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Kapitel 1

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Die Handlung des vorliegenden Romans ist fiktiv. Die Figuren, mit Ausnahme der Personen der Zeitgeschichte, sind erfunden. Sofern die Personen der Zeitgeschichte in diesem Buch handeln wie Romanfiguren, ist auch das erfunden. Die Aktivitäten der handelnden Geheimdienste CIA, KGB, und des französischen Geheimdienst SDECE, sowie auch der algerisch-französischen Organisation OAS, Organisation de l`Armée Secrète, in Europa und Afrika, sind fiktiv, ebenso deren handelnden internen Strukturen. Die „Erinnerungen an Dresden 1945“, die der Autor als Zwischenereignisse einfügte, sind fiktiv, mit Ausnahme der allgemein bekannten Geschehnisse. Ebenso sind die „Erinnerungen an Tobruk“, als fiktiv zu sehen. Die Kampftruppe der Long Range Desert Group von Oberst Haselden hatte es gegeben, ebenso das Desaster vom 14. September 1942 in Tobruk. Der Autor ließ seinen Protagonisten Francesco Maria Vancelli fiktiv als einer der Überlebenden der Long Range Desert Group, an den Geschehnissen teilnehmen.

Prolog von Francesco Maria Vancelli.

Mein Name ist Francesco Maria Vancelli, von Beruf Journalist und Schweizer Nationalität. Zu Beginn der 60er Jahre arbeitete ich in Zürich für eine Outdoor Life Agentur. Die Autoren jener Agentur bereisten die Länder dieser Erde zur Erstellung von Reiseberichte für namhafte Abenteuer- und Reisemagazine.

Je nach Auftrag, den meine Agentur bekam, bereiste ein Teil der Mitarbeiter auch Länder, die mit Sicherheit nicht von Touristen heimgesucht wurden, denn mein Chef Wegener, Sympathisant der OAS, Organisation de l`Armée Secrète, arbeitete auch für den Amerikanischen Geheimdienst CIA. Dieses „kleine Geheimnis“ der Agentur wurde mir erst zu Teil, als ich mich im tiefsten Sumpf meines ersten Auftrags befand.

Meine Aufnahme in diese Agentur verdankte ich dem Umstand, dass ich im zweiten Weltkrieg als zwanzigjähriger Journalist und Kriegsberichterstatter im Afrika-Feldzug der Engländer gegen das Deutsche Afrika Corps Rommels eine Ausbildung im Wüstenkampf bekam und mit so berühmten Sabotageeinheiten wie der Long Range Desert Group von John Haseldens oder der Jock-Kolonne von Jock Campell das lautlose Töten hinter den feindlichen Linien erlernt hatte. Ohne mein Wissen wurde über mich ein Dossier angelegt und nebenbei fragte mich niemand nach meinen Fähigkeiten als Journalist.

In keinem Glied der Nahrungskette wurde so lautlos getötet, wie in der Welt der Aranaea, die Welt der Jagdspinnen. Es war die höchste Anerkennung - für normal denkende Menschen jedoch eine sehr zweifelhafte Anerkennung – wenn Agenten unterschiedlichster Couleur, das lautlose Töten im Detail beherrschten und von den weniger „Begabten“ als eine Aranaea bezeichnet wurde.

Im August 1963 bekam ich von meinem Chef Wegener den verhältnismäßig einfachen Auftrag die Reiseroute Marseille, Alger und Mopti in Mali zu erkunden, mit einem bestens ausgerüsteten Mercedes Unimog. Als Zeitraum wurde November 1963 bis Januar 1964 veranschlagt.

Das Ziel jedoch, dass der CIA der Agentur Wegener in Auftrag gab, hieß Katanga, die südliche Kupferprovinz von ehemals Belgisch Kongo oder Kongo-Leopoldville. Kongo-Leopoldville, die Spielwiese der beiden Supermächte USA und UdSSR und ihrer Geheimdienste sowie sonstige europäische Interessevertreter!

Zeitgleich wurde von der Agentur Wegener in Zusammenarbeit mit der OAS eine umfangreiche Waffenlieferung gesteuert. Waffen aus den Arsenalen in Deutschland, die es nach dem verlorenen Weltkrieg in diesem Lande noch in erheblichen Ausmaß gegeben hat, sowie Waffen aller Spezies aus den geheimen Depots der OAS und der ehemaligen französischen Nordafrika Armee in Algerien.

Wegener organisierte mit Hilfe seiner guten Verbindungen zum französischen Geheimdienst SDECE auch die Waffenlieferungen nach Katanga. Auftraggeber hierzu waren mächtige westeuropäische Gruben-Gesellschaften die mit aller Macht ihre Pfründe im Kupfergürtel von Katanga erhalten wollten. Zu dem Zwecke, dass ich, der ja noch völlig ahnungslos war, auf meinem Trip nach Mali respektive Katanga, worüber ich erst später erfuhr, richtig „gesteuert“ wurde, nahm Wegener Kontakt zur OAS der Organisation de l`Armée Sekrete auf. Diese Organisation verlegte ihre Hauptquartiere nach dem Zusammenbruch “ihres Algerie-Francaise“, im Jahre 1962 in die Schweiz und nach Österreich und war immer noch gut organisiert.

Die OAS wurde im Winter 1960/61 von französischen Offizieren und Generälen gegründet. Eine Organisation, die den Verbleib des französischen Departements Algerien bei Frankreich mit militärischen und auch Terroristischen Mitteln erzwingen wollte. Sie war in drei Flügel gegliedert, in einen politischen Flügel, sowie einen militärischen und in einen propagandistischen. Ihre Agenten wurden zum Teil in den französischen Geheimdienst SDECE, Service de Documentation Exterieure et de Contre-Espionnage, eingeschleust, doch mit weniger Erfolg als das es dem französischen Geheimdienst SDECE im Umkehrschluss gelang, ihre Agenten in die OAS einzuschleusen.

Zu dem Zeitpunkt im August 1963, als ich den Auftrag von Wegener bekam die Reise nach Mali anzutreten, lag die OAS bereits in ihren letzten Zügen. Jedoch verfügte die OAS noch über geheime Waffendepots in Nordafrika und besaß noch bestens geschulte Agenten. Beides konnte man haben. Für viel und gutes Geld und für jeden Geheimdienst der Welt. Diese Organisation de l`Armée Sekrete stellte für mich die beiden Schwestern Solange und Sabea Bergerac als eine Art „Reisebegleiterinnen“ zu Verfügung. Nur wusste ich davon zunächst nichts und mein Chef, Sympathisant der OAS wusste im Gegenzug nicht, dass die beiden inzwischen für den französischen Geheimdienst SDECE arbeiteten.

Solange Zouzou-Zizanie Bergerac, Algerien-Französin aus dem Departement Constantine, im Nordosten von Algerien, geboren in Philippeville, dem heutigen Skikda, war wie erwähnt eine der Schwestern und im Auftrag der OAS in den Jahren von 1960 bis 1962 in Deutschland tätig. Namentlich in Saarbrücken. Sie war ausgebildete Fliegerin, Navigator und spezialisiert auf detaillierte Luftaufnahmen.

Zu jener Zeit war Deutschland Drehpunkt des internationalen Waffenhandel und Waffeschmuggel, welches vornehmlich von Waffenkäufern der algerischen Nationalen Befreiungs-Front FLN, Front de Libération Nationale, genutzt wurde und die den Kampf gegen die Franzosen in Algerien führte.

Sabea Loulou Bergerac, ihre Schwester, die von allen nur Sabi genannt wurde, ging ein Jahr früher als Solange in den Untergrund und schloss sich 1959 der OAS in Algier, der Hauptstadt Algeriens an. Sie wurde von der OAS im Nahkampf geschult und zur Sprengstoffspezialistin ausgebildet. Ihr Auftrag war Aufspüren und Eliminieren der Bombenlegerwerkstätten, welche sich die algerische Befreiungsfront FLN in der Casbah der Stadt Algier eingerichtet haben. Die Aktivitäten von Solange und Sabea Bergerac innerhalb der OAS richteten sich zu keinem Zeitpunkt gegen das Mutterland Frankreich oder gegen Einheiten der französischen Armee in Algerien, sondern immer gegen die algerischen Befreiungsfront und im Falle Sabeas gegen die terroristischen Bombenlegerwerkstätten in der Casbah von Algier. So wurden beide noch vor der Selbstauflösung der OAS vom französischen Geheimdienst SDECE angeworben.

Ihre Betätigungen fanden sie in der Abteilung I des SDECE, in den Büros R1 für Nachrichtenauswertung und R4 für Afrika.

Doch nichts in Europa war ohne Wissen des sowjetischen Geheimdienstes KGB vernünftig zum Ende zu bringen! Janine Knöpfler, geborene Rachmanikoff aus Kiew in der Ukraine, war die Leiterin der Außenstelle Schweiz des sowjetischen KGB und bis dahin mit einem Offizier der Schweizer Armee verheiratet, mit Jean Knöpfler. Jean, ein alter Schulfreund von mir, arbeitete nebenbei für den Amerikanischen Geheimdienst CIA. Seine Frau, Janine Knöpfler-Rachmanikoff habe ich nach Ende unseres Unternehmens geheiratet.

Eine der zahlreichen Tanten von Solange und Sabea heiratete einen Cousin von Janine Knöpfler und wurde dadurch von den Bergerac Schwestern in die Geheimnisse der Bergerac Verwandtschaft eingeweiht und bekamen über die OAS Aktivitäten der beiden Schwestern und durch geschicktes Ausfragen ihres Ehegespons, einen beinahe soliden Einblick in das CIA Manöver Kongo-Katanga. Doch nur beinahe, denn dem sonst allwissenden KGB, wie auch mir, Sabea und Solange, blieb das eigentliche Ziel und die wirklichen Auftraggebern bis zum Ende dieser Mission unbekannt.

Unsere Reise führte uns von Zürich nach Marseille bis Algerien. Agadez in Niger und die Stadt Fort Lamy im Tschad waren die nächsten Stationen und schließlich gelangten wir nach Katanga, in die Südprovinz des Staates Kongo, in eine der Reichsten an Bodenschätzen der Erde geltenden Region. Und im Übrigen, das Land Mali habe ich bis zum heutigen Tag nicht bereist. Schade eigentlich.

Kaum in Algier angekommen wurden Sabea, Solange und ich von dem sowjetischen Geheimdienst KGB in „Empfang“ genommen. Der französischen Geheimdienstes SDECE hielt schützend den skrupellosen Arm seines Agenten Lefebre über uns. Lefebre war Agent der Abteilung V für Aktivitäten die etwas außerhalb jeglicher Legalität lagen, eine Abteilung der Art „Aufräumkommando“. Lefebre konnte uns aus einer misslichen Lage befreien, jedoch nicht dergestalt wie wir es uns wünschten.

Da wäre noch jemand, den ich Ihnen unbedingt vorstellen muss. Wir nannten sie "Zöpfchen", weil sie weit abstehende gebundene Haarbüschel trug, die aller Schwerkraft trotzend, ob es regnete oder der Sand stürmte, immer in waagrechter Lage von ihrem Kopf abstanden. Pleasant Magouba ihr Name und eine Angehörige eines Nomadenstammes, namens "Wodaabe". Ein Stamm, der in der Sahelzone nomadisierte. Ich habe sie in dem Küstenstädtchen Bougie, dem heutigen Bejaia in Nordalgerien kennen gelernt.

Zöpfchens Traum war die Rückkehr nach Agadez, zurück zu den Wodaabe um wie sie meinte, nach Nomadenart hinter den Kuhschwänzen her zu rennen.

In der Stadt Constantine überreichte uns der amerikanische Geheimdienst CIA ein Fahrzeug, das für den schwersten Wüsteneinsatz konzipiert war.

Als besonderes nachrichtentechnisches Bonbon hat die CIA eine Satelliten Navigation aus dem amerikanischen Weltraumprogramm „Corona“, welches zu Beginn der 60er Jahre gestartet wurde, einbauen lassen. Dieser Einsatz war uns zu Beginn unserer Exkursion allerdings nicht bekannt. Ebenso nicht dem sowjetischen Geheimdienst KGB, wobei jene zumindest wussten, dass die CIA einige gewisse Dinge in Afrika am „Laufen“ hielten. Sie wollten es sich nicht entgehen lassen dieses Gefährt in ihre Gewalt zu bringen obwohl ihnen der tatsächliche Einsatzzweck nicht bekannt war.

Prolog Ende

Zürich. Donnerstag, 1. August 1963.

Ullrich Wegeners Büro war vom Feinsten. Fünftes Stockwerk, Jugendstil, mit Blick auf den Zürichsee und auf die Promenade, welche von alten Baumalleen umsäumt waren. Das Inventar in seinem Büro schien aus den besten Auktionshäusern Europas ersteigert zu sein. Wegeners Agentur für das Outdoor Life machte gute Umsätze und die Reiseberichte die wir erstellten, neun Journalisten plus meiner Bescheidenheit, waren sehr begehrt bei Verlage für Abenteuerreisen.

Wegener reiste selbstverständlich nicht in der Weltgeschichte herum. Dafür war er schon zu alt, faul, fett und bequem geworden. Und im Übrigen stand seine katastrophale Kleiderordnung völlig konträr zu seinem Geschmack in Sachen Möbel und Einrichtungen. Dennoch war der Alte nicht unsympathisch, im Gegenteil. Wegener war ein Ausgefuchster Eisenfresser von äußerst direkter Art, aber nie unverschämt in seinen Forderungen. Freundlich und hilfsbereit und selten geizig.

Eine halbe Stunde saß ich nun schon in seinem Büro und seit dieser Zeit malträtierte der Alte das Telefon. Während des Telefonierens, trommelte er unablässig mit dem Bleistift auf seine Schreibtischunterlage.

Schwül und heiß war es an diesem Tag in Zürich und nur vom See her, wehte ab und an eine leichte kühle Prise in die weit geöffneten Fenster. Als vor etwa fünf Minuten sein Telefon klingelte und ich die weiche Stimme einer Frau noch schwach erkennen konnte, schien eine Verwandlung in Ullrich Wegener stattzufinden. Das Hirn des Alten schien geistige Pirouetten zu drehen und seine Schweinchenaugen erhielten eine nie da gewesene Größe. Madame, am anderen Ende der Leitung, musste einen köstlichen Witz zum Besten gegeben haben, denn Ullrichs Bauch hüpfte gnadenlos fröhlich auf und ab. Seine Hände streichelten die Manuskripte und Aktenordner auf dem Schreibtisch, brachten sie akribisch in militärisch exakte Ausrichtung, um sie sogleich auch wieder in das Chaos zu entlassen.

Zwei Manuskripte die Wegener ordentlich hin und her schob, erweckten mein Interesse. Kollege Markus Helmer in der portugiesischen Kolonie Guinea-Bissau?! Wer reiste schon nach Guinea-Bissau? Dachte ich, denn nur Deppen und Lebensmüde reisten nach Guinea-Bissau.

Ich wusste, dass seit letztem Jahr dort ein gnadenloser Kampf der Unabhängigkeitsfront von Amilcar Cabral gegen die Portugiesen geführt wurde. Mit Sicherheit war Guinea-Bissau kein Reiseziel für Touristen, selbst nicht für den Abenteuer-Tourismus.

Das nächste sichtbar gewordene Manuskript war geschrieben von Jacques Dupre´, der Vientiane, die Hauptstadt von Laos bereiste.

In Laos herrschte seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg und seit 1962 eroberten die Soldaten der kommunistischen Pathet-Lao-Bewegung eine Provinz nach der anderen. Laos war ein El Dorado für Waffenschieber, aber kein Ziel für Touristen.

Eigenartig war dies schon und mir kam mein Vorstellungsgespräch vor zwei Jahren bei Wegener in den Sinn. Da zeigte er mehr Interesse für meine Aktivitäten im letzten Krieg in Afrika bei einem englischen Sabotagetrupp gegen das Deutsche Afrika Korps von Rommel, als für meine journalistischen Fähigkeiten. Sie berührten ihn nur am Rand.

»Francesco, was ist heute für ein Tag?«, Wegener fragte dies gleichzeitig mit dem Auflegen des Telefonhörers.

»Donnerstag! Heute ist der 1. August 1963!«

»Das wir 1963 haben, weiß ich auch, Francesco. Im Übrigen, dein Reisebericht vom kanadischen Wood Buffalo National Park, - erste Sahne! Die Verlage überbieten sich um deine Geschichte zu veröffentlichen. Tourismus, wie die alten Waldläufer. Mit Kanu und Büffelknarre. Finde ich toll, hast du etwas mit meiner edlen Jagdflinte anfangen können, Francesco? Wann bringst du mir mein schönes Stück wieder zurück?«

»Gar nicht mehr, Herr Wegener!«

»Was heißt das, Francesco? Der Doppelläufer kostete mich tausend Franken. Was hast du mit der Knarre angestellt?«

»Ich habe sie einem Indianerhäuptling geschenkt. Zum Geburtstag! Er hatte am gleichen Tag Geburtstag, wie Sie. Sternzeichen Löwe! Ein kanadischer Indianer-Sternzeichen-Löwe aus Alberta und dazu ein Schweizer Käsefondue-Sternzeichen-Löwe aus Bern, bei dieser Konstellation musste es schon etwas besonderes sein.«

»Francesco, dürfte ich dich ein bisschen vergiften? Ich werde dir den Betrag von deinem Gehalt abziehen und dann vergessen wir die Sache. Ich habe einen neuen Auftrag für dich. Du checkst mir eine Reiseroute, von Zürich, Marseille, Algerien bis Mali. Was hältst du davon mein Lieber?«

»Nicht schlecht die Strecke Zürich-Marseille, Chef. Soll ich den Rest der Reise über Algerien, nach Mali mit dem Kamel abreiten?«

»Nein, du fliegst nach Algier. Mit der Eisenbahn fährst du von Algier nach Constantine im Osten Algeriens. Dort steht ein neuer Mercedes-Unimog und mit dem durchquerst du die Sahara. Alles klar, Francesco?«

»Nein, nichts ist klar, Herr Wegener! Wann soll die Reise stattfinden, wie viel Zeit habe ich, wie hoch ist mein Spesensatz? wie steht es mit Sondervergütung und mit dem obligatorischen Buschgeld?«

»Bekommst du alles, im November sollte es losgehen, Francesco. Du kannst dir drei Monate Zeit lassen. Den Unimog lieferst du bei Colonel Bergerac in Mali ab, und kommst mit dem Flugzeug zurück. Der Colonel lebt in Mopti, in Mali, die genaue Adresse bekommst du noch.«

»Wie hoch ist mein Spesensatz? wie steht es mit einer Sondervergütung und mit dem Buschgeld?«

»Zarte fünfundzwanzig Prozent mehr als du für Kanada bekommen hast! Du wirst nicht arm sein wenn diese Sache von dir ordentlich über die Bühne gezogen wird. Suche dir noch eine Reisebegleitung, Francesco. Eine Algerien-Französin wäre doch das richtige, wegen arabischer Sprachkenntnisse und so; was meinst du? Muss aber natürlich auf deine Rechnung gehen, ist doch klar, oder?»

Trotz allem Überlegen, um was sich der Alte Lustmolch so kümmerte, so konnte ich seinem listigen Blick dennoch nichts entnehmen. Letzthin fand ich die Idee von Wegener noch nicht einmal so schlecht. Die Auswahl allerdings wollte ich nach eigenen Kriterien treffen. Ich stellte nun eben gewisse Anforderungen die ich für wichtig erachtete und entsprechend sah mein Inserat aus, welches ich noch am gleichen Tag dem Zürcher Tageblatt in Auftrag gab.

Zürich, den 1. August 1963

Ich reise von November 1963 bis Januar 1964 in die Republique du Mali, und suche einen Menschen, der mich nicht nervt. Französische und Arabische Sprachkenntnisse sind Bedingung. Zürcher Tageblatt, Chiffre 4781

Einen einzigen Brief erhielt ich auf mein Angebot und war nur mit einem kleinen Satz verfasst, der dennoch meine Aufmerksamkeit fand. Die Namensverwandtschaft mit Colonel Bergerac in Mali, wo ich den Unimog abzuliefern hatte, kam mir nicht in den Sinn.

Zürich, den 9. August 1963

Sehr geehrter Monsieur Francesco Vancelli! Ich kann das alles und ich nerve nie!

Mit freundlichem Gruß, Solange Bergerac, Zürich.

Noch keine fünf Minuten später, nachdem mir der Postbote dieses kleine Schreiben einer gewissen Solange Bergerac überreichte, klingelte mein Telefon und kurze Zeit darauf sprach ich auch schon mit Madame oder Mademoiselle Bergerac. Sie kannte den Zeitpunkt meiner Postzustellung genau, doch darüber machte ich mir damals keine Gedanken.

Eine Französin am anderen Ende der Telefonleitung! Sie sprach ein akzentuiertes deutsch. Die Grammatik sprang ein bisschen von der Schaufel, aber sonst klang ihre Stimme gut.

»Monsieur, ich bin Solange Bergerac!«

»Bonjour, Madame Bergerac, je m'appelle Monsieur Vancelli! Comment allez vous?«

»Mir ist sehr schlecht, mein Herr, wenn Sie mich weiterhin als die Madame Bergerac titulieren, die ich nicht bin. Bin ich denn meine Mutti?«, antwortete sie in sanfter Stimmlage die dennoch eine Verärgerung über mein gesagtes „Madame“ nicht verhüllen ließ.

»Wie darf ich Sie denn ansprechen, Madame Bergerac?«

In provozierender Weise wiederholte ich jenes „Madame“ , und zwar derart, dass ich das „Ma“ weich und leise anklingen ließ, danach weiter mit einem kräftig gesprochenen „dam“, um dann zu enden mit einem lang gezogenen doppelt klingenden „ee“. Im Nachhinein kam ich mir doch reichlich angeblödet vor. Sie schien es überhören zu wollen.

»Sagen Sie doch einfach Zouzou Zizanie zu mich, ich bin nämlich noch die junge Frau! Wollen wir gemeinsam die Reisen fahren?«

»Ich hätte Sie gerne vorher gesehen, verehrtes Fräulein Zouzienanie!«

»Warum? Wollen Sie meine Figur mitnehmen oder die Hirn? Ich habe nicht soviel Obenrum.«

»Nein, ich hätte Sie halt gerne ein wenig persönlich gesprochen und so.«

»Passt es Ihnen morgen um fünfzehn Uhr? Wir könnten uns in Harrys Pub treffen. Ich trage eine Vichykleid und die schwarze Pumps und dazu die kleine Lackhandtasche mit die Hut. Wie erkenne ich Sie?«

»Ich habe die Zürcher Zeitung im Knopfloch.«

Es war Samstag, der 10. August 1963, dreizehn Uhr und ich hatte schon einige Martinis on the Rocks. Warum ich schon so früh hier in Harrys Pub saß, wusste ich auch nicht so genau. Eine innere Unruhe trieb mich heute Morgen schon sehr früh aus den Federn. Wahrscheinlich war Fräulein Bergerac der Grund meiner wachsenden Unruhe. Bedingt meiner umfangreichen Reise- und Autorentätigkeit lernte ich Menschen aller Schattierungen kennen. Mit diesen Kenntnissen war ich in der glücklichen Lage, mit wenig gesprochenen oder geschriebenen Sätzen ein gutes Bild zu erhalten von jeweiligen Menschen, mit denen ich es zu tun hatte. Ihre Stimme am Telefon klang gut und die schlagfertige Art ihrer Antworten gefiel mir. Dieses "Ich kann alles und nerve nie", in ihrem kleinen Antwortschreiben auf mein Inserat, ließen einige Rückschlüsse zu.

Langweilig war sie mit Sicherheit nicht. Ich war mir sicher, dass sie kein Vichykleid und keine schwarze Pumps trägt.

Eine kleine Lackhandtasche wird sie auch nicht mit sich führen. Sie wählte den Treffpunkt Harrys Pub, und dort trägt man keine Vichykleider mit schwarzen Pumps, und dort geht auch nicht jeder hin. Einen Hut könnte sie auch tragen, das passt. Auch bei Harry!

Ich war zufrieden mit meinen Rückschlüssen auf Solange Bergerac. So müsste sie sein. Und dennoch sollte ich mich gewaltig täuschen. Ein Mensch wie Fräulein Bergerac war mir in meinem schon etwas länger weilenden Aufenthalt hier auf Erden noch selten begegnet.

***

Ich saß schon eine geraume Zeit in Harrys Pub und wartete auf Solange Zouzou Zizanie Bergerac, und auf Harry. Eigentlich war sein Name Heribert Pichler. Ein Österreicher, und ausgemusterter Fremdenlegionär der für sich und für Frankreich unter anderem auch im Algerien Krieg kämpfte und sich in Zürich nach Ablauf seiner Dienstzeit ein Pub nach englischer Art eingerichtet hatte. Ich wollte ihn wegen meiner bevorstehenden Reise nach Mali um Besorgungen einiger Equipments bitten. Harrys Pub, war eine Drehscheibe des internationalen Söldnerhandwerkes, eine unter vielen!

In Harrys Pub trafen sich zwielichtige Strohmänner reicher westeuropäischer Industriestaaten sowie nicht minder zwielichtige Vertreter mächtiger Multikonzerne mit den Bluthunden vom Schlage eines Heribert Pichler, die für sie die Lage an allen Brennpunkten dieses Planeten, vornehmlich aber in Afrika, bereinigten. Harry war kein Wirt, wird auch nie einer sein. Harry besaß andere Qualitäten. Er sah es den Menschen an, ob und für welchen Job Mann oder Frau zu etwas taugte. Für meine Arbeit hatte Harry nur ein leichtes Lächeln übrig. Afrikatourismus konnte er dem Anschein nach nicht leiden. Harry akzeptierte mich dennoch, denn die Art meiner Schreibfeder gefiel ihm. Mein letzter Reisebericht aus Kanada hatte ihn sehr stark berührt. Ich war zuletzt im Wood Buffalo National Park in den Wäldern Albertas und British Columbia und reiste lediglich mit Kanu, Rucksack und Büffelflinte. Abenteuertourismus pur, dass gefiel ihm gerade noch.

Sein Pub führte seine traumhafte Freundin Sabi Loulou, die ich heimlich verehrte, ich liebte sie sogar, meistens jedenfalls, doch sie wusste es nicht und außerdem machte sie die besten Longdrinks und von mir bevorzugte Martinis im Umkreis von hundert Kilometern. Unzählige Male hatte ich nächtens von ihr geträumt und immer wurde ich von ihr geküsst. Dies wusste sie aber nicht. Mir fehlte einfach der Mut es ihr zu gestehen. Auf jeden Fall sollten ihr die Stadtväter Zürichs ein Denkmal setzen. Dank der schönen Sabi Loulou war ich schon fast blau und das um vierzehn Uhr.

»Sabi Loulou, wann kommt Harry, war er gestern wieder besoffen?«, fragte ich sie.

»Ja! Wie immer«, antwortete Sabi Loulou, »aber er kommt gleich, ich habe seinen Wagen gehört.«

Noch keine fünf Minuten später stand Heribert Pichler im Türrahmen, strahlte über das ganze Gesicht und rief schon von weitem seine Begrüßung.

»Hallo Harry, alter österreichischer Germschädel, wie geht’s?« erwiderte ich seine Begrüßung.

»Glänzend Almöhi, ich habe alles im Griff. Hat sich Zouzou Zizanie schon gemeldet?«

»Zouzou Zizanie?«, fragte ich und erstaunte. Mein Erstaunen musste reichlich dämlich ausgesehen haben. Schildkrötenhaft sozusagen.

»Ja, Solange Zouzou Zizanie Bergerac! Stell dich nicht so dämlich an. Du triffst dich doch mit ihr.«

»Ja, natürlich, aber woher weißt du das?« antwortete ich weiterhin wohl Schildkrötenhaft dämlich aussehend.

»Sabi Loulou, bringst du mir bitte ein Hefeweizen?«

Harry bat Sabi Loulou lautstark um ein Hefeweizen, während sie eifrig hinter den Tresen hantierte.

»Sag mal Harry, wieso guckt Francesco so dämlich wie eine alte Schildkröte?«

»So guckt er doch immer, Sabi Loulou.«

»Du, Harry, ich brauche Navigationsmaterial und…« Harry ließ mich nicht zu Ende reden.

»Weiß ich, Francesco, habe eine Chiffreanzeige gelesen und wie ich richtig vermute, dann kannst nur du dahinter stecken. Nur Deppen reisen nach Mali. Gewisse Leute fliegen gewöhnlich in diese Länder und blasen die Regierungspaläste in die Luft!«

»Ein Angeber bist du aber wirklich nicht. Bekomme ich jetzt das Material oder muss ich es mir schnitzen?«

»Du brauchst nichts, Francesco! Solange besitzt alles, was man für Afrika braucht. Solange ist ein Top als Navigator. Die Beste zwischen dem nördlichen und südlichen Wendekreis!«

»Gibt es viele Frauen als Navigator in Afrika, Harry? Außerdem wie kommst du drauf, dass ich sie mit nach Afrika nehme?«

»Sie ist die Beste, Francesco! Ganz klar, dass du sie mitnimmst. Sie hat von mir schon alles bekommen, was ihr so für die Reise braucht. Ich habe ihr auch einen Revolver besorgt, belgisches Fabrikat, 14-Schuß. Sie braucht diese Zimmerflak, weil sie noch Jungfrau ist und das soll auch so bleiben. Also, lass die Finger von ihr, wir brauchen sie noch im Kongo. Wir leihen sie dir nur aus!«

»Harry, bist du besoffen? Sabi Loulou, wie hältst es nur mit diesem Blindgänger aus?«

»Weiß ich auch nicht Francnollo, es wird immer schlimmer mit ihm! Eines Tages lasse ich ihn aufhängen und brenne mit dir durch.«

Sabi verdrehte oft meinen Vornamen in unmögliche Formen, oft bin ich für sie einfach nur der Cnollo, oder Francescnollo oder Francnollo oder Knöllchen.

»Ich bin dabei Sabi Loulou, sag mir wann es losgeht! Und dir Harry sag ich noch eines, merk dir es, ich brauche keinen Revolverengel, ich will nur eine Reisebegleiterin die nicht nervt und zwar für meine Reise nach Mali, sonst nichts und nirgends hin! Wenn du die Dame für den Kongo brauchst, dann schick sie jetzt dort hin. Ich lasse dir den Vortritt. Es gibt noch keinen Vertrag zwischen mir und ihr, außerdem, was geht dich das?«

»Du nimmst Solange mit, Francesco. Sie ist die Schwester von Sabi Loulou und sie macht dir den besten Longdrink und Martini weit und breit. Willst du auf so etwas verzichten?«

»Die Schwester? Sabi Loulou, du hast mir nie etwas von einer Schwester erzählt.«

»Du hast mich nie gefragt Cello, ich müsste mich doch daran erinnern.«

»Wir sind doch einmal so verblieben, dass wir beide keine Geheimnisse voreinander haben, oder?«

»Herr Gott, Cello, bist du so schwierig. Viele Frauen haben eine Schwester, ich will halt auch eine!«

»Harry, ich nehme Solange mit, und nach meiner Reise brenne ich mit deiner Freundin Sabi Loulou durch, und vorher wirst du von Sabi Loulou um dein Vermögen gebracht, auf dass es ihr und mir gut geht auf Erden. Sabi Loulou Bergerac, ich liebe dich, du machst die besten Martinis. Lass dich umarmen. Ich nehme dich mit nach Alergien und nach Schmopti in Mali. Machst du mit?«

»Francescollo, hör auf mit dem Gesülze, dass vertrage ich nicht am frühen Morgen.«

Ich sah zum Fenster hinaus auf den seitlich angelegten Parkplatz, als ein kleiner knallroter englischer Sportwagen über die Bordsteinkante stolperte. Solange Bergerac stieg aus. Es musste Solange sein, eine gewisse Ähnlichkeit mit Sabi Loulou war nicht zu übersehen. Sie trug ein kleines knallrotes Beret Basque, auf dem Kopf und kein Vichykleid mit schwarzen Pumps, und keine Lacktasche.

»Coucou, c´est moi, Monsieur Vancelli! Ich bin Solange Bergerac aber Sie dürfen Zouzou Zizanie zu mich sagen!«

Mit einem kleinen angedeuteten Hofknicks reichte sie mir die Hand und gab mir links und rechts auf die Wangen je ein Bisou. Sie roch sehr gut und ich glotzte sie nur blöde an und brachte kein Wort hervor.

»Das mit dem Zouzou Zizanie müssen Sie mir genau erklären, denn...«

Sie ließ mich nicht zu Ende reden und ging sofort zu Sabi Loulou und Harry, der wieder aus seinem Arbeitszimmer gekommen war und ein freudiges Abknutschen fand seinen Anfang. Das also war Solange Bergerac. Mit diesem Menschen werde ich, wenn ich will, von Zürich via Algier nach Mopti in Mali reisen. Ich war zufrieden. Ich durfte nur nicht die Fassung verlieren, sonst würde ich erschossen mit dem belgischen Revolver, und von Sabi Loulou gäbe es keine Martinis mehr. Spät in der Nacht, brachten sie mich nach Hause. Harry hatte seinen Pub um Mitternacht abgeschlossen. Harry am Lenkrad seines Land Rover, den er sich als Beutestück aus seinem letzten Einsatz als Legionär in Gabun, mitbrachte. Er hielt sich an die heimischen Gesetze obwohl er für meine Begriffe nicht ganz dicht im Schädel war. Harry musste wohl zulange im Busch gelebt haben.

Als Österreicher besaß er seltsamerweise mehr preußische Disziplin in seinen Knochen als mancher Preußengeneral; nur so konnte Harry die französische Legion mit höchsten Auszeichnungen verlassen und eine der Drehscheiben für das internationale Söldnertum werden.

Ich saß Sturz betrunken im Fond des Wagens, gemeinsam mit Sabi Loulou und Zouzou Zizanie. Harry steuerte den Wagen.

»Sabi, hast du die Martinis von Francesco auch richtig gemixt, Francesco kommt mir so besoffen vor?«

»Klar Harry wie immer, ich weiß doch wie der Cnollo seine Martinis liebt! Die ersten zehn Glas, Martini pur mit Eis und Zitrone und danach mit einem Schuss Wodka ohne Zitrone. Der Francescollo ist halt auch nicht mehr der Jüngste!« Dies sagte die schöne Sabi Loulou mit den schönen Beinen, und ich sagte nichts mehr. Mein Haupt ist aus Gründen der Schwerkraft auf ihr Knie gesunken und ich konnte hautnah feststellen, dass ein Knie so schön gebaut war, wie das andere.

»Ich weiß nicht Harry, meinst du das Zouzou mit Cnollo nach dem Kongo reisen soll?«

»Sabi Loulou hat recht Harry. Der Monsieur bringt es nicht. Wenn Monsieur einer Horde Bakongo Krieger gegenüber steht, dann macht sich der Herr in die Hosen!«

»Nicht so laut, er reist doch nach Mali. Mit der Sache im Kongo können wir ihn noch später konfrontieren. Verlasst euch auf meinen Instinkt. Francesco ist die beste Tarnung, die wir uns nur wünschen können. Ich kenne seine Arbeit und die macht er verdammt gut. Seine Reiseberichte sind international bekannt. Wenn Vancelli auf Tour ist, schöpft niemand einen Verdacht. Seine Agentur arbeitet auch für unsere Sache, und hat die Mali-Tour extra für Vancelli gestrickt. Jetzt ist die beste Reisezeit und wenn die französischen Söldner von Oberst Roger Trinkquier im nächsten Jahr in Katanga, im Kongo zuschlagen, besitzen sie die bestellten Waffen. Zouzou, hast du dein Navigationszeug und die Luftaufnahmen von Katanga?«

»Klar Harry, ist alles schon in die Auto in Algerie, in Constantine.«

»Sehr gut Sabi Loulou, hast du die Antwortschreiben an Francesco gemäß seiner Zeitungsanounce vernichtet? Ich meine die der anderen Frauen die mit Francesco die Reise nach Mali antreten wollten?«

»Ja habe ich Harry, und ich fühle mich Francesco gegenüber nicht gerade wohl. Das war eine linke Tour von dir Harry, kann ich dir schriftlich geben, wenn du willst. Fünfzehn Briefe abfangen und verbrennen, die zum Teil ganz schön eindeutig war, also ehrlich. Wie soll ich das vor dem Cnollo verantworten?«

»Musste sein Sabi, Francesco hätte sonst vielleicht nicht unsere Zouzou genommen!«

»Du hast wohl eine Pipi in die Hirn drin, Harry. Wenn mich die Francesco gesehen hätte, dann hätte er nie eine andere Frau genommen als mich!«

»Es heißt Pieps-Vögelchen, Zouzou. Oder, Harry hat ne Meise im Hirn oder besser, Harry hat sie nicht alle! Das stimmt in jedem Fall,« sagte Sabi Loulou.

»Regt euch ab Kinder! Ihr übernehmt also den Unimog in der algerischen Stadt Constantine, und meldet euch dort bei unserem amerikanischen Freund Fitzgerald. Er wird dort ein kleines Büro einrichten, dass nach euere Weiterreise wieder aufgelöst wird. Die genaue Adresse gebe ich euch noch bekannt. Es sind noch einige technische Raffinessen von spezieller nachrichtenspezifischer Natur eingebaut. Passt mir also gut auf dieses Auto auf. Zouzou, du sorgst dafür, dass die Tickets nach Algier zum ersten November gebucht werden. Bringe ihm bei, dass er für nichts mehr zu sorgen hat. Sabi Loulou wird in Marseille auf euch stoßen, aber Francesco wird erst in Marseille davon erfahren, klar? Er muss nicht über allen Bescheid wissen. Das mit dem Kongo bringt ihr ihm schonend bei. Unterschätzt mir den Jungen nicht Mädels. Er war im Krieg bei einer englischen Spezialeinheit, im Afrika-Feldzug. Der fürchtet keine Tuareg und keine Bakongo oder was sonst dort unten herum läuft, er tut nur so und redet nicht viel über sich. Vancelli ist ein „Lautlos Töter“, wie die Söldner sagen, eine Jagdspinne, eine Aranaea! Ein Grund, weshalb Wegener ihn eingestellt hat!«

Das Gespräch verstummte, und mein umnebeltes Hirn konnte zuvor keine Laute umsetzen. Das letzte Glas mit Martini von Sabi Loulou serviert, musste schlecht gewesen sein, doch ich glaubte nicht, dass Sabi Loulou, die meine ganze Verehrung besaß, und sich deren bestimmt auch bewusst war, die Martinis mit unkeuschem Zeug kreuzte, um mich nicht an gewissen Gesprächen teilnehmen zu lassen.

»Hier ist die Wohnung von Francesco«, sagte Harry.

»Ich bleibe bei ihm heute Nacht, Harry. Morgen packe ich den ganzen Trödel von mir zusammen und ziehe bei dem Francesco ein«, sagte die zauberhafte Zouzou.

»Gut Zouzou, mach es so. Ihr habt noch ein paar Wochen Zeit und könnt euch beschnuppern. Du musst noch deinen Job im Sprachlabor kündigen. Nächste Woche bekommst du die vereinbarten zwanzigtausend Schweizer Franken!«

»Es waren vierzigtausend Fränkli ausgemacht, Harry. Zwanzigtausend für mich und zwanzigtausend für Sabi Loulou, die in die spätere Zeit noch mitkommt. Wir werden die hohen Spesen haben und ich will die kleine Hotel in die Stadt von Geneve mit meiner Schwester zusammen kaufen. Mach mir nicht die Schwierigkeiten Harry, du kennst mich und die große Schwester Sabi Loulou von mich – äh - mir. Leg dich nicht mit uns an, Harry.«

»Zouzou hat recht Harry. Es waren vierzigtausend Stutz ausgemacht, und wenn du die Vereinbarung nicht einhältst, dann bekommst du Schwierigkeiten mit uns, auch wenn ich theoretisch mit dir verlobt bin. Ich nagele dich mit deinen Blumenkohlohren an das Fensterkreuz, verlasse dich darauf!«

»Zwanzigtausend bekommt ihr sofort und den Rest überweise ich auf euer Konto hier in Zürich, wenn ihr das Fahrzeug den Amis in Katanga übergeben habt, im Frühjahr, OK?«

»Gut Harry! Halte dich daran, in deinem eigenen Interesse!«

Ich lag auf meinem Sofa und hörte Zouzou Zizanie in der Küche ein kleines Liedchen trällern. Es roch nach frischem Kaffee. Die Tür zur Küche stand auf und ich blinzelte nach ihr. Sie war noch sehr jung, vielleicht zwanzig oder zweiundzwanzig Jahre, mehr nicht. In etwa wie Sabi Loulou. Die Unterhaltung in Harrys Land Rover hatte ich nur sehr schemenhaft und auch nur zum Teil verstanden und ich fragte mich, dass so junge Frauen, wie Zouzou Zizanie und Sabi Loulou, in diese Kreise geraten konnten. Sie mussten Top, sein wenn man ihnen vierzigtausend Fränkli zahlte.

»Bonjour, mon ami Francesco, mein Kaffee hat sich gebraut! Aufstehen, du fauler Pelz.« Wie sollte ich diesem charmanten Wesen nur widerstehen können, und diese Art wie sie redete. Und sie duzte mich. »Komm schon, mon cher, es gibt frische aufgebackte Croissants!«

Ich dachte, noch faul und bequem unter den Federn liegend, dass es ein Glück sei, dass Harry ihr eine belgische Flak kaufte. Mit 14-Schuß! Für mich alleine! Ich war gerührt. Groß war sie, und schöne Beine hatte sie. Wie ihre schöne Schwester Sabi Loulou. Oben herum, wie sie sagte, war nicht so viel. Da hatte sie Recht. Musste auch nicht sein. Intelligent war sie ohne Zweifel und einen Gang legte sie an den Tag wie ein Jaguar. Nicht provozierend, nein, aber doch so zielstrebig. Bevor sie einen Wüstenfuchs wie mich an das Kreuz nageln würde, würde sie bestimmt gesagt haben, mit allergrößtem Charme und süß lächelnd und mit angedeutetem Hofknicks: “Tut mir leid, mein lieber süßer Francesco, aber ich lebe nach der Evolution Theorie und das heißt für mich, dass ich aus einem wertlosen Loser einen toten Loser mache!“ Und dann würde sie mir bestimmt vierzehn Patronen aus der belgischen Zimmerflak verpasst haben. Und sicherlich Dumdum Geschosse verwand haben, oder sogar Explosivgeschosse. Aber Charisma hat sie und wie.

»Ich lege mein Haupt in deine Hände«, sagte ich laut.

»Hast du was gesagt, Frantschi?«

»Nein Zouzou, Frantschi ergibt sich seinem Karma und wird deinen Kaffee testen!«

»Pf - komischer Frantschi!«

»Zouzou Zizanie?«

»Ja - Frantschi?«

»Komm doch mal bitte!«

»Hier bin ich!«

»Wieso nennt man dich Zouzou Zizanie?«

»Zouzou Zizanie? warte mal. Es war schon immer mein Spitzname. Es war einmal eine Kindersendung in die Radio, da war ein Frosch, grün, mit einem Vichykleid in rosa/weiß und die Sendung hieß la maison de Toutou. Toutou war mal ein Hund, so sagt man bei uns so wie man hier sagt, Mieze für Katze, so sagen wir Toutou zu eine Hund. Es war lauter Stofftieren, wie Marionetten, aber mit Klamotten. So ist es! So, und jetzt zu die Erklärungen. Meine Eltern, Brüder und Schwester haben alle solche Spitzname. Daniel ist Nanou; Micheline ist Michou; Sabi ist Loulou, die kennst du ja, und Phillipe ist Pilou; Frederick ist Kickou und ich, na ja, mein Opa, der von meinem Vater sagte immer, ach die Manie mit Spitznamen in "ou"-Form und irgendwann mal war ich auf seine Schoß und er sagt zu mir "oh ma Zouzou" wie die Frosch in Toutou heißt. Du kannst dir vorstellen Frantschi, wie die alle gelacht haben und sich lustig über Opa waren. War es das?«

»Ja, Zouzou. Hast du wirklich so viele Geschwister und wie war das mit Zizanie?«

»Zizanie, es ist bei uns in Frankreich, „durcheinander, verstreut“ sein. Man sagt Zizanie zu mir, weil ich verstreut bin.«

»Du meinst „zerstreut“ sein!«

»Sage ich doch. Du wirst es noch erleben, ich bin ein verstreutes Mädchen!«

»Ein zerstreutes Mädchen - Zouzou!«

»Kannst du dir jetzt alles vorstellen?«

»Natürlich, aber verstehen tue ich jetzt gar nichts mehr.«

Zouzou Zizanie stand auf und mit strahlendem lächeln drehte sie seitwärts eines Knicks und ging wieder in die Küche um die frischen aufgetauten, ausgebackenen Croissants aus dem Backofen zu holen.

»Man muss nicht alles verstehen, mon ami.«

Ihr braunes Haar, das etwa um fünf Zentimeter ihr Genick freigab und seitlich weit über ihre Ohren hing, ließ sie dabei kräftig wehen. Ihre fast schwarzen Augen und die kerzengerade große Nase gaben ihr ein meditteranes Aussehen. Sie war eine seltsame Schönheit. Nicht wie die Mädchen auf den Glamourseiten der Schönheitsmagazine und dennoch unübersehbar und mit unwiderstehlichem Charisma. Ähnlich ihrer Schwester Sabi Loulou, doch diese schien mehr das normannische Blut der Nordwestfranzosen zu besitzen.

»Zouzou, bleibst du bei mir, bis wir abreisen?« Ich wusste, dass sie hier bleiben würde um meine Amme spielen. Aus Harrys Gespräch letzte Nacht im Auto. Soviel habe dann doch noch mitbekommen und ich spielte das Spiel mit.

»Ja, Frantschi, ich fahre noch in meine Wohnung, löse alles auf und verkaufe meine Aquarium mit Harry und Loulou.«

»Verstehe ich nicht, dass mit Harry und Loulou!«

»Das sind meine Fische, Cheri Francesco!«

»Glaubst du, dass irgendjemand in Zürich deine Heringe kauft?«

»Beleidige meine Harry und Loulou nicht! Böser Frantschi! Und dann kündige ich noch meine Job und verkaufe meinen Schlitzer.«

»Du verkaufst deinen ... was?«

»Meinen knallroten Schlitzer, den Engländer!«

»Du meinst deinen Flitzer, den englischen Sportwagen!«

Ich lag fast unter dem Tisch vor lachen und Zouzou warf mit blitzenden Augen und zornigem Gesicht die etwas zu hart gewordenen Croissants nach mir.

Wie eine Wildgewordene Imme rauschte sie zur Türe hinaus. Die Wände bebten und ich bekam einen erneuten Lachkrampf. Ich hatte meine kleine Burg wieder für mich, und legte mir eine Scheibe der Beatles auf. Ein warmes Bad braucht der Mensch, dachte ich, und ich suhlte mich im Schaume wie ein übernächtigtes Trüffelschwein. Sollten sie doch alles organisieren, es war mir auch recht. Ich mache Urlaub, dachte ich, bis zu unserem Abflug, um mich dann nach Mopti treiben zu lassen. Keine Meile weiter. Nicht nach dem Kongo, nicht nach Katanga, nur nach Mali!

Es wäre ein schöner Urlaub bis zu unserem Abflug nach Algier geworden. Wenn nicht, ja wenn nicht Willy gewesen wäre! Einige Stunden später stand sie wieder freudestrahlend in der Tür, mit Willy.

»Coucou, Frantschi, ich bin’s, ich habe meinen Willy mitgebracht!«

»Du hast was - wen?«

Ich legte das Tagesblatt zur Seite und sah Willy. Willy schaute mich mit treuherzigem Blick an und kam Schwanz wedelnd auf mich zu.

»W I L L Y ist hier«, rief vergnügt sie mir zu.

»Du hast einen eigenen Köter?«

»Willy ist keine Köter. Sie ist sehr lieb und gebadet ist sie auch! Der Hund ist eine liebe Toutou! Willy ist ein sehr großer, alter französischer Dackelherr, keine Köter! Willy ist ein Grandseigneur mit dem blauen Blut! Du gehst jetzt mit Willy zu dem Gassi. Willy liebt den Weg durch die Altstadt hinunter zu dem See. In die See lässt du Willy aber nicht schwimmen, er wird sonst zu bitter kalt. Wenn du bei Madame Berninger vorbei kommst, dann kaufe noch Nudeln ein. Ich mache eine Nudelgratin für uns drei.« Ich ging mit Willy durch die Züricher Altstadt hinunter zum See. Unterwegs rief ich Markus Helmer an, einen Kollegen aus der Agentur Wegener und verabredete mich mit ihm zum Abendessen. Ich wollte ihn ein wenig ausquetschen. Vielleicht um mehr zu Erfahren, was es mit seiner dubiosen Reise nach der portugiesischen Kolonie Guinea-Bissau auf sich hatte. Im Jahr zuvor gab es einen gnadenlosen geführten Kampf zwischen der Unabhängigkeitsfront von Amilcar Cabral gegen die Portugiesen. Nach allen Ungereimtheiten die ich letzte Nacht undeutlich vernommen hatte, war mir ein Bedarf an Information von Nöten.

Auf das Nudelgratin von Zouzou Zizanie, hatte ich keinen Appetit. Willy und ich unternahmen einen derart großen Gassi, so dass wir bei Madame Berningers Geschäft für Spezereien vor verschlossener Tür standen.

Metzger Lange hatte auch schon seinen Laden dicht gemacht und somit musste Willy auf seine herrlich eklig fetten Schweinswürste verzichten. Jedenfalls, wir hatten soviel Zeit vertrödelt, dass es sich nicht mehr lohnte nach Hause zu gehen. Ehrlich gesagt traute ich mich nicht mehr nach Hause. Keine Nudeln! Stunden zu spät! Und Zouzou Zizanie kannte ich noch zu wenig! Wer konnte schon erahnen, was sie mit uns anstellen würde, oder besser gesagt mit mir, denn was konnte Willy schon passieren? Vielleicht war sie von der Sorte Frau, wie sie in Witze beschrieben werden; hinter den Türen stehend und mit erhobener Hand Nudelhölzer schwingend.

Es war spät geworden und Willy, ich und Markus Helmer saßen nun im Restaurant Seeblick. Willy unter dem Tisch bei einer Bratwurst, die freundlicherweise von Victor dem Oberkellner spendiert wurde, und ich mit Markus Helmer bei frittierten Zucchiniblüten als Vorspeise und Bohnensalat mit mariniertem Lachs. Nicht unter dem Tisch, sondern davor! Es lebe halt doch noch der kleine Unterschied. Willy war auch so zufrieden. Ein Stück Aprikosenkuchen mit heißer Schokolade rundete die süße Angelegenheit ab.

Markus Helmer, etwa dreißig Jahre alt und wie gesagt ein Kollege von mir und Mitarbeiter der Agentur von Ullrich Wegener, war bester Laune und genoss sichtlich das von mir ausgewählte Menü.

»Einen Gruß von Heribert Pichler soll ich dir ausrichten Markus.« Stimmte zwar nicht, aber ich wollte Helmer provozieren. Vielleicht war ein Nerv bei Markus zu treffen, dachte ich.

»Heribert Pichler? Kenne ich nicht. Wer ist denn das, Francesco?«

»Na, Harry, von Harrys Pub, gegenüber der Zunft der Schneider! Du gehst am Großmünster vorbei, zum Stüssihofstatt. Ist leicht zu finden.«

Markus Helmer wurde etwas verlegen und seine Stimmbänder klangen belegt. Sein zuvor etwas käsiger Teint bekam farbliche Unterstützung und sah aus wie sein feuerrotes Haar. Als er wieder die Fassung erlangte und zu sprechen begann, gesellten sich noch die Ohren dazu und leuchteten wie überreife Erdbeeren.

»Ach so, Harry! Ja - Danke. Natürlich - Harry! Du meinst diesen Harry. Woher kennst du denn diesen Harry, Francesco?«

»Harry besorgte mir immer Equipments für meine Exkursionen. Für meinen Trip in den kanadischen Wood Buffalo National Park, bekam ich von ihm ein Kanu, ein Leckerbissen, sage ich dir. Wegener hat mir seine zweiläufige Büffelknarre dazu ausgeliehen. Mit der könntest du glatt eine ganze Elefantenherde massakrieren. Ich habe sie einem Indianerhäuptling in Alberta geschenkt, zum Geburtstag. Wegener hat ne Krise bekommen. Was ich ihm nicht erzählt habe ist, dass der Indianer auch eine Tochter hat, der Alte wollte mich mit ihr vermählen, ein wunderschönes Wild Child. “Tanzende Feder“ nannte man sie. Sie waren alle nicht sehr glücklich, als ich dankend ablehnte. Das Geschenk, eine Nacht mit Tanzender Feder nahm ich..., eigentlich geht dich das wiederum gar nichts an, Markus, jedenfalls waren alle zufrieden. Ich natürlich auch, Markus! Jaja, der Harry! Er meint es halt manchmal zu gut mit dem Equipment!«

»Ein sehr interessanter Typ dieser Harry«, meinte Markus Helmer.

»Oh ja, das ist er! Von ihm bekommst du alles was du brauchst, vom Kanu bis zum Schnellboot und von den Maschinenpistole bis zum Minenwerfer. Einsatzfahrzeuge, logistisches Gerät, Luftaufnahmen vom Kongo. Alles kannst du haben Markus. Willst du so etwas? Ich rede mal mit ihm.«

»Das musst du nicht, Francesco. Was soll ich mit diesem Unfug anfangen. Ich will keine Menschen im Busch erschrecken!«

»Du, vielleicht nicht, Markus aber es gibt ja noch gewisse Auftraggeber, die dieses Zeug brauchen können. Ich denke dabei an Zentralafrika, Belgisch Kongo oder noch präziser, an Katanga.«

»Wie kommst du mir vor, Francesco, willst du mir den Abend und das lukullische Essen verhageln?«

»Entschuldige Markus, ich wollte dir ja nur ein wenig über Harry Bescheid sagen. Du fragtest mich doch, ob ich diesen Typ kenne und ich habe dir ein wenig von ihm erzählt!«

»Du hast mich gefragt, ob ich Harry kenne, nicht umgekehrt Francesco!«

Solange Zouzou Zizanie Bergerac, erwähnte ich mit keinem Wort. Ich kannte ihren Standpunkt nicht und ich wusste auch nicht genau, welche Gemeinsamkeiten sie mit Harry dem Waffenschieber und Ex-Legionär verband.

Ich würde ihr alles verziehen haben. Auch wenn sie mit einem Granatwerfer in der Hand einen afrikanischen Präsidentenpalast knacken würde. Dass meine heimliche Liebe Sabi Loulou mit so einer windigen Knackwurst wie Harry zusammenlebte, verzieh ich meiner Sabi Loulou selbstverständlich auch.

Markus Helmer erzählte mir noch einige belanglose Dinge und dann verabschiedeten wir uns. Ich ging mit Willy durch die nicht sehr gut beleuchteten Gassen der Altstadt nach Hause. In Gedanken war ich wieder bei Zouzou und stellte mir vor, wie sie in meinen zweimal zwei Quadratmeterbetten lag und zufrieden schnarchte.

Bei unserem gemeinsamen Nachhause gehen, dachte ich an meine Zeit in Ägypten. Ägypten vor zwanzig Jahren! Seltsam, dachte ich, da gehst du mit Helmer zum Essen, legst ihm Fußangeln, scheiterst fast, lasse Willy an jede Laterne pinkeln und mir fiel das schöne Ägypten ein. Kein Resümee aus Helmers Verhalten? Nein, nur Ägypten! Auf dem Nachhauseweg träumte ich vor mich hin.

Erinnerungen an Ägypten im Sommer 1942.

Alexandrien war eine bezaubernde Stadt und der Königliche Jachtclub setzte sein Tüpfelchen oben auf mit all den schönen und eleganten Damen mit ihren reichen alten Herren und den Jachten auf dem blauen Mittelmeer.

Besonders schön war es, wenn überall in der Welt Bomben explodierten und ich an einem heißen Augustnachmittag des Jahres 1942 im kühlen Schatten saß und mein geeistes Bier schlürfte. Die verrückten Engländer tranken es warm. Ich schrieb für ein englisches Wochen-Magazin Berichte über ihre glorreiche Armee oder besser, über das glückliche Leben ihrer Offiziere und deren Gattinnen in der Etappe, weitab von dem Gemetzel in der Libyschen Wüste. Ich erhielt durch diese kleinen Gefälligkeiten das Entree in die bessere Gesellschaft, die allesamt auch einmal in Matt Wolters Magazin erwähnt sein wollten. Zu Ostern brachte mich mein Flieger von London nach Kairo. Just zur Zeit des beginnenden Frühlingsfest „Schamm al Nassim“, welches als "Das Riechen der frischen Luft" übersetzt werden kann und das Muslime und Christen am Ostermontag beginnen. Unzählige Menschen, ich war sicher das sogar alle Ägypter auf den Beinen waren um an diesem größten Feiertag der Ägypter mit ihren Verwandten und Freunden ins Grüne zu spazieren und Picknicks veranstalteten.

Die Ufer des Nils, die Parkanlagen, der Zoologische Garten und das Pyramidenplateau von Gizeh waren überfüllt von sich drängenden Menschen und ich befand mich inmitten dieser glücklichen Masse. Frauen küssten mich auf offener Straße und glückselig beduselte Männer reichten mir hart gekochte Eier, grüne Zwiebeln und "Fissih", gesalzene und gepökelte Fische.

Die Engländer warnten mich vor dem Genus von "Fissih", denn die hiesigen Händler besäßen nicht den geringsten Skrupel auch Fische aus den Abwässerkanälen zu verkaufen, um den ungeheueren Bedarf an Fissih zu decken. Ich verspeiste sie dennoch kiloweise und begab mich zur Folge abends in ein gewisses Gemach, um mich dem Wirken meiner Innereien hinzubegeben. Es waren die Zwiebeln und nicht die Fische, dessen war ich mir ganz sicher.

Ein wunderbares Fest, dieses „Schamm al Nassim“. Inmitten dieser sympathischen Ägypter, und oft genug wünschte ich mir dass es nie enden sollte. Selbst die Zeit danach kann ich nur als "Jung, Frei, Glücklich und Vollgefressen" bezeichnen und wie so oft im Leben den Mensch schneller degeneriert lässt; schneller als es ihm lieb ist. Überdrüssig des süßen Nichtstun und auf der Suche nach Abwechslung, stürzt sich ein auf solche Art Degenerierter in äußerst zweifelhafte Abenteuer. Mir ist es jedenfalls so ergangen.

Am 22 . August 1942 sprach mich Oberst John Haselden, Chef der Long Range Desert Group im Jachtclub von Alexandrien an und offerierte mir die Teilnahme an einem kleinen Wüstenritt gegen Rommel.

Ich sollte nur pressetaugliche Berichte mit Fotos erstellen, für die High Society von Alexandrien. Zu jener Zeit war ich satt bis Unterkante Oberlippe, und konnte elegante Damen mit ihren reichen, alten Knackern und die schniegligen Etappen-Offiziere nicht mehr sehen. Ich sagte zu und die Boys der Long Range Desert Group verpassten mir eine Ausbildung im Wüstenkampf, der sich gewaschen hatte. Ich lernte wie man mit Dolch und Drahtschlinge tötet. Wie man Warane fängt und frisst, und wie man aus eigenem Urin einen köstlichen durstlöschenden Cocktail zubereitet. Nach drei Wochen Ausbildung sehnte ich mich wieder zurück zu den exquisite duftenden Damen von Alexandrien und meinem geeisten Bier. Pressetaugliche Berichte mit Fotos wollte kein Aas. Sie nahmen meinen Schweizer Pass in Verwahrung, und gaben mir dafür ein englisches Soldbuch mit dem intelligenten Namen John Walker. Ich habe es den Engländer bis zum heutigen Tag nicht verziehen, ich meine das mit dem John Walker.

Gemeinsam mit der Long Range Deserts Group erlebte ich am 14. September 1942 bei dem Unternehmen "Agreement" in Tobruk eine Katastrophe ohne Maße. Wir fuhren mit 90 Mann auf Lastwagen von Kairo zunächst nach Süden, dem Nil entlang bis Assiut. Vorbei an der Oase Charga zum Kebir Plateau, weit im Süden Ägyptens. Hier befand sich an der Grenze zu Libyen ein englisches Benzinlager. Von da an fuhren wir in nördliche Richtung. Vorbei an den Oasen von Kufra und Gialo bis nach Tobruk. Oberst Haselden versprach mir einen kleinen Wüstenritt gegen Rommel. Ich hatte ihn auf unserer 2500 Kilometer langen Geisterfahrt durch die Wüste nicht gesehen, den Herrn Feldmarschall Rommel; nur Sand und Dreck, Hunger und Durst, Hitze und Kälte, Läuse und Sandflöhe.

Am Nachmittag des 14. September war alles vorbei. Tobruk lag weit hinter der Kampflinie und es war uns nicht gelungen, ein Brückenkopf zu bilden.

Dutzende abgeschossene britische Bomber. Der Zerstörer "Sikh" mit Schlagseite vor der Küste. Der Zerstörer "Zulu" wurde versenkt. Oberst Haselden und 84 Mann der Long Range Desert Group lagen zerschossen, zerrissen von MP-Salven und Handgranaten in einer kleinen Bucht. Mit vier überlebenden Soldaten der Group zogen wir uns aus der Stadt zurück und erreichten einen Djebel, einen kleineren Berg, vor Tobruk. Dort gerieten wir in eine italienische Lazarettanlage, und glaubten in einem Militärlager zu sein. Wir schossen in unserer Panik auf alles was Beine hatte.

Als wir erkannten, das wir Verwundete massakrierten, rannten wir wie von Furien gehetzt in die Wüste.

Wir geisterten vier Wochen durch die Libysche Wüste. Eine Patrouille aus Jock Campbells Kampfkolonne, die von einem Partisaneneinsatz gegen deutsche Nachschubwege zurückkam, brachte uns zu den Kufra-Oasen, in Sicherheit. Das Oberkommando in Alexandrien wollte unser Desaster nicht publizieren. Aus diesem Grund, schrieb ich auch keinen Bericht an meinen Auftraggeber in London.

***

Ich hing meinen Erinnerungen nach und wie automatisch bewegten sich meine Beine. Nichts um mich herum nahm ich wahr und erst kurz vor Erreichen meines Zuhauses wurde ich mir wieder meiner Realität bewusst. Ein Traum von Realität im Vergleich zu meinen Erinnerungen, die einmal grausige Realität war.

»Willy, wir haben es geschafft, wir sind zu Hause! Trinken wir beide noch ein Gläschen miteinander? Zouzou schläft bestimmt schon. Willy, ich mache uns noch ein Fläschchen auf.«

Toutou Willy, französischer Grandseigneur mit dem blauen Blut gab mir keine Antwort, und ich schlich auf Zehenspitzen in das Schlafzimmer. Zouzou Zizanie schlief fest und atmete ruhig. Ihre Bettdecke war verrutscht.

Sie trug nur ein wunderschönes, verziertes Kettchen aus Silber, das nach Art und filigraner Verarbeitung auf arabische Handwerkskunst schließen ließ. Diese Arbeiten vollbrachten nur die Meister in den arabischen Souks. Ein Silberkettchen, das sie um ihre Taille anlegte. Zouzou schien mir volles Vertrauen zu schenken, denn sie ließ die Schlafzimmertür geöffnet. Sie fühlte sich bei mir mopsig wie ein Tiger im Hasenkäfig, und nahm bedenkenlos mein Schlafzimmer in Anspruch, und ich tat nichts was dieses Vertrauen gefährden konnte.

Ich deckte sie wieder richtig zu und streichelte ihr über den Kopf, was sie leise grunzend quittierte und verließ danach wieder das Schlafzimmer. Wie ein kleines Kind lag sie in ihrem, meinem Bett. Danach begab mich in mein Arbeitszimmer und kramte in meinem Archiv nach Zeitungen und Magazinen, die in den vorangegangenen fünf Jahren über die Wirrungen in Afrika berichteten. Ich las alle Nachrichten und Kommentare über gewisse Aktivitäten von irgendwelchen Söldnern. Ich hoffte etwas über Markus Helmer in Erfahrung zu bringen. Harry, wie ich wusste, war 1954 in Indochina und danach in Algerien als Fremdenlegionär der Franzosen aktiv, und kam als Söldner, der sich irgendwo in Schwarz Afrika die Hände besudelte, weniger in Betracht. Harry lernte schnell und wusste wahrscheinlich, dass man als Söldner und Kanonenfutter nur ewiger Verlierer ist. Er widmete sich nach seiner Tätigkeit als Söldner, dem internationalen Waffenhandel und verdiente sich eine goldene Nase in diesem Geschäft. Er lebte nach außen hin dennoch nicht aufwendiger, als ein gewöhnlicher Gastwirt. Markus Helmer, obwohl gelernter Journalist, war um einige IQ ärmer als Heribert Pichler.

Mittlerweile war es schon zwei Uhr nachts geworden, als Zouzou in mein Arbeitszimmer kam. Ich las den Leitartikel einer englischen Zeitung vom 15. März 1963 über Guinea - Bissau.

Mit Anfang des Jahres 1962 begann ein Guerillakrieg in der portugiesischen Kolonie Guinea-Bissau in Westafrika, der von der PAIGC - Partido Africano da Independencia de Guinea` Bissao e Cabo Verde - gegen die Portugiesen im Lande geführt wurde. Ihr Anführer ist Amilcar Cabral. Trotz militärischer Überlegenheit Portugals kontrolliert die Befreiungsfront PAIGC einen großen Teil des Gebietes."

Eine Fotografie zeigte ein Flugzeug der SAS Fluggesellschaft auf dem Flughafen von Bissau. Amilcar Cabral stand auf der Gangway. Eine große Menschenmenge befand sich am Ende

der Gangway. In dieser Menge konnte ich eine Gruppe von Europäern ausfindig machen und in dieser Gruppe sah ich Markus Helmer.

»Frantschi, was machst du um diese gottlose Uhrzeit?«, sie sagte es müde und kuschelte sich fröstelnd in das fast durchsichtige lange Nachtkleid. Sehr viel verdeckte dieser Hauch an Stoff nicht und ich versuchte krampfhaft, nicht nach ihr zu sehen. Es gelang mir aber nicht so recht, denn ihr arabisches Silberkettchen, welches sie um den Bauch trug, strahlte mich fast unverschämt an.

»Ich blättere nach gottlosen Söldnern, Zouzou!«

»Hast du welche gefunden?«

»Ich weiß es noch nicht. Hier ist ein Bericht über Guinea-Bissau mit einer Fotografie von Amilcar Cabral. Markus Helmer, mein Kollege ist auch mit drauf. Was hältst du davon, Zouzou?«

»Gar nichts, sag mir lieber ob du noch Milch im Kühlschrank hast und du schleichst dich auch nicht nachts in meinem Schlafzimmer herum. Ich mag nicht, wenn du mich spionierst und heimlich streichelst!«

»Wie sich das anhört Zouzou, „heimlich streichelst“, als wenn ich ein alter Lustbock wäre! Ich habe dich nur richtig zugedeckt, auf deinen Bauch mit Silberkettchen geklotzt und ein wenig über dein Haar gestrichelt.«

»Du kennst meinen Standpunkt, Frantschi. Du spionierst mich nicht und du machst keinen Strich über meine Frisur! d'accord? Und nach dem Bauch glotzen tust du auch nicht! Jawohl, mein Herr! Vielleicht später, wenn ich will, und ob ich später will kann ich jetzt noch nicht sagen, Monsieur.«

»Qui, gnädige Mamsell, gehen Sie eine Milch trinken und träumen sie weiter. Ich steige mit Willy, dem französischen Grandseigneur in die Hängematte und lege mich links und ein wenig in die Mitte, und Willy bekommt die rechte Seite. Ihren Willy werde ich nicht abknutschen, weil er so arg haarig ums Maul ist.«

»Frantschi«, sagte sie sanft, »sei nicht so böse. Ich habe dich doch lieb. Ich will ja nur, dass du meine Hirn liebst, und nicht die Körper von mir, weil ich auch nicht soviel Obenherum habe.«

»Was glaubst du Zouzou, warum ich dein Haar streichelte? - doch nur weil ich dein Gehirn verehre! Andere Männer hätten was anderes gestreichelt!«

»Frantschi, du bist eine große Filou und eine große Kindskopf! Ich bin erst zwanzig Jahre und ein paar Jahre dazu und ich denke wie eine vierzigjährige Madame, und du bist vierzig und denkst wie eine zwanzigjährige!«

»Ich wünsche Ihnen eine Gute Nacht, Grand-mère.«

Für Zouzou war das nächtliche Gespräch zu ende und sie ging in das Schlafzimmer. Ich hörte sie noch ein wenig Grummeln. Unverständlich für mich. Ich spendierte mir ein Glas Cognac, und während ich mein Glas füllte, überlegte ich, was Markus Helmer in Guinea-Bissau zu suchen hatte. Welche Rolle spielte Zouzou Zizanie? Weshalb sagte Harry damals im Pub zu mir: „Wir brauchen sie noch im Kongo. Wir leihen sie dir nur aus!“ Oder später in seinem Land Rover, als er zu Sabi Loulou und Zouzou sagte: „Die Sache im Kongo läuft im Frühjahr an.“

Was musste sie tun oder besser, was musste sie noch tun, um ihre vereinbarten vierzigtausend Franken zu bekommen? Für welche unbekannte Schweinerei war ich die beste Tarnung? - nur für Mali oder auch für den Kongo? Von Zouzou war im Moment keine befriedigende Antwort zu erhalten. Unsere Wellenlänge war gestört.

Es war Mitte September und bis zum Beginn der Abreise im November hatten wir noch genug Zeit, um uns aneinander zu gewöhnen. Ich wollte Zouzou auf gar keinen Fall verlieren.

Ich sagte mir: Fahre mit ihr zusammen nach Mali und spule deinen Auftrag ab, schreibe einen schönen Reisebericht, und ob je einer mit diesem Know How nach Mopti reist, soll mir auch egal sein.

Ich unterbrach meine Recherchen und beschloss meinen ehemaligen Schulfreund in Genf, Jean Knöpfler zu besuchen. Jean war in Genf Kommandant eines Pionier-Bataillons. Manchesmal schon war ich bei ihm in Klausur, wie wir es nannten, und ich durfte für die Dauer von zwei Wochen in seiner Kaserne leben. Jean wusste von meinen Einsatz bei der Long Range Desert Group in der Libyschen Wüste im Afrika Krieg. Er war der einzige, dem ich es erzählte. Seltsam war nur, dass Harry auch davon wusste, er erwähnte es jedenfalls als er mich abends mit Sabi Loulou und Zouzou im Land Rover nach Hause brachte. Wegener wusste es ebenso.

Jean war von dieser Gruppe, den Long Range Deserts, derart begeistert, dass ich ihm helfen musste, in seinem Bataillon eine Gruppe in diesem Stil zu installieren. Die Einheit, zwölf Mann stark, war vollauf begeistert über diese Abwechslung obwohl sie wussten, dass das Schweizer Militär niemals ihren Einsatz in Erwägung ziehen würde. Es war einfach ein kleines Bonbon im eintönigen Soldatenalltag.

In meinen Klausurwochen schloss ich mich der Einheit an, bekam ihre Kleidung und benutzte ihre Unterkunft und tat einiges für meine persönliche Fitness. Bei den Jungs und meinem Freund Jean Knöpfler war ich immer ein willkommener Gast. Ich telefonierte nach Genf und kündigte meinen Besuch an.

Mittlerweile war sechs Uhr morgens geworden und ich hatte keinen Schlaf gefunden. Ich nahm noch ein heißes Bad und richtete meine Utensilien zusammen. Danach schrieb ich Zouzou noch einen kleinen Zettel, mit dem Inhalt, dass ich für zwei Wochen auf Tauchstation ginge. Wohin schrieb ich ihr nicht. Weiter schrieb ich noch, dass ich Willy auch mitnehme und sie sich um den fahrbaren Panzer kümmern möge, den wir in Algerien übernehmen sollen. Ich bestellte mir ein Taxi und fuhr zum Hauptbahnhof und nahm die Eisenbahn nach Nyon, am Genfer See gelegen.

Nyon, am Genfer See.

Jean Knöpfler und seine Frau Janine erwarteten mich am Bahnhof von Nyon, am Genfer See. Das Wiedersehen mit den beiden tat richtig gut und war mehr als herzlich. Sie freuten sich aufrichtig auf meinen Besuch und Janine protestierte heftig als sie erfuhr, dass ich in der grässlichen Kaserne von Jean Quartier nehmen wollte. Ihr Haus hätte genügend Platz um mich für lange Zeit zu ertragen, wie sie schmunzelnd meinte. Wenigstens das gemeinsame Wochenende in ihrem Hause, musste ich Janine versprechen. Jean unterstützte sie dabei kräftig. Ich konnte natürlich nicht nein sagen, allein schon wegen Janine' exquisiten Kochkünsten. Und um einiges mehr! Das Anwesen der beiden war im Stil eines italienischen Herrenhauses erbaut und befand sich in einer etwas abgeschiedenen Lage direkt am Ufer zum Genfer See. Im Hintergrund sieht man die Berge der Französischen Jura und von der Terrasse aus über den See hinweg, die Berge der Chablais. Sie kauften dieses alte Herrenhaus in arg ramponierten Zustand und renovierten es mit liebevoller Hand. Es wurde ein wahres Kleinod. Jean wollte an diesem späten Nachmittag in seinem Arbeitszimmer noch einige Arbeiten erledigen, um dann den Abend gemeinsam in einem Restaurant zu verbringen. Die Küche sollte für Janine zur Erleichterungen kalt bleiben. Bis es soweit war, spazierten Janine und ich durch ihren kleinen angelegten Park hinunter zum See.

Janine kuschelte sich in meinem Arm und wir gingen wie ein altes, aber noch immer ineinander verliebtes Ehepaar durch die engen Pfade. Wir redeten über alles, was uns so in den Sinn kam und waren total ausgelassen.

»Francesco, warum bist du eigentlich noch nicht unter der Haube, du warst doch einmal verheiratet mit dieser - na, wie heißt sie denn noch gleich? Und verlobt warst du doch auch schon mal, oder?«

»Mit Bijou war ich ein halbes Jahr verheiratet aber dann ist sie mit einem Algerier durchgebrannt. Mit Chiara war ich verlobt. Sie hat jetzt Bambinos mit einem Italiener.«

»Jaja, Chiara - fünf Jahre verlobt. Das bringst auch nur du fertig. Filou! Tut sich wieder etwas Neues in diese Richtung und deine liebe Janine weiß noch nichts davon?« Sie sagte es sehr keck, und zog schmollend ihren tiefroten Kirschmund zusammen. Ich tätschelte ihre Wange.

»Du bist die erste, Janine, die etwas von meinem Liebesleben erfährt, dass weißt du doch! Seit ich dich das erste Mal sah, da gab es einen Knacks bei mir und seit dem kann ich keine andere mehr lieben, das verstehst du doch, oder?«

Janine gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf und meinte lachend, dass ich noch immer der alte Gauner sei.

»Chiara war es leid, dass ich immer irgendwo in der Welt unterwegs war. Sie lebt heute in Lugano und ist mit einem Italiener verheiratet. Die beiden sind glücklich miteinander, und Nachwuchs wird sich demnächst einstellen, wie sie mir neulich am Telefon versicherte. Wir sprechen öfters telefonisch miteinander. Ihr Mann findet das schon in Ordnung und toleriert es. Ich bin ja auch ein feiner Junge, nicht wahr?«

»Ja, dass bist du, Francesco!«

Janine sagte es in voller Überzeugung, gab mir einen Kuss und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ein Vollblutweib. Etwa ein Meter und fünfundsechzig Zentimeter groß mit rabenschwarzen Haaren und Glutaugen. Die Proportionen ihres Körpers waren perfekt aufgeteilt und ihr Gesicht zeigt die Mimik einer mit dem Leben zufriedenen Frau von fast vierzig Jahren. Jugendlich schön beim Lachen und abgeklärter Reife in Diskussionen. Mein Freund Jean hat einen Glücksgriff mit Janine getan.

Es gab ein großes Hallo, als ich mit Jean in die Kaserne kam und die Boys seiner Ranger - Truppe begrüßte. Seine junge Truppe bestand aus Berufssoldaten und Portepeeträger. Sie hatten sich für die Dauer meines Aufenthalts ein Programm erstellt und wollten gemeinsam mit mir im Vallée de Joux eine Panzersperre im Stil der Rommel'schen Teufelgärten errichten, jedoch nur mit Übungsminen. Aus Beutezüge meiner Afrikazeit mit den Long Range Desserts, besaß ich die erforderlichen Pläne dazu, die ich früher einmal Jean vermachte. Wir errichteten uns ein Camp am Lac de Joux, und saßen abends müde und doch glücklich am Lagerfeuer. Natürlich konnten wir keine Wüsteneinsätze simulieren, aber die Effizienz kleiner Einsatzgruppen durch Störmanöver wurde mit unseren Übungen aufgezeigt.

Ich zeigte den Jungs, wie man verlustreiche Nahkämpfe im Häuserkampf vermeidet und stattdessen wie in vermeintlich fluchtartig verlassenen Häusern, die Raffiniertesten Fallen für den Angreifer zu installieren seien. Die Briten waren darin Weltmeister und noch etwas ideenfindiger als Rommels "Brandenburger", und diese Truppe war schon nicht von Pappe. Ich ging mit Jean am Seeufer spazieren, während die Männer im Camp sich um den angelegten Grillplatz scharten, um ein Spanferkel grillen. Ich erzählte Jean von meinem neuen Auftrag mit all den dubiosen Hintergründen.

Von Harry Pichler und Markus Helmer, selbst Sabi Loulou und Solange "Zouzou" Bergerac sparte ich nicht aus. Jean hörte mir äußerst aufmerksam zu.

Als ich die Kongoaktivitäten dieser Gruppe erwähnte, und ihn um seinen Rat bat, war Jean nicht mehr zu bremsen und erzählte munter drauf los.

»Francesco, ich habe einen Freund bei dem französischen Geheimdienst SDECE. Mit dem CIA, und dem britischen SIS können es die SDECE - Leute nicht so recht. Bei Henry Lefebre darf man dieses Gesindel, wie er meint, nicht erwähnen. Und schon gar nicht im Zusammenhang mit irgendwelchen Afrikageschehnissen. Seit dem Algerien-Desaster sind die Frösche hypersensibel und stink-sauer. Erst Indochina und dann Algerien und jetzt die Missachtung der Weltmächte gegenüber den französischen Interessen in Afrika. Sie haben das Gefühl, als würden alle glauben, sie seien die größten Versager. Die Amerikaner und Briten bestärken sie darin noch. Dabei funktioniert kein Geheimdienst in Zentralafrika so exzellent wie das französische SDECE. Die UNO verhinderte die Trennung Katanga vom Zentralstaat ohne die Franzosen. Die sitzen im Norden und dürfen sich mit den von den Kommunisten unterstützten Simbas herumschlagen. Ein undankbarer Job. Die Briten halten sich zurück und lassen sich von dem Südafrikaner Hoare vertreten, dessen Söldner erfolgreich alles massakrieren was nicht schnell genug in den Busch kommt. Zu allem Überfluss zeigt Hoare richtige Ambitionen um den Simbas die kommunistischen Flöhe aus dem Pelz jagen zu wollen. Er glaubt die Franzosen seien unfähig für diesen Job. Die Deutschen Söldner unter Hauptmann Siegfried Müller, führten sich auf als wären sie in Papua bei den Kopfgeldjägern und montierten die Totenschädel, gefallener Simbas auf die Kühlerhauben ihrer Jeeps. Und jetzt kommt der Hammer, Francesco. Der amerikanische CIA und die Briten wollen Tschombe aus dem Exil holen, und ihn mit weißen Söldnern an die Macht bringen. Tschombe soll Ministerpräsident eines vereinigten Staates Kongo werden. Die Belgier geben militärische Unterstützung und Frankreich wird ignoriert, obwohl diese die leichten Panhard Panzer zu Verfügung stellen. Der Söldnerführer Bob Denard wartet mit seinen Katanga - Soldaten in Angola auf die Rückkehr Tschombes und wird dann verstärkt mit weißen Söldnern in den Kongo einmarschieren. Oberst Trinkquir rekrutiert zurzeit Söldner, französische Söldner, die er ebenfalls nach Katanga entsendet.«

Jean schien mir mit einem Male äußerst suspekt. Wer gab diesen Gemütsmenschen nur diese brisanten Informationen? Doch nur, wenn er selbst bis zur Nasenspitze in dieser Sache mit involviert war.

»Jean, um alles in der Welt, woher hast du diese Informationen und wer sind alle diese Menschen? das ist ja gruslig.«

Jean wirkte mit einem Male sehr zugeknöpft. Ich spürte seinen Unmut, und dass er sich selbst ärgerte, weil er sich mir gegenüber derart gehen ließ. Danach war endgültige Funkstille bei Jean, und kein Wort fiel mehr über irgendwelche Afrikaschweinereien der Großmächte aus Ost und West. Ich versuchte mehrmals das Gespräch in Bewegung zu bringen, doch weder die Schiene Afrika noch die der üblichen Konversation konnten unsere Beziehung stabilisieren. Nach vierzehn Tage packte ich meine wenigen Habseligkeiten zusammen und verabschiedete mich von Jean und seinen Rangers. Jean reiste danach im Auftrage seiner Dienststelle für einige Tage nach Bern und ich plante mit seinem Einverständnis einen Zwischenhalt in Nyon, um mich von Janine zu verabschieden.

Es war ein sehr warmer Spätsommernachmittag, und Janine und ich saßen in ihrem parkähnlichen Garten und schlürften Martinis mit Eis und Zitrone. Janine räkelte sich in ihrer Gartenliege und fühlte sich wie eine satte Miezekatze. Ich lag im Gras zu ihren Füßen, und lehnte meinen Rücken an ihren Liegestuhl. Ich erzählte ihr alles, was mir Jean in seinem Übereifer berichtete. Auch meine Erlebnisse in Zürich mit Harry, Markus Helmer, Sabi Loulou und Zouzou. Nichts ließ ich aus, und sie wurde seltsamerweise sichtlich vergnügter.

»Du siehst müde aus«, sagte Janine, »bist du in Zouzou verliebt, Francesco?«

»Was hat das eine mit dem anderen zu tun Janine? Ein komischer Zusammenhang! Das mit Zouzou kann man so nicht stehen lassen, Janine. Sie hat eine Art, die findet man nicht alle Tage. Sie besitzt ein unglaubliches Charisma und einen unwiderstehlichen Charme.«

»Du bist also doch in Zouzou verliebt. Besitze ich auch diese unfassbare Aura, Frantschi?«

»Sei nicht so neugierig. Neugier ist Minderwertig! Außerdem, wieso nennst du mich Frantschi? So nennt mich Zouzou auch, Janine. Wieso nennst du mich auch Frantschi?«

»Darf ich das nicht, Frantschiiee? Ich liebe dich doch auch! Du bist so klug und so lieb zärtlich, ein Traum von Mann. Was hältst du von ihrer Schwester Sabi Loulou, liebst du sie auch? Ein Prachtstück von Frau, habe ich recht, Frantschi? Und damit du es nur weißt, ich bin grundsätzlich nicht neugierig, sondern nur interessiert, sonst nichts!«

»Janine, hör auf mit deinen Zehen mir im Gesicht zu fummeln!«

»Riechen sie nicht gut lieber, Frantschi?«

»Doch, natürlich riechen sie gut. Du riechst immer gut, Janine. Deine Füße riechen wie die Blüten der brasilianischen Engelstrompete!«

»Hast du schon was mit Zouzou und Sabi Loulou gehabt?«

»Wie? Bist du schon wieder interessiert?«

»Stell dich nicht so dämlich an Frantschi, warst du mit ihnen im Bett?«

»Nein, ich habe es vielleicht auch nicht vor!«

»Du bist ein guter Junge, bist deiner Janine treu.«

»Muss ich das, Schnurzi? Nein, ich muss nicht! Du hättest mich haben können, aber du hast mein Flehen nicht erhört. Im Gegenteil, du hast mich schnöde abserviert und stattdessen meinen Freund Jean die Ehre gegeben. Haben dich meine heißen Tränen vor Jahren nicht gerührt? Warum Jean und nicht Vancelli? War ich damals nicht schön wie ein Veilchen? Nur weil Jean reich war und ich nicht!«

»Francesco Vancelli, wenn diese ganze Aktion beendet ist, werde ich meinen Mann Jean verlassen und dich heiraten. Versprochen.«

»Jetzt will ich dich auch nicht mehr, Knöpfler.«

Laut lachend glitt sie schlangenartig von ihrer Gartenliege und wie ein Stubentiger kam sie auf allen Viere auf mich zu. Ihr kirschroter Mund kam immer näher und ich konnte ihren guten Atem riechen, der aus einer verführerischen Mischung Martini, Zigaretten und von Ingwer in ihrem Lippenstift bestand. Sie drückte mich zu Boden, auf den Rasen, beugte sich über mich und küsste mich voller Leidenschaft.

Nach einer Weile gingen wir in ihr Haus und dabei hielt sie fest meine Hand und einige Zeit später lagen wir auf dem Diwan in ihrem Kaminzimmer und rauchten Zigaretten. Janine schnurrte und kuschelte sich fest an mich.

»Weißt du, dass ich eine geborene Rachmanikoff aus Kiew bin?«

»Du bist Russin?«

»Nein, Kiew ist in der Ukraine, Dummkopf!«

»Bist du dann Ukrainerin oder wie sagt man dazu? Bist du auch eine Agentin des KGB?«

Den letzten Satz sagte ich so einfach belanglos vor mich hin, ohne auch nur ernsthaft daran zu denken, dass Janine in diese Richtung tätig sein könnte. Janine lachte laut auf und fummelt amüsiert in meinem Gesicht herum. Wie ein kleines Kind sprang sie auf mich und benutzt meinen armen Bauch als Trampolin. Mir blieb fast die Puste aus und ich konnte mir nur noch mit einer Rolle abwärts vom Diwan helfen. Ich lag auf dem Fußboden und sie saß auf meiner Brust und hielt mit unheimlicher Kraft meine Arme seitwärts fest. Ihr Gesicht glühte und kam mir immer näher.

»Ich bin Janine Rachmanikoff aus Kiew. Kiew ist in der Ukraine und ich bin Agentin des KGB. Wiederhole es, Frantschi!«

Die ersten Worte sagte sie in einem zart gehauchten Mezzo Sopran, um danach einem verführerischen Alt zu weichen. Das letzte Wort “Frantschi“ drückte sie mit weichen Lippen auf meinen Mund, als sollte es in die letzten Winkel meines Inneren gelangen.

»Ich kann nicht mehr sprechen und ich krieg keine Luft...Rachmanikoff, du Kommunist!«

»Wer bin ich?«

Gefährlich leise wurde ihre Stimme und in ihren Augen war ein flammendes Blitzen zu sehen, als würden tausende Leoniden gleichzeitig in die Erdatmosphäre eintauchen und durch Verglühen für kurze Zeit aufleuchten.

»Du bist Janine aus Kommunististan und...«

»Wer? Von wo?«

»Rachmanikoff … aus ... hör … auf … zu … spucken … «

»Lauter, ich höre nichts!«

»Du Bolschewist, ich kann nicht, du drückst mir die Luft ab! Janine, die Nachbarn hören dich! Sie werden glauben, du gibst mir die Peitsche.«

»Na und! - Du liebst deine Janine?«

»Ja! Nur dich alleine für alle Zeiten, jetzt und immerzu und geh von meinem Bauch runter mir ist es schon ganz schlecht im Magen!«

»Du berichtest mir alles, was du bei deiner Mali-Reise erlebst?«

»Ja!«

»Und du machst mir ein Kind?«

»Nein! Aua – Ja, mach ich!«

»Und du gehst nicht mit Zouzou und Sabi Loulou ins Bett? Und heiratest mich, wenn du wieder kommst?«

»Ja! – Nein! Ich meine, ich - Aua Janine, ich bin doch auf Urlaub hier und sollte mich erholen!«

Janine ließ von mir ab, rollte sich zur Seite und lag atemlos neben mir. Eine herrliche Frau und Gattin meines Freundes Jean, und ich sollte mich schämen, doch dieses Gefühl bekam nicht die Zeit, um sich zu entwickeln. Ich liebte sie und außerdem, wie ich mir zu meiner eigenen Rechtfertigung immer sagte, teilten die Bolschewisten ja doch alles fein brüderlich.

»Mein zarter Francesco, jetzt werde ich dich in alles einweihen. Ich bin tatsächlich Agentin des KGB.«

»Na, das passt ja prima! KGB Agentin und Bolschewist mit Jaguar E Coupe und 12 Zylinder Luxuslimousine. In deinem Safe befinden sich Stimmrechte der Diamantenbörse von Brüssel und der Metallbörse von London. Ich bin mir sicher, dass du auch noch Großaktionärin bei der amerikanischen United Fruit Company bist und arme mexikanische Tomatenpflanzer beklaut! Weiß Jean eigentlich, was du so treibst?«

»Jean weiß es nicht, nur du alleine weißt es jetzt und sonst niemand. Ich leite das KGB Büro Genf! Jean ist nebenbei Agent des amerikanischen CIA und Helmer und Ullrich Wegener dein Chef, sowie alle seine Mitarbeiter. Alles CIA Leute! Nur Francesco Maria Vancelli, der einsame blauäugige Cowboy inmitten der Ratten, weiß von nichts, arbeitet für niemanden, glaubt noch an die Spazierfahrt nach Mali und dabei arbeitet die Agentur Wegener für alle Geheimdienste dieser Welt, wenn es nur Geld bringt.«

»Ich habe braune Augen, Janine, wenn du das noch nicht bemerkt haben solltest. Nicht blau! Und jetzt willst du mir das Nirwana des KGB vorsülzen, stimmst oder habe ich recht? Du machst das doch auch nur für harte Dollars Rachmanikoff oder willst du mir flüstern, dass du das alles als überzeugte Komsomolzin tust? Du bist doch auch nicht besser, als Wegener und alle die anderen geldgeilen Dreckspatzen.«

»Nein Frantschi, ich war und bin noch nie eine Kommunistin gewesen. Du kennst ja auch die Staatslehre der griechischen Sophisten, deren theoretische Begründung auf der Beseitigung des Privateigentums und der dadurch verursachten Ungerechtigkeit beruht. Ein Naturzustand, in dem alle das gleiche Recht auf alles gehabt hätten. Eine theoretische Begründung und solange es Menschen gibt eine niemals zu verwirklichende Utopie. Wir sind eben Fleischfressende Tiere und es gibt eben nicht genügend Filetstücke für alle. Die Sowjetunion ist eine imperialistische Großmacht mit pseudo-kommunistischem Deckmantel und keinen Deut besser, als dieses kapitalistische Amerika oder das koloniale Europa. Alle sind sie nur auf die Filetstücke in Afrika aus. Gold, Diamanten, Erze, Kupfer, Uran, Öl, Gas und dabei ersticken beide doch selbst in ihren eigenen Rohstoffen.«

»Die Sowjetunion wird getreu ihrer kommunistischen Maxime, den wahren Kommunismus in Afrika verbreiten wollen. Vielleicht realisieren sie das, was ihnen in ihrem eigenen Land nicht gelungen ist!«

»Hast du sie nicht mehr alle Frantschi? Bist du verrückt geworden oder willst du dein Luxusweibchen verarschen? Hör auf zu grinsen, du wüster Mensch. Wer war Lumumba?«

»Der Kommunist Lumumba war der erste Ministerpräsident des unabhängigen Kongo, Frau Lehrerin!«

»Wer hat ihn ermorden lassen, Frantschi?«

»Die Amerikaner, weil sie von ihm nicht die Schürfrechte für alle Bodenschätze des Landes für die Dauer von hundert Jahre bekommen haben! Lumumba wollte den Reichtum des Kongo ausschließlich für die Afrikaner bewahren. Ein Edelmann, sag ich dir.«

»Warum haben die kommunistischen Sowjets die Ermordung ihres Genossen widerstandslos hingenommen?«

»Weil auch die Russen von ihm nicht die Schürfrechte für alle Bodenschätze des Landes für die Dauer von hundert Jahre bekommen sollten. Der Kongo ist das drittreichste Land

an Bodenschätze auf unserer guten Erde. Wer alle diese Minen und Bodenschätze besitzt, ob Amis oder Russen, der beherrscht die Metallbörse in London, die Diamantenbörse in Belgien, den Goldmarkt, die Finanzmärkte, den Welthandel!«

»So ist es lieber Frantschi, Rom oder Karthago. Es wird nur eines überleben. In Zentralafrika werden jetzt, nach dem Ende der Kolonialzeit der Europäer die Weichen für die nächsten fünfzig Jahre gestellt. Wer den Kongo besitzt Francesco, der besitzt die Welt und alle Macht und alles Geld. Die Vereinigten Staaten von Amerika oder die Sowjetunion. Einer wird als Folge daraus untergehen wie einst Karthago.«

»Ich kann mir das gut vorstellen Janine. Für die dumme Masse den Heilbringenden Kommunismus. Hoffnung auf ein besseres Leben in hundert Jahren ist ja auch schon was. Für die schlaueren eine Datscha am Schwarzen Meer und für die Elite die Finanzzentren der Welt, die Aktienmärkte, Börsen und so weiter. Du hast dich für das letztere entschieden!«

»So ist es lieber, Francesco. Die Ukraine ist mein Vaterland und Teil der Sowjetunion. Diese Sowjetunion befindet sich in Afrika im Wettstreit mit den Vereinigten Staaten. Wir dürfen uns eine Niederlage nicht leisten und aus allen genannten Gründen erklärt sich mein Interesse an deiner Reise mit Zouzou nach Mali und vor allem, dieses Fahrzeug mit den uns unbekannten Einrichtungen, das nach dem Kongo gebracht wird soll. Soviel wissen wir nämlich, dass dieses Fahrzeug von Mali nach dem Kongo gebracht werden soll. Wie, wissen wir aber noch nicht. Du wirst es mir sagen, Frantschi.«

»Sag mir noch eines, warum Wegener? Er ist doch nicht das, was man als arm bezeichnen kann?«

»Die Wegener Agentur stand vor dem finanziellen Ruin und bot seine Dienste dem CIA an. Wegener ist ein ehemaliger OAS-Mann und die OAS, auch wenn sie nichts mehr zu melden hat, so besitzt sie dennoch umfangreiche Waffenlager in Algerien. Diese Waffen werden von den Geheimdiensten für ihre Aktivitäten in aller Welt benötigt. Außerdem ist für die Amis so eine Agentur, die ihre Autoren unauffällig in die Welt schicken kann, eine hervorragende Tarnung.«

»Was soll ich zum Beispiel im Buffalo Park in Kanada ausspionieren. Wie sich die Büffel paaren?«

»Du kommst auch noch an die Reihe, mein Francesco. Du bist halt noch nicht ganz fertig gebacken, mein Liebster. Küss mich und guck nicht so leicht idiotisch. Das ist doch das besondere an so einer Agentur. Du reist heute nach Kanada und morgen nach Mali und übermorgen sitzt du im Urwald bei den Katangas. CIA ist glücklich mit dieser Konstellation. Jean sagt es jedenfalls und Jean sagt, dass du verdammt gut bist. Keiner kann den ahnungslosen Idioten so gut spielen wie du, mein süßer Würgeengel. Du wirst nur der Leuten allmählich lästig mit deinem Gezierten wie eine alte Tante. Dabei kennt man in unseren Kreisen ganz genau dein Kaliber. Wir wissen um deine Ausbildung im Wüstenkampf und dein Talent im leise töten. Mach den Mund zu, das passt nicht zu dir und schön sieht es auch nicht aus. Egal, jedenfalls lacht sich der KGB in Moskau eins. Übrigens, ich möchte wirklich nicht, dass du für den KGB oder für sonstige Geheimdienste der Welt arbeitest. In Moskau macht man zwar einen gewissen Druck auf mich in diese Richtung, aber ich persönlich bin strickt dagegen. Siehst du das auch so, Francesco?«

»Voll und ganz deiner Meinung Rachmanikoff, mich können sich die Bolschewisten in Moskau nicht leisten, die Amis habe ich gefressen, von dem Engländer habe ich die Schnauze gestrichen voll. Die Deutschen sind Angsthasen geworden und die Franzosen sind mir zu brutal und skrupellos. Ich bleibe was ich war und bin und jetzt hast du erbarmen mit dem Idioten und klärst ihn über alles, was du sonst noch weißt, ordentlich auf. Was macht Zouzou im nächsten Frühjahr im Kongo? Es interessiert mich zwar nur am Rand, weil ich ja doch nur bis Mali dabei sein werde, aber immerhin handelt es sich ja hier um unsere Zouzou?«

»Der französische Geheimdienst SDECE ist der am besten organisierte Geheimdienst in ganz Afrika, Francesco. Der Rest ist Schrott dagegen, einschließlich das KGB oder die CIA. Selbst der israelische Mossad ist nicht so gut informiert wie SDECE. Vielleicht haben sie eine Aufgabe für Zouzou, ich weiß es wirklich nicht, aber du bekommst es bestimmt heraus, ihr beide seid ja bis Mali gemeinsam unterwegs und da wird es wohl so einiges zwischen euch geben, oder? Gib deiner zarten Janine bitte einen Kuss.«

»Lass das, Rachmanikoff, Dienst ist Dienst. Schnaps kommt später.«

»Ich beeile mich, Frantschi, ich brauche gleich einen Schnaps von dir. Also, die Belgier haben in einer unverzeihlichen Art den Kongo vor ein paar Jahren sich selbst überlassen. Weißt du selbst, und die katastrophale Entwicklung im Kongo kennst du ja auch. Die Amerikaner haben in Leopoldville eine Marionettenregierung etabliert und ihr Staatspräsident ist der für dieses Amt unfähige Joseph Kasavubu. Als kleines Dankeschön bekommen sie die Minenkonzessionen für alle Bodenschätze, die die Belgier partout nicht hergeben wollen und der russische Bär mit Schaum ums Maul nicht haben darf. Die Schlacht ist aber dennoch nicht zu Ende. Es fehlt eben noch ein passender Ministerpräsident, der für letzthin den Segen zu all diesem Tun, geben muss. Lumumba war es nicht, der wollte ja alles nur für sein eigenes Volk haben. Die Russen bevorzugen logischerweise ihren Freund den Kommunisten Gizenga. Die Belgier bestehen auf Tschombe, den Freund der Europäer. Die Amerikaner könnten mit Tschombe durchaus leben, doch der macht keinen Hehl daraus, seine Provinz Katanga aus dem Verbund Kongo zu lösen, um selbst der Fürst von Katanga zu sein. Außerdem passt den Amis die Präsenz der Belgier ganz und gar nicht. Man sagt, dass sie den militärischen Oberbefehlshaber Mobutu bevorzugen.«

»Wo stehen zurzeit die unterschiedlichen Lager im Kongo, Janine?«

»Die prowestliche Regierungsarmee und starke Truppen an weiße Söldner sind im ganzen Kongogebiet im Einsatz. Im Norden des Kongo wurde eine prosowjetische Rebellenarmee gebildet, die von Sudan aus mit Waffen der Sowjetunion unterstützt wird. Der südafrikanische Söldnerführer Hoare schlägt sich hier mit der Rebellenarmee herum, die in der Hauptsache mit den einheimischen Simbas rekrutiert ist. Im Süden, an der Grenze zu Angola steht Jaques Schramme, genannt "Black Jack" mit seinen weißen Söldner und den Katanga-Truppen von Tschombe um die Loslösung von Katanga aus dem Verbund Kongo zu vollenden. Die allmächtige Union de Miniere der Belgier gibt ihren Segen und das nötige Kleingeld für moderne Waffen. Oberst Trinkquier rekrutiert französische Söldner für Katanga. Unsere Zouzou hat im Auftrag des SDECE im Frühjahr detaillierte Luftaufnahmen von geologisch wichtiger Bedeutung geschossen und sie nach Paris gebracht. Sie hat das Fliegen in Algerien gelernt. Im Algerienkrieg war sie mit einer alten deutschen Fieseler Storch aus dem zweiten Weltkrieg geflogen.«

»Da war sie doch höchstens achtzehn Jahre alt«, sagte ich.

»Na und - die Colons, also die französischen Siedler in Algerien hatten einen schweren Stand in Algerien, waren auch selbst daran Schuld mit ihrer seltsamen Politik. Ja, und da musste jedes Mitglied der Familie ob Junge oder Mädchen mit anpacken, sonst hätten sie sich niemals so lange halten können. Wie gesagt, die Bergerac hatte eine alte Fieseler Storch aus dem letzten Krieg. Beutegut aus deutschen Beständen. Zouzou karrte mit der Maschine alles bei, was Colons so brauchten.«

»Woher weißt du das alles, Janine?«

»Mein Cousin Armand ist mit Zouzou' Tante verheiratet und die liebe Zouzou schreibt mir regelmäßig das Neueste aus Verwandschaftshausen. Mir gefällt das sehr gut. Familientratsch sozusagen - hast du was dagegen? Ihr Papa sitzt in Mopti und wartet auf den Unimog und das Equipment das ihr runterkarren sollt. Die Bergerac und alle Colons hat das Desaster in Algerien bettelarm gemacht. Sie brauchen Geld und du sollst sie am Geldverdienen nicht hindern, Francesco. Du fährst mit ihr die Route nach Mali ab, übergibst das Fahrzeug und an Colonel Bergerac und verschwindest wieder mit der Kleinen. Du hast damit nichts mehr zu tun und kommst gesund und munter zu der Frau zurück, die dich über alles lieb hat, zu deiner süßen Janine, die du dann heiraten wirst. Übrigens, du musst dir keine Gedanken über Jean machen. Jean hat eine Geliebte in Brüssel, im Nato Hauptquartier. Alice Falconi aus Padua, ebenfalls KGB Agentin wie ich, die Jean alles ausfragt, was er mir nicht erzählen möchte. Jean wird bestens vom KGB bedient! Was ist mit dir, Francesco?«

»O Tempora O Mores, ist das alles eine Idiotie. So ein Affenaufstand nur um ein Fahrzeug nach dem Kongo zu karren. Da muss doch noch mehr sein?«

»Mehr weiß ich auch nicht, Francesco. Es ist bestimmt nur ein kleiner Teil der CIA - Pläne. Colonel Bergerac wird vermutlich seine Expedition von Mopti über den Fluss Niger nach Port Harcourt in Nigeria bringen. Dort laden sie vielleicht um auf einen Küstendampfer und die getarnte Expedition verläuft auf dem Seeweg von Port Harcourt durch den Golf von Biafra an der Küste von Gabun vorbei, bis nach Luanda. Dort wird gelöscht und das Zeug geht nach Dilolo. So vermuten wir jedenfalls. Wir würden das Fahrzeug schon in einem europäischen Hafen verschiffen. Das macht uns ja so misstrauisch. Bist du bei der Party jetzt noch dabei, Francesco?«

»Weiß ich noch nicht genau, Janine. Eigentlich ist es mir gründlich vergangen. Im Grunde genommen weißt du gar nichts, Janine. Weder du, noch dein KGB. Ihr seid so schlau wie der Idiot Vancelli. Ich mache mit, aber nur bis Mali, dann ist Ende der Fahnenstange. Du bedeutest mir sehr viel, Janine Knöpfler, doch die Janine Rachmanikoff, KGB Leiterin Büro Genf, wird von mir keine Detailinformationen erhalten. Kannst du damit leben, Liebes?«

»Ja Frantschi, es geht. Wichtig für mich ist, dass du auch nicht für die andere Seite arbeitest. Tust du doch nicht, oder?«

»Ich arbeite nur für mich, Rachmanikoff!«

***

Die Eisenbahn rumpelte von Nyon nach Lausanne. Bei jedem Schlag, den die Waggons über die Dehn-Schwellen der Geleise machte, hämmerte es in meinem Schädel: Bist du bei der Party jetzt noch dabei, Francesco?

Janine sah mich fast bittend an, als sie dies fragte. Vom Hauptbahnhof Lausanne telefonierte ich nach Nyon. Jean war am Telefon und ich sagte ihm, dass ich bei der Sache mit von der Partie sein werde. Jean Knöpfler war plötzlich wieder der Alte. Wie je zuvor. Ich telefonierte auch noch mit meinem Chef Ullrich Wegener und teilte ihm mit, dass ich mit dem nächsten Flieger von Lausanne nach Zürich fliegen werde. Er musste an meiner veränderten Stimmung gemerkt haben, dass ich noch einige Erklärungen von ihm einfordern werde. Kleinlaut, was ja sonst nicht seine Art ist, bat er mich zum Essen einladen zu dürfen.

Am Mittag spielten Ullrich Wegener und Markus Helmer Empfangs-Komitee am Flugplatz Zürich-Kloten. Helmer sah mich verlegen an und Ullrich Wegener, das kleine fette Energiebündel sprang forsch auf mich zu und mit seinen Bärentatzen schüttelte er meine beiden Hände. Wegener war nicht unsympathisch, im Gegenteil. Seine joviale und leutselige Art gefiel den meisten Menschen. Mir auch. Wir fuhren von Kloten nach Zürich und Wegener lud zum Essen in das Restaurant "Baur au Lac".

Beim Martini wollte Wegener noch vor dem Hauptmenü seine Fronten abgesteckt wissen. Ich spürte dies und sagte ihm, dass ich alles über meine bevorstehende Reise wüsste, und darüber hinaus auch von seinen Beweggründen unterrichtet sei. Er wollte gar nicht wissen, woher ich diese Informationen erhalten habe. Vermutlich sah er in Zouzou Zizanie die Informantin und schien dies auch als völlig in Ordnung zu sehen. Wegeners dicker Glatzenschädel glänzte wie ein polierter Nonnenbauch, als ich ihm auch mitteilte, dass ich meinen Beitrag zu diesem Unternehmen leisten werde. Markus Helmers Adamsapfel konnte sich nicht mehr beruhigen. Er strahlte, klopfte mir freudig auf meinen Unterarm und war der Annahme, dass der Agentenring um ihn, eine Neugeburt zu vermelden habe Wir besprachen einige Einzelheiten bis zum geplanten Abflug nach Algier und es wurde doch noch ein gelungener kulinarischer Abend.

Mir blieb keine andere Wahl als gute Mine zum bösen Spiel zu machen. Lehnte ich ab, so würde mich Wegener fristlos aus seinem Laden entfernen. Nicht jetzt, dachte ich, nicht nachdem ich mir endlich ein neues Appartement mit Seeblick und Gästezimmer in Küsnacht zulegte, ein einmaliges Schnäppchen. Wenn die Maler rechtzeitig fertig würden, könnte ich noch vor meiner Reise einziehen. So meine Gedanken.

»Da wäre noch eine Sache Herr Wegener, die müsste geklärt dringend werden«, sagte ich forsch.

»Spuck dich aus, mein Junge!« Wegener lachte.

»Meine relativ schmale Apanage verträgt eine kleine Anpassung!«

»OK, Francesco, du kommst morgen früh in mein Büro, und dann sehen wir uns mein Budget an. Da ist bestimmt noch etwas für dich zu machen. Übrigens, Solange ist vor einer Woche nach Marseille geflogen, um noch die nötigen Vorbereitungen zu tätigen. Sie wird morgen wieder hier sein. Du holst sie am Flughafen Kloten ab, Francesco, einverstanden? Im Übrigen, du kannst mich Ullrich nennen!«

»Natürlich hole ich Zouzou von dort ab, Ullrich.«

»Wo ist eigentlich Willy, Francesco?«, fragte Helmer.

»Willy wollte unbedingt bei Janine bleiben, sie kauft ihm immer schöne fette Schweinswürste, und er muss nicht die eklig zubereiteten Zouzou-Bio-Törtchen fressen. Janine einen wunderschönen Garten mit riesigen Bäumen darin, und jede Menge freche Katzen, die Willy vor dem Frühstück jagen kann.«

»Oh je. Zouzou wird dir das nie verzeihen, Francesco«, sagte Ullrich Wegener.

»Das glaube ich auch, Ullrich«, erwiderte ich.

Ich fuhr zum Flughafen Zürich-Kloten um Zouzou abzuholen. Morgens war ich bei Wegener und habe mir meine Gehaltserhöhung abgeholt. Ullrich zeigte sich gar nicht kleinlich. Ich war mehr als zufrieden. Danach begab ich mich nach Küsnacht und die Handwerker meinten, dass ich nächste Woche einziehen könne. Alles lief nach Plan. Zouzou sah ich aus dem Flieger steigen und mit suchendem Blick, ob sie auch jemand abholen würde, zelebrierte sie den Aus- und Abstieg aus dem Flugzeug. Zouzou trug weiße Netzstrümpfe, die ihre endlos scheinenden Beine, geschickt betonten. Dazu dunkelblaue "Hot Pants", wie sie in den europäischen Großstädten getragen wurden, und dazu ein blaues Beret Basque. Eine Algerien-Französin, wie aus dem Bilderbuch. Und dann entdeckte sie mich! »Frantschieee!«

Sie rief es schon von weitem, und ließ dabei ihr Handgepäck zum Entsetzen der Mitreisenden fallen um auf mich zu stürmen. Ich fing sie auf, und sie sprang hoch wie ein kleines Kind, das ihren Papi begrüßte. Sie schwang ihre Beine um meine Hüften und verschränkte sie in hinter meinem Rücken. Von ihrem ungestümen Schwung, kam ich in eine Drehbewegung und fast hätten wir die stehen gebliebene Menschenmenge niedergewalzt.

»Zouzou, die Leute«, flüsterte ich ihr atemlos ins Ohr, und konnte es nicht verkneifen, ihr ins Ohrläppchen zu beißen.

»Ich mache eine Pipi auf die Leute, Frantschi«, sagte sie laut.

»Du machst was? – Zouzou, also bitte!«

»Eine Pipi! Ich zeige mit die Finger an die Gehirn und mache eine Pipi-Vögelchen!«

»Ein Pieps-Vögelchen«, sagte ich erleichtert, »ich dachte schon, du machst ein Pipi auf die Leute, wie Willy an die Radkappen der Autos.«

»Du hast eine Pipi, Frantschi, eine ganz große Pipi sogar. Lass mich jetzt runter, ich habe Hunger. Wo ist denn Willy, mein süßer Toutou? Du hast ihm hoffentlich nichts Böses getan!«

»Ich bin Willys Freund, wie könnte ich. Was du von mir denkst. Willy wollte seinen Urlaub am Genfer See verbringen, wegen der vielen Katzen dort, die in Janine' Garten in Nyon herumlaufen. Du hättest seine Augen sehen sollen, die glänzten vor Glück und ich will doch auch, dass Willy glückliche Ferien verbringt. Du musst wissen, dass deine Tante Janine ihm auf keinen Fall fette eklige Schweinswürste servieren wird. Schau mich nicht so an, Zouzou. Willy kann dort russisch lernen, sie ist Russin!«

»Janine ist aus der Ukraine, Herr Vancelli. Sie ist keine Russin!«

»Ich schäme mich vor dir, Zouzou, du bist so edel und ich bin ein Schuft! Glaube mir, Willy ist glücklich und Janine auch!«

»Ich weiß, dass Janine glücklich ist, ich habe mit ihr von Marseille aus telefoniert. Ihr beiden habt euch ja gut amüsiert, wie ich feststellte. Janine ist eine sehr schöne Frau. Schwamm drüber, Frantschi. Was machen wir, hast du eine Programm?«

»Ja, zuerst gehen wir in das Restaurant Baur au Lac, ich habe nämlich eine Gehaltserhöhung von Wegener bekommen, und dann fahren wir nach Küsnacht in mein neues Appartement. Nächste Woche ziehen wir ein. Du bekommst ein eigenes Zimmer!«

»Ich bleibe nicht für immer bei dir, Frantschi!«

»Macht nichts, Zouzou. Du kannst kommen und gehen, wann immer du willst. Du bist an nichts gebunden! Das Zimmer wird eine Anlaufstation für dich sein, wenn du willst!<<

Von Kloten fuhren wir mit einem Taxi nach Zürich. Zouzou kuschelte sich ganz eng an mich und wir waren ausgelassenen, wie kleine Kinder. Wir erzählten uns nur dummes Zeug und als der Taxifahrer in einen Verkehrsstau geriet, und anfing in seiner Nase zu pollen, gab es für uns keinen Halt mehr. Ich stupste Zouzou und gab ihr mit den Augen einen Hinweis zu Taxidrivers schändlichem Tun.

»Wusstest du, liebster Frantschi, dass neunzig Prozent aller Männer bei Verkehrsstau oder an die Ampel bei Rot in die Nase drin bohren?«

»Sind es so viele, Zouzou? Ich mache es in der Badewanne! Und außerdem weiß ich, dass es in der Südsee eine Insel gibt, da fressen die Eingeborenen anschließend dieses Zeug!«

»Iehhh - Igitt, Frantschi, du bist eine kleine rosiges Trüffelschwein!«

Der arme Taxifahrer bekam knallrote Ohren und ließ uns bei Baur au Lac, aussteigen. Ich war mir sicher, dass er Zouzous Gelächter sein Leben lang nicht mehr vergessen wird. Nach dem Essen fuhren wir nach Küsnacht, zu meinem neuen Appartement. Zouzou war sichtlich begeistert und durfte sich nach freier Wahl ihr Zimmer aussuchen. Natürlich nahm sie sich das beste Zimmer - das mit Seeblick!

»Ach, Frantschi, ich möchte für immer bei dir bleiben können!«

»Kannst du ja!«

»Kann ich nicht Frantschi und werde ich nicht. Ich dachte, dass hättest du endlich gefressen!«

»Mir ist es lieber, du kannst nicht wenn du willst, als wenn du willst und du kannst es nicht!«

»Deine Grammatik springt auch von die Schaufel runter manchmal, mein lieber süßer Frantschi. Nicht nur meine Grammatik!«

»Hast du eigentlich eine Tante in Grenoble, Zouzou?«

»Ich habe viele Tanten, mein Herr. In Limoges, Vichy, Paris, St. Etienne und in Toulouse. Ach ja, eine halbe Tante habe ich noch am Genfer See, in Nyon. Mit der ist ein gewisser Blaubart in die Federn gegangen und sie hat sich mit ihm unglücklich gemacht. Ich glaube, Vancelli hieß der Böse. In Grenoble habe ich keine Tante wohnen.«

»Ich dachte nur, Zouzou. Weil ich vor mehr als zwanzig Jahren ein Mädchen aus Grenoble kennen lernte, die so aussah wie du, und auch deine Wesenszüge trug. Ich war mit ihr sechs Monate verheiratet und dann ist sie mir abgehauen! Mit einem Algerier! Sie heißt Bijou.«

»Ich trage keine Wesenszüge, Frantschi. Ich habe so schon genug zu tun. Du kannst und darfst nicht mit allen Tanten die mir gehören in die Federn steigen und nicht glücklich machen. Das ist keine gute Anstand und eine Tante Bijou habe ich auch nicht. Und wenn es so wäre, Frantschi, dann wärst du eine Verwandtschaft von mir. Ein Onkelchen, jawohl. Ein richtiger Tonton!«

»Ich will nicht dein Onkel sein. Das lehne ich entschieden ab! Ich bin noch viel zu jung für so was!«

»Das ist es, Frantschi, du bist meine süße liebe kleine Tonton, die ich gerne zum Fressen habe!«

»Ist ein Tonton so etwas wie ein Toutou?«

»Quatsch, Tonton! Ein Tonton ist ein Tonton, an dem sich die kleine Zouzou ankuscheln darf, und an seine breite Brust weinen kann, wenn seine Zouzou einmal großen Kummer hat. Ein Tonton muss immer für mich da sein, und muss für mich durch die dicke und die dünne „Merde“ gehen.«

»Darf ein Tonton seiner Nichte die sie nicht ist auch einmal an die Wäsche gehen?«

»Niemals, Tonton! Ein Tonton ist ein Grandseigneur! Er geht nie an die Wäsche seiner Nichte! Ein Tonton ist kein Mann!«

»Wie dein kastrierter französischer Grandseigneur Willy!« Sie schaute mich dabei seltsam an mit einer kleinen strengen Falte zwischen ihren Augenbrauen an.

»Mon Tonton, also du…, bist nie eine Willy. Willys sind immerhin noch eine Köter!«

»Ich sage dir, Zouzou, ein richtiger Tonton, wie ich, dass ist das beste was es gibt. Ich bin stolz ein Tonton zu sein. Kein gewöhnlicher ordinärer Onkel, dass kann jeder sein. Nein, Tonton ist eine Berufung, ein edles Handwerk für Edelmänner!«

»Du spinnst, Tonton, wie immer!«

»Eine Frau sollte fünf Männer besitzen, Zouzou!«

»Hä - jetzt hast du aber eine ganz große Knall in die Hirn drin, Tonton!«

»Doch ehrlich, Zouzou. Hör mal zu. Du, oder besser alle Frauen sollen einen Ehemann bekommen. Einen braven Schweizer, der die Sore heranschafft und für den Nachwuchs sorgt. Dann muss sie noch einen lasziven Latino besitzen, für die blauen Stunden am Abend. Dazu einen graumelierten englischen Gentleman, für in die Oper und für zum Essen zu gehen. Weiterhin noch eine echte französische Schwuchtel, die sie in Mode Angelegenheiten berät und der mit ihr zum Shopping geht. Und zum Schluss als Krönung einen Tonton wie mich, bei dem sie sich anlehnen und ausweinen kann, und sich über die anderen vier ausgiebig beschweren kann!«

»Du bist der verrückteste Tonton, den es je gab, und den es je geben wird. Es ist so!«

»C'est cela, Zouzou! So ist es!«

Marseille, Sonntag, den 8. Dezember 1963.

Wir standen am Flughafen Zürich-Kloten, und es waren noch etwa zwei Stunden Zeit bis zu unserem Abflug nach Algier. Zouzou Zizanie gab mir mein Ticket. Sie dachte wirklich an alles. Ich musste mich um nichts kümmern.

»Zouzou, auf dem Ticket steht Marseille und nicht Algier. Erkläre mir das einmal, aber ohne Umschweife.«

»Wir müssen zuerst nach Marseille, Tonton. Wir haben die andere Disposition müssen tun. In Marseille holen wir noch einige Equipement ab und eine besondere Überraschung für dich und danach machen wir eine richtige Schiffsfahrt über das Meer, nach Algier. Mit einem tollen Dampfer, mit Schwimmbad, Restaurant und Tanzkapelle. Das werden Super Ferientage für uns. Ich freue mich schon auf dich!«

Wir befanden uns bereits seit geraumer Zeit in einigen tausend Meter Flughöhe, als eine der Stewardessen zu uns kam und mich dabei strahlend anschaute, und mich fragte, ob der Herr, also ich, noch einen Wunsch habe. Sie duftete wunderbar und so strahlte ich lächelnd zurück und deutete an, dass sie mir diesen, wohl nie erfüllen könne. Sie lächelte mich glücklich erscheinend an und fragte auch nach den Wünschen meiner Begleitung.

Meine Begleitung, Zouzou Zizanie Solange Bergerac, mit dem echten falschen Schweizer Pass, ausgestellt auf den unverschämten Namen Chiara Vancelli, den Namen meiner ehemaligen Verlobten. Diese Geschichte hatte ihr bestimmt Janine zugeflüstert, da verwettete ich einiges. Von wem sie diesen Pass erhielt, den ich erstmals in der Abflughalle Kloten zu Gesicht bekam, wusste ich nicht. Konnte eigentlich nur aus Harrys dunklen Kanälen stammen. Zouzou war zornig auf die schöne Flugbegleiterin und flötete: »Nein, vielen Dank, liebes Fräulein. Ich hatte ein ausgiebiges Essen mit meinem Mann! Stimmt es, Karl-Heinrich?«, und dabei sah sie mich sehr giftig an.

»Ja, Mausi«, sagte ich, »sag mal, Mausi, wie hast du denn deine belgische Zimmer-Knarre mit 14-Schuß Dumdum Patronen durch die Gepäckabfertigung geschmuggelt?«

»Noch eine Ton, Karl-Heinrich und ich knalle dir eine auf die Gehirn!«

Die reizende Flugbegleiterin wurde etwas blass um ihre kleine süße Trompetennase und zog sich sofort zurück. Kurze Zeit später kam sie mit einem Flugoffizier wieder und jener forderte Zouzou auf, mit ihrem Handgepäck in ein separates Abteil zu folgen. Sie wurde gefilzt und kam nach zehn Minuten wieder zurück.

»Sie müssen wissen, dass mein Mann manchmal eine Plemplem bekommt und dann verrückt ist in die Gehirn. Er ist nicht mehr so jung, und dann ist das oft so mit ihm.« Zouzou sagte es in voller Überzeugung.

Unter uns die Ödnis des Rhônedeltas und vor uns der Flughafen Marignan von Marseille. Die Vickers Viscount der Swiss Air schien unmittelbar vor dem Aufsetzen an unsichtbaren Fäden in der Luft zu verhalten, um dann mit Bocksprüngen ähnlich, stark holpernd und rumpelnd die Betonpiste zu durchfahren.

»Haben dich die Filzläuse ordentlich gefilzt und deine Flak gefunden?«, fragte ich scheinheilig.

»Nein, du Blödmann, was denkst du denn! Das verzeihe ich dir nie, Tonton. Ich bin immer so eine liebe Zouzou Zizanie zu dich.«

»Das war nur eine kleine Warnung, Zouzou. Stelle mich nie wieder vor vollendete Tatsachen.«

»Die Tatsachen sind ja noch gar nicht fertig«, sagte sie trotzend und machte dabei einen Schmollmund.

»Ich rede von den Tatsachen in Zürich-Kloten am Flugplatz. Von wegen Marseille anstatt Algier, und deinem Schweizer Pass mit dem Namen Chiara, Ehefrau von mir und so!«

»Schämst du dich mit mir als die Ehefrau von dir? Ich wäre gerne die Ehefrau von meinem Tonton. Ich würde dir nicht nach sechs Monaten Ehe mit einem Algerier Wegbrennen wie Bijou, und dich nicht nach fünf Jahren Verlobung mit die Koffer in die Hand nach Lugano zu einem Italiener gehen, und von dem dort die Bambini kriegen. Wie Chiara, deine Dauerverlobte. Ich nicht!«

»Deshalb habe ich dich doch am Flughafen geheiratet, Zouzou. Ich weiß, dass du nie Wegbrennen würdest und die Tonton, mit die ganz große Plemplem und den vielen Schulden, die er hat alleine lässt, weil du die tollste Nichte bist, die ein Onkel, der ich nicht bin, haben kann!«

»Tonton, warum gucken die Leute so komisch?«

Als wir die Gangway erreichten, schenkte uns die Besatzung des Fliegers noch einige seltsame Blicke, die wir jedoch großzügig grinsend übersahen. Wir wiesen unsere Pässe vor, und die Landekarten. Ein Beamter drückte einen Stempel auf die Landekarte, prüfte die Pässe, sah sich unsere Gesichter an, besonders das von Zouzou, lächelte sie an und wies uns den Weg zur Zollkontrolle. Die echten falschen Papiere von Zouzou, alias Chiara Vancelli, bestanden ihre Prüfung.

Zouzou schien in Marseille zu Hause zu sein, sie kannte jeden Winkel dieser Stadt und entsprechend dirigierte sie den Taxifahrer durch allerlei Straßen der Stadt um schließlich vor einem kleinen schön anzusehenden Stadthotel anzuhalten. "Maison le Joyneuse" hieß das Gebäude mit dem etwas anrüchigen Namen. Der Empfangschef in Form und Größe eines Kleiderschranks empfing uns und sagte, dass eine Mademoiselle Vancelli uns bereits erwarte. Er gab mir noch einen respektvollen und vieldeutigen Blick.

Das schmale Haus mit drei Etagen war supermodern, aber nicht kühl wirkend eingerichtet. Es machte einen sehr sauberen Eindruck und man konnte, wenn man den Namen "Maison le Joyneuse" nicht beachtete, keine Rückschlüsse auf irgendwelche Zweckentfremdungen erkennen, außer einer üblichen Übernachtung. Der schwere vierschrötig erscheinende Empfangschef führte uns arg schnaufend über schmale Treppenstufen hinauf ins oberste Stockwerk.

»Zouzou, ich will ja nicht meckern, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass dies ein Stundenhotel ist. Zwar ein edles, aber dennoch ein solches. Außerdem, wieso wartet Fräulein Vancelli auf uns? Du bist doch hier, und eine Jungfrau bist du, seitdem du den gefälschten Pass auf den Namen Chiara Vancelli, meiner Ex Verlobten hast, auch nicht mehr. Haben wir seit unserem Abflug eine gemeinsame Tochter, und ich weiß mal wieder nichts davon?«

»Wir haben keine Tochter, Tonton. Du hast nur eine neue Schwester bekommen, und die hat in der Kürze die Zeit, keine Zimmer die gut ist, bekommen. Morgen ziehen wir um in die gute Hotel, weil das Hotel hier, nur für die Stunde ist. Deine Schwester ist sehr charmant und hat von dem Kerl da, die ganze Nacht gekriegt für uns drei, für weniger Gelder!«

»Zouzou?«

»Ja, mein Tonton!«

»Wie heißt denn meine neue Schwester - kenne ich sie?«

»Sie heißt Sabi Loulou, die beste Martinimacherin von Zürich. Sagst du doch immer!«

»Aha, also deine Schwester Sabi Loulou Bergerac?«

»Nicht mehr, mon Tonton! Meine Schwester Sabi Loulou ist jetzt deine Schwester Bijou Vancelli! So steht es in ihrem Reisepass.«

»Seit wann ist sie meine Schwester und warum?«

»Seit dem Gestern! Und sie ist deine Schwester, weil sie als Sabi Loulou Bergerac mit französischem Pass nicht so sicher in Algerien ist. Als Schweizerin ist sie sicherer, so wie ich als die Ehefrau von meinem Tonton sicherer bin, oder? Ist doch logisch!«

»Ist mir klar, Zouzou! Kommt sie mit auf die Tour?«

»Natürlich Tonton!«

Der wandelnde Wandschrank auf Beinen, blieb vor einer Tür stehen, und deutete an, dass dies unser Zimmer sei. Dabei zwinkerte er von oben herab mit einem Auge auf mich. Ich tat gelassen, als sei es die Art meines Lebens, ein Teil meines Daseins hier auf Erden mit schönen Damen zu reisen um mit ihnen mein Vermögen zu verjubeln. Ich gab ihm ein gutes Trinkgeld, einen größeren Geldschein. Bestimmt kam es nicht so oft bei ihm vor, dass ein Gentleman wie ich gleich mit zwei Schönheiten eine Kemenate belegte. Ich sagte ihm, dass wir für morgen früh um acht Uhr ein ausgiebiges Frühstück wünschen. Für die Mädchen solle es Kaffee mit knusprigen Croissants und Orangensaft geben, und für mich ein halbes dutzend Eier mit Speck und Weißbrot, und dazu eine Kanne Tee mit Rum. Zouzou sah mich mit vorwurfsvollen zusammengezogenen Falten zwischen ihren Augenbrauen an. Gleich wird sie explodieren, dachte ich.

Das Zimmer war im Stil der Makart-Epoche eingerichtet. Über dem Bett hing ein durchsichtiger Baldachin aus feinster Seide, und wir saßen zu dritt unter dem Seidenhimmel. Das Wiedersehen mit Sabi Loulou war sehr herzlich gewesen. Sabi ist ein wunderbarer Mensch und ich habe sie schon immer sehr gemocht, mehr noch als das, aber das wusste sie nicht. Glaubte ich zumindest. Ich blätterte in einem Magazin und die beiden Mädchen Zouzou und Sabi Loulou palaverten in spanischer Sprache. Sabi Loulou sprach ein perfektes spanisch wie ich hörte konnte. Zouzou hatte darin einige Schwierigkeiten, hielt aber in einem Mischmasch aus spanisch und französisch munter mit. Meine französischen Sprachkenntnisse waren zwar für mich ausreichend, aber den Dialekt, den Zouzou mit in das Palaver einbrachte, verstand ich nicht. Eigentlich verstand ich einfach gar nichts.

»Je voudrais papoter en francais et allemand, s´ill vous plaît! Warum palavert ihr in Spanisch?« Ich war schon etwas verärgert und sagte ihnen, dass ich mich lieber in französisch oder in deutsch unterhalten möchte.

»Weil die Besatzung von die Schiff spanisch ist und wir üben müssen!« sagte Zouzou.

»Mala suerte, Zouzou. Wir haben vergessen, wo wir den lieben guten Francello heute Nacht unterbringen. Ich habe für ihn kein Zimmer reservieren lassen.«

»Wir legen die Tonton in die Bett, bis er schläft, und dann stellen wir ihn einfach in eine Ecke.«

»Nein Zouzou, du bist zu grausam zu unserem Jungen. Wenn er eingeschlafen ist, dann tragen wir ihn in das Bad. Die Badewanne ist supergroß, dort kann Francello ratzen, bis zum Frühstück.«

»Nein, oh grausame Schwestern, ich will auf dem durchsichtigen Baldachin schlafen, aus feinster Seide, und mit zorniger Pupille auf euch glotzen.«

»Nein du Spanner«, sagte Sabi Loulou, »du kommst in die Wann.«

»Er kommt in die Ecke!« schrie Zouzou.

»Ich will auf das Baldachin klettern!«

»Das ist zu durchsichtig Tonton. Du willst uns ja nur auf die schöne Gebeine glotzen.«

»El querido babuinito, will unbedingt klettern!« meinte Sabi Loulou.

»Zouzou, deine Schwester, äh, meine Schwester Sabi Loulou hat Pavian zu mir gesagt. Sag ihr, dass ich nicht der Pavian bin, weil die Paviane immer die gerötete Popo haben, die ich nicht habe!«

»Sabi Loulou, die Tonton haben nicht die gerötete Popo. Ich habe zwar noch nicht die gerötete Popo von Tonton gesehen, aber bestimmt ist die Popo von ihm nicht so gerötet.«

»Ich gehe ins Wasser, wenn ich nicht das Baldachin kriege!«

»Wir gehen nicht in die kalte Wasser. Wir steigen jetzt in eine Flasche Rotwein, einen Sidi Brahim mit Weißbrot.«

Zouzou schwang eine Flasche Rotwein und die beiden quatschten munter drauf los. Sabi Loulou war eine Nummer für sich. Obwohl ich anfangs eine Ähnlichkeit mit Zouzou zu sehen glaubte, haben sie nur zwei Dinge gemeinsam, die Größe und diesen doch charismatischen Bewegungsablauf. Sabi Loulou, war ein wenig ernster im Habitus, und besaß einen trockenen Humor. Sie sprach perfekt die deutsche Sprache, ohne Akzent, wenn sie es denn wollte. Meistens unterstrich sie ihre Sätze mit modernen Vokabeln, wie sie von den jungen Leuten gesprochen wurden, und die in keinem Wörterbuch zu finden waren. Ihre Haare waren von Natur dunkelblond, und je nach Laune konnten sie auch hellblond oder rot gefärbt sein. Ihr hätte ich auch noch grün gefärbtes Haar zutrauen.

Sie nannte mich Francescollo Vancinello, weil ich von italienischer Abstammung war, und wenn Sabi Loulou besonders gut gelaunt war, und dass war sie eigentlich immer, dann nannte sie mich einfach Francello oder Cello, oder Cnollo. Kurz nach Mitternacht erklärte ich den beiden, dass ich noch Zigaretten holen wollte. Sie meinten, dass ich mich nicht in Marseille auskenne und mich leicht verlaufen könne. Ich erwiderte, dass ich nur um die Ecke spitzen wollte und in einem Bistro bestimmt noch welche bekommen könnte.

Nach wenigen Metern zu Fuß, fand ich ein Bistro, einen Automaten für Zigaretten, sowie eine illustre Gesellschaft, die mich sogleich in ihre Reihen aufnahm. Nach einigen Gläsern gefüllt mit "Escorial Grün!" forderten sie mich auf, mit ihnen einige Spelunken noch unsicher machen zu wollen. Ich ging mit ihnen, und mit Mimi, einer wunderschönen Walküren. Sie bemühte sich sehr um mich. Warum ich für besonders große und kräftig proportionierte, wenn nicht sogar mehr als mollig wirkende Frauen so anziehend wirkte, war mir ein ewiges Rätsel. Irgendwie erweckte ich anscheinend bei ihnen so etwas wie Muttergefühle und, “AN-DIE-BRUST-DRÜCK-GEFÜHLE“, obwohl ich durchaus von Alter wegen ihnen ein mehrfacher Papi sein könnte.

Als ich früh morgens um acht Uhr mit den beiden ausgeschlafenen und frisch wirkenden Schwestern am Frühstückstisch saß, fühlte ich mich so ausgebrannt, wie Weiland, mein italienischer Opa nach dem Viehtrieb auf der Alm. Der Kleiderschrank sah mich mitleidig an, und schüttelte ständig seinen massigen Schädel. Wenn der wüsste! Die Eier mit Speck und Weißbrot ließ ich stehen. Ich konnte das fette Zeug nicht riechen. Ich trank meine Kanne Tee, ohne Rum, und war bedingt der vielen Escorials, die ich mir letzte Nacht einflößte, von meinem Tee fast wieder besoffen.

»Herr Vancicello, ich fürchte Marseille bekommt ihnen nicht gut«, sagte lächelnd Sabi Loulou.

»Und ich fürchte, dass man den Herrn Tonton nicht alleine auf die Südfranzosen loslassen darf. Mein Herr, sie sehen ja aus, wie frisch aus der Gruft geklettert«, meinte grinsend Zouzou.

»Ohne eueren Senf, wäre das Leben nicht zu ertragen, dass sage ich euch, darf ich noch ein heißes Bad nehmen und für eine Stunde in die Gruft steigen, oh ihr Grausligen Geschwistern? Ich weiß seit Wochen nicht mehr, wie das Wort Bett buchstabiert wird.«

»Nein, Francello, wir müssen nach Toulon zum Hafen. Zouzou will in die Schiff«, sagte Sabi Loulou.

»Ich will auf das Schiff, Sabi«, protestierte Zouzou, »es heißt nicht „in die Schiff!“«

»Wir fahren doch erst übermorgen nach Algerien«, antwortete ich schlaff.

»Egal, Tonton, ich will in die Schiff. Ich muss sehen wie die Schiff ist. Das Schiff heißt "Angel of Paradise" und hat bestimmt viele schöne und lustige Rostflecke in die Schiffbauch und obendrauf auf die Dampfrohr. Und überall.«

»Hauptsache, der Käpten hat keine Rostflecken im Seier«, sagte die unwiderstehliche Sabi Loulou.

»Also fahren wir in die Hafen und gehen in die Schiff. Ich mache nur noch schnell die Bart ab!«

Die Satzstellung zu verdrehen, wie es von Zouzou mangels deutscher Grammatikkenntnisse praktiziert wurde, und die Sabi Loulou gelegentlich aus Spaß übernahm, machte auch mir zunehmend Spaß.

Der wandelnde Kleiderschrank bestellte für uns telefonisch einen Mietwagen, damit wir nach Toulon fahren konnten, um das Schiff zu inspizieren, das uns nach Algerien bringen sollte. Wir saßen noch am Frühstückstisch, und ich wollte mich nach oben begeben, als Mimi auftauchte. Mir fuhr ein Schrecken durch die Glieder, und ich konnte mich noch in letzter Sekunde in die Herrentoilette retten. Sie registrierten meine Gedanken zu einer Flucht. Eigentlich gab es keinen Grund die Flucht zu ergreifen. Wir haben zusammen nur fürchterlich gebechert. Mimi, ich, und die restliche Blase. Ich habe Mimi meine Adresse gegeben und verabschiedete mich bereits um drei Uhr früh. Die restlichen fünf Stunden, bis zu meinem Eintreffen im Hotel "Maison le Joyneuse" um acht Uhr morgens, benötigte ich zur Orientierung und zur Wegfindung. Mimi ging zur Rezeption und fragte nach einen gewissen "Jean Marie Schreiver“. Das war ich, letzte Nacht! Der Kleiderschrank verdrehte die Augen und verneinte das Anliegen der schönen gewaltigen einsachtzig großen Mimi. Ein stolzes Gestell. Zouzou hörte ich sagen: »Jean Marie Schreiver? Kenne ich nicht!«

»Wie sieht den ihr Jean Marie aus?«, fragte Sabi Loulou.

»Er ist etwa einsfünfundsiebzig groß und dunkelblond mit einem Schnauzbart und sehr gepflegten Manieren. Ein schöner Mann und so kultiviert!«

Mimi beschrieb mich treffend und sehr geschmackvoll. Eine leichte Röte überzog ihren Alabaster-Teint. In Gedanken sagte ich mir: „Mimi, wenn alles vorbei ist, dann komme ich wieder nach Marseille und wir beide machen einen gewaltig drauf, versprochen!“

»Jesus und alle Päpschte«, sagte die grausame Sabi Loulou, »wo gibt es denn noch solche Männer? Was heute so herumstreunt, ist keinen sündigen Gedanken mehr Wert.«

»Nur noch komische Tonton-Toutous streunen herum. Die guten Toutous müssen am Genfer See bei Janine eklige fette Schweinswürste essen und die schlechten Toutous streunen herum und kommen spät nach Hause.«

Zouzou setzte den Reigen unbarmherzig fort. Ich wusste es. Die Sache mit Willy würde sie mir nie verzeihen. Dabei meinte ich es nur gut mit Willy.

»Ja, und die schlechten Franciscnollo-Toutous streunen auch im Park der Tante Janine herum und nuckeln an ihren Zehen. Diese Fußnuckler!« Typisch Sabi Loulou, dachte ich, und weiter, na warte, dass hast du nicht umsonst gesagt. Und dann doch auch noch laut und betont, dass ich nie an den Füßen von Janine genuckelt habe!

»Wir haben vielleicht einen Lolli dabei, sage ich ihnen. Der heißt aber Francello oder so ähnlich. Zouzou, wie ist noch sein richtiger Name?«

»Francesco Vancelli!«

»Genau, ich habe recht. Er heißt Francello und ist kein Herr und hat keine Manieren und schön ist er auch nicht. Er ist nur halb so groß wie ihr Jean Marie und hat Ohren wie Blumenkohlblätter!«

»Ach ja, liebes Fräulein«, sagte Zouzou, »und besoffen ist die alte Sack immer, wenn wir nicht richtig auf ihn aufpassen und ihn nicht gut spionieren.«

Ich stand immer noch in meinem stillen Örtchen und hörte meine wenig schmeichelhafte Personen-Beschreibung. Die Tür ließ ich nur angelehnt. Das Frauen auch immer so übertreiben müssen. Der wandelnde Schrank bat Mimi zu einem Aperitif, den Mimi jedoch dankend ablehnte. Gott sei es getrommelt und geblitzt, dachte ich, sonst müsste ich noch Stunden an diesem Ort verbringen. Mimi gab diesem Körper mit der Statur einer Schrankwand eine Telefonnummer und fuhr mit der Taxe mit der sie auch gekommen war, wieder fort. Mit glühenden Ohren ging ich wieder zu den grausigen Schwestern, und dachte an die Folgen und dass sie mich bestimmt auseinander nehmen würden. So auch geschehen.

»Hallo Francello - Mimi war hier! Du sollst pünktlich um zwölf Uhr zum Mittagessen bei ihr sein.«

»Natürlich, die Sabi Loulou. Und du Zouzou, wirst auch gleich ihren Senf dazu geben, nehme ich an.«

»Ja,Tonton. Zum Senf gibt es noch Pommes de Terre mit Leberkäse und Seegras Salat!«

»Noch was Francello. Du sollst Windeln mitbringen. Mimis Opa hat den Dünnpfiff in der Hose!«

»Tonton! Die Pfiff ist so dünn, dass Opa ohne Zielen, in die Flasche seine A-A machen kann!«

»Francello! Mimi hat gesagt, dass sie dich gegen einen schönen kultivierten Mann eintauschen wird. Gegen einen, der du nicht bist, weil du immer nach dem zehnten Escorial besoffen bist! Manchmal spinnen sie ganz schön die Männer!«

»Tonton ist kein richtiger Mann. Der Tonton ist ein Tonton und die sind keine Männer!«

Wir fuhren nach Toulon. Einige Kilometer außerhalb Marseille ging die Fahrt in die hohe Felslandschaft. Nur Steine und Abgrund. Eine grandiose Fahrt, wenn man keine gewaltige Alkoholvergiftung im Hirn hat. Oben angelangt, bat ich Loulou, die den Wagen lenkte, um eine Pause, da ich beten wollte. Sabi Loulou, die Großartige, hielt auch sogleich an und ich stieg aus dem Wagen, kniete mich nieder und betete meinen Mageninhalt den Steilhang hinab. Als sich mein Inneres beruhigte, warf ich einen Blick auf die Stadt Marseille. Von hier aus konnte man sie fast vollkommen überblicken. Die knochenweißen Inseln vor Marseille. Die Madonna auf Notre-Dame de la Garde, auf ihrem Kalkriff. Den alten Hafen! Die Altstadt welche auf Befehl Himmlers in die Luft gesprengt wurde, und nun nur noch wenig schöne Architekturkonfektion steht.

Marseille ist keine ansehnliche Stadt, dachte ich mir beim hinab sehen. Und dennoch, die Atmosphäre der südlichen Küste, das Mittelmeer. Ihre Tradition und ihre Mythen. Pinien, Seefichten, Palmen, Eukalypten und Lavendelbüsche. Gegenüber Afrika. Keine Abbildung, keine Erklärung kann das wiedergeben, was diese zärtlichen Majestäten Landschaft und Menschen in den Gefühlszonen sichtbar machte. Ach diese wunderbaren charmanten Franzosen. Ich gab mich völlig in meine poetische Veranlagung, die ich glaube zu besitzen. Die Poesie jedoch war nur von kurzer Dauer.

»Verdammt noch mal, Tonton - es regnet und uns gefriert es! Du musst doch endlich fertig sein mit die Beten!« Zouzou, die charmante algerische Französin schrie es laut durch das Wagenfenster.

»Ich komme ja schon«, maulte ich. Vorbei war es mit Poesie und Pinien. Es folgte nun Bucht auf Bucht, ins Gebirge hinauf, zum Meer hinunter. Die Bai von Cassis und ihrem vorspringendem Kap. Ein tolles gewaltiges mit drei Höckern in die Flut vorspringendes Kap.

La Ciotat. Bandol. Etwa zwanzig Kilometer vor Toulon, der Ort Sanary begleitet von Hügel, die man mit der Hand nachziehen möchte. Ich sog alle Eindrücke in mich auf. In den Wüsten Afrikas dachte ich oft an die Schönheiten Europas. Ein Felsblock mit Leuchtturm. Segelboote. Rote Felsen. Villen auf der Anhöhe mit Parken. Verrückte Namen besaßen diese Häuser. Das eine oder andere, an dem wir vorbei kamen, hieß "Zingarella" oder "Bao-Bab". Oder "Gai logis". Verrückt diese Franzosen und so Genial. Verrückt ihre Namen. Zouzou Zizanie; Loulou; Mischou und Toutou und Tonton und was es noch alles gibt. Wir fuhren in einen Ort namens Sanary. Enge Gassen, und Häuser, rosa gestrichen mit grünen Fensterläden. Für mich, seltsam anmutend. Ich wusste, dass Thomas und Heinrich Mann einst hier einige Zeit ihres Lebens verbrachten.

»Thomas und Heinrich Mann haben hier als Exulanten gewohnt«, sagte ich zu Zouzou und Loulou.

»Viele deutsche Exulanten haben hier nach 1933 gelebt«, erwiderte Sabi Loulou.

»So viel Zauber neben so viel Leid, und soviel Glück der Natur, neben so viel Isoliertheit, Tonton!«

Zouzou überraschte mich mit diesen Sentenzen, mehr noch, sie verwirrten mich vollends. Eine eigenartige Stimmung legte sich auf uns drei. Wir waren ein jeder von uns ausgesprochene Individualisten. Jeder zog sein Leben ab, unbeirrt und auf seine eigene Weise. Und doch waren wir in diesem Augenblick ein Gedanke und ein Gefühl. Wir wussten, dass wir uns aufeinander bedingungslos verlassen konnten. Ein Gefühl das Wirklichkeit geworden war, und für unser Vorhaben auch nötig. Zum Überleben notwendig. Ich dachte in diesem Augenblick an die schönen Sätze, die Kurt Tucholsky geschrieben hatte. „Schön ist Beisammensein. Die Haut friert nicht. Alles ist leise und gut. Das Herz schlägt ruhig.“ In solchen Augenblicken liebte ich die beiden besonders und ich wünschte mir, dass diese Reise nie ein Ende haben möge. Dieses Gefühl könnte bis Mali reichen. Es wurde immer wieder auf grausame Weise, wenn auch nur für kurze Zeit, auf Eis gelegt. Dieses Mal war es der Vorschlag, da wir nun mal in einer alten Fischerstadt waren, eines dieser Fischlokale aufzusuchen, um schleimige eklige Tintenfisch-köpfe oder glitschige Austern zu essen. Und dies bei meinem malträtierten Escorial Grün, Magen.

Es regnete nicht mehr. Die Sonne schien wieder und ein lauer Wind wehte die Küste entlang. Die beiden suchten sich ein Fischlokal, und ich zog mir das blaue Beret Basque von Zouzou über die Ohren. Ich suchte mir einen Platz an der Küste. Steinchen werfend in das Meer, hing ich meinen Gedanken nach. Tobruk, Alexandrien und die Libysche Wüste fielen mir wieder ein.

***

Erinnerungen an Tobruk, Libyen 1942.

Es war schon dunkel als wir den Djebel vor Tobruk erreichten. In Panik schossen wir das italienische Zeltlazarett zusammen. Danach stürmten wir kopflos hinaus in die Libysche Wüste. Jeder für sich alleine. Am anderen Morgen fanden wir uns wieder in einem kleinen Wadi. Wir froren

entsetzlich. Unser "Battle dress“, der aus langen Hosen mit weiten Hosentaschen für die Handgranaten und einem dunklen Pullover bestand, war durchschwitzt und völlig verschmutzt. Die Gesichter hatten wir uns vor den Kampfhandlungen, zur Tarnung mit Ruß, dunkel gefärbt. Die Bartstoppeln drückten sich durch die dünne Schicht aus Ruß und der Schweiß, vermischt mit feinem Pulversand zogen breite Bahnen über das Gesicht. Die Baskenmützen, die wir uns tief in die Stirn zogen, um uns vor der Sonne zu schützen, und die umgehängten Maschinenpistolen, ließen uns aussehen wie eine Horde Wildsäue im Hochmoor.

Am Tage erreichte es Bodentemperaturen von über 70 Grad Celsius, und nachts fiel das Thermometer auf zehn Grad Celsius.

Tim Johnson, Walt Baker, Greg Harris, Benny Moore, und ich, mit dem Alias, John Walker, waren die wenige Überlebenden der Desert Group. Sie nannten mich "Bottle Jonny“, in Anspielung auf mein Alias "John Walker“, und einer bekannten Whisky-Marke. Dabei trank ich doch gar keinen Whisky, oder nur selten.

Diesem Schreibstubenhengst, der mir das englische Soldbuch mit diesen komischen Namen verpasste, sollte die Schwindsucht heimsuchen, dachte ich mir immer wieder.

Immerhin war ich nur Gast bei den Deserts, und Gäste sollten zuvorkommend behandelt werden. Den Jungs war das egal. Sie behandelten mich wie ein dazu gehörender Soldat. Folglich musste ich das tun, was in Kampf- und Partisaneneinsätzen so üblich ist.

Wir gehörten zum Rest aus John Haseldens "Long Range Desert Group“. Wir und die "Jock"-Kolonnen, die Kampfgruppen des Brigadiers Jock Campell, waren die Gegenspieler der deutschen "Brandenburger“.

Weder die deutschen Brandenburger noch die Long Range Deserts, und schon gar nicht die "Jock"-Kolonnen, waren ein Verein für Betschwestern.

Es gab nur einen Befehl und der hieß: "In den Rücken des Feindes und alles angreifen, was euch unter die Augen kommt! Keine Gefangene! "

Nachdem wir uns in unserem kleinen Versteck erholt hatten, zogen wir in südlicher Richtung weiter. Der Weg entlang der Küste zur Grenze Libyen-Ägypten war uns zu gefährlich. Die deutschen Truppen beherrschten dieses Gebiet bis weit nach Ägypten hinein. Bis El-Alamain. Uns blieb nur der Weg nach Süden zu den Kufra Oasen, dem Hauptquartier der Long Range Desert Group, und das waren immerhin 1000 Kilometer Luftlinie durch schlimmstes Wüstenterrain. Eben wie ein Teller war die Steinwüste südlich von Tobruk. Weit und breit keine Erhebung. Kein Haus und kein Strauch. Keine Deckung für uns und kein Versteck. Gar nichts. Nur Steine und Sand. Im Eilmarsch rannten wir durch die Einöde. Die deutschen Truppen durchkämmten mit Sicherheit das Gebiet um Tobruk nach versprengten britischen Einheiten. Nach etwa dreißig Kilometer erreichten wir den Wüsten Ort El-'Adem in der Steppe von Marmarika.

Vorsichtig schlichen wir uns an den Ortsrand und fanden Unterschlupf in einer der zahlreichen Häuserruinen. Hier war vor einiger Zeit noch ein Hauptverbandsplatz der deutschen Armee eingerichtet. Wahrscheinlich wurde er inzwischen näher an den Frontverlauf gebracht, in Richtung nach El-Alamain. Wenige gut markierte Zelte waren noch hier. Besser markiert als die italienische Lazarettanlage bei Tobruk, die wir versehentlich zusammenschossen.

El-'Adem schien wie ausgestorben. Ab und zu ein Araber. Sie gingen in unnachahmlichem Stolz und in äußerst aufrechter Haltung über die aufgepflügten Wege. Sie schien das alles nichts anzugehen. Sie wunderten sich nur, dass die verrückten "Inglisis" und "Alemanis" alle diese Strapazen auf sich luden, um sich im fernen Afrika zu massakrieren. Es käme ihnen niemals in den Sinn, sich mit Feinden im fernen Europa Panzerschlachten zu liefern. Die hoch intelligenten Europäer taten dies in Afrika oder sonst wo in der Welt. Die Araber liebten ihr Sprichwort: „Die Intelligenz ist eine goldene Halszierde. Der Verstand aber, ist eine goldene Krone!" Wie Recht sie haben, diese bewundernswerten Araber!

Wir saßen in unserem Versteck, und beobachteten wie eine kleine Gruppe deutscher Soldaten in einem Kübelwagen und einem Krad mit Beiwagen, die Hauptstrasse entlang fuhren, und ein größeres Gebäude ansteuerten. Wir zählten fünf Soldaten. Sie hatten genau das, was wir brauchten um zu den Kufra Oasen zu gelangen. Fahrzeuge! Der Kübelwagen und das Krad wurden von einem Soldat bewacht. Die anderen Soldaten gingen in das Gebäude. Unser Plan sah so aus, dass ich den Soldaten, der das Fahrzeug und das Krad bewachte, ausschalten sollte. Tim Johnson sollte einige Handgranaten in die geöffneten Fenster werfen, und Walt Baker und Greg Harris hätten den Eingang zu erstürmen. Benny Moore sollten den Hinterausgang des Gebäudes sichern. Wir schlichen uns an, und die letzten Meter rannten wir auf das Gebäude los. Die folgenden Szenen spielten sich in einem unwahrscheinlichen Tempo, und mit höchster Präzision ab. Geübt bis zum Abwinken. Ich war als Berichterstatter, der einzige Schwachpunkt in dieser Kette. Noch ehe sich der Soldat in seinem Kübelwagen über das Geschehen ein Bild verschaffen konnte, saß ich auf dem Rücksitz seines offenen Wagen und hielt ihm die MP an den Hals. Meine Magazine waren leer und ich konnte nur auf seine Vernunft hoffen. Es war ein älterer Obergefreiter, und er besaß diese Vernunft. Es bestätigte sich für mich, dass fast alle Soldaten dieses Dienstgrades gewisse Lebens- und Überlebenskünstler seien. Bei den Briten war es ebenso. Wilhelm Oberleitner, mein Gefangener, für den ich mich oft stark machte, wenn die anderen ihn massakrieren wollten, leistete später gute Dienste für uns.

Nach wenigen Minuten war der Überfall erfolgreich beendet. Wir fuhren von El-`Adem über Bir Hacheim in Richtung zu der Oase Gialo. Die Oase Gialo war von italienischen Truppen besetzt. Etwa zwanzig Kilometer östlich von Gialo, genau auf unserem Weg, gab es einen Brunnen, dessen Wasser man lange aufheben konnte. Die Wasserqualität der Oase Gialo war nicht sehr gut und bereits nach drei Tagen verdorben.

Die Deserts wussten dies, so dass es für uns nur diesen Brunnen von Bir Butafall als Alternative gab. Wir wussten auch, dass es auf dem Wege nach Gialo riesige Dünenfelder gab, mit einer Ausdehnung von oftmals mehreren hundert Kilometern. Wenn wir uns in diesen Dünenfeldern verirren sollten, dann gäbe es keine Rettung für uns. Wir mussten uns also vorher in Bir Hacheim, das von deutschen Truppen besetzt war, mit Brennstoff, Wasser und Proviant versorgen.

Mein Gefangener, Obergefreiter Wilhelm Oberleitner, schien dieses zu gefallen. Er versprach mir, uns bei dieser Sache behilflich zu sein. Wilhelm begriff schnell, dass ich kein vollwertiges Mitglied dieses Vereins war. Er hielt mich für einen deutschen Fremdenlegionär, der mit den Tommys gemeinsame Spiele machte. Ich ließ ihm diesen Glauben. Es war die einfachste und Unkomplizierteste Lösung. Er liebte diese Leute zwar nicht sonderlich, aber viele Legionäre taten dies, und hatten bestimmt auch ihre Gründe. Mehr wollte er nicht wissen. Meine Kameraden von den Deserts konnten kein Wort Deutsch und sie sahen jedes Mal kritisch nach mir, wenn sich Willi in seiner leutseligen Art über Gott und die Welt mit mir unterhielt und dabei fast keine Bremse, fand. Ich sagte ihm mehrmals, dass er sich etwas zurückhalten solle, denn seine Lobby bei den Deserts stehe nicht so sattelfest. Mit Lobby, meinte ich mich. Ich war trotz allem, nur ein Zivilist und eine Journaille.

Leutnant Walt Baker, ein junger Haudegen, der immer ein freundliches Wort parat hatte. Der nie fluchte und immer mit blitzenden Augen strahlte. Dieser Walt Baker war im Einsatz ein eiskalter Killer. Walt machte nie Gefangene. Feldwebel Greg Harris, ein Hüne von fast zwei Meter. Wortkarg und Kumpel. Zuverlässig bis zur letzten Patrone. Gentleman und Ästhet. Trug immer Handschuhe aus feinstem Hirschleder.

Vor dem Killen zog er sie aus. Greg machte nie Gefangene. Oberleutnant Benny Moore. Als Zivilist ein Psychologe, im Wüstenkampf ein Psychopath. Er musste sich auf dem Schlachtfeld einige aufgeplatzte Wüstenleichen ansehen. Seit dem hasst er Geziefer und Kleinstlebewesen, die unter anderem sich auch den menschlichen Kadaver einverleibten. Benny war eine unberechenbare gefährliche Mischung. Tim Johnson, Hauptmann und Staff-Leader, war ehedem ein Dozent für Biologie an einer Universität in London. Sein Lieblingsthema waren Spinnen. Er kannte die Gepflogenheiten aller Arten der Gattung Aranaea. Tim kannte sie alle. Am meisten liebte er die Spring-Spinnen. Die tanzende Aranaea.

Es freute ihn, wenn das kleinere Spinnenmännchen vor seiner Angebeteten herum sprang und tanzende Figuren macht. Und er freute sich, wenn sich diese Deppen anschließenden fressen ließen. Er liebte das lautlose Töten in der Welt der Aranaea. Mich überkam jedes Mal ein großer Ekel und die Nackenhaare standen mir zu Berge. Immer wenn Tim vom leisen Morden der Spinnen erzählte.

***

Ich saß noch immer an meinem gemütlichen Platz an der Küste, und war ein wenig eingeschlafen. Jedenfalls hörte ich nicht, wie sich Zouzou und Loulou näherten. Sie standen auf einmal neben mir und schnatterten drauf los. Ich stellte mich schlafend.

»Gucke mal guck Zouzou, wie süß er da liegt, der Cello!«

»Pst, Sabi Loulou, er schläft, der Tonton!«

»Wie ein Engelchen sieht unser Jüngelchen aus, Zouzou.«

Sabi Loulou und beugt sich über mich und ich spürte ihren Atem, der nach Fisch a la Carte, roch.

»Hast du schon mal einen Mann beim Schlafen beobachtet, Sabi?«

»Ja, Zouzou, hier am Strand, da liegt doch einer.«

»Das ist doch kein Mann, Sabi Loulou, das ist nur die liebe Tonton!«

»Sieht aber aus wie ein Mann«, entgegnet die göttliche Loulou.

»Das stimmt Sabi Loulou. Habe noch nicht daran gedacht, dass der Tonton auch ein Mann sein kann!«

Ich wurde hellwach und sah, dass sich die beiden links und rechts kniend im Sand postierten. Sie kamen mir immer näher, und ein weniger angenehme Geruch nach Fisch a la Carte, vernebelte den Sauerstoff den ich zum Atmen nun mal benötigte. Dennoch sagte ich sanft: »Wollt ihr am hellen Tag an mir herum fummeln? Was denken die Fischer, wenn ihr hier am Strand an mir herumfummelt.«

Sabi Loulou und Zouzou kramten Weißbrot und Käse aus einer Tasche und dazu eine Flasche algerischen Rotwein. Einen herrlichen blutroten "Sidi Brahim" Rotwein. Wir speisten ausgiebig und fuhren danach weiter. Toulon war nicht mehr weit entfernt, so dass wir nach kurzer Zeit im Hafen von Toulon ankamen. Ich hielt Ausschau nach den größten Schiffen aber die "Angel of Paradise" befand sich nicht unter ihnen. Wir klapperten zu Fuß die Anlegestellen ab, und standen auf einmal vor einem fürchterlich rostigen Kahn, der sich so nannte.

»Angel of Paradise«, sagte ich blöde, »da steht so etwas Ähnliches drauf. Ist es dieser Seelenverkäufer, der uns nach Algier bringen soll?«

Das alte Küstenmotorschiff verschwand beinahe zwischen den großen Frachtern. Das Schiff war an vielen Stellen arg verrostet. Die Farben an manchen Stellen vom Salzwasser zerfressen, und den verbliebenen Rest an Lack, wird die Sonne noch zu bearbeiten haben. Überall befanden sich Lackblasen. Das Schiff wirkte im Gesamten vergammelt und unscheinbar.

»Zouzou?«

»Was ist Sabi Loulou?«

»Dem Herrn Francello passt unsere schiffbare Krücke nicht! Was meinst denn du dazu?«

»Der Herr Baron Tonton von Vancelli soll sich bescheiden. Er kann nicht jeden Tag die Rebhühner haben. Man muss auch mal die Suppe ohne die Erbsen essen. Wie möchte der Herr denn gefälligst in das Meer hinaus Schiffen?«

»Ich will in die Meer schiffen, wie es echte Edelmänner wie ich einer bin, es für gewöhnlich auch tun. Ich will mit Stil und Würde in das Meer schiffen!« Ich schrie es laut zur Reling hinauf. Sabi brabbelt irgendwas vor sich hin.

»Ich wusste es schon immer, Cnollo ist ein verwöhnter Pinkel. Er kennt eben nicht den Ernst des Lebens. Hat bestimmt noch sehr wenig erlebt im Leben.«

»Iehhh, die Schiff stinkt nach die Fisch!« Zouzou schrie es lauthals von der Brücke herunter.

»Sabi Loulou?«, sagte ich flüsternd in ihr Ohr und konnte es mir nicht verkneifen, ihr in das Ohrläppchen zu beißen.

»Was ist mein Cello?«, flötete grinsend die schöne Sabi Loulou.

»Liebst du mich?«, fragte ich.

»Natürlich liebe ich dich! Ist doch logisch!«

»Ich glaube es nicht!«

»Warum nicht , Schnupselchen?«

»Wenn du mich liebst, und wenn du mich je geliebt hättest, und wenn du mich je einmal lieben wirst, warum in aller Welt lässt du dann zu, dass ich, deine große Liebe, mit diesem Fischkutter nach Algerien reisen muss?«

»Junge, Junge! Sind alle Männer so kompliziert?«, sagte sie und pustete ihre Backen gewaltig auf.

»Es steht jedenfalls fest«, rief ich laut, damit es Zouzou auch hörte, »eine gewisse Chiara Vancelli, geborene Solange Zouzou Zizanie Bergerac und Ehefrau von mir, die sie nicht ist, hatte mir einen Luxusdampfer mit Schwimmbad, Tanzmusik und Restaurant versprochen. Sie hat mir gesagt, dass sie sich auf mich, und den Dampfer schon riesig freut. Ich sage dir Sabi, die Zouzou hat geschwindelt!«

»Ich habe dich noch nie geschwindelt Tonton, und ich freue mich wirklich mit die Tonton zu reisen. Und mit die Tonton und mit die Sabi zu reisen, freue ich mich besonders, weil die Tonton und die Sabi und ich immer so lustig sind!«

»Aber mit die Schiff hast du ein bisschen geschwindelt!« schrie ich zur Reeling hinauf.

»Ach was Tonton. Wir brauchen kein Schwimmbad, wir haben doch das Meer. Tanzen können wir in die Schiffsbauch, und ein Restaurant brauchen wir auch nicht, weil du viel besser kochen kannst als die Mann in die Kombüse vielleicht kochen kann.«

»Genau«, schrie Sabi Loulou, »ist doch alles da, Cello, gelle!«

»Die Schiffsbesatzung ist nicht da«, sagte ich beleidigt.

»Die Maschinist ist da, er will uns die Schiff zeigen. Die anderen kommen heute Abend, dann sind wir aber wieder in Marseille. Wir werden morgen Nachmittag wieder hierher fahren, und an die Bord gehen, und dann in die Meer schiffen!«

»Was sind das für Leute Sabi Loulou«, fragte ich.

»Alles Spananier«, erwiderte Sabi, »deshalb haben wir doch die ganze Zeit spananisch geübt! Cello. Und deshalb bin ich doch bei dem Ausflug mit dabei. Freust du dich?«

»Das du dabei bist, freut mich ehrlich, Sabi. Das mit dem Schiff freut mich aber weniger.«

»Es wird bestimmt trotzdem ein Spaß werden, Tonton!«

Die beiden unternahmen mit dem Maschinisten einen Rundgang an Bord. Ich wollte mir das Schiff nicht weiter ansehen. Es wäre eine Zumutung für meinen kultivierten Geschmack gewesen. Sabi und Zouzou sahen sich auf dem Schiff anscheinend gründlich um. Sie waren schon fast eine Stunde weg. Morgen um 19 Uhr soll das Küstenschiff ablegen. Hoffentlich ist unsere Übernachtungsmöglichkeit heute Nacht noch etwas komfortabel, denn ab morgen wird es bestimmt eine Tortur sein, dachte ich.

Abends waren wir wieder in Marseille. Wir packten unsere Koffer und verließen das Hotel "Maison le Joyneuse", und fuhren in "die gute Hotel", wie sich Zouzou ausdrückte. Es war wirklich ein gutes Hotel, wohl das beste Hotel in Marseille.

***

Der Hafen von Toulon lag still in der Spätnachmittagsonne. Das Küstenmotorschiff, die "Angel of Paradise" machte wirklich einen traurigen Eindruck. Fast tat sie mir leid. Wie oft sie wohl schon das Mittelmeer durchkreuzte, und wie oft sie die Küste von Nord und Westafrika gesehen hatte?

Vielleicht war dies nun ihre letzte Fahrt. Die Fahrt von Toulon über Algier, hinunter nach Luanda in Angola!

Wir gingen an Bord, und die Crew, bestehend aus Kapitän, Erster Maat und Schiffsmaschinist, sowie Smutje und Schiffsjunge, begrüßte uns sehr zuvorkommend. Der Smutje machte mit seinem einzähnigen Gegrinse einen äußerst suspekten Eindruck. Die Crew bestand ausnahmslos aus Spanier

Der spanische Kapitän, zeigte uns das Schiff von oben bis unten. Selbst die Laderäume mit insgesamt etwa 160 Nettoregistertonnen zeigte er uns. Riesige Kisten und mit Planen abgedeckte Gegenstände, die nicht zu erkennen waren. Ich war total überrascht von dem tadellosen inneren Zustand der "Angel of Paradise“.

So verlottert das Schiff rein äußerlich auch aussah, die Technik, die Ausstattung und die Maschinen, sie waren in exzellenten Zustand. Alles vom Feinsten. Jedenfalls blinkte und glitzerte alles, und auch die Räume waren sauber und komfortabel ausgestattet.

Amerikanische CIA und diese eine Sektion der OAS, von welcher es mehrere gab, diese eine, bestehend aus Ullrich Wegener und seiner Agentur, seinem Mitarbeiter Markus Helmer sowie weitere Kollegen, leisteten perfekte Arbeit. Hinzukommend Harry Pichler, sowie meinen besten Freund Jean Knöpfler und dessen Frau Janine; wir betrogen Jean regelmäßig. Nicht zu vergessen Zouzou Zizanie und Sabi Loulou.

Den alten Colonel Bergerac kannte ich noch nicht. Den würde ich erst in Mopti zu Gesicht bekommen. Wer sonst noch dazu gehörte, war mir noch nicht bekannt. Mich wunderte jedenfalls nichts mehr. Selbst der KGB, vertreten durch die liebe Janine Knöpfler-Rachmanikoff mischte hier mit.

Tausende Schiffe wie die "Angel" befuhren das Mittelmeer, und legten an den Küsten Afrikas an. Und alle sahen gleich verlottert aus. Niemand schöpfte einen Verdacht, wenn solche äußerlich verrotteten Schiffe mit weniger legalen Frachten die Häfen ansteuerten. Als ich auf die verschieden großen Kisten im Laderaum verwies, erklärte mir Sabi Loulou, dass es sich um Granatwerfer und sonstiges aus der Bundesrepublik Deutschland handele und wenn wir kurz vor Algier das Schiff verließen, würde die "Angel of Paradies" den Hafen von Bougie anfahren, um weitere Waffen zu laden, die für die Söldner in Angola bestimmt wären. Von dort aus starten sie den Angriff über die Südgrenze Angolas, in den Kongo. Von Algier aus würden wir mit der Eisenbahn nach Constantine fahren, und den Unimog, der im dortigen Souk, im Auftrage des CIA, auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten wird, übernehmen, und den Sahara-Trip nach Mopti zu beginnen. Nachdem ich mit dem Maschinisten Jose im Maschinenraum Karten spielte, unternahm ich noch einen

kleinen Spaziergang durch das Schiff. Der hässliche Smutje grinste mich unverschämt einzähnig an. Das ungepflegte Schwein hielt mir dabei einen ekligen Fischkopp unter die Nase. Aus einem zweiten Laderaum, der so leer ist wie das Hirn des Schiffsjungen, hörte ich das Gelächter von Sabi und dem schönen spanischen Käpten. Ich sah kurz in den Laderaum und bemerkte, dass ich störe. Oben an der Reling traf ich Zouzou Zizanie, die ihr Gesicht in den Abendwind hielt.

»Hallo, Tonton.«

»Hallo, Zouzou«, erwiderte ich mürrisch.

»Hoppla, Tonton ist in schlechter Laune. Bin ich der Grund? Wer hat den süßen Tonton beleidigt?«

»Merkst du eigentlich nicht, dass du immer „der-die-das" durcheinander bringst?«

»Pf, wenn du nur halb so gut französisch sprechen könntest, wie ich die deutsche sprechen kann, wärst du ein Meister. Ich jedenfalls bin ein großer Meister, hat mein Professor schon gesagt!«

»Du bist eine sehr große Meisterin, Zouzou. Entschuldige das von eben. Und bringe weiterhin die Artikel durcheinander. Keine kann das so schön wie du, mein Hühnchen.«

»Hühnchen? Na ja, wenigstens hast du nicht die Frosch zu mich gesagt, die ich nicht bin.«

»Hast du Sabi Loulou gesehen? Ich suche sie nämlich.«

»Die ist im Laderaum, bei dem ohne Waffenkisten, zusammen mit dem hässlichen Koch äh Käpten. Eigentlich ist der Käpten genauso hässlich.«

»Tonton, der spanische Käpten ist eine wunderschöner Mann. Bist du etwa eifersüchtig? Also tztztz. Ich kann die Sabi gut verstehen. So ein toller Latino, hm. Tonton, wie war das mit den Frauen, die fünf Männer haben sollten?«

»Das war ja nur theoretisch gemeint«, protestierte ich, »außerdem, küssen kann der Spanier aber gar nicht sage ich dir.«

»Verstehe ich nicht Tonton. Die Spanier küssen sonst prima.«

»Ich sage dir Zouzou, der hässliche Koch äh Käpten küsst nicht gut. Er hat die Sabi nur gefressen, aber nicht geküsst. Stell die vor, der küsst als hätte er die Maul- und Klauenseuche.«

»Tonton, beruhige dich. In der Sahara, hast du uns wieder für dich alleine. Außerdem, wie würdest du denn die Sabi oder auch mich küssen?«

»Wie? Na jedenfalls unbeschreiblich gut.«

»Angeber!«

»Es stellt sich auch unbedingt die Frage nach dem WO, Zouzou.«

»Du meinst die Schiffsbauch ist nicht gut? Wo ist es denn schöner?«

»Schau mir in die Augen Kleines!«

Ich sagte es mit unwiderstehlicher Verve, wie es Weiland, Humphrey Bogart zu seiner göttlichen Ingrid Bergmann sagte. Zouzou schaute mir in die Augen. Ich brachte keinen Ton heraus, es war mir als hätte ich einen Frosch gefressen. Ich sah nur ihre schwarzbraune, glänzende und unergründliche Augen und versuchte den Frosch im Hals hinunter zu schlucken. Ich erhielt dennoch kurz danach die Fassung.

»Wir stehen am Steuerrad, Zouzou. Ich lege meinen starken Arm um deine biegsame Hüfte. Meine Leidenschaft zieht dich magnetisch an. Meine zarten Küsse berühren deine Seele. Der andere Arm hält unterdessen lässig das Lenkrad des Schiffes. Du bist verzaubert von mir.«

»Spiel mir das Lied noch einmal Sam«, flötet Zouzou Zizanie.

»Alors«, sagte ich, »wir stehen an der Reling, so wie jetzt. Ist jedenfalls viel besser als die Kombüse und die Schiffsbauch innen drin. Ich drücke dich zart und liebevoll an mich, und aus dem Ballsaale schweben die Noten der Sinfonie d'Amour, gespielt von einem Orchester uns herüber. Unsere Lippen finden sich... «

»Die Schiff hat keine Ballsaal, Tonmhm… «

»Tout egal, Zouzou!«

»Tonton, die Heringe gucken zu. Du bist ein ganz großer Filou! Ton.hm--tontomhhmm... «

Wir befanden uns seit zwei Tagen auf dem Schiff, und die erste Seekrankheit hatte ich schon hinter mir. Die erste Nacht an Bord! Ich stand an der Reling und spuckte in die See. Im Mondenschein, für mich alleine. Stundenlang würgte ich wie eine Hündin vor ihrer ersten Niederkunft, aus dem Gerberviertel von Kairo. Niemals werde ich diesen Geruch los, als ich einst in jugendlichem Leichtsinn dieses Viertel in Kairo besuchte. Und dieser spanische Käpten mit seiner spanischen Crew. Namen hatten die Jungs! Ramos y Alcartrez Valie, der Käpten! Eamon de Galiano, sein Maat! Der Maschinist nannte sich schlicht und ergreifend, Jose de Valle de los Caidos, weil er einst im spanischen Bürgerkrieg im "Tal der Gefallenen" in der Sierra de Guadarrama ein Bein verloren hatte. Die Härte aber war der Smutje, der nur einen einzigen Zahn im Maul besaß. Sein unwiderstehlicher Name war Avarez de Molinas y Guevaras. Nur der Moses, der Schiffsjunge, gab sich mit einem Namen zufrieden, der im Vergleich zur restlichen Crew, so leer war wie seine Hirnhälften, er nannte sich nur Velez Duenas. Da war ich echt froh, dass ich so einen schönen und schlichten, und doch nicht einfachen Name besitze, wie Francesco Maria Vancelli.

Ein Glück, dass die Mädels meinen zweiten Namen nicht kannten, noch nicht kannten. Die würden etwas anstellen mit mir. Dessen war ich mir absolut sicher. Jedenfalls schaute mir jener besagte Kapitän Ramos y Alcartrez Valie mit einem unbeschreiblichen Grinsen zu, als ich mit wehmütiger Mimik in die aufgewühlte See kotzte. Es ist nicht mein Umgangston, doch anders ließ sich mein unglückliches Handeln vor zwei Tagen nicht beschreiben. Zuerst war ich nur ein wenig gelb im Gesicht, dann drehte sich alles um mich herum. Mein Mageninhalt löste sich und zog in weitem Bogen eine Ballistische Kurve, die jeden Artilleriekommandanten vor Neid erblassen ließe. Ramos genoss diesen Anblick sichtlich, und hielt mir eine leere Flasche unter die Nase. Ich solle die Flasche abfüllen meinte er, für die trockenen wasserlosen Wochen in der Sahara. Ich sagte ihm, dass er ein Schwein sei, zwar ein schönes Schwein, aber doch ein solches. Ramos platzte fast vor lachen. Und so einer hat meine arme zarte Sabi-Loulou geküsst oder noch besser, gefressen.

Im Maschinenraum war es stickig heiß, und es roch nach Diesel-Öl. Hunderte Pferdestärken hämmerten gegen die Zylinderwände, als wollten sie in die Freiheit. Als möchten sie die Weiten der Ozeane im Eilschritt ergründen. Sie hämmerten "Hinaus-Hinaus-Hinaus". Nieder mit den Fesseln der Technik, bestehend aus Kolbenstangen und Kurbelwelle. Nichts, als nur hinaus in die Freiheit.

Eigentümliche Gerüche durchzogen den Maschinenraum. Nicht so sehr unangenehm. Gerüche einer sehr gefährliche Mischung aus Abenteuerlust, Menschen, Afrika, Sandmeere und Wüstenstürme. Schweiß auf der Haut, Salz auf den Lippen und schwer gezügelte Leidenschaft in der Seele.

Dieses: "NIEMAND-KANN-UNS-BREMSEN-GEFÜHL".

Sabi Loulou, ich und Jose der Maschinist, saßen im eigenen Saft im heißen Maschinenraum vor der vierten Flasche mit dem Rotwein "Sidi Brahim" beim Skat, und waren schon reichlich angesoffen. Mann, dachte ich, diese Frau verträgt vielleicht einen Stiefel und mir wurde es wieder so gelb um die Nase.

»Mala suerte - Verdammter Schwede! Sabi Loulou, sag diesem einbeinigen Ungeheuer von einem Spananischen Maschinisten, dass er gefälligst andere Karten besorgen soll. Wie kann man mit kühlem Kopf spielen, wenn auf den Spielkarten nur nackte Frauen abgebildet sind?«

Sabi-Loulou brabbelt etwas zu dem Maschinisten, und jener gab auch eine spanische Antwort, die ich natürlich nicht verstand.

»Was hat denn Manolito gesagt?«

»Er heißt Jose und nicht Manolito!«

»Ist mir auch recht.«

»Mir iss das auch wurscht, Cnollo!«

»Also?«

»Also was? Ach so, Manolito meinte, der Inhalt meinen Bienenkörbchens sei viel aufregender als die Frauen auf den Spielkarten.«

»Ich sage dir, Sabi Loulou, der alte Manolito hat einen exzellenten Geschmack. Ich finde den Inhalt in deinen Bienenkörbchen auch bezaubernd!«

»Das sagst du jetzt nur so dahin, Cello.«

»Nein, ehrlich Sabi Loulou, du bist nicht nur die beste Martinimacherin von Zürich, sondern du hast auch den tollsten Inhalt in deinen Bienenkörbchens, den ich kenne!«

»Labersack!«

»Doch echt. Wenn jetzt deine Inhalte jetzt heraus hüpften würden, dann täte-äähh-würde ich vor Begeisterung des Manolitos Ölverschmierte Karten fressen. Ohne Petersilie und Knoblauchsoße!«

»Da hast du es jetzt Francnollo! Während du im Halbsuff sabberst, hat Manolito nen Grand mit Vier, gezaubert! Und was hast du auf der Pfanne? - Nichts, wie immer!«

Wir befanden uns in Höhe der Balearen. Menorca und der Hafen von Mahon waren bereits in Sichtweite. Kapitän Ramos y Alcartrez Valie brachte seinen Seelenverkäufer auf Kurs der Schifffahrtslinie Marseille, Algier. Von hier aus waren es noch etwa 200 Seemeilen. Für uns bedeutete es bei dieser Geschwindigkeit noch etwa 22 Stunden Aufenthalt auf diesem Schiff. Sternenklar war der Himmel über der Küste Nordafrikas. Zouzou, als Navigator, befand sich in ihrem Element. Es gab kein Sternbild, das ihr unbekannt war. Sie kannte alle Bewegungsabläufe im Kosmos.

Zouzou Zizanie, Sabi Loulou, Ramos und ich saßen eingehüllt in leichte Wolldecken auf den abgedeckten Ladeluken. Ramos ließ für uns Liegestühle aufstellen. So unsympathisch war der Junge nicht, wenn ich mal von der Tatsache absehe möchte, dass er Sabi Loulou küsste als habe er wie erwähnt, die Maul- und Klauenseuche. Es war weit nach Mitternacht als unser Schiff, Wellen ziehend, vorbei an der hell erleuchteten Hafenstadt Mahon auf Menorco fuhr. Ein faszinierender Anblick, ein Ort zum Träumen und verweilen. Die drei klönten und lachten drauf los, was das Zeug hielt. Ramos war ein guter Unterhalter. Ich verstand leider kein Wort von dem was gesprochen wurde. Der guten Stimmung tat dies aber keinen Abbruch. Manchmal übersetzten mir die Mädchen einen besonders gelungenen Witz von Ramos. Abwechselnd bekamen Zouzou und Sabi regelrechte Lachkrämpfe und hüpften wie Kängurus auf der Ladeluke herum. Ein herrliches Bild und kaum zu beschreiben. Ich musste die Späße des Spanier nicht einmal verstehen, es war auch so schon eine lustige Sache. Meinetwegen konnte die Schiffsreise bis Kap Horn und zurück andauern. Selbst an den einzähnigen Smutje, der gar nicht so schlecht kochte, könnte man sich gewöhnen.

»Francesco, kannst du aufzählen eine lustig Spaß?«

Ramos versuchte sich verständlich zu machen, und Zouzou und Sabi Loulou bekamen immer wieder einen Krampf vor Lachen. Ich verneinte seine Frage. Hier war nichts mehr drauf zu setzen. Nach einer gewissen Zeit musste Ramos wieder zur Kommandobrücke und die beiden gingen ebenfalls wieder in ihre Kajüte zurück. Ich blieb noch an Deck. Es war bereits vier Uhr morgens, und den beginnenden Sonnen-aufgang wollte ich noch sehen. Sie akzeptierten es, und ich legte mir noch ihre Decken über. Es war eine herrliche klare Luft und wenn ich zurückdachte an die Zeit in Tobruk, bei der ich so unendlich viel Sand und Staub schluckte, erschien mir dieser Platz hier wie ein Sanatorium in der Schweiz. Tobruk und die Libysche Wüste.

***

Erinnerungen an die Libysche Wüste 1942

Nur Elend, und die Libysche Wüste. Wir hatten in El-`Adem den Kübelwagen und das Motorrad erbeutet, und mussten bevor wir zu dem Brunnen von Bir Butafall fuhren, welcher von deutschen Truppen besetzt war, den Ort Bir Hacheim anfahren, um Brennstoff und Proviant zu organisieren. Wir besaßen zwar noch genügend von beidem aber bis zu den Kufra-Oasen würde es nicht reichen. Der Ort Bir Hacheim sah schon von weitem aus wie ein Heerlager mit umher wieselnden deutschen Uniformen. Es war keine Chance zu sehen, um unser Vorhaben zu realisieren.

Wir umfuhren diesen ungastlichen Ort, und wollten es in dem von italienischen Truppen besetzten Gialo versuchen, das ohnehin auf unserem Wege nach Bir Butafall lag.

"Mit den Spaghettis kann man verhandeln, wenn sie nur Bargeld sehen!" Dies meinte unser Prisoner of War, PW Willi Oberleitner. Bestimmt hatte Willi diese Erfahrung schon gemacht, nur, wir hatten kein Bargeld und ohne Brennstoff und Proviant war ein durchkommen zu den Kufra-Oasen einfach nicht möglich.

Für Gialo und seine italienische Besatzung mussten wir uns etwas Besonderes einfallen lassen. Wir hatten Glück, unverschämtes Glück, ein Glück, wie es sonst nur Deppen und volltrunkene Soldaten haben.

Das Glück hieß Willi Oberleitner, ein Obergefreiter des deutschen Afrikacorps. Willi, dieser blonde deutsche Hüne mit seinen himmelblauen Augen und dem stechenden Blick, der keine Widerrede dulden ließ. Willi, war unsere Rettung.

Nachdem wir die riesigen Dünenfelder vor Gialo glücklich umfuhren, lag der Ort Gialo vor uns. Etwa in einer Entfernung von fünf Kilometer. Die Kraftstofftanks unserer erbeuteten Fahrzeuge waren inzwischen so leer, wie das Magazin meiner Maschinenpistole. Wir näherten uns Gialo von Nordost auf einer ausgefahrene Piste, die laut unserem Kartenmaterial nach Umfahren des Ort Gialo weiter in südliche Richtung zum Brunnen Bir Butafall führte. Wir mussten nicht durch Gialo fahren, die Umgehungspiste machte dies möglich. Walt Baker erklärte, dass er sich hier sehr gut auskenne, denn Gialo war bis November des Jahres 1941 von englischen Truppen besetzt.

Am südlichen Ortsrand von Gialo stieg eine kleinere Staubwolke auf. Ein Transportfahrzeug, wie Greg Harris uns sagte. Greg sah es mit seinem Fernglas. Das Fahrzeug hielt geradewegs auf uns zu. Bestimmt wollte seine Besatzung nach dem Brunnen von Bir Butafall, um ebenfalls Frischwasser zu laden.

Dort gab es das einzige Wasser, dass sich auch über längere Zeit lagern ließ. Wir mussten auch nach diesem Ort aber zunächst sollte noch Kraftstoff besorgt werden. Wasser besaßen wir noch für einige Tage.

Willi Oberleitner sprach mich an und bat die Angelegenheit für uns erledigen zu wollen. Tim Johnson, der Staff - Leader lehnte ab, nachdem ich ihm Willis Plan übersetzte.

Nach einem großen Palaver, das ich eigentlich bisher bei Engländer noch nicht erlebte, stimmten sie dem Plan zu, wenn auch unwillig so denn doch notgedrungen.

Wir schoben die beiden Fahrzeuge, die uns Dank deutscher Qualitätsarbeit sehr gute und wertvolle Dienste geleistet hatten, hinter einen Sandhügel, und warfen Tarnnetze über. Willi Oberleitner, unser Gefangener, marschierte los in Richtung Piste. Er stellte sich in die Mitte der Fahrbahn und stand ruhig und unerschütterlich, und wartete auf das Eintreffen des Fahrzeuges.

Wir gaben ihm meine Maschinenpistole, mit leerem Magazin. Teuflische Kameraden hatte ich. Ihre Erfahrungen berechtigten sie zu dieser Vorgehensweise. Wir krochen auf den Sandhügel und meine Kameraden luden die Maschinenpistolen durch. Sie würden bei einem Scheitern oder einer Flucht Willis den ganzen Laden zusammen schießen, dessen war ich mir absolut sicher. Willi versuchte wild gestikulierend das italienische Fahrzeug zum Anhalten zu bringen. Der Fahrer machte jedoch keine Anstalten, zu bremsen. Willi nahm die Maschinenpistole von der Schulter und hielt sie vor das Fahrzeug. Der Fahrer legte eine Vollbremsung hin und sprang gemeinsam mit dem Beifahrer aus dem Fahrzeug. Es befanden sich sonst keine Soldaten in dem Fahrzeug. Wir hörten Willi in schlimmsten preußischen Kasernenhofton brüllen. Ich verstand die Wortfetzen, mit denen er die beiden Italiener im wahrsten Sinne zusammen schrie.

Meine Desert-Group Kameraden, die kein Wort verstanden, wollten von mir wissen, was Willi da unten auf der Piste für einen Zauber veranstaltete. Ich erklärte ihnen, dass Willi die beiden Italiener aufforderte, ihm das Fahrzeug zu überlassen. Es sei konfisziert für seinen Vorgesetzten Major Waldhoff, Kommandant der 96 Infanterie Division.

Ob es diese 96 Infanterie Division auch wirklich gab, wusste ich natürlich nicht. Die beiden Italiener bestimmt auch nicht, doch etwas an Willis Auftreten, schien den beiden suspekt. Sie machten keine Anstalten, das Fahrzeug einem abgerissenen Infanterie-Obergefreiten zu geben. Was sich dann aber abspielte, ging rasend schnell von statten. Der Fahrer des italienischen Fahrzeuges, griff an seinen Gürtel und zog die Pistole. Sein Beifahrer nahm den Karabiner in Anschlag. Bevor die Lage für Willi zu kritisch wurde, schlug er den beiden mit zwei kleinen Drehungen den kurzen Lauf seiner Maschinenpistole an die Halsschlagader. Sie sanken zusammen wie leere Sandsäcke und lagen bewusstlos im Staub der Piste. Willi winkte uns mit seiner MP zu, und forderte uns auf, unseren Sandhügel zu verlassen. Tim Johnson und auch die anderen, wirkten völlig überrascht. Sie hatten Willi Oberleitner diese Prachtstück aus Rommels Afrikacorps total unterschätzt.

Tim versprach mir eine Sonderbehandlung für Willi, als englischer Kriegsgefangener, wenn wir erst einmal die Kufra-Oasen, und das Hauptquartier der Desert Group unbeschadet erreichen sollten. Weiß der Himmel, ob wir dies je schaffen, dachte ich.

Die beiden Soldaten wurden in den Kübelwagen gelegt. Sie waren noch in tiefer Bewusstlosigkeit.

Wir fuhren zu dem Brunnen von Bir Butafall, um die leeren Wasserbehälter zu füllen. Der Brunnen wurde von einer kleinen Gruppe italienischer Soldaten bewacht. Sie waren arglos als sie unser Fahrzeug mit den italienischen Kennzeichen sahen. Als wir allesamt aus dem Vehicle sprangen, war ihnen die Überraschung ins Gesicht geschrieben. So tief in ihrem Herrschaftsgebiet, und auch so weit von den Frontlinien entfernt, vermuteten sie keine englische Gruppe. Obwohl die englischen und auch die deutschen Kampfgruppen viele tausend Kilometer von ihren Stützpunkten aus operierten, waren sie völlig aus der Fassung. Es musste sich um eine am Krieg desinteressierte Gruppe handeln. Sie gingen sogar soweit, dass sie uns bei dem Füllen der Wasserbehälter behilflich waren. Als wir ihnen aber dann den Kraftstoff aus ihrem Fahrzeug pumpten, und zehn Flaschen Chianti-Wein konfiszierten, fingen sie doch an lauthals zu lamentieren.

Die Läufe unserer Maschinenpistolen überzeugte sie.

»Die Suppe brauchen wir selbst!« Willi sagte es sehr überzeugend. Sie wunderten sich über den deutschen Soldaten, der üblicherweise ihr Verbündeter sein sollte, und nun mit den Briten gemeinsame Sache machte.

Abgerissen erscheinende Engländer, schmutzig, unrasiert, mit zerfledderten Hosen und Pullovern, dazu mit einem deutschen Gefangenen, der sich frei bewegen und sogar eine italienische Beretta mit gefülltem Magazin um die Schulter tragen durfte.

Ich hatte auch wieder meine MP, und die Deserts gaben mir sogar eine Handvoll Patronen obwohl ich auf zehn Meter Entfernung nicht einmal ein Scheunentor getroffen hätte. Damals! Schon bei meiner Kurzausbildung bei der Desert Group brachte ich meinen Ausbilder in helle Verzweiflung. Das wussten auch die Jungs um Tim Johnson. Willi erhielt inzwischen ihr volles Vertrauen. Willi bat Tim nach Ankunft in den Kufra-Oasen die Uniform ausziehen zu dürfen und um freie Weiterreise nach Südafrika. Er sei ledig, meinte er, und ohne Angehörige, und wolle dort, vielleicht mit einem englischen Pass, ein neues Leben anfangen. Tim Johnson stimmte zu und versprach es Willi Oberleitner.

Die Stimmung war sehr gut. Wir fuhren in Richtung Süden zu den Kufra-Oasen auf der berühmten "Balificata", eine von den Italienern mit Eisenstäbe und Vermessungspyramiden gekennzeichnete Piste.

Von dem guten Chianti-Wein waren wir sturzbesoffen, einschließlich Greg Harris, unser Fahrer. Er kicherte pausenlos vor sich hin und lenkte das Fahrzeug im Slalom durch die langen Eisenstäbe. Manches Mal verließ er die Piste und drehte im Wüstensand einige riesige Kreise. Als Glücksfall erwies es sich, dass wir im Fahrzeug der Italiener einige Vorräte fanden. Salami, Dosenwurst, Weisbrot und Instant-Kaffe aus englischen Beständen, die irgendwann einmal erbeutet wurden. Nun war der Kaffee wieder in englischem Besitz. Nicht zu vergessen den Chianti, Grund unseres Rausches und der guten ausgelassenen Stimmung. Eine verrückte Welt ist das schon.

Am Abend lenkte Greg Harris das Fahrzeug von der "Balificata", der italienischen Edel-Piste, und fuhr quer durch das Gelände. Nach etwa zehn Kilometer Fahrt standen wir auf der Höhe eines Djebel, einer kleineren Anhöhe.

Hier bot sich ein weiter Blick auf die leblose Einöde der Wüste. Im Tal befand sich gleich einer Insel, eine halb verfallenen Lehmhütte mit einigen Palmen. Wie Greg Harris in seinem Zustand diesen Ort, den er scheinbar schon früher einmal besuchte, gefunden hatte, blieb mir ein Rätsel. Die verlassene Hütte wurde einst von der Karawanserei an einem Brunnen erbaut, der jedoch inzwischen versandet war. Wir richteten uns für die kommende Nacht ein. Auf eine Nacht, wie alle Nächte in der Wüste. Eisig kalt und von Sterne übersät, so scheinbar zum Greifen nah. Tim und ich hielten die erste Wache. Für zwei Stunden. Es hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, dass die Wache jeweils von zwei Leuten gehalten wurde. So war sichergestellt, dass der Wachposten nicht einschlief und dadurch die Gruppe in mögliche Schwierigkeiten bringen konnte. Hatte aber auch den Nachteil, dass wir in einer Nacht mehrmals Wache halten mussten.

Tim und ich saßen an einer Palme. Eine kleine Spinne, die sich an den Fasern des Palmenstamms ein Netz errichtet hat, saß reglos mitten darin. Wahrscheinlich schlief sie, wie unsere Kameraden. Tim bekam einen merkwürdigen Glanz in seine Augen, als er das Wunderwerk der kleinen Spinne sah.

Er fragte mich: »Was hast du bei den Deserts gelernt?« Er gab mir aber keine Gelegenheit zum Antworten sondern fuhr fort: »Du hast gelernt mit einer MP zu schießen aber das brachte nichts. Du schießt wie ein Idiot!«

War ja auch kein Wunder, dachte ich, diese Scheißdinger streuten wie verrückt und waren kaum zu führen. Und ich sagte mir, Vancelli, wenn du je eine MP brauchst, dann bestehe auf eine deutsche Schmeisser-Maschinenpistole. Alles andere ist Bullshit.

Er sagte: »Mit dem Gewehr bist du gut Francesco, und mit der Drahtschlinge! Die Messer benutzt du besser nur zum Kartoffeln schälen, im hantieren mit dem Messer bist du eine Niete.«

Er benutzte zum ersten Mal nicht meinen Pseudo-Namen John Walker. Eine leise Vertrautheit kam auf mich zu, die mich jedoch wenig beeindruckte.

»Du hast auch gelernt, wie mit der Drahtschlinge getötet wird. Als ich dich zum ersten Mal bei dieser Übung gesehen habe, ist mir dein Talent dafür aufgefallen. Du musst nur noch den letzten Schritt und den letzten Atemzug vor dem Auswerfen der Drahtschlinge verbessern. Die Schlinge würde ich an deiner Stelle nicht einfach zuziehen sondern beim Schließen ziehst du sie mit einem Rück im Genick hoch. Du vermeidest damit das Röcheln deines Feindes. Du wirst sehen Francesco, du wirst eine Spinne, eine Aranaea. Ein “Lautlos Töter“.«

Mir war als müsste ich meine Eingeweide an die frische klare Nachtluft setzen. Zum Lüften! Ich zündete mir eine Zigarette an und brachte keinen Ton hervor. Der Spinnenpsychopath sagte zum Schluss unserer Wache-Einteilung noch ein paar Sätze, die mich ein Leben lang begleiteten: »Alle Männer und auch Frauen, die das lautlose Töten gelernt haben, kommen davon nicht mehr los. Francesco, wir haben durch diesen verdammten Krieg keine Chance mehr in der Zivilisation zu bestehen. Auch du hast im Lazarett bei Tobruk die Verwundeten und Halbleichen massakriert und du hast die junge italienische Hilfsschwester erschossen. Weder du noch wir haben es mit Absicht getan, es war ein Versehen. Du wirst es niemals vergessen und du wirst, ob du willst oder nicht, immer mit “Lautlos Töter“ konfrontiert werden. Du wirst sie riechen können, ihre Witterung aufnehmen, so wie sie dich wittern. Du wirst ein “Lautlos Töter“, eine Spinne, wie ich und Walt Baker, Greg Harris und Benny Moore.«

Die kleine Spinne am Fuß der Palme an der wir saßen, hatte ihr Netz fast fertig gesponnen. Ein Kunstwerk das Tim zerstörte, indem er das Netz und die Spinne mit dem Stiefelabsatz in den Wüstensand trat. Spinnen faszinierten ihn und gleichzeitig hasste er sie, denn sie konnten in ihrer Welt etwas bis zur Perfektion, was er nie so beherrschen wird. Das perfekte Tarnen, die abgefeimtesten Fallen stellen und das absolute lautlose Töten.

***

Mich schauderte es bei meinen Erinnerungen an damals, und würden die Dieselmotoren das Schiff nicht leicht zum Erzittern bringen, ich würde glauben, dass mein Kreislauf dieses Brummen und Erschüttern zustande brächte. Es war ein schöner Anblick, als die Sonne früh morgens über dem Meer aufging. Die Königin der Nacht regierte noch im Westen, hier hatte sie schon den Mantel der Stille abgelegt. Auch wenn es nachts nie richtige Ruhe gab, so schien das Brummen der Motoren und das Rauschen der Bugwellen am Tage viel stärker in die Gehörgänge einzudringen. Das noch nicht vollständig beladene Küstenmotorschiff stampfte durch die Wassermassen und zog scheinbar ungerührt seiner Bestimmung in Algier und Bougie zu. Erst in Bougie, nach Aufnahme der weiteren todbringenden Fracht für einige verrückte und korrupte Politiker und Militärs im Kongo, und ebenso kranken Machthaber in Europa, USA und der UdSSR, wird es seinen scheinbar friedlichen Umhang ablegen und sich den blutroten Mantel des Kriegsgottes Ares überziehen. Ich, Francesco Maria Vancelli, trage auch meinen Beitrag dazu bei und habe schon jetzt das Fondue-Töpfli gestrichen voll. "Spring doch von Bord du alter Depp", sagte mein innerer Schweinehund. „Schwimm doch zurück nach Menorca, kauf dir eine Hängematte und ein Fass Martini. Leg dich an den Strand und werde alt und fett", lästerte mein zweites ICH.

Natürlich hörte ich nicht auf meine innere Stimme, denn bisher war dies alles noch lieblicher Spaß. Wenn ich es erahnt hätte, welchem Ungemach wir entgegen fuhren, wäre ich vielleicht von Bord gesprungen. Der Einzahnige stand unvermutet vor mir und hielt mir grinsend ein Tablett mit einem köstlich aussehenden Frühstück unter die Nase. Er deutete mit dem Kopf zur Brücke. Als ich mich umdrehte, sah ich Kapitano Ramos der mich freundlich anlachte. Mit südländischer Gestik forderte er mich zum Essen auf.

Das Frühstück besaß alles, was ich von einem gelungenen Frühstück normalerweise erwarte.

»Lass dich gutt smecken, babuinito«, gurgelte der Einzahnige.

***

»Tonton, was machst du auf die Bord von die Schiff?«

»Cello, jetzt aber ab mit dir in die Klapperkiste, du musst ausgeschlafen sein, wenn wir heute Mittag Harun Al Sabti treffen!«

»Wer ist denn das schon wieder, Harun Al…wie?«, erwiderte ich.

»Egal, du gehst jetzt in die Kiste«, meinte Frau Feldweiblein Sabi Loulou.

»Harun ist die algerische Mann von die Madame Bijou, die dir mit ihm damals weggebrennt ist, und jetzt gehst du endlich in die Bett, Tonton«, säuselte Zouzou.

Mit einem Schlag ist mir das vorher gut schmeckende, feine Frühstück verhagelt. Nichts schmeckte mehr. Das Ei war kalt, der Schinken roch nach altem Maulesel, und der Kaffee schien aus gepressten Kastanien gebraut zu sein. Und Zouzou lernte es wohl nie.

»Ihr habt mir alles versaut.«

»Macht nix Cello, dafür darfst du in unserem Bett schlafen. Natürlich ohne uns, wie immer. Es ist noch warm und riecht auch noch nach Zouzou und nach mir.«

»Ich darf in die Kapitänskajüte, die euch Ramos geschenkt hat?«

»Ja, Tonton. Du darfst in das doppelte Bett!«

Sie nahmen mich in die Mitte und geleiteten mich zur Kapitänskajüte. Vorbei an meiner Kombüse, diesem dunklen kleinen Loch ohne Dusche und WC, und mit nur einem trübglasigen Bullauge sowie dem altersschwachen Bett, hinüber zur Kapitänskajüte mit Türgriffe aus geschliffenem Messing und dann hinein in das kuschelige noch warme Doppelbett von Zouzou und Loulou.

Tanz der Aranaea

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