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2 Tiere lieben

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Ich lebe auf einem Bauernhof, umgeben von Weideland, in einer Region in England, wo eine dünne Ackerkrume eine darunter liegende Lehmschicht bedeckt. Auf der Krume wächst Gras, aber man kann sie nicht umpflügen, ohne zugleich den Lehm, auf dem nichts gedeiht, mit nach oben zu holen. Die einzige Möglichkeit, derartiges Land zu verwerten, besteht für seine menschlichen Nutzer darin, das Gras und dessen Nebenprodukte denjenigen Wesen zugutekommen zu lassen, deren Lebensgrundlage es darstellt. In der Landwirtschaft sind das Kühe, Schafe, Schweine und Hühner, an Jagdwild Wildgeflügel, außerdem werden Reitpferde gehalten. Letzteres ist aus Sicht unserer lokalen Farmer am profitabelsten, denn die Pferde locken Großverdiener aufs Land, denen vor Ort die Idee kommt, ihr Geld in Weideland anzulegen. Um einiges schwieriger wird es dann schon, umgekehrt aus Gras wieder Geld zu machen. Dennoch sehe ich in unserem ländlichen Winkel alles in allem ein gelungenes Beispiel für landwirtschaftliche Nutztierhaltung. Unsere Tiere leben in einer ihnen gemäßen Umgebung, genießen ein gewisses Maß an Freiheit und unser Eingreifen bewahrt sie vor langem Leiden durch Alter und Krankheit oder einem qualvollen Tod infolge von Verletzungen. Gleiches gilt mehr oder weniger auch für die Wildtiere. Das Wildgeflügel wird entweder geschossen oder von Füchsen gefressen, Bussarde und Habichte erbeuten Nagetiere wie Ratten, Feld- und Wühlmäuse und umherziehende Reiher schnappen sich die Fische. Alter, Krankheit oder Verletzungen sind selten Todesursache bei unseren wilden Tieren, und wir helfen ihnen so gut wie möglich über den Winter, mit Resten aus der Küche für die Fleischfresser und Körnern und Nüssen für Vögel.

Selbstverständlich könnte noch vieles besser gemacht werden, und es gibt ein paar Dinge an unserem Schalten und Walten, die mir nicht gefallen. Ganz besonders stört mich, dass bestimmte Tiere, zu denen wir eine unwillkürliche Zuneigung empfinden, bevorzugte Behandlung genießen. Wir überschlagen uns geradezu, die Raubtiere gut durch die harten Wintertage zu bringen, rühren aber kaum einen Finger für unsere Haus- und Feldmäuse und unternehmen wiederum alles Erdenkliche, um die Ratten loszuwerden. Natürlich setzten wir kein Gift ein, da das auch Eulen, Bussarde und Füchse gefährden würde, die die Kadaver der Ratten fressen. Trotzdem sind wir gezwungen, in die natürliche Ordnung einzugreifen, wenn wir auf einem Bauernhof zurechtkommen wollen. Feldhasen sind gern gesehen, Kaninchen schon weniger, Hermeline und Wiesel genießen unseren Schutz, während Krähen und Elstern sich hüten, uns zu nahe zu kommen. Jeder, der wie wir dauerhaft auf dem Land lebt, muss sich mit solchen Entscheidungen auseinandersetzen. Und jedes Mal, wenn ich etwas über »Zufluchtsorte für wilde Tiere« lese, frage ich mich, was die dortigen Wildhüter tatsächlich zu unternehmen bereit sind, um die Ausbreitung von Arten wie Grauhörnchen, Kanadagänsen oder Kormoranen unter Kontrolle zu halten, die jedes funktionierende Habitat in eine Wüstenei verwandeln, wenn man sie gewähren lässt.

Obwohl ich unser Eingreifen in die uns umgebende Ordnung nicht immer unproblematisch finde, tröstet mich die Tatsache, dass sich hier mittlerweile Arten wieder ansiedeln, die man seinerzeit nicht zu sehen bekam, als wir die Farm vor zwanzig Jahren gekauft haben: Dompfaffe, Bachstelzen, Turmfalken, ein weiterer habichtartiger Raubvogel, Damwild, Hermeline und Grasschlangen. Es gibt viele verschiedene Bienenarten und die Teiche quellen über von Fröschen, Kröten und Libellen. Im Übrigen sind da noch die Nachbarn, und von ihnen geht die bei weitem größte Bedrohung für alle Tiere aus, die auf unserem Land leben. Damit sind nun allerdings nicht unsere in der Landwirtschaft tätigen Nachbarn gemeint, denen es ähnlich wie uns um die Wahrung des ökologischen Gleichgewichts geht. Ich denke vielmehr an jene Zugezogenen, die auf dem Land eine Ruhe genießen möchten, wie sie quasi als Nebenprodukt der landwirtschaftlichen Arbeit anderer abfällt. Die Neuankömmlinge bringen ihre eigene Menagerie mit, vielgeliebte Haustiere, denen bislang alle Vorzüge des Stadtlebens zuteilgeworden sind. Tatsächlich tragen die Hunde und Katzen dieser Leute am meisten zur Störung der empfindlichen Ordnung bei, die wir anderen nach Kräften versuchen, aufrechtzuerhalten. Was ich zum Anlass nehme, mir ein paar Gedanken bezüglich angebrachter und verfehlter Tierliebe zu machen.

Eine Nachbarin führt ihren Hund auf dem öffentlichen Reitweg spazieren. Dort lässt sie ihn von der Leine und der Hund läuft auf die Felder und in die Hecken, wo er tut, was Hunde eben tun: er versucht, Witterung von Beutetieren aufzunehmen und jagt los, sobald er eine Fährte entdeckt hat. Im Winter suchen Vögel im Laub Schutz, um so gut wie möglich mit ihrer Energie hauszuhalten. Es verbessert nicht eben ihre Überlebenschancen, wenn sie auf diese Weise jeden Tag aus ihrem Unterschlupf aufgescheucht werden. Das Gleiche gilt für Hasen, Kaninchen und Feldmäuse. Selbstverständlich versichert uns die Nachbarin in aller Entschiedenheit, ihr Hund käme im Traum nicht auf die Idee zu töten, was er jagt – er folge einfach nur seiner Natur. Das Gleiche tun sicherlich auch die Fasane, Hermeline und Kaninchen, die er jagt. Im Unterschied zu ihnen kehrt der Hund zurück in ein warmes Haus und zu einem Fressnapf, dessen Inhalt größtenteils aus anderen, zu Dosenfutter zusammengemetzelten Tieren besteht, während die Ziele seines Jagdinstinkts nichts weiter zu verdauen haben als den erlittenen Schock, was sie schwächt, auch hinsichtlich weiterer Zusammentreffen.

Andere Nachbarn halten zwei Katzen – schöne Tiere, die es verstehen, ihre menschlichen Besitzer mit scheinbarer Zuneigung zu umgarnen, um sie tatsächlich mit der ganzen Unverschämtheit einer überlegenen Spezies im Griff zu haben. Sowohl Hunde wie Katzen sind Raubtiere; Hunden aber kann man beibringen, nicht zu töten, man kann sie darauf abrichten, ihrem Jagdinstinkt nur bei bestimmten Beutetieren zu folgen, oder Rassen züchten, die eben diesen Instinkt in den Dienst anderer menschlicher Belange stellen, etwa als Hüte- oder Apportierhunde. Bei Katzen ist das nicht möglich. Alles in ihrer Natur richtet sich nur auf das eine Ziel, zu töten; und obwohl man sie so verhätscheln kann, dass sie von der Verfolgung dieses Zieles ablassen, entfremdet man sie damit zugleich ihrer wahren Natur. Eine richtige Katze will hinaus und sobald sie draußen ist, will sie töten. Der Unterschied zwischen fairem und unfairem Kampf, zwischen Schädlingen und geschützten Arten, zwischen Freund und Feind – all das spielt für eine Katze keine Rolle, wenn sie sich aufmacht, um Vögel, Feld- und Spitzmäuse und andere harmlose und nützliche Geschöpfe aufzuspüren, ohne irgendetwas anderes im Sinn zu haben, als deren Blut ins Maul zu bekommen. Einer Schätzung zufolge werden in England jedes Jahr etwa hundertachtzig Millionen wilde Vögel und Säugetiere von Katzen erbeutet.1 Von all den fremden Arten, die irgendwann auf unsere Insel kamen, richten Hauskatzen unbestritten den größten Schaden an, und das Schlimmste daran ist, dass es dank der Sentimentalität britischer Tierfreunde als Verbrechen gilt, sie abzuschießen.

Liebe hat viele Formen und es gibt keinen Grund, meiner Liebe zu Weide- und Wildtieren einen höheren Wert beizumessen als der Liebe unserer Nachbarn zu ihren Hunden und Katzen. Zwei Fragen sollte man jedoch in Bezug auf jede Art von Liebe stellen: kommt sie dem Objekt der Liebe zugute oder dem Subjekt? Ob wir mit Wildes extremer Erklärung: »Der Mensch tötet, was er liebt« einverstanden sind oder nicht, es gibt sicherlich eine Art Liebe, die ihr Objekt zerstört, aus Gründen, wie Blake [in dem Gedicht The Clod and the Pebble] sie anführt:

Love seeketh only self to please

To bind another to its delight,

Joys in another’s loss of ease

And builds a Hell in Heav’n’s despite.

[In der Liebe geht es dem Liebenden nur um sich selbst,

es beglückt ihn, den anderen gebunden zu wissen,

er weidet sich daran, wie dessen Leben seine Unbeschwertheit verliert,

Und erschafft eine Hölle anstelle des Himmels.]

Es gibt eine Liebe, die den anderen versklavt, erstickt, ausbeutet und missbraucht. Und oft genug korrumpiert sich ein Liebender, indem er sich ein verfälschtes, zu schmeichelhaftes Bild seiner selbst macht als eines zugänglichen, liebenswerten Menschen. Liebe ist kein Wert an sich, sie taugt etwas, wenn sie sich einer sittlichen Verantwortung verpflichtet weiß, sie ist wertlos, wenn sie diese Verantwortung missachtet. In diesem Sinn sollten wir mit Aristoteles sagen, dass Liebe, um einen Wert zu bekommen, ein angemessenes Objekt braucht, auf das sie sich aus angebrachtem Anlass und in angebrachtem Maß richtet.2 Zum Erwachsenwerden gehört auch, dass man lernt, wen und wie man lieben kann, und die Fähigkeit entwickelt, seine Liebe zu disziplinieren, um sie nicht zu Sentimentalität oder Herrschsucht gegenüber dem Partner verkommen zu lassen.

Eine Menge Literatur befasst sich mit der Liebe zwischen Menschen und Tieren, und jeder von uns hat Beispiele vor Augen, anhand derer wir zu verstehen suchen, was eine Liebe über die Artengrenzen hinweg erfreulich oder fragwürdig macht. Für die Zuneigung von Haustieren bin ich genauso empfänglich wie andere Leute auch, und ich erinnere mich, dass ich meinem Hund aus Kindertagen, einem hässlichen Geschöpf, das jegliche Tugenden eines Hundes vermissen ließ, tiefe Gefühle von großer Bedürftigkeit entgegengebrachte. Auch mein Pferd Barney habe ich geliebt; als es mitten auf einer Jagd tot unter mir zusammenbrach, hat mich das eine Zeit lang sehr mitgenommen – bis ich seinem Nachfolger begegnet bin. Katzen fühlen sich zu mir hingezogen, sie schnurren und bedenken mich mit ihrem Milchtritt, ohne zu ahnen, welche Verachtung ich für ihre Spezies hege. Trotz allem möchte ich weiterhin die Frage stellen, inwiefern und in welchem Maß die Liebe zu einem Tier gerechtfertigt ist.

Zunächst einmal bezieht sich Tierliebe nur in Ausnahmefällen auf ein Tier als Individuum. Ich liebe die Tiere auf unserer Farm, aber nur einigen wenigen bringe ich eine dem Individuum geltende Zuneigung entgegen: ich freue mich an den Dompfaffen, die wir hier haben, und setze mich nach Kräften für ihr Bleiben ein, aber es gibt keinen bestimmten Dompfaff, der mir besonders am Herzen läge. Natürlich habe ich den Impuls, einem in Not geratenen Vogel oder Säugetier zu helfen, ich gehe hin und sehe, was ich tun kann: aber das ist keine Liebe, sondern ganz normale, freundliche Anteilnahme. Zu Pferden habe ich dagegen eine anders geartete Beziehung. Ich kenne ihren jeweiligen Charakter und ihre Eigenheiten, und reite sie in mitunter abenteuerlichen Situationen, in denen wir auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind. Dabei kann eine besondere Bindung entstehen, wie sie zum Beispiel Alexander den Großen dazu brachte, um den tapferen Bukephalos zu trauern und ihm zu Ehren eine Stadt errichten zu lassen. Dennoch bleibt es fraglich, ob Pferde ihrerseits ihre Reiter als Individuen wahrnehmen oder uns und Artgenossen gegenüber Gefühle entwickeln, die den unsrigen vergleichbar wären. Sie unterscheiden einen guten Aufenthaltsort von einem schlechten, erkennen ihre Stallgenossen und stehen in einer Beziehung zu ihnen; und sie wissen, welche Art von Behandlung sie von den verschiedenen Zweibeinern zu erwarten haben, die sich um sie kümmern. Aber ihre Zuneigung ist labil, nicht klar ausgerichtet und wird schnell auf jemand anderen übertragen. Barney hatte für mich gewisse Qualitäten mit Bukephalos gemein: draufgängerisch, wollte er immer der erste im Feld sein, blieb dabei aber auch in gefährlichen Situationen zuverlässig. Eben das begründete meine Zuneigung zu ihm, und nicht etwa, dass er mir ein ausgesprochenes Wohlwollen entgegengebracht oder mir in seinem Leben einen besonderen Platz eingeräumt hätte, wie ich es meinerseits für ihn getan habe.

Mittlerweile glaube ich, dass man ein Pferd auf eine Art lieben kann, die für Tier und Mensch gleichermaßen schädlich ist. Dabei wird im Pferd ein Spielzeug gesehen, ein Erfüllungsgehilfe zur Befriedigung der Launen des Reiters, es wird zum Objekt von Liebkosungen und Zärtlichkeiten, die es weder erwidern noch begreifen kann – wobei man es in seiner Eigenart völlig ignoriert. Diese Liebe ist in ganz eigener Weise verdorben. Wer ein Pferd mit solcher Zuneigung überschüttet, macht sich entweder selbst etwas vor oder findet Gefallen an einer Gefühlsphantasie. Das Pferd ist Mittel zum Zweck, in den eigenen Gefühlen zu schwelgen, die das eigentliche Zentrum des Interesses darstellen. Es wird Objekt einer selbstbezogenen Liebe, der im Grunde nichts an dem Objekt liegt, das diese Liebe zunächst hervorgerufen hat. Vom Pferd wird nicht eigentlich Notiz genommen, und wenn es irgendwann unweigerlich seine oberflächliche Attraktivität eingebüßt hat, geht diese Art Liebe in eine mehr oder weniger skrupellose Vernachlässigung des Tieres über. Man hat ihm eine Zeit lang Zuneigung angedeihen lassen, um es dann oft genug, wie Kinder ihre Puppen, einfach auszurangieren. In einer Philosophie der Liebe illustriert das Beispiel mit der Puppe auf schmerzlichste Weise, was geschieht, wenn Liebe fehlgeht. Kinder erproben mit Hilfe ihrer Puppen noch den Umgang mit Gefühlen: sie versuchen, Ausdrucksmöglichkeiten, Verhaltensweisen und Gesten für sich zu entwickeln, mit denen sie ihre menschliche Umgebung dazu bringen können, ihnen Schutz und Liebe zu geben. Dennoch erwarten wir von Kindern, dass sie die Liebe zu ihren Puppen irgendwann hinter sich lassen und fähig werden, eine reifere Form der Liebe zu entwickeln, eine Liebe, die denjenigen, der sie empfindet, etwas kostet, mit der das Selbst in die Hände eines anderen Menschen gelegt wird und ein Band verantwortungsvoller gegenseitiger Sorge entsteht.

Jede Spezies ist anders geartet. Im Fall von Hunden kann man sicherlich davon ausgehen, dass sie die Zuneigung ihrer Herren nicht nur erwidern, sondern mit ihnen auch eine individuelle Bindung eingehen. Der Herr ist für den Hund derart unersetzlich, dass uns in der Trauer des Tieres bei dessen Verlust eine Verzweiflung begegnet, die wir, die auch im größten Schmerz noch Zugang zu Tröstungen finden, nicht wirklich nachvollziehen können. Nicht alle Hunde sind zu einer so entschieden auf eine Person gerichteten Hingabe fähig, aber wo wir sie erleben, gehört sie zu den ergreifendsten Geschenken, die ein Tier uns machen kann, umso mehr, als es sich dabei weniger um ein Geschenk, als um eine große Bedürftigkeit handelt.3 Einer Kreatur, die uns mit einem solchen Maß an Liebe begegnet, sind wir in besonderer Weise verpflichtet; und aus dieser Beziehung kann sich eine gegenseitige Liebe ganz eigener Art entwickeln, die wir ernst nehmen müssen. Wer von seinem Hund derart geliebt wird, muss ihm seinerseits sehr viel mehr sorgsame Zuwendung geben, als sie etwa einem Pferd gegenüber angemessen wäre. Diesen Hund zu vernachlässigen oder zu verlassen, bedeutet, eben jenes Vertrauen zu verraten, aus dem sich eine objektive Verpflichtung ableiten lässt, wie sie einem Individuum gegenüber besteht. So gesehen hat meine Nachbarin durchaus recht, wenn sie die Verpflichtung ihrem Hund gegenüber für vorrangig hält gegenüber der meinen, Wildtiere zu schützen, deren Wohlergehen durch ihren Hund beeinträchtigt wird. Sie hat einen Pol einer Vertrauensbeziehung inne, und es wäre eine moralische Fehlleistung ihrerseits, sich das Recht auf den Genuss der unerschütterlichen Zuneigung des Hundes zuzugestehen, wenn sie ihm gleichzeitig vorenthielte, was sie ihm ganz einfach dadurch geben kann, dass sie sein Tun gutheißt. Ich verurteile sie also nicht wegen ihres lästigen Hundes und ihrer ebenso lästigen Liebe zu ihm, der Fehler liegt bei mir. Wenn ich mich über den Egoismus einer Familie ärgere, die für sich die besten Plätze in einem Zug in Beschlag nimmt, mache ich den gleichen Fehler. Jeder von uns ist umgeben von einer Sphäre der Liebe, und wir sind denjenigen verpflichtet, die mit uns in dieser Sphäre leben.

Dies gesagt, sollten wir jedoch weiterhin zwischen angemessener und unangemessener Liebe zu einem Hund unterscheiden. Hunde sind Individuen, in derselben Weise, wie alle Tiere Individuen sind. Man kann wohl auch behaupten, dass Hunde über einen höheren Grad an Individualität verfügen als Vögel oder Insekten. Damit meine ich, dass ihr Wohlbefinden in engerem Zusammenhang mit ihrem arteigenen Wesen und ihren jeweiligen Lebensumständen, ihren Gefühlsbindungen und ihrem Charakter steht, als das bei Angehörigen anderer Arten der Fall ist. Ein Vogel bezieht sich auf seine Umgebung als Angehöriger seiner Spezies, nicht aber als ein Wesen, das um sich herum ein individuelles Netz aus Erwartungen und Ängsten geknüpft hat. Der Hund ist mit seiner Liebe abhängig von einem ganz bestimmten Personenkreis und er weiß um die Stärke dieser Abhängigkeit. In seinen Reaktionen auf seine Umgebung unterscheidet er Individuen und begreift, wenn etwas ausdrücklich von ihm verlangt wird und dass er diesem Verlangen Folge zu leisten hat. Auch wenn seine Gefühle simpler Natur sind, handelt es sich dennoch um erlernte Reaktionen, geprägt von einer gemeinsamen Geschichte aufeinander bezogener Handlungen des Hundes und seiner Umgebung.

So kann man in sein Verhalten Reaktionsweisen hineinlesen, wie wir sie aus menschlichen Gefühlsbeziehungen kennen. Der Hund ist keine Person, aber er kann einer Person ähnlich werden, wenn er die Erfahrungen mit Dingen und Wesen seiner Umgebung zu verinnerlichen beginnt. In seiner Beziehung zu einem ganz bestimmten Personenkreis innerhalb dieser Umgebung wird er seinerseits zu einem ganz bestimmten Hund. Wenn ich dennoch bestreite, dass der Hund eine Person sei, begründe ich das einfach damit, dass die Individualität von Personen auf einer völlig anderen metaphysischen Ebene liegt als die von Tieren, selbst von Tieren, die Personen als Individuen lieben. Eine Person identifiziert sich mit sich selbst in der ersten Person, sie kennt sich als »ich« und trifft freie Entscheidungen auf der Basis dieses Identifikationsaktes. Bei ihr liegen die Hoheitsrechte über ihre Welt, und ihr ganzes Denken und Handeln ist durchsetzt von der Unterscheidung zwischen sich und dem Anderen, dem Eigenen und Nicht-Eigenen, zwischen Wichtigem und Unwichtigem.

Der Hund, der seinem Herrn in die Augen blickt, urteilt nicht, er mahnt ihn nicht an dessen Pflichten und tritt nicht als anderes Individuum mit eigenen Rechten und Freiheiten auf. Er versucht einfach, einen Kontakt herzustellen wie zu einem Artgenossen oder Rudelmitglied in der Hoffnung, dass auf seine Bedürfnisse eingegangen wird. In all dem findet sich nichts von einem Kontakt von »Ich« zu »Ich«, durch den sich Personen von allen anderen Lebewesen in der Natur unterscheiden, was Kant als Zeichen dafür nahm, dass die Person tatsächlich nicht mehr Teil der Natur sei. Obwohl ich mich meinem Hund wie einem Individuum zuwende, tue ich das von einer Ebene der Individualität aus, die für ihn unerreichbar bleibt. Die Vorstellung von Verantwortung, Pflicht, Recht und Freiheit, die all meine Absichten und Vorhaben beherrscht, hat in seinem Denken keinen Platz. Für ihn bin ich ein anderes Tier – ein sehr spezielles zwar, aber dennoch eines, das mit ihm auf derselben Ebene existiert und von Beweggründen umgetrieben wird, die er niemals begreifen, sondern lediglich hinnehmen kann, enthalten in so etwas wie der Einheit des Seienden, als der Summe dessen, worauf sich seine Zuneigung bezieht.

Mir scheint nun, dass man einen Hund auf vernünftige Art liebt, wenn man ihn nicht als Person wahrnimmt, sondern als eine Kreatur, die bis an die Grenze zum Persönlichen gelangt ist. Von dort aus lugt er hinüber in ein für ihn nicht einsehbares Gebiet, aus dem Signale kommen, die er in anderer Weise versteht als wir, die wir die Signale geben. Gründen wir die Liebe zu unserem Hund auf die Annahme, dass er in einer uns ebenbürtigen Weise eine Person sei, schaden wir damit ihm und uns selbst. Das Tier wird in einer Weise gefordert und unserer Welt eingegliedert, die ihm weder zugutekommt, noch begreiflich ist. In der Folge sehen wir uns dann auch veranlasst, sein Leben zu erhalten, ganz so, wie wir es untereinander um unserer persönlichen Beziehungen willen tun, die, weil sie persönlich sind, für uns Ewigkeitsstatus haben. Für mich ist es ein Zeichen verfehlter Tierliebe, wenn jemand seinen Hund nicht einschläfern lässt im Falle unheilbarer Erkrankung oder Hinfälligkeit. Aber hier geht es nicht in erster Linie um den Schaden für das Tier, sondern um den für die Person. In einem wichtigen Sinn kostet uns die Liebe eines Hundes nichts. Auch der übelste Kriminelle kann in ihren Genuss kommen. Kein Hund verlangt von seinem Herren Anstand oder Ehrenhaftigkeit, und er wird ihn jederzeit verteidigen, auch gegen die Festnahme durch Vertreter von Recht und Gesetz. Ein Hund urteilt nicht, seine Liebe ist bedingungslos, einfach deshalb, weil er keinen Begriff von Bedingungen hat. Wir genießen seine rückhaltlose Bestätigung, um die wir uns nicht erst mit moralischem Handeln bemühen müssen. Und genau das können wir ringsum beobachten: zwischenmenschliche Beziehungen, die immer mehr im Schwinden begriffen sind, da verbunden mit Bedingungen und der Verpflichtung zu verantwortlichem Handeln, werden ersetzt durch die Liebe zu Haustieren, was keinen wirklichen Einsatz fordert.

Diese Art Liebe versucht, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: zum einen will sie die Unschuld des tierischen Liebesobjektes vor dem Sündenfall bewahrt wissen, während sie dem Tier zugleich moralische Urteilsfähigkeit zubilligt. Die Sprachlosigkeit des Hundes wird gleichgesetzt mit Unfähigkeit zu böswilligem Handeln, weshalb er in seinen Urteilen nicht fehlgehen kann und seine Zuneigung nur an Objekte wendet, die sie tatsächlich verdienen. Die Liebe des Hundes rechtfertigt seinen Herren. Das ist der Ursprung jener rührseligen Verklärung von Tieren, die einen Film wie Bambi so schädlich macht – er verleitet dazu, Tiere zu verniedlichen und sie gleichzeitig als Inbegriff des Richtigen und Guten zu sehen, von vornherein und in besonderem Maß begabt mit Moralität. Aber so einfach ist es nicht: entweder befinden sich Tiere außerhalb der Sphäre moralischer Urteile oder nicht. Befinden sie sich außerhalb, kann ihr Verhalten nicht als Beweis für ihre »Unschuld« hergenommen werden. Befinden sie sich innerhalb, können auch sie sich schuldig machen und dafür zur Verantwortung gezogen werden.

Menschliche Liebe zeigt sich auf unterschiedlichste Weise. In ihrer höchsten Form ist sie ein Geschenk, das einem anderen Menschen freiwillig gewährt wird, verbunden mit der Bereitschaft, Unterstützung und Halt zu geben. Aber eine solche Liebe ist nicht umsonst zu haben. Sie hat ihren Preis, für Subjekt wie Objekt gleichermaßen. Das Objekt kann diese Liebe verraten, indem es sich als ihrer nicht würdig erweist und als unfähig, sie zu erwidern. Diese Erfahrung gehört zum Schlimmsten, was Menschen zu durchleiden haben. Die Liebe fordert ihr Objekt, es muss sich nach Kräften bemühen, das ihm geschenkte Vertrauen zu rechtfertigen. Dieser moralischen Herausforderung durch die Liebe sind wir nicht immer gewachsen, aber zumindest können wir versuchen, bessere Menschen zu werden und unser Leben auf anständigere Art zu führen. Aus diesem Grund sind uns Leute nicht geheuer, die ohne Liebe auskommen – die sie nicht zu geben verstehen und sie daher normalerweise auch von niemandem empfangen. Denn nicht nur bleiben sie ausgeschlossen von der Geborgenheit zwischenmenschlicher Zuneigung, vor allem aber kann der wichtigste Ansporn, menschliche Qualität zu entwickeln, nicht wirksam werden, im Bestreben nämlich, sich den Ansprüchen eines Menschen gewachsen zu zeigen, der einem mehr bedeutet als man sich selbst.

So haben wir andererseits durchaus Grund, der Liebe aus dem Weg zu gehen. Es bringt uns zwar nicht wirklich etwas ein, und die Tragödie von King Lear4 zeigt uns, dass wir einen Fehler machen, wenn wir versuchen, uns zu drücken. Dennoch gestaltet sich ein Leben ohne zwischenmenschliche Liebe einfacher, weil es auf einem niedrigeren Niveau gelebt werden kann, wo es sich moralischer Beurteilung entzieht. Hierin liegt der ungute Grund für die übertriebene Zuwendung zu Tieren. Wir benutzen sie und ihre Hingabe, um zwischenmenschlichen Gefühlsbindungen zu entkommen, sie werden überflüssig. Natürlich können Menschen von ihrem Leben so geschlagen sein, so bar aller menschlicher Liebe, dass es kein Versagen ihrerseits darstellt, wenn sie sich der Sorge für ein Tier widmen, auf dass wenigstens ein letztes Licht der Liebe mit kleiner Flamme brenne. Die Titelheldin aus Flauberts Un cœur simple tut genau das, weshalb ihre Liebe zu ihrem Papagei auf keinen Fall eine moralische Verfehlung ist. Als letzte Bastion eines echten Gefühls für Moralität bezeigt diese Hingabe vielmehr einen Wert in demjenigen Menschen, der sie an den Tag legt. Damit hat sie sehr wenig gemein mit der ringsum gedeihenden Bambi-Mentalität, in deren Geist man sich gerade anschickt, unsere Beziehungen zu Tieren mittels Recht und Gesetz noch einmal neu festzuschreiben.

An anderer Stelle habe ich mich bereits gegen die Idee von verbrieften Rechten für Tiere ausgesprochen.5 Meine Argumentation in dieser Sache beruht nicht auf Missachtung gegenüber Tieren, sondern auf Respekt vor moralischer Vernunft und Begriffen wie Recht, Verantwortung, Pflichtgefühl und Anstand, die hier ins Spiel kommen und in jedem Moment von einem Unterscheidungsvermögen abhängen, das sich aus der Bewusstheit seiner selbst ableitet. Den womöglich größten Schaden fügt die Idee von Rechten für Tiere den Tieren selbst zu. Sie werden auf die Ebene moralischer Bewusstheit gehoben, ohne in der Lage zu sein, dem aus der Moralität abgeleiteten Anspruch auf Unterscheidungsvermögen zu genügen. Denn Tiere unterscheiden nicht zwischen Gut und Böse; sie erkennen nicht, wann eine Pflicht ruft oder ob sie durch Verpflichtungen gebunden sind, die sich aus der Moralität ableiten. So beurteilen wir Tiere einfach nur nach ihrem Vermögen, unser häusliches Leben mit uns zu teilen, aus unserer Zuneigung Nutzen zu ziehen und sie gelegentlich in ihrer stummen und abhängigen Art zu erwidern. Damit manipulieren wir die Dinge gehörig zu unseren Gunsten, indem es etwa als kriminelle Handlung gilt, eine Katze abzuschießen, ganz gleich, welchen Schaden sie anrichtet, während belobigt wird, wer eine Maus vergiftet und damit eine Nahrungskette schädigt, in die viele andere Tiere eingebunden sind.

Es geht nicht darum, unseren Lieblingstieren unsere Zuneigung zu entziehen. In dem Maß, wie sie diese Zuneigung tatsächlich brauchen, sollten wir sie ihnen geben. Wenn wir sie jedoch als Individuen lieben, müssen wir uns über die Bedrohung im Klaren sein, die damit für Tiere verbunden ist, die einer derartigen Zuneigung nicht zugänglich sind. Mit der Liebe zu unseren Hunden und Katzen belasten wir die natürliche Ordnung, und am empfindlichsten alle Lebewesen, »die da unter freiem Himmel, in Feld, Wald und Wiese kreuchen und fleuchen«. Diese Tiere mögen keinerlei Rechte genießen, dennoch haben wir ihnen gegenüber Verpflichtungen – und das umso mehr, je weiter Menschen jeden Tag in ihre Lebensräume vordringen, um sie sich skrupellos anzueignen und gedankenlos zu genießen. Unsere sentimentale Liebe zu unseren Haustieren verstärkt einen Mangel an Verantwortungsgefühl, und allzu gerne feiern wir uns selbst in einer leichtgängigen Tierliebe, die uns nicht wirklich etwas abverlangt. Damit aber unterminieren wir den menschlichen Anstand, von dem der Rest der Welt in so entscheidender Weise abhängig ist.

Bekenntnisse eines Häretikers

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