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Finstermahr

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Mir schaudert es vor dem Schlaf, vor den Träumen, die er bringt; sie sind das Grauen! Oh ja, Grauen ist überhaupt kein Ausdruck!

Wobei bis heute, nach nunmehr zweiundvierzig Jahren, nichts wirklich Evidentes geschehen ist. Abgesehen von mancherlei sozialen und gesundheitlichen Folgen, wohlgemerkt. Nie habe ich etwas von amorpher Substanz dabei ertappen können, wie es die nebelgetränkten Grenzstädte zwischen unserer allgemeingültigen Welt und der subjektiven Sphäre mitternächtlicher Transzendenz durchpilgerte, um glotzäugig neben meinem Bett zu erscheinen – fassbar, fühlbar. Nein, alles spielt sich stets auf jener anderen Ebene, in ihrem hochokkulten Reich morbider Fata Morganen ab. Einem Reich mit eigenen Regenten und unikalen Gesetzen. Sentimentale Menschenrechte besitzen dort keinerlei Wert, und wehe jenen, auf denen der ewig nagende Bannfluch unmessbare Weiten schreckensschwangerer Traumlande verwaltender Nachtalbbarone im giftigen Schein finsterer Sonnen lastet!

Möglicherweise ereignet sich all das Grauen jedoch einzig und allein in den äthergefluteten Windungen meines gemarterten Hirns. Steckt ein unüberwundenes Geburts- oder Kindheitstrauma hinter dieser meiner Dämonie? Ist Vergleichbares der Grund für die allabendliche Sorge vor dem Einschlafen? Angst in der Dunkelheit, bleierne Furcht inmitten der lichtlosen Verkündigung drohender Nichtexistenz? Ebenso gut könnte es doch eine undiagnostizierte Temporallappenepilepsie sein, oder … Nun ja, eben berechtigte Scheu vor dem, was den Staubgeborenen naturgemäß ein Trost sein soll.

Ave, Pavor nocturnus! Nun, viel bedeutender als bloße Spekulationen ist die Frage, was mich heute Nacht auf der anderen Seite des Sphärenschleiers erwarten wird! Etwa abermals dieser monströse Unhold der Tiefe? Aus sonnenreichen Wolken stürze ich hinab, im freien Fall, keine Chance zu erwachen; kein Land in Sicht, bloß endlose Weiten pazifischer Fluten. Den luftigen Bereich der Sylphen durchstürzend, erkenne ich unter mir, in den Wogen des Irrsinns, jene grotesken Cephalopoden-Umrisse definiert von unzähligen titanischen Tentakeln und einem wabernden Haupt der Lästerungen; grauenhafte Glotzaugen zeichnen sich alsbald detailreich ab, ihr beutehungriger Blick bedeutet Gefahr. Ich schlage durch die Wasseroberfläche, dann ertrinke und vergehe ich in einem Mahlstrom saugnapfbewehrter Fangarme, und zugleich ich mich bereits aufrecht sitzend zwischen den Laken wiederfinde, ersterben die letzten verstörenden Ansichten des abyssalen Gewimmels und das grimme Tönen der Kopffüßerbestie zwischen den strapazierten Synapsen meines Hirns. Ein böser Traum, einer von vielen.

Bisweilen unterstelle ich diesem stets auf gar ähnliche Weise erscheinenden Albtraumbewohner sogar eine Art pietätloser Intelligenz, die sich darin gefällt, des Nachts nach meinem feinstofflichen Leibe zu greifen, um ihn auf besagte Weise absonderlich zu quälen. Obacht, spreche ich hier von einem feinstofflichen Leibe, so ist mir durchaus bewusst, dass sich dieser Wortwahl zumeist schlecht durchdachte und unbefriedigende esoterische Theorien anknüpfen. Sie sind alle entlarvt; führen bloß in einen leeren Raum, da der Irrsinn kühl anhaucht und tote Götter gräulich gackern.

Möglicherweise leide ich vielmehr unter einer seltenen Erbkrankheit, einem sinistren Siechtum, und sonach erklären sich die befremdlichen Ansichten endloser Prozessionen tiergesichtiger Flagellanten, wie sie im Angsttraum oftmals an einem schmiedeeisernen Bett vorbeiziehen, das deplatziert auf einer Kopfsteingasse inmitten einer von grünspanfarbenem Fackelschein erhellten mittelalterlichen Fachwerkstadt steht. Darin: Ich – um Geistesklarheit ringend und krampfhaft versuchend, erneut einzuschlafen; mich unter und hinter Daunendecken verbarrikadierend.

Es ist wahr! Denn erst wenn ich es vollbringe, mittels mentaler Beherrschung oder dank der Gnade namenloser metaphysischer Mechanismen ebendort hinüberzudämmern, erwache ich wieder im Hier und Jetzt – sowohl schweißgebadet als auch schockiert, wohlgemerkt – das viehische Odeur der keilerköpfigen, ziegenbeinigen und geschuppten Bastardmeute nach wie vor in der Nase, das Blöken aus ihren entmenschlichten Kehlen weiterhin in den Ohren. Wohin pilgerten sie während so vieler tierwilder Nächte, da ich in ihrer okkulten Sphäre gefangen lag, sie mein unfreiwilliges Lager immerfort mit grausigen Klängen und missgünstigen Anfeindungen streiften? Gerüstet mit Dreschflegeln, dornigen Passionswerkzeugen, Pauken, Trompeten und rostigen Laternen, in denen raschelnde Klumpen insektoider Kleinlebewesen fremdweltliche Flammenzungen durch ein stetes Opfer scharlachrot anfachten, zogen sie feierlich einher. Ich derweil verließ ihren Bereich nach langem Leiden, ein jedes Mal aufs Neue, und das bloß, um zwischen den vier Wänden einer privaten Folterkammer, meines Schlafzimmers zu erwachen. Tja, Wohnsitz und Arbeitsstelle wechselte ich bis dato wiederholt – vergebens!

Wobei … Diese Einliegerwohnung habe ich erst vor zwei Tagen bezogen, und somit ist es noch zu früh, um die Hoffnung aufzugeben. Penibel habe ich darauf geachtet, diesmal eine Bleibe auf dem Land zu finden, abseits von Trubel und zu viel Elektronik; ein weitläufiges Naturschutzgebiet, einen uralten Wald unmittelbar vor der Haustür wissend. Obwohl und gerade weil sämtliche standardmäßigen und alternativen Behandlungsmethoden ihre angepriesenen Wirkungen in meinem seltenen Fall verfehlten, hoffe ich weiterhin auf eine naturgemäße Besserung.

Eine Dekade ist’s her, da nächtigte ich sogar in einem Schlaflabor! Ja, wohlweislich hatte ich mir zuvor Sorgen gemacht, alberne Verrenkungen fürchtend, denen sich der Körper möglicherweise hingeben würde, während mein gottgestaltiger Anteil in dämonischen Spiegelwelten unter der Supervision zirpender, in staubige Barockgewänder gehüllter Mantiden mit brünstigen Sukkuben verkehrte. Und tatsächlich, während fraglicher Untersuchung geschah das Unvermeidliche: Ich fand mich inmitten eines allzu vertrauten Szenarios wieder! Wohlverstanden nicht in einer der finsteren Venus geweihten, von dem ruhelosen Geist eines Marquis de Sade durchwanderten Ebene sonderbarer Vorlieben, nein, es war jene der experimentierfreudigen Schneckenschleimschänder. Eine treffendere Bezeichnung für diese Missgeburten des Multiversums entzieht sich meinen Kapazitäten, zudem ich sie lediglich selten in ihrer vollumfänglichen Abartigkeit zu Gesicht bekomme. Die avernalische Akkupunktur meiner Lymphknoten stellt für gewöhnlich das geschmacklose Vorspiel dar. Auf eine Art levitierende Streckbank gespannt, vermag ich nicht, mich zu rühren, und meistens gelingt es mir bloß unter enormer Willensanstrengung, die Umgebung visuell wahrzunehmen. Sodann werde ich beispiellos hässlichen Glibber-Akkumulationen in biomechanischen Exoskeletten ansichtig, wie sie durch einen sterilen Operationssaal torkeln und blind auf mich herabstarren. Bereits unzählige Male litt ich an diesem stinkenden Ort der Misanthropie. Welch Pein! Die schiere Vorstellung, dass solche Abortgeschöpfe tatsächlich irgendwo in den untersten Eingeweiden einer mitleidlosen Schöpfung existieren und sich mittels gewisser technomagischer Methoden frei durch die Spiralgalaxien bewegen könnten, raubt mir sämtliche Restnerven. Der Hauptakt? Stets derselbe: Explantation – Reimplantation!

Zuvor präsentieren jene Freaks in pastoraler Manier mehrere polierte Stahlkanopen. Auf diesen prangt in gelblichen Kosmos-Hieroglyphen, mir entsetzlicherweise verständlich, die Definition des noch pulsierenden Inhalts: Denkorgane exotischster Provenienz! Unter anderem jene satyromanischer Schimpansen, berühmter wie auch fragwürdiger Persönlichkeiten der planetaren Vergangenheit und Zukunft, oder aber matschige, wohl kaum in die Struktur eines Menschenschädels passende Eiweißklumpen transneptunischer Evolutionsreihen. Ich kann’s einfach nicht verstehen … Allmächtiger, es war, ist und bleibt einfach nur abscheulich! In neun von zehn Fällen öffnen sie die Kalotte mit einer Art Bunsenbrenner, entnehmen mein triefendes Hirn und fragen mich, während es durch Bindegewebe und Nervenstränge mit der Schädelhöhle verwoben bleibt:

»Was darf’s denn heute sein, Monsieur? Na, wie wär’s zur Abwechslung mal hiermit? Gefällt Ihnen das, hm? Oui? Non? Pff!«

Während der just angedeuteten Heimsuchung dieser Spielart, jener unter ärztlicher Aufsicht, als sich der Druck auf meine Augen bereits ins Unerträgliche gesteigert hatte, sie durch die Sehnervenkanäle in das Schädelinnere gezerrt wurden, kreischte ich erbärmlich. Was die rhetorische Frage aus gelatinösen Molluskenmäulern jenes Mal andeuten sollte, wurde mir sodann auf besonders perfide Weise offenbart.

»Diese stählerne Kanope mit der gelben Bilderschrift – Nein – In Gottes Namen, niemals! Nicht das Gehirn einer Lifestyle-Influencerin!«

Woraufhin ich keuchend und um mich schlagend erwachte. Peinlich! Von dem plötzlichen Hochschrecken hatte man Notiz genommen, die messtechnischen Aufzeichnungen der einzelnen Schlafphasen waren jedoch mehr als zufriedenstellend gewesen: Weder Schlafapnoe noch Herzrhythmusstörungen, ein gleichmäßiger Puls, alles bestens. Sicher, ein Ergebnis, das mich bis heute frappiert. Wie bloß konnte jene mir endlos erscheinende Astralfolter fernab einer messbaren Körperreaktion von statten gegangen sein? Wer weiß …

Von da an, die Scheidung lag bereits zwei Jahre zurück – damit das klar ist: es bleibt eine philosophische Frage, inwieweit die erzwungene Unzucht mit abgebrühten Sukkuben als Ehebruch betrachtet werden kann –, begann ein ermüdender Marsch durch die Warte- und Sprechzimmer diverser Allgemeinmediziner, Psychologen, Heiler und Scharlatane. Von Pontius zu Pilatus pilgerte ich langmütig, und nichtsdestotrotz, ungeachtet der Befolgung all jener wohlmeinenden, wenn auch mehrheitlich naiven Ratschläge argloser Konzeptkaruselldreher: In den meisten Nächten begann mein ganz persönlicher Kreuzweg von vorn; ein mentales Ringen bis in die Morgenstunden. Der Tauchausflug in die aquatische Schreckenswelt der Kopffüßerbestie, die Wechselbalgheimsuchung auf mittelalterlichen Gassen, um bloß zwei peinigende Beispiele zu nennen. Was diese maliziösen Märchen mannigfaltiger Marterungen angeht, so könnte ich fraglos noch einige zum Besten geben, doch trauere ich ihren Sinngehalten ebenso wenig nach wie ich ihre Bereiche bewusst suche, und nun, während der dritten Nacht in dieser neuen Wohnung, zur Wintersonnenwende, hoffe ich abermals auf einen erholsamen, albtraumfreien Schlaf. Eine Veränderung, die im Namen aller schicksalsformenden Prinzipien mehr als überfällig ist – ein Lebensalter überfällig!

Ich lasse das Licht brennen, zu sehr frustriert mich das ständige Anknipsen der Nachttischlampe aufgrund eines jeden Insektenhuschens. Es ist kalt, und die Zimmertür mit Glaseinsatz gibt unter den wechselnden Temperaturen der Schlafstube ein meine hypervigilanten Sinne alarmierendes Knirschen von sich. Albern, ein erwachsener Mann fürchtet sich im Dunkeln, ängstigt sich vor Geräuschen. Nein, ich werde das Licht löschen!

Ein paar Minuten vergehen …

Da, ein Knarren! Die Holzvertäfelung, oder? Licht an! Nichts. Wen wundert’s!? Mein Blick schweift über halb aufgebaute Regale und Umzugskartons. Licht aus!

Bald darauf ein Rauschen. Die Heizung, ja, ganz sicher. Die ländliche Stille ist mir noch unvertraut, sie verstärkt jeden Fledermausflügelschlag.

Ich komme einfach nicht zur Ruhe. Herrgott!

Dann ein leichtes Knacken, dreimal. Die Schlafzimmertür! Sie reagiert auf die Temperaturschwankungen. Licht an! Nichts. Licht aus! Ich drehe mich auf die Seite, zur Wand, die Decke über das Gesicht gezogen. Pah, der Weg in das Minenfeld transzendenter Tollheiten ähnelt einem Spießrutenlauf der zynischsten Sorte.

Tock, Tock, Tock. Das wiederrum glich definitiv einem Klopfen!? Unsinn, erneut die verdammte Tür. Ahhr, meine Nerven! Geht es denn nicht in diesen meinen Schädel hinein, dass dort nichts Bedrohliches ist, dass das Grauen lediglich auf der anderen Seite, im Reich schändlicher Schrecken und in den modrigen Tiefen meines Unterbewusstseins lauert? Schlimm genug, Fluch der Nacht! Schließlich verlasse ich das Bett; in einem der Koffer im Flur müssen die Schlaftabletten sein. Ich schließe die Zimmertür auf, möchte hinaustreten …

Da ist es!

Ich erschrecke dermaßen, sodass von einem seelenzersplitternden Schock bloß eine Erinnerung übrigbleibt, die sich hinüberrettet in jene Entrückungsmomente, die einem traumatischen Impakt starke Nachhut sind. Ob mein Herz wieder zu schlagen beginnt spielt keine Rolle, doch folge ich dem tarantelähnlichen, fleischig triefenden Ding, das zuvor mit widerlich behaarten Rüsselgreifern gegen die Schlafzimmertür gedrückt hatte. Über knarrende Dielen stolpere ich seinem krabbelnden Schatten hinterher, zu einem mit elfenbeinschwarzen Seidentüchern verhangenen Winkel in der Küche.

»Mein Gott, wie oft muss ich bereits achtlos daran vorbeigegangen sein?«

Dahinter: ein Pfad! Ein von Tannen und Ginsterbüschen wild bestandener, steiniger Pfad in Richtung des mondbeschienenen, tiefen Waldes ... Die Kühle der winterlichen Nacht, unter funkelnden Sternen pilgern wir ihr vom ersten Schnee des Jahres liebkost entgegen, mein augenloser Führer und ich. Bald schon schließen wir uns der Mitternachtsprozession viehköpfiger Flagellanten an. Pauken und Trompeten hallen, dornige Peitschen geißeln groteske Leiber, fremdweltlicher Laternenglanz flirrt irrlichtern zwischen Alleen knochiger Eichen. Es geht hinab in unauslotbare, von eisigen Nebelschwaden durchwehte Abgründe. Auf den mittelalterlichen Kopfsteingassen einer arkanen Unterwelt schreiten wir kakophonisch blökend und trillernd einher, vorbei an deplatziert wirkenden schmiedeeisernen Betten, darin Zähneknirschen und Wimmern, in Richtung des malachitfarbenen Wehrturms des ewigen Goblins. Im ultravioletten Schein unsichtbarer Höhenfeuer treffen wir uns fortan im Zeichen der schwarzen Ziege, von Großväterchen Mond weihend beschirmt, zwischen moosbewachsenen Findlingen zum Thing. Unter den Feldzeichen höhnischer Erlkönige schwärmen wir aus. Bloß selten vermag uns das Kruzifix, vermag uns ein Drudenfuß zu bannen; jedwedes Laster – ein Einfallstor in den Verstand leidensfähiger Säuger.

Und so bin ich selbst zum Traume geworden – dem Deinen! Auf dem sichelscharfen Nachthauch eines sternenklaren Firmaments vorangaloppierend, schmiege ich mich alsbald an dein Gemüt, Finstermahr genannt. Ein protoplasmatischer Fangarm des zyklopischen Krakengottes, ein Paladin des verborgenen Parasiten, emporlohend aus einer ob ihrer unheiligen Mysterien funkelnden Astralgrube inmitten der in gräulich gackernde Äonen ausklingenden Fata Morganen finsterer Sonnen. Lob und Ehre sei dem Einen, dessen Lockruf ich immerzu vernahm, doch stets verleugnete.

Bis jetzt …

Horrorgeschichten aus dem Abyss Teil 3

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