Weltkrise und Ignoranz
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Robert Kurz. Weltkrise und Ignoranz
Отрывок из книги
Robert Kurz
Weltkrise und Ignoranz
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Der Fundamentalismus hebt diesen Zustand der Demoralisation nicht auf, er gibt ihm nur einen irrationalen ideellen Ausdruck. Wenn diese pseudo-religiöse Regression noch den Rest einer verlorenen Hoffnung aufgreift, die von der Geschichte unerledigt zu den Akten gelegt worden ist, dann ist es der blaß gewordene Wunsch, endlich von der Marktwirtschaft in Ruhe gelassen zu werden, zu einer in sich ruhenden Ordnung des Sozialen zurückzufinden und am Abend auf einer Bank vor dem Haus sitzen zu können, ohne voll Furcht an den nächsten Tag denken zu müssen. Aber der Fundamentalismus hat kein Programm für die soziale Emanzipation, sondern nur für die Ideologisierung der blinden Aggressionen, die das Mißlingen der Emanzipation zurückgelassen hat. Sein ganzes Programm erschöpft sich in einem religiös verkleideten Impuls, wie er in einer Redewendung der Jugendlichen in den Slums von Paris erscheint: »J‘ai la haine« – ich habe einen Haß. Die neuen Haßreligionen seien sie nun islamischer oder christlicher Provenienz, sind allesamt synthetischer, willkürlicher und eklektischer Natur. Mit den authentischen religiösen Traditionen, auf die sie sich berufen, haben sie kaum mehr als den Namen gemein. Sie sind ein Produkt der zerfallenden Moderne in den westlichen und in den verwestlichten Gesellschaften des Weltmarkts. Gerade weil sie keine historische Perspektive zu bieten haben, werden sie für die großen und kleinen »Führer« zu alternativen Möglichkeiten einer Karriere auf der Welle des Ressentiments.
Die Repräsentanten der offiziellen Gesellschaft und die Ideologen des Neoliberalismus reagieren auf diese Entwicklung, indem sie die Logik des Marktes mit den »konservativen Tugenden« verheiraten wollen. Die Menschen sollen egoistisch und gleichzeitig altruistisch sein, stark in der Konkurrenz und gleichzeitig demütig vor Gott, fixiert auf die abstrakte Kosten-Nutzen-Rechnung und gleichzeitig moralisch sauber. Mit dieser ethischen und pädagogischen Schizophrenie geht das Denken der marktwirtschaftlichen »Realisten« selber in die Lügen des Fundamentalismus über. Beide Ideologien werden einander zum Verwechseln ähnlich. Das ist nicht überraschend, denn den Hintergrund des Fundamentalismus bildet nicht nur die Armut, sondern auch die Furcht der Mittelklasse vor den Armen. Der pseudo-religiöse Wahn nistet sich in den Köpfen der Armen und der Reichen gleichermaßen ein. Und die religiös vermummte soziale Militanz der Mittelklasse ist nicht weniger gewalttätig als der Wahnsinn der Armen. In seinem Essay »Ausblicke auf den Bürgerkrieg« charakterisiert der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger diese Tendenz der »ehrenwerten Gesellschaft«: »Unauffällige Bürger verwandeln sich über Nacht in Hooligans, Brandstifter, Amokläufer, Serienkiller und Heckenschützen.«
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