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Am Anfang steht die Schnapsidee
Оглавление262 Kilometer durch die schottischen Highlands
Zwei Ostschweizer auf dem West Highland Way und dem Great Glen Way
Roman Alexander Bolli
"Du willst dir dies wirklich noch einmal antun?
Der ganze Regen und all dies?"
Mein Vater hatte wenig Verständnis für mein Vorhaben.
Nun, der Mensch neigt dazu, rückblickend die schönen Dinge in Erinnerung zu behalten. So arg schien in meiner Rückblende das Nass nicht gewesen zu sein. Bis ich den Weg nochmals entlang marschierte und mich entsann, wie ich wadentief in diesem Fluss stand, welcher sich Gehweg schimpfte. Unter der Brücke den kümmerlichen Rest einer vor Feuchtigkeit gebogenen Zigarette anzustecken versuchte und mich hinterfragte, was treibe ich eigentlich hier? Dies war kümmerliche 11 Kilometer nach dem Start und mittlerweile beinahe drei Jahre her.
Ein Arbeitskollege trug die Schuld daran, dass ich mich wieder nach Schottland begab. Ein 'Der hat gesagt...' in der Hinterhand zu haben ist nie verkehrt. Fabian ist sein Name. Er las mein Buch "Ein Schaffhauser auf dem West Highland Way" als illegalen PDF-Auszug. Die Schockwirkung war zu gering, im Gegenteil, er entschied, den Weg ebenfalls zu gehen.
Ich bin nicht direkt der Mensch, welcher sich selber zu einer Party einlädt. Eher jener mit den plattesten Ausreden, nicht gehen zu müssen. Doch nun hatte ich den Floh im Ohr.
Wann immer man mich fragt, welcher Trekkingpfad hinsichtlich meines bescheidenen Tourenbuches der Schönste wäre, nannte ich den West Highland Way. Wohl auch der Tatsache geschuldet, dass dieser Weg meine erste Erfahrung war. Er hat einfach einen speziellen Stellenwert.
Franziska meinte; "Geh ihn doch nochmals. Das Schlimmste was dir widerfahren könnte, wäre die Erkenntnis, dass es beim ersten Mal schöner war." Ihr entsinnt euch an Franziska? Die nette junge Globetrotterin, welche mich in Island über einige Tage mit ihrer Gesellschaft erfreute. Wir halten losen Kontakt über E-Mail, was ich eine tolle Sache finde. Während man sich heute die Whatsapp-Nachrichten nur so um die Ohren haut, hat eine lange Mail doch beinahe einen Brieffreundschaftscharakter. Nicht mal eben während der Rotlichtphase hinter dem Volant in die Tasten gehauen und vor dem Losfahren versendet. Bei einer Mail werden die Worte mit Bedacht gewählt und sich auf das Verfassen konzentriert. Für gewöhnlich. Und gerade das lose Kontakt halten erhöht doch den Stellenwert jeder getippten Zeile noch einmal. Zudem hat es so etwas unverbindliches. Rundherum perfekt, möchte man sagen.
Fabian und ich kamen überein, man könnte es zusammen versuchen. Wenn es nicht hin haut bleibt immer noch die Möglichkeit, dass einer für ein paar Minuten an den Wegesrand sitzt und schon ist man alleine auf weiter Flur. Es ist eine Unkompliziertheit im Umgang mit Geschlechtsgenossen, welche uns Männern für gewöhnlich gegeben ist und den Charakter des Trekkings trifft. Man geht so weit und so lange zusammen wie man möchte und keinen Schritt weiter.
Fabian kam schnell zum Schluss, der West Highland Way mit seinen ungefähr 160 Kilometern wäre ganz nett, aber wenn wir doch schon vierzehn Tage hätten, würde sich der Great Glen Way geradezu aufdrängen.
Dies wären dann nochmals etwa 120 Kilometer mehr. Erst dachte ich mir, es sollten doch immer noch Ferien sein, trotzdem war der Ehrgeiz geweckt. Dieses nervige Ding im Hinterkopf, welches einem einflüstert, dass man hier nicht klein beigeben kann. Man stelle sich vor, er hätte da locker zwei Wege absolviert und mich in den Schatten gestellt. Dank extra erworbenem Kartenmaterial legte ich einen ungefähren Marschplan fest, welcher uns als Anhaltspunkt dienen sollte. Während ich beim West Highland Way aus meinem Erfahrungsfundus schöpfen konnte, habe ich beim Great Glen Way eher die Methode Pfeil werfen angewendet. So richtig ernst wollte ich den Weg nicht nehmen. Sollten sich meine Berechnungen als richtig erweisen, wären wir 13 Tage nach dem Abmarsch in Glasgow bereit, von der Dorfmusik in Inverness begrüsst zu werden.
Von diesem Moment an startete das Wettrüsten. Ich war beinahe ein wenig enttäuscht, dass ich im Grossen und Ganzen nur noch in das Regal zu greifen brauche. Selbstverständlich findet man stets etwas, was man noch brauchen könnte, aber sind wir ehrlich; Es sind Luxusgüter.
Glücklicherweise war da ein Erlebnis mit meinem Nordisk-Trekkingzelt und einer Kuhherde.
Lasst mich Off-Topic berichten. Das bin ich dem Schweizerischen Alpenclub einfach schuldig.
Trekking in der Schweiz
Was in nördlichen Ländern kein Problem darstellt, ist in der Schweiz eine Todsünde. Ich spreche davon, sein Zelt auf fremden Boden zu stellen. Hier spreche ich nicht von eurem Vorgarten oder eingezäunten Schrebergarten, sondern von grossen Wiesen, unbewohnten Waldrändern oder einsamen Seeufern.
Es ist mir klar, in der Schweiz gibt es gewiss keine Ecke, welche nicht irgendwie, irgendwem gehört und sei es nur, wenn der Alois dem Kari ein Juchart Land übergeben hat, damit dieser die Sache mit dem Schaf nicht zum Stammtischgespräch macht und sie dies in Kurrentschrift auf einer Serviette festgehalten haben.
Und auch wenn er die 5 Quadratmeter an der linken Ecke zu Lebzeiten nie braucht, so soll ihn doch der Beelzebub holen, wenn er diesen trekkigen Landstreicher nicht gleich zu selbigem jagt, so er sich erdreistet den Rucksack abzusetzen.
Aus Prinzip!
So trug ich also meinen Rucksack auf das Schwarzhorn, 3145 Meter, wendete auf dem Absatz und begab mich in Richtung Chamanna da Grialetsch, eine Hütte des SAC, dessen stolzes Ex-Mitglied ich demnächst sein werde. Es ist nun nicht direkt eine Hütte welche zum Verweilen einlädt. Mit dem unordentlichen Holzhaufen neben der Wellblech-Baracke. Auch wenn sie an einem kleinen See gelegen ist. Dachte ich so, während ich von der Anhöhe herunterschaute. Um die Hütte grasten, ordentlich eingezäunt, ein paar Kühe. Oder Rinder.
Also hielt ich rechts, mit dem Ziel Furggasee. Liegt hinter einer Hügelkuppe, ich würde sagen, einen Kilometer von der Hütte entfernt. Am äussersten Ufer des Sees schien mir der Platz günstig mein Zelt aufzubauen.
Keine eingezäunte Kuhweide, ich bin ja nicht dumm, kein Naturschutzgebiet, kein militärischer Zielhang und etwas abseits des Weges, man will ja nicht stören.
Das Zelt aufgebaut, kochte ich gerade etwas Seewasser ab um mein Abendmahl zu bereiten als ich gewahr wurde, dass ich vom Wanderweg her angestarrt wurde. Gut, es waren etwa 200 Meter, aber der Blick und die Körperhaltung schrien förmlich 'Was tut der hier und darf der das?'.
Das Persönchen, eine junge Frau und ohne irgendwelches Gepäck, guckte eine geraume Zeit, bis sie weiter in Richtung Hütte marschierte. Mir kam schon der Gedanke, dass sie wohl zum Hüttenpersonal gehörte, aber hätte meine Anwesenheit gestört, oder hätte ich gegen ein Gesetz verstossen, sie hätte ja etwas sagen können.
Ich vergass, wir sind in der Schweiz. Wir gehen solche Dinge lieber subtiler an. Hinten rum.
Es verging keine Viertelstunde bis die noch eben sauber eingezäunten Kühe, erkundungsfreudig zur linken und rechten des Sees in meine Richtung trabten.
Nun gut, ich will euch nichts Böses, ihr tut mir nichts, eine Koexistenz wäre durchaus im Bereich des Möglichen. Vergiss es. Als wären sie abgerichtet, war ich sofort umzingelt. Eine Kuh hat an sich ja nichts Böses, sie sind einfach gross, wir standen Auge in Auge, und entsetzlich neugierig. Gepaart mir ihrer Dummheit und Schusseligkeit, da macht man sich als kleiner Mensch besser aus dem Staub.
Während die eine die Spitze meines Zeltes beschnuppern und ablecken musste, trat sie, um besser an das Ding heranzukommen, einfach mitten in die Plane. Als ich, doch ein wenig erbost, mit Händen wedelnd auf sie zutrat, wich sie erschreckt zurück und verhedderte sich in der Zeltschnur. Der Zeltnagel, beim Einschlagen zweifelte ich noch, ob ich diesen wieder aus dem Boden bringe, wurde mit einem Ruck herausgerissen und schoss direkt auf mich zu. Elegant pflückte ich ihn aus der Luft, während sich die Kuh mit der Ecke meines Zeltes am Fuss weiter zurück bewegte.
Derweil, von der ganzen Sache in Stimmung gebracht, bestieg hinter mir eine Kuh - wenn ich recht überlege muss es wohl ein männliches Rind gewesen sein - das vor ihm stehende Tier, welches ob diesem Akt so erschrak, dass sie beide Vorderläufe auf mein Zeltdach stützte, welches sofort in Fetzen gerissen wurde. Ihr verschmähter Begatter fiel zur Seite ab, fand aber auf meiner Zeltstange wieder festen Halt.
Ich konnte mich nicht weiter darum kümmern, da die Zeltnagel-Kuh ihr Augenmerk und die lange Zunge auf meinen Rucksack richtete, welchen ich in einem panischen Anflug aus dem Zelt gerissen habe. Dieses wurde infolge meiner abgelenkten Aufmerksamkeit weiter von den anderen Viechern malträtiert.
Ganz ehrlich, ich bin Tierfreund. Dennoch hätte ich keine Sekunde gezögert, jedes dieser Scheissviecher über den Haufen zu schiessen, bis auch der letzte Lebensfunke aus diesen endlos dummen Kuhaugen erloschen war. Mit Wölfen macht man dies in der toleranten Schweiz letztendlich auch, abgesegnet von ganz oben. Dabei sind Wölfe nicht einmal so bescheuert, dass sie ein Zelt fressen würden. Was ein weiteres Rindvieh irgendwie gerade versuchte. Möge das Imprägnierspray ihr drei Wochen Dünnpfiff bescheren.
Es ist ein dummes Gefühl, in ein Zelt zu kriechen, während jederzeit die Hufe von einem vierhundert Kilo-Biest auf einem hernieder prasseln könnten. Aber ich war nicht gewillt, auch noch weitere Utensilien zu opfern.
Alles lieblos in den Rucksack gestopft, Zelt und Matte unter den Arm geklemmt, versuchte ich von dannen zu stapfen. Typisch Schweizer drängte ich mich natürlich noch zwischen die Kühe um alle Zeltnägel mitzunehmen. Lasse nichts zurück ausser.... leck mich am Arsch, SAC.
Eigentlich hätte ich die ganze Behausung stehen lassen können, konnte ich das Ding nur noch in die Tonne treten. Erwähnte ich schon, dass es mein 500 Franken-Leichtgewicht Trekking-Zelt war? Bewiesen wäre zumindest, dass die Rip-Stop-Technologie gut klingt, aber gegen Huftritte auch die Segel streichen muss.
Die Kühe empfanden meinen Abgang wohl als Teil des Spiels und setzten an mir zu folgen. Es flieht sich nicht sehr gut in nichtgebundenen Schuhen, unglücklich mit allerlei Krimskrams beladen, doch die Viecher verloren zum Glück bald das Interesse.
Da ich doch noch irgendwo schlafen musste, blieb mir nur die Grialetschhütte. Welche dastand, frei von allerlei Kuhgetier.
Ich würde meine Hand nicht ins Feuer legen, aber ich behaupte, das nette kleine Persönchen hinter der Theke war dieselbe Dame, welche vor der Stampede noch eben des Weges ging. Und nun, der eigentliche Grund, warum ich aus dem SAC austrete. Das männliche Pendant des Hüttenpersonals war ein alter, weisshaariger, bärtiger Mann. Intensiv damit beschäftigt einen Wanderer übelst, also richtig übel, anzufahren, weil er sich nach einem Schlafplatz erkundigt hatte. Man hätte sich anzumelden, wo käme man hin, wenn da jeder einfach rein latschen würde, er koche doch nicht für so und soviel Personen... Und wenn er mit dem einen oder anderen Argument noch recht gehabt hätte, c'est le ton qui fait la musique. Gerade bei einem Verein, welcher Jahr für Jahr jammert, dass die Übernachtungen zurück gehen. Und Jahr für Jahr dem guten Petrus die Schuld in die Schuhe schieben.
Ja, es passte zum Profil eines Mannes, welcher Kühe auf bösartige Camper hetzt. Nur die Tatsache, dass ich ebenfalls einen Schlafplatz brauchte hinderte mich daran, über den Tresen zu langen und dem Herren links und rechts eine an die Backen zu schmieren. Gut, er war auch einen Kopf grösser als ich.
Bisher bezahlte ich meine SAC-Mitgliedsgebühren in der Annahme, dies wäre eine gute Sache. Ich sah es als Gönnerbeitrag. Nun, da ich weiss, dass man in den Hütten keinesfalls Gast sondern bestenfalls ein Bittsteller ist, kann ich mir die Beiträge auch sparen und dem Best-Western-Club beitreten.
Ich wollte dem Herren nicht noch mehr Ungemach bereiten, Gott verhindere, dass er noch einen Kaffee aufsetzen müsste, und fragte einfach nach einer Ecke zum nächtigen. Er würde nicht merken, dass ich hier sei, würde gleich bezahlen und wäre schon wieder weg, noch bevor er wutentbrannt das erste Frühstück auf den Tisch geknallt hätte.
Wir sahen uns des Morgens noch kurz, er war jedoch so zackig in seiner Kombüse verschwunden, dass ich ihn nicht nach den Kühen fragen konnte. Oder den 500 Franken für mein Nordisk.
Dies trug sich im August 2017 zu. Zurück zur Vorbereitung
Glücklicherweise stand die Firma Salewa meinem Dilemma mitfühlend zur Seite und so pflückte ich ein Zweipersonen Litetrek Pro aus dem Regal. Es wäre ein Traum von mir, ein Zelt selbst zu designen, das Litetrek kommt meiner Idealvorstellung doch schon ziemlich nahe. Eine Semi-Geodät-Konstruktion. Sprich, nicht ganz soviel Stangen, aber doch ordentlich stabil und vor allem, selbsttragend. Zeltnägel oder Heringe halten das Ding eigentlich nur am Boden, wenn ich mal eben nicht drin sitze und ein Windstoss kommt. Man kann das Innenzelt gemütlich mit dem Aussenzelt verbunden lassen und die komplette Konstruktion in einem Wisch aufstellen. So wird auch bei Regen nichts nass. Sitzt man erst einmal im Trockenen, hat man die Möglichkeit, das Innenzelt zu verkürzen und erhält eine grössere Apside um sich in Ruhe zu organisieren, damit keine nassen Sachen in das Innenzelt, sprich die eigentliche Schlafkabine gelangen. Oder so man sich unter Dach noch etwas kochen möchte. Wobei ich bei der Nutzung eines Benzinbrenners dann doch davon absehen würde. Die Belüftungsschlitze lassen sich ebenfalls von innen öffnen. Was übrigens zu empfehlen ist. Es sind Belüftungsnetze vorhanden, doch nicht in solchen Dimensionen, dass man gefühlt inmitten eines Windkanals sitzt. Gerade genügend, um die warme Luft nach aussen zu leiten, bevor die Zeltblache vor Kondenswasser trieft.
Wirklich, das Ding ist eine durchdachte Sache.
Während man mein Salewa meines Erachtens nicht genug sehen und bewundern kann, setzt Fabian auf den Stealth-Modus. Mit dem Observer Plus aus dem Hause Carinthia besitzt er den Rolls Royce unter den Biwaksäcken. Eine Wassersäule, welche Gummibote vor Neid erblassen lässt und dank der grosszügigen Verwendung von Gore-Tex auch noch atmungsaktiv.
Wir werden uns wohl nie einig, ob man mit dem Zelt oder Biwaksack besser unterwegs ist.
Ich mag es bequem. Im Zelt kann ich mich umziehen, den Rucksack packen, sitzen und mich bewegen, die ganze Ausrüstung rein nehmen, auch wenn diese vor Nässe trieft, kurz gesagt; einfach wohnen. Gewiss ist dies in einem Biwaksack auch irgendwie möglich. Für einen Schlangenmenschen. Ohne Angst vor Wasserschäden.
Anderseits ist man mit einem Biwaksack auch hübsch getarnt. Gerade, wenn man im Naturreservat oder zwischen auf Privatsphäre bedachte Grundbesitzer mit Hang zur Lynchjustiz sein Nachtlager aufschlägt. Oder wie uns ein wandernder Kriegsveteran, ich bezeichne ihn einfach so weil er irgendwie wirkte, als wäre er Teil der legendären 15th Infantry Division, sagte; "Into bed late, get up early. So you can camp everywhere."
Mein Kocher erfuhr ein Upgrade durch eine Ersatzbenzinpumpe. Ich hatte da so ein Gefühl und neige zudem dazu, übervorsichtig zu sein. Dann war da noch ordentlich an Nahrung einzukaufen. Damit wir nicht Fertignahrung für vierzehn Tag mitschleppen mussten, schrieb ich einen Händler in Fort William an, ob wir ein Paket deponieren könnten. Eigentlich schrieb ich zwei Händler an, aber nur Cotsworld fühlte sich bemüssigt, auf mein Anliegen einzugehen. So warteten also vierzehn Packungen dehydrierter Köstlichkeiten auf unser eintreffen. Das Abendessen war gesichert. Verblieb noch das Frühstück und Mittagessen. Für letzteres hatte ich knapp 3 Kilogramm Powerriegel im Gepäck. Diese Kohlenhydratpakete finde ich furchtbar praktisch. Glutenfrei, laktosefrei und vegan. Nicht, dass ich auf solche Dinge achte, aber wo findet man heute noch etwas anderes? Dank dieser Befreiung von allen Teufeln der Hippsterernährung schmecken sie auch entsprechend. Wie ein Stück Karton, welches im Duft von Ahornsirup gewendet und mit einem Hauch Glückseligkeit bestreut wurde. Doch es geht noch übler, wenn wir schon in der Gesundheitsecke stecken.
Zum Frühstück wählte ich Pumpernickelbrot. Warum man sich so was antut? Es ist kompakt wie ein Ziegelstein und irgendwie auch so lange haltbar. Ein ganzes Kilo hatte ich im Rucksack und nur Bleibarren hätten weniger Platz beansprucht. Um die Sache irgendwie geniessbar zu machen, packte ich Honig ein. Also diese zähflüssige Melasse aus der Quetschflasche, welche als Honig verkauft wird. Natürlich nicht so zähflüssig, dass sie sich nicht mit einer Eigendynamik im Rucksack verbreiten könnte. Die Geschmäcker sind verschieden, nach meinem Dafürhalten muss das Messer im Honigglas an seine Belastungsgrenze kommen und auf dem Brot werden viele Klumpenstücke verteilt. Mit diesem fliessenden und triefenden Zeugs konnte ich mich nie wirklich anfreunden.
Dazu noch eine Packung Kaffee, einige Teebeutel und ganz wichtig, zwei Flachmänner. Einer gefüllt mit köstlichem Kräuterschnaps, der mit dem Glöckchen am Flaschenhals, der zweite leer, zur Aufnahme von Whiskey vorgesehen. Bin ja kein Barbar und mische die Getränke.
Der Mythos, dass Bernhardiner mit einem Fässchen Branntwein um den Hals Lawinenopfer suchen wurde von Napoleons Soldaten in die Welt gesetzt, dennoch will ich einem Schluck Schnaps die motivierende und wärmende Wirkung nicht absprechen. Da können Forscher und Gesundheitsapostel predigen was sie wollen. Nach dem Taschenmesser gehört der Flachmann mittlerweile zur Grundausrüstung.
Nahrungstechnisch läuft nun alles darauf hinaus, dass ich wohl nie befriedigt aber verpflegt sein würde. Man könnte die Sache schon zum äussersten treiben. Wir hatten ja zwei Kocher, einer könnte Nudeln kochen, einer die Sauce. Zum Frühstück gar noch Speck und Ei. Dies ist ganz nett für den Instagram-Account. Doch wer wäscht die Pfanne wieder ab? Sobald der Stahl von mehr als Wasser berührt wird, artet die ganze Sache in Arbeit aus. Ganz zu schweigen davon, dass Wasser ja auch erst organisiert werden muss. Ich weiss, dass ich dieses Trek'n Eat-Futter nach dem dritten Tag nicht mehr riechen kann und die Riegel werden einem einfach zu süss. Irgendwann werde ich vielleicht die goldene Mitte finden.
Flugreisen sind nun mal Flugreisen, ich werde das Ding nicht zum vierten Mal thematisieren. Dieses Mal flog ich sogar Economy Plus. Was einfach bedeutet, man bezahlt 25 Franken mehr. Angeblich hat man dann mehr Beinfreiheit. Merkte ich nichts davon. Hatte allerdings auch kein Massband in der Tasche, geschweige denn einen Referenzwert. Verteidigend muss ich sagen, dass die Beinfreiheit noch nie das Thema war, worauf man sich fragt, warum ich das Upgrade kurz vor Abflug noch gelöst habe. Erstens, weil es einfach da war. Was sind schon 25 Franken im Vergleich zum kompletten Ticket, also rein in den Korb. Allerdings hatte ich auch die leichte Hoffnung, dass ich dem Sardinendosen-Gefühl entfliehen kann, da die Rappenspalter hinter mir in der Holzklasse sitzen. Ich spekulierte auf einen freien Sitz neben mir.
So ganz ging meine Rechnung nicht auf. Während auf Sitz C eine schlanke, jüngere Dame Platz nahm, der Platz B die Funktion des Anstandswächter übernahm und ich auf A aus dem Fenster guckte, klopfte ich mir schon auf die Schulter. Ein gerissener Hund war ich. Da stürmte kurz vor der "Boarding complete"-Durchsage eine Parfümwolke durch den Gang. Inmitten dieser Beleidigung meiner Nasenflügel unter einem bunten Kopftuch eine sehr wohlgenährte Dame. Damit diese ihren Platz B einnehmen konnte, mussten wir unsere Armlehnen hochklappen und stellten fest, dass wir nach unserem Upgrade zugunsten der 10 Zentimeter Beinfreiheit je 15 Zentimeter Sitzfläche geopfert hatten. Und die Armlehne, welche irgendwo in der Leibesmitte der Dame verschwand.
Ich habe mich damit noch nie auseinandergesetzt, doch meinte ich, dass etwas weiblichere Damen, oder fette Herren, da muss man weniger auf die Wortwahl achten, in den Genuss eines Spezialangebot kommen und zwei Sitze buchen können. Doch mit Flugsitzen wird es sich wohl wie mit der Hosengrösse 38 verhalten. Wenn man irgendwie in das Ding reinkommt ist man noch schlank wie ein Reh. Platz machen sollen die anderen.
Ihre Sprache klang weder englisch noch schottisch oder sonst was in dieser Richtung, so hegte ich die Hoffnung, ihr Ziel wird kaum Glasgow sein und ab Amsterdam hätte ich wieder einen kompletten Sitz. Natürlich ist mir bewusst, dass man bei einem Zwischenstopp den Flieger, den Sitz und neunzig Prozent der Mitreisenden austauscht. Ich denke da immer noch irgendwie in Bahndimensionen. Leute die zu- und aussteigen.
A propos Zug; Ich muss meinem Radio-Lokalsender ein Kränzchen winden. Gut haben wir die Billag-Initiative abgelehnt. Danke Radio Munot. Kurz bevor ich das Haus verliess, hörte ich von einem Zugunterbruch beim Schloss Laufen. Dies liegt über dem Rheinfall.
Gut muss ich nicht dahin, dachte ich noch, bis mir gewahr wurde, dass die Zugreise zum Flughafen über Winterthur führt. Also auch am Schloss Laufen vorbei.
Da ist man doch wieder froh über den motorisierten Individualverkehr. Mein Vater erklärte sich bereit, mich bis in die Nähe des Flughafens zu fahren. Natürlich hätte er mich auch in die Abflughalle chauffiert, doch so aus dem Stegreif wusste ich nicht, wie man da hinfährt, zudem erinnerte ich mich, dass vor einem Jahr meine Freundin 5 Franken löhnen musste, nur um den Abholbereich mit dem Auto zu durchfahren. Da lag es für mich ziemlich auf der Hand, dass auch eine Ablieferung ihren Wegzoll hätte und dieser fällt für meinen Vater definitiv in die Kategorie "Abzockerei". Für die Fahrt ab dem Bahnhof löhnt man vier Franken vierzig und 60 Rappen haben oder nicht haben sind einen Franken zwanzig und dies ist ja beinahe schon ein Bier. Bei Aldi. Aus dem Regal 'Kein Job und kein Geld sind kein Grund, sich nicht die Birne weg zu saufen.'. So die Rechnung.
Es funktionierte alles wunderbar und bald überflogen wir die Westküste Hollands, wo sich bei Scheveningen schon die Leute im Sand tummelten.
Über Schottland schlug das Wetter ein wenig um. Präziser ausgedrückt, Regen klatschte gegen die fliegende Röhre und wann immer ich einen Blick durch den Dunst erhaschen konnte, blickte ich nicht selten auf Schneefelder. Dazwischen immer wieder einen Golfplatz, wo die Schotten unter grossen Schirmen den schönen Samstag Nachmittag genossen.
Nichts da, es gibt kein schlechtes Wetter, sagte ich mir und strebte unbeirrt mit triefenden Haaren und klebrigem T-Shirt über das Rollfeld der Ankunftshalle entgegen. Ganz im Urlaubsmodus mit schlenderndem Schritt, immer wieder innehaltend in den Dunst starren, als würden sich vor mir schon die grünen Highlands präsentieren.
Natürlich überkam mich die Frage, was zum Teufel ich hier mache. Stelle ich mir doch jedesmal, wenn ich einen fremden Flughafen verlasse. So ungemütlich ist das Sofa zuhause nun wirklich nicht. Und beim Cluburlaub würde ich nun bereits in einer Lobby sitzen und das Willkommensbier trinken. Der erste Tag ist immer der Schlimmste. Ja, ich spreche immer noch vom Urlaub.
Mittlerweile bin ich so klug, dass ich den Rucksack in der Ankunftshalle von seiner Hülle befreie. Früher noch schleppte ich dieses unförmige Ding mit seinem Zahnseiden-Griff durch Flughäfen und Städte. Nun betrat ich ganz entspannt den Glasgow Airport Express und während der Busbegleiter die Passagier-Leitbahnen-Markierungsbänder, ihr wisst schon, dieses Labyrinth welches vor jeder halbwegs vernünftigen Achterbahn im Freizeitpark den Homo-Sapiens kanalisiert, von meinem Rucksack entfernte, löste ich ein Busbillett zum Glasgow Central.
Einer der beiden Hauptbahnhöfe in Glasgow und ich frage mich, wie es denn mehrere Hauptbahnhöfe geben kann, aber Wikipedia bestätigt mir dies.
Wer kennt es nicht. "Mind the gap, between the train and the platform. This is Westminster. The next Station is St. James's Park. This is a District Line train to Wimbledon".
Man hört und sieht alles, was man wissen muss. Es wäre so einfach.
Aber ich bin ja nicht in London, sondern in Glasgow. Alles was ich hörte war die Gischt, welche meterhoch neben dem Bus empor spritzte, mich durch das offene Fenster besprenkelte und erahnen liess, dass wir im hohen Tempo irgendwo ausserhalb der Stadt unterwegs sind.
Der Bus hielt dann und wann an. Mit Glück waren da ein paar krumme, rostige Stangen als Überbleibsel eines der Zerstörungswut zum Opfer gefallenen Bushäuschens. Und vielleicht konnte man eine Tafel mit dem Stationsnamen erkennen. Unter einem Hauptbahnhof stelle ich mir ein monumentales Bauwerk vor. Wie Kings Cross oder meinetwegen den Zürcher Hauptbahnhof. Ja, gar der Schaffhauser Bahnhof erkennt man gleich als wichtiger Dreh und Angelpunkt. Alleine schon, weil Schaffhausen nicht so viel Dreh und Angelpunkte besitzt. Etwas in mir sagte, dass ich mich darauf nicht verlassen könne. So bat ich die Dame vor mir, mir doch zu sagen, wenn wir an der Haltestelle des Bahnhofs eintreffen werden.
Aber natürlich, entgegnete sie mit zuvorkommender Hilfsbereitschaft.
Der Bus hielt wiederum an. Kurz bevor McDriver das Gaspedal wieder durchtrat, sagte sie "Hier".
Du dumme Schnepfe, dachte ich, kommst auch noch früh. Sprang auf, griff meinen Rucksack und hechtete zur Tür. Die nächste Station, rief sie noch hinter mir her.
Mit einem finsteren Blick bedeutete mir der Busfahrer, dass ich in diesem Türbereich während der Fahrt nichts verloren hätte, genauso finster bedeutete ich ihm, er könne mich mal am Bürzel... Alles nonverbal, versteht sich. Nur ein Trottel legt sich mit einem Schotten an.
An der nächsten Station trat ich in den strömenden Regen. In irgendeinem schmuddeligen Viertel, weit und breit keinen Unterstand. Und wieder die Frage, was zum Teufel treib ich hier?
Die Dame hatte ebenfalls den Bus verlassen und erklärte, dass ich da vorne gleich rechts abbiegen müsste. Also, wenn man in der Bothwell Street den Airport Express 500 verlässt, nach rechts in die Hope Street abzweigt und noch etwa 50 Meter spaziert, ist man auf direktem Weg am Hauptbahnhof vorbei marschiert. Erst recht, wenn es Bindfäden regnet. Dieser Verkehrsknotenpunkt ist hinter einer unscheinbaren Fassade versteckt. Irgendwie in die Stadt hineingequetscht worden, so scheint es mir.
Imposant ist dafür die Bahnhofshalle. Ein kleines Dorf im Harry Potter-Stil mit schönen Fassaden unter einer abstrakt modernen Glaskuppel, deren einziger nostalgischer Farbtupfer die mittig aufgehängte Uhr mit vier Zifferblättern ist.
Mein nächstes Ziel war Milngavie. Ausgesprochen irgendwie Millguy und wenn ich sage irgendwie, meine ich, dass ihr es genau so aussprechen müsst um eine Chance zu erhalten, dahin zu kommen. War mir natürlich alles andere als geläufig. Stand ich also am Schalter und fühlte mich wie Onkel Lewis, welcher der schwerhörigen Tante Bethany mitzuteilen versucht, sie soll das Tischgebet sprechen. Die schlechte Akustikanlage, welche das Panzerglas überbrücken soll, war dabei nicht direkt hilfreich. Aber ich will mich nicht beschweren, immerhin hatten sie bediente Schalter und das kriegt man ja auch nicht überall.
Nach Milngavie, und sprach es aus, wie man es hier liest.
Milngavie!!. Ganz der Tourist gab ich mich der Illusion hin, mangelnde Sprachfertigkeit könne man mit erhöhter Lautstärke wett machen und schrie das Panzerglas an.
Gibt es nicht, formulierte er trocken hinter der Scheibe.
Der Start vom West Highland Way, formulierte ich als Frage.
Worauf der Herr am Schalter eine aufmerksame "Ja?"-Frage durch den Lautsprecher zurück gab.
Kurze Pause. Sind wir mal ehrlich. Mit ein wenig nachdenken würde er wohl jeden in Funktionskleidung über Wanderschuhen und einem schrankgleichen Rucksack ungefragt nach Milngavie senden. Aber nein.
Wo ich denn hin will, erkundigte er sich mit der Gelassenheit, wie sie nur ein Beamter zu Tage legen kann.
Nach Miulnln brummelte ich irgendwie, bevor die Stimme versagte und in ein Husten überging.
Sofort erschien unter der Scheibe ein Ticket nach Milngavie. Na also, klappt doch.
Welchen Bahnsteig, erkundigte ich mich noch.
Siebzehn.
Die Siebzehn gab es nicht.
Also natürlich schon, aber man muss wissen wo suchen. Bevor ich nun wie Harry Potter gegen eine Säule lief, platzierte ich mich beinahe auf Tuchfühlung neben zwei Herren in orangen Westen, welche in ein Gespräch vertieft waren. Selbstverständlich nahmen sie keinerlei Notiz von mir, der Engländer ist ja ein zurückhaltender, unaufdringlicher Mensch.
Nach einem 'Excuse me' hatte ich jedoch ihre volle Aufmerksamkeit, ja, sie geleiteten mich beinahe an der Hand in die hinterste rechte Ecke, wo es zu den Durchgangszügen ging. Drei Stockwerke im Keller.
Ich zögerte noch, die Schranke zu durchschreiten. Es ist wie in der Londoner U-Bahn. Einmal durch die Schranke ist man drin und da bleibt man auch. Es sei denn man hat eine Oyster-Card und kann hin und her springen wie man will. Bevor ich nun also eine Stunde im Untergrund fest sass und mit den Ratten spielte, wollte ich mich erkundigen, wann der Zug den abfahren sollte.
Ein weiterer Herr in oranger Weste zückte sein Smartphone. Zehn nach, und nach einem Blick auf die Uhr, der Zeiger war gerade auf die zwölf gesprungen; Das reicht gerade noch.
Vielleicht hat er recht, wir sind ja nicht in der Schweiz.
Drei Stufen auf einmal nehmend sprang ich in das letzte Stockwerk hinunter. Es ist wie mit dem Bären. Ich musste nicht schneller als der Bär sein, nur schneller als mein Begleiter. In diesem Fall, schneller als die Oma mit der Gehhilfe, welche der Zugfahrer doch gewiss nicht auf dem Perron stehen lassen würde.
Ich erwischte den Zug und darin nach einigen Stationen gar einen Sitzplatz. Milngavie kann man nicht verfehlen, ein Sackgasse-Bahnhof. Doch lauschte ich an jeder Station auf die Durchsage "This train is for Millguy". Ich glaube, mittlerweile könnte ich ein Ticket bestellen.
Es war Zeit, mal mit Fabian Kontakt aufzunehmen. Er vertritt die Ansicht, dass man erst richtig Trekking betreibt, wenn man auch mit dem Zug anreist. Was bedeutet, dass er mittlerweile gut 17 Stunden unterwegs war und irgendwo zwischen Edinburgh und Glasgow aus dem Fenster schaute. Das Trekkingfeeling musste förmlich mit Händen zu greifen sein. Auch gegenüber Hotels hat er seine eigene Meinung, während ich mir sage, nochmals ein Bett, eine Decke, eine Dusche und Toilette; Man gönnt sich ja sonst nichts, würde er am liebsten draussen am Lagerfeuer sitzen. Einen mit blossen Händen erlegten Hirsch essen und den Regen ignorieren.
Er hat sich die Option Hotel nun doch noch offen gelassen und ich beschloss, schon einmal sondieren zu gehen. Selbstverständlich hatte ich das Premier Inn bereits im Vorfeld gebucht, es war mir nur daran gelegen, ob ich ihm dies auch empfehlen könnte.
Mann kann nun kreuz und quer durch den Lennox-Park stapfen, oder man geht einfach aus dem Bahnhof raus, biegt links ab, geht um den Bahnhof herum und folgt eine halbe Meile der Main-Street entlang, bis man beim Hotel landet. Selbstverständlich wählte ich den Lennox-Park.
Ein freundlicher bis leicht überdrehter dunkler Mann, sass hinter dem Tresen und begrüsste mich, als hätten sie schon Jahre auf mein Eintreten gewartet. Er sprach wohl englisch, doch im Tempo eine Gatling-Gun und mehr als die verstandenen Fragmente euphorisch nickend zu bestätigen blieb mir nicht über.
Zwei Unterschriften und der Zimmerschlüssel war mein.
Ja, das Premier Inn lässt sich nicht lumpen. King-Size Bett, King-Size Fernseher, Sofa, grosses Badezimmer, Wasserkocher, Kaffee und Kekse und das ganze gar noch ordentlich und geputzt.
Hier kann man sich niederlassen. Es ist mittlerweile für viele West Highland-Wanderer üblich, im Premier Inn abzusteigen. Es gibt in der Nähe von Milngavie keinen Campingplatz mehr. Meine Enttäuschung hielt sich darüber in Grenzen.
Ich teilte Fabian mit, dass das Hotel durchaus annehmbar sei und reservierte ihm gleich ein Zimmer.
Der beflissene Herr hatte die Reservation bis zu seinem Eintreffen wieder vergessen, dennoch klappte es mit der Unterkunft. Hat vielleicht damit zu tun, dass ich vergass zu erwähnen, für wen ich das Zimmer reservieren möchte. Ich hoffe, sie haben es mittlerweile anderweitig vergeben.
Währenddessen wollte ich meine Benzinflaschen füllen und trat wieder durch die Rezeption. Der nette Herr verabschiedete mich, als würde ich auf Weltreise gehen. Es fehlte nicht viel und er hätte mir ein Lunchpaket geschnürt. Draussen stehend stellte ich fest, dass anstelle meiner Softshell eine Regenjacke angesagt gewesen wäre. Nach der überschwänglichen Verabschiedung war es mir jedoch zu peinlich schon wieder einzutreten. Geschweige denn, beim Verlassen nochmals unter Tränen zu winken und für die Zukunft die allerbesten Glückwünsche zu empfangen. Also machte ich mich auf zur Tankstelle.
Wir wollen es nicht schön reden. Im Vergleich zu der Schweiz watet man auf ausländischen Strassen durch Müll. Ich spreche nicht von einem Kaugummipapier im Fliederbusch oder einer Zigarettenkippe auf dem Bordstein. Nein, was für Schweinehunde die doch sind, ging mir durch den Kopf, als ich in der Hecke einen ordentlichen zweihundert-Liter Wasserboiler liegen sah. Unweit davon ein Fensterrahmen, eine halbe Palette und der Ginster auf der gegenüberliegenden Seite wuchs aus einer etwas heruntergewirtschafteten Küchentheke.
Da übersieht man beinahe das Meer von PET-Flaschen und Bierdosen, welche den Strassenrand säumen. Entlang der Autobahn hängt der Müll meterhoch in den Büschen. Der Jahresumsatz eines ordentlichen Kunststoff-Reycling-Unternehmens flattert da bunt im Fahrtwind der LKWs.
Die Strassen selber fordern dem Fahrwerk einiges ab. Dem Regen entsprechend gut gefüllt waren auf die Pfützen in Gehsteignähe und auch wenn die Automobilisten sich Mühe gaben dem Spaziergänger Sorge zu tragen, wurde ich etwa dreimal getauft. Von Kopf bis Fuss. Mit einer Jauche aus Strassendreck und Schlagloch-Schlamm.
Willkommen im schönen Glasgow.
An der Tanke erkundigte ich mich erst, ob ich die kleine Flasche füllen darf. Es gibt ja Tankstellen mit einer Mindestabnahme und mit meinen knapp 19oz, oder einem halben Liter, mache ich da keinen Rekordumsatz. Es wäre kein Problem, ich solle einfach ganz langsam die Flasche füllen, erklärte mir der Tankwart. Ja, ich hatte meine Erfahrung in Finnland gemacht, dennoch war es nett, mich darauf hinzuweisen. Es ist so, dass die Stopp-weil-Tank-voll-Automatik schon relativ schnell greift, der Druck jedoch ausreicht, dass das Benzin am Flaschenboden dynamisch wendet und dem neugierig in den Flaschenhals guckenden Wanderer eine Augenwäsche verpasst. Beinahe tröpfchenweise füllte ich das 98 Oktan-Benzin, angeblich verbrennt es sauberer, in meine kleine Flasche. 79 Pence kostete mich der Spass. Ich reichte ein Pfund und wollte sagen gut ist, aber der Herr zählte freundlich jeden Penny Rückgeld auf den Tresen.
Von der Tankstelle marschierte ich weiter in den Waitrose. Einer dieser Supermärkte mit dem Charme eines Hochregallagers. In der Schweiz gibt es Migroskinder und Coopkinder. Aldi versucht sich in den Markt zu drängen, aber dazu braucht es Generationen. Ich denke, wenn die Chantals und Justin-Dylans unserer Zeit sich fortgepflanzt haben, die Nachnamen welche sich wie zungenbrechende Chassisnummern lesen die Meiers und Müllers verdrängt haben, werden wir wohl die erste Generation Aldi und Lidl-Kinder haben.
Als Migroskind wird man zu zwanzig Prozent geboren, achtzig Prozent ist Konditionierung. Ich bin ein klassisches Migroskind, weil im Coop Gammelfleisch lag, das Gemüse schimmelt und die Brotwaren entweder zu löchrig waren oder die Konsistenz eines Schwammes aufwiesen. So mein Vater und in meiner Generation war Vaters Wort Gesetz. Wir sind nicht schlecht damit gefahren. Es mag auch an der Dorffiliale gelegen haben, es empfiehlt sich heute noch auf das Ablaufdatum zu schauen. Jedenfalls wurde der Grundstein zum Migroskind gelegt.
Die Migros hat etwas warmes. Vielleicht ist es auch der leicht nostalgische 70er-Jahre Look, man fühlt sich jedenfalls wohl und nicht wie bei einem Fabrikausverkauf in Ottos Warenposten.
Bei Waitrose hat man den Eindruck, man schreitet mit einem Handheld-Scanner Lagerplätze ab und kommissioniert die Ware in seinem Korb.
Nichts desto trotz ist es natürlich eine speditive Sache und das war gut, die Verkäufer betrachteten mich bereits wie einen Eindringling. Wohl sah ich an der Ladentür keine Öffnungszeiten, aber irgendwie hatte ich ein "Was fällt dem ein, um diese Zeit noch..."-Schild über mir schweben.
Alles was ich brauchte waren Feuerzeuge und ein Abendessen. Eine Grenze welche ich noch zu überschreiten habe; Ich kann nicht alleine im Restaurant essen gehen. Was denken denn die anderen Leute? Wenn ich auf mich schliesse; Genau nichts. Es kümmert mich nicht, ob einer alleine am Tisch sitzt, geschweige denn, dass ich mir den Kopf zerbreche, wieso der da alleine sitzt. Aber irgendwie werde ich den Gedanken nicht los, dass sich umliegende Menschen über mich das gedachte Maul zerreissen. Auch hier könnte man anmerken; Na und? Aber diese Selbstsicherheit lege ich nunmal nicht an den Tag. So fülle ich dann und wann einen hoteleigenen Abfalleimer mit halbvollen Schinken und Käsepackungen, weil die Augen stets grösser als der Appetit sind. Was die Briten uns Schweizer voraus haben; Ich kaufe nicht so und soviel Gramm Schinken oder Käse, sonder xy Scheiben. Auf der Packung vermerkt. Passt etwas zum kommissionierenden Charakter, finde ich jedoch sehr praktisch. Ich kann gleich definieren mit wieviel Scheiben ich das Brot belegen möchte.
Was ich völlig vergass war das Bier.
Ich fühle mich stets etwas schuldig, wenn ich mit einer Tüte voller Esswaren ein Hotel betrete. Anderseits betreibt das Premier Inn keine Küche und noch manch Wanderer wird hier sein Essen besorgen, dennoch stehle ich mich flink an der Rezeption vorbei. Auch weil ich der Begrüssungszeremonie aus dem Weg gehen wollte.
Ich genoss noch die letzten Stunden Zivilisation, sprich war am fernsehen, ass parallel dazu meine Brote, als auch Fabian eintraf. Der Herr an der Rezeption war so frei und teilte ihm meine Zimmernummer mit.
Fabian agierte weitsichtiger, hatte zwei Guinness besorgt. Präziser ausgedrückt, er investierte seine letzten Pfund in zwei Dosen Bier. Natürlich ist er nicht einfach mit ein paar Münzen im Portemonnaie los, nein, weitsichtig hat er sich im voraus mit Barem eingedeckt. Mit schottischen Pfund, wohlgemerkt.
In Grossbritannien ist es so, dass das Pfund Sterling die Landeswährung und das gesetzliche Zahlmittel darstellt. Nun haben einige Privatbanken jedoch die Möglichkeit eigenes Geld zu drucken. Neben dem Nordirischen Pfund eben auch das Schottische Pfund. Diese Noten sind keine gesetzliche Währung, haben jedoch im ganzen Königreich ihre Gültigkeit. Dabei ist es jedem einzelnen Dienstleister überlassen, ob er dieses Zahlungsmittel akzeptieren will. Ob man mit Schottischen Pfund in London eine Pint kaufen kann weiss ich nicht, ein schottischer Bettler hingegen würde eine ordinäre Pfundnote aus seinem Almosenhut fischen und dem Gönner in den Rachen stopfen.
Die Pfundnoten erfuhren auf der ganzen Insel eine Sanierung, in ihrem Erscheinungsbild sind sie nun leicht plastifiziert und besitzen gar ein Sichtfenster. In der Schweiz könnte ich wohl heute noch im Jufer Dorfladen mit bernischen Batzen mein Brot bezahlen. In England sind sie weniger toleranter. Die alten Noten verlieren schneller ihre Gültigkeit als eine Reichsmark zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Selbstverständlich können sie umgetauscht werden, in ausgewählten Banken in noch ausgewählteren Städten, doch im Laden um die Ecke erhalte ich dafür nicht das Schwarze unterm Nagel.
So was ähnliches wie ein Stichtag war der 1. März 2018.
Obwohl das neue Geld bereits seit dem September letzten Jahres im Umlauf ist, werfen die Schweizer Banken noch alte Noten auf den Markt. Während ich mein Geld einen Tag vor der Abreise abholte, hatte Fabian also bereits vor Monaten seine Geldkatze und die Geldbörse mit einem mittleren Vermögen gepolstert. Oder Altpapier, wie ihm im Tesco Superstore Milngavie erklärt wurde.
Zwei Schweizer wackeln mit einem Sack voller Geld über den West Highland Way auf der permanenten Suche nach einer Wechselstube. Diese klischeebehaftete Anekdote werden Kioskbesitzer und Poststellenhalter zwischen Milngavie und Inverness noch ihren Enkeln erzählen.
In Fabians Zimmer versoffen wir also sein letztes Geld und tauschten uns über die Anreise aus.
Bier trinken in der Öffentlichkeit ist bei einer Strafe von bis zu 500 £ verboten und ich frage mich immer, wo beginnt die Öffentlichkeit. Ist ein Hotelvorplatz die Öffentlichkeit? Darf ich mein Bier mitnehmen, wenn ich vor dem Pub eine rauchen möchte? Und akzeptieren sie Fabians Altpapier als Sofortzahlung?
Dieses Konsumgesetz, hat Fabian auf der Zugfahrt in Erfahrung gebracht, wurde erlassen weil die Schotten ein etwas rauffreudiges Volk sind und der Alkoholkonsum die Hemmschwelle rapide sinken lässt. Auf jedem alkoholischen Getränk, wie auch auf Pint-Gläsern, sind die Alkohol-Units vermerkt. Ein Unit entspricht 10ml reinem Alkohol. Je nach Getränk nimmt man also mehr oder weniger Units zu sich. Männer dürfen 3-4 Units am Tag konsumieren, Frauen 2-3 Units. Und es wird empfohlen, die erlaubten Units nicht über die Woche hinweg zu sparen, sprich zu kumulieren. Also eine Empfehlung der Regierung, sich jeden Tag die Dosis reinzuschütten. Also zwei Pints oder vier Whiskeys, zwei Gläser Wein, drei Corona; Was das Herz begehrt. Wir haben kläglich versagt, noch nicht einmal die kumulierten Units konnten wir eintauschen.