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Tod in Klein Sibirien Maren Schwarz

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Hätte sich Norbert Reichenberg an diesem Januartag einen Moment Zeit genommen, um auf die mahnende Stimme in seinem Kopf zu hören, wäre vielleicht alles anders gekommen. Stattdessen beschloss er seine Bedenken auf dieselbe Art zu ignorieren wie seine Skrupel. Dabei konnte Norbert sich eigentlich glücklich schätzen. Er besaß alles, was sich ein Mann wünschte: Einen gut bezahlten Job, eine liebevolle Ehefrau und zwei reizende Kinder. Und doch gab es da etwas, was ihn all das aufs Spiel setzen ließ. Es war der Reiz des Unbekannten. Jener ultimative Nervenkitzel, wie man ihn nur in Extremsituationen erlebte. Das dabei freigesetzte Adrenalin ließ ihn zu Hochtouren auflaufen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Ein Gefühl, das Norbert zum ersten Mal beim Bungeesprung von der Europabrücke erfahren hatte. So lebendig hatte er sich nie zuvor gefühlt. In diesem euphorischen Zustand war ihm Stefanie über den Weg gelaufen. Stefanie, die wie er die Gefahr liebte. Für die es keine Tabus gab und die ihm den besten Sex seines Lebens beschert hatte. Statt die Sache als einmaligen Ausrutscher zu betrachten, verliehen die seither an Stefanies Seite bestandenen Abenteuer seinem Leben einen völlig neuen Sinn. Diesmal wollten sie sich in einer abgelegenen Waldhütte treffen. Es war Stefanies Idee gewesen. Und Norbert hatte ihr zugestimmt. Auch wenn die damit verbundene Herausforderung nicht gerade das war, was er sich vorgestellt hatte. Was sollte bei einer Skitour schon Aufregendes passieren? Er hatte sich nur darauf eingelassen, weil ihm nichts Besseres eingefallen war. Zumal sie von Wildwasserpaddeln bis hin zum Wüstentrekking nahezu alles ausprobiert hatten. Das zu toppen, war nicht leicht.

Dabei sollte sich zeigen, dass das Wetter durchaus noch zur Herausforderung werden sollte. Als Norbert Reichenberg mit aufgedrehtem Gebläse von zu Hause losfuhr, lag die Außentemperatur bei minus 27 Grad. Der Wetterbericht warnte vor umfangreichen arktischen Luftmassen. Bei solchem Wetter schickte man normalerweise keinen Hund vor die Tür. Der Meinung war auch der Tankstellenangestellte, der gegen 18 Uhr im tschechischen Kraslice 24 sein Geld entgegennahm. Er sei seit mehreren Stunden der einzige Kunde, der sich bei diesem Wetter heraustraue, hatte er ihm in gebrochenem Deutsch zu verstehen gegeben. Doch Norbert ignorierte den besorgten Tonfall in seiner Stimme mit dem lapidaren Hinweis, dass so ein bisschen Kälte noch niemandem geschadet habe. Inzwischen hatte er den deutsch-tschechischen Grenzübergang passiert. Heute wollte Norbert nicht in die Rundkirche ›Zum Friedefürsten‹ 25 , wie bei seinem letzten Aufenthalt hier, als er mit seiner Frau das Weihnachtsoratorium gehört hatte. Nein, seine Absicht war ganz und gar nicht fromm. Nachdem er den Kreisverkehr auf Klingenthaler Seite hinter sich gelassen hatte, streifte sein Blick das Navi und seine Miene verdüsterte sich.

Ausgerechnet heute musste es ihn im Stich lassen. Zum Glück lag im Handschuhfach ein alter Straßenatlas. Doch sich anhand der Karten zu orientieren, war für Norbert, der sich bislang stets auf sein Navi verlassen hatte, gar nicht so einfach und deshalb auch gründlich schiefgegangen. Er war falsch abgebogen. Es dauerte eine Weile, bis er den Irrtum bemerkte. Statt der Hauptstraße in Richtung Aschberg mit seinem Wanderaussichtsturm 26 zu folgen, war er nach links zur Vogtlandschanze 27 gefahren, die er nur aus dem Fernsehen kannte. War er hier wirklich richtig? Hätte er nicht in Mühlleithen an Skilift und Sommerrodelbahn 28 vorbeifahren müssen? Als er ein paar Kilometer weiter das Ortseingangsschild von Muldenberg passierte, dem weit über seine Grenzen hinaus bekannten Flößerdorf 29 , wusste er, dass er sich verfahren hatte. Einen Moment lang erwog Norbert umzukehren. Ein Blick in die Karte zeigte ihm, dass er einen Umweg gefahren war. Doch der ließ sich wettmachen, indem er der Straße nach Hammerbrücke folgte. Der darauffolgende Ort hieß Jägersgrün. Von dort aus war es nur noch ein Katzensprung bis nach Rautenkranz. In der Frischhütte mit ihrer Bowlingbahn 30 hatte er einmal ein Wochenende mit seiner Clique verbracht. Befand sich in den Wäldern dazwischen nicht auch der Waldpark Grünheide 31 ? Obwohl es ein paar Jahre her war, konnte Norbert sich noch gut an das in der Nähe des Vogtlandsees 32 gelegene Kinder- und Jugenderholungszentrum erinnern. Es musste an die fünf Jahre her gewesen sein, dass sein Sohn in den Sommerferien an einem Fußballcamp in besagtem Waldpark teilgenommen hatte.

In diesem Moment tauchte vor Norbert das Ortseingangsschild von Rautenkranz auf. Dem Geburtsort von Sigmund Jähn, der am 26. August 1978 als erster Deutscher ins All gestartet war. Bevor Norbert den Kreisverkehr in Richtung Morgenröthe verließ, erhaschte er einen Blick auf das neue Gebäude der Deutschen Raumfahrtausstellung 33 . Kurz darauf kamen die ersten Häuser von Morgenröthe in sein Blickfeld. Der Ort lag abgeschieden im Tal der Großen Pyra und war bekannt durch die ehemalige Glockengießerei 34 . Das Industriedenkmal kannte er, doch heute konnte er es nicht sehen. Je weiter er vorankam, desto enger und unpassierbarer wurde die Straße, an deren Rändern sich der Schnee türmte. Es hatte die letzten Tage fast ununterbrochen gestürmt und geschneit. Inzwischen hatte sich der Schneefall zwar gelegt, dafür war es bitterkalt. Laut Wettervorhersage stand die kälteste Nacht des Winters bevor. Mittlerweile hatte Norbert die etwas weiter südlich im gleichen Tal gelegene Siedlung Sachsengrund 35 mit ihren malerischen Häusern erreicht. Endlich war Skifahren angesagt. Norbert stellte seinen Jeep an der Gaststätte Weidmannsheil ab. Als er die Autotür öffnete, schlug ihm ein Schwall arktische Luft entgegen. Die Kälte traf sein Gesicht wie eine Ohrfeige und trieb ihm Tränen in die Augen. Das war ja noch frostiger, als er befürchtet hatte. Schnell schloss er die Tür. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Sache abzublasen. Norbert hatte den Gedanken noch gar nicht zu Ende gedacht, als er ihn auch schon verwarf und sich einen Ruck gab. Das bisschen Kälte würde er die letzten Meter auch noch überstehen. Selbst das man Sachsengrund auch als Klein Sibirien bezeichnete, konnte ihn nicht mehr zurückhalten.

Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zeigte ihm, dass es kurz nach 19 Uhr war. Bevor Norbert ausstieg, studierte er nochmals die Karte, die Stefanie ihm zugemailt hatte. Eine dünne Linie schlängelte sich bergauf, zu einem mit Bleistift markierten Punkt, an dem sich die Hütte befand: schätzungsweise fünf bis sechs Kilometer von seinem jetzigen Standort entfernt. Eine Entfernung, die er jeden Morgen vor dem Frühstück lief. Das sollte zu schaffen sein. Er würde sich einfach die Skier anschnallen und loslaufen. Hauptsache, er blieb in Bewegung. Die Kälte, die sich durch seine mit Fleece gefütterte Kleidung fraß, trieb ihn zur Eile an. Er öffnete den Kofferraum, um die Langlaufskier herauszuholen. Während Norberts Atem in der eisigen Luft zu kleinen Wölkchen kondensierte, dachte er an ein prasselndes Kaminfeuer, an die Wärme einer Sauna, an gutes Essen und ein Glas Wein. Wie aufs Stichwort begann sein Magen zu knurren. Es war Stunden her, seit er etwas gegessen hatte. Ein Fehler, wie ihm jetzt bewusst wurde. Einen wehmütigen Augenblick lang sah er hinüber zu den hellerleuchteten Scheiben der nahe gelegenen Gaststätte. Das Essen würde warten müssen, bis er bei Stefanie war.

Als er beim Anlegen der Skier für einen Moment die Handschuhe auszog, biss ihn die Kälte in die Finger. Die Berührung mit dem Metall der Bindung jagte Gänsehaut über seinen Körper. Obwohl er gleich danach wieder seine Handschuhe anzog, bemerkte er ein leichtes Taubheitsgefühl in seinen Fingern. Da musste er jetzt durch, dachte er, während er nach einer Biegung talaufwärts einem geräumten Waldweg folgte. Ein schweißtreibender Aufwärtssprint sorgte dafür, dass wieder Blut in seine Finger gepumpt wurde und ihm der Schweiß das Brustbein und den Rücken hinunterrann. Eine Zeit lang kam er gut voran. So gut, dass er die nächste Serpentine abzukürzen beschloss, indem er direkt den bewaldeten Hang hinaufstieg. Während er sich durch den tiefen weichen Schnee vorankämpfte, erschien der Vollmond am Himmel und übergoss die Landschaft mit silbrigem Licht. Norbert dachte, dass es eine ideale Nacht zum Skilaufen war. Obwohl er sich zwischendurch immer wieder an der Karte zu orientieren versuchte, war er mittlerweile längst nicht mehr sicher, ob er sich noch auf dem richtigen Weg befand. Als er einen steilen Abhang hinunterfuhr, passierte es. Seine Skispitze berührte einen eingeschneiten Baumstamm. Norbert segelte mit dem Kopf voran durch die Luft und landete bäuchlings im Schnee. Für eine Weile lag er reglos da. Um ihn herum herrschte Totenstille, lediglich unterbrochen vom Pulsieren des Blutes in seinen Ohren. Sein Knöchel schmerzte und er hatte sich den Kopf angeschlagen. Am Schlimmsten jedoch war, dass sein rechter Ski beim Aufprall in die Brüche gegangen war. Schnee hatte sich unter seinen Schal geschoben und war aufgrund seiner Körperwärme geschmolzen. Nun rann ihm das Wasser über Nacken und Rücken. Augenblicklich begriff Norbert, dass er vor einem Problem stand. Wie sollte er ohne Skier durch den Meterdicken Schnee vorankommen? Für jeden anderen wäre das der Moment gewesen, zurückzukehren. Nur für Norbert nicht. Schließlich war es doch genau das, weswegen sie hergekommen waren. Er und Stefanie. Der Gedanke an seine Geliebte beschleunigte seinen Pulsschlag und pumpte Adrenalin durch seine Adern. Er musste daran denken, wie sie ihn in der Hütte erwarten würde. Im Kamin würde ein Feuer brennen und es würde nach Glühwein duften. Vielleicht gab es sogar ein Bärenfell, auf dem sie es treiben konnten. Die Vorstellung jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken.

Vergessen waren die unangenehmen Begleitumstände. Wenn es nicht anders ging, würde er eben zu Fuß weitergehen. Schon der erste Schritt ließ ihn bis zu den Knien im Schnee einsinken. Ein Blick auf die Karte zeigte, dass es ihn viel Kraft kosten würde, zur Hütte zu gelangen. Wenn seine Berechnungen stimmten, hatte er noch mehr als die Hälfte des Weges vor sich. Dazwischen weit und breit nichts als Wald. Für einen kurzen Moment erwog Norbert, Stefanie anzurufen und ihr von seinem Missgeschick zu erzählen. Doch dann verwarf er den Gedanken. Zumal er sich nicht vorstellen konnte, dass er hier draußen Empfang für sein Handy hatte. Als er auf das Display blickte, wurde seine Vermutung bestätigt. Zum ersten Mal befielen ihn Bedenken, ob er unbeschadet aus der Situation herauskäme. Vielleicht sollte er besser umkehren? Am Ende siegte sein Kampfgeist. Stefanie würde ihm das nie verzeihen, wenn er jetzt zum Auto zurückgehen würde. Er zweifelte keinen Moment daran, dass sie in der Hütte auf ihn warten würde, um ihn nach Kräften für seine Strapazen zu entschädigen.

Inzwischen hatte die Kälte seinen müden Körper und seine schweißgetränkte Kleidung durchdrungen. Du darfst nicht schlappmachen, ermahnte er sich. Doch die Anstrengung kehrte sich jetzt gegen ihn. Die durch seine Bewegung geweiteten Kapillaren leiteten die Wärme seines Körpers über die Haut ab, und seine feuchte Kleidung wiederum gab sie rasch an die nächtliche Umgebung ab. Die Folge war, dass seine Körpertemperatur binnen weniger Minuten rapide sank. Seine Nacken- und Schultermuskeln spannten sich an und er begann zu zittern. Hände und Füße fingen vor Kälte an zu schmerzen. Obwohl sich Norbert durchaus der Gefahr bewusst war, in der er sich befand, kämpfte er sich mit verbissener Miene Meter um Meter durch den Schnee in Richtung Hütte. Das Laufen fiel ihm immer schwerer. Mit jedem weiteren Schritt nahm das Bewusstsein zu, dass es ein Fehler war, in dieser kalten Nacht draußen herumzulaufen. Schon längst hatte er keinen Blick mehr für die Schönheit der von gleißendem Mondlicht überfluteten Landschaft.

Zu spät begriff er, dass es falsch gewesen war, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Was waren Wildwasserfahrten, Bungeejumping oder ein Fallschirmsprung im Gegensatz zu dem hier? Norbert verfluchte seinen Leichtsinn, der ihn in diese Situation gebracht hatte. Er hätte besser auf den Wetterbericht hören und ihr Treffen absagen sollen. Allerdings war das leichter gesagt als getan. Schließlich wollte er Stefanie unbedingt sehen. Sie waren wie zwei Süchtige auf der Suche nach immer neuen Herausforderungen. Es war die Gefahr, die sie reizte. Deshalb waren sie jetzt hier. Nur dass Stefanie klüger gewesen war als er. Sie war bereits am frühen Morgen aufgebrochen. Zu einer Zeit, als sie das Tageslicht auf ihrer Seite hatte. Er hingegen war erst losgezogen, als es draußen bereits zu dämmern begann. Noch dazu in ein ihm völlig unbekanntes Gebiet. Und das bei der Kälte!

Obwohl Norbert einsah, dass er den Trip hätte besser planen sollen, ignorierte er die Stimme in seinem Kopf, die ihn zur sofortigen Umkehr mahnte. Statt ihr zu folgen, blieb er unentschlossen stehen und zog die Karte zurate. Er warf noch mal einen Blick drauf und schätzte ab, welchen Weg er nun einschlagen würde: Zurück zum warmen Auto oder weiter zur Hütte. Norbert rang mit sich. Inzwischen zitterte sein ganzer Körper, was dazu führte, dass er nicht mehr klar denken konnte. Sonst hätte er womöglich kehrtgemacht, um seiner eigenen Spur zurück zu folgen. So jedoch entschied er sich fürs Weiterlaufen. Wobei Herumirren passender gewesen wäre. Seine Muskeln waren kalt und verhärtet. Jeder Schritt wurde zur Herausforderung. Längst hatten Stefanie und ihr nackter Körper ihre Reize verloren. Er sehnte sich nur noch danach, endlich ins Warme zu kommen. Es verging eine weitere Stunde, die Norbert wie eine gefühlte Ewigkeit vorkam. Er war jetzt in dem Stadium, indem die ersten Ausfallerscheinungen einsetzten. Norbert hatte keinerlei Zeitgefühl. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es nach Mitternacht war. Er fragte sich, ob Stefanie schon nach ihm suchte. Würde sie ihn vermissen und sich um ihn sorgen? Es gelang ihm nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Kurz darauf schaute er wieder auf die Uhr. Er konnte sich die Ziffern nicht merken. Voller Verzweiflung ließ er sich in den Schnee fallen. Nur um sich gleich wieder aufzurappeln.

Komm schon, du schaffst das, sprach er sich Mut zu, während er auf allen vieren weiterkroch. Immer wieder sank er ein. Seine Körperwärme verlor sich im weichen Schnee, der ihn umfing. Inzwischen hatte er die Grenze zur mittelgradigen Unterkühlung unterschritten. Die Pumpleistung seines Herzens betrug jetzt nicht einmal mehr zwei Drittel der Normalleistung. Doch Halt! Was war das? Hatte da nicht jemand nach ihm gerufen? Er hob den Kopf, um zu lauschen. Aber das Ganze war nur eine Halluzination, hervorgerufen durch den Sauerstoffmangel.

Norbert versuchte, sich aufzurappeln, tappte ein paar Schritte durch den Schnee. Er konnte spüren, wie seine Kräfte mit jedem Meter schwanden, den er sich stolpernd vorankämpfte. Als er wieder einmal stürzte, kroch er nur noch vorwärts. Es gelang ihm, sich Meter um Meter vorwärtszuschieben. Auch wenn er dabei immer wieder auf dem Schnee zusammenbrach und einsank. Sein Kopf glich einer zentnerschweren Last. Nicht nachlassen, befahl er sich, sonst bist du erledigt. Plötzlich sah er die Hütte. Seine letzten Kräfte mobilisierend, rappelte er sich hoch und taumelte auf die Tür zu. Doch die war abgeschlossen. Verzweifelt rüttelte er an der Klinke. Keiner da. Und das aus gutem Grund. Nur dass Norbert das nicht wissen konnte. Dazu hätte ihn Stefanies Mail erreichen müssen, in der sie das Treffen in allerletzter Minute abgesagt hatte. Ihre Nachricht war von seiner Frau abgefangen und gelöscht worden. Es hatte nur eines Tastendruckes bedurft.

Norbert würde nie erfahren, dass seine Frau von seinen Seitensprüngen wusste. Sie hatte nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, um ihm seine Untreue heimzuzahlen. Eine Gelegenheit wie diese. Es hatte sie zwar einiges an Zeit und Mühe gekostet, das Passwort seines Computers zu knacken. Doch der Aufwand hatte sich gelohnt. Durch die Mails, die Norbert mit Stefanie gewechselt hatte, war sie stets auf dem aktuellen Stand. Ihre anfänglichen Skrupel, ihrem Ehemann nachzuschnüffeln, hatte sie längst abgelegt. Zu tief saß die Schmach. Während Norbert ums Überleben kämpfte, zertrümmerte seine Frau in aller Seelenruhe die Festplatte seines Computers. Nur keine Spuren hinterlassen. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass ihr Plan aufgehen würde. Denn so wie sie Norbert kannte, konnte ihn nichts und niemand davon abhalten, seinen einmal gefassten Plan zu ändern. Sie wusste, dass er springen würde, wenn seine Geliebte nach ihm rief. Und sie sollte recht behalten. Ganz im Gegenteil zu Norbert: Der lag im Schnee vor der Hütte und verstand die Welt nicht mehr. Erschöpft schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, befand er sich in der Hütte vor dem Kamin. Das Feuer verbreitete eine wohlige Wärme. Zuerst war es angenehm, dann heiß. Irgendwann versengte die Hitze sein Fleisch und seine Kleidung fing Feuer. Bei minus 30 Grad riss sich Norbert in einem verzweifelten Anfall die Anziehsachen vom Leib. Sein ganzer Körper stand in Flammen. In einem letzten Moment geistiger Klarheit erkannte er, dass da gar kein Kamin war. Er lag allein in der bitteren Kälte, von der Taille aufwärts nackt im eisigen Schnee vor der Hütte. Diesmal hast du die Gefahr unterschätzt, war sein letzter Gedanke, bevor er das Bewusstsein für immer verlor. Zwei Tage später fand der Revierförster seine tiefgefrorene Leiche.

Mörderisches Vogtland

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