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Vorwort

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Es ist wieder einer jener schönen Sommertage, der normalerweise gute Laune aufkommen lässt. Vom Pazifik her weht eine erfrischende Brise, die die Autofahrt auf dem U.S. Highway 101 im dichten Verkehr erträglicher macht. Bryan Stone (47) ist auf dem Weg zum Institut für Humanevolution des Department of Natural Sciences an einer südkalifornischen Universität, an der er als Paläoanthropologe forscht und lehrt. Sein Spezialgebiet ist die Verhaltensökologie des Homo sapiens sapiens. Während der Autofahrt, die im Stop–and-Go- Rhythmus erfolgt, kreisen seine Gedanken um die gegenwärtigen militärischen Konflikte, die sich im Südpazifik, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Europa abspielen. „Hat denn der Mensch nichts aus seiner Kulturgeschichte lernen können?“, denkt er bei sich. Schon seit langem verfolgt er besorgt, mit welchem Unvermögen Politiker auf internationale Konflikte reagieren.

Sobald aber Bryan Stone den Campus der Universität erreicht hat, ändert sich bei ihm die Stimmung. Hoch motiviert nähert er sich dem Institut für Humanevolution, in dessen Hörsaal er für seine Studentinnen und Studenten eine ganztägige Veranstaltung durchführen will, in der die Wesensart des Menschen im Mittelpunkt steht. Denn es ist die „Affennatur“, die eine Besonderheit des Menschen ausmacht.

Der Wissenschaftler betritt gut gelaunt den Hörsaal, wo seine Studentinnen und Studenten ihn schon gespannt erwarten. Bryan Stone genießt bei ihnen ein hohes Ansehen aufgrund seiner Fachkompetenz, der persönlichen Ausstrahlung und Aufgeschlossenheit ihnen gegenüber. Nachdem er schwungvoll seinen Rucksack mit den Arbeitsunterlagen auf den Tisch gelegt hat, begrüßt er seine Zuhörerschaft und verkündet augenzwinkernd im Hinblick auf seine Autofahrt auf dem Highway: „Wer glaubt, dass jede Verbesserung der Fortbewegung des Menschen zugleich eine Erweiterung des geistigen Horizontes bedeutet, wird auf unseren Highways eines Besseren belehrt. Die moderne Automobilität des Menschen hat nicht die Welt entscheidend verändert, sondern die Spezies Mensch selbst.“

Die Reaktion seiner Studentinnen und Studenten zeigt, dass sein Einstieg gelungen ist.

„Ich möchte Ihnen mein heutiges Veranstaltungsthema vorstellen“, kündigt Bryan Stone an, nachdem sich die Heiterkeit im Hörsaal wieder gelegt hat. „Wir wollen über drei Grundfragen sprechen, die die Menschheit schon immer beschäftigt haben.“

Mit Kreide schreibt er an die Tafel: „Woher kommen wir?“ „Wer sind wir?“ „Wohin gehen wir?“

„Diese Fragestellungen sind übrigens das Thema eines Gemäldes des französischen Malers Paul Gauguin (1848 – 1903), das er innerhalb von vier Wochen Ende des Jahres 1897 in seiner selbst gebauten Hütte in Tahiti fertiggestellt hatte. Es gilt als dessen berühmtestes Kunstwerk. Zu sehen ist dieses Kunstwerk im Museum of Fine Arts in Boston.“

Nach dieser kurzen Erklärung stellt er seiner Zuhörerschaft die Frage: „Haben Sie eine Vorstellung davon, seit wann es Leben auf der Erde gibt und zu welchem Zeitpunkt unsere direkten Vorfahren, Vertreter des Homo sapiens sapiens (‚der besonders verständige Mensch‘), auf der Erde erschienen sind?“

Ein Raunen geht durch den Vorlesungssaal und einige Veranstaltungsteilnehmer melden sich zögerlich. Ihren Antworten kann Bryan Stone entnehmen, dass sie nur ungenaue beziehungsweise keine konkreten Vorstellungen haben. Er schlägt daher vor, einen kurzen Abriss zur Erdgeschichte zu geben.

„Die Entwicklung des Lebens verläuft in Zeiträumen, die für uns Menschen kaum fassbar sind. Erst seit etwas mehr als hundert Jahren haben Wissenschaftler eine Vorstellung davon, wie alt der Planet Erde tatsächlich ist, seit wann es Leben auf unserer Erde gibt und wie vergleichsweise kurz die Existenz der Menschen und ihrer fossilen Vorgänger ist.

Die Evolution benötigt große Zeiträume. Es ist der Strom der Zeit, aus dem Arten von Lebewesen hervorgehen und der sie wieder mit sich fortreißt. Vor etwa 14 Milliarden Jahren entstand der Kosmos, die Urerde bildete sich vor etwa 5 Milliarden Jahren im Rahmen des Sonnensystems. Die feste Erdrinde entstand vor etwa 4,5 Milliarden Jahren. Vor etwa 3,8 Milliarden Jahren begannen sich in den Urozeanen organische Moleküle (wie z.B. Nukleinsäuren, Proteine, Kohlenstoffhydrate, Lipide) zu entwickeln, die später Großbausteine für lebende Systeme darstellten. Seit etwa 3,2 Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde. In 5 Milliarden Jahren wird die Erde wieder ‚untergehen‘ und die Sonne zu einem Roten Riesen werden.“

Dann entscheidet sich Bryan Stone für eine einprägsame Erläuterung: „Zur Veranschaulichung der abstrakten Zeitspannen evolutionärer Prozesse übertragen wir diese auf ein Kalenderjahr. Die Säugetiere entstehen am 8. Dezember gegen 21.12 Uhr (vor etwa 190 Millionen Jahren), die Primaten am 23. Dezember gegen 11.36 Uhr (vor etwa 70 Millionen Jahren). Die Vormenschen und Menschen spalten sich vom Ast der Schimpansen und Bonobos frühestens am 31. Dezember gegen 6.29 Uhr ab (vor höchstens 8 Millionen Jahren). Die Vormenschen Australopithecinen (‚südliche Affen‘) beginnen am 31. Dezember gegen 12.19 Uhr (vor etwa 3,8 Millionen Jahren) aufrecht zu gehen. Noch am selben Tag kommen um 17.17 Uhr (vor etwa 2,3 Millionen Jahren) Steinwerkzeuge auf. Die Herstellung und der Gebrauch des Feuers erfolgt gegen 22.32 Uhr (vor 500 000 Jahren). Homo sapiens erscheint gegen 22.50 Uhr (vor 400 000 Jahren) auf der Szene, der Homo sapiens sapiens, auch anatomisch moderner Mensch genannt, in Ostafrika gegen 23.27 Uhr (vor etwa 200 000 Jahren).“

Die Zukunft ist nur eine Illusion

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