Читать книгу Wien 2078 - Wahlkampf ohne Gnade: Dorner und Vance: Vienna Cops - Roland Heller - Страница 6
1
ОглавлениеHiroshi Nimol hatte seine Vienna Cops um sich herum versammelt. Acht an der Zahl. Mit einem gewinnenden Lächeln blickte er sie an, nachdem er ihnen Lang und Breit ihren kommenden Einsatz erklärt hatte.
Wie in jeder Gemeinde in Europa stand auch in Wien die Wahl für das Bürgermeisteramt vor der Tür. Das war wie üblich eine Zeit der erhöhten politischen Aufmerksamkeit, und dieses erhöhte Interesse für die Politik nutzen nicht nur die etablierten politischen Parteien für sich, sondern auch zahlreiche Splittergruppen, manche von ihnen agierten äußerst chaotisch, für diverse Anliegen, die nicht immer alle das Bürgerwohl an erste Stelle setzten. Bevor es zu gewaltsamen Auswüchsen kam, sollten diese die Vienna Cops unterbinden.
„Da Gewaltausbrüche vermutet werden, die wir möglichst rasch und effizient beenden müssen, werden wir mit einem neuen Waffensystem ausgestattet“, strahlte Nimol und hielt plötzlich einen handlichen kleinen Strahler in der Faust. Natürlich hatten alle Bilder der Wunderwaffe längst gesehen, aber es war ein Unterschied, sie leibhaftig zu sehen oder sie nur anhand eines Bildes betrachten zu können.
Die Waffe war, wie gesagt, klein. Sie konnte bequem in einer Hand getragen werden und wenn man die Hand geschickt hielt, bemerkte das Gegenüber nicht gleich, dass er einem Bewaffneten gegenüberstand. Andererseits war sie groß genug, dass man sie effektvoll nutzen konnte. Der Griff lag gut in der Hand. Als größtes Teil enthielt der Griff den Akku, eingebaut in den Schaft, der eine Lebensdauer garantierte, die üblicherweise jeden Schusswechsel um ein Vielfaches übertraf. Danach sollte man sich allerdings um eine Steckdose umsehen.
Der „Strahler“ war als Zusatzwaffe gedacht. Wenn man den Auslöser betätigte, aktivierte man damit einen nadeldünnen Laserstrahl, der wirkungsvoll ab einer Entfernung von einem Meter seine Leistung erzielte. Für nähere Distanzen war er weniger geeignet, die erzeugte Hitze konnte dem Schützen selbst gefährlich werden, wenn man sie, zum Beispiel, in engen geschlossenen Räumen benutzte.
Ein Manko einer jeden Strahlwaffe war die physikalische Tatsache, dass jeder Strahl sich mit der Entfernung auch in die Breite zog. Aber dem Hersteller war es gelungen, die Wirksamkeit der Waffe bis zu einer Entfernung von fünfzig Metern insofern zu garantieren, als sich der Strahl nicht um wesentlich mehr als um o,3 Millimeter verbreitete. Damit ließ diese neue Waffe herkömmliche Pistolen weit hinter sich.
Für größere Ziele spielte diese Eigenschaft keine Rolle, gepanzerte Helikopter, zum Beispiel, konnten bis in einer Entfernung von zweihundert Metern mit dieser kleinen Handfeuerwaffe effektvoll bekämpft werden.
Über weitere Entfernungen sprach man nicht, denn dafür gab es die nächste Waffengröße.
Hiroshi Nimol war sichtlich stolz, dass er seinen Leuten diese Waffe anbieten konnte.
„Jeder von Euch bekommt diese neue Waffe in die Hand – und deshalb gehen wir jetzt alle in den Geschützstand und machen uns mit unserem neuen Arbeitswerkzeug vertraut.“
Wie ein Pfadfinderführer hob er seinen Arm in die Höhe und winkte den Vienna Cops, ihm zu folgen.
Der Geschützstand lag im Keller. Dicke Betonwände sicherten den Keller, und selbst die einzelnen Schussbahnen waren durch Betonwände getrennt.
Mit den Strahlwaffen konnte natürlich nicht auf die üblichen Zielscheiben geschossen werden. Außer dem ersten Schützen hätte hier niemand erkennen können, wie es mit seiner Treffsicherheit aussah. Dieses Problem hatte erst ein findiger Tüftler lösen können – und er fand es über Temperatursensoren, die an Metallplatten angebracht waren, auf die man die gewohnte Zielscheibe eingebrannt hatte.
Der Reihe nach teilte Hiroshi Nimol seinen Vienna Cops den Strahler aus. Zusammen mit der Waffe bekamen sie den dazugehörenden Gürtel, der alles enthielt, was sie künftig für Pflege und Wartung benötigten.
„Noch so ein Ding zum Herumschleppen“, sagte Claudia Dorner und griff mit spitzen Fingern nach der Waffe.
„Nur nicht so schüchtern, Dorner“, sagte Nimol. „Sie werden sich bald angefreundet haben mit der neuen Waffe.“
„Bis sie den Weg in die Unterwelt gefunden hat“, vermutete sie.
„Das ist leider bereits der Fall“, berichtigte sie Nimol, lauter sagte er: „Achtet auf das Geräusch! Es ist charakteristisch, dieses Singen.“
„So charakteristisch, dass es das Letzte sein wird, das manche zu hören bekommen!“, unkte einer.
Die eigentliche Ausbildung übernahm natürlich nicht Hiroshi Nimol, sondern ein geschulter Waffenexperte an dieser Strahlwaffe. Hiroshi Nimol ließ es sich aber nicht nehmen, diese Ausbildung von Anfang bis Ende mitzumachen.
*
Sylvia Weber merkte plötzlich, dass sie nicht mehr allein war. Sie saß im Garten unter dem aufgespannten Sonnenschirm. Langsam ließ sie das Buch sinken. Lächelnd wandte sie den Kopf und blickte über die Schulter. Ihr Lächeln erlosch, als sie den fremden Mann sah.
„Hallo!“, sagte sie verblüfft.
„Hallo“, erwiderte der Fremde im Herankommen mit dunkler, kaum modulierter Stimme und deutete auf das Buch, das Sylvia in der Hand hielt. „Ein Krimi?“
Sylvia errötete und ärgerte sich darüber, dass er so einfach in den Garten hereinspaziert kam und gleich einen Small Talk beginnen wollte. Das machte sie schnippisch.
„Ja“, erwiderte sie kurzangebunden. „Mit einem Mörder, der Ihnen verblüffend ähnlich sieht.“
Sie bereute sofort, ihrem Ärger auf diese Weise Luft verschafft zu haben. Das war taktlos gewesen. Der Mann konnte nichts dafür, dass sie sich erschreckt hatte. Wahrscheinlich wollte er nur ihren Vater besuchen.
„Der Mörder im Buch trägt ein Bärtchen?“, fragte er lächelnd.
„Ja, ein Menjou-Bärtchen, genau wie Sie“, meinte Sylvia und gab sich Mühe, sein Lächeln zu erwidern. Aber es gelang ihr nur unvollkommen. Irgendetwas an dem Besucher gefiel ihr nicht, doch sie vermochte nicht auf Anhieb zu sagen, was es war. Er war gut angezogen und sah imponierend aus, trotz des dunklen Menjou-Bärtchens. Sylvia konnte Männer mit Menjou-Bärtchen nicht ausstehen. Allerdings, und das fiel ihr gleich auf, der Besucher hatte es sogar geschafft - was nur wenige fertigbrachten -, zu seiner Sportkombination eine passende Wollkrawatte zu wählen.
Nur kurz schien der Mann überlegt haben, was ein Menjou-Bärtchen war, tat dann aber diesen Gedanken als nicht wichtig beiseite. Dass diese Art des Schnauzers nach einem berühmten Schauspieler längst vergangener Zeiten benannt war, wusste heute kaum noch jemand, der sich nicht speziell mit dieser Zeit beschäftigte. Silvia wusste es aber auch nur deshalb, weil der Träger dieser Art von Schnauzer im Roman mehrmals erklärt hatte, dass das lediglich ein schmal geschnittener Oberlippenbart war.
Ihr Besucher lächelte noch immer. Er schien es nicht eilig zu haben, sich vorzustellen. Offenbar genoss er die Situation. Es machte ihm Spaß, Sylvias leichte Verwirrung auszukosten.
„Ein Mörder mit einem Bärtchen auf der Oberlippe?“, fragte er. „Ich wette, der Bart ist falsch!“
„Stimmt genau. Haben Sie das Buch gelesen?“
„Nein. Aber auch mein Bärtchen ist falsch.“
„Wollen Sie mich veräppeln?“
Er beugte sich zu ihr herab. Sylvia machte sich ganz steif. Sie mochte es nicht, wenn sich Fremde ihr so weit näherten. Er roch sehr aufdringlich nach einer viel zu süßen After-Shave-Lotion. „Sehen Sie ´mal“, eröffnete er ihr plump vertraulich und zupfte an dem Bärtchen, „festgeklebt!“, sagte er. Sylvias Augen rundeten sich verblüfft. Tatsächlich! Der Bart war falsch. Sylvia fühlte sich unsicher. Was wollte dieser Mann nur. Er wurde ihr immer unheimlicher.
Dann änderte sich sein Blick. Jede Fröhlichkeit verschwand aus seinem Gesicht.
Plötzlich schlug ihre Stimmung um. Sie merkte, dass sie nicht länger auf ihn neugierig war. Sie wollte nur noch, dass er verschwand, zudem bekam sie Angst. Die Angst stellte sich nicht sofort ein, sie kroch langsam in ihr hoch und wurde stärker, immer stärker.
Sylvia bemühte sich, damit fertigzuwerden. Es war doch unsinnig, in dieser Weise zu reagieren. Nur weil sich ein junger Mann interessant zu machen versuchte! Ihr drohte keine Gefahr, sagte sie sich. Sie saß im Garten des väterlichen Hauses.
Sylvia stand auf. Sie reichte dem Mann nur bis zum Kinn. „Wollen Sie zu meinem Vater?“
„Nein.“
„Was wollen Sie dann?“, rief Sylvia. Ihre Stimme klang schrill, sie erkannte sie selbst kaum wieder.
„Ich soll Sie abholen.“
„Ich habe kein Treffen ...“
„Sie nicht, aber jemand anderer.“
„Wer will mich sehen?“
„Das erfahren Sie später. Oder nie.“
„Was soll das heißen?“, fragte sie. Seine Wortwahl schreckte sie.
Sein Lächeln zerfaserte. Es ging in ein Grinsen über. „Sie fragen zu viel.“
Sylvia atmete rascher. „Glauben Sie im Ernst, ich würde mit Ihnen kommen, ohne zu wissen, wer Sie sind und wohin Sie mich bringen wollen?“
„Ja, das glaube ich“, sagte er lächelnd.
Sylvia schluckte. Die Situation war so schrecklich absurd. Da durchzuckte sie ein schrecklicher Gedanke. „Sie wollen mich entführen?«
Der Mann nickte. „Erraten“, sagte er. „Wenn Sie es wünschen, können Sie ein paar Kleinigkeiten mitnehmen. Wäsche, Zahnbürste, Toilettenartikel.“ Er grinste. „Meinetwegen sogar einige Krimis.“
Sylvia starrte ihn an. „Sie sind ja verrückt!“, schrie sie dann. „Bei Ihnen stimmt doch was nicht!“
Er grinste nur. Und dann wusste Sylvia, dass es ernst war. Ja, sie wusste es. Sie war plötzlich ruhig und entschlossen. Die Gefahr machte sie kühl und beherrscht. „Was versprechen Sie sich davon?“, fragte sie. Natürlich kannte sie die Antwort, aber sie legte es darauf an, Zeit zu gewinnen.
„Geld“, sagte der Mann prompt. „Sie sind die Tochter eines sehr reichen Mannes.“
„Reich? Vielleicht, aber es gibt doch sehr viel reichere Leute.“
„Schon möglich. Uns genügt es schon, wenn er für Sie einhunderttausend Einheiten locker macht.“
„Mein Vater hat einen großen Teil seines Vermögens in die Wahlkampagne gesteckt“, sagte Sylvia. „Ich hoffe, Ihnen ist bekannt, dass er sich an den Bürgermeisterwahlen beteiligt?“
„O ja, das wissen wir. Wir wissen auch, dass er für seine Publicity eine Menge Geld ausgegeben hat. Ich wette, er wird keine Mühe haben, weitere hunderttausend Einheiten aufzutreiben, wenn es um Tod oder Leben seiner Tochter geht. Außerdem ist das eine fast unbezahlbare Reklame für ihn, wenn er in aller Munde ist, weil er um das Leben seiner Tochter fürchtet.“
„Wenn er nicht zahlt, wollen Sie mich...?“ Sie ließ den Satz unbeendet in der Luft hängen. Es war auch so klar, was sie sagen wollte.
„Uns bleibt keine andere Wahl“, meinte er.
Sylvia ließ ihre Blicke durch den Garten huschen. Wo blieb denn der Butler? Sah denn niemand, was sich hier abspielte?
Der Besucher lachte leise. „Ein hübscher Garten“, sagte er. „Umzäunt und von Bäumen und Büschen umgeben. Von den Nachbarhäusern sieht man nur die Dächer. Wir sind völlig unbeobachtet. Das ist selten geworden in unserer Zeit. Wirklich ein sehr geeigneter Platz für mein Vorhaben.“
„Wenn Sie mich anfassen, schreie ich!“ sagte Sylvia.
Er betrachtete sie fast mitleidig. „Das ist doch Unsinn, meine Dame“, meinte er. „Sehen Sie lieber ein, dass Sie spuren müssen. Was würde Ihnen der Versuch zu schreien schon einbringen? Abgesehen davon, dass niemand Sie hören kann – wozu wollen Sie sich solche sinnlose Mühe machen? Ich müsste Ihnen den Mund zuhalten oder auf andere Weise durchsetzen, dass Sie brav bleiben.“
„Wissen Sie, was auf Kidnapping steht?“
Der Mann blickte auf die Uhr. „Es wird Zeit, dass wir verschwinden“, sagte er plötzlich knapp und bestimmt. „Kommen Sie!“
Sylvia trug eine rot-weiß karierte Bluse und blaue Shorts. An den Füßen hatte sie Tennisschuhe. In dem Moment, als ihr diese Tatsache ins Bewusstsein drang, wirbelte sie auch schon herum und stürmte davon. Sie war rasch auf den Beinen und dem normal gekleideten Mann sicherlich überlegen, wenn es darum ging, einen Wettlauf zu gewinnen. Es kam nur darauf an, schnell genug am Zaun zu sein. Sie brauchte mindestens drei bis fünf Sekunden Vorsprung, um über den Zaun klettern zu können, noch ehe er es schaffte, sie zurückzureißen.
Sylvia lief, als ginge es um ihr Leben. In gewisser Weise stimmte es ja auch. Sie hörte den Mann dicht hinter sich. Er hielt mit. Er war wirklich ein ausgezeichneter Sprinter. Sylvia raste weiter. Der Zaun kam näher, aber sie fühlte, dass sie außerstande war, den notwendigen Vorsprung herauszuarbeiten. Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich um. Sie wollte etwas sagen, aber der Mann gab ihr keine Gelegenheit dazu. Er riss sie mit einem Arm dicht an sich heran und schlug ihr ins Gesicht. Der Schlag kam für Sylvia völlig unerwartet. Er war nicht einmal im Ansatz erkennbar gewesen. Seine Hand traf sie nur kurz, aber heftig. Schlimmer noch als der Schmerz war das damit verbundene Empfinden der Demütigung. Tränen schimmerten in Sylvias Augen. Sie war wütend darüber. Sie wollte sich diesem Banditen gegenüber nicht schwach zeigen.
„Das werden Sie nicht noch einmal wagen!“, sagte sie.
„Doch! Das war nur eine Probe. Solltest du dich weiter querstellen, passieren noch ganz andere Dinge.“
*
Aran Boonjaeng öffnete die Wohnungstür so leise wie möglich. Auf Zehenspitzen schlich er durch die Diele. Er blieb nur einmal kurz stehen, als er Monikas Kichern hörte. Sie lachte herzlich. Das Lachen traf seinen Lebensnerv. So hatte sie in seiner Gegenwart in letzter Zeit selten gelacht, so glücklich! Dann sagte der Mann etwas. Die Worte waren nicht zu verstehen, aber man konnte hören, dass er die Frau duzte. Aran ballte die Fäuste und ging weiter. Mit einem Ruck riss er die Wohnzimmertür auf.
Er sah seine schlimmsten Befürchtungen auf den ersten Blick bestätigt.
Die beiden saßen auf der Couch. Der Mann entließ die Frau langsam aus seiner Umarmung. Monika war so verblüfft, dass sie sich selbst nicht mehr unter Kontrolle hatte. Sie stieß einen kreischenden Schrei aus und rutschte von dem Mann davon. Ihr runder, offenstehender Mund war ein Symbol törichten Staunens.
Aran blieb an der Schwelle stehen. Er atmete heftig. Jetzt hatte er sie erwischt. Jetzt konnte er triumphieren. Dieses Wissen verdrängte sogar die Gefühle der Eifersucht und Erniedrigung, mit denen er sich nun schon seit Wochen herumschlagen musste. Endlich hatte er die beiden in flagranti ertappt, seine Frau Monika und Dennis Wagenbach, ihren geschniegelten Liebhaber.
Noch sah Monika einfach stupid aus, aber er wusste, dass dieser Ausdruck schon binnen weniger Sekunden in wimmernde Angst übergehen würde.
Wagenbach benahm sich ganz anders. Er grinste. Der Anblick des Grinsens ließ Arans Triumphgefühl in sich zusammensinken. Es wurde zur Seite gestoßen von dem wilden, bohrenden Empfinden des Hasses.
Wagenbach stand langsam auf und zog den verrutschten Schlips gerade. Es war ein teurer Schlips aus schwerer Seide. Ja, Wagenbach hatte Geld und Geschmack. Alles an ihm deutete auf Klasse hin, aber er war nur ein mieser Gangster, einer von Karl Furtners bevorzugten Leuten. Ein kleiner, billiger Gauner. Daran konnten weder der Schlips noch der teure Maßanzug etwas ändern.
„Hallo, Aran“, sagte Dennis grinsend. „Wie du siehst, habe ich deiner lieben Frau ein wenig Gesellschaft geleistet. Wir waren gerade dabei, uns ein paar Witze zu erzählen. Den einen musst du unbedingt hören, er ist brandneu, Karl hat ihn mir erzählt...“
„Aran!“, würgte Monika hervor. „Bitte...“
Dann war sie mit ihrem Latein am Ende.
Aran rührte sich nicht vom Fleck. Er hatte Zeit. Er konnte es sich leisten, die beiden zappeln zu lassen. Er wollte das Wachsen ihrer Verlegenheit und ihrer Furcht beobachten. Das war Balsam für seine Wunden, die ihm die Untreue seiner Frau geschlagen hatte.
Wagenbach fummelte wieder an seiner Krawatte herum. Er blieb dicht vor Aran stehen. „Monika ist eine gute Gastgeberin“, sagte er lobend. „Wirklich prima. Du hast eine schöne Frau, Aran. Weißt du das eigentlich? Sie hat mir einen Kognak angeboten. Der hat uns ein bisschen lustig gestimmt. Ich brauche dir nicht zu erklären, wie das so geht. Es war eine sehr unterhaltsame halbe Stunde.“
Aran reichte es. Er konnte nicht länger an sich halten. Jedes Wort des Nebenbuhlers war blanker Hohn. Er schlug zu. Der Schlag war hart und gezielt, eine Explosion des Hasses und der Empörung. Dem schmächtig aussehenden Boonjaeng hätte man diese Schlagkraft gar nicht zugetraut. Er besaß den typischen grazilen Körperbau des thailändischen Volkes, der eher elegant als kraftvoll wirkte. Aber der Schein täuschte. Der Schlag traf Wagenbachs Magengegend wie ein Dampfhammer.
Wagenbach war ein großer, durchtrainierter Bursche. Aber der Durchschlagskraft und der Plötzlichkeit dieses Treffers hatte er nichts entgegenzusetzen. Er riss die Lippen auseinander und brach dann mit einem dumpfen, gurgelnden Laut in die Knie.
Aran hatte es nicht eilig. Er visierte Wagenbachs Gesicht genau an und schlug wieder zu. Er setzte die Rechte genau zwischen Wagenbachs Augen und schob mit der Linken nach. Und verdammt, jeder Treffer bereitete ihm Genugtuung.
„Aran!“, wimmerte Monika. Sie war aufgestanden. Ihre Augen reflektierten die tödliche Angst, die sie empfand. Sie zitterte am ganzen Körper.
„Du kommst später dran“, versprach er ihr schweratmend.
„Du schlägst ihn ja tot!“
„Ja, das habe ich vor“, versicherte Boonjaeng grimmig. Er schickte diesmal die Linke auf die Reise. Er vermied es dabei, Wagenbach auf den Punkt zu treffen. Er wollte vermeiden, dass Wagenbach schon nach drei, vier Treffern ausstieg. Er sollte zu spüren bekommen, dass es ein paar Dinge gab, die man mit Aran Boonjaeng einfach nicht machen konnte!
Wagenbach grunzte. Er begriff, dass es keinen Sinn hatte, auf das Abklingen von Boonjaengs Zorn zu warten. Er musste sich verteidigen. Wagenbach quälte sich auf die Beine. Boonjaeng gönnte ihm eine Verschnaufpause. Er vertraute der Kraft seiner Muskeln und dem Drive seiner Fäuste. Diese Trümpfe konnte Wagenbach auch nicht mit seiner Jugend und seiner überlegenen Körpergröße wettmachen.
Wagenbach hatte Mühe, aufrecht zu stehen. Seine Hand glitt ins Innere des Jacketts. Als er sie wieder hervorzog, hielt er eine Pistole zwischen den Fingern.
Aran schluckte. Er starrte die Waffe an, verwundert, als sähe er solch ein Ding zum ersten Mal.
„Dennis!“ schrie Monika.
„Keine Sorge, Mädchen“, würgte Dennis hervor. Das Sprechen bereitete ihm sichtlich Mühe. „Ich will ihm nur zeigen, dass er nicht so mit mir umspringen kann. Schließlich bin ich kein verdammter Punching Ball!“
Aran sagte dumpf: „Leg die Kanone beiseite!“
Wagenbach grinste. „Du wolltest eine hübsche Schau abziehen, nicht wahr? Du wolltest Monika zeigen, dass du der große Held bist, der unvergleichbare, der starke Mann, der alles umhaut, was sich ihm in den Weg stellt, nicht wahr? Tut mir leid, Aran. Aber daraus wird nichts. Die große Schau findet nicht statt. Jedenfalls nicht so, wie du sie dir ausgedacht hast.“
„Leg die Kanone aus der Hand!“, wiederholte Boonjaeng.
„Keine Angst, das mache ich schon“, meinte Wagenbach spöttisch, „aber erst möchte ich mich ein wenig erholen, Partner. Du hast den Krieg ohne Erklärung eröffnet. Das hat dir einen Vorteil verschafft, den ich ausgleichen muss. Lass dir bitte nicht einfallen, diese Pause zu unterbrechen. Das würde mich zum Handeln zwingen. Monika wäre sicherlich eine prächtige Zeugin. Sie könnte aussagen, dass ich in Notwehr handelte.“ Sein Grinsen vertiefte sich. „Sie wäre eine hübsche Witwe, Aran. Es würde sich lohnen, sie zu trösten.“ Aran sah rot. Die Pistole kümmerte ihn nicht mehr. Er marschierte einfach auf Wagenbach zu. Der wich vor dem Gegner ein paar Schritte zurück, sichtlich beeindruckt und erschreckt von Boonjaengs wütender Reaktion. „Stopp, zum Teufel! Stehenbleiben, Aran!“
Aran achtete nicht auf die Warnung. Er ging weiter, gebückt, mit gespannten Muskeln, ein Paket konzentrierten Wollens und aufgeputschter Gefühle.
„Dieser verdammte Idiot!“, presste Wagenbach durch die Zähne und hob die Pistole um einen Zentimeter. Die Mündung zielte genau auf Boonjaengs Herz. „Noch einen Schritt, und du bist ein toter Mann. Monika will doch nichts mehr von dir wissen!“
Boonjaeng blieb stehen. Er schluckte. Seine Hände öffneten und schlossen sich. Die Worte hatten ihn schmerzhafter getroffen als eine Kugel. Wenn es stimmte, was Wagenbach sagte, war er, Aran Boonjaeng, drauf und dran, sich für eine verlorene Sache zu opfern.
„Stimmt es, was er sagt?“, fragte Boonjaeng mit rauer Stimme. Obwohl er Monika dabei nicht anblickte, war klar, dass die Frage ihr galt.
„Das ist doch Unsinn“, stammelte Monika verlegen. „Bitte, hört jetzt mit dem gefährlichen Unsinn auf! Ihr begreift wohl nicht, was ihr dabei riskiert!“
Boonjaeng schluckte. Er ließ die Schultern sinken. Ganz plötzlich machte er kehrt und setzte sich an den Tisch. „Ich brauche einen Drink“, murmelte er.
Wagenbach zögerte. Dann steckte er die Waffe in den Schulterhalfter zurück und kam langsam näher. Am Tisch blieb er stehen. „Es ist hart für dich, Aran“, meinte er einlenkend, „aber deine Schultern sind breit genug, um damit fertigzuwerden!“
„Gebt mir einen Kognak, aber einen doppelstöckigen“, forderte Boonjaeng dumpf.
Monika gab sich einen Ruck. Sie ging zur Vitrine und nahm einen Schwenker heraus. Die Flasche stand auf dem Tisch. Mit bebenden Händen füllte sie ein Glas. Dabei warf sie Wagenbach beschwörende Blicke zu. Die sollen wohl besagen, dass er sich verziehen sollte, ehe die Sache erneut eskalierte.
Boonjaeng griff nach dem Glas. Er trank mit kleinen, vorsichtigen Schlucken, als sei er nicht sicher, ob ihm der Alkohol bekäme, aber er leerte das Glas. Als er es ausgetrunken hatte, schien er zu einem Entschluss gekommen zu sein. Er blickte Monika tief in die Augen. „Es wird am besten sein, wir trennen uns“, meinte er dann und stellte den Schwenker ab. Er erhob sich.
„Heute Abend hole ich meine Sachen ab.“
„Aber Aran, das ist doch nicht dein Ernst“, sagte Monika. Es hörte sich nicht so an, als würde sie die Aussicht auf sein Verschwinden erschrecken.
„Dennis wird schon für dich sorgen“, meinte Boonjaeng. Er ging zur Tür. „Alles Gute für euch beide“, sagte er und lächelte plötzlich. Das Lächeln wirkte verzerrt. Wagenbach zog ein nachdenkliches Gesicht. Er erwartete, dass noch etwas passieren würde, aber Aran Boonjaeng verließ das Zimmer ohne ein weiteres Wort. Er warf nur die Tür hinter sich ein wenig zu heftig zu, dass es laut krachte.
„Ein komischer Kauz“, sagte Wagenbach. „Wie hast du es nur so lange mit ihm aushalten können?“
Monika zitterte. „Wir müssen weg von hier, und zwar schnell!“, stieß sie hervor.
Wagenbach hob die Augenbrauen. „Die Aufregung ist vorbei. Fang bloß nicht von vorn an! Aran hat sich mit der Situation abgefunden.“
„Aran? Du kennst ihn schlecht. Er wird wiederkommen“, meinte Monika und starrte angstvoll ins Leere. Nervös knetete sie die Hände. „Er wird wiederkommen und sich rächen!“
„An dir?“
„An uns beiden.“
„Du siehst Gespenster.“
„Ich kenne Aran!“, sagte Monika überzeugt.
Wagenbach griff nach seinem Glas. „Okay, du kennst ihn. Aber was will er denn machen? Ein zweites Mal wird er mich nicht überrumpeln. Er ist sehr kräftig, aber mit seinen fünfundvierzig Jahren geht ihm schnell die Luft aus. Es gibt keinen Grund, sich vor ihm zu fürchten.“
„Du weißt genau, dass er nicht darauf angewiesen ist, seine Fäuste zu benutzen.“
Wagenbach stieß einen dünnen Pfiff aus. »Du befürchtest, er könnte es mit der Pistole versuchen?«
»Ich weiß, dass er die Waffen im Nebenraum versteckt hält“, sagte Monika, die noch immer zitterte. „Er hat den Wohnungsschlüssel, Dennis, er wird bestimmt wieder kommen!“
„Die Aufregung trübt deinen klaren Blick für die Situation«“, meinte Wagenbach. „Anfangs wäre er zu allem fähig gewesen. Aber dann resignierte er. Ein Mann, der so wie er abschiebt, ist fertig. Der träumt weder von Mord noch von Gewalt.“
»Du kennst Aran nicht!«
Wagenbach grinste selbstsicher. „Ich kenne mich. Ich werde mit jeder Lage fertig, meine Liebe.“
Seine Ruhe wirkte langsam auf Monika ansteckend. „Ich hoffe, du behältst recht“, seufzte sie.
Wagenbach blickte auf seine Armbanduhr. „Ich muss jetzt verschwinden.“
„Du lässt mich allein?“, fragte sie erschrocken.
Er nickte. „Du weißt, dass wir ein großes Ding gedreht haben.“ Er lachte. „Es ist ein Superding, absolut einmalig, und dabei völlig ungefährlich. Ich...“ Er unterbrach sich, als er Monikas Gesicht sah. „Hörst du mir überhaupt zu?“
Monika starrte ihm in die Augen. „Beantworte mir bitte eine Frage, Dennis!“
„Fang nicht wieder mit Aran an!“
„Es geht nicht um Aran. Es geht um dich und mich. Liebst du mich, Dennis? Was wirst du tun, wenn Aran mich verlässt?“
„Keine Angst, Süße. Ich kümmere mich schon um dich.“
„Ich...“ Weiter kam Monika nicht. Es klingelte. Monika begann sofort wieder zu zittern. „Aran ist zurückgekommen!“, stieß sie hervor.
„Ich denke, er hat einen Schlüssel?“
„Stimmt, er würde nicht läuten. Ich bin schon ganz durcheinander!“
Es klingelte zum zweiten Mal. Monika blieb wie angewurzelt stehen. „Warum öffnest du nicht?“, fragte Wagenbach.
„Ich fürchte mich!“
Wagenbach verließ das Zimmer und durchquerte die Diele. Monika hörte, wie er die Wohnungstür öffnete. Dann knallte es. Gleich dreimal hintereinander.
Monika war unfähig, ein Glied zu rühren. Sie starrte auf die offene Tür. Sie ahnte, dass Wagenbach dort gleich erscheinen würde. Sie fürchtete sich vor dem Anblick, der sie dabei erwartete. Schon in der nächsten Sekunde bestätigten sich diese Befürchtungen.
Wagenbach taumelte in ihr Blickfeld. Sein Gesicht war verzerrt. Die Hände hatte er in den Leib verkrallt. Seine Lippen bewegten sich wie bei einem Verdurstenden. Er wollte etwas sagen, brachte aber keinen Laut über die Lippen.
Im nächsten Moment brach er auf der Türschwelle zusammen.
So fällt nur ein Mensch, der nie wieder aufstehen wird, durchzuckte es Monika.
„Dennis“, würgte sie hervor. „Dennis!“
Der Mann am Boden gab keine Antwort. Er war tot.