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»HE WAS A FRIEND OF MINE«

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Den größten Teil des Sommers 1961 war Dylan überall im Village, um gesehen zu werden, wichtige Leute zu beeindrucken und zu lernen. Wie ein Schwamm zog er durch die Folkzirkel von New York und Boston, sog alles auf, was er hörte und sah, betrieb Spionage für seine ehrgeizigen Pläne.

Wenn auch Folk City nicht unmittelbar zu Jobs oder einem Plattenvertrag führte, konnte er doch nun leichter auf die Bühnen im Village klettern, um fest gebuchte Sänger zu begleiten. Er wurde als Harmonikaspieler und Gitarrist zu einem sehr gesuchten Begleitmusiker. Mitte 1961 gehörte er zum festen Inventar der Hootenannies von Folk City; dabei entwickelte er spaßige Bühnentricks. Ein »Stammspieler« bei den Hootenannies war Brother John Sellers, ein Gospel- und Bluessänger, der immer ein Publikum aufpeitschen konnte mit seiner außergewöhnlich kraftvollen Stimme und seinem wüsten Tamburingefuchtel. Brother John gluckte wie eine Mutterhenne über frischgeschlupfte Folkmusiker und überschüttete seine Begleiter mit Lob. Bei einem typischen »Hoot« steigerte er sich oft in eine lebhafte Nummer wie »Big Boat Up The River« hinein, und zwei Musiker in dungarees, in Arbeiterhosen, Mark Spoelstra und Dylan, begleiteten ihn mit Gitarren und Harmonikas. Brother John and The Dungarees waren häufig das Highlight des Abends. Der Spoelstra-Dylan-Sound machte die Leute an. Bob turnte oft zwischen Bühne und Bar herum, wo er, lachend und mit Kratzfüßen, einen Cuba Libre von Mike schnorrte. Wenn andere Musiker Gastsets hatten, holten sie Bob als Begleiter. Damals spielten nur wenige Mundharmonika.

Die beiden Musiker, die Bob am meisten anzogen, waren Dave Van Ronk und Jack Elliott, wahrscheinlich die besten Folksinger im Village. Elliott war die lebende Reinkarnation von Woody, ein Citybilly, über den Guthrie einmal bemerkte: »Jack Elliott klingt mir ähnlicher als ich.« Van Ronk war ein weißer Großstadtintellektueller, der schwarze Songs und Blues meisterhaft interpretierte. Ihr Einfluss auf Dylan war enorm.

Dave Van Ronk war der musikalische Regent der MacDougal Street, ein großer, redseliger Mann mit drei Fünftel irischer Abstammung. Hellbraunes Haar überzog seinen gesamten Körper; auffallend war sein Löwenbart, den er etliche Male pro Minute glättete. Er glich einem ungemachten Bett, übersät mit Büchern, Plattenhüllen, Pfeifen, leeren Whiskyflaschen, Zeilen von obskuren Dichtern, Fingerpicks und kaputten Gitarrensaiten. Er war Bobs erster Guru in New York. Van Ronk war ein wanderndes Bluesmuseum. Frühes Interesse am Jazz hatte ihn zur schwarzen Musik gebracht.

Van Ronk wurde 1936 in Brooklyn geboren. Mit 15 Jahren brach er die High School ab. 1949 war er in einem Barbershop-Quartett, ohne dabei Haare zu lassen, sang dann Jazz und Scat und wurde um 1956 herum Profimusiker. Seine unwirsche Art verbarg einen warmen, empfindsamen Kern. Er sang mit einer klagenden, brüchigen Stimme, die ihm half, einem weißen, städtischen Publikum oftmals unverständlichen schwarzen Blues zu übermitteln (Rolfe Cahn und Ric Von Schmidt in Boston sowie Alexis Korner in London brachten damals ebenfalls den Folkblues weißen Intellektuellen nah). Presley hatte Jahre vorher dasselbe getan, fetzig und extrovertiert. Van Ronks Art war persönlicher. Presley eroberte die Welt, während Van Ronk (und John Hammond Jr., Von Schmidt, Cahn und Korner) nur exklusive Zirkel gewinnen konnten. Einige Zeit war Dylan der eingeschworenste Anhänger.

Später wuchs Dylan über die Fußstapfen von Dave hinaus. Manchmal äußerte Van Ronk sich zynisch dazu, weil Dylan so viel von dem, was er ihn gelehrt hatte, übernahm und ein Vermögen damit machte. Aber häufiger gab er sich philosophisch. »Er hat hier alles bekommen, was er nur absorbieren konnte, und dann ist er weitergezogen. Dasselbe hat er mit Joanie (Baez) gemacht, aber dabei gab es auch ein Element von Opportunismus unter Profis. Die Leute aus den frühen Sechzigern sind über ihn sehr verbittert. Aber Bobby hat die meisten von ihnen durchaus wie ein Kavalier behandelt, und ihre Reaktionen sind weitestgehend ihr eigener Fehler. Sie wollten sich nur im Lichte eines offenkundigen Talents sonnen, ein bisschen von der Glorie sollte auch auf sie fallen. Wenn sie ihm Geld gaben, erwarteten sie Dank. Dylan war das einfach scheißegal.«

Bei der Betrachtung von Dylans Aufstieg zum Ruhm war Van Ronk weniger vergrätzt als die meisten anderen. Die Van Ronks hatten ihr eigenes Leben. Dylan konnte mit ihnen relativ freimütig umgehen. Dave und seine Frau Terri Thal verbrachten viel Zeit mit Dylan, als sie noch auf der 15th Street wohnten und auch nach ihrem Umzug zum Waverley Place, gegenüber meiner Wohnung. Terri wurde seine erste Managerin; etwa acht Monate lang arrangierte sie fast alle seine Auftritte. »Weißt du, dass er ein sehr guter Schachspieler ist?«, fragte mich Van Ronk. »Du weißt ja, wie nervös Dylan ist. Seine Knie knallten von unten immer so hart gegen den Tisch, dass man meinen konnte, man sei bei einer Seance. Die Figuren hüpften auf dem Brett herum. Aber er schlug mich jedes Mal. Wir haben oft stundenlang mit ihm zusammengesessen und immer noch Schwierigkeiten gehabt, mit ihm zu kommunizieren. Aus irgendeinem Grund konnte er sich nur einen sehr kurzen Moment lang konzentrieren. Irgendwie war das neurotisch.«

Als Dylan ein Star wurde, prägte Van Ronk den Spruch: »Die Folkgemeinde benimmt sich Dylan gegenüber wie eine jiddische Mama.« Ob es ihm leidtat, Dylan nicht mehr regelmäßig zu sehen? »Nicht besonders. Wenn ich ihn sehe, macht es Spaß. Hin und wieder höre ich mir seine Sachen an. Aber das Beste von Dylan ist nicht im Wohnzimmer zu haben, sondern auf der Bühne.« Ob er fand, dass Dylan ein Recht hatte, Musik als Vehikel für persönliche Feindseligkeiten zu benutzen? »Lies mal Dantes Die Göttliche Komödie«, schlug Dave vor. »Ich finde«, fuhr er fort, »dass ›Positively Fourth Street‹ ein großartiger Song ist. Es war höchste Zeit, dass Bobby sich umdrehte und Irwin Silber und all diesen jiddischen Mamas ein paar passende Worte sagte, eine Art Abschiedsansprache.«

Über Topical Songs sagte Dave: »Er war immer ein sehr gutes Barometer, sehr feinfühlig, was Stimmungen angeht. Wenn es aber darum ging, den Gehalt von Stimmungen zu analysieren, dazu hatte er einfach nie Geduld. Es war ihm egal.« Wie ein so intellektueller Autor wie Dylan so antiintellektuell sein könne? »Bobby ist ganz eindeutig ein Produkt der Beatgeneration«, antwortete Van Ronk. »Dylan und Kerouac sind sich da gleich. Solche wie ihn wird man nicht mehr zu Gesicht bekommen. Bobby hat erst am Schluss die Beatlyrik entdeckt. Er überragt sie alle um Längen, Ginsberg vielleicht ausgenommen. Aber weil Bob erst so spät hinzukam, wird er keine Nachfolger haben, genau wie sein Namensvetter keine Nachfolger hatte.«

Ob Dylan je gesagt habe, er bewundere Dylan Thomas? »Das hat er geflissentlich vermieden«, erwiderte Dave. »Ich glaube, die Gründe sind offensichtlich. Ich habe Bob mit Francois Villon bedrängt. Ich habe ihm auch von Rimbaud und Apollinaire erzählt. Einmal habe ich Bobby gefragt: ›Hast du schon mal von Rimbaud gehört?‹ Er sagte: ›Von wem?‹ Ich habe wiederholt: ›Rimbaud - R-I-M-B-A-U-D. Das ist ein französischer Dichter. Den müsstest du wirklich lesen.‹ Bobby zuckte mit den Schultern. Er sagte bloß: ›Yeah, yeah.‹ Ich habe Rimbaud dann noch ein paar Mal erwähnt. Viel später war ich mal in Bobs Bude. Ich sehe mir immer bei Leuten deren Bücher an. In s einem Regal entdeckte ich einen Band mit Übersetzungen französischer symbolistischer Lyrik; ganz offensichtlich war das Buch über Jahre hin immer wieder gelesen worden! Ich glaube, er kannte Rimbaud vorwärts und rückwärts auswendig, schon bevor ich von ihm sprach. Ich habe ihm gegenüber dann Rimbaud nicht mehr erwähnt, bis ich sein ›A Hard Rain's A-Gonna Fall‹ hörte, seinen ersten symbolistischen Versuch. Da habe ich zu Bob gesagt: ›Weißt du, dieser Song von dir enthält ganz schön viel Symbolismus, oder?‹ Er sagte: ›Huh?‹«

Obwohl er ein verbissen individualistischer Linker war, sang Van Ronk keine Lieder mit aktuell-politischem Inhalt: »Ich glaube nicht, dass jemals einer durch einen Song bekehrt worden ist. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eines der Lieder von Phil Ochs eine Bewegung in Bewegung hält, Streikposten länger Postenstehen lässt oder bei Streikenden oder Bürgerrechtlern die Moral hebt. Dylans Songs sind so was wie ein persönlicher Gewissensakt, wie wenn man seinen Einberufungsbefehl verbrennt oder sich selbst. Sie bewirken absolut nichts, außer dass sie dich selbst und deine Zuhörer von allem Übel der Welt abheben. Ich dagegen will mich nicht von den Missständen abkoppeln lassen.« Hielt er Protestsongs für romantischen Anarchismus? »Nein. Dahinter steckt Populismus. Durch all diese Songs zieht sich ein sozialer Patriotismus; bei Dylan weniger. Mich macht das krank, weil ich Internationalist bin. Ich glaube nicht, dass das amerikanische Volk ein besonderes Gefäß des Guten und der moralischen Pflicht ist, auch kein besonderes Gefäß des Bösen. Ich kann Songs nicht ausstehen, die Negern auf die Schulter klopfen. Ich höre lieber einen Song, der sagt: ›Mensch, wenn du nicht was unternimmst, wird es dir nicht besser gehen, als es deinem Vater ergangen ist.‹«

Van Ronk hatte mannigfaltigen Einfluss auf Dylan. Er war ein bunter Vogel, aber beständig, besaß ein Apartment und Bücher und war ein aktiver, verständiger Kopf. Er spielte mit Worten, machte dialogorientierte Musik, auch wenn im Lauf des Abends bisweilen die Melodie verloren ging. Er war Autodidakt, kein aufgeblasener College-Intellektueller.

In Daves Repertoire gab es nur vier Songs, die Dylan regelmäßig sang: »Dink's Song«, »House Of The Rising Sun«, »Poor Lazarus« und »See That My Grave Is Kept Clean«. Bob verdankte Dave einiges in Sachen Stil, Auffassung und Interpretation. Van Ronk konnte Scat singen oder in den Dialekten der tiefsten Südstaaten heulen und klagen. Dylan übernahm ein paar Ideen von Daves Gitarrenspiel, aber weit mehr von seiner besonderen Fähigkeit, Töne und Stille so aufeinander abzustimmen, dass das Publikum sofort in Bann gezogen wurde. Nach sechs Monaten war Van Ronk kein Guru mehr, nur noch ein versierter Kollege, der auf demselben endlosen Highway unterwegs war. Dylan hatte eben nur ein dauerhaftes Idol: Woody Guthrie.

Bob Dylan - No Direction Home

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