Читать книгу Nicht nur Kugeln töten: Detektei Vokker: Ein Wien-Krimi - Roland Heller - Страница 7

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Florian bemerkte ihn zuerst. „Deckung, Harald!“, schrie er und warf sich zur Seite.

Vor mir blitzte es auf, grellrot und aggressiv. Die Schüsse einer Pistole peitschten wie ein Feuerwerk geifernden Hasses durch die Nacht.

Ich fiel und rollte in ein mit leeren Konservendosen gefülltes Loch. Das laute Scheppern und der penetrante Gestank ließen mich das Gesicht verziehen. Es roch nach Asche, Korrosion und Verwesung. Um mich herum war es stockdunkel.

Jetzt schwieg die Waffe. Ich schätzte, dass der Gegner etwa 20 Meter von uns entfernt irgendwo in seiner Deckung lag. Seine Kugeln hatten uns nur knapp verfehlt.

Die Stille hatte etwas Lastendes. In diesem von Schutt und Unrat geformten Gelände zirpte nicht einmal eine Grille.

Florian und ich hatten es für eine gute Idee gehalten, uns dem allein stehenden ehemaligen Heurigen zu nähern, indem wir den Weg über den Schuttabladeplatz wählten. Wir hatten uns das Gelände bei Tag angesehen und kannten die wenigen Wege, die diese Abfallhalden durchzogen. Wir hatten damit spekuliert, dass wir hier in keine Fallen oder Alarmanlagen laufen würden, aber diese Annahme war ein Trugschluss gewesen.

Immerhin wussten wir jetzt, dass der Tipp Hand und Fuß hatte. Das aufgelassene Lokal, für die wir uns interessierten, wurde anscheinend abgeschirmt wie ein sündteures Feriendomizil einer Berühmtheit. So sah es jedenfalls aus.

Es war fünf Uhr morgens. Im Osten zeigte sich ein schmaler Silberstreifen am Horizont. Er war noch zu kraftlos, um das zäh am Boden klebende Dunkel zu verscheuchen.

Plötzlich fiel ein einzelner Schuss. Florian hatte ihn abgegeben. Die Kugel traf eine Blechdose, die klirrend über den Boden hüpfte und dann liegenblieb.

Florian hatte erwartet, dass unser unsichtbarer Gegner prompt zurückfeuern und damit seine jetzige Position zu erkennen geben würde, aber nichts geschah.

Ich hob meinen Kopf und blickte über den Kraterrand. Es war unmöglich, das Dunkel mit den Augen zu durchdringen. Ich lag verdammt unbequem. Meine scharfkantige und lärmempfindliche Unterlage ließ es jedoch geraten erscheinen, vorerst auf jede verräterische Bewegung zu verzichten. Minuten verstrichen, ohne dass etwas geschah. Dann hielt ich es nicht länger aus.

„Florian“, rief ich leise und richtete meinen Oberkörper auf. Das Blech unter mir lieferte dazu eine hässliche Begleitmusik.

„Alles okay“, erwiderte er.

„Du gehst nach rechts, ich nach links“, sagte ich laut genug, um im Umkreis von zwanzig Metern verstanden zu werden.

Der Schütze konnte es sich nicht leisten, von uns in die Zange genommen zu werden. Ich rechnete damit, dass er es vorzog, die Flucht zu ergreifen.

Ich holte meine Glock aus dem Schulterhalfter und stand auf, mit hellwachen Sinnen und gespannten Muskeln, bereit, nötigenfalls sofort wieder in Deckung zu gehen.

Ich hörte, wie Florian sich nach rechts absetzte und schlug einen Bogen in die andere Richtung. Ich war mir durchaus des Risikos bewusst, das wir eingingen. Vielleicht wartete der Gangster nur darauf, dass wir ihm näher kamen.

Plötzlich ertönte weit vor mir das jaulende Geräusch eines Autoanlassers. Die Maschine sprang nur zögernd an. Dann fuhr der Wagen davon, ohne dass die Scheinwerfer angestellt wurden.

Ich schloss daraus, dass der Schütze getürmt war. Florian musste das Gleiche annehmen. Trotzdem blieben wir vorsichtig. Es war immerhin denkbar, dass wir es mit mehr als einem Gegner zu tun hatten. Der abfahrende Wagen sollte uns möglicherweise bluffen und leichtsinnig werden lassen.

„Mein Gott“, hörte ich Florian plötzlich sagen. Er war nicht so weit von mir entfernt, wie ich angenommen hatte.

„Was ist los?“, rief ich zu ihm hinüber. „Was hast du entdeckt?“

In der Ferne ertönte der klagende Heulton eines LKWs. Florian antwortete nicht sofort. Dann sagte er mit seltsam gepresst klingender Stimme: „Komm bitte, Harald. Hier liegt ein Toter.“

*


Florian hatte eine Taschenlampe bei sich. Ehe er sie anknipste, kauerten wir uns neben dem Toten auf den Boden, um kein großes Ziel abzugeben.

Der Tote war völlig nackt. Er hatte schmale, scharfgeschnittene Gesichtszüge von typisch asiatischem Charakter. Ich schätzte sein Alter auf 30 Jahre.

Die Augen des Toten waren geschlossen. An seinem rechten Mundwinkel klebte ein verkrustetes Blutrinnsal. Der Körper zeigte drei Einschussöffnungen. Zwei davon befanden sich in Höhe seines Herzens, die dritte Kugel hatte ihn unterhalb der linken Schulter getroffen und zweifellos seine Lunge verletzt.

Vermutlich hatte er davon nichts mehr gemerkt. Die Herzschüsse waren sofort tödlich gewesen.

Florian ließ den Lichtkegel über den Körper des Toten gleiten. Der Mann war schlank, wohlproportioniert und etwa fünf Fuß groß. Er hatte keine Operationsnarben, keine Tätowierungen und keine besonderen Körpermerkmale. Seine schmalen blassen Hände waren unberingt und machten den Eindruck, als ob sie viel mit harter Arbeit in Berührung gekommen wären.

„Sieh dir mal die Nägel an“, sagte Florian. „Abgekaut. Er muss verdammt nervös gewesen sein.“

Die Haut des Mannes war von geradezu kalkigem Weiß.

Florian knipste die Lampe aus. „Kennst du ihn?“, fragte er mich.

„Nein. Und du?“

Florian richtete sich auf. „Ich sehe ihn zum ersten Mal“, sagte er bitter. „Ich kann nicht behaupten, dass mir diese Begegnung Spaß macht.“

Es war klar, dass Florians Worte sich nicht nur auf den Leichenfund bezogen. Das Pistolenfeuer hatte Florian und mir bestätigt, dass es mit dem Lokal tatsächlich etwas auf sich haben musste. Aber das schien noch nicht alles zu sein.

Florian und ich hatten den Schuttabladeplatz ausgerechnet zu einem Zeitpunkt überquert, als ein Gangster damit beschäftigt gewesen war, ein Mordopfer zu vergraben.

Er hatte sich bei unserem Näherkommen ertappt gefühlt und blindlings auf uns geschossen. Dann war er mit seinem Wagen getürmt.

„Das Heurigenlokal ist einen halben Kilometer von hier entfernt“, meinte Florian nachdenklich. „Ich bezweifle, dass ihre Besitzer das Opfer eines von ihnen verübten Gewaltverbrechens in so unmittelbarer Nähe ihrer Behausung vergraben würden.“

Ich griff nach dem Handgelenk des Toten. „Die Leichenstarre hat schon vor mehreren Stunden eingesetzt“, stellte ich fest und richtete mich auf.

„Wir müssen unsere Pläne ändern.“

„Ich laufe zum Wagen und benachrichtige die Mordkommission“, entschied ich. „Du bleibst am besten hier.“

„Wäre es nicht besser, wenn ich dich begleitete?“, fragte Florian. „Der Gangster kann sich leicht ausrechnen, dass wir mit einem Wagen hergekommen sind und das Fahrzeug am Rand des Geländes geparkt haben. Er braucht nur um den Platz zu fahren und dich oder uns dort erwarten.“

„Wenn wir gemeinsam losmarschieren, besteht die Gefahr, dass jemand den Toten von hier verschwinden lässt“, wandte ich ein.

„Okay, ich bleibe“, seufzte Florian und ergab sich in sein Schicksal.

Ich gab ihm eine Packung Pfefferminzbonbons und trabte dann so schnell los, wie es die Wege und die Dunkelheit erlaubten. Eine Viertelstunde später hatte ich meinen Jaguar erreicht. Ich erinnerte mich an Florians Worte und näherte mich dem Wagen mit äußerster Vorsicht.

Der Jaguar stand am Rande eines Feldweges. Ehe ich die Tür auf der Fahrerseite öffnete, sicherte ich mich rundherum ab. Aus dem Silberstreifen am Horizont war inzwischen ein breites Band von verwaschen wirkendem Grau geworden. Es gab bereits genügend Licht ab, um die nähere Umgebung zu erkennen.

Ich griff nach dem Telefonhörer und zuckte zusammen, als ich plötzlich eine Stimme hörte. Es war die seltsamste Stimme, die jemals im Cockpit meines Wagens erklungen war. Sie hatte verteufelte Ähnlichkeit mit dem schnarrenden Organ von Donald Duck.

„Hören Sie mich?“, fragte die Stimme. „Hallo, hören Sie mich?“

Ich schluckte und neigte den Kopf zur Seite. Die Stimme kam aus dem Handschuhfach.

*


Ich öffnete das Handschuhfach. In seinem Inneren lag eine schwarze Metallbox. Sie ähnelte in ihren Abmessungen und dem Aussehen einem kleinen Radio. Ich begriff sofort, dass es sich um ein Walkie-Talkie, ein Funksprechgerät, handelte.

„Wer sind Sie?“, fragte ich in die Box.

„Sie erwarten hoffentlich nicht, dass ich mich Ihnen vorstelle“, krächzte es aus dem Lautsprecher. „Ich war an Ihrem Wagen. Statt des Senders hätte ich auch eine Bombe hineinlegen können. Ich habe es nicht getan und hoffe, dass Sie diese Zurückhaltung honorieren werden.“

Der klirrende Lautsprecher war offenbar defekt. Möglicherweise war es ein absichtlich herbeigeführter Schaden, der dem Zweck diente, die Stimme des Sprechers zu verfremden.

Immerhin war aus der Art, wie der Gangster seine Sätze formulierte, zu erkennen, dass er einen gewissen oberflächlichen Schliff besaß. Ich erkannte noch etwas anderes. Der Gangster hatte den kleinen Sender geopfert, um herauszufinden, ob Florian und ich den Toten gefunden hatten.

„Sie sind ein Bulle“, fuhr der Mann fort. „Das beweist schon die Ausrüstung Ihres Wagens. Was suchen Sie hier draußen?“

„Denken Sie einmal darüber nach“, sagte ich.

Er lachte kurz und unlustig. „Diese Mätzchen verfangen nicht bei mir“, sagte er. „Ich soll jetzt wohl denken, Sie waren hinter mir her? Das können Sie jemand erzählen, der seine Sandwiches mit getragenen Socken belegt.“

„Na fein“, sagte ich. „Jetzt nennen Sie mir mal einen plausiblen Grund, der uns mitten in der Nacht auf die Schutthalden geführt haben könnte.“

„Ich bin nicht in der Stimmung, darüber nachzudenken“, schnarrte mein Gesprächspartner. „Hören Sie, Bulle. Ich habe mir Ihre Wagennummer notiert. Falls Sie mir, weshalb auch immer, Schwierigkeiten zu machen versuchen, lasse ich Sie hochgehen. So hoch wie die Milchstraße. Verstehen wir uns?“

„Ihre plastische Ausdrucksweise gestattet keine Missverständnisse“, sagte ich und errechnete mir, dass mein Gesprächspartner bestenfalls einen halben Kilometer von mir entfernt sein konnte. Ich hatte mit Florian vor Beginn der nächtlichen Aktionen das Gelände genau sondiert und kannte die Straßen, die sich in der Nähe befanden.

Ich nahm das Funksprechgerät aus dem Handschuhkasten. Die Dinger waren fast ausnahmslos nach dem gleichen Prinzip gebaut. Ich hatte keine Mühe, den Hebel zu finden, der den Sender lahmlegte und lediglich den Empfänger in Betrieb hielt. Jetzt konnte ich den Mann hören, ohne selbst gehört zu werden.

Ich griff nach dem Wagentelefon und fluchte leise, als das herausgerissene Kordelende gegen meine Knie schlug. Der Gangster hatte die Anlage unbrauchbar gemacht. Eigentlich hätte ich mir das denken können. So hatte ich keine Chance mehr, sofort durch die Polizei Straßensperren errichten zu lassen. Ein Handyanruf hat nicht die gleiche Wirkung wie eine Nachricht über einen offiziellen Kanal.

„Ich verschwinde jetzt, Bulle“, sagte der Gangster. „Denken Sie an meine Worte, und verschwenden Sie Ihre kostbare Zeit nicht damit, mich mit Hilfe des komischen Senders finden zu wollen. Das Ding stammt aus dem Kaufhaus. Ich habe es dort vor einem halben Jahr gekauft. Es war ein Sonderposten, für den sich Hunderte von Kunden interessierten.“

Ich sprang aus dem Wagen. Die Sicht war noch immer begrenzt, aber ich konnte mich schnell genug bewegen, um Florian innerhalb von fünf Minuten zu erreichen.

Ich schilderte ihm mit wenigen Worten, was geschehen war und fügte hinzu: „Ich wette, der Kerl drückt sich noch immer in der Gegend herum. Er hatte den Auftrag, den Toten verschwinden zu lassen und muss fürchten, dass jemand nach Tagesanbruch die Leiche entdecken wird. Wir haben eine faire Chance, den Gangster zu bluffen. Setz dich in den Jaguar und fahre zur nächsten Polizeistation, sorge aber bitte dafür, dass innerhalb der nächsten Stunde hier alles ruhig bleibt. Ich gehe in der Nähe in Deckung. Vielleicht haben wir Glück, und der Gangster kreuzt noch einmal auf. Er wird nur kommen, wenn er sieht, dass der Jaguar in Richtung Wiener Innenstadt verschwindet.“

Florian nahm die Zündschlüssel entgegen und sprang davon. Ich suchte mir unweit des Toten einen etwas bequemen Erdkrater aus und ging dort in Deckung. Ich hörte, wie die Maschine meines Oldtimers ansprang und sich dann entfernte.

Ich legte mich auf den Rücken und war froh, für diese Aktion meine ältesten Klamotten gewählt zu haben. Ich war mit Blue Jeans, einem Sporthemd und einem alten ledernen Lumberjack bekleidet. Wegen des Schulterhalfters konnte ich den Reißverschluss der Jacke nur halb schließen. Den Revolver hielt ich schussbereit in der Hand.

Ich dachte an den Toten, der nur wenige Meter von mir entfernt lag, umgeben von Asche, Lumpen und verrosteten Blechdosen. Ich dachte an den Mann, der ihn hertransportiert hatte, um die Leiche unter ein paar Lagen Müll verschwinden zu lassen, und ich dachte an das nahe geheimnisvolle Lokal, das Florian und mich zu diesem nächtlichen Ausflug veranlasst hatte.

*


Gestern stand er am Morgen bereits vor der Tür des Hauses, in dem wir unser Büro besaßen. Er hatte auf uns gewartet.

„Wollen Sie ein paar Scheine verdienen?“, fragte er direkt. „Schnelle Scheine.“

„Wir schnell?“, fragte ich und musterte das Männchen, das mir bis an die Brust ging. Wenn ein Unbeteiligter uns als Bild sah, musste es so ungefähr aussehen wie das berühmte Kinoplakat, auf dem Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito ein ungleiches Zwillingspärchen mimten.

„Ein, zwei Tage, höchstens drei, schätze ich. Das meine ich mit schnell.“

„Kommt darauf an, was wir tun sollen.“

„Ich bin nur an Informationen interessiert. Ich will wissen, was vor sich geht.“

„Dazu benötigen Sie einen Privatdetektiv?“

„Schauen Sie mich an. Glauben sie, ich kann unerkannt denen hinterher latschen?“

Bei der Figur – da musste ich ihm Recht geben. Das hätte nicht gut funktioniert.

„Ein paar Informationen brauche ich noch. Sowohl über Sie als auch über die Sache.“

Ich öffnete die Tür und zusammen stiegen wir die Treppe hoch und betraten das Büro. Ich wies auf den Besuchersessel.

Gott sei Dank war Sommer. Da brauchten wir uns nicht zur Garderobe bemühen.

„In welcher Branche sind Sie tätig?“

„Ich habe unter anderen – und nur auf diesen Geschäftszweig kommt es bei diesem Geschäft darauf an – ein paar Häschen laufen. Nein, ich bin kein Zuhälter. Ich betreibe einen Begleitservice. Alles ganz legal, bei der Behörde gemeldet und meine Begleiterinnen sind registriert. Wie weit sie gehen, kann jede individuell bestimmen. Ich sorge für die beste Gesellschaft während der Abendstunden, attraktiv und gebildet. Ja, vor allem auf das Zweite kommt es mir drauf an. Jemand pfuscht mir jetzt in dieses Geschäft hinein.“

„Und Sie denken, Beobachtung genügt in diesem Fall?“

„Ich will lediglich wissen, wer mit den Damen - also die Kunden – Kontakt aufnimmt.“

*


Alles, was wir von diesem Lokal wussten, das wir observieren sollten, entstammte den Hinweisen des Mannes, der sich uns als Ralf Bullhaupt vorgestellt hatte. Unter diesem Namen fanden wir ihn auch tatsächlich im Register der Wirtschaftskammer. Er betrieb eine Reihe von Geschäften, auf den ersten Blick seriös, aber alle angesiedelt in einem Milieu, das zahlreichen Spekulationen Raum bot.

Die Art, wie Bullhaupt über den Heurigen und seinen Verwendungszweck gesprochen hatte, war eine seltsame Mischung vager Andeutungen und präziser Angaben gewesen.

Wir verstanden genug von unserem Job, um sofort zu wissen, dass der Kerl ernst zu nehmen war und eine real vorhandene Sorge ihn antrieb. Deshalb wollten wir die Hinweise des Mannes überprüfen.

Der Himmel über mir verwandelte sich in ein schmutziges Grau. Noch eine halbe Stunde, und es würde hell sein. Danach konnte es der Gangster nicht mehr riskieren, hier aufzukreuzen. Es war überhaupt zweifelhaft, ob er sich noch einmal in die Nähe des Toten wagen würde.

Die Zeit verstrich. Gelegentlich schreckte mich ein Geräusch hoch. Es war entweder der Wind, der mit ein paar Papierfetzen spielte, oder eine Ratte, die einen Morgenspaziergang machte.

Als mir klargeworden war, dass meine Warterei keinen Sinn mehr hatte, richtete ich mich auf. Genau in diesem Augenblick setzte ein leichter Nieselregen ein.

Ich schob meine Waffe zurück und schaute mich um. Die graue, mit Papierfetzen gesprenkelte Mülllandschaft, der nackte Tote und das triste, kraftlose Morgenlicht, das über allem lag, waren von deprimierender Wirkung. Ehe Florian mit den Kollegen von der Polizei eintraf, würde mindestens noch eine halbe Stunde vergehen.

Ich hatte keine Lust, untätig hier herumzustehen und ging den Fahrweg bis zu der Stelle hinab, wo der Wagen des Gangsters vermutlich gestanden hatte. Hier gab es so viele Reifenspuren, dass kaum festzustellen war, welche von dem Fahrzeug des Gangsters stammten.

Der Regen nahm allmählich zu. Ich stellte den Kragen meines Lumberjacks hoch und fand mich damit ab, dass diese Spuren in spätestens einer Viertelstunde verwischt sein würden.

Am Rande des Weges bemerkte ich einen Fetzen Leinwand. Ich bückte mich danach und kehrte zu dem Toten zurück. Ich bedeckte ihn mit dem schmutziggrauen Stoff und beschwerte die Enden mit ein paar Steinen. Dann kritzelte ich ein paar Worte auf einen Zettel, riss ihn aus meinem Notizbuch und schob ihn unter einen Stein. „Bin beim Heurigen“, stand darauf.

Wenn ich mich beeilte, konnte ich das Grundstück in wenigen Minuten, also gegen halb fünf Uhr erreichen. Zu diesem Zeitpunkt würde, wie ich hoffte, noch alles in tiefem Schlaf liegen.

Bullhaupt hatte unter anderem die Vermutung ausgesprochen, dass das Lokal ein Umschlagplatz für den mächtigste Rauschgiftring der Stadt sei. Hier sollte vor allem das Geschäft mit den synthetischen Drogen abgewickelt werden. Wir hatten, wie üblich, das Erstgespräch auf Band mitgeschnitten und mehrmals abgespielt. Die Stimme des Mannes klang mir deutlich in den Ohren.

Die Heurigenbewohner erhielten angeblich den hochprozentigen Stoff von ihren ausländischen Lieferanten und verdünnen ihn an Ort und Stelle auf handelsübliche Mischungen, hatte er unter anderem behauptet.

Das Lokal lag an der zweispurigen, dennoch engen Straße von Neustift am Walde. Der Ort war vor allem bekannt durch seine Heurigen, die typischen Wiener Buschenschanken – oder einfach Weinkeller. Hier gab es von den Nobelheurigen bis zu den urigen kleinen Weinlokalen für jeden Geschmack das Richtige.

Die Straße verlief zwischen den Hügeln. Links und rechts erhoben sie sich sanft und in Stufen angelegt die Weinberge, die den Wein lieferten, der in dem jeweiligen Lokal ausgeschenkt werden durfte.

Wenn die Angaben des Mannes stimmten, konnten die Gangster die Ware mit jedem LKW unauffällig transportieren. Es war kein Problem, die geschmuggelte Rohware jederzeit aus dem Lieferfahrzeug auszuladen.

Ich erreichte das Lokal nach zwanzig Minuten. Es handelte sich um ein hölzernes, ziegelrot gestrichenes Wohnhaus mit drei Nebengebäuden, in denen ursprünglich die Wirtschaftsräume untergebracht waren. Die Gebäude standen eng beieinander. Die Nebengebäude machten einen reichlich heruntergekommenen Eindruck. Der Heurige sah nicht mehr so aus, als herrsche hier noch viel Betrieb.

Hinter dem Haus erhob sich der Weinberg etliche Meter, sicherlich fünfzig Meter oder mehr in die Höhe. Daran schlossen sich ein paar künstlich angelegte Fischteiche an. Gleich hinter den Teichen lag ein Waldstück. Das Ganze sah sehr normal aus und unterschied sich kaum von anderen Buschenschanken der Umgebung.

Beim Näherkommen registrierte ich jedoch zwei Dinge, die weniger typisch waren. Ich bemerkte nirgendwo landwirtschaftliche Geräte, und neben dem Wohnhaus stand ein Wagen, den sich ein kleiner Heurigenwirt schwerlich leisten konnte. Es war ein Hummer des letzten Baujahrs. Ein richtig bullig aussehendes Fahrzeug.

Ich ging auf das Wohnhaus zu und schaute mich nach einem Hund um, aber alles blieb still. Die Fensterläden des Wohnhauses waren geschlossen. Ich musterte die Nebengebäude. Mir fiel auf, dass die Bauten brandneue, sehr solide wirkende Türen und Tore hatten. Sie waren ausnahmslos verschlossen.

Es regnete noch immer. Meine Blue Jeans klebten mir an der Haut, aber oben herum schirmte mich der lederne Lumberjack gegen die Nässe ab. Ich trat an den Wagen heran. Er hatte eine Wiener Zulassung. Im Fond lagen ein Päckchen Erfrischungstücher und ein paar ältere Ausgaben des Playboy-Magazins.

Ich hörte, wie ein LKW heranratterte und wandte den Kopf, als er sein Tempo verlangsamte. Es war ein mittelgroßer Lieferwagen, der ein knallgelben Führerhaus aufwies. Er stoppte vor einem Signal, fuhr aber kurz darauf weiter.

Ich setzte mich in Bewegung und stieg den Weinberg hoch. Die Rebstöcke sahen nicht so aus, als kümmerte sich noch jemand um sie. Sie benötigten dringend einen Schnitt. Die Pfade zwischen den Fischteichen waren ziemlich schmal und mit Gras bewachsen. Fasziniert beobachtete ich, wie die Regentropfen auf der Wasserfläche ein Wechselspiel ineinanderfließender Kreise und kleiner Blasen erzeugten.

Plötzlich durchzuckte mich ein scharfer, wilder Schmerz. Der Angriff kam so plötzlich und unerwartet, dass ich einen Schrei ausstieß. Er verband sich mit dem schrillen Klapplaut des Fangeisens, das mit seinen spitzen Metallzähnen meine Hose aufriss und sich in mein Bein bohrte.

Mit offenem Mund wartete ich auf das Abklingen des Schmerzes, aber er blieb. Ich bückte mich und versuchte mit beiden Händen und aller Kraft, die beiden Bügel der Fußangel zurückzudrücken. Ich schaffte es nicht. Die Feder, die den teuflischen Apparat gespannt hielt, war zu stark.

Schwer atmend richtete ich mich auf. Ich spürte, wie sich mein Blut mit dem Regenwasser vermengte und überlegte, was zu tun war. Das Wohnhaus war etwa hundert Meter von mir entfernt. Wenn ich um Hilfe schrie, musste man mich hören, aber ich war nicht darauf versessen, mich den Bewohnern als ein Privatdetektiv in der Fußangel zu präsentieren.

Ich befand mich auf fremdem Grund und Boden. Wenn es den Bewohnern gefiel, konnten sie mein Pech noch mit einer Anzeige krönen.

Ich dachte an Florian. Vermutlich traf er um diese Zeit auf der Schutthalde ein. Er wusste unter Umständen schon, wo ich mich befand, aber es war keineswegs sicher, ob er sofort aufbrechen würde, um mir Gesellschaft zu leisten. Schließlich war er vollauf damit beschäftigt, der zuständigen Mordkommission die näheren Umstände des Leichenfundes zu erklären.

Ich bückte mich erneut, um festzustellen, ob die Fußangel im Boden verankert war. Dabei entdeckte ich, dass sie mit einem Klingeldraht verbunden war.

Ich blickte hinüber zum Haus. Vermutlich hatte das zuschnappende Eisen dort Alarm ausgelöst. Ich rechnete damit, dass sich in den nächsten Sekunden ein Fensterladen öffnen oder einer der Bewohner vor dem Haus zeigen würde.

Eine Sekunde, später hörte ich einen Schrei, dann noch einen. Die Schreie kamen aus dem Haus. Sie waren schrill und stammten von einer Frau.

Danach war Stille. Nur das monotone Plätschern des Regens war zu hören. Ich bückte mich abermals und zerrte mit wütender Verbissenheit an den gezahnten Bügeln, die meinen Fuß festhielten. Ich schaffte es, sie ein paar Millimeter weit zur Seite zu drücken, aber das reichte nicht aus, um mich aus der Falle zu befreien.

Ich richtete mich auf und blickte hinüber zum Haus. Wer hatte geschrien und warum? Die Fensterläden des Wohnhauses blieben geschlossen.

Dann stellte ich fest, dass das schwere Fangeisen nicht am Boden befestigt war. Es war eine Qual, den Fuß damit anzuheben und einen Schritt nach vorn zu machen, aber es ging, nachdem ich den Klingeldraht abgerissen hatte.

Ich kam nur sehr langsam voran. Bei jeder Bewegung bohrten sich die scharfen Metallzähne tiefer in mein Bein. Die Wunden bluteten ziemlich stark.

Ich biss die Zähne zusammen und nahm die Tortur auf mich. Ich musste es schaffen, mich den Nebengebäuden zu nähern. Vielleicht entdeckte ich dort eine Stange, mit der ich das Fangeisen aufstemmen konnte.

Ich musste immer wieder Pausen einlegen. Der Regen ließ etwas nach. In dem Haus war es jetzt wieder völlig still.

Endlich hatte ich die Nebengebäude erreicht. Vergeblich suchte ich nach einem Werkzeug, das mir aus der Klemme helfen konnte.

In diesem Moment öffnete sich die Haustür. Ein Mann stürzte heraus. Er trug eine hellbraune Kombination und einen karierten Sommerhut. Ohne zur Seite zu blicken, hetzte er zu dem Hummer. Die Art und Weise, wie er nervös mit den Schlüsseln herumfummelte, ließ erkennen, dass er sie zum ersten Mal benutzte.

Endlich saß er hinter dem Lenkrad. Er startete die Maschine und brauste los, ohne mich auch nur bemerkt zu haben. Die Haustür war hinter ihm offengeblieben.

Für einen Moment hatte ich meine Schmerzen vergessen, aber schon in der nächsten Sekunde setzten sie mit doppelter Wucht wieder ein.

Ich schleppte mich ein paar Yard weiter und entdeckte schließlich eine Eisenstange, die, halb von Unkraut überwuchert, am Boden lag.

Ich hob sie auf und mit einiger Mühe gelang es mir, die Bügel zu öffnen und meinen Fuß herauszuziehen. Die leere Falle schnappte mit einem klackenden Laut wieder zu. Ich warf die Stange weg und ließ mich zu Boden fallen.

Ich brauchte zwei volle Minuten, um mich von der Anstrengung zu erholen. Ich riss das zerfetzte Hosenbein ab und besah mir den Schaden. Die Wunde blutete noch immer, aber das war durchaus in Ordnung und sogar wünschenswert. Das Eisen war rostig gewesen. Das Blut spülte den Schmutz heraus.

Ich erhob mich und humpelte hinüber zum Wohnhaus. Auf halbem Weg blieb ich stehen. Die Tür war jetzt geschlossen. Irgendjemand hatte sie ins Schloss gedrückt.

Ich gab mir einen Ruck und betrat die überdachte Holzgalerie, die sich über die gesamte Breite der Hausvorderseite erstreckte. Die weiß gestrichene Tür hatte einen hübschen antiken Klopfer aus Messing, eine ebenso englisch wie vornehm wirkende Einrichtung, die nicht so recht zu einem Heurigen passen wollte. Ich hob den Klopfer an und hörte, wie im Hausinnern ein Gong ertönte.

In der nächsten Sekunde passierten ein paar Dinge in so rascher Folge, dass mir alles wie eine Einheit erschien.

Die Tür wurde zurückgerissen. Vor mir blitzte grellrot das Mündungsfeuer einer Waffe auf. Das Krachen des Schusses fiel mit dem instinktiven Wegziehen meines Kopfes zusammen.

Die Kugel verfehlte mich nur um Millimeter.

Nicht nur Kugeln töten: Detektei Vokker: Ein Wien-Krimi

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