Читать книгу Die großen Western 113 - Robert Ullmann - Страница 3

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Sheriff Howard Costontino wanderte über die Gehsteige durch den Herbstnebel, der so dicht war, dass man kaum zwei Schritt weit sehen konnte.

Es mochte noch eine Stunde dauern, ehe die Nacht über Trail City hereinbrach, aber an vielen Stellen brannten schon Lichter.

Sheriff Howard Costontino war ein Mann mit einem Gesicht wie aus Erde. Er trug den Stern des Gesetzes auf der linken Seite seiner Weste, die von einer grauen Cordjacke verdeckt war. Auf den ersten Blick hätte man ihn für einen jener schwerfälligen Siedler halten können, die am Ufer des Crazy Woman Creek wohnten. Wenn man aber genauer hinsah, konnte man nicht übersehen, dass die Bewegungen dieses Mannes alles andere als schwerfällig waren. Sheriff Howard Costontino trug unter der Jacke einen Revolver, und jeder im Crazy Woman Valley wusste, dass er damit umzugehen verstand.

Unter einer Laterne blieb er stehen. Während er eine Zigarette drehte, lauschte er dem Lärm, der aus den drei Saloons der Stadt drang.

Irgendwo aus dem Nebel hallten sporenklirrende Schritte und grölendes Gelächter zu ihm herüber. Hammerschläge hallten dumpf gegen eine Holzwand. Er hörte Reiter in die Stadt kommen, sah die schwimmenden Umrisse ihrer Gestalten kurz aus dem Nebel auftauchen und wieder verschwinden.

Bedächtig zog Sheriff Costontino den würzigen Rauch ein und verstaute das Rauchzeug wieder in die Tasche. Er griff in die Hemdtasche, entfaltete ein Telegramm, studierte den Text zum hundertsten Male und steckte es wieder ein.

Da hatte also einer in Rawlins die Bank überfallen, einen Kassierer erschossen und sechstausend Dollar abgehoben, die ihm nicht gehörten.

Und dieser Mann, der als groß, blond und grauäugig beschrieben wurde, sprach texanischen Dialekt und hatte eine Narbe im Gesicht.

Costontino spuckte in den Nebel. Was die sich in Rawlins dachten. Morgen war in Trail City Rodeo, und kein Reiter im Umkreis von hundert Meilen würde versäumen, hierherzukommen. Sei es, um die begehrten Preise zu gewinnen oder auf andere Art an Geld zu kommen. Diese Beschreibung passte auf Millionen Amerikaner, und man verlangte von ihm, dass er den Mann herausfand – wenn er überhaupt hierherkam.

Costontino ging weiter und knurrte missmutig. Das ganze Jahr über war es in Trail City still. In dieser Zeit kam man sich als Sheriff so überflüssig vor wie ein Komiker bei einer Beerdigung. Dann aber, wenn das Herbst-Round-up beendet war, schien es, als sollte alles, was sonst in einer normalen Stadt passierte, nun auf eine Woche konzentriert werden. In diesen sieben Tagen war Trail City die Hölle, und Costontino kam nicht mehr aus den Stiefeln.

Welcher Teufel hatte ihn geritten, diesen Job anzunehmen, statt sich irgendwo als Small-Rancher niederzulassen und in Ruhe eine Existenz aufzubauen! Aber fünf Jahre bestand die Stadt, und fünf Jahre trug er den Stern.

Aus dem Nebel tauchte ein Reiter auf, der aus dem Sattel stieg, sein Pferd anband und auf den Gehsteig trat.

Otis Kerrigan war ein Hüne mit braun gebranntem Gesicht und kühlen grauen Augen. Er trug Levis-Hosen, ein gelbes Kattunhemd und einen breitrandigen Hut. Tief unter der Gürtelschnalle lag ein schwarzer Büffelledergurt, wie man sie in Texas zu tragen pflegte.

Costontino grinste Kerrigan an.

Seit zwei Jahren war Otis Kerrigan Vormann der Double-X-Ranch. Und seitdem gab es keinen ersten Preis mehr beim Rodeo, der nicht von ihm erkämpft worden war.

Ein prächtiger Bursche, dachte Costontino. Stark wie ein Bison, geschmeidig wie ein Puma und schnell wie ein Windhund. Otis Kerrigans Vergangenheit lag in undurchdringliches Dunkel gehüllt. Niemand wusste mehr, als dass er aus Texas kam und einen Revolver trug, den er jedes Mal, wenn es Händel gab, ablegte.

»Ich habe mir schon gedacht, dass du Jim suchst, Otis. Er ist drüben bei Hartley und füttert ein halbes Dutzend Dunkelmänner mit seinen Dollars.«

»Danke, Sheriff. Ist Jim betrunken?«

Costontino lächelte.

»Ich habe ihn hier noch nie nüchtern gesehen. Ich bin mal gespannt, was die Kartenhaie von ihm übrig gelassen haben. Es ist jedes Jahr dasselbe. Schon seit drei Jahren will er seiner Sally das Pariser Modellkleid kaufen, und jedes Mal haut er die Bucks gleich am ersten Tag auf den Kopf.«

»Seine Sache«, erklärte Kerrigan gleichmütig.

Gemeinsam überquerten sie die Straße und suchten die helle Doppellaterne von Rich Hartleys Spielsaloon.

Sie mussten plötzlich aus dem Nebel auftauchenden Wagen und Reitern ausweichen und stießen auf dem Gehsteig mit Männern zusammen. Aus Hartleys Spielsaloon dröhnten das Orchestrion und raue Männerstimmen.

»Sag mal, Otis«, meinte Costontino beiläufig, »wirst du diesmal auch nicht am Revolverschießen teilnehmen?«

»Nein«, antwortete Otis knapp und blickte den Sheriff an. »Warum fragst du?«

Costontino erwiderte den Blick.

»Nicht aus Neugier. Neugierig sind die anderen. Die Neugier der Menschen ist wie ein gefräßiges Tier. Sie muss gefüttert werden. Du bist der Rodeochampion, Otis. Alle Wettbewerbe hast du gewonnen. Die Leute haben aber bereits mehr Wetten darauf abgeschlossen, ob du diesmal schießen wirst, als auf die anderen Kämpfe. Wenn du diesmal auch nicht mitmachst, beginnen sie nachzudenken. Und dabei kommt nicht gerade viel heraus. Ich meine, deine Weigerung hat bestimmt einen Grund.«

Otis blieb stehen. Auf seiner Stirn bildeten sich zwei steile Falten.

»Der geht nur mich etwas an, Howe.«

»Sicher. Aber das hat einen Haken. Du willst vielleicht etwas vermeiden, was du gerade durch deine Weigerung herbeiführst.«

Otis trat ganz nahe auf Costontino zu. »Sag, was meinst du, Howe.«

»Otis, du trägst ihn so, dass selbst einer mit einem Glasauge sehen kann, dass dieser Colt für dich mehr als nur ein Revolver ist.«

»Was willst du damit sagen?«

»Gar nichts, denn es ist deine Sache. Du weißt, dass man hier nicht viel danach fragt, woher ein Mann kommt. Aber wenn du diesmal nicht am Schießen teilnimmst, wird man dich für einen Revolvermann halten, der aus irgendeinem Grunde keine Lust mehr an seinem Job hat. Reg dich nicht auf, Otis. Ich sage nur, was die Leute schwatzen und was daraus entstehen kann. Keine Macht der Welt kann verhindern, dass dieses Gerücht entsteht und wie ein Brand über die Weide geht. Eines Tages werden Männer kommen, die feststellen wollen, was an dem Gerücht dran ist. Und dann – fürchte ich – musst du schießen.«

Die Augen des Texaners waren ruhig auf den Sheriff gerichtet. Langsam sagte er: »So ist das also.«

Costontino nickte schwer. »Otis, so ist das.«

»Ich bin kein Revolvermann, Howe. Ich war auch niemals einer.«

»Glaube dir aufs Wort. Aber es ist nun mal so, wenn man den anderen nicht auf Schritt und Tritt beweist, dass man ein völlig normaler Sterblicher ist, suchen sie sich von zwei Möglichkeiten immer die aufregendste aus.«

»Ich werde trotzdem nicht schießen«, sagte Kerrigan und ging weiter.

Costontino folgte ihm und begann, eine Zigarette zu drehen. Die Doppellaterne des Spielsaloons tauchte aus dem Nebel auf.

Dicht vor der Schwingtür drehte Ker­rigan den Kopf.

»Vielleicht werde ich dir eines Tages sagen, warum ich jedes Schießeisen hasse und trotzdem eins trage.«

Kein Muskel regte sich im Gesicht des Texaners, als er das sagte. Ein Gefühl der Beklemmung kroch in Costontino hoch, als er Kerrigan in den hellerleuchteten Saloon folgte.

Sämtliche Tische waren besetzt. Dazwischen standen Neugierige mit Gläsern in der Hand. Die Theke war von einem Rudel Trailreiter belagert, denen man ansah, dass sie schon die Dollars der Rodeo-Preise in ihren Taschen klimpern hörten.

In den kleinen Logen, die man über drei Stufen erreichte, saßen Rancher und Viehaufkäufer und feilschten um Rinderpreise.

Die hohe Gestalt des Texaners zog sofort alle Blicke auf sich. Der Sheriff in seinem Schatten wurde gar nicht beachtet. Er grübelte immer noch über die knapp hervorgestoßenen Worte nach. Costontino wusste in diesem Augenblick ganz genau, dass Kerrigan auch den Revolver- und Gewehrwettbewerb gewinnen würde, wenn er wollte.

Jim Sainer saß in einer Ecke mit dem Rücken zur Wand. Er war ein junger Bursche mit einem Gesicht, in dem mehr Sommersprossen als Poren waren. Sein Haar war feuerrot. Er hatte die Hemdsärmel hochgeschlagen und starrte mit entzündeten Augen auf die Karten in seiner Hand. Vor ihm stand eine fast geleerte Flasche. Er spielte mit zwei vornehm gekleideten Männern, deren ausdruckslose Pokergesichter alles aussagten, was man über sie wissen wollte. Auf dem Tisch lag ein Berg Banknoten und Münzen. Hinter einem der Spieler blieb Otis Kerrigan stehen.

Jim war am Ende. Er hielt den letzten Einsatz, schob eine Dollarnote, seine letzte, zur Mitte und deckte auf.

Der Pokerspieler hatte vier Asse, Jim drei Könige und zwei Damen.

Jim hieb auf den Tisch, setzte die Flasche an den Hals und warf sie dann in die Ecke, wo sie zerbarst.

»Soll euch der Satan holen«, fluchte er und wollte aufstehen. In diesem Augenblick bemerkte er Kerrigan. Sein rotes Gesicht verklärte sich. Er warf beide Arme hoch.

»Heh, Boss! Ich bin pleite! Alles weg! Sie haben mir das Fell über die Ohren gezogen. Dabei hatte ich schon dreihundert Dollar gewonnen. Verdammt, hol euch der Satan! Jim Sainer ist im Eimer. Und, verdammt, Sallys Kleid auch.«

Vielleicht wäre Otis jetzt mit Jim zu den Pferden hinausgegangen, aber da wandte sich einer der Spieler auf dem Stuhl um, blickte zu Kerrigan hoch und sagte voll Ironie: »Ah, Sie sind Mr Ker­rigan. Jim hat mir so viel Großartiges von Ihnen erzählt, dass ich zwanzig Dollar auf Sie gesetzt habe. Wie wäre es mit einem Spielchen? Ein Mann wie Sie müsste doch auch ein guter Pokerspieler sein.«

Jim nickte begeistert.

In seinem von Alkohol benebelten Kopf dachte er mit keinem Gedanken daran, dass Otis Kerrigan, solange er hier war, noch nie eine Karte in die Hand genommen hatte.

Kerrigan warf einen kurzen Blick in das Gesicht des Spielers und auf den Banknotenberg, der vor ihm lag. Zorn stieg plötzlich in ihm hoch. An diesem Geld dort klebte für jeden Cent der Schweiß dieses leichtsinnigen Jungen. Er wusste genau, dass Jim nicht gut pokern konnte, aber Jim hatte immer unverschämtes Glück, sobald er eine Karte in die Hand nahm. Wenn er mit den anderen Boys der Mannschaft spielte, gewann er immer.

Als Otis in das kalte Gesicht des Spielers schaute, fiel ihm ein, dass Jim noch vor einigen Tagen in eine Stampede geraten und um sein nacktes Leben geritten war. Für sechzig Dollar im Monat saß er sechzehn Stunden täglich im Sattel, schluckte Staub und schwitzte, schlug sich mit Pumas und diebischen Indianern herum und riskierte jeden Tag sein Leben.

Und dort lag nun sein Lohn für vier Wochen harte Arbeit. Zweihundertsechzig Dollar, davon zweihundert Dollar Round-up-Prämie für die meisten gebrannten Rinder.

»Du bist ein verdammter Narr«, knurrte Otis. »Los, komm mit!«

»Es ist mein Geld, verdammt!«, maulte Jim.

»Ja, es ist dein Geld, du Idiot! Du schuftest nur, damit sich Kartenhaie an dir mästen können.«

Der Spieler wollte hochfahren, aber die Faust des Texaners drückte ihn auf den Stuhl zurück.

»Das ist denn doch ein bisschen viel«, knurrte der Spieler, der Jim ausgezogen hatte.

»Stimmt es nicht, dass du davon lebst, naiven Jungen das Geld aus der Tasche zu ziehen?«

»Jeder hat den Beruf, der zu ihm passt, Mister. Wir zwingen niemand, und wir riskieren ebenso unser Geld, wie …«

»All right. Spielen wir. Jim, du gehst jetzt zu Mrs Hartley in die Küche und trinkst schwarzen Kaffee, verstanden? Dann kommst du hierher zurück. Und wenn du dann nicht nüchtern bist, hörst du die Engel im Himmel jubilieren.«

Jim Sainer knurrte und warf dem Sheriff einen wütenden Blick zu, aber er ging zur Küche, und er würde Kaffee trinken. Noch nie hatte Costontino erlebt, dass sich einer gegen Kerrigans Willen auflehnte.

Kerrigan setzte sich auf Jims Stuhl und begann zu spielen. Im selben Augenblick ging eine merkwürdige Veränderung mit ihm vor. Sein Gesicht wurde ausdruckslos und starr. Selbst seine Augen bewegten sich kaum, und die Art, wie er die Karten an den Ecken anhob, bewies, dass er nicht zum ersten Mal pokerte.

Kerrigan verlor das erste Spiel und auch das zweite. Der Spieler wusste, dass er einen ebenbürtigen Gegner vor sich hatte. Er versuchte gar nicht erst den Trick, ihn zuerst gewinnen zu lassen, um ihn leichtsinnig zu machen. Kerrigan verlor auch die nächsten vier Spiele. Um die Mundwinkel des Spielers kräuselte sich überhebliches Lächeln.

Aber dieses Lächeln fror beim siebten Spiel ein. Kerrigan trieb den Einsatz hoch, bis zweihundert Dollar auf dem Tisch lagen. Er hatte bei allen vorherigen Spielen aufgedeckt und nun die Taktik des Spielers erkannt. Bald lagen dreihundert, dann vierhundert Dollar auf dem Tisch. Eiskalt erhöhte Kerrigan um weitere hundert Dollar. Der Spieler musste die Reserve in seiner Brieftasche angreifen. Man sah, dass er gewinnen musste, denn seine Brieftasche war dünn. Auch Kerrigan legte sie auf den Tisch und blätterte aus einem dicken Bündel Banknoten seine Fünfzigdollarnote auf den Tisch. Die Spieler warfen sich einen raschen Blick zu.

Schließlich gab der Spieler auf und legte die Karten hin. Er hatte vier Könige. Langsam drehte Kerrigan sein Blatt um. Vier Asse.

Dem Spieler brach der Schweiß aus, als Kerrigan kassierte. Er legte zweihundert Dollar zur Seite.

»Gib«, forderte er den Spieler auf.

Auch das nächste Spiel ging an Ker­rigan. Er gewann dreihundert Dollar, und der Spieler war am Ende.

»Haben Sie was dagegen, das Spiel mit mir fortzusetzen?«, fragte der zweite Spieler, ein kleiner, dürrer Mensch mit ungesunder Gesichtsfarbe. Aber dieser äußere Eindruck täuschte nicht darüber hinweg, dass dieser Mann mit dem Geierkopf ein Spieler von Format war, der es seinem Kollegen überließ, die kleinen Fische zu fangen, während er nur den großen nachjagte.

Kerrigan war ein großer Fisch. Und nicht nur das. Das Spiel war zu einem Duell zwischen ihm und den Berufsspielern geworden. Für die Spieler ging es nicht nur um das an Kerrigan verlorene Geld, sondern vor allem um ihr Renommee, nicht von einem Rindermann ausgenommen worden zu sein. Für die vielen Männer, die sich um den Spieltisch drängten, ging es aber um ganz etwas anderes. Otis Kerrigan, der Mann, der jedes Jahr gegen eine immer größer werdende Konkurrenz kämpfte, den man nie betrunken sah, der nie eine Karte anfasste und sich hartnäckig weigerte, an Schießwettbewerben teilzunehmen, dieser Otis Kerrigan aus Texas pokerte mit zwei Berufsspielern.

Der Spieler mit dem spitzen Adamsapfel gab. Er gab mit einer derart phänomenalen Geschicklichkeit, dass man keiner seiner Bewegungen folgen konnte. Der Mann wusste, dass diese Geschicklichkeit im Geben allein eine Demonstration war, die jeden normalen Pokerspieles warnte und ein Gefühl der Unterlegenheit erzeugte.

Kerrigan hob die Ecke seiner Karten auf.

»Ich bin komplett«, sagte er, und der Spieler lächelte unmerklich.

Sheriff Costontino schluckte. Er begann an Kerrigans Fähigkeiten zu zweifeln. Dieser Bluff war zu offensichtlich. Der Gambler tauschte eine Karte aus, und Kerrigan bot an. Der Gambler ging mit und erhöhte. Kerrigan hielt und erhöhte. Als sechshundert Dollar auf dem Tisch lagen, legte der Gambler die Karten zusammen, faltete die Hände, und verlangte, die Karten zu sehen.

Alles hielt den Atem an. Von den Nebentischen erhoben sich die Männer und blickten über die Schultern auf den Tisch.

Der Gambler deckte vier Damen auf.

Kerrigan hatte einen Royal Flash und gewann den Einsatz.

Wieder gab der Spieler.

Bei der vierten Karte fuhr plötzlich Kerrigans Faust über den Tisch und umklammerte die Hand, die das Kartenspiel hielt. Mit der anderen fasste er das Gelenk der gebenden Hand und presste sie auf den Tisch.

Dem Spieler wich alles Blut aus dem Gesicht. Die Fäuste des Texaners griffen so hart zu, dass der Mann laut stöhnte. Dies war der einzige Laut in der plötzlich eintretenden Stille.

»Sheriff, sieh dir das an«, hörte man Kerrigan ruhig sagen.

Costontino beugte sich vor und betrachtete die knochigen Hände des Spielers, aus denen die Fäuste Kerrigans jeden Blutstropfen pressten.

Die unterste Karte schaute um ein Viertel unter dem Spiel hervor, sie war vom kleinen Finger vorgeschoben worden. Daumen und Zeigefinger der gebenden Hand hielten den Rand dieser Karte noch fest. Diese Karte hätte der Gambler sich selbst gegeben.

»Von unten gegeben«, knurrte Costontino, der in diesem Augenblick wusste, dass er nie begreifen würde, wie Otis es fertigbrachte, so blitzschnell zuzufassen. Es konnte nicht anders sein, als dass Otis Kerrigan nicht nur jede noch so schnelle Bewegung des Spielers genau erfasste, sondern dass er auch haargenau ausgerechnet hatte, wann er zugreifen musste, um den Mann so eindeutig zu überführen.

Die Lippen des Spielers begannen zu zittern, seine Augen hetzten über das harte Gesicht Kerrigans und flackerten hoch zu den Augen des Sheriffs. Der zweite Spieler saß wie zur Salzsäule erstarrt daneben und wagte sich nicht zu rühren. Aus dem Hintergrund tönte drohendes Gemurmel. Jemand sprach von Aufhängen.

Costontino sagte: »Lass ihn los, Otis, du quetschst ihm die Hände ab. Lege die Karte um.«

Kerrigan, dessen Karten von oben gekommen waren, hatte gar keinen Wert. Die des Spielers waren eine Sequenz, die höchste, die es im Poker gab. Kreuz-Ass, die Zehn, der König und die Dame. Der Bube hatte ihm das Genick gebrochen.

»Steh auf und hebe die Hände!«, befahl Costontino. Der Spieler trug einen doppelläufigen Derringer in einer Achselschlinge. Als der Sheriff seinen rechten Jackenärmel hochschlug und eine raffiniert konstruierte Stahlfeder sichtbar wurde, die um den Unterarm gelegt war und einen zweiten Derringer hielt, begannen die Männer zu knurren.

Ein Faustschlag traf den Spieler auf den Mund. Ein Tritt ließ ihn stöhnend zusammenbrechen. Der Sheriff hob ihn auf und schrie: »Zurück, Boys! Wer den Mann anrührt, bekommt es mit mir zu tun. Macht Platz. Sie, Mann«, redete er den zweiten Spieler an, »haben zehn Minuten Zeit, die Stadt zu verlassen. Wenn ich Sie nach dieser Frist noch hier antreffe, geht es Ihnen schlecht. Ihr lasst den Mann in Frieden, verstanden?«

Costontino brachte den verhafteten Spieler hinaus. Die johlenden Männer wollten ihm folgen, und Kerrigan wusste genau, was das bedeutete.

»Stopp!«, rief er, und die Männer drehten sich langsam um. »Das ist nicht eure Sache. Es ist eure Schuld, wenn es diese Hyänen überhaupt gibt. Spielt nicht mit ihnen, dann werden sie sich andere Dumme suchen. Jim, hier, nimm dein Geld und jetzt komm mit.«

Es konnte nicht der Kaffee allein gewesen sein, der Jim Sainer nüchtern gemacht hatte. Verlegen trat der Rotschopf von einem Bein aufs andere, nahm sein Geld entgegen und knurrte etwas in sich hinein.

Draußen blieb Kerrigan im Nebel stehen und musterte den Cowboy, der wie eine Ginquelle duftete.

»Du hast zehn Minuten Zeit, Jim. Leders Store ist noch geöffnet. Sally ist etwas molliger geworden. Hoffentlich passt ihr das Kleid noch.«

Da verzerrte sich das Gesicht des Jungen zu einem breiten Grinsen. Er hieb Otis die Faust auf die Schulter, stieß einen wilden Schrei aus und stürmte in den Nebel.

Wenig später kam der Spieler, der Jim das Geld abgewonnen hatte, heraus. Er warf Kerrigan einen hasserfüllten Blick zu, bestieg sein Pferd und verschwand.

*

Vor der Tür des Sheriffbüros stand ein fremder Reiter, der auf Costontino gewartet zu haben schien. Er griff grüßend an den Hutrand.

»Hallo, Sheriff, mein Name ist Lacy McCollough«, sagte er. »Ich möchte Sie sprechen.«

Costontino nickte kurz und wollte mit einer auffordernden Handbewegung an ihm vorbei auf seine verschlossene Tür zugehen. Der kleine Spieler stand in Handschellen neben ihm. Aber etwas in den Augen des hünenhaften Reiters hielt Costontino zurück. Mit raschem Blick musterte er den Mann, tastete alles ab, was an ihm von Bedeutung war.

Der Texaner war so groß wie Otis Kerrigan. Überhaupt erinnerte Costontino vieles an ihn, an den Vormann der Double-X-Ranch. Da waren die gleichen kühnen, ruhigen Augen, der gleiche Ausdruck des hartlippigen Mundes und der Ausdruck der Wachsamkeit und des Misstrauens.

Unter dem fadenscheinigen grauen Kattunhemd spannten sich Muskelpartien. Aber eines zog den Blick des Sheriffs mit magischer Gewalt an – der Waffengurt des Fremden. Es war der gleiche schwarze geölte Büffelgurt, den auch Kerrigan trug. Aus dem Halfter ragte der Kolben eines schweren Colts. Der Kolben berührte den herunterhängenden Arm des Texaners genau zwischen Ellenbogen und Handgelenk. Der Fremde trug staubige Handschuhe. Seine Kleidung war mit dem rotbraunen Staub der Ralstonwüste bedeckt.

Er schloss die Tür auf und stieß den Falschspieler hinein. Draußen entzündete er eine Lampe.

»Augenblick, Mr McCullough, ich muss erst diesen Galgenvogel einsperren.«

Als er zurückkam, stand der Fremde am Fenster und blickte hinaus in den milchigen Nebel. Costontino stellte die Lampe auf den Schreibtisch, stützte beide Ellbogen auf die Tischplatte und blickte hoch.

»Bitte, ich stehe zur Verfügung.«

Der Fremde drehte sich um.

»Man sagte mir, dass Sie die Liste der Wettkampfteilnehmer führen.«

»Das stimmt. Möchten Sie eingetragen werden?«

»Ich bitte darum.«

Costontino holte die Liste aus der Schublade und tauchte umständlich einen Federhalter in Tinte.

»Bitte, setzen Sie sich, Mr McCullough. Sie sind der hundertelfte. Ho, das ist einen Drink wert! Im Waffenschrank sind Flasche und Gläser. Welche Wettkämpfe nehmen Sie?«

McCullough nahm die Flasche und zwei Gläser aus dem Waffenschrank.

Er sagte: »Alle, außer Schießen!« Costontino starrte den breiten Rücken des Texaners an.

»Außer Schießen?«, fragte er langsam. »Warum?«

Lacy McCullough sah ihn ruhig an, schenkte die Gläser ein und schob eins zum Sheriff hinüber, der die Zigarette hinlegte und das Glas hob.

Schweigend tranken sie, dann reichte der Fremde dem Sheriff Feuer. Durch die Ramme blickten sie sich an.

Jetzt erst antwortete der Texaner.

»Ich habe genug geschossen, Sheriff.« Costontino überlegte. Hatte er diese Worte nicht schon einmal gehört?

Der Fremde drehte das Glas zwischen den Fingern und betrachtete den Rest des blutroten Whiskys. Dann stellte er das Glas hin.

»Wo kann man hier ein Zimmer bekommen?«

»Das wird schwer sein. Haben Sie schon gefragt?«

Der Fremde nickte. »Die wenigen Hotels sind belegt. Ich meine, privat.«

»Auch das wird aussichtslos sein. Sie können im Gefängnis schlafen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Das heißt, solange eine Pritsche frei ist. Ich habe in solchen Tagen immer viel zu tun, und jedes Jahr ist das Jail brechend voll. Vielleicht haben Sie Glück.«

Der Fremde lächelte freundlich.

»Es ist nicht das erste Mal, dass ich im Jail schlafe, Sheriff. Keine Sorge, wenn ich in einer Zelle landete, dann nur für einige Tage. In Texas ist die Luft so trocken, wie der Whisky feucht ist.«

Costontino lächelte.

»Verstehe. Ich mache gegen Mitternacht meinen letzten Rundgang und lege mich dann aufs Ohr.«

»Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich mich gleich hinlegen. Ich habe einen weiten Ritt hinter mir und bin sehr müde.«

Costontino erhob sich.

»Wie Sie wollen. Ich fürchte, dass man versuchen wird, den Falschspieler da drinnen zu lynchen. Eine Frage. Suchen Sie einen Job? Ich könnte einen Hilfssheriff gebrauchen.«

»Ich suche einen Job als Reiter, Sheriff. Der Stern ist nicht das Richtige. Verstehen Sie mich nicht falsch …«

»Nein, natürlich nicht«, wehrte Costontino ab. Er dachte daran, dass der Fremde »genug geschossen hatte«. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo Sie Ihr Pferd unterbringen können.«

Nachdem McCullough seinen schwarzen Hengst versorgt hatte, begleitete ihn der Sheriff ins Gefängnis. Von dem Office führte eine Gittertür in einen Stahlkäfig, in dem Gitterzellen angebracht waren. Vom Schreibtisch aus hatte man einen guten Überblick über alle Zellen.

Der Falschspieler hockte mit angezogenen Beine auf seiner Pritsche und sagte kein Wort.

Costontino öffnete die dem Gefangenen gegenüberliegende Zellentür, und der Fremde legte Sattel und Bettrolle auf den Boden.

»Nicht sehr bequem, aber dafür kostet es auch nichts«, lächelte der Sheriff. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich die Tür verschließe? Leider besitze ich keinen zweiten Schlüssel. Wenn Sie etwas brauchen, ich schaue jede Stunde einmal herein.«

»Schon gut. Vielen Dank, Sheriff. Sie sind der Hausherr. Verschließen Sie nur.«

»Wenn Sie noch lesen möchten, stelle ich Ihnen eine Lampe rein. Ich habe einige Magazine da.«

Der Fremde lachte.

»Wenn ich weiterreite, werde ich allen Banditen des Westens dieses Jail aufs Wärmste empfehlen. Nein danke, Sheriff, ich lege mich gleich hin. Ich bin müde wie ein Hund.«

»All right. Kommen Sie von weit her?«

»Von Las Vegas.«

»Was? Quer durch die Wüste? Ist Trail City Ihr Ziel gewesen?«

»Ich brauche Geld. Ich hörte, dass es hier von allen Rodeos in Nevada die höchsten Preise gibt. Ich bin kein Rodeospezialist, Sheriff. Ich habe ganz einfach Pech gehabt und brauche Geld.«

»Die höchsten Preise gibt es im Revolver- und Gewehrschießen«, warf Costontino ein.

Sofort wurde das Gesicht des Fremden abweisend. Er legt sich aufs Lager, streckte die Beine aus, verschränkte die Arme unterm Kopf, starrte gegen die weiß getünchte Decke und sagte: »Gute Nacht, Sheriff.«

»Gute Nacht.«

Howard Costontino setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er wollte die Personalien des Falschspielers aufnehmen, einen Bericht schreiben und ihn zur Western Union bringen. Aber er stützte den Kopf in die Hände und starrte gedankenverloren vor sich hin. Er hatte das Gefühl, dass irgendetwas in der Luft lag. Costontino gab nicht viel auf Gefühle, aber ebenso gut wusste er auch, dass sie ihn bisher selten getrogen hatten. Er ertappte sich dabei, wie er immer wieder durch die Gittertür zum Lager des Fremden starrte, der sich mit dem Gesicht zur Wand gedreht hatte und eingeschlafen war. Immer wieder hatte er den großen Revolver vor Augen, den der Fremde selbst im Schlaf nicht ablegte.

Die Worte »Ich habe genug geschossen« machten ihn nachdenklich. Wer war dieser Mann, der mit seinem Revolver ins Bett ging und damit nicht schießen wollte? Ihm fiel Otis Kerrigan wieder ein. Er verglich diese beiden Männer miteinander. Ob Otis auch mit seinem Revolver ins Bett ging? Beide kamen aus Texas, trugen schwarze Waffengurte und alte, große, schwere Revolver, deren Läufe durch die Halfterböden ragten. Beide hatten sandblondes Haar, waren Riesen von Gestalt, muskelbepackt und hatten denselben Ausdruck in den Augen.

Ob da ein Zusammenhang bestand? Durchquerte ein Mann wirklich die Hölle der Ralstonwüste, nur um ein paar hundert Dollar im Calf-Roping, im Bronco-Busting oder Pferderennen zu gewinnen?

Er warf einen Blick auf die Liste.

Lacy McCullough.

Neben der Liste stand die Flasche. Eigentlich trank Costontino wenig. Diesmal hatte er Durst. Er schenkte sein Glas voll und trank. Der Lärm der menschengefüllten Stadt drang in den Raum. Der feuchte Nebel hatte einen faden Modergeruch, der auch hier zu spüren war.

Morgen würde der Sonnenschein die Schwaden rasch auflösen.

Der Gedanke, dass morgen und in den folgenden Tagen Otis Kerrigan auf seinen Landsmann Lacy McCullough treffen würde, bereitete ihm unverständlicherweise Unbehagen. Seltsam, dass er mit keinem Gedanken an Tom Shawn dachte.

Bevor Kerrigan hier auftauchte und Vormann der Double-X-Ranch wurde, waren die Wettkämpfe des Rodeo hauptsächlich ein Kampf zwischen den Mannschaften der Domino-Six und der Double-X gewesen. Beide Mannschaften verstanden ihr Handwerk. Immer war es unentschieden ausgegangen. Mit Kerrigan wurde das anders. Er war ein Kämpfer, der jedes Pferd brach und jeden Stier mit bloßen Fäusten auf den Rücken warf.

Unter seiner Leitung geschahen Dinge, die vorher unmöglich erschienen. Kerrigan legte einen großen See an, in den er den Crazy Woman Creek leitete. Und von diesem See aus zog er meilenlange Wassergräben in das staubige Sageland. Dort, wo vor zwei Jahren nur Staub war, stand heute das Gras kniehoch. Kerrigan spaltete die große Mannschaft in kleine Gruppen auf, die er überall am Rande der Weide in Hütten unterbrachte. So verhinderte er, dass sich allzu viel Vieh in die Berge verlief und in den Schluchten verlor, wie es schon seit Jahren der Fall war.

Kerrigan führte eine Brändemethode ein, die viel besser funktionierte als die alte. Kerrigan wurde für den Rancher Wade Denson unentbehrlich. Denson sagte heute schon, dass er sich seine Ranch ohne den schweigsamen Texaner nicht vorstellen konnte. Denson hatte keinen Sohn, keine Nachkommen. Kerrigan wusste, dass ihm der Rancher den großen Besitz vielleicht einmal vererben würde. Es mochte sein, dass er wohl deshalb zu Denson und nicht zu Bret Stein gegangen war. Stein hatte eine Tochter. Patricia, die alle nur kurz Pat nannten, war ein wildes Mädel, das den größten Teil ihres Lebens im Sattel und an Lagerfeuern zwischen Reitern verbrachte.

Pat war es, die aus Goldfield Tom Shawn mitbrachte, damit er Otis Kerrigan im Rodeo besiegte. Tom Shawn gefiel Costontino gar nicht, obschon er ihm nicht den geringsten Grund zur Sorge gab. Shawn war ein ruhiger Mann mit einem starken Willen. Aber es gefiel Costontino nicht, dass er zwei Revolver trug und manchmal seine Pferde misshandelte.

Die Jungens der Mannschaft arbeiteten nur widerwillig unter ihm, das hatte er schon gemerkt. Und wenn sie jeden Monat in die Stadt kamen, um das Wochenende damit zu verbringen, die Whiskybestände der Saloons zu dezimieren, so sonderten sie sich immer von Shawn ab. Und Shawn schien das nicht unangenehm zu sein.

Er hatte den seltsamen Mann immer nur allein auf der Weide angetroffen, finster vor sich hinbrütend, oder er war in Begleitung des Mädels. Bei ihr spielte er den Gentleman altmexikanischer Schule, machte ihr Komplimente, über die sie lachte, und stritt mit ihr in wohlgesetzten Worten, wie man sie nur von einem Rechtsanwalt hörte.

Dieser Tom Shawn hatte also die Aufgabe, Otis Kerrigan zu schlagen. Shawn wusste, dass Pat auf ihn gesetzt hatte.

Das war gar nicht so weit hergeholt, denn was Kerrigan an Muskelkraft besaß, glich Shawn durch Geschmeidigkeit aus.

Ein Blick auf die Uhr mahnte Costontino zum nächsten Rundgang. Er erhob sich, stellte Flasche und Gläser in den Gewehrschrank, löschte die Lampe und ging hinaus. Sorgfältig verschloss er die Tür und horchte. Aber nichts war anders als sonst am letzten Tage vor dem Rodeo. Überall legte man im Schein der Lampen und Fackeln Hand an die blau-weiß-roten Kokarden und Bänder, nagelte Bretter vor die Fenster, denn betrunkene Reiter schossen gern auf Glas.

*

Tom Shawn stand an der Pumpe und ließ den eiskalten Wasserstrahl über seinen entblößten Oberkörper laufen, als Patricia auf die Veranda des Ranchhauses trat. Die anderen Boys waren bereits gewaschen. Einige standen vor ihren Spinden und schmierten sich Pomade ins Haar. Andere rasierten sich, oder bürsteten ihre besten Hemden glatt. Bügeln kannten Reiter nicht.

Das Mädchen trat an die Verandabrüstung und beobachtete Tom. Pat trug eine Levishose, Bluse und Cowboystiefel wie immer. Man hatte sie niemals in einem Kleid gesehen. Ihr Haar war braun und kurz geschnitten. Man sah diesem Mädchen an, dass es seine Weiblichkeit sorgfältig ignorierte. Pats Arme waren kraftvoll, die Hände klein und fest.

Der Rancher Bret Stein trat hinter ihr auf die Veranda und blickte über ihre Schulter zur Pumpe hin.

Tom hatte den Oberkörper eines Athleten. Tom wusste, dass er beobachtet wurde, und er wusste auch von wem. Deshalb wurden seine Bewegungen mit denen er den Pumpenhebel bediente und die Seife über die Muskeln rieb, demonstrativer.

Um Pats Lippen kräuselte ein verächtlicher Zug. Sie spürte die Nähe ihres Vaters und sagte: »Er wird ihn schlagen. Ganz bestimmt.«

Der Rancher schob die Unterlippe vor. Tom gefiel ihm nicht. Und Männer, die beim Anblick eines Mädchens gleich mit den Muskeln spielen, liebte er schon gar nicht. Aber Pat hatte ihn empfohlen, und das genügte.

»Warum hasst du Otis Kerrigan eigentlich?«, fragte er, und er fragte es zum ersten Mal, seit er die Spannung zwischen seiner Tochter und dem Texaner beobachtete.

Pat bewegte sich nicht. Sie starrte Tom an, aber sie blickte durch ihn hindurch, und Tom bemerkte es.

»Ich hasse ihn nicht«, sagte sie mit rauer Stimme. »Hass setzt Interesse voraus. Das habe ich nicht.«

»Dann möchte ich wissen, warum du dir solche Mühe gibst, ihn zu demütigen.«

Der Rancher konnte ihr Gesicht nicht sehen. Er sah aber, dass sich ihr Nacken feuerrot färbte.

Das Mädchen starrte ihm nach, drehte sich dann langsam um und begegnete den Augen Tom Shawns, der sich mit einem Frottiertuch den Rücken abtrocknete.

»Morgen, Miss Pat«, rief Tom freundlich.

»Morgen, Tom. Ich möchte mit Ihnen sprechen.«

»Okay. Ich kleide mich rasch an.«

»Sie finden mich im Corral.«

Tom nickte und blickte ihr nach. Im Corral hinter dem Bunkhaus legten die Reiter ihren Pferden das Rodeogeschirr an. Jeder besaß mehrere Pferde. Ein ausdauerndes Weidepony, ein Catcherpferd für den langen Trail und die Lassoarbeit, eine »Bergziege«, ein Pferd also, das fast nur in den blanken Klippen und Schluchten der Sierra zu gebrauchen war. Man ritt es, um verirrte Maverickrudel in den Felsen aufzustöbern – und endlich den hochbeinigen, breitbrüstigen »Racer«, den Renner, der nur einmal im Jahr geritten wurde, wenn man die Jungstiere zusammentrieb.

Tom sah das Mädchen auf dem Corralzaun sitzen. Er sah aus wie immer. Trug sein altes Hemd, die gleichen Hosen und Stiefel.

Zwei Schritte vor Pat blieb Tom stehen und schaute sie ruhig an.

»Und was ist, wenn Kerrigan nach den Kämpfen zurückreitet?«, fragte er.

»Das wird er nicht. In den zwei Jahren, die er hier ist, gab es sechs Tanzfeste. Er hat keins ausgelassen.«

Toms Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln.

»Dieses Gebirge von einem Mann und tanzen?«

»Er tanzte nie. Er stand herum und trank, als wäre es jedes Mal der letzte Whisky in seinem Leben.«

»Ich glaube nicht, dass er zum Tanzen gehen wird, wenn ich ihn schlagen sollte, wovon ich übrigens noch gar nicht überzeugt bin.«

»Sie müssen ihn schlagen, Tom«, entfuhr es ihr, und ihre Augen blitzten. »Und auch dann wird er kommen. Sie kennen ihn nicht. Also, Tom, Sie werden mich belästigen, Sie versuchen, mich beim Tanzen zu küssen. Ich darf doch hoffen, dass es Ihnen ein Vergnügen sein wird?«

Mit aufreizender Gelassenheit zuckte Tom die Schultern.

»Sie sind nicht mein Typ«, gab er zurück und massierte die Unterlippe mit den Zähnen. »Wir haben zu vieles gemeinsam, Pat. Und noch eins: Lassen Sie sich nicht einfallen, mich ins Gesicht zu schlagen. Ich bin darin sehr empfindlich, auch Frauen gegenüber.«

Langsam drehte er sich um. Über die Schulter sagte er: »Die ganze Sache gefällt mir nicht. Aber sie passt in das, was ich vorhabe.«

»Und was haben Sie vor?«, fragte Pat betroffen. Sie hatte geglaubt, Tom Shawn habe damals nur in ihren Vorschlag eingewilligt, weil sie ihr Angebot mit dreihundert Dollar unterstrich.

»Das werden Sie zeitig genug erfahren«, antwortete Tom, tippte an den Hutrand und ließ sie stehen.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte sie ihm nach. Ihr fiel ein, dass er damals in Goldfield zusammengezuckt war, als sie ihren Namen nannte. Sie war auf dem Wege nach Tonopah, um eine Grundbucheintragung vornehmen zu lassen. Die Kutsche hatte eine Stunde Aufenthalt. Den benutzte sie dazu, sich die kleine Stadt anzusehen. Aber es gab nichts zu sehen, außer dass Tom Shawn vor einem Lokal drei finstere Burschen niederkämpfte. Als Tom schließlich seinen Hut aufhob, der vor ihre Füße gefallen war, als er sich bückte und sie in sein blutendes Gesicht blickte, da war ihr die Idee gekommen, ihn für sich zu gewinnen. Sie sagte, dass sie ihm einen Vorschlag zu machen habe, und nannte ihren Namen. Zuerst sah es aus, als zähle sich Tom zu den Männern, die sich grundsätzlich keine Vorschläge aus Frauenmund anhörten, dann aber richtete er seine Augen mit einem seltsamen Ausdruck von Interesse auf sie und murmelte:

»Stein, Patricia Stein?«

Pat nickte.

»Von der Domino-Six-Ranch bei Trail City?«

»Yeah, ich biete Ihnen eine Stellung als Vormann unserer Mannschaft.«

Da hatte Tom die Augen zusammengekniffen, und sein Gesicht war merkwürdig starr geworden.

»Und was noch?«, fragte er.

Zuerst fasste sie diese Frage falsch auf. Das Blut schoss ihr in den Kopf. Sie deutete auf die Saloontür und schlug mit heiserer Stimme vor, es dort zu besprechen. Dort beruhigte sie sich rasch wieder, und es war zu dem Handel gekommen, der damit endete, dass Tom dreihundert von ihren sechshundert ersparten Dollar einsteckte und sich ihr anschloss.

Pat stieß sich von dem oberen Balken des Corralzaunes ab und blickte Tom nach.

Wie meinte er das, als er sagte, sie hätten zu vieles gemeinsam? Was war es, das er vorhatte? Was konnte man als Vormann der Ranch schon vorhaben, wenn man viele Dollar dafür bekam, einen Mann zu demütigen?

Und da fiel ihr wieder Otis Kerrigan ein. Sie ballte die Hände, drehte sich um und lehnte sich gegen den Corralzaun. Sie malte sich aus wie Tom sie zu küssen versuchte, wie sie ihn anschrie und zurückstieß und wie sich Otis auf Tom stürzte, um vor ihr den Beschützer und Helden zu spielen. Und Tom würde den Texaner zusammenschlagen, wie er die drei rauen Burschen in Goldfield zusammengeschlagen hatte. Sie stellte sich den gefällten Otis vor. Sie würde dabeistehen, und wenn er am Boden läge, dann würde sie Tom zulächelnd, würde den Arm ausstrecken und wieder mit ihm tanzen.

*

Als Shawn Costontino den Jail betrat, warf er zuerst einen Blick in die offene Zellentür des Texaners Lacy McCullough.

McCullough schlief, aber das war es nicht, was ihn an dem Mann faszinierte, denn der hatte einen weiten und harten Ritt hinter sich. Es war vielmehr der Ausdruck seines Gesichtes, der den Sheriff veranlasste, ganz nahe an die geöffnete Gittertür zu treten.

Das schmale Gesicht war glatt. Da war keine der bitteren Falten mehr an den Mundwinkeln und zwischen den Augenbrauen. Die Lippen leicht geöffnet, sodass man die Zähne etwas hervorschimmern sah, lag der Mann da mit einem Gesicht wie ein Junge.

Und von diesem Gesicht glitt Costontinos Blick ab zu dem schwarzen Kolben des Revolvers und wieder hinauf zur Brust. Das Hemd war während der Nacht geöffnet worden. Auf der Brust befanden sich vier kerzenartige Narben.

So sahen Wunden aus, in die man ein breites Reitermesser stieß, um eine Kugel hervorzuholen und die man anschließend mit einem weiß glühenden Eisen ausbrannte, um die Blutung zu stillen. Eine solche Prozedur überstand nur ein Mann, der hart wie Stahl war.

Als er sich umdrehte, hockte der Falschspieler auf der Pritsche und sah ihn stumm an.

Der Sheriff kochte Kaffee, schlug ein halbes Dutzend Eier in die Pfanne, schlang diese lustlos hinunter, trat auf den Gehsteig und verschloss die Tür hinter sich.

Durch die Straße rollten die ersten Ranchwagen. In den Bars machten sich Mannschaften breit. Vom Rodeogelände am Rande der Stadt tönten raue Stimmen, Hufgetrappel und Hammerschläge herüber. Er betrat den Trail-Saloon, in dem jeder Stuhl und jeder Thekenplatz besetzt waren, und überreichte dem Rancher Wade Denson die Teilnehmerliste. Otis Kerrigan lehnte am Ende der Theke neben seinem Rancher. Er überragte alle um fast einen halben Kopf.

Am anderen Ende der Theke stand Tom Shawn. Costontinos Augen suchten den Rancher Stein, aber der war nicht zu sehen.

»Also, wir sind uns einig«, hörte man Wade Denton sagen. »Ich verlese jetzt die Teilnehmerliste und die Wettkampfbestimmungen.«

Costontino verließ den Saloon. Es würde erst in einer Stunde interessant werden, wenn man die Reihenfolge der Kämpfe festlegte.

Vor der Bank sah er Patricia Stein. Wie immer trug sie auch heute Hose, Bluse, Stiefel und den breitrandigen Hut.

»Hallo, Pat, versorgt sich Ihr Vater mit dem nötigen Kleingeld?«

Freundlich erwiderte sie seinen Gruß. Sie schien nervös zu sein. Costontino dachte an Otis Kerrigan, dessen Pferd schräg gegenüber in der Reihe der anderen in der Morgensonne stand.

»Mein Vater, ja«, antwortete sie, und ihre Mundwinkel zuckten dabei nervös. »Ich hoffe, dass ich meins selbstständig erwerbe.«

Costontino nickte.

»Ich weiß, Pat. Sie scheinen viel Vertrauen in Shawns Fähigkeiten zu haben.«

»Habe ich auch. Alle haben auf Ker­rigan gewettet. Ich werde viel Geld gewinnen, Sheriff.«

Costontino zog die Augenbrauen hoch. Er hatte den Misston in ihrer Stimme gehört. Er zuckte die Schultern und sagte langsam: »Hoffentlich, Pat. Ich wünsche Ihnen den Gewinn und Shawn den Sieg. Nur …«

»Nur…, was?«, fragte sie hastig.

»Nun, Niederlagen sind umso schlimmer, je weniger man mit ihnen rechnet. Ich meine, das alles sollte nichts anderes sein als ein harmloser Zeitvertreib, an dem man seinen Spaß hat.«

»Soll das eine Belehrung sein, Sheriff?«, schnappte das Mädchen zurück.

Costontino trat auf sie zu und legte die Hand auf ihre Schulter. Er konnte sich das als alter Freund der Domino-Six erlauben.

»Hass ist ein schlechter Ratgeber, Pat«, sagte er. »Eigentlich geht es mich ja nichts an, aber wenn ich verschiedene Gedanken zu Ende denke, kommt es mir vor, als könnte es möglich sein, dass aus einem Spiel Ernst werden kann.«

»Spiel?«, schnaubte Pat.

»Das ist vielleicht ein falscher Ausdruck, Pat, entschuldige. Sie wissen, was ich meine. Es ist nie gut, wenn eine Frau zwischen zwei Männern steht. Und schon gar nicht, wenn die Frau es so will.«

»Sie sind verrückt, Sheriff. Ich denke mit keinem Gedanken daran …«

»Ich weiß«, lächelte Costontino. »Eine Frage! Geht es Ihnen nur um den Gewinn? Ist Shawn nur ein Pferd, auf das Sie gesetzt haben, um Geld zu gewinnen? Pat, ich …«

»Pat! Pat! Pat!«, stieß sie hervor und trat jäh zur Seite. »Ich weiß, was ich tue, Sheriff. Ihr seid ja alle wie verrückt nach diesem Texaner. Ihr seid es, die ihn so arrogant gemacht haben. Ich will ihn verlieren sehen. Ich will, dass man ihm zeigt, dass er kein Übermensch ist!«

Sie lief in die Bank und war verschwunden. Aus einem Nebenausgang der Bank trat der Rancher Stein. Er hatte seine Tochter hineinlaufen sehen und trat näher.

»Guten Morgen, Howe. Was hat Pat?«

»Morgen, Bret. Sie spielt ein bisschen verrückt. Ich sprach von Kerrigan.«

»Das hätten Sie nicht tun sollen. Jetzt ist sie Ihnen böse. Trinken Sie ein Glas mit mir?«

»Danke, ich sehe da eben einen Gast hinter meiner Officetür, der gern heraus möchte. Wir sehen uns noch, Bret.«

Der Rancher grinste.

»Heraus möchten wohl alle, die Sie da hineinstecken. Bis nachher.«

Costontino öffnete die Tür und stand Lacy McCullough gegenüber.

Der Texaner grüßte und fragte, wo die Teilnehmer eingeteilt würden.

»Im Trail-Saloon«, murmelte der Sheriff und trat rasch zur Seite.

»Kann man da auch was zu Essen bekommen?«, hörte er McCullough fragen.

»Besser, Sie gehen zu Tarks Speiselokal. Sie haben noch eine halbe Stunde Zeit, bis über die Reihenfolge beschlossen wird.«

»Vielen Dank, Sheriff. Ich habe großartig geschlafen. Ich werde Sie weiterempfehlen.«

Costontino lachte und wehrte ab.

»Lieber nicht. In wenigen Tagen sind die Käfige ohnehin so voll, dass man nur im Stehen schlafen kann. Am besten suchen Sie sich bis morgen was anderes.«

*

Lacy McCullough fühlte sich reichlich gestärkt, als er das Speiselokal verließ und über den Gehweg zum Trail-Saloon ging. Obgleich die Stadt von Reitern wimmelte, bemerkte er, dass manch abschätzender Blick ihn traf.

An der Tür zu Selvin Laders Generalstore traf er mit Patricia Stein zusammen, die einen Korb in der Hand hielt.

Eine Wurst fiel zu Boden. Lacy hob sie auf und reichte sie Pat.

»Entschuldigen Sie, Ma’m«, sagte er und blickte auf sie herab. Ein schönes Mädchen, dachte er, während er an den Hutrand griff.

Pat schien eine heftige Erwiderung auf den Lippen zu haben. Dann aber sah sie die ruhigen grauen Augen freundlich auf sich gerichtet, und ihr fiel Otis Kerrigan ein. Hatte Otis nicht dieselben Augen? War es nicht derselbe Ausdruck einer Mischung von ruhiger Gelassenheit und zurückhaltendem Interesse?

»Schon gut«, murmelte sie verdrossen.

Das lächelnde Gesicht des Ranchers Stein tauchte hinter ihr auf. Ein prüfender Blick traf den Texaner. Auch Stein musste sofort an Kerrigan denken. Er sagte: »Wenn ich mich nicht irre, sind Sie mindestens der zwanzigste Mann, den meine Tochter im Laufe der letzten Wochen anstößt. Ich danke Ihnen, dass Sie keine Postkutsche sind. Auch das hat es schon gegeben. Entschuldigen Sie, Mister …«

»McCullough, Lacy McCullough«, lächelte der Texaner belustigt. »Es war meine Schuld. Aber, auf Ehre, Ma’m, es war mir ein Vergnügen. Auf Wiedersehen.«

Wieder griff Lacy an den Hutrand, dann setzte er seinen Weg fort.

»Ein Texaner«, hört sie den Rancher murmeln. »Ich kann mir nicht helfen, von zehn Texanern finde ich mindestens acht prächtig.«

»Ob er sich am Rodeo beteiligt?«

»Weswegen sollte er sonst hier sein? Ah, da fällt mir was ein. Wenn ich mich nicht irre, hat dieser Mann heute Nacht im Jail geschlafen.«

Pat warf den Kopf herum.

»Im Jail?«

Der Rancher nickte grinsend, und sie überquerten die Straße.

McCullough schob sich durch die Schwingtür des Trail-Saloon. Er hörte die Stimme des Ranchers Denton durch das Stimmengewirr schallen und schob sich durch die Reiter, die dicht gedrängt an der Theke standen.

Plötzlich spürte er zwei forschende Augen in der Seite wie Nadelstiche. Er drehte den Kopf und erblickte Tom Shawn, der zur Seite rückte, um ihm an der Theke Platz zu machen.

Die großen Western 113

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