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Verkehrswege

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In den Gebieten, die von den Römern erschlossen worden waren, beruhten die Verkehrswege auf dem antiken Straßennetz, das vor allem militärischadministrativen Zwecken diente. Mit dem Untergang der römischen Reichsverwaltung verlor es allerdings an Bedeutung und wurde nur noch bis ins 5. Jahrhundert unterhalten65. Gleichwohl waren die Straßen auch in karolingischer Zeit noch zu benutzen (besonders im Nordosten Frankreichs), und damals wurden auch einzelne Fernverbindungen neu geschaffen. Die Mobilität des frühmittelalterlichen Menschen war zwar gering, aber es gab auch Ausnahmen. Erinnern wir nur an den König, der seine Herrschaft in der Regel dadurch zum Ausdruck brachte, dass er durch das Reich zog und an wechselnden Plätzen präsent war. Nicht zu vergessen sind die irischen und angelsächsischen Missionare oder junge Menschen, die zur Ausbildung an eine Kloster- oder Domschule reisten. Für den Bau des Aachener Münsters ließ Karl der Große marmorne Säulen aus Rom und Ravenna herbeischaffen, wertvolle Handschriften wurden zwischen Klöstern ausgetauscht. Dies alles erforderte ein Straßensystem. Ob es schon Hinweisschilder, Wegweiser, gab, ist wahrscheinlich, wenngleich nicht belegt. Aber die sogenannten Pariser oder altdeutschen Gespräche bieten Reisenden zwischen romanischem und deutschsprachigem Gebiet einen Sprachführer mit den wichtigsten Dialogen, etwa für die Suche nach einer Unterkunft66. Natürlich war den karolingischen Herrschern bewusst, wie wichtig die Verkehrswege waren. Dass sie sich mit diesem Komplex ernsthaft auseinander setzten, geht schon daraus hervor, dass mehrere Kapitularien den Themen Verkehr und Straßenbau gewidmet sind. Eine gute Infrastruktur war für den Handel und vor allem die Verwaltung des großen Reiches unerlässlich. Wie in römischer Zeit gab es einen Kurierdienst mit Pferdewechsel und Verpflegung der Reiter. Von Notker dem Stammler erfahren wir, dass Karl der Große schlechte Wege instand setzen ließ67:

„Zu jenen Zeiten bestand der Brauch: wo nach des Kaisers Gebot eine Arbeit zu verrichten war, zum Beispiel Brücken, Schiffe, Fähren oder schmutzige Wege zu kehren, zu pflastern oder Löcher zu füllen, das führten die Grafen aus durch ihre Stellvertreter und Amtleute, wenigstens bei weniger bedeutenden Sachen.“

In viel stärkerem Maße als unsere Straßen benötigten die der Römer eine ständige Pflege68. Dazu sahen sich schon Karls Nachfolger kaum noch in der Lage und beschränkten sich auf notwendige Maßnahmen zur Reparatur von Brücken. Gleichwohl wurden die Römerstraßen im Mittelalter weiterbenutzt, zumal diejenigen, die als Pilgerwege dienten, etwa nach Santiago de Compostela. Aber die Routenführung wurde immer mehr verändert und Straßen angelegt, die neu entstandene Zentren, etwa Klöster, miteinander verbanden, in manchen Fällen sogar, indem man die alten gallischen Wege zu neuem Leben erweckte. Sie führten nur noch selten über Höhenketten, verliefen vielmehr im Tal oder entlang antiker Straßen. Der römische Weg wurde dann gleichzeitig benutzt oder ganz aufgegeben. Gleichwohl verlor er seine Bedeutung nicht völlig, sondern diente oft noch als Grenze von Grundherrschaften und Pfarreien. Ausschlaggebend für die Verlegung älterer, aus römischer Zeit stammender Verbindungen waren zumeist finanzielle oder strategische Gründe69. Aber die Kontinuität blieb erhalten, wie Raymond Chevallier betont70: „… dans un contexte féodal émietté, le plus souvent, le réseau médiéval est la réadaptation de tronçons anciens: il y a eu remaniements et non création ex nouo: les directrices de cette époque récupèrent d’ordinaire des secteurs antiques en les réorganisant au prix de quelques raccords.“

Abgesehen von Italien, war das römische Straßennetz nirgends so dicht gewesen wie in Gallien71. Dies lässt sich damit erklären, dass hier bereits in vorrömischer Zeit gute Verbindungen existierten, auf denen der ertragreiche gallische Handel rollte. Es gab zum Beispiel die sogenannte Zinnstraße, auf der das Zinnerz von Britannien nach Marseille oder nach Narbonne transportiert wurde. Sie führte entlang von Seine, Saône, Rhône bzw. Garonne und Aude. Dieses Wegenetz ermöglichte es Caesar, Gallien innerhalb weniger Jahre zu erobern. Zentrum der einzelnen gallischen Stämme waren die oppida, auf die die wichtigsten Straßen zuliefen. Konnten die Römer das oppidum erobern, so hatten sie den Stamm unterworfen. Die gallischen Routen waren jedoch kaum befestigt und im Winter nur schlecht zu benutzen. Aus diesem Grund, und nicht wegen des Klimas, mussten die römischen Legionen Winterquartiere beziehen. Teile des römischen Straßensystems haben Antike und Mittelalter überdauert und hatten noch in der Neuzeit Bestand. Dieses Erbes war man sich stets bewusst. Bereits im Jahre 1622 veröffentlichte Nicolas Bergier seine „Histoire des grands chemins de l’Empire romain“ und begründete die große französische Tradition der Erforschung der Römerstraßen, die ihren Höhepunkt unter Napoleon III. mit der Einsetzung der „Commission de la topographie des Gaules“ erreichte.

Die Römerstraßen wurden unter Kaiser Augustus, angeblich von seinem engen Vertrauten und Admiral Agrippa, angelegt. Der Ausgangs- oder Schnittpunkt der wichtigsten Straßen fand sich in Lyon72. Der antike Geograph Strabon nennt fünf sogenannte Viae Agrippae (IV/6/11): entlang der Rhône bis nach Marseille; nördlich der Cevennen über Saintes zum Atlantik; der Rhône entlang zum Genfer See und zum Großen Sankt Bernhard; über Beauvais und Amiens zur Nordsee; und schließlich eine Straße zum Rhein. Im Norden Galliens führten die Straßen vor allem in zwei Richtungen: Von Lyon aus ging eine Straße bis zu dem wichtigen Knotenpunkt Langres, um sich hier zu teilen; eine Achse führte über Reims nach Boulogne-sur-Mer, das die Verbindung nach Britannien herstellte; die zweite lief über Toul und Metz nach Trier und von dort aus über Bitburg und Zülpich nach Köln. Günstig gelegen war auch Paris am Schnittpunkt der Straßen von Rouen nach Lyon und von Bordeaux über Cambrai bis nach Köln. Als sich in der Merowingerzeit der politische Schwerpunkt in den Norden des alten Gallien verlagerte, verloren allerdings die von Lyon ausgehenden großen Fernstraßen allmählich an Bedeutung.

Das linksrheinische Gebiet des fränkischen Reichs zeichnete sich durch zahlreiche schiffbare Wasserläufe aus. Sie boten oft ein schnelleres Fortkommen als die Straße, etwa die Verbindung zwischen Orléans und Nantes (Loire) oder zwischen Valence und Arles (Rhône). Dieser Umstand mag erklären, weshalb die Archäologen bislang keine Straße der Maas entlang nachzuweisen vermochten.

Die Verbindung nach Italien gewährleistete eine Reihe von Alpenpässen, die bereits in römischer Zeit ausgebaut und benutzt wurden: im Westen Mont Genèvre, Mont Cenis und Großer Sankt Bernhard; in den Zentralalpen Sankt Gotthard und Septimer; im Osten Brenner und Pontebba73. Während der Brenner befahrbar war, konnte man die übrigen Pässe bis zum ausgehenden Mittelalter nur mit Saumtieren begehen. Transporte dauerten zwischen vierzehn und dreißig Tagen, die Einzelreise ein bis zwei Wochen. Wenngleich die Pässe erst seit dem Spätmittelalter systematisch unterhalten wurden, gründete man bereits in karolingischer Zeit Hospize (am Großen Sankt Bernhard) und Klöster (Novalesa und Disentis), um den Reisenden Schutz und Unterkunft zu bieten. Auf dem Mont Genèvre sowie dem Kleinen und Großen Sankt Bernhard lassen sich sogar Unterkünfte, mansiones, aus römischer Zeit nachweisen74. Bei ihren militärischen Unternehmungen zogen die Karolinger in der Regel über den Mont Cenis oder den Großen Sankt Bernhard.

Der Osten war weniger dicht besiedelt und nicht so gut erschlossen wie der Westen75. Wichtigste Straßenverbindung von Süden nach Norden war der von Italien kommende Weg, der vom Großen Sankt Bernhard über Straßburg, Mainz, Köln und Xanten bis nach Nimwegen und weiter zur Nordsee lief. Eine einzige Straße führte vom Mittelrhein nach Sachsen. Bei Duisburg am Rhein nahm der Hellweg seinen Ausgang, berührte Essen, Dortmund, Soest und Paderborn, erreichte bei Höxter die Weser, verlief weiter über Hildesheim, Braunschweig und Halberstadt, bevor er in dem wichtigen Grenzort Magdeburg endete76. Für die transkontinentale Verkehrsführung war er von entscheidender Bedeutung. Auf ihm wurden die Waren nach Osten weitertransportiert, die aus dem Westen kommend den Rhein erreichten oder aus südlicher Richtung auf dem Rhein herangeführt wurden. Er existierte wohl schon vor der fränkischen Eroberung, gewann seine zentrale Funktion aber erst durch Karl den Großen, der ihn mit einem Netz von Königshöfen ausstattete, die jeweils eine Tagesreise voneinander entfernt lagen. Hinzu kamen Burgen, Pfalzen und Klöster, die den Hellweg zu einer Königsstraße machten, die bis ins 12. Jahrhundert die Verbindung zwischen Niederrhein und Harz, zwei Zentralräumen königlicher Herrschaft, sicherte. Eine weitere Handels- und Heerstraße, die nach Osten führte, begann in Mainz, verlief über Frankfurt am Main, Fulda und Erfurt weiter bis nach Böhmen. Verkehrsgünstig gelegen als Übergang über die Donau war auch Regensburg. Hier kreuzten sich mehrere Straßen, die von Westen kamen und bis nach Böhmen und Pannonien reichten.

WBG Deutsch-Französische Geschichte Bd. I

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