Читать книгу Spieler und Pyramidenkreatur - Robert Mirco Tollkien - Страница 5
Teil I; die Fahrt
ОглавлениеMein Name tut für den Kontext nichts zur Sache. Wegen mir könnt ihr mich, um dem Schaffen des wahrhaft großen Meville eine Ode zu erweisen, einfach Ismael nennen. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Walfänger und mir liegt allein darin, dass sein Charakter und auch große Teile seiner Geschichte der Feder und Schaffenskraft des wundervollen amerikanischen Erzählers entstammen. Die meinige hingegen erforderte kein großes Talent in den Dingen des Schreibens und der Fantasie, um sie niederzuschreiben.
Obgleich das Folgende Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, recht ungewöhnlich vorkommen wird, trug sich doch alles tatsächlich so zu. Alles widerfuhr mir eins zu eins am eigenen Leibe. Doch lassen Sie mich bitte von Anfang an berichten...
Es begann an jenem Tag, als in leider noch jungen Jahren, jedenfalls wenn man es auf den Tod bezieht, ein bekannter Sänger aus der Gothic–Szene verstarb, wovon ich auch nur erfuhr, weil ich mich auf der Zugfahrt von einem Besuch bei meinen Eltern heimwärts befand.
In einer großen Stadt hatte ich den ICE verlassen und war in einen Regionalexpress umgestiegen, der mich die letzten fünfzig Kilometer in die Kleinstadt bringen sollte, in welcher ich seit Jahren lebte. Spät war die Stunde, der Berufsverkehr längst vorüber, so dass sich nicht mehr viele Fahrgäste in den Wagons verloren.
In meiner näheren Umgebung waren dies vielleicht fünf Personen, von denen drei die typisch dunkle Kleidung ihrer Welt trugen und auf einem Viererplatz schräg vor mir hockten.
Sie, zwei Kerle mit langen, pechschwarz gefärbten Haaren und eine grell geschminkte junge Frau, deren Haar eine nicht minder schwarze Tönung aufwies, unterhielten sich höflich leise, aber angeregt über den Tod eines ihrer musikalischen Idole. Dieses sei am heutigen Nachmittag in den frühen mittleren Jahren nach langer, schwerer Krankheit verstorben.
Selbst meine Wenigkeit, der mehr auf Blues und Rock `n` Roll schwörte, kannte den Namen der Band, für die der Verstorbene gesungen hatte.
Ich musste einräumen, dass einige ihrer Stücke wirklich die Eigenschaften besaßen, sich positiv im Gedächtnis einzunisten. Wenn mich die Erinnerung nicht trog, waren sämtliche Texte von eher trauriger, ernster Natur, die Beats depressiv und dunkel dabei, aber das musste wahrscheinlich in diesen Kreisen so sein.
Bereits nach zwei Haltestellen stiegen die drei Gruftis wieder aus und auf den Viererplatz hockte sich ein Zugestiegener, der konträrer zu seinen Vorgängern nicht hätte sein können. Allerdings brachte auch er einen Hauch Exotik mit sich.
Der Mann mochte um die fünfzig sein, maß sicherlich zwei Meter und seine blonden Haare standen wirr vom Kopfe ab. Seine gänzlich beige Kleidung war fleckenlos sauber und brachte einen intensiven Geruch nach Weichspüler Ozean-Art mit in den Wagon. Allerdings schien der Kerl wohl noch niemals etwas von einer Erfindung namens Bügeleisen gehört zu haben. Sein Gesicht wies außergewöhnliche Züge auf, besonders wenn man es auf die längliche Nase bezog. Im Großen und Ganzen erinnerte er mich stark an einen Schauspieler aus den Schmuddelfilmen der Bahnhofkinos in den Siebzigern.
Bei sich trug er eine gewaltige, beige Reisetasche, deren Inhalt aus zerfledderten Büchern bestand, von denen er nun eine Auswahl um sich herum auf den leeren Plätzen zu verteilen begann. Schließlich zog er ein Tablet–PC hervor und fing an, hastig auf dem Display herumzuwischen, wobei er leise vor sich hin ein Selbstgespräch führte, von dem ich allerdings lediglich Fragmente verstand. Gelegentlich gab das Tablet Musikfetzen von sich, die eindeutig der Schlagermusik zugeordnet werden konnten.
„Weine nicht, wenn der Regen fällt. Damm, Damm, Damm, Damm.“, tönte es, um kurz darauf zu verstummen und wieder dem leisen Selbstgespräch zu weichen.
Ich meinerseits konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen über diesen seltsamen, wahrscheinlich harmlosen, schrägen Vogel, bevor auch ich mich dem Display meines Smartphones zuwendete und die neusten Nachrichten aus der großen, weiten Welt des Fußballs studierte.
„Haben Sie schon mal was vom Großen Kosmischen Netz gehört? Wahrscheinlich eher nicht!“
Die Ansprache durch diese melodische Stimme war deutlich zu vernehmen und galt klar meiner Person, so dass ich von dem Artikel über einen berühmten Trainer Abstand nahm und mich dem Fremden auf dem Viererplatz zuwendete. Aus großen, aufmerksamen Augen blickte dieser zu mir herüber.
„Was für ein Netz soll ich kennen?“, fragte ich grinsend und versuchte, mein Amüsement über seine Person nicht zu offensichtlich an den Tag treten zu lassen.
Seine Arme breiteten sich zu ihrer kompletten Länge aus, um die Größe dessen zu symbolisieren, was er nun beschreiben wollte.
„Das Große Kosmische Netz!“, er sprach jedes Wort deutlich betont aus wie ein Lehrer, der einem begriffsstutzigen Schüler etwas zu erklären versucht.
„Nein, das tut mir leid, aber von einem solchen Gebilde habe ich noch niemals etwas gehört, guter Mann.“
Der schräge Vogel fing an, seinen Kopf in langsamen Bewegungen zu schütteln.
„Das war ja schon klar. Denn fast niemand weiß von dem Großen Kosmischen Netz.“, wiederholte er es immer wieder und hörte dabei nicht auf, seinen Kopf zu schütteln, wobei sein Blick nicht mehr mich, sondern die freie Sitzfläche vor ihm fixierte. „Das war ja schon klar. Denn fast niemand weiß von dem Großen Kosmischen Netz.“
Weil in mir die Vorstellung keimte, der arme Kerl habe bestimmt keine Seele, die ihm zuhörte, und ich ein wenig Karma–Auffrischung, falls es so etwas denn gäbe, betreiben wollte, sagte ich, was ich sagte: „Na, wenn du es weißt, so erzähle mir doch davon.“
Ein warmes Lächeln breitete sich auf seinem markanten Gesicht aus. Vor lauter Vorfreude, gleich berichten zu können, wurde der Fremde derartig zappelig, dass er mit dem linken Arm zwei seiner Bücher vom Sitz fegte.
„Alles, was sich in diesem Universum befindet, ist miteinander verbunden.“, begann er voller Begeisterung. „Um genauer zu sein, alles höhere Leben, was halbwegs denken und fühlen kann, ist miteinander verbunden. Dabei ist es ganz gleich, ob dieses Leben auf der Basis von Kohlenstoff oder beispielsweise auf Silizium oder so fußt. Egal, ob eine kluge Maschine auf einer Welt aus Stahl in einer Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie oder ein kluges, fledermausartiges Geschöpf auf seinem Waldmond am anderen Ende der Milchstraße; alles und jeder sind über dieses kosmische Geflecht eng miteinander verbunden, als stünde man sich direkt gegenüber. Du willst jetzt sicherlich etwas über die genaue Beschaffenheit dieses Netzes wissen und mit diesen Informationen kann ich dienen.
Du kannst das in etwa mit dem Netz einer Spinne vergleichen. Nur dass das Netz, über welches wir hier reden, selbstverständlich sehr viel größer ist, obgleich seine Fäden irgendwie extrem winzig sind und irgendwie eher in den Mikrokosmos gehören. Zwar sind sie so lang, wie sich unser gesamtes Universum ausdehnt, aber gleichzeitig dünner als die Hälfte eines Atomkerns. Die Fäden sind gerade hier in diesem Zug und gehen einfach, weil sie so schmal sind, durch deine, meine, die Atome des Zugs hindurch. Ja, ja! So ist das, mein Freund!“
Er hüstelte einmal kurz, griff in seine riesige Reisetasche, um kurz darauf zwei Büchsen Becks–Bier hervorzuziehen, von denen er mir eine förmlich unter die Nase hielt.
„Magst du eins?“, fragte der Unbekannte.
Ich setzte mich ihm gegenüber auf den Viererplatz und griff nach der Bierdose, die eiskalt war, was darauf schließen ließ, dass dieser schräge Vogel daheim das Getränk wahrscheinlich längere Zeit im Eisfach gelagert hatte.
„Ja, danke! Wer kann bei einem kalten Bier schon nein sagen!“, antwortete ich aufrichtig erfreut und griff beherzt zu.
Der Fremde konnte den gekühlten Hochgenuss kaum erwarten und riss die Büchse umgehend mit einer eiligen Bewegung auf. Zischend spritzten Schaum und Bier in sämtliche Himmelsrichtungen und ihm vor allem ins Gesicht. Dieser Vorgang veranlasste mich dazu, noch etwas mit dem Öffnen zu warten.
„Wie kann ich mir denn diese Verbindung vorstellen?“, lautete meine Frage, während sich der schräge Vogel mit einem Papiertaschentuch die Bierspritzer aus dem Gesicht tupfte.
„Du sendest permanent Schwingungen aus. Bei allem, was du tust, fühlst oder denkst. Sogar wenn du träumst, sendest du dabei Schwingungen aus. Stell dir diese Schwingungen wie Fernsehwellen oder digitale Mobilfunkwellen vor. Sie übertragen alles eins zu eins mit Bild und Ton. Diese individuellen Schwingungen gehen ins Große Kosmische Netz und werden von ihm durch unser Universum verteilt und eigentlich kann jedes Wesen mit etwas Grips im Köpfchen diese Schwingungen empfangen und somit die Träume, Gefühle, Gedanken des anderen eins zu eins mit Bild und Ton vor seinem inneren Auge und seinem inneren Ohre nachvollziehen. Eigentlich!“
Er nahm einen gewaltigen Schluck Bier und fing anschließend damit an, die Dose nervös zwischen beiden Händen zu drehen.
„Was heißt eigentlich?“ fragte ich weiter und musste zugeben, dass diese ausgeflippte Geschichte, so abgedreht sie auch sein mochte, zumindest sehr unterhaltsam daherkam.
„Ich kann bei dem Eigentlich“, fuhr der Fremde im Zug fort, „nur für die Spezies Homo Sapiens sprechen und muss zuvor noch eine Erklärung zum Großen Kosmischen Netz abgeben. Das gewaltige Konstrukt überträgt nicht nur deine oder sonstige sämtlichen Schwingungen, sondern es speichert sie auch. Das bedeutet, dass sämtliches Wissen dieses Universums in ihm ruht. Jedes halbwegs schlaue Geschöpf kann, die Betonung liegt auf kann, theoretisch auf dieses Wissen zugreifen. So sollte es jedenfalls sein und es ist auch eigentlich so, nur hat der Mensch seine Sensibilität dafür mittlerweile eingebüßt. Oder vielmehr; der Mensch wurde unbewusst dorthin gesteuert, dass er diese Sensibilität verliert.“
Der arme Kerl!
Dachte ich gerade noch, die Geschichte sei unterhaltsam, so wurde sie nun doch arg wirr, was bestimmt auf dasjenige zurückgeführt werden konnte, das in seinem Kopfe schieflief.
„Ich verstehe leider gerade überhaupt nichts mehr.“, wurde es von mir vorsichtig formuliert, während ich die Dose Bier behutsam öffnete, einen kleinen Schluck nahm und feststellte, dass das nordische Bier wahrhaft fantastisch in diesem Augenblick mundete.
„Oh ja!“, fuhr der Kerl grinsend fort. „Ich neige manchmal dazu, verbal etwas zu springen. Von daher unterbrich mich bitte, wenn dem so ist.
Normalerweise kann ein jeder Mensch in einer ruhigen Situation mit etwas Konzentration auf das Große Kosmische Netz zugreifen, um sich beispielsweise mit Geschöpfen aus anderen Welten auszutauschen, deren Gefühle nachzuempfinden oder auf das geballte Wissen zuzugreifen. Doch bei gerade dem letzten Punkt liegt der Hase im Pfeffer. Wenn jeder auf das Wissen des Universums zugreifen kann, lässt er sich nicht gerne regieren, braucht es auch nicht mehr und einige der hohen Herren und Damen, nein, alle der hohen Herren und Damen, die die Geschicke der Welt, egal ob offen oder verdeckt, lenken, wären ihrer elitären Positionen beraubt, weil man erkennt, dass man sie zum Leben gar nicht benötigt oder weil man ihren dreckigen, diabolischen, versteckten Machenschaften auf die Schliche kommt und sie ganz schnell in die nächste JVA verfrachten würde. Daher versuchen einige wenige Mächtige seit Anbeginn der Zivilisation den Menschen seiner Verbindung zum Netz zu berauben. Sie tun das übrigens mit sehr großem Erfolg. Mit sehr, sehr großem Erfolg!“
Wieder führte er die Büchse Bier zum Mund, wieder nahm er einen großen Schluck und als die Büchse in der Hand wieder sank, erfüllte ein gigantischer Rülpser den Großraumwagen. Im hinteren Teil des Wagons fingen darauf eine männliche und eine weibliche Stimme das Lachen an und auch ich konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
„Wer sind die?“, fragte ich, der die Geschichte nun wieder äußerst unterhaltsam fand.
„Eine kleine Ansammlung von Männern und Frauen, deren Zahl nicht höher als zehntausend weltweit liegt. Ein paar ganz wenige davon kennt man mit Namen, von dem Großteil hat man allerdings noch niemals etwas gehört, denn sie verbleiben gerne im Schatten. Von dort aus steuern sie uns alle, ohne dass wir davon Kenntnis haben. Gleich, ob erfolgreicher Geschäftsmann oder Sozialhilfeempfänger! Gleich, ob Politiker oder Hilfsarbeiter! Gleich ob Superstar oder Hobbysänger! Gleich, ob Fußballgenie oder Freizeitsportler! Gleich, ob in diesem Land oder jenem! Gleich, welcher Religion man angehört! Gleich, welche Farbe deine Haut hat! Gleich, ob Männlein oder Weiblein! Gleich, ob Alt oder Jung! Gleich, ob Wohltäter oder Betrüger! Wir alle werden gesteuert und kriegen nichts davon mit! Diese feinen Damen und Herren, diese Puppenspieler, sind in einer äußerst schemenhaften Bruderschaft zusammengeschlossen, die selbstverständlich nicht nur an den Planeten Erde gebunden ist. Diese Bruderschaft agiert interstellar, intergalaktisch. Natürlich haben auf den anderen Welten andere Wesen das Sagen im Geheimen, die dort die oberen Zehntausend bilden. Doch ihre Aufgaben sind gleich; Die Majorität vom Wissen und den Vorzügen des Großen Kosmischen Netzes fernhalten.“
Die Story wurde immer besser. Jetzt war es bereits eine intergalaktisch agierende Bruderschaft, die sich natürlich ebenso intergalaktisch verschworen hatte und auf ihrer jeweiligen Welt die Bevölkerung vor dem Zugang zur wahren Erfüllung und Erkenntnis unterjochte.
Ein anständiger Science-Fiction–Autor war an diesem Mann verloren gegangen. Keine Frage!
Ich trank den Rest von meinem Bier leer und sah, dass der schräge Vogel bereits zwei neue Büchsen aus seiner Tasche hervorkramte, die noch immer eine solch kalte Temperatur besaßen, dass ihre grüne Haut aus Aluminium von Kondenswasserperlen bedeckt wurde.
„Auf einem Bein kann man nicht stehen, mein Freund!“, sprach der Unbekannte und reichte mir eine der Dosen.
Beherzt griff ich dankbar zu, weil eine gute Unterhaltung durch kühlen Gerstensaft eben zu einer noch besseren Unterhaltung wurde.
„Wie machen die das denn? Ich meine, wie halten sie uns und all die anderen auf all den Planeten denn vom großen Wissen des Netzes fern?“, lautete meine Frage.
Ich öffnete die Dose behutsam. Es zischte seicht.
„Genau kann ich dir das nur vom Planeten Erde sagen. Es ist seit jeher die Anstachelung, andere Menschen, Völker, Religionen zu hassen. Das tun die hohen Damen und Herren von Anfang der Zivilisation an. Nichts beeinflusst den freien Geist, schränkt ihn mehr ein, als es der Hass tut. Sie tun das seit Jahrhunderten so ausgefeilt, dass wir oft gar nicht merken, wie uns der Hass ergreift. Hass lähmt den Geist eines normalen Menschen so sehr, aber ein ungelähmter Geist ist nun mal die Grundvoraussetzung, um mit dem Großen Kosmischen Netz in Verbindung zu gelangen.
Ein weiteres wichtiges Instrument, auf das sie ebenfalls seit Beginn der Zeit zurückgreifen, ist die Angst. Auch die Angst lähmt den Geist in einem gewaltigen Ausmaß. Schau dir doch nur die täglichen Nachrichten an, ganz gleich ob auf deinem Smartphone, im Radio, Fernsehen oder in der guten alten Zeitung. Da wird nichts verbreitet außer Angst, Angst und nochmals Angst und irgendwann erfasst diese Angst auch dich. Dass die Wirtschaft kollabiert und du brotlos wirst. Dass du und deine Lieben Opfer eines brutalen Verbrechens werden. Dass dich ein Raser kaputtfährt oder der Kühlschrank die eigenen vier Wände abfackelt. Dass Krieg, Leid und Tod wieder über Europa kommen. Irgend so etwas!
Eine weitere Möglichkeit für sie, um Verstand und Geist zu vernebeln, ist das alte Prinzip von Brot und Spiele. Immer recht wirkungsvoll. Im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts sind Brot und Spiele besonders das Verblödungsfernsehen, Streamingdienste, sinnfreie Computerspiele von zumeist extrem gewalttätiger Natur, Verblödungsmusik wie etwa Gangster Rap, sinnlose Apps, die einen nur noch dazu bringen, unentwegt auf das Display deines Smartphones zu schauen.
Alkohol, Medikamente und Drogen sind ebenfalls sehr en vogue, wenn es darum geht, den menschlichen Geist klein zu halten. Was meinst du, warum der Medikamentenkonsum in diesem Land stetig steigt? Jeder ist doch mittlerweile irgendwie krank und muss, damit es ihm besser geht, irgendwelche Pillen in sich reinwerfen. Ob Depressionen oder Zucker, ob Rückenschmerzen oder chronische Migräne. Für alles gibt es Tabletten.
Und da gibt es Junkfood. Schau Dir doch die Menschen hier an. Sie werden immer dicker und dicker. Geh du mal jeden Tag zum McDonalds oder mach dir diese jämmerlichen Fertiggerichte in der Mikrowelle warm und ballere Dir zum Nachtisch jeden Abend auf der Couch, wenn Dieter im Fernsehen seinen Mist verzählt, eine Tüte Kartoffelchips hinter die Binde. Ernähre dich ausschließlich von einem solchen Schlangenfraß. Da wiegst du bald hundert Kilo, dir steht der Pimmel nicht mehr und mit klarem Denken ist es dann auch nicht mehr weit her. So wie dein Körper verfettet, verfettet auch dein Geist und dann ist längst nichts mehr mit einer Verbindung zum Großen Kosmischen Netz.
Es gibt noch mehr Methoden, aber diese sind eindeutig die wichtigsten, den menschlichen Geist zu vernebeln und somit zu lähmen, wobei gesagt werden muss, dass Hass häufig aus Angst erwächst. Somit haben die hohen Herren und Damen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ganz einfach oder nicht? Prost!“
„Prost!“, rief ich zurück und hob die Dose symbolisch an. „Aber wenn die alle zusammen interstellar agieren, müssen die doch einen gemeinsamen Boss haben, der das alles koordiniert. Gibt es den?“
Auf dem Gesicht des Fremden breitete sich ein finsterer Schatten aus. Ängstlich wirkend fing er wieder an, seine Dose zu befingern. Man konnte sehr offensichtlich an dieser Reaktion erkennen, dass er voll und ganz von dem überzeugt war, was er hier zum Besten gab.
„Oh ja! Den gibt es! Um zu verstehen, wer oder was dieser Boss ist, muss ich zunächst noch was über die Eigenheiten des Großen Kosmischen Netzes berichten. Es gibt einen Bereich dieses Netzes, an dem sich sämtliche gute Träume, Gedanken, Erlebnisse und Gefühle manifestieren. An diesem Ort muss alles wunderschön sein, zu schön, um es beschreiben zu können. Und wenn es einen solchen Ort gibt, gibt es auch etwas für Gegenteiliges. Die Kehrseite der Medaille. Jenen Platz im Universum, an dem sich all das Böse, all die schlechten Gedanken, das Leid, die Ängste, die bösen Träume, der Hass manifestieren. An diesem unheiligen Ort befindet sich derjenige, der seine blasphemischen Jünger im gesamten Kosmos dirigiert. Nur frag mich bloß nichts Näheres zu diesem Ort oder seiner Kreatur. Ich weiß es nämlich nicht und will es auch nicht wissen. Wenn ein Mensch zu sehr sich mit dieser Kreatur beschäftigt, jedenfalls wenn er ein normaler Mensch und nicht so ein emotionaler Krüppel wie ein Mitglied der Bruderschaft ist, verliert er rasch den Verstand. Und der Anblick dieses schemenhaften Wesens tötet dich. Da bin ich mir ganz sicher!“
Die Vorstellung von einem Ort, an dem sich all die schrecklichen Dinge und Eigenschaften des Universums verfestigten und an dem dazu noch eine grausame Kreatur hauste, besaß, obgleich die Geschichte sicherlich frei erfunden war, etwas zutiefst Beunruhigendes, Gespenstisches.
Weil ich sah, dass meine schräge Zugbekanntschaft tatsächlich unter diesem Thema angstvoll litt, wurde es nun von mir bewusst in eine andere Richtung gelenkt.
„Das war ja jetzt jede Menge Holz, mein Freund. Eine wirklich spannende Geschichte. Gibt es denn für all das, was du mir gerade erzählt hast, handfeste Beweise?“
„Die gibt es! Die gibt es! Auch wenn es zumeist nur indirekte sind, was aber in der Welt der Wissenschaft häufiger vorkommt und dort in der Regel auch anerkannt wird. Da sind zunächst die uralten Mythen der antiken Welt. Kennst du die Geschichte von Saturn, der bei den alten Griechen auch Kronos genannt wurde?“
Erinnerungen stiegen auf Grund dieser Frage aus dem Unterbewusstsein herauf.
Ich sah einen kleinen Jungen, dem seine Mutter aus einem großen Buch vorlas, während er mit Gott und der Welt im Reinen in seinem gemütlichen Bett lag.
„Meine Mutter hat mir als Kind viele griechische Mythen vorgelesen. Ich kann mich grob an einige davon erinnern. Kronos war doch der Gott, der seine eigenen Kinder gefressen hat, oder?“
„Genau! So ist das richtig!“, sprudelte mein Gegenüber los. „Kronos war der Gott der Zeit und er hatte mit seinen Brüdern zusammen seinen Vater kastriert. Er befand sich nach diesem Mord in Angst, dass ihm dieses Schicksal durch seine eigenen Kinder drohen könnte. Daher fraß er sie kurz nach der Geburt auf. Schau dir bitte mal den Planeten Saturn an, den bereits Römer und Griechen kannten. Er hat Ringe. Dieses Ringsystem stammt höchstwahrscheinlich von einem ehemaligen Mond, den der Planet durch seine gewaltige Gravitation einfach zertrümmert hat oder, um es bildlicher zu formulieren: Der Planet hat sein Kind gefressen! Siehst du den Zusammenhang! Es ist kein Zufall, dass Griechen und Römer diesen Planeten dem Gott Kronos zugeordnet haben. Nun wie konnten sie vor so vielen Jahrhunderten wissen, dass der Planet von einem Ringsystem umgeben wird, das aus den Trümmern seines Mondes besteht? Mit der Technik, die sie zur Verfügung hatten, war das vollkommen ausgeschlossen. Teleskope kamen erst Äonen später zum Einsatz.
Oder die Geschichte von Kronos Vater, dem Gott Uranos, den der eigene Sohn kastriert, also verstümmelt hat!
Schau Dir den Planeten Uranus an, der ja nach genau diesem Gott benannt wurde! Er liegt auf der Seite und rollt seine Bahnen um die Sonne herum förmlich. Er ist im Gegensatz zu den anderen Planeten also behindert oder, um es anders auszudrücken, verstümmelt. Offiziell haben die Griechen und die Römer die Planeten lediglich bis hinaus zum Saturn gekannt. Aber wer weiß, wie es tatsächlich war. Denn passt die mythische Geschichte nur zu gut zu dem, was sich tatsächlich dort oben am Himmel abspielt.
Ich sage es Dir, mein Bester, die Völker der Antike haben viel mehr gewusst, als wir uns nur annähernd heute denken. Also fragen wir uns nochmals, woher die das alles so genau gewusst haben? Sie können es nur, jedenfalls Angehörige der Elite, die dazu fähig waren, denn der gemeine Pöbel war längst der Sensibilität beraubt worden, dem geballten Wissen des Großen Kosmischen Netzes entnommen haben!
Oder auch ein super Beispiel für einen indirekten Beweis ist die Geschichte des Sündenfalls aus der Bibel. Die ist dir doch sicherlich auch bekannt. Satan verführt Eva mit dem Apfel und sie verlieren das Paradies, da Gott es ihnen verboten hat, vom Apfelbaum zu kosten.
Tatsächlich haben die Menschen schon zu Urzeiten durch so Dinge wie Macht, Hass, Besitz und oberflächlicher Unterhaltung, in welcher Form auch immer, die Sensibilität verloren, sich mit dem Großen Kosmischen Netz zu verbinden, weil die Elite, die sich diese Fähigkeit selbstverständlich bewahrte, sie dazu verführt hat, zu hassen, zu raffen und so weiter, damit der Kopf blockiert ist. Du kannst den Verlust dieser allgemeinen Verbindung symbolisch mit dem Sündenfall, dem Verlust Edens in der Bibel sehen. Für nichts anderes steht die Geschichte aus der Genesis.“
Nicht schlecht! Der schräge Vogel hat sich seine Geschichte wirklich gut zu Recht gelegt und besonders unterhaltsam gestaltet. Respekt davor!
„Du hast doch gesagt, dass ein Mensch, der die Fähigkeit dazu hat, sich auch heute noch mit diesem Netz verbinden kann. Wenn man also verbunden ist; kann ich mir das so vorstellen, dass, wenn irgendwo in der Andromeda–Galaxie ein Wesen einen cholerischen Anfall bekommt, ich diese Wutattacke hier auf Erden mitfühlen kann?“, fragte ich und nahm einen weiteren Schluck Bier.
„Oh ja, das kannst du. Und wenn du voll sensibilisiert bist, kriegst du diesen cholerischen Anfall mit, als stündest du direkt daneben. Nein. Es ist intensiver! So als würdest du diesen Anfall selber erleiden!“, sprudelte der Fremde und folgte meinem Beispiel, indem er einen großen Schluck Bier kippte.
„Nur dass dieses Miterleben mit reichlich Verzögerung käme. Ich habe vor Kurzem noch gelesen, dass die Andromeda–Galaxie 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt ist von der Erde. Also würde ich den cholerischen Anfall mit einer Verzögerung von 2,5 Millionen Jahren mitbekommen. Denn das Große Kosmische Netz kann die Emotionen ja wohl nur mit Lichtgeschwindigkeit übertragen. Und nichts ist nun mal schneller als das Licht.“, gab ich zu bedenken.
„Da hast du grundlegend vollkommen Recht. Nichts ist schneller als das Licht. Aber für die vom Netz transportierten, individuellen Schwingungen und auch für den Rest, der in ihm steckt, gibt es wohl Raum und Zeit krümmende Abkürzungen in diesem zauberhaften Gebilde, so dass du den cholerischen Anfall mitbekommst in beinahe Echtzeit. Im Großen Kosmischen Netz ist vieles so weit weg und doch so nahe dran. Ich weiß es noch nicht genau, denn meine Forschungen dauern noch an, aber diese Abkürzungen sind wohl eine spezielle Art von Wurmlöchern.“
„Wie könnte man denn die Sensibilität für das Netz wiederherstellen?“, fragte ich und war mir dabei ziemlich sicher, dass er darauf ebenfalls eine umfassende Antwort parat hätte.
„Das ist alles ganz, ganz leicht. Jedenfalls viel leichter, als der gemeine Mensch vermuten täte.“, jubelte er denn dann auch zu sofort los. „Eine kleine Verbundenheit lässt sich schon bemerken, wenn du einfach nur für eine Woche Fernsehen, Videospiele, das Smartphone mit seinen sinnlosen Apps und Alkohol, Drogen und Nikotin weglässt. Auch ist es wichtig, kein Koffein zu sich zu nehmen. Keine Energy–Drinks, die ganz besonders weglassen, diesen Scheißdreck, keinen Tee, kein Kaffee, ja nicht mal ein Glas Cola in der Mittagspause. Verzichte soweit wie möglich auf Zucker, verzehre keine Süßigkeiten und trinke vor allem keine Soft–Drinks. Du solltest am besten nur stilles Wasser trinken. Lass die Finger vom Fastfood, koch mit frischen Zutaten. Verzichte auf Fleisch, es sei denn, du holst es dir vom Biobauernhof. Im industriellen Fleisch ist so viel Dreck, der Körper und Geist schadet, das kannst du dir nicht vorstellen. Zieh nur das sieben Tage durch und leg dich ganz entspannt auf dein Bett, wo du dich möglichst stark darauf konzentrierst, alles um dich herum zu vergessen, alle unnötigen Gedanken auszublenden. Gelingt dir ein solches Stadium der Konzentration in Kombination mit deiner, nun, nennen wir sie Netz–Diät, so wirst du sehen und merken, dass es anders ist als sonst. Du kannst das Große Kosmische Netz spüren und zufällige Auszüge aus den Emotionen, den Gedanken, dem Wissen darin. Aber wenn du wirklich einmal, um es in der Sprache der Jugend zu formulieren, geflasht sein möchtest, gehe wie folgt vor: Mache eine Woche eine bestimmte Form des Fastens. Du nimmst nichts weiter zu dir als stilles Wasser und Gemüsebrühe. Fang an einem Montag an und schon am Samstag bist du dann bereits so fortgeschritten entschlackt, dass du dich problemlos mit dem Netz verbinden kannst. Natürlich ist es auch hier obligatorisch, innerhalb dieser Woche Fernsehen, irgendwelche Ballerspiele, Deppenmusik und so weiter zu meiden. Ziehst du das durch, wirst du das Große Kosmische Netz und seine Inhalte aber ganz gewaltig wahrnehmen können.
Und wieder haben wir in dieser Hinsicht einen indirekten Beweis. Viele bedeutende Dinge, vor allem auf spiritueller Ebene, wurden von Menschen erschaffen, die sich im Stadium eines stringenten Fastens befanden. Schau dir Ignatius von Loyola an, der die Jesuiten gegründet hat, und auch Jesus Christus ging, nachdem er gefastet hatte, in die Wüste hinein. Woher haben diese Menschen wohl die Anstöße für ihre großen Ideen? Natürlich aus...“
„Meine Damen“, quakte eine synthetische Stimme aus den Lautsprechern los, „ und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Namedy. Der Ausstieg liegt in Fahrtrichtung rechts.“
Mein erzählfreudiger, schräger Freund sprang auf, als habe ihn eine Wespe direkt in den Allerwertesten gestochen.
„Ich muss hier raus!“, rief er aufgeregt und fing umgehend an, das Sammelsurium aus zerfledderten Büchern, leeren Bierdosen, Smartphone und Tablet–PC eilig in seine beige Sporttasche zu stopfen.
Als der Zug an einem Bahnhof in der Mitte von Nirgendwo hielt, warf er die letzte Lektüre auf das Chaos in seiner Tasche, griff nach seinem Becks auf dem kleinen Tischlein und stürzte in Richtung einer der elektrischen Türen.
„Leb` wohl, mein Freund! Leb ` wohl!“, rief er im Gehen, ohne sich dabei umzudrehen.
„Du auch! Und pass auf dich auf!“, gab ich ihm mit auf seinen Weg, doch da hatte er den Wagon bereits verlassen.
Während der Regionalexpress wieder anfuhr und diesen winzigen Bahnhof verließ, sah ich ihn noch einmal. Unser schräger Vogel ging langsam den hohen Bahnsteig entlang, blickte auf seine Füße hinab und hielt die offene Bierdose in der linken Hand. Seine Lippen bewegten sich und ich vermutete, dass er ein angeregtes Selbstgespräch führte.
Dann brachte mich der Zug wieder in die Nacht hinein und ich verlor ihn aus meinem Blickfeld.
Nun erst fiel mir auf, dass, aus welchen Gründen auch immer, keiner von uns den anderen nach seinem Namen gefragt hatte und obgleich meine Person des Öfteren diese Strecke in eben diesem Zuge fuhr, sollte ich den schrägen Vogel niemals wiedersehen.