Читать книгу Die großen Western Classic 9 - Robert Ullmann - Страница 4

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Selbst unter dem breiten Schirm des Palo Verde war es erdrückend heiß, und Luke Bonnart hatte Mitleid mit Joan Hamilton, die zusammengesunken auf einem Stein nahe der Felswand hockte. Staub machte ihr blondes Haar stumpf, und auf ihrem braunen Gesicht glänzte Schweiß in breiten Bahnen. Joan sah zusammengefallen aus, als ob ihr achtundzwanzigjähriger Körper durch die Last der Hitze zusammengedrückt worden wäre.

Um diese Tageszeit hätte es eigentlich nicht mehr so heiß sein dürfen, doch der Sommer war in diesem Jahr ohne Übergang gekommen, und der Sommer in Arizona war keine Jahreszeit, sondern ein Vorgeschmack der Hölle.

Um die Mittagszeit verwandelte sich die Erde wieder in trockenes Pulver, und weit draußen, auf der flachen roten Lehmebene zwischen den Aubrey Cliffs und dem Coconino Plateau, wirbelte der Wind Staubfahnen und -teufelchen auf. Dünne Windhosen zogen senkrechten Fingern gleich von Horizont zu Horizont.

Rus Hamilton und Larry Hagman waren gerade aus den Cliffs zurückgekommen, und der rote Sand klebte in ihren Nacken und lag wie ein Farbabstrich auf ihren Hemden.

Es war zu heiß, um am Hang zu graben, zu heiß überhaupt, um auch nur einen Finger zu bewegen. Drei Wochen buddelten sie hier draußen, weitab von der nächsten Stadt und vom Big Chino Wash, einem im Sommer ausgetrockneten Arroyo.

Luke Bonnart blickte zu den drei Buschhütten hinüber, die sie aus dem harten und zährankigen Chaparral geflochten hatten. Die erste diente dem Ehepaar Hamilton als Unterkunft, die zweite ihm selbst, Larry Hagman, ihren Schlafsäcken und ihren Waffen. Der dritte Jacale, wie die Apachen die Buschhütten nannten, fasste alle Geräte, den Proviant und ein Felllager für das mexikanische »Mädchen« für alles, Pedro Comparato.

Luke drehte sich eine Zigarette, zündete sie an und trat auf Rus Hamilton zu. Bei ihm saß seine Frau auf einem Stein. Joan war unzweifelhaft hübsch. Nicht nur eine Schönheit, sondern auch geistreich und schlagfertig war sie. Aber die körperlichen und geistigen Vorzüge schützten sie nicht vor der Hitze und den begehrlichen Blicken der anderen, die sie nicht aus den Augen ließen.

»Wir sind nicht weitergekommen, Rus«, sagte Luke Bonnart und stieß den Rauch durch die Nase.

Hamilton sah auf. Er presste seinen schmalen Mund noch fester zusammen, und sein Blick flatterte.

»Wem sagst du das, Luke? Was schlägst du vor? Aufhören?«

»Das Wasser in der Zisterne wird knapp, der Proviant auch. Selbst das Wild hat sich in die Berge im Norden zurückgezogen. Wir sind ohnehin schon drei Wochen länger als vorgesehen hier.«

»Ja, du hast recht.« Hamilton zuckte ergeben die Achseln. »Ich kann nur nicht begreifen, dass irgendjemand von uns die Cliffs verlassen will, gerade jetzt …, Luke grinste ein wenig. Der Prospektor war ein geschickter Verkäufer seiner Ideen, trotz der ihm eigenen Pedanterie. Er hatte sie schließlich alle dazu gebracht, sich ihm anzuschließen, oder waren sie nur den hübschen Augen seiner Frau gefolgt? Luke Bonnart hätte es in diesem Augenblick nicht zu sagen vermocht.

»Du bist Prospektor und Geologe, ich ein einfacher Cowboy. Gold hat mich nie so sehr interessiert. Ich möchte wieder Rinder sehen, ihren Geruch einatmen und nicht nur Staub schlucken. Ich sage dir, Rus, wir werden das Gold nie finden. Schade um die Zeit und den Schweiß, die wir hier vergeuden.«

Hamilton erhob sich und legte seine Hand auf Joans Schulter. Seine abwehrende Handbewegung wirkte ein wenig fahrig.

»Natürlich, natürlich … Luke, ich sage dir, wir stehen kurz vor dem Ziel. Ganz kurz! Es bedarf nur noch einer kleinen Anstrengung, dann sind wir am Ziel. Die zweite Sonde von heute Vormittag stieß in einen Hohlraum.«

»Du vermutest eine Höhle oder so was?«

»Einen Stollen. Die alten Padres gruben Stollen und trieben sie weit in einen Berg hinein. Ich sage dir, wir sind am Ziel!«

Luke wechselte einen Blick mit Joan Hamilton und blickte auf die rote Sandebene hinaus, auf der Windhosen ihr undefinierbares Spiel trieben. Hundert und mehr Jahre lag das Gold in dem Berg, ausgegraben und versteckt von den frommen Padres, denen der Rückzug durch wilde Indianerstämme abgeschnitten worden war. Nur einer von ihnen war durchgekommen.

Und hier, das wusste Luke Bonnart, hoffte der Geologe und Prospektor Hamilton den Fund seines Lebens zu machen: Gold in seinem Rohzustand, Gold, eingebettet in Rosenquarz, gepackt in Ledersäckchen und als Adern im Gestein.

»Woher weißt du das alles?«, fragte er.

»Ich bin Geologe«, antwortete Rus stolz.

Luke schüttelte den Kopf.

»Das meine ich nicht. Woher hast du die Kenntnisse von der Mine?«

Hamilton stand auf und deutete zur Wasserstelle. Luke ließ seinen Glimmstängel fallen und trat ihn aus.

»Ich weiß es. Woher, das bleibt mein Geheimnis. Die geologische Formation der Aubrey Cliffs spricht dafür, und ich irre mich nicht.«

»Sind das die einzigen Beweise?«

Hamiltons Mund verzog sich zu einem bitteren Lächeln.

»Ich habe dich angeworben, Luke, weil du das Land kennst. Und so wie du hier Bescheid weißt, kenne ich mich in meinem Beruf aus. Reden wir nicht mehr darüber.«

»Na schön«, sagte Luke Bonnart. »Du musst es wissen, das gebe ich zu. Aber du kannst die anderen nicht zwingen, noch länger hierzubleiben.«

»Larry Hagman ist Prospektor wie ich«, antwortete Rus Hamilton kühl, »und Joan ist meine Frau. Wenigstens die beiden verstehen, um was es geht. Gold. Ja, aber um viel Gold!«

»Auf irgendeinem Papier vielleicht, aber nicht dort drüben«, erwiderte Luke mit Nachdruck. »Das ist mir auch egal. Du hast mich als Führer engagiert und bezahlst mich für meine Kenntnisse und meinen Rat, und ich gebe dir meinen Rat, ob er dir passt oder nicht.«

»Ein aufrichtiger Mann«, sagte Hamilton beißend und mit einem leichten, fast ironischen Lächeln. »So etwas findet man heutzutage draußen nur selten.«

»Vielleicht ist es bei mir nur Trotz und Widerstand gegen ein sinnloses Unternehmen«, antwortete Luke trocken. »Denn sinnlos ist dieses ganze Unterfangen.«

Er wandte sich um und ging zur anderen Seite des Lagers. Hamiltons Widerstand ärgerte ihn, obwohl er ihn erwartet hatte. Luke Bonnart wirkte groß und kräftig, breit wie eine Eingangstür und besaß kein Gramm Fett an seinem durchtrainierten Körper.

Vor zwei Monaten hatte ihn Rus Hamilton als Führer engagiert. Luke hatte die Frist festgesetzt, weil nur die Herbst- und Frühjahrsmonate im Norden von Arizona erträglich waren und weil er sich vorgenommen hatte, eine eigene Ranch in den Tälern des Coconino Plateaus zu gründen. Den Platz hatte er bereits vor Jahren ausgesucht und erworben. Er war zweiunddreißig Jahre alt und im Viehgeschäft groß geworden.

Luke Bonnart trat in die Buschhütte, die er mit Larry Hagman teilte. Larry saß auf seinen Decken, den Oberkörper nackt, rauchte seine Pfeife. Er lächelte Luke an, als er eintrat und die Winchester von der Astgabel nahm.

»Willst du was schießen?«, fragte er. Seine Stimme klang etwas schrill, als ob er ständig unter einer nervösen Spannung stünde.

Bonnart nickte und grinste.

»Heute Abend gibt es wieder dein Lieblingsessen, Kaninchenragout. Ist dir das recht?«

Der Prospektor schüttelte sich.

»Mir dreht sich der Magen um, wenn ich nur daran denke.«

»Auch gut.« Luke grinste. »Wir können sie ja zur Abwechslung braten. Oder wie wär’s mit einem Schlangensteak?«

»Scheußlich! Lassen Sie einfach Joan schießen«, erwiderte Larry Hagman angewidert. »Dann gibt es wenigstens Konserven. Besser als gar nichts.«

Luke Bonnart steckte Patronen in die Hosentasche und wandte sich dem Ausgang zu. Er blieb grinsend stehen und drehte sich noch einmal um.

»Du wünschst dir zu viel, Larry«, sagte er. »Mrs Hamilton schießt schon mindestens so gut wie Calamity Jane. Und die übertrifft sogar Wyatt Earp.«

»Oh, mein Gott«, stöhnte der Prospektor. »Was wir nicht alles für eine vage Hoffnung erdulden müssen und für Rus.«

Luke ging noch nicht. Er stellte das Gewehr mit dem Kolben auf die festgetretene Erde und stützte sich auf den Lauf. Aufmerksam sah er Hagman an.

»Ist dir nichts aufgefallen, Larry?«

»Nein, was?«

»Einmal sagen wir Sie zueinander, dann …«

»Ach, das«, der Prospektor winkte ab. »Weißt du, Luke, das ist nur so ’ne Art Hochachtung dir gegenüber. Du bist immerhin der Mann, der uns führt. Ohne dich wären wir in dieser vertrackten Wüste verloren.«

»Na ja, ich will’s glauben.« Luke lachte, schulterte die Winchester 73 und marschierte los.

Sein Grinsen erlosch, und er runzelte nachdenklich die Stirn. Hagman war mit seinen Nerven fertig, da gab es keinen Zweifel. Und der plötzliche Wechsel seines Tonfalls hatte Bonnart verraten, wo seine empfindliche Stelle war. Die Hitze machte sie alle fertig und gereizt. Das konnte nicht gutgehen. Nicht mit einer schönen Frau im Lager.

*

Luke blieb stehen, als sie aus der Buschzone am Rand der Wüste traten. Er hielt Joan Hamilton am Arm zurück. Dann reichte er ihr die Winchester. Er vermied dabei hastige Bewegungen, um das Kaninchen nicht zu verscheuchen.

»Halten Sie tief«, sagte er. »Und nicht vergessen: langsam den Abzug ziehen und die Luft anhalten. Es wird schon klappen.«

Befriedigt sah er zu, wie sie das Gewehr fest an die Schulter zog, ohne die Hände oder den Körper zu verkrampfen, und die Beine leicht spreizte. Das Kaninchen saß auf den Hinterläufen und mümmelte in der graugrünen See des Chaparrals, die sich bis zu den Bergen am Havasu erstreckte.

Plötzlich nahm es den Geruch von Gefahr wahr, Menschengeruch. Es richtete sich noch weiter in die Höhe und äugte herüber. Die Kugel riss es um.

»Gut geschossen, Madam«, sagte Luke Bonnart anerkennend. »Sie werden selbst in diesem rauen Land nicht verhungern.«

Joan Hamilton lachte. »Sie waren ein ausgezeichneter Lehrer, Luke. Wo haben Sie so gut schießen gelernt?«

»Auf der Weide. Holen wir die Beute und kehren wir zurück«, sagte er und setzte sich schon in Bewegung.

Sie war etwas mehr als mittelgroß, reichte ihm also gerade bis an die Achsel. Ihr Haar wirkte im Sonnenlicht goldblond und fiel ihr bis auf die Schulter. Ihre veilchenblauen Augen hatten einen direkten, offenen Blick, ihre Nase war kurz und schmal, ihr Mund ein wenig zu breit, mit einer vollen Oberlippe. Ihr Gesicht verriet Stärke und Willenskraft, fand Luke.

Sie gingen zu dem Kaninchen. Luke hob es auf.

»Vier bis fünf Pfund. Reicht für eine Mahlzeit, wenn wir es ein bisschen strecken. Wie ist die Lage auf dem Proviantsektor?«

»Zwei Wochen reicht er, drei, wenn wir genügend schießen können«, erwiderte sie.

»Sie meinen Frischfleisch, Madam?«

Joan nickte, fuhr fort. »Mein Mann hat mir gesagt, dass Sie drängen, das Land zu verlassen. Ich möchte Sie bitten, noch zwei oder drei Wochen zu warten.«

»Ich habe meinen Vertrag mit Ihrem Mann eingehalten. Mehr als das«, fügte er hinzu.

»Aber wir werden fündig, ich weiß es. Rus und Larry sind ebenfalls überzeugt.«

»Bei Hagman bin ich da nicht so sicher«, knurrte Luke Bonnart orakelhaft. »Der sagt heute das und morgen dies. Und wenn er in Ihre veilchenblauen Augen schaut, Madam, dann fühlt er sich stark genug, den Mond vom Himmel zu holen.«

»Bitte, sagen Sie doch so was nicht!« Joan wurde rot und wandte sich ab. »Morgen stoßen wir auf die Ader.«

Luke lachte laut und bitter.

»Sie werden ein paar Skelette finden, nichts weiter, Madam. Skelette von Menschen, denen Rus für das schöne Märchen vom Gold danken kann.«

»Sie meinen die Padres?«

Luke nickte. »Natürlich die Padres. Ihre Geister bewachen den Stollen. Sehen Sie, Madam, die einzigen Skelette, die mich interessieren, haben Fleisch und Fell auf den Knochen und zwei Hörner auf dem Kopf. Und sie warten auf mich dort drüben.« Er zeigte mit der Hand nach Nordosten und kicherte.

»Es geht doch nur um ein paar weitere Wochen, Luke«, sagte sie überredend. »Sie wissen doch, dass wir ohne Sie hier völlig hilflos sind. Bitte.«

Luke Bonnart schüttelte den Kopf.

»Der Vertrag ist abgelaufen. Was zu erfüllen war, habe ich nach bestem Wissen und Gewissen getan.«

Sie wechselte schnell das Thema. Ihre Stimme klang einen Diskant heller, und als sie ihn beim Sprechen ansah, hatte der Mann das Gefühl, in zwei blaue Märchenseen zu schauen.

»Haben Sie noch einmal Spuren entdeckt, Luke?«

»Klar, habe ich. Täglich neue. Coconino streicht wie ein Coyote ums Lager – unsichtbar, unhörbar, dabei gefährlich wie eine Klapperschlange.«

Joan Hamilton ging weiter. Luke blieb einen Schritt hinter ihr und richtete seinen Blick zu Boden. Abrupt blieb er stehen und starrte auf das pulverisierte Erdreich. Deutlich war dort der Abdruck eines Stiefels zu sehen.

»Warum kommen Sie nicht? Was ist …?« Joan Hamilton war stehengeblieben und sah zu ihm hin.

Luke antwortete nicht. Seine Gedanken liefen im Kreis. Ein Stiefelabdruck … Apachen trugen keine Stiefel. Sie mochten die harte Fußbekleidung der Weißen nicht. Woher kam der Abdruck? Von ihnen selbst? Von Rus, Larry oder Pedro? Luke schloss sekundenlang die Augen.

Rus hatte Stiefelgröße 46, Larry kaum einen kleineren Fuß, und wenn man Pedro Comparatos Quadratlatschen sah, konnte man sich weitere Fragen ersparen. Der Abdruck war von einem Fremden, von einem kleinen schlanken, und leicht vornübergebeugt gehenden Mann. Kein Zweifel.

»Luke, sind Sie eingeschlafen?«

Joan trat neben ihn, sah den Abdruck im Sand und streckte den Rücken, ihre Stimme klang belegt, als sie sagte: »Das ist es also … Luke, sind Fremde in der Nähe?«

Bonnart nickte. Er schaute an der schönen Frau vorbei. Sein Blick blieb an einer kaum sichtbaren Unregelmäßigkeit des Bodens hängen. Ein anderer hätte sie vielleicht nicht einmal bemerkt, aber die Männer, die in diesem Land leben, achten automatisch auf die winzigsten Details, die hier zwischen Leben und Tod entscheiden können. Ruhig streckte er die Hand aus.

»Geben Sie mir bitte die Winchester, Madam.«

Joan verfärbte sich, nahm das Gewehr aus der Armbeuge und reichte es ihm. Luke nahm es und legte den Sicherungsflügel um. Das metallische Klicken störte ihn. Mit den Augen und seinen übrigen Sinnen suchte er den grünbraunen Buschgürtel ab. Vom Lager tönten Stimmen herüber. Larry Hagman unterhielt sich mit Rus Hamilton laut und polternd.

Ein paar Sekunden lang blickte Luke zu der etwa fünf Meter entfernten Stelle hinüber und packte automatisch das Gewehr fester. Dann ging er langsam darauf zu.

Trotz der flimmernden Sonnenhitze auf dem Sand erkannte er deutlich Fuß- und Knieabdrücke, die leichte Mulde eines liegenden Körpers und die Eindrücke aufgestützter Ellbogen.

Hier hatte ein Mensch gelegen und das Lager beobachtet. Luke sah sich suchend um. Er hatte das Gefühl, dass der Fremde, der hier gelegen hatte, ihn aus dem Dickicht heimlich beobachtete. Er war weder ängstlich noch beunruhigt, aber es gefiel ihm nicht, dass der Mann sich nicht zeigte.

»Was ist denn los?«, flüsterte Joan mit schmalen Lippen und erschauerte. »Apache?«

»Apachen tragen keine Stiefel«, antwortete Luke knapp und ging zwei Schritte weiter. Er fand eine lange Furche im Sand, wo das Gewehr des Fremden gelegen hatte. Schließlich entdeckte er auch die Fußspur, schon etwas verwischt vom ständig wehenden Wüstenwind, aber noch klar erkennbar. Stiefelspuren.

»Niemand hat den Fremden gesehen, niemand hat etwas gemerkt. Wir müssen Wachen aufstellen, Madam.«

Rus Hamilton war aufmerksam geworden. Er kam herüber.

»Was glotzt ihr beiden denn so den Boden an? Eldorado gefunden?« Er lächelte schief.

»Kaum.« Luke streifte ihn mit einem spöttischen Blick. Auch Rus war am Ende seiner Nervenkraft. Er deutete zu Boden, fuhr fort: »Wir werden beobachtet. Ein Weißer, bewaffnet.«

Luke stieß den Gewehrlauf in die umgebenden Büsche. Er hatte nicht die geringste Hoffnung, den Fremden aufzustöbern.

»Das fehlt uns noch!«, stieß Hamilton mit einem Knurrlaut aus. »Zuerst die verdammte Rothaut, jetzt ein weiterer, der sich nicht zeigt und von dem wir nicht wissen, was er vorhat.« Suchend blickte er sich um.

»Gehen wir zum Lager zurück«, erklärte Luke Bonnart und sicherte das Gewehr. Rus Hamilton nahm seiner Frau das tote Kaninchen aus der Hand und stapfte wütend los. Er schwitzte. Das taten sie alle. Die Hitze war infernalisch. Aber Rus schwitzte mehr als die anderen, weil er trank. Nicht etwa Wasser, sondern Whisky, und den unverdünnt und reichlich.

Pedro Comparato kam ihnen entgegen. Als er das Karnickel sah, zog sich sein braunes Mexikanergesicht in seltsamer Weise in die Länge. Verdammt, schon wieder Kaninchen!

Rus Hamilton warf dem Lagerkoch und Mädchen für alles das blutige Tier gegen die Brust und zeigte sein schadhaftes Gebiss.

»Wird reichen, wenn wir alle unsere Gürtel enger schnallen. He, Luke, kannst du nicht mal zur Abwechslung etwas anderes schießen? Einen Elch oder ein Stück Rotwild?«

Luke deutete zu den fernen Bergen.

»Dort mag es Wild geben, hier in der Wüste sind nur Schlangen und Kaninchen.«

»Dann geh hin und hol dir was vor den Lauf!«

Luke schüttelte den Kopf.

»Zu weit, wenn man bedenkt, dass wir uns alle vor dem Gewehrlauf eines Fremden bewegen – und vor dem aufgelegten Pfeil des Apachen.«

Hamilton blieb stehen.

»Du glaubst an einen Überfall?«

»Der Fremde hat uns beobachtet. Er muss die Siebe und Schüttelpfannen genauso gut gesehen haben wie das Werkzeug. Ein Reim darauf wird ihm schon einfallen.«

Hamilton stampfte wütend mit dem Fuß. Luke wunderte sich immer wieder, was Joan bei diesem ungeschlachten und jähzornigen Mann hielt.

»Morgen in der Frühe werde ich sprengen. Ich sage dir, Luke, das Gold ist so nahe wie der verdorrte Busch dort drüben!«

Luke gab keine Antwort, zuckte die Achseln und entfernte sich zur Tinaja. Nur wenig Wasser noch bedeckte den Steingrund. Luke Bonnart ließ den Eimer hinab und zog ihn halb gefüllt wieder hoch. Zuerst goss er sich etwas von dem kühlen Nass über das erhitzte Gesicht, und dann feuchtete er sich die Haare an. Bevor er den aus Lederstücken zusammengenähten Behälter an die Lippen setzen konnte, hörte er den Schrei vom Lager herüberschallen.

Er klang unterdrückt, durchsetzt von einem jammervollen Stöhnen. Der Schrei einer gequälten Frau. Unvermittelt setzte sich Luke in Bewegung. Die Hitze schien für ihn auf einmal nicht mehr zu existieren. Mit langen Sprüngen hetzte er über den schmalen Sandstreifen und stand vor den Jacales.

Joan Hamilton lag am Boden, die Zähne in das Handgelenk gebissen, die Beine verkrümmt und seltsam angewinkelt. Ein Stück weiter wand sich Rus Hamilton wie ein Wurm auf der Erde. Von Larry Hagman und dem Mexikaner sah Luke nichts.

Zuerst wandte er sich der jungen Frau zu. Ihr Gesicht wirkte aufgedunsen. Groß standen ihre Augen unter der gewölbten Stirn. Joans Lippen wirkten seltsam trocken und verzerrt. Wieder ein Stöhnen von diesen weichen Lippen, die er, Luke, so gerne einmal geküsst hätte.

»Das Wasser … Vorsicht!«

Das Wasser? Was war mit dem Wasser? Vor der Buschhütte der Hamiltons sah Luke einen ähnlichen Behälter stehen wie den, den er in die Zisterne hinuntergelassen hatte. Er ging hin und schüttelte den Ledereimer. Nichts. Oder doch? Hauchdünne Fäden zogen sich über den Grund des Wasserbehälters. Luke begriff. Jemand hatte das Wasser in der Zisterne vergiftet. Er lief zur Versorgungshütte, blieb stehen und starrte auf Larry Hagman, der neben dem geöffneten Medizinkasten lag und ein paar unverständliche Worte murmelte.

*

Joan Hamilton erwachte und hob mühsam den Kopf. Jemand hatte ihr etwas zusammengerolltes Weiches unter den Kopf geschoben. Über sich sah sie Helligkeit durch das welke Laub träufeln, unter sich fühlte sie eine Decke und den harten Sandboden. Sie war noch so angekleidet wie vor ihrer Ohnmacht. Draußen auf dem freien Platz vor den Laubhütten hörte sie jemanden hantieren. Feuer knisterte. Töpfe und Geschirr klirrten. Der Eingang verdunkelte sich. Luke Bonnart kam herein und kniete neben Joan nieder.

»Wie fühlen Sie sich, Madam?«

»Es geht, Luke. Was ist geschehen?«

»Sie haben vergiftetes Wasser getrunken. Jetzt sind Sie über den Berg.«

»Und die anderen – Rus?«

»Alles in Ordnung. Ich konnte rechtzeitig helfen.«

»Die Zisterne …?«

Luke nickte. »Wir müssen das Wasser abkochen«, sagte er. »Morgen haben Sie und die anderen alles überstanden.«

»Warum sind Sie nicht betroffen, Luke?«

»Ich habe nicht von dem vergifteten Wasser getrunken, das ist das ganze Geheimnis.«

Veilchenblaue Augen starrten ihn an. Ein Paar Lippen zuckten. Langsam senkten sich die Lider.

»So, Sie haben kein vergiftetes Wasser getrunken …«

Als sich Joan Hamilton zur Seite drehte, verflog Lukes Beruhigung. Er erkannte, dass die junge Frau besorgt und fast verstört wirkte. Einen Moment starrte er auf den schlanken Körper zu seinen Füßen, dann drehte er sich brüsk um und verließ die Laubhütte. Draußen erblickte er Hamilton.

Der Geologe kniete im Sand und hielt sich den Kopf. Als er die knirschenden Schritte hörte, sah er auf und blinzelte gegen die Sonne. Luke Bongarts Haltung wirkte lässig, überlegen, und Hamilton fühlte sich beruhigt, dass er in der Nähe und da war. Die Erkenntnis störte ihn trotz seiner Übelkeit mächtig. Es passte ihm nicht, dass er von diesem Mann, einem Kuhhirten, so abhängig sein sollte. Doch als Luke näher kam, verflog seine Missstimmung. Er erkannte, dass der Führer des kleinen Haufens besorgt und fast verstört wirkte.

»Du kriechst draußen in der Sonnenglut herum, Rus. Fühlst du dich besser?«

»Relativ gut. Morgen ist alles wieder in Ordnung. Geh in die Hütte zurück, die Hitze könnte dir Schaden zufügen.«

»Alles Gewohnheit«, wehrte Rus Hamilton ab und versuchte auf die Füße zu kommen, was ihm auch gelang. »Morgen sprenge ich. Was dagegen, Luke?«

Luke schüttelte den Kopf. Er deutete auf den rötlichen Hang, in dem sich schichtenweise graue Adern abzeichneten. »Gib Acht, dass das ganze Zeug nicht herunterkommt. Sieht nicht gut aus, Rus.«

»Es ist festes Gestein, und darunter liegt der Stollen mit seinem vielen Gold.«

In des Geologen Stimme schwang ein Triumph mit, den Luke nicht verstand. Besessenheit war nie seine Art gewesen und nicht seine schwache Seite. Bei ihm hielt sich alles in Maßen. »Okay, meinetwegen. Ich gehe jetzt zu Larry und Pedro. Ich muss mit ihnen was besprechen.«

Hamilton blickte Luke nach. Er sah einen hochgewachsenen, breitschultrigen und schmalhüftigen Mann mit einem tiefgeschnallten Revolver und in derber Wildniskleidung. Das Gefühl der Unruhe verstärkte sich in Rus. Offensichtlich war der erfahrene Wildnisgänger bedrückt. Aber wegen was? Lebensmittelvergiftungen durch verdorbenes Fleisch kamen immer wieder vor und waren nichts Besonderes. Das ließ sich abstellen.

Hamilton lächelte hinterhältig. Wenn er an Lukes Verantwortungsbewusstsein appellierte, konnte er ihn vielleicht zum Bleiben bewegen. Er war durchaus nicht sicher, dass die Sprengung den vermuteten Gang freilegen und sie zu den gewaltigen Schätzen führen würde. Sein Lächeln ging in ein schäbiges Grinsen über. Er musste dem wilden Cowboy nur klarmachen, wie völlig hilflos sie ohne ihn sein würden … Ein zweiter Gedanke raste ihm durch den Kopf. Joan!

Mit dem Gefühl und dem feinen Gespür des Eifersüchtigen ahnte er, dass Luke etwas für seine Frau empfand, und das wollte er ausnutzen, um den Cowboy zum Bleiben zu bewegen. Sicher, Luke liebte Joan, aber erwiderte sie seine Gefühle? Darüber war er sich nicht im klaren. Beobachten, dachte er, nur beobachten, die Augen aufhalten, stets auf dem Damm bleiben.

Er torkelte in die Buschhütte zurück und legte sich hin. Keine Minute lang dachte er an seine ebenso kranke Frau. Gold stand vor seinen Augen, und von diesem Gold triefte Blut und bildete Lachen auf der Erde. Blutiges Gold …

*

Sie lagen in Deckung und versuchten krampfhaft, sich nicht auf die Explosion beim Hang zu konzentrieren. Noch brannten die Lunten für die beiden Sprengsätze nicht. Unwillkürlich und ohne Absicht sah Luke zu dem breitgefächerten Schatten unter dem Palo Verde und kniff die Augen zusammen. Zehn Meter neben ihm lagen Larry Hagman und Pedro Comparato. Von Mrs Hamilton war nichts zu entdecken.

Rus Hamilton hockte wie ein großer brauner Affe links von ihm hinter einem notdürftig aufgeschütteten Wall und hielt Streichhölzer in der Hand.

Die Zündschnur lief wie ein in die Länge gezogener weißer Wurm durch den gelben Sand und wurde beim Hang unsichtbar.

»Ich zünde!«, schrie Rus und schwenkte seinen Hut. »Alles in Deckung bleiben!«

Zischend fraß sich die kleine Flamme an der Schnur entlang, verfolgt von hungrigen, gierigen und von der Hitze tränenden Augen.

»Jetzt!«, schrie Hamilton und warf sich hinter den Wall.

Luke brachte es nicht fertig, sich auf die schützende Erde zu legen. Um keinen Preis der Welt wollte er sich das Schauspiel der Sprengung entgehen lassen.

Ein mächtiger Pilz stieg fünfzig Meter vor ihm in die Höhe. Eine Sekunde lang hatte er das Gefühl, als schüttele sich der Hang, als sei ihm Gewalt angetan worden. Ein nicht breiter Riss klaffte in seiner Mitte, und als sich Minuten später der Staub gelegt hatte, sprang Hamilton auf die Beine, deutete mit der ausgestreckten Hand auf den Hang und schrie: »Seht ihr das Loch?! Seht ihr es? Verdammt, ich hatte recht! Das ist die Höhle oder ein Tunnel!«

Er setzte sich in Bewegung. Keine fünf Meter weit kam er. Es knallte zum zweiten Mal. Rus Hamilton warf die Arme in die Höhe und fiel aufs Gesicht. Luke und Larry Hagman, die sich ebenfalls aus ihrer Deckung erhoben hatten, blieben überrascht stehen. Beide starrten sie auf den Hang, als warteten sie, dass sich dort ein zweiter Staubpilz aus dem Erdreich lösen würde.

Aber nichts weiter geschah dort drüben. Luke blickte zum Palo Verde hinüber und zuckte zusammen. Eine Gestalt stand im Schatten des Baumes. Schlank, düster und drohend starrte sie zu ihm herüber. In der Hand hielt der Fremde einen langläufigen Colt.

Die Spur, dachte Luke, dabei glitt seine Hand langsam zur Hüfte. Sein zweiter Blick richtete sich auf Rus Hamilton, der am Boden lag und offensichtlich das Bewusstsein verloren hatte.

»Lass es sein, Bucko!«

Die Stimme klang ein wenig belegt, als hätte der Schwarzgekleidete Halsbeschwerden.

Luke Bonnart fühlte eine heiße Wut in sich aufsteigen und hätte am liebsten gezogen und geschossen.

Diese Unbeherrschtheit erschreckte ihn. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie auf einen Menschen geschossen. Außerdem wusste er, dass ein von Wut unbeherrschter Mann niemals eine Auseinandersetzung mit der Waffe gewinnen kann.

Und schließlich war Wut ein Luxus, den sich sein strapazierter Körper nicht mehr leisten konnte. Er zwang sich zur Selbstbeherrschung, weil dies für ihn die sicherste Waffe war.

»Warum haben Sie auf diesen Mann geschossen? Wer sind Sie?«

»Zwei Fragen, Bucko.« Das düstere Lachen klang wie das Krächzen eines Geiers aus dem Schatten des Palo Verde. Er setzte hinzu: »Ich bin Nathan Burdette, man nennt mich auch Black Nathan.«

Luke erschrak. Black Nathan, der Revolvermann …, der hatte ihnen zu all ihrem Unglück gerade noch gefehlt. Nathan Burdette war in ganz Arizona als skrupelloser Killer und guter Revolverschütze bekannt.

Lüke Bonnart hob die Stimme.

»Weshalb haben Sie Rus Hamilton erschossen? Was hat er Ihnen getan?«

»Er hat mir nichts getan, außerdem ist er nicht tot. Gehen Sie doch hin und sehen Sie nach.«

Der bittere Schrei ließ Luke auf den Absätzen herumfahren. Joan kam aus dem Gebüsch gestürmt und warf sich neben ihrem Mann in den Sand. Aufschluchzend schlang sie ihre Hände um seinen Hals.

Rus bewegte sich. Luke ging hin und kniete an seiner anderen Seite nieder. Hamilton hatte die Kugel mit der rechten Schulter aufgefangen. Er blutete stark und kam just in dem Augenblick zu sich, als sich Larry Hagman aus seiner Deckung erhob und mit hochgestreckten Händen über den Sandstreifen kam. »Was …?«

Hamilton schien schnell zu begreifen, als er seiner Frau ansichtig wurde. Er wandte den Kopf.

»Schlimm, Luke?«

»Durchschossene Schulter. Bei guter Pflege wirst du überleben. Nur Ruhe, Rus, keine Aufregung, zuerst muss das Blut zum Stillstand gebracht werden.«

Rus Hamilton wandte mühsam den Kopf und schaute Luke von unten her an.

»Man hat auf mich geschossen? Wer?«

»Ein Freund. Ein neuer Freund, Rus.«

»Was will er, wo ist er?«

Luke zuckte die Achseln.

»Was er will, weiß ich nicht. Wo er ist? Er steht dort drüben im Schatten des Palo Verde.«

Rus stöhnte und schloss die Augen. Joan, seine Frau, warf einen hilflosen Blick auf Luke, von dem sie irgendeine Hilfe zu erwarten schien. Mit einem seidenen Tuch wischte sie Rus den Schweiß von der Stirn.

Luke Bonnart ließ seine Augen schweifen. Black Nathan bewegte sich nicht aus dem Schatten des Baumes. Larry Hagman stand nur da und scharrte aufgeregt mit dem Fuß im Sand. Pedro Comparato hockte im Schatten eines Busches, und seine sanften dunklen Augen blickten ängstlich und verstört. Er verstand den Streit der Amerikaner nicht und hatte nicht die geringste Ahnung, warum einer von ihnen von einem Fremden angeschossen worden war.

Joan kümmerte sich um ihren Mann, der schon wieder ohnmächtig geworden war. An Gold dachte in diesem Augenblick niemand mehr. Seltsamerweise auch nicht an den Apachen Coconino. Der Aravaipa blieb unsichtbar. Wenn Luke auch nicht glaubte, dass er sich aus diesem Gebiet entfernt hatte, so durfte er doch annehmen, dass Coconino sich zurückhielt, um den Erfolg seiner Brunnenvergiftung abzuwarten. Denn dass er es getan hatte, daran gab es für Luke keinen Zweifel.

Sie alle fühlten sich noch elend, und jetzt kam noch die düstere Ahnung von Gewalt durch einen fremden Revolvermann hinzu.

Bastard, dachte Luke grimmig.

»Was sollen wir tun?«, fragte Joan mit gepresster Stimme. »Rus braucht dringend Hilfe.«

Luke gab sich einen Ruck. War es schon soweit, dass er gleichgültig wurde, dass er die dringendsten Dinge des ihm anvertrauten Lagers übersah?

»Bringen wir ihn in den Schatten seiner Hütte. Fass mit an, Larry!«, befahl er.

Als sie Rus hochhoben, vermied es Luke, in Joans Augen zu sehen. Er ahnte, dass sie in seinen Augen etwas lesen würde, dass … Er schob den Gedanken beiseite. Die Anstrengung, den schweren Mann in die niedrigen Buschhütte zu tragen, war selbst für ihn bei der Hitze ziemlich groß.

Sie legten Rus Hamilton auf das fellüberspannte Bett aus Zweigen, und Luke untersuchte seine Wunde. Joan und Pedro kamen ebenfalls herein.

»Ist es schlimm?« Joans Stimme zitterte.

»Nein«, log Luke Bonnart. »Ein glatter Durchschuss. Keine Sorge, Madam, bald ist Ihr Mann wieder ganz okay.«

»Warum hat er es getan?«

Luke wusste, wen sie meinte. Er zuckte die Achseln.

»Schwer zu sagen. Diese Art Menschen fragen nicht danach, was richtig oder falsch ist. Sie schießen einfach. Womöglich fühlte er sich bedroht.«

»Bedroht? Wir wussten nicht einmal, dass ein Fremder in der Nähe ist«, gab sie zu bedenken.

»Das meine ich nicht.« Luke strich sich mit der Hand den Schweiß aus dem Gesicht. »Die Explosion des Sprengsatzes könnte in ihm eine Art Notwehrreflex ausgelöst haben. Nun ja, wie dem auch sei, ich werde Ihren Mann verbinden, Madam. Mehr können wir nicht tun.«

Joan verließ schweigend die Hütte. Luke und Larry starrten sich einen Augenblick lang an. Luke machte sich an die Arbeit und verband Ein- und Ausschuss in der Schulter. Er legte zwei dicke Kompressen auf die Wunden und schlang eine breite Binde um die Brust des Bewusstlosen.

»Gehen wir nachher in den Stollen, Luke? Es wird bald dunkel«, sagte Larry.

Bonnart schüttelte den Kopf.

»Warum nicht? Hast du Angst?«

»Meine Ablehnung hat nichts mit Angst zu tun. Ich möchte warten, bis Rus dabei sein kann.«

»Das kann Wochen dauern, wenn überhaupt.«

»Dann dauert es eben Wochen. Was machen ein paar Wochen aus bei der Zeit, die wir haben. Es wird nichts angetastet, klar?«

Das letzte Wort kam scharf und eiskalt. Hagman zuckte zusammen.

»Und wenn ich damit nicht einverstanden bin?«

»Dann werde ich dich dazu zwingen, Larry.«

Hagman ging langsam auf Luke zu. Er musste den Kopf einziehen, um nicht gegen die blattreiche Decke der Buschhütte zu stoßen. Es kostete ihn alle Mühe, seine Wut zu beherrschen. Es drängte ihn, Luke zu sagen, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, wie es einem bezahlten Scout zukommt. Aber er wagte nicht, sich mit dem Cowboy anzulegen und sich dadurch vollkommen zu isolieren. Außerdem hatte er irgendwie Angst vor Luke, vor seiner ungeheuren Körperkraft und seinem schnellen Schießeisen.

Larry erahnte den starken Willen, der unter dem ruhigen Äußeren Lukes schlummerte. Dieser Mann war nicht feige. Er würde eines Tages, wenn hier im Lager wieder alles im rechten Lot war, diesem schwarzen Revolverhelden mit der Waffe in der Hand entgegentreten und eine Auseinandersetzung erzwingen, daran zweifelte er nicht.

Auch vor dem schleichenden Apachen fürchtete sich Luke Bonnart nicht. Das hatte er oft genug bewiesen, wenn er allein auszog, ein Kaninchen zu schießen.

Larry senkte den Blick. Wortlos verließ er die Hütte. Luke starrte ihm nach und trat in den Eingang. Der Platz unter dem Baum war leer. Die Sonne stand tief. Vom Gebirge herüber wehte ein kühler Wind, der die Nähe des Abends ankündigte.

Das Lager wirkte ruhig. Pedro hatte ein Feuer entzündet. Eine dünne Rauchwolke stieg zerflatternd in das Abendrot. Luke wusste, dass Furcht wie ein Virus grassierte und die Menschen seiner Umgebung in ihren Bann schlug. Sie hatten Angst, hündische Angst, und er hatte sie auch.

*

Luke Bonnart blieb stehen. Das leise Geräusch störte ihn. Verweht drang es an sein Ohr. Um ihn herum war nur Dunkelheit. Zwei einsame Sterne hingen wie milchige Punkte am Himmel, der Mond war noch nicht aufgegangen. Von der Wüste herüber drang das Gekläff von Coyoten, die ihre animalische Angst vor der Dunkelheit in einem langgezogenen hellen und heiseren Bellen äußerten.

Seine Sinne waren derart angespannt, dass er nicht einmal das Zittern in seinem Körper spürte. Sie alle waren mit den Nerven fix und fertig. Zuerst der Apache mit seinen heimtückischen Anschlägen und jetzt noch ein fremder Killer, der von irgendwoher aufgetaucht war und dort ernten wollte, wo andere gesät hatten.

Er ging weiter, die Winchester in der Armbeuge. Da! Jetzt kam es wieder. Ein schwaches, kaum vernehmbares Schlürfen drang zu ihm herüber. Luke bewegte sich auf den Hang zu, der wie ein dunkles Fließband, breit und in den Himmel steigend, vor ihm in der Finsternis aufwuchs.

Er sah das Loch nicht, das durch die Sprengung frei geworden war. Dazu war es zu dunkel. Aber der Tröster der Nacht, der helle Mond, würde bald aufgehen und dieses Land des nackten Grauens in eine Feenlandschaft verwandeln.

Luke blieb abrupt stehen und riss das Gewehr hoch.

»Lass es sein, Amigo! Keine falsche Bewegung!«

Die Gestalt vor ihm, nur undeutlich erkennbar, bewegte sich um keinen Zoll. Ein heiseres Kichern kam aus dieser Richtung.

»Wenn ich den Finger krumm mache, blase ich dir das Herz aus der Unterwäsche.«

Lukes Stimme klang ruhig, aber ein gefährlicher Hauch von Aggression wehte in ihr mit.

»Bucko, mein Revolver ist auf dich gerichtet. Sollen wir uns gegenseitig das Lebenslicht ausblasen?«

»Du willst es nicht anders. Was willst du überhaupt? Was belauerst du uns die ganze Zeit?«

»Wissen, wo ihr das Gold habt. Gebt es heraus, dann habt ihr vor mir Ruhe.«

»Ich weiß von keinem Gold. Verdammt, Gold bedeutet mir gar nichts!«, antwortete Luke, und es war die Wahrheit.

»Aber den anderen. Deswegen seid ihr doch hier, und nur deswegen seid ihr dem Berg mit Dynamit zu Leibe gerückt. Wo ist es? Heraus damit!«

»Vielleicht dort oben in dem Loch in der Wand. Geh hin und hole es dir, ich habe anderes zu tun.«

»Dort gibt es kein Gold. Ein paar alte Knochen und verfaultes Holz, aber kein Gold.«

Luke hätte es wissen müssen. Kein Gold! Nur die Reste im Berg eingeschlossener Verstorbener und ein paar verschimmelte Stützbalken. Wut kam in Luke hoch. Sie griff wie die Tatze eines Raubtiers nach ihm und machte ihn unbeherrscht.

Bevor er etwas unternehmen konnte, änderte sich die Situation. Coconino griff ein. Sein Pfeil verfehlte Black Nathan nur um Haaresbreite. Einen zweiten wartete der Schwarze nicht ab. Mit einem Fluch verschwand er. Luke ließ sich fallen.

Der Winchesterlauf schwenkte herum.

Der Stein klirrte vor seinem Kopf auf den Fels, der wie ein runder Buckel eines schlafenden Ungeheuers aus dem Sand ragte. Er schob den Hut aus der Stirn und wusste, was ihn beinahe getroffen hatte. Mit der Steinschleuder waren die Apachen Meister.

Luke kroch in die Nähe eines Gestrüpps und kauerte sich zusammen. Scharfe Dornen griffen nach ihm und hielten ihn fest. Er verbiss den Schmerz und starrte in die Dunkelheit, bis seine Augen tränten. Nichts sah er, gar nichts. Nur das Raunen des Windes und die animalischen Laute aus der Wüste drangen zu ihm.

Die mokassingedämpften Schritte des Indianers würde er so und so nicht hören, wenn es die Rothaut nicht wollte. Er würde sie erst vernehmen, wenn der Krieger über ihm war, die Streitaxt oder das blanke Messer in der Faust.

Luke verhielt sich still. Er dachte an die Leute im Lager, an die Frau und ihren verwundeten Mann. Alles hatte sich gegen sie verschworen. Vom ersten Tag an hatte das Unternehmen unter einem ungünstigen Stern gestanden, denn Hass und Misstrauen waren Triebe, die sich nur mühsam beherrschen ließen. Hinzu kamen Eifersucht und Besitzansprüche an eine Frau, die der Wildnis am Coconino Plateau hilflos ausgeliefert war. Luke knirschte unhörbar mit den Zähnen. Seine Hände umkrampften den Gewehrschaft, bis sie schwitzten. Sand drang ihm in die Augen, vom Nachtwind aufgewirbelt und so fein wie Pulver.

Ein Schatten dort drüben! Huschend und ganz verschwommen. Jetzt sah er ihn, dann wieder war er verschwunden. Ein zerfließender Schatten, der sich durch die Bewegung wieder zusammenfügte und eine düstere Drohung ausstrahlte. Welcher Schatten?

Der des Apachen oder Burdettes Umrisse auf dem hellen Sand? Niemand hätte es mit Sicherheit zu sagen vermocht. Ein Pfeil bohrte sich vor ihm in den weichen Grund. Coconino ging zum Angriff über! Luke sah die Rothaut nicht, ahnte sie aber in seiner Nähe. Er schnüffelte. Keine Ausdünstung eines Menschen, dessen Kleidung den Geruch von Holzrauch und ranzigem Fett angenommen hatte.

Luke rann der Schweiß über Gesicht und Nacken. Er hielt den Atem an. Wo war der Aravaipa? Schlich er heran? Lauerte er im Busch? Oder war er gar schon in seiner unmittelbaren Nähe?

Er war es.

Bevor Bonnart ein Glied rühren konnte, bekam er den beißenden Geruch von Schweiß, Fett und Feuerrauch in die Nase, etwas Schweres, Massiges und doch Bewegliches fiel auf ihn und drückte ihn in den weichen Untergrund.

Verzweifelt versuchte Luke sich von der Last des fremden Körpers zu befreien. Vergeblich.

*

Während der Nacht erwachte Joan Hamilton. Ein keuchender Laut hatte sie gestört.

Schwaches Mondlicht drang durch das lückenhafte Blätterdach und tauchte das Innere des Jacale in ein Gewebe von Licht und Schatten.

Wieder ein schnaufender Ton. Joan schlug die Decke zurück und stand auf. Mit einer heftigen Gebärde raffte sie das dünne Hemd über der Brust zusammen. Vor dem Lager ihres Mannes ging sie in die Hocke.

Rus stöhnte und murmelte unverständliche Worte im Schlaf. Schlaf? Hatte er etwa Fieber? Sie legte ihre kalte Hand auf seine heiße Stirn und zog sie schnell wieder zurück. Wundfieber, und ziemlich hoch.

Die Berührung ließ Rus erwachen. Er drehte den Kopf, bis er Joan sehen konnte.

»Warum – schläfst du – nicht, Liebes?«

»Du hast gestöhnt. Fühlst du dich nicht wohl?«

Rus Hamiltons Gedanken verschwammen wie in einem unruhigen See. Er konnte sich nicht konzentrieren. Was war eigentlich gewesen? Jemand hatte auf ihn geschossen. Er fühlte den Schmerz in der Brust, das stechende Bohren und den entsetzlichen Juckreiz auf dem Rücken, wo die Kugel ausgetreten war. Da war die Hand wieder, die kühle Hand seiner Frau, die sich erneut auf seine glühende Stirn legte.

Mit der Berührung drang auch das Bewusstsein in ihn ein, dass er schwer verwundet war und hilflos einem Schicksal ausgeliefert, das sich in der Gestalt Larry Hagmans manifestierte. Er sah das Gesicht vor sich. Das boshafte Grinsen auf Larrys Zügen, die lückenhaften Zähne und das schüttere Haar störten ihn. Er wollte sich aufrichten, den Albtraum von sich abschütteln, aber kraftlos sank er auf das Lager zurück und schloss in stiller Verzweiflung die Augen.

»Joan, wo sind sie?«

Sie wusste, wen er meinte. Sie antwortete: »In ihren Hütten. Ich mache dir einen Tee«, fuhr sie fort und stand auf.

»Nein! Bitte, bleib hier, ich muss mit dir reden.«

»Ich bin doch hier, Rus. Soll ich Luke Bonnart rufen?«

»Luke …? Du hältst wohl viel von ihm?«

»So meine ich das nicht, Rus. Luke versteht etwas von Wunden und wird dir helfen.«

»Doch, doch, du wirst dich Luke anvertrauen, wenn …« Er brach ab und verschluckte sich an seinem eigenen Speichel. Er hustete. Ein Krampf schüttelte seinen Körper. Die Brustwunde brach auf, Blut trat hervor und nässte den Verband.

Die Decke war bei dem Hustenkrampf von seinem Körper geglitten. Ein Lichtstrahl fiel durch das Blätterdach und traf den Verband. Blut tropfte auf das weiße Laken, das das primitive Krankenlager überspannte.

Joan schrie auf und rang die Hände.

»Ich hole Luke«, sagte sie schrill. »Er wird dich neu verbinden und die Blutung zum Stillstand bringen.«

Bevor Rus antworten konnte, war sie fort. Einem Geist gleich rannte sie barfuß zur Nachbarhütte. Ihr wurde in ihrer Angst nicht einmal bewusst, dass sie nur das dünne Nachthemd am Körper trug, das ihre Körperformen mehr hervorhob als verdeckte.

Die großen Western Classic 9

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