kein bisschen des Humors von seinem Chef. Dupassier schien mehr der Draufgänger und Hitzkopf zu sein. Er verhielt sich gegenüber Schaaf freundlich, machte aber im Grunde einen finsteren Eindruck. So als ob mit ihm, wenn es darauf ankam, absolut nicht zu spaßen wäre.

"In welches Hotel sind sie reserviert?", fragte Bernaude auf dem Parkplatz am Auto. Schaaf zeigte keine Regung wegen der kleinen Sprachfehler, die Bernaude machte. Ihm war klar, dass der nicht sehr geübt in der deutschen Sprache sein konnte. Schaaf freute sich im Gegenteil darüber, dass Bernaude wenigstens so weit der Sprache mächtig war, dass sie sich verständigen konnten und keine Scheu hatte, sie zu sprechen. Er selbst begann langsam im Gegenzug damit französisch zu reden. In diesem Punkt war Schäfchen ein wenig gehemmter als Bernaude. Dabei war er sich ganz sicher, dass Bernaude auch bei ihm jeden Satz, den er formulierte, hätte verbessern können, was der ebenso unterließ. Die Hauptsache war doch, dass sie einander verstanden und sich nicht wie Pantomime mit Händen und Gesten mitteilen mussten.

"Moment, ich habe da einen Zettel, wo die Buchung aufgeschrieben ist." Schaaf zog diesen aus seiner Brusttasche des Hemdes und reichte ihn Bernaude. Nach einem kurzen Blick darauf übergab er ihn Dupassier, der den Wagen fahren sollte.

"Ohlala ein guter Hotel. Ihr Boss meint es gut mit ihnen."

"Ja er versprach mir kein schlechtes zu buchen."

"Er hat Wort gehalten! Sie werden sich dort wohlfühlen. Deutschland ist gut zu seinen Beamten!"

"Naja", lachte Schaaf und auch Bernaude stimmte mit seiner Bassstimme ein.

Dupassier schnappte sich ohne Aufforderung Schaafs Gepäck und verstaute es im Kofferraum. Dabei wuchtete er die Koffer mit einer Leichtigkeit, als ob sie leer wären. Bernaude hielt seinem Gast die Tür zum Rücksitz auf und ließ Schaaf einsteigen. Bis auch Bernaude auf dem Beifahrersitz saß, wartet Dupassier bereits ungeduldig als Fahrer darauf, dass er den Motor starten konnte.

Bernaude sagte etwas zu Jean-Claude Dupassier, das sich wie eine Anweisung anhörte. Wenn Schaaf das richtig verstand, sollte er an der Promenade entlang fahren. Was der dann auch tat.

Schaaf gefiel der breite saubere Strand, der nicht aus Sand, sondern aus grauen, runden Kieselsteinen bestand. Die sachten Wellen, die ans Ufer schlugen und der Ausblick auf das endlos scheinende Meer und die, in der gleißenden Sonne wehenden Palmen überall. Ja, das war schon sehenswert. Mit der gewählten Strecke konnte Bernaude seinem deutschen Kollegen imponieren.

In Deutschland beherrschte der Spätherbst mit Frost und trübem Wetter das Land und hier lagen sogar noch vereinzelt Leute am Strand in der Sonne. Es gab keine brütende Hitze mehr, aber es war dennoch angenehm warm. Ein paar Stunden Fahrt und man befand sich in einem viel angenehmeren Klima. Erstaunlich!

Kommissar Bernaude sprach in der Zeit kaum etwas. Er drehte sich nur manchmal zu Hauptkommissar Schaaf um, lächelte ihm wohlwollend zu und erfreute sich daran, dass seinen Gast die Gegend offensichtlich beeindruckte.

Die französischen Kollegen setzten Kriminalhauptkommissar Schaaf genau vor dem Eingang zu seinem Hotel ab. Schon von außen erkannte er: Sein Chef Herr von Bredow hat sich nicht lumpen lassen. Er überwand tatsächlich seine eigene Natur und ließ Großzügigkeit walten. Diese ungewohnte, zuvorkommende Verhaltensweise war also mit ihrem Gespräch, welches Schaaf schon ungeheuer erstaunte, nicht beendet. So würde sich Schaaf seinen Chef gerne immer wünschen, ahnte aber, dass der Zustand eine absolute Ausnahme blieb.

Das Entree war einladend, pompös und mit viel Glas und Chrom gestaltet. Alles tadellos und in Hochglanz. Es handelte sich natürlich nicht um eines dieser V.I.P. Luxushotels, wie sie überwiegend an der Promenade entlang standen, aber es war ein sehr schönes und gutes Haus.

"Wir holen sie in einer Stunde ab? Reicht das?"

"Ja das passt. Ich möchte mich nur ein wenig frisch machen und dann können wir los."

"Bon. Dann in einer Stunde. Allez", rief Bernaude seinem Assistenten zu und sie fuhren davon, als ob sie zu einem Einsatz müssten. Wohl französisches Temperament, oder der überhöhte Testosteronspiegel von Jean-Claude Dupassier.

Schaaf checkte in seinem Hotel ein, ließ sich sein Zimmer zeigen und packte dort seine Koffer aus. Sein Domizil für die nächsten zwei Wochen war sehr groß. Darin prangte ein ausladender Schreibtisch und gegenüber gab es eine kleine Sitzecke. Die Fenster waren ebenfalls großflächig und durch sie wurde der Raum mit dem südlichen Sonnenlicht geflutet. Im Flur fand Schaaf in einem geräumigen Schrank ein herausklappbares Bügelbrett mit Bügeleisen, wo man notfalls auch mal einen Anzug aufbügeln konnte. Alles nicht alt oder abgenutzt und sehr sauber.

Bevor Schäfchen in das Duschbad ging, das sehr neu und modern ausgestattet war, rief er noch einmal kurz seine Frau an, um ihr auszurichten, dass er gut in seinem Hotel angekommen war und er sich anschließend mit dem Kollegen zum Essen verabredet hatte.

Schäfchen stand pünktlich vor dem Hotel und wartete auf die französischen Kollegen, die ebenfalls genau zum verabredeten Zeitpunkt vorfuhren. Schaaf sprang in den Wagen und Dupassier steuerte ihn zu dem Lokal, in dem Bernaude einen Tisch für sie drei reserviert hatte.

Zur Begrüßung empfing der Kellner die drei gleich mit Champagner und danach folgten sechs hervorragende Gänge. Das Menü bestellte Bernaude vor, damit keine Wartezeit entstand und sie recht schnell mit dem Essen beginnen konnten. Bei der Auswahl vertraute Bernaude auf sein Gefühl und hoffte dass alles Schaafs Geschmack traf.

Nach dem obligatorischen Glas Champagner und dem "Gruß aus der Küche" begann das Entrée mit einem Avocadoschaumsüppchen. Weiter ging es mit einem Pilzcocktail auf einem Knoblauch-Kräuterspitzenbett, dem ein Fasanenfilet mit Roquefortsauce und Folienkartoffeln folgte. Danach noch eine Lachsroulade mit Honig-Senf Marinade und vor dem Dessert gab es eine Portion ofenwarmer Ziegenkäse auf einem Salatteller. Den Abschluss bildete ein Crepes, der wie ein Spitzhut auf dem Teller stand und mit kandierten Orangen übergossen war.

Schaaf war begeistert und beeindruckt. Er, der von modernem Fastfood wie Burger, Hot Dogs oder Döner Kebab absolut nichts hielt, wusste solche Delikatessen aus erlesenen Zutaten zu schätzen. Die kamen Schaafs Geschmack von vorzüglichem Essen sehr entgegen. Alle Elemente des Menüs fanden sein Gefallen. Anders als die in Windeseile zusammengepanschten Happen zwischen zwei gummiartigen Brötchenhälften.

Das Menü schmeckte köstlich und jeder einzelne Gang glich einem Meisterwerk. Es ging hier nicht darum sich schnell den Bauch zu füllen, sondern bei jedem Happen im Genuss zu schwelgen; die Aromen des Geschmacks am Gaumen zu spüren und die Sinne zu befriedigen. Der Koch verstand sein Handwerk und Schaaf liebte gutes Essen! Nach diesem hervorragenden Mahl, bei dem die Kompositionen jeweils eine Götterspeise für den Geschmackssinn und auch für die Augen waren, stieg in Schaaf eine leise Ahnung über das Leben hier auf. Die Menschen lebten in einer herrlichen sonnenverwöhnten Landschaft, es gab exzellentes Essen mit frischen Zutaten von dem fruchtbaren Land und direkt aus dem herrlichen Meer davor. Schäfchen vermutete, dass der Ausspruch ‚Leben wie Gott in Frankreich‘ an diesem Küstenstreifen geboren wurde.

"Oh wie nobel", lobte er schon beim Champagner ohne zu erahnen welche Genüsse ihm bei der weiteren Speisefolge kredenzt werden würden.

"Geht alles auf Spaß!"

Schaaf lachte, verstand aber, dass Bernaude meinte, die Rechnung würde von der Behörde als Spesen übernommen. Er achtete dabei darauf, dass sein Gastgeber nicht den Eindruck gewann, er würde ihn auslachen. Das gelang ihm gut und er erklärte Bernaude, wie es auf Deutsch richtig hieß.

Während dem Essen hatten Bernaude und Schaaf richtig Spaß. Von der ersten Minute an gab es keine Hemmungen, die ihr Kennenlernen ausbremste. Sie waren offen zueinander, verstanden sich nicht nur die Verständigung betreffend gut und somit gab es viel zu lachen. Auch wegen der oft falschen Wortwahl, die sich jeder beim Reden in der jeweils anderen Sprache leistete. Es war schön, dass sie gegenseitig über die Fehler lachen konnten. Ohne sich abzusprechen behielten die beiden bei, dass jeder jeweils in der Sprache des anderen plauderte, um diese damit besser zu erlernen. Also tickten sie auch in dieser Hinsicht im gleichen Takt.

Dupassier verhielt sich wiederum sehr still. Er lachte auch nur selten mit. Das lag sicherlich zum einen daran, dass er nur ganz wenig Deutsch sprach, aber auch daran, dass er ein völlig humorfreier Mensch war. Denn zumindest die Späße, die Bernaude auf Französisch wiederholte, damit Dupassier sie verstand, hätten ihn doch erheitern müssen. Dupassier blieb aber auch dann humorresistent.

Nach dem hervorragenden Essen, während dem sie exzellente französische Rotweine tranken, wurden einige Runden Anisée gereicht, die die Stimmung weiter anfachten. Zumindest bei Schaaf und Bernaude. Schaaf wehrte sich zuerst gegen den Schnaps, weil er diese Art von Alkoholgenuss eigentlich ablehnte. Trank dann aber doch fleißig mit. Dupassier nahm davon nur wenige und verweigerte meist, wobei er sogar ein freundliches Lächeln zu Stande brachte, denn der musste schließlich noch den Wagen fahren.

Schaaf bedankte sich mehrfach bei seinem Gastgeber für die Einladung und ließ dabei seinem Entzücken für das Essen freien Lauf. Weil ihm dabei mangels des französischen Sprachschatzes abwechselnde Worte fehlten, gebrauchte er mehrfach dieselben.

"Sie sind ja ganz vergeistert", freute sich Bernaude. "Keine Ursache, das habe ich gerne getun und es ist einfach normal."

Sie lachten wieder laut und ungehalten, nachdem Schaaf seinen Kollegen berichtigte, dass es begeistert heißen müsse, und er ihm umschrieb, was vergeistert bedeutete. Den französischen Vokal dazu kannte Schaaf nicht. Machte die Bedeutung Bernaude jedoch durch die Umschreibung verständlich.

Zu fortgeschrittener Stunde, bei der herrschenden ausgelassenen Stimmung, beschlossen Schaaf und Bernaude dann auch sich mit "Du" anzusprechen. Sie waren in den wenigen Stunden bereits zu Freunden geworden, sodass dieser Schritt nur konsequent war. Die gesellig machende Wirkung vom Alkohol spielte dabei natürlich auch eine gewichtige Rolle.

Auch diese Entscheidung wurde mit einem Pastis besiegelt. Schaaf wunderte sich eigentlich über sich selbst. Denn dass er Alkohol in diesen Mengen trank, war eine große Ausnahme. Kriminalhauptkommissar Schaaf kannte man eher als Gegner von Alkohol. Er verteufelte ihn normal. Aber an diesem Abend passte der sogar für ihn. Und der Schnaps schmeckte Schaaf unerwartet gut. Vielleicht würde er in der passenden Stimmung und Umgebung doch öfter Alkohol genießen. Aber Schaaf lebte zu sehr für seinen Beruf, in dem er leider zu oft die negativen Auswirkungen von Alkoholgenuss, als bedauerlichen Fall auf den Schreibtisch bekam.

Natürlich zeigte der Schnaps seine Wirkung bei ihm. Bernaude, der das Destillat sicherlich gewohnt war, vertrug ihn besser. Aber auch er lachte mehr und ausgelassener mit jeder Runde, die sie tranken.

Plötzlich schlug Bernaude aus einem Lachanfall heraus vor: "Soll ich dir zeigen wo die schönen Frauen sind? Junge sehr hübsche französische Damen!"

"Oh nein, das muss nicht sein."

"Ahh komm`, du bist doch auch ein Mann. Und sehr weit weg von zu Hause. Na?" schlug Bernaude Schäfchen kumpelhaft gegen den Bauch.

"Nein, glaube mir. Das ist nicht meine Sache. Ich bin glücklich verheiratet. Aber ich danke dir trotzdem für das Angebot!"

"Oui dann will ich dich nicht geführen."

"Verführen, wäre das richtige Wort" und sie lachten beide wieder ausgiebig. Dupassier sah ihnen, wie meist, schier unbeteiligt zu. Er mischte sich weder ein, noch lachte er mit den beiden Kommissaren. Dupassier blieb still, aß sein Essen und tat so, als hörte er nichts und sei gar nicht da. Wie ein stummer Statist dessen einzige Aufgabe es war anwesend zu sein.

"Und das dann auch noch auf Spaß?" ulkte Schaaf weiter.

"Oi oi oi, ob ich das als 'Spesen' geltend machen kann weiß ich nicht. Habe ich noch nie gesucht. Mein Chef würde bestimmt dumm aus der Jacke schauen", versuchte sich Bernaude in einer deutschen Redewendung. "Spesen war jetzt aber richtig?"

"Ja, hervorragend! Du lernst schnell."

"Danke."

Und darauf wieder einen Anisschnaps!

"Ich sage dir was: Wir bleiben einfach noch hier und schütten uns noch ein paar von diesem flüssigen Anis rein", schlug Bernaude vor.

"Ja, aber nicht mehr so viele."

"Ach was. Wir müssen doch keines Auto mehr fahren. Wir haben doch Jean-Claude dabei. Und du bist ein lieber Assistent und bringst uns nach Hause nicht wahr?"

"Bien sûr ", bestätigte Dupassier 'selbstverständlich' wortkarg.

"Siehst du. Keine Problem."

"Aber morgen müssen wir doch arbeiten. Wir haben schon einiges intus!"

"Hach ihr Deutschen denkt immer nur an die Arbeit, Arbeit, Arbeit." Dabei beschrieb Bernaude Bewegungen mit den Händen, als ob er schwere Kisten umstellen würde. "Ihr seid immer so diszipliniert und vernünftig und vergesst dabei zu leben. Jetzt ist heute Abend und wir haben Freude. Arbeit ist morgen!"

Eigentlich hatte Bernaude Recht mit dem, was er sagte und hielt Schaaf den Spiegel vor. In Deutschland hat immer die Vernunft und die Pflichterfüllung Vorrang. Schaaf brach gewöhnlich auch einen gemütlichen und lustigen Abend frühzeitig ab, nur weil er daran dachte, am nächsten Tag voll leistungsfähig sein zu wollen. Immer den Job und die Dienstbarkeit im Vordergrund und der Spaß hinten angestellt. Die Disziplin fraß die Lebensfreude auf und färbte das Leben grau.

Da hatten die Menschen in den meisten anderen Ländern um Deutschland herum die bessere Einstellung. Die Leute dort feierten, wann es sich ergab, und wenn das mitten in der Woche war. Nicht wie die Deutschen nur zu Hochzeiten, runden Geburtstagen und Jubiläen, die dann extra auch auf das Wochenende gelegt wurden, um die Arbeit darunter nicht leiden zu lassen. Wenn es in den anderen Kulturen einen Anlass gab, wurde nicht lange überlegt, sondern gefeiert. In den meisten anderen Ländern lebten die Menschen das deutsche Sprichwort 'Feste muss man feiern, wie sie fallen' tatsächlich. Und Schaaf wollte an diesem Abend die deutschen Tugenden auch einmal verdrängen. Er stellte sich vor, diese einfach an der Grenze auf der deutschen Seite, zurückgelassen zu haben. Einfuhrverbot! Einmal ohne schlechtes Gewissen tun, was einem gefiel, die Vernunft vergessen und nicht an Morgen denken.

"Noch eine Runde," bestellte Schäfchen nach dieser Erkenntnis lauthals. Wenn seine Frau, oder gar seine Männer, ihn an diesem Abend gesehen hätten, wäre es ihnen schwer gefallen zu glauben, dass das ihr Schäfchen war, den sie kannten. Schaaf mit einen leeren Schnapsglas in der Hand, der merklich angeheitert Nachschub orderte, passte nicht in das Bild, das sie von ihm hatten.

"Ja, so gefällst du mir mein Freund. Santé!"

Dieser folgten noch einige weitere Runden. Der Promillepegel stieg an und die Hemmungen fielen. Schaaf und Bernaude alberten weiter, wurden lustiger und vergnügter, und hatten ausgelassenen Spaß. Die Sprachbarriere, die ohnehin schon recht niedrig war, verschwand komplett. In einem Mix aus Französisch und Deutsch rissen sie ihre Witze und verulkten sich gerne gegenseitig. Auch Jean-Claude wurde oft ein Opfer ihres Übermuts und musste so einiges einstecken. Die Bemerkungen lächelte der aber mit einem unechten Grinsen weg. Und immer wieder gab es dazwischen einen Anisée.

Bernaude lernte Schaaf dann weit nach Mitternacht ein französisches Stimmungslied, Aux Champs Elysées, das sie mit steigendem Alkoholpegel gemeinsam grölend sangen. Sogar Jean-Claude sang am Anfang verhalten mit und so lagen sie sich zu dritt dabei in den Armen. Dupassier ging für eine kurze Zeit aus sich heraus, zog aber dann gleich wieder die Spaßbremse an.

Schon das Einstudieren des Songs brachte allerlei Gelächter mit sich, denn angeheitert und mit bleierner Zunge ist es doppelt schwer einen Text in einer fremde Sprache zu erlernen; ihn richtig auszusprechen und zu betonen. Die korrekte Aussprache der gesungenen Worte verlangte Schäfchen allerhand ab. Bernaude übersetze Schäfchen in den Pausen, wenn die beiden sich orientierten und durchatmeten, die Abschnitte des Liedes, die er nicht richtig verstand.

Die anderen Gäste in dem Lokal interessierten Bernaude und Schaaf dabei nicht. Ihre Stimmung war zu ausgelassen, als dass sie sich um die Gäste um sich herum gekümmert hätten. Das jahrelange Ausüben des Kommissarenjobs gewöhnte beiden längst ab darauf zu achten, was andere von ihnen dachten. Und das nahmen sie auch in ihre Freizeit mit. Die meisten der Gäste lachten allerdings sogar, angesichts des Frohsinns, den die beiden verbreiteten. Mit zunehmender Stunde waren sie dann auch fast mit Dupassier die einzigen Gäste in dem Lokal, sodass sich dieses Problem erledigte.

Erst spät in der Nacht, viel zu spät, brachten Bernaude und Dupassier ihren deutschen Gast in sein Hotel. Schaaf war dann für seine Verhältnisse total betrunken, aber glücklich. Das Lied Aux Champs Elysées grölten Bernaude und Schaaf zum Verdruss von Dupassier, auch im Wagen ausgelassen weiter.

Schaaf war allerdings noch so weit klar im Kopf, dass er wusste was er tat, und auch gehen konnte er noch selbst. Er torkelte zwar erheblich, kam aber überwiegend ohne die stützenden Arme von Dupassier zurecht und in sein Hotel.

So etwas hatte Schäfchen schon seit Jahren nicht mehr getan. Einfach gefeiert, gelebt und nicht an die Verantwortung, Moral und Etikette gedacht. Stattdessen nur an sich und was ihm Freude bereitet. Alle Zwänge, die er sich ansonsten selbst auferlegte, sprengte Schaaf, spülte sie mit Pastis weg und vergaß sie. An diesem ersten Abend in Nizza warf Schaaf all die Tugenden über Bord, die er in seinem Leben in Deutschland hoch hielt, und genoss die Leichtigkeit des Seins.

"Dupassier holt dich nachher um 8.00 Uhr dann hier ab", sprach Bernaude nicht weniger betrunken als Schaaf. Diesen Satz wiederholte Bernaude allerdings mehrfach. Ob er das tat, weil er selbst nicht mehr wusste, dass er es bereits sagte, oder um sicher zu gehen, dass Schaaf ihn auch verstanden hatte, konnte man nicht wissen.

Nachher war dabei das absolut richtige Wort, denn sie standen gegen Morgen vor dem Hotel. Nach einer Umarmung, als wenn es ein Abschied für immer wäre, schleppte Schaaf sich in sein Zimmer. Mit den Knöpfen im Fahrstuhl führte er einen kurzen Wettstreit, weil diese immer, kurz bevor er sie drücken konnte, wegsprangen. Ihm wurde allerdings auch bewusst, dass er froh sein konnte, nicht die schwankende Treppe benützen zu müssen.

In seinem Bett liegend, nach dem gewonnenen Kampf mit den Kleidern, den Socken, die irgendwie nicht von den Füßen wollten, und den unzähligen anderen Widrigkeiten, dachte Schaaf noch kurz vor dem Einschlafen: 'Das war wirklich ein schöner Abend. Ich sollte öfter einfach lockerer sein und mehr das Leben genießen, wie die Franzosen das auch tun'.

Schaaf ermittelt

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