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Anreise

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Man ist ja langsam Routinier. Finnair ist am Check-In 2, Rolltreppe hoch, rechts, durch den langen Gang, rechts, Rolltreppe hoch, links... Rucksack hin, durch den Zoll, in den Flieger und ab geht die Post. Boarding um 10.25 Uhr, da reicht es völlig, wenn mein Zug um 9.50 einfährt.

Sonntag Morgen, sieben Uhr. Ich hatte mir Zeit eingeplant um nett zu frühstücken, mich zum Bahnhof chauffieren zu lassen und dann gemütlich nach Zürich zu gondeln. Ich fahre gerne mit dem Zug zum Flughafen, es ist der einfachste Weg und ich setze nach wie vor auf die Zuverlässigkeit der Bahn.

Mein Wake-Up-Light zwitscherte mich aus dem Tiefschlaf und einer meiner ersten Gedanken galt der Zollkontrolle. Der Warteschlangen vor dieser und dem Pflichtbewusstsein der Beamten. Einmal mehr war der Ferienbeginn in mehreren Regionen der Schweiz und ich gab mich nicht mehr der Illusion hin, der einzige Flugreisende zu sein.

Das gemütliche Frühstück wich einer ungesunden Hektik. Fluchtartig aus dem Haus und während dem Marsch zur Bushaltestelle Online ein Bus- und Bahnbillett erstanden. Smartphones haben auch ihr Gutes.

Die befremdeten Blicke der Mitreisenden muss man eben ertragen. Ein schrankgrosser Rucksack mit einem Typen in klobigen, alten Wanderschuhen und in Funktionskleidung dranhängend betritt den Bus.

Zwängt sich durch den Bahnhof und belegt beinahe ein ganzes Abteil in der S24. Danach blockiert er die Rolltreppe am Flughafen und steht herrlich unentspannt am Check-In.

Geht es nur mir so? Mich deucht, manch Reisender wird erst an diesem Schalter gewahr, dass er eine Flugreise antritt. Beginnend damit, dass er mit seinem Gepäckrolli mindestens drei Keine-Durchfahrt-für-Gepäckrolli-Schilder passiert, bevor er am Check-In darauf hingewiesen wird, dass er den Rolli doch bitte vor dem Einreihen in die Warteschlange parkieren soll. Was er so überhaupt nicht versteht, auch wenn sich an diesem Ungetüm bereits fünf Meter Absperrband verfangen haben. Daraufhin fällt er aus allen Wolken, als er erfährt, dass er nicht alleine im Flieger sitzen wird und weder den Rolli noch das auf ihm liegende Gepäck in die Kabine mitnehmen kann. Wie auch nicht das der Gattin, welche drei Kurven hinter ihm in der Warteschlange steht und sich nun eben nach vorne zwängt. Mit einem zweiten Rolli.

Ich stehe zu weit hinter ihm, um zu erfahren, welche Diskussion er mit der freundlichen Angestellten führt.

Bin ich nichts weniger als ein erfahrener Flugreisender, aber mein Check-In dauert nur länger als 30 Sekunden, wenn der Kleber der Gepäcketikette hartnäckig am Papier kleben bleibt. Dieses mal sogar mit zwei Gepäckstücken in Rekordzeit. Die Schneeschuhe und meine beschränkt faltbare Isomatte sprengten den üblichen Gepäckrahmen.

Die Verpackung ist beim Trekking so eine Sache. Was immer man aufgibt, muss man mittragen. Man füllt also nicht einfach eine zusätzliche Sporttasche oder einen zweiten Rucksack. Die ganze Sache muss multifunktional sein. Kurz überlegte ich tatsächlich eine Mülltüte zu benutzen, aber irgendwie hat man auch seinen Stolz. Sea to summit hat eine tolle Sache, nennt sich Dry-Bag. Wasserdichte Taschen, leicht zu verstauen, bei Bedarf sogar als Schwimmhilfe oder Kopfkissen zu nutzen. Nun, mein treuer, blauer Dry-Bag ist nicht mehr wirklich luftdicht, die Trekkingtouren haben ihm schon zugesetzt. Doch als Transportbehälter für Schneeschuhe und Iso-Matte einfach perfekt.

Meine zwei Tüten eingecheckt begebe ich mich auf die Suche nach einem Bankomat. In der Eile habe ich es versäumt Geld mitzunehmen, aber Euronen kann man ja überall ziehen. Die EU hat auch ihr Gutes.

Ab zum Zoll.

Fiep fiep.

Die Herren vom Zoll winken mich zur Seite. Mein kleiner Handgepäckrucksack wird ebenfalls gesondert deponiert. Der Sprengstoff-Detektor hätte angegeben. Mit reinem Gewissen zuckte ich mit den Schultern.

Erst wird man gewissenhaft abgetastet. Danach werden mit einem Teststreifen am Stöckchen die Handflächen und Handrücken, wie auch die Kleidung abgewischt. Ab in den Automaten. Neue Teststreifen, nochmals wischen. Ebenso das Handgepäck.

Ob ich mit Sprengstoff hantiere, erkundigte sich der freundliche Beamte. Nicht wissentlich.

Ein weiterer Beamter wird hinzugezogen, das Gerät neu kalibriert und abermals eine Probe meiner Haut und Kleidung genommen. Währenddessen wühlt sich ein dritter Beamter durch mein Handgepäck. Ganz schweizerisch war es mir peinlich, der Grenzwache so viele Unannehmlichkeiten zu bereiten.

Ich könne weiter. Zum nächsten Beamten.

Dieser notierte sich Namen und Flugnummer. Nur für den Fall der Fälle, teilte er mir mit.

Nun, so hätte man zumindest jemanden an den Pranger stellen können, wenn der Airbus Helsinki nicht erreicht hätte.

Nun doch etwas erleichtert durfte ich weiterziehen. Das frühere Anreisen hatte sich gelohnt. Nach diesem Intermezzo wäre es ganz schön knapp geworden. Und ich möchte erwähnen, dass die Beamten sehr freundlich blieben und ich keinesfalls das Gefühl hatte, Opfer einer Terroristenjagd gewesen zu sein.

Die obligaten M&Ms im Gepäck nahm ich meinen Fensterplatz ein. Die Maschine startete pünktlich, was der knapp kalkulierten Umsteigezeit in Helsinki doch zugute kam.

Helsinki.

Ich mag es nicht, wenn man im Bus vom Flugfeld zum Terminal gefahren wird. Man ist dann unweigerlich zum warten verdonnert, bis auch die letzte Oma ihr Strickjäckchen aus dem Gepäckfach gezerrt hat und die Japaner endlich ihre Schuhe geschnürt haben. Was müssen die sich auch immer ausziehen?

Kaum ist der Bus losgerollt, hüpft ein Passagier aus dem Flieger und stolpert auf der vereisten Piste hinter dem Bus nach. Frau und Kinderchen waren im selbigen, während er nochmals zurück musste und sein Smartphone suchte. Mit Genugtuung und bösem Grinsen nahm ich wahr, dass der Chauffeur keinerlei Anstalten machte, seinen Gelenkbus zu bremsen. Bis übermotivierte Passagiere, gewiss mit drei Stunden Aufenthalt, schrien, er solle anhalten. Mit einer Panik, als würde da eine süsse Entenfamilie über die Fahrbahn spazieren und nicht ein gelackter Anzugträger in italienischen Slippern hinter dem Gefährt her schlittern.

Grosses Aufatmen, als er es geschafft hatte. Noch fünf Minuten bis zum Schliessen der Türen von meinem Anschlussflug. Durch die vereisten Scheiben versuchte ich einen Blick auf den Gepäckverlad zu werfen. Wohl hatten meine Taschen einen Express-Kleber erhalten, doch es hätte mich schon beruhigt, wenn ich gesehen hätte, wie sie weiter transportiert werden. Auf einem Express-Gepäckzug. Mit Blaulicht.

Kaum am Terminal sprintete ich links die Treppe hoch. Lernfähig. Vor einem Jahr ging ich während der Heimreise noch geradeaus durch die Drehtür. Flüchtend vor einer Horde Schweizer, welche durch ihren Platzhirsch-Auftritt meine Fremdschämseite zum Vorschein brachten. Eine One-Way-Drehtür. Der einzige Weg zurück zum Terminal führte durch die finnische Zollkontrolle.

Glücklicherweise war mein nächstes Gate nur etwa 50 Meter entfernt. Keine Distanz für einen durchtrainierten Wanderer wie mich.

Die Dame am Gate hob schon das Mikrofon an die Lippen, als der Snack-Automat endlich die Erdnüsse ausspuckte. Der stand da so verführerisch, musste einfach noch sein. Unter Bücklingen betrat ich den Flieger.

Auf nach Kuusamo.

Kuusamo

Der Flugplatz gefällt mir. So übersichtlich, irgendwie familiär. Man marschiert vom Flieger zum Terminal. Der Flieger wendet quasi auf dem Absatz, man kann beinahe den neuen Fluggästen eine gute Reise wünschen. Die Piste eine Eisbahn mit einer Spur von Streusplitt. Die kalte Luft umwirbelte mich. Schnee, soweit das Auge reicht. Ein Flughafenangestellter stand auf dem Dach und schaufelte den Kamin frei. Im Terminal wandelt man zwischen Rentierfellen und Bildern vom Nordlicht. Kaum am kleinen Gepäckband angekommen drehte auch schon mein Rucksack seine Runde und bald darauf meine Schneeschuhe.

Die Ankunfts- und Abflughalle des Terminals beinahe leer. Nur die Leihwagenvermieter sassen in ihren Verkaufshäuschen welche an die Kinderpost aus Pappkarton erinnerten. Meine Taschen geschultert verliess ich das Terminal, trat auf den verwaisten Bordstein. Der Parkplatz ebenfalls leer, ein paar kleine Reisebusse warteten auf ihre Gäste. Eine Ankunft nach meinem Geschmack.

Aus einem Mercedes-Van sprang ein Mann, zog beflissentlich die Seitentür auf. Rund um mich kein Mensch, er schien wirklich um mich zu werben.

Zum Cumulus-Ressort nach Ruka, bat ich den guten Mann.

Ruka?, fragte er nach und in den Augen blinkten Dollarzeichen auf.

Ja bitte, und überreichte ihm den Zettel mit der Anschrift.

Ein angenehmer Chauffeur. Angenehm, weil er nicht das Bedürfnis verspürte, Konversation zu treiben. Wir rollten die knappe halbe Stunde über verschneite, leere Strassen. In Totenstille, noch nicht einmal das Radio dudelte. Das Verkehrsaufkommen ist sehr überschaubar. Was nicht gerade als Hauptstrasse über das Land führt ist schneebedeckt, nichts desto trotz kommen die Finnen flott voran, Kreuzungen werden einfach ein wenig gemässigter angefahren.

Ruka liegt am Fuss des Rukatunturi. Respektive ein wenig um ihn herum. Der 493 Meter hohe Berg bietet Platz für 28 Skipisten, zwei Sprungschanzen sowie eine Biathlon-Anlage. Richtig, der Hügel ist ziemlich gut genutzt. Flutlichter bieten der früh einbrechenden Dunkelheit die Stirn und so gleitet man in einer beinahe romantischen Atmosphäre den Hügel hinunter. Ruka selber ist eine Ansammlung von Hotels, Skihütten und Apartmenthäusern. Inmitten des Dorfes eine Einkaufsmeile, hauptsächlich auf Touristen ausgelegt. Finnenmesser, Rentierfelle und Pullover mit Wolfsmotiven vor Polarlicht lassen die Kasse klingeln.

Die Hochburg für Skitouristen hat einen gewissen Charme. Alleine schon wegen der weissen Strassen und Gehwege, was man in unseren Gefilden kaum mehr kennt, haben die Pferdeschlitten in St. Moritz doch Räder an den Kufen.

Wie erwähnt residierte ich im Cumulus Resort Rukahovi, gleich neben der Skistation und die Einkaufsmeile so nah, dass ich kaum den Reissverschluss meiner Jacke schliessen musste, um ein Bier zu kaufen. Über Teppich wandelt man zur Rezeption, zur Rechten eine Lounge mit Cheminée, zur Linken eine Bücherecke mit gemütlichen Sesseln. Das Vier-Sterne-Hotel selber ist doch eher gross, in mein Low-Budget-Zimmer musste ich noch ein ordentliches Stück Weg zurück legen. In den Anbau, dem Platz für die knausrigen Gäste, welcher gewiss nicht dem Vier-Sterne-Standard entsprach. Aber da ich meinen guten Anzug noch in der heimischen Esprit-Filiale hängen hatte, war das schon in Ordnung und ich verzichtete auf das angebotene Upgrade zum Schnäppchenpreis. Ein finnisches Schnäppchen, also nicht mehr total überrissen, nur noch sauteuer. Kaum den Rucksack seiner Packhülle entrissen, machte ich mich mit drei MSR-Flaschen im Handgepäck auf den Weg zur nächsten Tankstelle. Minus 15 Grad teilte mir das Thermometer an der Rezeption mit, ich zog die Mütze in die Stirn und zog die Kapuze hoch. Es war nach sechs Uhr abends und kuhfinster, wie wir in der Schweiz sagen. Zur Tanke war es eine Viertelstunde Fussmarsch. Zapfhähne haben ja diese Abschaltautomatik. Selbstverständlich greift die bei einer 0,5-Liter-Flasche sofort, kaum hat man den Abzug durchgezogen. Doch erst, nachdem ein Schwall des flüssigen Goldes rund um den Zapfhahn aus dem Flaschenhals spritzt. Mit bereits klammen Fingern versuchte ich nun das Benzin fein zu dosieren. Fühlte mich ein wenig, wie ein Demonstrant beim Befüllen von Molotow-Cocktails. Auf der Tanksäule eine Batterie Flaschen, ein bärtiger Mann mit der Kapuze tief im Gesicht steht mit weit gespreizten Beinen und träufelt Benzin in die Behälter. Doch abends um sechs spazieren nicht viele Touristen durch die Nacht, das ging in Ordnung. Von einem ordentlichen Eau-de-Ölscheich umwabbert stapfte ich wieder den Berg hinauf. Im Rucksack die gut gefüllten MSR-Flaschen. Eine Sorge weniger.

Im K-Market. Die Ware wird drapiert wie im Aldi Süd. Mit viel Sinn für Präsentation und Liebe zum Detail. Auf Plastikkisten und Europaletten. Die Preise hingegen hatten Dorfcharakter. Ihr wisst schon, diese kleinen Filialen, ich welchen man lediglich aus Solidarität zu Tante Emma einkauft und sich nur alle zwei Monate einen Wocheneinkauf leisten kann. Dafür haben sie auf diesen hundert Quadratmeter auch alles hinein gepfercht, was man irgendwie brauchen könnte. Einzig ein Schneemobil im Kassenbereich vermisste ich. Ich stöberte durch den Laden, im Kaufrausch verzweifelt auf der Suche nach einem Artikel, welchen ich noch dringend brauchen könnte. Eine Laune des Schicksals, dass ich vor den Feueranzündern kurz verweilte, jedoch zum Schluss kam, meine Handvoll in Wachs gewendeten Holzspäne würden da schon ausreichen. Zumindest fragte ich an der Kasse noch nach Streichhölzern. Etwas Brot, ein Rentier in Salamiform und ein paar Energydrinks. Nach Diner-for-one im Restaurant war mir nicht zumute. Zurück im Hotel erstellte ich meine Ausrüstung. Verlängerte meine Schneeschuhe, welche nun die Länge eines ordentlichen Kinderskis hatten. Es wird angepriesen wie einfach das sei. Ich bin gewiss kein schwächlicher Mensch, musste jedoch ordentlich zerren und würgen um diese störrischen Verlängerungen zu installieren. Nun, dies macht man auch nicht jeden Morgen. Ich verpackte den Rucksack neu, füllte die Wasserflaschen und verschnürte alles ordentlich. Vor einem Jahr war ich mit einem Camelbak unterwegs. Dieses Abenteuer brauchte ich nicht nochmals. Wenn ihr nicht nach jedem Trinken den Schlauch ordentlich auspustet gefriert euch das Wasser darin, dass war es denn mit dem Wasser nuckeln. Danach könnt ihr den Beutel aus dem Rucksack fummeln, öffnen, an den Mund führen und beim Versuch den Durst zu stillen euch einen gemütlichen halben Liter Wasser in das Thermoshirt schütten. Nebst der 1-Liter Thermosflasche führte ich zwei sogenannte Trinkbeutel mit einem halben Liter Fassungsvermögen mit mir. Benötigen wenig Platz und sind handlich, das Wasser ist portioniert.

Zu guter Letzt aktualisierte ich die GPS-Geräte. GPS-Satelliten sind ja nicht geostationär wie in etwa ein Fernsehsatellit, sondern rotieren ständig um die Erde. Genauer ausgedrückt, der GPS-Satellit benötigt einen Sterntag um die Erde zweimal zu umkreisen. Richtig, für die Trekkies, Sterntage stammen wirklich von der Sternzeit und ein Sterntag hat 23 Stunden, 56 Minuten und 4,091 Sekunden. Wenn ihr nun nach oben schaut, habt ihr mindestens vier GPS-Satelliten im Blickfeld. Sofern ihr 20'000 Kilometer weit sieht. Damit das GPS diese flinken Dinger schneller findet, sendet der Satellit nicht nur seine eigenen Daten sondern auch den sogenannten Almanach, welcher die aktuellen Reisepläne aller anderen Satelliten ebenfalls beinhaltet. Mit diesem Almanach im Hintergrund sucht euer GPS nicht die Nadel im Heuhaufen und hofft auf einen Glückstreffer, sondern kann sich ziemlich schnell verbinden. Aus diesem Grund macht ein aktueller Almanach Sinn. Und es wartet sich im warmen Hotelzimmer mit dem Gerät auf dem Fensterbrett gemütlicher, als in der freien Natur gegen den Himmel winkend.

Meinen Wecker stellte ich auf sieben Uhr morgens und genoss das letzte Mal das televisionäre Angebot. Finnische Talkshows oder eine ZDF Schmonzette mit finnischen Untertiteln. So schlummerte ich auch bald weg, während die Temperatur im Zimmer sich gegen Unternull bewegte. Bei geschlossenem Fenster schlafe ich schlecht und mein Klimabewusstsein gebietet mir, die Heizung auszustellen, wenn ich lüfte. Auch wenn das Zimmer pauschal abgerechnet wird.

Ein Schaffhauser auf dem Karhunkierros

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