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Alles begann an der kroatischen Adriaküste

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Rezeptionistin Dube blickt leicht verstohlen über ihren Arbeitsbildschirm. Von diesem Reiseleiter, welcher gerade die Beine neben dem Tresen ausstreckt, von so einem sportlichen Mann würde sie sich aus Wellen retten lassen. Ihr Gewissen schellt sie daraufhin eine schamlose Frau. Jener absurde Gedanke wird bestimmt von der neuen Fernsehserie inspiriert. Seit mehreren Abenden verfolgt sie Ausstrahlungen von Bay Watch und eine Tatsache erscheint ihr dazu geradezu lächerlich. Seit Geburt an der Küste zu leben, und sich maximal bis zur Hüfte in die Fluten der Adria zu getrauen. Ihre Augen taxieren derweilen die muskulösen Arme des Reiseleiters. Die Haut wirkt nicht nur makellos glatt, man erkennt nicht einmal den Ansatz von Behaarung. Und bei ihr ist es wieder höchste Zeit für eine Depilation. Sie würde gerne einmal durch das glatte, modisch geschnittenes, mittelblonde von Hans Spruit Haar streichen ... Hinsichtlich seines Geschmacks für Kleidung fallen ihr gleich mehrere Verbesserungsvorschläge ein. So sind nun einmal die allermeisten Männer veranlagt. Ihnen fehlt einfach der Flair für eine passende Farbkombination und darin weist ihr Gegenüber erhebliche Defizite auf. Wie kann man nur eine rote Jacke mit einer hellgrauen Hose kombinieren! Die Gedanken wechseln auf eine ganz andere Frage über, welche ihr seit einiger Zeit durch den Kopf gehen.

- Hast Du eigentlich vor, ein weiteres Mal auf unsere Insel zurückzukehren? Eventuell vielleicht schon im nächsten Jahr?

Hans legt seine Ausflugsabrechnungen beiseite und blickt der Rezeptionistin tief in die dunkelbraunen Augen.

- Ich käme die nächste Saison gerne zurück. Unter der Voraussetzung, dass Du bis dahin geschieden bist.

- Du bist mir vielleicht ein Casanova. Und was machst Du, falls ich bis dann wirklich solo bin? Aber leider weiß ich nur zu genau, dass Du mit der schönen Ina im Hotel Park ebenso ungeniert zu flirten pflegst. Und nun im Ernst. Hast Du bereits Zukunftspläne geschmiedet?

Der Reiseleiter wirft einen Blick zur hoteleigenen Bootsanlegestelle hinab. Die Frage hat ihn unvorbereitet getroffen und er denkt zum ersten Mal ernsthaft über seine eigenen Pläne für die nächste Sommersaison nach. Der bereits fünf Monate andauernder Aufenthalt als Repräsentant von Neckermann Reisen auf der kleinen, verträumten Insel behagt ihm weitgehend. Lopud befindet sich lediglich eine Stunde mit dem Postschiff vom nervenaufreibenden Massentourismus in Dubrovnik entfernt. Von Ruhe und Natur umgeben, betreut er deutsche und holländische Urlauber seines Arbeitgebers, welche ihre Ferien in einem der drei Hotels verbringen. Bis vor wenigen Wochen hatte er zwar mit erheblichen Überbuchungsproblemen zu kämpfen, der Fehler beruhte aber einzig auf der Unfähigkeit des Generaldirektors der Hotelgruppe. Abgesehen vom damit direkt verbundenen Ärger hat er sich ansonsten pudelwohl gefühlt, was kein Wunder darstellt. Auf dieser dalmatinischen Insel existiert kein Autoverkehr, die schmale Uferpromenade verbindet die Hotels und dazwischen befinden sich einige Gebäude entlang einer halbkreisförmigen Bucht. Die äußerst bescheidene Infrastruktur besteht gerade mal aus einer Eisdiele, zwei kleinen Supermärkten, vier Restaurants, zwei Bars und einem Büro, welches zugleich als Postbüro und Verkaufsstelle für die Personenfähre dient. Die Gesamtbevölkerungszahl beläuft sich auf weniger als 250 Seelen. Hans erinnert sich noch gut an seinen Antrittsbesuch.

Anfang April, kurz vor Ankunft der ersten Pauschalurlauber aus Mitteleuropa, betrachtete er vom Oberdeck des Postschiffes aus die geringen Ausmaße der Insel. Vier Kilometer in der Länge, und etwas weniger als die Hälfte in der Breite. In ihrer Mitte steigt ein kleiner Berg auf etwa 200 Höhenmeter an, überall wächst typische Mittelmeervegetation. Als der betagte Dampfer an der vorderen Hafenmauer anlegte, wartete praktisch die vollständige Bevölkerung mit Handkarren und zwei Minitraktoren auf eintreffende Ware. Für die anstehende Saison hatte man gleich kisten- oder sogar palettenweise Getränke, Lebensmittel, Putzmaterial und Klopapapier im Einkaufszentrum des neuen Hafens von Dubrovnik bestellt. Nach dem Verlassen des Schiffes betrat der neue Reiseleiter zunächst den botanischen Garten. Ein verwittertes Hinweisschild warnt Besucher beim Betreten vor einstürzendem Gemäuer des 1979 durch ein Erdbeben zum größten Teil zerstörten Grandhotels. Man erkennt das Gebäude nur noch durch die Äste der Laubbäume und Efeuranken. Die ehemaligen Unterkünfte würden im Hochsommer dringend benötigt, aber wer bringt die Mittel für den Wiederaufbau auf?

Sämtliche Fassaden privater Wohnhäuser bestehen aus Granit und keines der Gebäude wurde nach 1850 erbaut. Vereinzelte Palmen spenden Schatten und üppig blühende Oleandersträucher setzen ihre Farbtupfer entlang der Uferpromenade. Hans musste hin und wieder Handkarren ausweichen, auf welchen Inselbewohner ihre bestellten Waren transportierten. Kinder spielten derweilen barfuß am schmalen Sandstreifen, wo die Wellen der Adria gemächlich ausrollen. Vereinzelt grüßten ihn Einheimische wie einen alten Bekannten und vor der Kirche unterbrachen zwei Senioren ihr Schachspiel. Beide wollten unbedingt den neuen Vodic in Augenschein nehmen. Es hatte sich bereits in Windeseile herumgesprochen, dass der neue Reiseleiter von Neckermann auf dem Postschiff eingetroffen sei. Einer der Schachspieler bot ihm eine dunkle Zigarette an, er lehnte dankend ab und setzte den Streifzug fort.

Er war in ein kleines Paradies gelangt, in welchem demnächst Urlauber geruhsame Ferien verbringen. Auf Lopud suchen Mitteleuropäer inmitten einer weitgehend intakten, mediterranen Landschaft nach Ruhe und Erholung. Er folgte einen schmalen Pfad den Hügel hinauf, an der ersten Weggabelung führte ihn ein Eselspfad zum Südstrand hinab. Es handelt sich um eine der wenigen Buchten in Kroatien, welche über einen Sandstrand verfügen. Das Ufer umsäumt ein kleiner Pinienhain. Es kehrte begeistert um, und setzte den Rundgang in der entgegengesetzen Richtung fort. Laufend erblickte er Ruinen ehemaliger Kirchen, verfallener Kapellen und verlassener Landhäuser. Anspruchslose Kletterpflanzen überwuchern architektonische Zeugen einer ruhmreichen Vergangenheit. Vor einem verheerenden Erbeben im Spätmittelalter diente Lopud den reichen Kaufleuten aus Dubrovnik als Sommerresidenz. Diese Epoche ist längst Geschichte, ebenso wie die einstige Vorherrschaft von Venedig entlang der östlichen Adria. Die heutigen Bewohner leben hauptsächlich vom Tourismus, die Landwirtschaft dient vorwiegend ihrem Eigenbedarf. Jede einzelne Familie pflegt Rebstöcke, Obstbäume und Zypressen . Das Holz des spindeldünnen Laubbaumes wird für Dachgewölbe verwendet.

Auf halber Strecke kam er an einer Konoba vorbei, welche dem Nachtportier des Hotels Lafodia gehört. Der Kroate betreibt die Schenke tagsüber und bietet Eigenprodukte an. Rotwein, Rohschinken und in Olivenöl eingelegten Ziegenkäse. Sein lukratives Nebengewerbe hat Josipe nicht angemeldet, wie es sämtliche Einheimischen handhaben. Deswegen wirft immer jemand ein wachsames Auge auf die Adria. Sobald ein Polizeiboot aus Dubrovnik vor Lopud auftaucht, verschwinden sämtliche Hinweisschilder zu illegalen Privatbetrieben. Und falls zu dieser Stunde ein Urlauber die Absicht hegt, einen Hauswein zu trinken, steht er vor verschlossener Tür. Aber sobald die Gefahr gebannt scheint, steuerpflichtig zu werden, kann man wieder luftgetrockneten Schinken zum Rotwein genießen.

Die Anzahl der Hotelbediensteten wächst kurz vor Beginn der Sommermonate massiv an. Ab diesem Moment schuften vom Festland angeworbene Arbeitskräfte in den Hotels. Und allerspätestens Mitte September, wenn sich die Unterkünfte allmählich zu wieder leeren beginnen, sieht man allen die Erschöpfung direkt im Gesicht an, und die meisten haben massiv an Körpergewicht eingebüßt. Sämtliche Hotelangestellte malochen von Ende April bis Mitte September ohne einen freien Tag am Stück durch. Dank ihrer aufkumulierten Überstunden erhält das Personal ganzjährig einen eher bescheidenen Monatslohn ausbezahlt.

Während der Wintermonate verirrt sich eher selten ein Reisender nach Lopud. In dieser touristenlosen Zeit wird ebenfalls nicht gefaulenzt. Die alten Gebäude verlangen ständige Renovierungsarbeiten, und wer etwas Geld ansparen konnte, baut ein weiteres Fremdenzimmer am eigenen Haus an. Fast alle Familien vermieten mindestens ein Gästezimmer oder Appartements während der Sommermonate. Einmal eine eigene Pension mit sechs bis acht Unterkünften zu besitzen, dieser Wunschtraum ist praktisch sämtlichen Einheimischen gemein. Im Juli und August übertrifft die Nachfrage nach einer Schlafstelle das vorhandene Bettenangebot der Hotels bei Weitem, in diesem Zeitraum leben manche Familien im Wohnzimmer. Schlafzimmer werden vermietet, weil täglich Urlauber ohne Hotelreservierungen auf dem Postschiff eintreffen.

Hans kennt unterdessen die meisten Privatunterkünfte. Er musste einige Urlauber während einer Woche oder sogar der gesamter Aufenthaltsdauer außerhalb des gebuchten Hotels unterbringen. Der Generaldirektor hatte im Vorjahr weitaus mehr Zimmer an ausländischen Reiseveranstalter verkauft, als tatsächlich verfügbar sind. Hinter dem ren hausgemachten Überbuchungsproblem steckte weder böse Absicht, noch wollte der Direktor damit Privatzimmer füllen helfen. Der Manager verfügt schlicht und einfach nicht über die notwendige Ausbildung, um seiner anspruchsvollen Aufgabe gerecht zu werden. Die Legitimation für diesen Posten leitet sich einzig aus einer langjährigen Mitgliedschaft in der Regierungspartei ab. Als er das Jahr zuvor mit Hoteleinkäufern die Preise und Bettenkontingente einzeln aushandelte, verzählte sich der Kroate halt dummerweise.

Und als im Hochsommer zahlreiche überbuchte Urlauber die Rezeptionen zornig belagerten, war von Gospodin Direktore weit und breit keine Spur zu sehen. Vollkommen berechtigte Unmutsäußerungen trafen ausschließlich unschuldige Reiseleiter und Rezeptionisten. Ihm und seinen Kollegen von der Konkurrenz fiel es dabei weiß Gott nicht leicht, aufgebrachte Urlaubsgäste zu beruhigen, schließlich hatten diese bereits vor Monaten ihre Ferienarrangements gebucht. Als sie nach der anstrengenden Anreise erfuhren, im eigentlich reservierten Hotel sei kein Zimmer frei, lehnten es die Allermeisten kategorisch ab, in ein Alternativhotel nach Dubrovnik ausweichen. Diese spezielle Klientel wählt mit Bedacht die kleine Insel an der süddalmatinischen Adriaküste aus.

Er unterbreitete einigen Hauseigentümer ein für kroatische Normaleinkommen sehr lukratives Angebot und daraufhin rückten die Familien noch etwas enger zusammen. Überbuchte Urlauber übernachten sogar auf einer ausziehbaren Couch im Wohnzimmer. Der Kundendienst in Frankfurt wurde sogleich darüber informiert. Daraufhin wurde allen betroffenen Urlaubern ein Großteil ihres Reisepreises direkt nach der Rückkehr zurückerstattet und im Anschluss bat die Zentrale in Frankfurt die Hotels dafür indirekt zur Kasse. Sämtliche mit Überbuchungen zusammenhängende Unkosten zog die Buchhaltung direkt von der nächsten Monatsabrechnung ab, welche die Hotelgesellschaft in Frankfurt einreichen muss. Jene happigen Abzüge ziehen garantiert eine positive Auswirkung nach sich. Derartig hohe Einbußen werden die Parteispitze davon überzeugen, dass man den Generaldirektor besser anderweitig eingesetzen sollte. Einigen in Privatunterkünften untergebrachten Urlaubern gefiel ihr Alternativaufenthalt dermaßen gut, dass sie bereits für das Folgejahr einen Privaturlaub im Haus ihrer Gastfamilien reserviert haben.

Und mit einem neuen und hoffentlich kompetenteren Generaldirektor erscheint ihm eine weitere Sommersaison auf der autofreien Insel durchaus erstrebenswert. Dabei muss man allerding die Unberechenbarkeit der Einsatzzentrale berücksichtigen. Personalplanung und Wünsche der einzelnen Reiseleiter weichen häufig diametral voneinander ab. Diese Tatsache holt ihn aus seinen Gedankengängen zurück. Dube hat sich derweilen bereits gefragt, ob Hans eventuell beleidigt sei, weil keine Antwort erfolgte. Endlich macht er den Mund auf.

- Ich käme gerne wieder, aber letztendlich hängt die Entscheidung von der Zentrale in Frankfurt ab. Wie lange muss ich eigentlich noch untätig herumsitzen, oder ist die Sprechstunde bereits beendet?

Bevor ihm die Rezeptionistin antwortet, kann sie es partout nicht unterlassen, ihm zuvor nochmals sein Missgeschick direkt unter die Nase zu reiben.

- Du hast also die neue Armbanduhr bei der schönen Ina liegen gelassen? Es ist 19.50 Uhr.

Die Rezeptionistin im Hotel Dubrava hatte den Holländer vor knapp zwei Stunden gebeten, ihr die zahlreichen Funktionen seiner Seiko vorzuführen. Inmitten der Demonstration erschien ein erboster Urlauber, um mit seinem Reiseleiter eine vollkommen unnötige Diskussion über eine unabänderliche Flugplanänderung zu führen. Und diese sinnlose Beschwerde beanspruchte dermaßen viel Zeit, dass er im Anschluss zum Hotel Lafodia rennen musste, ohne zuvor seine Armbanduhr zurückzuverlangen.

Aus dem leicht bissigen Kommentar von Dube glaubt er, eine leichte Eifersucht heraus zu hören. Die beiden Rezeptionistinnen senden hin und wieder eindeutige romantisch geprägte Signale aus, doch zu mehr als einem Flirt wird es niemals kommen. Die Frauen sind verheiratet und befolgen akribisch die Gebote der katholischen Kirche. Ganz weit oben steht geschrieben, Du sollst nicht ehebrechen. Er muss noch zehn Minuten ausharren, um den ausschließlich für Reiseleiter reservierten Tisch im Restaurant aufsuchen zu können.

Dube versteht nicht, warum der Holländer stets so gewissenhaft die Sprechstundenzeiten einhält. Treues Stammpublikum stellt ab September die Mehrheit der Urlauber, und nimmt eher selten die Hilfe eines Reiseleiters in Anspruch. Der Oliver von der TUI ist da einiges schlauer. Der atypische Deutsche ist heute erst gar nicht zur Sprechstunde erschienen. Aber warum tut es ihm Hans nicht gleich?

- Warum verhältst Du dich so typisch deutsch? Ich beziehe meine Frage auf die strikte Einhaltung der Arbeitszeit.

- Ich möchte in dieser Wintersaison unserem Fernost-Team angehören. Sollten sich Urlauber jedoch beim Kundendienst darüber beschweren, mich während der angeschriebenen Zeiten nicht in der Sprechstunde angetroffen zu haben, kann ich mir den Einsatz in Ostasien direkt abschminken. Und das bedeutet, einen weiteren Winter in einer der Reservationszentralen in Deutschland zu arbeiten.

Die Rezeptionistin hört ihm überhaupt nicht mehr zu! Dube starrt stattdessen zur Anlegestelle des Hotels. Er folgt ihrem Blick und versteht ihre Verwunderung. Eine hochmotorisierte Jacht legt gerade an und ein Besatzungsmitglied hilft einem Ehepaar galant beim Aussteigen. Dube muss sogleich einen Kommentar dazu abgeben.

- Die Herrschaften müssen sich verirrt haben, die Filmfestspiele finden in Venedig statt.

Und mit einem zynischen Grinsen dreht sich die Rezeptionistin zum Reiseleiter um.

- Oder handelt es sich um eine verspätete Ankunft von Neckermann-Reisen? In diesem Fall musst Du den roten Teppich für deine illustren Urlauber ausrollen.

Beide wissen, dass Mitglieder der Oberschicht niemals die Dienste des deutschen Reiseveranstalters in Anspruch nehmen. ‚Neckermann machts möglich‘, mit diesem Slogan spricht man eine lediglich eine Kundschaft an, welche nicht über prall gefüllte Brieftaschen verfügen. Im Kroatienkatalog werden fast ausschließlich nur Hotels aus dem Zwei- und Dreisternebereich angeboten. Dube fokussiert derweilen den Blick auf das ungewöhnliche Paar. Ein spezielles Kleidungsstück hat es ihr besonders angetan.

- Die hiesigen Nachttemperaturen kühlen in diesem Monat schon etwas ab, aber eine Edelpelzjacke halte ich für überzogen! Sieh nur, was für ein Luxus die Schultern der feinen Dame ziert.

Hans hat keine Ahnung, welches arme Tier dafür sein Leben lassen musste. In jedem Fall erscheint ihm eine Stola vollkommen deplatziert. Die Pelzträgerin stolziert in High Heels die Treppenstufen herauf. Ein Anblick, welcher ihn tatsächlich an die Glimmerwelt von Filmfestspielen erinnert. Derartige Anlässe kennt Hans lediglich vom Fernsehschirm her. Die Rezeptionistin kommentiert das Herannahen des Paares ganz im Stil einer Klatschreporterin.

- Die Schultern der Diva in einem himmelblauen Abendkleid aus Seide des Hauses Dior bedeckt eine elegante Zobelstola von Révillon. Ihr etwa 45-jähriger Begleiter trägt einen Smoking von Karl Lagerfeld.

Das ungewöhnliche Paar wirkt dabei selbstsicher. Sie ist maximal Anfang 30, und er mindestens fünfzehn Jahre älter. Gold und mehrere Karat funkelt in der Abendsonne, Blitzlichtgewitter setzt nicht ein. Sie vernehmen auch kein Jubel wartender Fans. Gekreische hungriger Möwen hallt stattdessen durch die Abendluft und Einheimische nahe der Anlegestelle trauen ihren Augen nicht. Der Gepäckträger des Hotels rennt tatsächlich mit zwei Koffern in den Händen die Treppenstufen hinauf. Normalerweise vermeide Mirko doch jede unnötige Anstrengung. Welche Trinkgeldhöhe hat ihn wohl zu dieser Höchstleistung gedopt?

Hans begibt sich an den Arbeitstisch zurück und öffnet etwas verunsichert den Aktenkoffer, um die Transferliste der letzten Ankunft zu konsultieren. Darauf wird ein Ehepaar aufgeführt, welches nicht im gebuchten Charterflugzeug aus Amsterdam anreisen konnte. Gemäß telefonischer Anweisung aus der Zentrale muss deren Unterkunft auf unbestimmte Zeit blockiert bleiben. Es kann doch nicht sein, oder ...

- Dube erwartest das Hotel heute noch irgendwelche Ankünfte?

Die Rezeptionistin verneint dies kategorisch. Sein sechster Sinn veranlasst ihn, sich schleunigst zu erheben, um die neuen Gäste bereits am Hoteleingang abzufangen.

- Guten Abend. Habe ich die Ehre, das Ehepaar Van Breugelen mit etwas Verspätung auf Lopud willkommen zu heißen?

- Dem ist so, und wir hoffen, unsere Unterkunft wurde mittlerweile nicht anderweitig belegt.

Hans ist mit sich zufrieden. Auf seinen beruflichen Instinkt ist Verlass. Dube muss kräftig durchatmen, während die van Breugelens ihre Personalien auf den Anmeldeformularen eintragen. Die anschließende Information lässt den Reiseleiter ebenfalls um Fassung ringen.

- Eine unvorhergesehene Terminüberschneidung hat es uns am Dienstag verunmöglicht, wie ursprünglich geplant im Charterflugzeug anzureisen. Dank des Einsatz des Firmenjets können wir wenigsten ein paar Urlaubstage auf Lopud genießen.

Der Rezeptionistin fällt der Zimmerschlüssel aus den Hand, und der Reiseleiter muss eine noch weitere Überraschung verkraften, ohne ein allzu erstauntes Gesicht zu machen.

- Sie können bereits unseren Rückflug nach Amsterdam stornieren. Am Ende unseres Urlaubs werden wir im Learjet direkt nach London weiter fliegen.

Zu seiner eigenen Überraschung verschlägt es Hans nicht die Sprache.

- Sobald Sie mir die Abflugzeit mitteilen, werde ich mich um den Transfer zum Flughafen kümmern.

- Ihr Angebot ist gut gemeint, aber mein Assistent in Den Haag hat sich bereits um diese Detail gekümmert.

Dube ist lediglich in der Lage, den Zimmerschlüssel kommentarlos in die ausgestreckte Hand des Kofferträgers zu legen, während Hans die beiden Urlauber auf seiner Liste abhakt. Später muss er noch auf dem Wochenrapport noch vermerken, dass beim nächsten Abflug zwei frei Plätze nach Amsterdam zur Verfügung stehen. Zuvor kommt er der Verpflichtung als Reiseleiter nach.

- Boschko begleitet Sie nun zu ihrem Zimmer. Falls Sie Hilfe oder Informationen benötigen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Es werden immer noch interessante Ausflüge auf dem Festland angeboten, meine Sprechstundenzeiten stehen auf der Anschlagtafel. Ich wohne übrigen ebenfalls im Hotel Lafodia. Für einen Notfall verrate ich ihnen meine Zimmernummer. Es ist die 234. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und einen guten Appetit. Das Restaurant ist noch bis 22 Uhr geöffnet.

- Danke Hans. Wir wollen lediglich etwas ausspannen und die Natur genießen. Meine Ehegattin hat die Insel bereits vor einem Jahr besucht, und ist deswegen noch mit den örtlichen Gegebenheiten weitgehend vertraut. Ich habe eine kleine Aufmerksamkeit für Sie.

Peer van Breugelen steckt dem Reiseleiter etwas Glitzerndes in die Brusttasche. Während die van Breugelen den Fahrstuhl benutzen, betrachtet Hans das Geschenk und es gelingt es ihm nicht, seine Enttäuschung zu verbergen. Es handelt sich um einen hundsgemeinen Kugelschreiber. Auf diesen Kommentar hin springen Dube schier die Augen aus der Orbita.

- Hast Du überhaupt eine Vorstellung, welchen Wert so ein edles Schreibgerät besitzt?

Hans zuckt mit den Schultern, und die Rezeptionistin flippt beinahe aus.

- Ich müsste einen halben Monatslohn für dieses Juwel aufbringen!

- Somit gehört er dir. Und gebe dein sauer verdientes Geld für vernünftigere Dinge aus.

Hans überreicht der verdatterten Rezeptionistin den Luxusartikel, denn Statussymbole jeder Art liegen nicht überhaupt auf seiner Wellenlinie. Einen Kugelschreiber wird er, wie viele andere zuvor, irgendwo liegen lassen. Deshalb zieht er es vor, eine dem Konsum verfallene Kroatin zu beglücken. Dube freut sich wie Kind an Heiligabend. Ihr Weihnachtsmann muss sie zunächst aus dem Freudentaumel zurückholen.

- Frau van Breugelen hat ihren Schminkkoffer neben der Rezeption stehen lassen.

Die Rezeptionistin kratzt sich zunächst am Hinterkopf.

- Könnest Du bitte kurze Zeit meinen Platz einnehmen?

Der Reiseleiter nickt, und macht sich hinter der Rezeption daran, die Endabrechnung der monatlichen Ausflugsverkäufe zu beenden. Bis ihn Dube ablöst, nimmt er lediglich zwei Zimmerschlüssel entgegen. Es ist Abendessenszeit, und Urlauber wollen keineswegs auf ihre Vollpensionsleistung verzichten.

Strahlenden Augen der Rezeptionistin verraten ihm, das erhaltene Trinkgeld hat ihre Erwartung sogar übertroffen. Als Beweis wedelt sie mit einem druckfrischen 20-Euroschein vor ihrem Gesicht herum. Und dazu ist sie stolze Besitzerin eines Lombard Kugelschreibers aus Gold und Silber. Diesen Glückstag wird sie so schnell nicht vergessen.

Stunden später denkt Hans Spruit dasselbe, aber nicht aus einem positiven Grund heraus.

*

Das Anklopfen an seiner Zimmertür entstammt keiner Traumfantasie. Was besagt der Blick auf den Radiowecker? Um 3 Uhr in der Früh wird wieder einmal ein besoffener Urlauber die eigene Zimmernummer oder sogar das Stockwerk verwechselt haben. Entsprechend grimmig schlurft Hans zur Tür und holt tief Luft. Den elenden Störenfried wird er gehörig zusammengestauchen. Doch als er durch die Türspalte späht, bleibt ihm der Anschiss im Hals stecken. Was will Peer Van Breugelen im Schlafanzug und mit wutentbranntem Gesichtsausdruck von ihm. Der Anblick verheißt nichts Gutes und sein Landsmann hält sich nicht erst lange mit einer Entschuldigung für die Störung auf. Ein Manager kommt direkt zur Sache.

- Kleiden sie sich umgehend an und folgen Sie mir leise zu meinem Zimmer.

Ansonsten gibt er keine Erklärung hinsichtlich des Grundes seines nächtlichen Überfalles ab. Überrumpelt und irritiert zieht Hans Spruit schlaftrunken den Trainingsanzug über. Das Zimmer der Van Breugelens befindet sich zwei Etagen direkt über ihm. Beim Eintreten erkennt der Reiseleiter überraschenderweise zwei Personen auf dem Fußboden. Antje Van Breugelen kniet im weißen Bademantel neben einem regungslos auf dem Teppichboden liegenden Mann. Dessen unnatürliche Körperhaltung lässt Schlimmes befürchten. Der weit aufgerissene Mund, verkrampfte Gliedmaßen und leblosen Augen im lilafarbenen Gesicht veranlassen ihn, in die Hocke zu gehen, um nach einem Lebenszeichen zu suchen. Atmung oder Puls sind nicht mehr wahrnehmbar.

- Wie lange liegt der Mann schon auf dem Boden?

Die Niederländerin antwortet wie in Trance.

- Seit etwa 15 Minuten.

Diese Information lässt lediglich eine Schlussfolgerung zu. Da kommt wohl jede Hilfe zu spät. Der Nachtportier weilt definitiv nicht mehr unter den Lebenden. Es handelt sich um Josipe. Unter dem Tag versetzt er Wein mit reichlich Zuckerzusatz und schenkt diese Spätlese an durstige Urlauber aus. Trotz dieses Frevels hat der Nachtportier den Tod aber nicht verdient. Hans konzentriert sich wieder auf den Todesfall.

- Was hat Josipe inmitten der Nacht in ihrem Zimmer gewollt?

Zusammen mit der Frage fällt dem Reiseleiter erst das verheulte und aufgedunsene Gesicht seiner Landsmännin auf. Sie klärt ihn nicht darüber auf. Ihr Ehegatte setzt sich dazu neben sie auf den Bettrand.

- Vor etwa zwanzig Minuten schreckten mich verdächtige Geräusche an der Zimmertür aus dem Schlaf hoch. Und bevor ich mich halbwegs gesammelt hatte, sah ich zu meinem Schrecken, wie eine Hand durch die Türspalte griff, um die Sicherheitskette mithilfe eines Bleistiftes auszuhängen. Ich handelte instinktiv. Seit Jahren begleitet mich stets ein Elektroschocker auf allen Reisen, um mich bei einem Überfall verteidigen zu können. Das Gerät liegt nachts auf dem Nachttisch. Als sich der Einbrecher auf unser Bett zubewegte, zielte ich auf dessen Oberkörper. Wie vom Blitz getroffen sackte der Eindringling zu Boden. Ich vernahm noch ein schwaches Stöhnen, verbunden mit spastischen Krämpfen, kurz darauf machte er keinen Mucks mehr.

Van Breugelen legt die linke Hand auf die Schulter seiner heftig zitternden Gattin.

- Natürlich war Antje sofort hellwach. Als sie das Gesicht des Kroaten zu sehen bekam, fing sie zu hyperventilieren an. Und zwar dermaßen, dass ich den Hysterieanfall mithilfe wohldosierter Ohrfeigen beenden musste. Im Anschluss beichtete sie mir unter Tränen eine höchst unmoralische Verfehlung. Als meine Gattin vor über einem Jahr diese Insel besuchte, unterhielt sie eine kurze Liebesromanze mit diesem Nachtwächter!

Das Gesicht des gehörten Ehemannes läuft dazu puterrot an, und Antje Van Breugelen hat inzwischen nichts mehr mit jener Diva gemeinsam, welche vor wenigen Stunden durch die Rezeptionshalle wandelte. Hans beschließt, einen Hotelgast zu wecken. Der deutsche Arzt soll sich um den Kreislauf der totenblassen Holländerin kümmern. Peer Van Breugelen lehnt das Angebot umgehend ab. Sein Reiseleiter zieht die Ärmel der Trainingsjacke nach oben. Ihm ist heiß, er muss die Gedanken neu ordnen. Auf Lopud ist weder ein Polizist noch ein Arzt stationiert und. Somit verbleibt ihm keine andere Wahl, als die Polizei in Dubrovnik über den Todesfall zu informieren.

- Hans legen Sie um Himmels willen den Telefonhörer auf!

Peer van Breugelen wirkt bei seiner Anweisung sehr gefasst und Hans Srpruit hält im Vorhaben inne, um eine nachvollziehbare Begründung abzuwarten. Die Stimme des Managers nimmt einen moderaten Tonfall an.

- Letztes Jahr musste ich meine Ehefrau berufsbedingt monatelang vernachlässigen. Die Existenz etlicher Arbeitsplätze stand auf der Kippe! Und deshalb begrüßte ich es ausdrücklich, dass Antje ihre Schwester nach Kroatien begleitete. Nach dem Urlaub erlebte ich sie dermaßen gut erholt und aufgestellt, dass ich beschloss, irgendwann mit ihr zusammen die offensichtlich Energie spendende Insel zu besuchen. Ich ahnte ja nicht, welche Ursache sich tatsächlich hinter ihrem Aufblühen verbarg. Diese beschämende Tatsache ist mir erst seit wenigen Minuten bekannt.

Van Breugelen wischt sich einige Schweißperlen von der Stirn.

- Ein boshaft veranlagter Insulaner muss ihrem damaligen Geliebten direkt nach unserer Ankunft mitgeteilt haben, ein holländisches Betthäschen sei auf die Insel zurückgekehrt, ohne dabei zu erwähnten, dass der betrogene Ehemann dieses Mal mit von der Partie ist. Der Nachtportier beschloss deshalb frohgemut, sich die eintönige Nachtschicht mit einem amourösen Abenteuer zu versüßen, mithilfe des Generalschlüssels kann er sich jederzeit Zutritt verschaffen. Und die verwerfliche Absicht führte den elenden Schweinehund direkt ins Verderben!

Van Breugelen deutet mit dem Zeigefinger indigniert auf den Leichnam.

- Und wegen dieses schamlosen Papagallos werde ich nicht eine Minute damit verlieren, bei kroatischen Ermittlungsbehörden irgendwelche Protokolle zu erstellen. Ich habe schließlich die versuchte Vergewaltigung meiner Ehefrau in Notwehr abgewehrt. Und dass dieser impertinente Nachtwächter an der Entladung eines als harmlos eingestuften Elektroschockers verstarb, geht mir glatt am Arsch runter!

Die Rekonstruktion klingt für den Reiseleiter durchaus logisch, schließlich kennt er die Anmacherszene dieser Insel. An Ankunftstagen versammeln sich sämtliche Don Juans in Erwartungshaltung auf der Hotelterrasse und unterziehen dabei weibliche Alleinreisenden einer optischen Überprüfung. Mit erfahrenen Blicken versuchen die Männer aus Gesichtern herauszulesen, ob die eine oder andere Touristin einem erotischen Abenteuer zugeneigt sein könnte. Und der Nachtportier hat dabei den Ruf weg, jeder dazu infrage kommenden Ausländerin sogleich nachzusteigen. Als Liebhaber muss der Oberanmacher über gewisse Qualitäten verfügen. Einige Auserwählte laden ihn in den Wintermonaten nach Mitteleuropa ein, und übernehmen sämtliche Unkosten. Während der widerlichen Taxierungen werden sogar Wetten abgeschlossen, bis wann eine Urlauberin spätestens flachgelegt sein wird. Ein Mitglied jener Gigologruppe hat zweifelsfrei die Ankunft von Antje Van Breugelen mitbekommen, und Josipe lediglich einen Teil dieser Neuigkeit mitgeteilt. Der saublöde Scherz ging fatal aus. Hans verschließt die Augen des kürzlich Verblichenen.

- Das Schicksal hat dich wahrlich hart bestraft, aber deswegen kann dein Unfalltod nicht verschwiegen werden.

Van Breugelen ist konträrer Ansicht.

- Wenn ein bekannter Ausländer mit einem illegal eingeführten Elektroschocker einen Kroaten tötet, werden sich Polizei und Staatsanwaltschaft jede nur erdenkliche Mühe geben, um der sensationslüsternen Öffentlichkeit einmal ihre Effizienz zu beweisen. Und daraufhin werden mich die Medien in den Dreck ziehen, und vor keiner Verleumdung zurückschrecken, weil sich dadurch Auflagen und Einschaltquoten leicht erhöhen lassen.

Antje heult kurz auf und jammert, das alles sei ihre Schuld. Ihr Ehemann blafft sie an, einfach nur den Mund zu halten, und setzt die Aufzählung seiner Argumente fort.

- Ich denke ja überhaupt nicht daran, mich einer nationalistisch gesinnten Justiz zu stellen und mich tagelang sinnlosen Verhöre ausgesetzt zu sehen. Dutch-Electronics benötigt nächste Woche seinen Finanzchef für anstehende Verhandlungen in London, damit wir auch in Zukunft aggressiven Expansionsgelüsten der Konkurrenz aus Asien erfolgreich die Stirn bieten können!

Der Manager ergreift die rechte Hand des Reiseleiters.

- Bitte helfen Sie mir und meiner bereits doppelt gestraften Ehefrau!

Hans Spruit gerät ins Grübeln. Seine bisherige Erfahrung hinsichtlich rüder Umgangsformen seitens der kroatischen Polizei gegenüber Ausländern lässt es ihm wirklich als wenig ratsam erscheinen, sich freiwillig den Ermittlungsbehörden zu stellen. Und er weiß auch, dass enge Familienbanden zwischen Lopud und Dubrovnik existieren. Körperliche Misshandlungen während eines Verhöres können somit nicht ausgeschlossen werden. Der Tote wird sich deswegen aber nicht in Luft auflösen. Van Breugelen nimmt seine Ratlosigkeit wahr. Als rational denkender Finanzfachmann teilt er seinem Reiseleiter ganz unverblümt mit, welche Aktion er erwarte.

- Organisieren Sie für uns einen diskreten Bootstransfer nach Dubrovnik. Außerdem ersuche ich Sie, den Leichnam so lange zu verbergen, bis wir Kroatien verlassen haben. Logischerweise darf der Nachtwächter natürlich nicht in unserem Zimmer aufgefunden werden.

Hans könnte mindestens zehn plausible Gründe aufzählen, warum ihm keiner der drei Wünsche als sinnvoll erscheint. Bevor er den ersten Einwand vorbringen kann, zieht van Breugelen ein Bündel Geldscheine aus der Brieftasche hervor.

- Das sind rund viertausend Euro. Ich benötige davon lediglich einige kleinere Scheine für eine Taxifahrt zum Flughafen. Der Restbetrag sollte wohl ausreichen, um einen Bootstransfer zu organisieren. Sobald ich mich wieder in Amsterdam aufhalte, überweise ich Dir 10‘000 Euro als Erfolgsprämie auf ein Konto. Dieser Bonus hilft über Gewissensbisse hinweg.

Hans lenkt ein. Dieses Umdenken liegt aber nicht an der Bestechungssumme.

- Ich werde euch beiden ohne Gegenleistung dabei behilflich sein, das Land vor der Entdeckung des Leichnams zu verlassen. Dieser Gefallen geschieht aus einem einzigen Grund. Ich kann mir äußerst rüde Reaktionen seitens der Polizei und Justizbehörde durchaus vorstellen, und möchte aufreißerische Berichterstattungen in den Medien vermeiden. Letzteres dient ebenfalls zum Vorteil meines Arbeitgebers.

Der Reiseleiter greift nach einem Fünfhunderteuroschein.

- Damit werde ich Euch ein Schiff und einen verschwiegenen Kapitän besorgen. Machen Sie sich für eine baldige Abreise bereit, in spätestens einer Stunde legt Darko unten am Steg an.

Ohne weitere Erklärungen verlässt Hans den Raum, um Darko Zebec aufzusuchen. Der Eigentümer eines direkt vor seinem Haus ankerndes Kabinenmotorbootes, welches den Namen der Jungfrau Maria am Bug trägt, wohnt gute 400 Meter von Hotel Lafodia entfernt. Während der Sommermonate bietet der Kroate individuelle Tagesausflüge oder Schnorcheltouren zur Nachbarinsel an. Unberührte Strände mit einem Fisch-Barbecue auf Sipan zu kombinieren, dieses Angebot ist bei den Urlaubern sehr beliebt. Hans erwähnt diese alternative Ausflugsmöglichkeit während seiner Informationsveranstaltungen. Als Gegenleistung lädt ihn Darko gelegentlich an seinem freien Tag zu einer Privattour ein. Sie lösen Austern mit einem scharfen Messer von Unterwassersteilwänden ab, und verzehren die Köstlichkeitem unter Hinzugabe von Zitronensaft. Gekühlten Posip-Weißwein und frisches Weißbrot steuert der Reiseleiter bei.

Darko erschrickt fürchterlich, als ihn zwei Hände wachrütteln. Nach einem extrem derben und absolut nicht jugendfreien Fluch wechselt der Kroate auf die deutsche Sprache über.

- Was fällt Dir ein, mich inmitten der Nacht zu überfallen? Ist ein neuer Krieg ausgebrochen?

Leicht angeschwollene Augen erblickenden einen verführerisch entgegen gehaltenen Geldschein. Darko betastet die extrem seltene Banknote geradezu ehrfurchtsvoll.

- Hat sich der Weihnachtsmann im Monat vertan?

Anstatt darauf eine Antwort zu geben, zieht der Vodic den Geldschein wieder an sich und schaltet zunächst die Deckenbeleuchtung ein. Darko verzieht angewidert das Gesicht. Grelles Licht und Alkohol vertragen sich einfach nicht. Wenigsten so lange nicht, bis er erfährt, was der Holländer von ihm will.

- Du darfst dich als glücklicher Besitzer dieser Geldnote fühlen, falls Du innerhalb von 30 Minuten in der Lage bist, ein holländisches Ehepaar nach Dubrovnik überzusetzen, ohne dabei nach einem Grund zu fragen. Folgende Kurzinformation muss dir dazu genügen. Ein Landsmann von mir muss innerhalb weniger Stunden ein Geschäft abschliessen, bei welchem weit mehr als 500 Euro auf dem Spiel stehen. U redu?

- Odlicno. Du kannst wie immer voll auf mich zählen. Gewähre mir lediglich fünfzehn Minuten. Eine kalte Dusche wird meinen vernebelten Kopf aufklaren, und der flaue Magen benötigt türkischen Kaffee mit extra viel Zucker. Und das ist zugleich deine Aufgabe. In weniger als einer halben Stunde erwartet die Santa Maria zwei Passagiere an der Anlegestelle.

- Dobro.

Hans setzt nur den Kaffee auf und eilt umgehend zum Hotel zurück. 20 Minuten später hilft er einem erleichterten Ehepaar, das Gepäck lautlos bis zum Kai runterzutragen. Es herrscht absolute Totenstille. Der theoretisch diensttuende Nachtrezeptionist liegt in unveränderter Position auf dem Fußboden des Hotelzimmers, und das Küchenpersonal erscheint niemals vor 5 Uhr 30, um mit den Frühstückszubereitungen zu beginnen. Antje Van Breugelen hat derweilen ein optisches Wunder vollbracht. Ihr zuvor verheultes und totenbleiches Gesicht hat wie durch Magie das Aussehen eines Fotomodells erlangt.

Darko legt ohne den Einsatz der Scheinwerfer an. Peer van Breugelen hat derweilen von Hans Spruit erfahren, das man auf die absolute Verschwiegenheit des Kapitäns zählen könne. Der Kroate betreibe sein Gewerbe ohne Konzession, zahle somit keine Steuern und vermeide jeden Kontakt mit der Polizei und Behörden. Während Darko die Gepäckstücke einzeln in der Kombüse verstaut, bittet van Breugelen seinen Reiseleiter, ihm die Privatadresse in Holland auf einen Notizzettel zu schreiben. Der Manager möchte sich in ein paar Tagen für die geleistete Hilfestellung großzügig erkenntlich zeigen. Und zusammen mit einem kräftigen Händedruck verkündete Peer, seinen Landsmann ab sofort als Freund zu betrachten.

Antje Van Breugelen verschwindet direkt in der kleinen Kabine und blickt nicht eine Sekunde lang zurück. Darko schiebt vorsichtig den Gashebel nach vorn und steuert langsam zum anderen Ende der Bucht, um die Abreise zur extrem frühen Stunde nicht durch unnötigen Motorenlärm zu verraten. Er glaubt kein Wort hinsichtlich des Motives für den nächtlichen Transfer. Der Reiseleiter werde seine Gründe für diese Geheimnistuerei haben. Letztendlich interessiert ihn nur, dass die Fünfhunderternote echt ist.

Hans befindet sich derweilen auf dem Weg zum Restaurant. Vorm Haupteingang stehen vierrädrige Servierwagen, auf denen normalerweise Getränkekisten, Lebensmittel, Geschirr und Gläser transportiert werden. Einen bedeckt er mit mehreren Tischdecken und schiebt den Wagen zum Aufzug. Der Multitransporter rollt lautlos zum Zimmer der Van Breugelens. Es verlangt etwas Kraftanstrengung, um den Leichnam auf die Ladefläche zu hieven. Mit Schnürbändern des Toten bindet Hans die Beine und Arme am Körper fest. Die Extremitäten dürfen keinesfalls unter den Tischtüchern hervorragen. Diese Vorsichtsmaßnahme erweist sich als überflüssig. Niemand geistert durch die Hotelgänge.

Seine eigene Unterkunft stellt das sicherste Versteck dar. Er legt regelmäßig Reservationslisten auf dem Fußboden aus, um die Beförderung der Urlauber zwischen der Insel und dem Festland zu planen. Und deswegen betritt das Zimmermädchen niemals den Raum ohne seine ausdrückliche Aufforderung.

Duzko, Rezeptionist der Frühschicht, trifft den Nachtportier überraschenderweise nicht hinter der Rezeption an. Der Bosnier entschuldigt die Abwesenheit mit dessen anstrengender Doppelbelastung. Langsam scheint die Geldgier von Josipe ihren Tribut zu fordern. Tagsüber eine Konoba zu bewirtschaften und während der Nachtstunde hinter der Rezeption zu verweilen, diese Doppelschicht kann nicht spurlos an einem vorübergehen. Sicherlich hat sich der Nachtportier während des letzten Rundganges kurz in einer ruhigen Ecke ausruhen wollen. Sobald die Zimmermädchen die Staubsauger einschalten, wird es mit dem Erholungsschlaf auch schon vorbei sein.

Gegen 11 Uhr wundert sich eine Kellnerin, dass mehrere Tischdecken verschwunden sind.

Urlauber, welche im Verlauf des Tages vor der Konoba von Josipe stehen, stellen mit Bedauern fest, dass die Gartenterrasse nicht geöffnet ist. Offensichtlich hat der Nachtportier beschlossen, einen Ruhetag einzulegen. Die Leute suchen ein anderes Privatrestaurant auf, dort schmeckt der Wein aber nicht ganz so lecker. Sie ahnen nicht, dass Josipe lediglich eine Rotweinsorte im Keller einlagert, obwohl drei Qualitätssorten auf der Schiefertafel angepriesen werden. Trocken, lieblich oder süß. Entsprechende Zuckerlösungsmengen stellen sein streng gehütetes Geheimnis dar. Norddeutschen und Holländern mundet die etwas teurere Spätlese. Seine Ehefrau hat ihn nicht wegen Weinpanscherei verlassen. Unzählige Frauengeschichten stellten den Grund dar.

Die Abwesenheit des Nachtportiers zieht um 22 Uhr eine erste Konsequenz nach sich. Dube wählte mehrmals vergeblich die private Telefonnummer von Josipe. Ihr Kollege hat zwar den Ruf eines unentwegt anbaggernden Schürzenjägers weg, aber in Bezug auf Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit bei der Arbeit kann man sich auf ihn verlassen. Bisher ist er kein einziges Mal verspätet zur Ablösung im Hotel erschienen. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als mit einem Filzstift eine Nachricht für die Hotelgäste zu verfassen und klebt das Blatt mit Tesafilmstreifen auf den Tresen. In englischer und deutscher Sprache wird darum gebeten, die Zimmerschlüssel ausnahmsweise selbst den Fächern zu entnehmen.

Neun Stunden später, um 6.58 Uhr, tritt Duzko wie gewohnt den Frühdienst an. Ein gewaltiger Schrecken durchfährt seinen Körper. Josipe liegt kalt und steif hinter der Rezeption und ein strenger Fäkaliengeruch entströmt dessen Hose.

Vier Stunden nach der grausigen Entdeckung klärt ein extra aus Dubrovnik entsandter Gerichtsmediziner den zusammen mit ihm eingetroffenen Polizeibeamten über eine brisante Feststellung auf. Der Verblichene ist in der vergangenen Nacht eindeutig nicht hinter der Rezeption verstorben. Und ein natürlicher Tod oder Unfall scheiden als Todesursache definitiv aus. Daraufhin übernimmt die Staatsanwaltschaft den Todesfall und beauftragt einen Kommissar mit der Ermittlung. Mile Kovacevic reist dazu mit zwei Kriminalassistenten auf dem Postschiff an.

Als Erstes befragen die Detektive das Hotelpersonal nach außergewöhnlichen Beobachtungen während der letzten Tage. Mehrmals kommt dabei ein sich von Normalurlaubern extrem unterscheidendes Ehepaar aus Holland zur Sprache und erweckt Neugierde beim Chefermittler. Die van Breugelens scheint der Erdboden verschluckt zu haben. Kovacevic beschließt, deren Reiseleiter nach dem Verbleib zu befragen. Denn von Dube Radovic weiß er bereits, dass sich Vodic Spruit mit den beiden bei deren Ankunft im Hotel unterhalten hat. Der Polizist macht telefonisch mit dem Holländer ab, sich dazu auf der Terrasse der Eisdiele treffen.

Kovacevic bestellt Eiskaffee spezial. Gekühlter Espresso mit zwei Kugeln Nusseis, Schokoladensoße und reichlich Schlagsahne. Der Inhalt des Glasbechers ersetzt ihm das ausgefallene Mittagessen. Hans Spruit entscheidet sich für frischgebackenen Apfelstrudel. Im Anschluss erfährt der Repräsentant von Neckermann Reisen en Grund für die Zusammenkunft.

Der Nachtportier des Hotels Lafodia sei ohne jeden Zweifel durch Fremdverschulden zu Tode gekommen. Die Kriminalpolizei habe das Hotelpersonal nach ungewöhnlichen Beobachtungen befragt und dabei wurde mehrmals auf ein mysteriöses Ehepaar hingewiesen, welches im Stil von Hollywoodstars auf Lopud auftauchte. Dass diese beiden spurlos verschwunden scheinen, werfe gewisse Fragen auf. Und weil Hans Spruit seine Landsleute in Empfang genommen hat, sind sämtliche Einzelheiten ihrer Konversation von Interesse. Der Vodic kaut zu Ende, bevor er antwortet.

- Niemand kommt wegen einer verfrühten Abreise finanziell zu schaden. Die van Breugelens haben ihre Pauschalreise im Voraus bezahlt.

Der Kommissar verrührt die Sahne mit dem Strohhalm und runzelt die Stirn.

- Ich möchte wissen, worüber Sie sich mit dem Ehepaar unterhielten.

- Mich verwundert es nicht im Geringsten, dass die van Breugelens die Insel sofort wieder verlassen haben. Das illustre Paar muss sich bei der Ferienplanung gewaltig vertan haben. Schwerreiche Klientel jenes Kalibers logiert im Allgemeinen im Luxushotel Croatia in Cavtat oder im Hotel Präsident in Dubrovnik. Und sie können mit dem bedauerlichen Tod von Josipe nichts zu tun haben, weil sie an dessen Todestag weder die Betten benutzten noch im Restaurant erschienen sind. Diese Tatsachen habe ich vom Hotelpersonal erfahren. Herr und Frau van Breugelen müssen noch in der Nacht ihrer Ankunft auf einem selbst gecharterten Schiff wieder abgereist sein. In diesem Augenblick genießt das Glimmerpaar bestimmt Champagner-Cocktails in einem der luxuriösen Küstenhotels.

Kovacevic hakt sofort nach.

- Haben die van Breugelen eine derartige Absicht verlauten lassen?

- Nein, aber deren pompöse Aufmachung lässt diese logische Schlussfolgerung zu. Sie hätten die teuere Pelzstola sehen sollen. Und die van Breugelen haben aus beruflichen Gründen auf ihre bezahlten Hin- als auch Rückflüge in unserem Charterflugzeug verzichtet. Im Anschluss des Urlaubs fliegen sie direkt nach London weiter. Diese Information sollte Dube ebenfalls mitbekommen haben.

Der Kommissar macht sie Notizen in einem Vokabelheft ein und zieht den Geldbeutel aus der Hosentasche hervor. Der Reiseleiter winkt sogleich ab.

- Lassen Sie sich von Neckermann-Reisen einladen. Einen Eiskaffee bringe ich in meiner Spesenabrechnung schon noch unter. Sofern Sie keine weiteren Fragen haben, verabschiede ich mich jetzt von Ihnen. Meine Sprechstunde im Hotel Dubrava beginnt in wenigen Minuten.

Der Polizist erhebt sich und schüttelt Hans Spruit die Hand.

- Hvala liepa.

Kommissar Kovacevic bleibt auf der Terrasse sitzen und schließt einen Moment lang die Augen. Abgesehen von den van Breugelens verfügt er über keine weiteren Verdächtigen. Er greift zum Handy und ordnet einem in Dubrovnik zurückgebliebenen Assistenten an, sich umgehend mit den Anbietern von privaten Bootstransfers in Verbindung zu setzen. Im Anschlss muss Mirko in Luxushotels und bei Vertretungen der Fluggesellschaften in Erfahrung bringen, ob das niederländische Ehepaar eine Reservierung vorgenommen habe.

Er beschließt, die Rezeptionistin des Hotels Lafodia nochmals zu vernehmen. Frau Radovic hat den Nachtportier bei Schichtübergabe vor zwei Tagen als letzte lebendig angetroffen.

Dabei kommen keine neuen Erkenntnisse zutage, sein Mitarbeiter hat eine gute Arbeit verrichtet. Vorm Abendessen befragt er Angestellte des Reinigungs- und Servicedienstes, doch diese können ebenfalls nichts Neues zur Investigation beitragen. Seine beiden Mitarbeiter kehren mit dem letzten Postschiff nach Dubrovnik zurück und Kovacevic genehmigt sich ein Bier an der Hotelbar, bevor für ihn Schlafenszeit angesagt ist.

Nach einer unruhigen Nacht, welche eine heftige Mückenattacke zur Ursache hatte, nimmt Kovacevic direkt nach dem Frühstück das Gebäude von Josipe Babic etwas unter die Lupe. Der Nachtportier hat den Nebenerwerb nicht beim Finanzamt angemeldet. Abgesehen von diesem Fiskalvergehen kommt nichts zutage, was kriminaltechnische Bedeutung besitzt. Der Kommissar begibt sich zur Wohnung der Ex-Ehegattin des Verstorbenen. Von Ljubica erfährt er, dass Josipe ein elender Hurenbock gewesen sei, letztendlich wurde ihm die gerechte Strafe Gottes zuteil. Nach so einer Aussage müsste man sie auf die Verdächtigenliste setzen. Die vergrämte Frau bewegt sich aber auf zwei Krücken.

Kommissar Kovacevic ist von den mageren Ermittlungsergebnissen enttäuscht und kehrt entsprechend frustriert auf der Nachmittagsfähre nach Dubrovnik zurück.

Am nächsten Morgen empfangen ihn Detektive mit interessanten Neuigkeiten. Vor zwei Tagen hat das holländische Ehepaar Kroatien an Bord der Fluggesellschaft Air-One verlassen. Beim Zielflughafen handelte es sich allerdings um Rom, und nicht um London, wie es Vodic Spruit vorhergesagt hat! Somit kann man von einer Flucht ausgehen. Die Befragung der Taxifahrer hat ebenfalls zu einem Erfolg geführt. Ein Chauffeur kann sich noch sehr gut an das extravagante Paar erinnern. Der Niederländer bot ihm im Hafen ein Trinkgeld in doppelter Höhe des normalen Fahrpreises an, um dafür in Rekordzeit zum Flughafen gefahren zu werden. Doch keines der offiziell registrierten Taxiboote im Hafen Gruz hat in besagter Nacht die Insel Lopud angesteuert. Ein Insulaner muss den Bootstransfer durchgeführt haben. Kovacevic beauftragt Detektiv Mladen, umgehend nach Lopud zurückzukehren. Sein Assistent brauche erst wieder auf dem Polizeirevier erscheinen, wenn er ihm den Kapitän benennen kann, welcher die van Breugelens vom Hotel Lafodia nach Dubrovnik übergesetzt hat.

Endlich gibt der Gerichtsmediziner telefonisch Bescheid. Die Obduktion ist abgeschlossen. Der Kommissar eilt raschen Schrittes zum gerichtsmedizinischen Labor. Bevor ihm das Ergebnis bekannt gegeben wird, heitert er den in letzter Zeit ernst dreinblickenden Pathologen mit der Vermutung der geschiedenen Ehefrau hinsichtlich der Todesursache auf.

- Ich kenne das Obduktionsresultat bereits. Gott hat einen geilen Weiberhelden hart bestraft.

Der Mediziner lacht tatsächlich wieder einmal.

- Ich stelle mir dazu gerade vor, wie Gott den Toten mit dessen eigenen Schnürbändern fesselt, nachdem der Herzschrittmacher mittels eines himmlischen Blitzes außer Gefecht gesetzt wurde. Und im Anschluss parkt unser aller Herr und Meister den Nachtportier rund 24 Stunden im Limbus zwischen, bevor der Kadaver die endgültige Ruhestätte hinter der Rezeption findet.

Seine Schlussfolgerung im Bezug auf die Todesursache fällt wissenschaftlich aus. Um den Taktgeber eines Herzmuskels zum Einstellen seiner Funktion zu bringen, bedarf es entweder eines starken Magnetfeldes oder einer elektrischen Entladung. Da der Leichnam keine Spuren eines Kontaktes mit einem Stromkabel aufweise, und der Magnet-Resonanz-Tomograf sowieso nicht in Betracht komme, dürfte die Entladung eines Elektroschockers dem Nachtportier zur ewigen Ruhe verholfen haben. Und herauszufinden, wie sich der Leichnam einen Tag in Luft auflösen konnte, ist Aufgabe der Kriminalpolizei. Kovacevic denkt laut über das Ergebnis nach. Ein derartiges Gerät wurde zwar im Umkreis der Rezeption nicht gefunden, aber er würde ein Monatsgehalt darauf verwetten, dass sich die offensichtliche Tatwaffe inzwischen auf dem Meeresgrund befindet. Obwohl keine Verbindung zwischen Josipe Babic und den van Breugelens zu existieren scheint, sagt ihm sein Instinkt, das schwerreiche Ehepaar müsse zumindest Mitschuld am unnatürlichen Tod des Nachtportiers tragen. Warum haben sich die Niederländer sonst klammheimlich aus dem Staub gemacht?

Der Kommissar kehrt ins Büro zurück und ruft die Fahrkarten-Verkaufsstelle auf Lopud an. Der Angestellte von Jadrolinija betreibt in Zweitfunktion die lokale Poststelle. Dieser quasi Beamtenstatus verpflichtet ihn zur engen Zusammenarbeit mit der Polizei. Mile erhält den Auftrag, umgehend dafür besorgt zu sein, dass um Punkt 20 Uhr sämtliche Besitzer eines funktionstüchtigen Schiffes mit Kabine zur Befragung zur Verfügung stehen. Kovacecvi lässt keine Begründung dazu folgen. Mile reimt sich den Grund selbst zusammen. Der obergeile Nachtportier hatte bestimmt ein Techtelmechtel mit einer verheirateten Einheimischen auf einem der Privatboote ...

Hans bereitet die Wochenabrechnung mit der Buchhaltung der Hotelgesellschaft vor, als jemand heftig an der Zimmertür anklopft. Darko vermittelt ihm einen hoch nervösen Eindruck. Sämtliche Bootsbesitzer werden am Abend vom Detektiv Petkovic verhört! Für Notfälle aller Art bewahrt der Reiseleiter eine Flasche mit Hochprozentigem im Kleiderschrank auf und ein gut eingeschenktes Glas Traubenschnaps erzielt die erhoffte beruhigende Wirkung auf den Kroaten. Hans analysiert derweilen die neue Situation. Sie müssen damit rechnen, dass man entweder auf Lopud oder im Hafen von Dubrovnik die beiden Holländer auf Darkos Schiff gesichtet hat. Aus diesem Grund darf Darko die nächtliche Überfahrt keinesfalls leugnen. An der Aufdeckung der genauen Umstände ist beiden nicht gelegen, und er biegt eine halbwegs plausibel klingende Aussage für die Ohren der Kriminalpolizei zurecht. Der Bootseigner habe Antje van Breugelen vor einem Jahr zu einem privaten Ausflug auf die Nachbarinsel eingeladen und ihr bei der Gelegenheit eine Visitenkarte überreicht. Ein Jahr später erhält er inmitten der Nacht einen dringenden Anruf ihres Ehegattens. Unaufschiebbare Geschäfte rufen den Topmanager so rasch wie möglich an den Arbeitsplatz zurück. Peer Van Breugelen bittet den flüchtien Bekannten seiner Frau, ihn in der Nacht aufs Festland überzusetzen und für diesen Freundschaftsdienst erstattete er einen angemessenen finanziellen Beitrag für den Treibstoff.

- Und weil sich das Ehepaar ausschließlich auf Holländisch unterhielt, bekamst Du von deren weiteren Plänen nichts mit.

Darko leert daraufhin ein zweites Glas und fühlt sich gleich um einiges besser. Hans hat ihm doppelt geholfen.

Seine Befragung kurz vor 21 Uhr geht problemlos über die Bühne. Detektiv Mladen bedankt sich im Anschluss für die wertvolle Information beim Eigentümer der Santa Maria. Dessen Anspannung lässt nach. Darko kann mit einem ruhigen Schlaf rechnen.

Am nächsten Morgen vernimmt Kriminalassistent Mladen Petkovic trotzdem die letzten Zeugen. Vom einzigen Berufsfischer der Insel erfährt er, dass Vodic Hans während der Nacht zwischen dem Hotel Lafodia und dem Haus von Darko Zebec hin- und her gerannt sei. Und ein weiterer Bootseigner, welcher in der Eisdiele angestellt ist, hat eine faustdicke Überraschung auf Lager. Unter dem Mantel der Verschwiegenheit gibt er zu Protokoll, jene Frau mit der Pelzjacke habe vor einem guten Jahr eine Romanze mit dem Verstorbenen unterhalten.

Nachdem Mladen seinem Vorgesetzten die neuesten Informationen telefonisch durchgegeben hat, antwortet Kovacevic nur ‚Bingo‘. Die nachfolgende Anordnung muss nicht interpretiert werden. Gospodin Spruit hat sofort als begleiteter Zeuge im Kommissariat anzutanzen. Zum ersten Mal in seiner beruflichen Laufbahn verpasst der Reiseleiter eine Hotelsprechstunde.

Am Spätnachmittag betreten Kovacevic und der aus Lopud herbei zitierter Zeuge ein von Zigarettenrauch verhangenes Büro. Der Ermittlungsrichter erwartet sie bereits leicht ungeduldig. Der Kommissar schlägt das Notizbuch auf und zitiert Richter Oblak das Gespräch, welches er mit dem holländischen Vodic auf der Terrasse einer Eisdiele geführt hat. Danach liest er die neuesten Aussagen vor, welche sein Kriminalassistent bereits protokolliert hat. Alles geschieht auf Kroatisch. Und zuletzt rekapituliert er den Bericht des forensischen Gerichtsmediziners. Der Richter wendet sich auf Deutsch dem Reiseleiter zu.

- Es steht ihnen frei, einen Anwalt für die Befragung hinzuzuziehen, welche wir auf Deutsch durchführen werden.

Der Reiseleiter lehnt das Angebot entschieden ab. Die ihm anschließend gestellten Fragen überraschen nicht. Hinsichtlich des Widerspruches zwischen seiner Aussage und der Mitteilung des Fischers gibt er reumütig zu verstehen, nicht mit der ganzen Wahrheit herausgerückt zu haben. Der Finanzdirektor von Dutch-Electronic habe ihm um absolute Verschwiegenheit gebeten. Von der Geheimhaltung hinsichtlich der Reisepläne hinge die Zukunft etlicher Arbeitsplätze ab.

- Peer Van Breugelen bat mich deshalb noch in der Nacht seiner Ankunft, ihm einen schnellstmöglichen Bootstransfer nach Dubrovnik zu organisieren.

- Hatte der Wunsch nicht viel eher mit der Tatsache zu tun, dass Frau van Breugelen einen Liebhaber auf Lopud hatte?

- Diese Behauptung erscheint mir vollkommen abstrus. Antje Van Breugelens soll tatsächlich mit dem Verstorbenen eine Beziehung unterhalten haben? So etwas kann ich mir nicht einmal hypothetisch vorstellen! Er, ein halber Analphabet, Nachtwächter und Weinpanscher – und sie, eine wahrhaftige Lady.

- Unterschiedliche Bildung und gesellschaftliche Diskrepanz lassen Amor manchmal kalt.

- Josipe blickte absolut desinteressiert hinter der Rezeption hervor, als ich das Ehepaar bei der überstürzten Abreise zur Schiffsanlegestelle begleitete. Als Ex-Geliebter hätte er ihr bestimmt den Schminkkoffer getragen, um sie unauffällig zu begrapschen.

Hans beugt den Oberkörper leicht über die Tischplatte.

- Fakt ist einfach, der Nachtportier lebte noch, als meine Gäste die Insel verliessen!

Kovacevic und Oblak tauschen einige Sätze in ihrer Muttersprache aus. Danach wird eine Justizangestellte aufgeboten. Zunächst soll sie die auf Tonband aufgezeichnete Befragung übersetzen, und im Anschluss für beide Sprachversionen jeweils einen Schriftsatz zur Unterschrift vorbereiten. Als der Reiseleiter endlich seinen Namen unter das Protokoll setzt, ist die letzte Fähre schon lange nach Lopud ausgelaufen. Er weiß dnicht, dass sich Beamte der Spurensicherung auf dem Postschiff befanden.

Hans kommt die Nacht in einem Vertragshotel von Neckermann-Reisen unter.

Kriminaltechniker durchsuchen Zimmer 203 im Hotel Lafodia akribisch nach Spuren. Kurz vor Mitternacht gibt der Einsatzleiter ein erstes Ergebnis telefonisch durch. Bis zu jenem Moment deuten keinerlei Hinweise auf einen direkten Zusammenhang mit dem absichtlich herbeigeführten Tod des Nachtportiers hin. Die Analyse von Fingerabdrücken, Mikrofasern und die Auswertung von DNA-Spuren stehen aber noch aus. Kovacevic bedankt sich fürs Erste und informiert den Untersuchungsrichter persönlich in dessen Wohnung. Oblak hat Bereitschaftsdienst und die beiden Männer rekapitulieren ihre bisherigen Erkenntnisse.

Jene Zeugenaussage, Frau Van Breugelen habe vor einem Jahr eine Affäre mit Josipe Babic unterhalten, liefert ein Motiv, um den gehörnten Ehemann als verdächtig erscheinen zu lassen. Dessen wenig glaubhafte Erklärung, er habe aus beruflichen Gründen frühzeitig abreisen müssen, lässt sich momentan jedoch nicht widerlegen. Und ob der Nachtportier tatsächlich noch am Leben war, als das holländische Ehepaar die Rezeption passierte, ist wissenschaftlich nicht nachprüfbar. Der eindeutig aktiv herbeigeführte Herzstillstand kann sich somit kurz zuvor oder auch erst eine Stunde später ereignet haben. Der Leichnam befand sich rund 24 Stunden an einem unbekannten Ort, bevor dieser heimlich in der Rezeption abgelegt wurde. Glaubten der oder die Delinquenten tatsächlich, die Kriminalpolizei mit so einer Stümperei übertölpeln zu können? Sämtliche Umstände lassen auf eine kriminelle Verschwörung schließen, in welcher Vodic Spruit eine Rolle zu spielen scheint. Richter Oblak ordnet daher an, dem niederländischen Staatsbürger vorübergehend den Reisepass zu entziehen. Der momentane Zeuge darf das Land keinesfalls verlassen. Kovacevic wird die Konfiszierung selbst zur frühen Morgenstunde durchführen.

Der Reiseleiter befindet sich dabei im Frühstücksraum. Nach Erhalt der Empfangsbestätigung sucht Hans Spruit das Gebäude der Reiseagentur auf, wo der Chefreiseleiter von Neckermann-Reisen in Süddalmatien residiert. Im Beisein des Agenturleiters informiert er minutiös über den Todesfall auf Lopud. Daraufhin wird Dr. Ivica Metkovic hinzugezogen. Der erfahrene Rechtsanwalt vertritt den Reiseveranstalter seit mehreren Jahren. Der Reiseleiter wiederholt für den Juristen seinen abenteuerlich anmutenden Bericht, welcher mit dem Einzug des Reisepasses endete.

Dr. Metkovic rät Vodic Spruit dringend davor ab, nach Lopud zurückzukehren. Neckermann sollte nichts unternehmen, bis ihnen zuverlässige Informationen vom Oberstaatsanwalt vorliegen. Der Anwalt vereinbart dazu ein informelles Mittagessen mit seinem ehemaligen Studienkollegen. Ein Deutsch sprechender Mitarbeiter der Incoming-Agentur wird beauftragt, interimsmäßig die Aufgaben des Reiseleiters Spruit auf Lopud zu übernehmen.

Metkovic wählt für den Gedankenaustausch unter Kollegen extra ein Fischspezialitäten-Restaurant aus, welches sich in der Nähe des nördlichen Eingangstores zur Altstadt befindet. Dessen mit Blumenkübeln dekorierte Terrasse bietet einen herrlichen Rundumblick auf die imposanten Festungsmauern. Der Kellner serviert frische Austern aus Ston, welche Posip-Weisswein begleitet. Den Hauptgang hat der Anwalt vorbestellt. Schwarzes Meeresfrüchte-Risotto, welches Dingaz-Rotwein perfekt abrundet. Während er Krevetten schält, fragt der Rechtsanwalt eher beiläufig, bis wann der Zeuge Spruit mit der Rückgabe seines Reisepasses rechnen könne. Der Klient stehe etwas unter Zeitdruck, da er für den kommenden Wintereinsatz ein Visum in der indischen Botschaft in Zagreb einholen müsse. Der Oberstaatsanwalt streicht die Serviette glatt. Nach einem Schluck des vollmundigen Rotweins teilt er dazu mit, die Rückgabe könne bereits in Kürze stattfinden. Es stehe lediglich die kriminaltechnische Auswertung sämtlicher sichergestellten Spuren im Hotelzimmer des Holländers aus. Sobald allerletzte Zweifel ausgeräumt seien, dass der Reiseleiter direkt oder indirekt mit dem absichtlich herbeigeführten Defekt eines Herzschrittmachers in Verbindung stehen könne, werde ihm unverzüglich das Reisedokument ausgehändigt. Palatschinken, hauchdünne Pfannkuchen mit einer Füllung aus Nüssen, Vanille-Eis und Schokoladen Soße, beenden das opulente Mittagsmenü. Nach Espresso und Slibowitz verabschieden sich die Juristen per Handschlag.

Eine halbe Stunde später überreicht Dr. Metkovic dem Chefreiseleiter im Beisein von Hans Spruit eine für kroatische Einkommensverhältnisse gesalzene Rechnung. Direkt danach macht er beide Zuhörer mit seiner Einschätzung hinsichtlich des aktuellen Ermittlungsstandes vertraut. Dass Kriminaltechniker aus dem Zimmer von Hans Spruit ein Haar oder eine Hautschuppe des Verstorbenen mithilfe der DNA-Analyse identifizieren, könne als gesichert angesehen werden. Diese zeitaufwendige Arbeit ziehe sich allerdings noch ein bis zwei Tage hin. Dann ordnet der Untersuchungsrichter die sofortige Untersuchungshaft an.

- Somit ist es wohl höchste Eisenbahn, dass Hans mit der Wahrheit herausrückt! Es handelt sich schließlich nur um einen tragischen Unfall.

Zum Vorschlag des Chefreiseleiters schüttelt Dr. Metkovic lediglich den Kopf. Seine Bedenken wiegen schwer. Das holländische Prominentenpaar befindet sich außerhalb der Zugriffsmöglichkeit der Justizbehörde und van Breugelen verfügt über genügend Einfluss und Geld, und kann durch Anwälte ein Ermittlungsverfahren in Holland torpedieren oder zumindest massiv verschleppen lassen. Dieser Umstand ist dem Untersuchungsrichter natürlich bekannt, daher werde Herr Spruit die Rolle des Sündenbockes übernehmen, sobald ihm die Kriminaltechnik aktive Beihilfe nachgewiesen hat. Ivica Metkovic blickt auf zwei bestürzt dreinblickende Gesichter und mit bedächtiger Stimme formuliert er einen Ratschlag.

- Ich lege für einige Augenblicke mein Mandat als Anwalt nieder und denke ausschließlich als Privatperson laut darüber nach, wie ich mich an der Stelle von Hans Spruit verhalten würde.

Zwanzig Minuten später verlässt der Reiseleiter das Gebäude. Zwischen Unterbauch und Hosenbund eingeklemmt trägt er einen gültigen Reisepass in der Unterhose. In seinem Beruf ist es nicht unüblich, von einem Tag auf den anderen zu einem Sondereinsatz in ein anderes Land abkommandiert zu werden. Zahlreiche arabische Länder untersagen Einreisen mit einem Israelstempel, die Immigrationskontrolle in den USA reagiert geradezu hysterisch, falls man zuvor eine Iran-Rundreise begleitet hat ... und bis eine Arbeitserlaubnis für Indien eingeholt ist, vergehen immer mehrere Wochen. Sämtliche Reiseleiter von Neckermann-Reisen haben ihre Ersatzpässe im Safe der Incoming-Agentur deponiert.

Er schlendert die im Laufe der Jahrhunderte ausgetretene Pflastersteinpromenade entlang, welche ihn quer durch die Altstadt führt. Historische Bauten auf beiden Straßenseiten bezeugen die ruhmreiche Vergangenheit einer ehemaligen Handelsstadt. In einem Straßencafé bestellt Hans türkischen Mokka und mustert sämtliche Tischnachbarn. Trifft die Vermutung seines Anwalts tatsächlich zu, dass ihn Kommissar Kovacevic beschatten lässt? Es verhält sich niemand auffällig. Und Dr. Ivica Metkovic hat noch auf eine weitere Gefahr hingewiesen. Die Polizeiposten am Busbahnhof und im Flughafen sind garantiert schon angewiesen, ein wachsames Auge darauf zu werfen, dass sich Vodic Spruit nicht ins Ausland absetzen kann. Ein Mietauto kommt nicht infrage. Mit dem speziell markierten Autokennzeichen darf man die Grenze nach Italien nicht passieren.

Hans verlangt die Rechnung. Sein nächstes Ziel stellt die Bushaltestelle am Piletor da. Linie 6 befördert ihn zum neuen Hafen Gruc. In der Verkaufsstelle von Jadron Linija erwirbt er eine Fahrkarte nach Lopud, und wartet bis zum Eintreffen des Postschiffs auf einer Holzbank. Nach einer knappen halben Stunde legt das Passagierschiff an. Eine Holzplanke mit Metallgeländer wird auf die Kaimauer geschoben. Etwa achtzig Passagiere verlassen das Deck im Gänsemarsch, bevor das Besatzungsmitglied den umgekehrten Weg freigibt. Hans präsentiert seine Fahrkarte und verschwindet in der Passagierkabine.

Zwei Männer in Strassenkleidung blicken sich fragend auf der Betonmole an. Hat es wirklich einen Sinn, noch bis zum Ablegen unter sengender Sonne auszuharren? Sie entscheiden sich für eine Alternative und suchen die nächste Hafenbar auf. Mit Karlovacko-Pils befeuchten sie lieber ihre ausgetrockneten Kehlen. Als zwei Matrosen die Holzrampe hochziehen, springt ein Passagier noch in allerletzter Sekunde von Bord und rennt direkt zum Taxistand.

- Molim zum Südeingang der Altstadt.

Der Fahrer setzt das Taxameter in Betrieb und präzisiert das Fahrziel.

- Ploce Tor.

Hans Spruit sucht etwas Schatten unter Oleanderstauden. Er muss neben dem östlichen Stadttor ausharren, bis Passagiere eines Kreuzfahrtschiffes ihre Umrundung der Altstadtmauern beenden und zu bereitstehenden Bussen zurückkehren. Endlich verlässt eine Menschentraube den nur gegen Eintritt begehbaren Teil der Altstadt und bewegt sich auf diese Fahrzeugkolonne zu. Ein Bus nach dem anderen öffnet die Tür und die davor postierte Aufflugsbegleiterin kontrolliert sämtliche Identifikationskarten. Unter den Touristen fällt Hans eine rothaarige Frau mit einem schreienden Kleinkind auf. Nachdem beide eingestiegen und abgefahren sind, drängelt er sich zum nächsten abfahrtbereiten Bus. Direkt vor der Kontrolleurin verliert er die Fassung und jammert lauthals darauf los, wegen der katastrophalen Organisation seine Familie aus den Augen verloren zu haben.

- ... oderder ist bereits eine rothaarige Frau mit einem kleinen Buben eingestiegen?

Die Angestellte des Kreuzfahrtschiffes kann den Mann umgehend beruhigen.

- Die beiden befindet sich bereits auf dem Rückweg zur Kabine.

Durch das Ablenkungsmanöver bemerkt sie nicht, dass der besorgten Vater über keine Identifikationskarte verfügt. Hans Spruit nimmt erleichter Platz im Bus.

Fünfzehn Minuten später erfordert ein weiteres Hindernis nochmals etwas Improvisation. Obwohl sich Passagiere von Kreuzfahrtschiffen lediglich für wenige Stunden auf kroatischen Territorium aufhalten, wird sowohl bei der Ein- als auch Ausreise jeweils Stempel im Reisepass fällig. Damit ausgabenfreudige Kreuzfahrer nicht unnötige Zeit verlieren, öffnet die Hafenbehörde sechs Kontrollposten. Hans wählt den Schalter mit einem weißhaarigen Beamten aus. Die Einschätzung hinsichtlich dessen Arbeitsmoral erweist sich als richtig. Der Kontrolleur findet keinen Einreisestempel, aber warum soll er deshalb den Holländer schikanieren. Ein Kollege hat bei der Einreise nicht richtig aufgepasst. Der Ausreisestempel findet neben einem Keniavisum seinen Platz.

Von der Passkontrolle bis zum Gate des Kreuzfahrtschiffes muss man 400 Meter zurücklegen. Ein schriller Sirenenton lässt den Reiseleiter in der Vorwärtsbewegung erstarren. Zwei Polizeiautos mit Blaulicht befinden sich hinter ihm, die Passagiere müssen ihnen eine Gasse bilden. Wie konnte die Polizei seine Flucht derartig rasch bemerken? In jedem Moment wird er das Gefühl von Handschellen an den Handgelenken verspüren. Die Fahrzeuge bremsen nicht ab und setzen die Fahrt unbeirrt fort. Kurz darauf biegen sie in einen Hangar ein. Hans Spruit lässt erleichtert mehrere Rückkehrer passieren, bis sich der Puls wieder beruhigt hat. Normal atmend erreicht er die Bordrezeption, wo die Identifikationskarten nach Beendigung des Landganges zurückgegeben werden, um eine codierten Kabinenkarten in Empfang zu nehmen. Der Holländer zückt seine Kreditkarte und überreicht diese zusammen mit dem Pass.

- Ich hoffe, mein Reisebüro hat für mich auch wirklich eine Außenkabine reserviert.

Die Angestellte gibt seinen Namen ins Reservationssystem ein. Ihre anschließende Antwort zeugt von Professionalität.

- Ich befürchte, wir haben es wieder einmal mit einem Übertragungsproblem zu tun. Die Computerpanne soll mich aber nicht davon abhalten, Ihnen die beste verfügbare Einzelkabine mit Außenbalkon zur Verfügung zu stellen.

Der neue Passagier schauspielert weiter.

- Während dieser Urlaubsreise haftet mir das Pech auch förmlich an den Fersen. Nach einem wahrhaftigen Irrflug mit Zwischenlandung ist mein Gepäck nicht in Dubrovnik eingetroffen.

Die Zahlmeisterin kann anscheinend nichts aus der Ruhe bringen.

- Dieses ärgerliche Ungemach komme leider immer häufiger vor. Deshalb verfügen unsere Bordläden über eine reichhaltige Auswahl an Unterwäsche, Hygieneartikel und Kleidung für jede Gelegenheit.

Anstatt in Untersuchungshaft zu sitzen, genießt Hans Spruit während der nächsten sechs Tage und Nächte den Luxus eines modernen Kreuzfahrtschiffes. Er schlemmt sich dabei durch das vielfältige Essensangebot und lernt Korfu, Santorin, Mykonos, Athen und Capri kennen. Die Seereise endet für alle Passagiere in Venedig.

Für jeden Reisetag berappte ihn die Reederei jeweils 600 Euro über seine Mastercard. Als der Flüchtling im Nachtzug in Frankfurt eintrifft, verfügt sein Bankkonto nur noch über ein knappes Viertel des zuvor mühsam angesparten Guthabens. In der Einsatzstelle von Neckermann-Reisen händigt ihm die Personalchefin zwei Dokumente auf einmal aus. Eine fristlose Kündigung, welche einen Tag vor seiner Flucht aus Dubrovnik vordatiert wurde, und einen neuen Arbeitsvertrag zu identischen Konditionen. Das Arbeitsverhältnis beginnt allerding erst im März des kommenden Jahres. Seine Vorgesetzte erläutert ihm die getroffene Maßnahme.

Durch seine umsichtige Verhaltensweise habe er einen VIP-Kunden und zugleich den Arbeitgeber aus negativen Schlagzeilen herausgehalten, wegen der illegalen Ausreise dürfe allerdings während der nächsten Monate kein Vertragsverhältnis zwischen ihnen bestehen. Der Reiseleiter versteht dies Haltung. Man will wegen ihm die guten Geschäftsbeziehungen mit Kroatien nicht unnötig zu belasten. Seine Chefin bietet ihm daraufhin von sich aus an, auf einer Chartermaschine zu einer Fernflugdestination mitzufliegen. In südlichen Breitengraden lässt sich der Winter bei bedeutend günstigeren Lebenshaltungskosten während einer vorübergehenden Freistellung einiges leichter überbrücken. Hans Spruit entscheidet sich für einen Langzeitaufenthalt auf Yucatán.

Zuvor will er sich sämtliche durch die Flucht aufgelaufenen Ausgaben vom eigentlichen Verursacher ersetzen lassen. Mit dieem Betrag lässt sich die finanzielle Durststrecke problemlos überwinden. Die Deutsche Bahn befördert den Reiseleiter dazu nach Den Haag. In der Wohnung seiner Mutter wartet bestimmt ein ungeöffneter Brief darauf, endlich gelesen zu werden. Zwar ist Post vorhanden, aber darunter befindet sich keine Nachricht der van Breugelens. Hans ruft in der Zentrale von Dutch-Electronics an. Nach einigen Erklärungen verbindet man ihn mit dem persönlichen Assistenten des Finanzchefs. Diesem teilt er mit, Peer van Breugelen wegen einer privaten Angelegenheit dringend sprechen zu müssen. Der Angestellte sagt zu, das Anliegen umgehend weiterzuleiten. Eine knappe Stunde später klingelt schon das Telefon. Der Direktionsassistent teilt kurz und bündig mit, Direktor van Breugelen sei ein Hans Spruit vollkommen unbekannt.


Verschollen im Urlaub

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