Читать книгу Lotta und Marie - Die Ruine im Wald - Romina Beer - Страница 5
Omas altes Bauernhaus
ОглавлениеNoch bevor Oma und Opa ihren Kuchen aufgegessen und den Kaffee ausgetrunken hatten waren Lotta und Marie bereits zu dem kleinen Gartenhaus geflitzt, in dem Maries Familie ihre Fahrräder aufbewahrte. Marie schob ihr Fahrrad nach draußen und half dann Lotta, das Fahrrad von Maries Mama aus der hintersten Ecke hervorzuholen. Wieso stand es nur so weit hinten? Hatte ihre Mutter nicht erwähnt, der Vater hätte den Sattel bereits eingestellt? Dann hätte er es wirklich vorne stehen lassen können. Endlich hatten sie es geschafft. "Komm Lotta, wir wollen gleich ausprobieren, ob alles passt", rief Marie. "Sollen wir uns nicht erst von deinen Eltern verabschieden und eine Uhrzeit vereinbaren, zu der wir zurückkommen?" "Iwo. Hier ticken die Uhren anders. Mama weiß doch, dass wir bei Oma und Opa sind und ich weiß, dass wir zum Abendessen zurück sein müssen." Dann konnte die Radtour ja beginnen. Nur kurz mussten sie der Dorfstraße folgen, dann überquerten sie den Fluss an einer wunderschönen Fahrradbrücke und konnten von da an landwirtschaftlichen Wegen folgen. Keine Menschenseele weit und breit. "Zum Mähen ist es noch zu früh, sonst wäre es hier einiges lauter", erklärte Marie. Fast andächtig still fuhren die beiden Mädchen weiter. Lotta musste sich doch ganz schön anstrengen. Marie mag die Tour ja gewohnt sein, sie fuhr jedoch die meiste Zeit im Stadtverkehr Fahrrad. Insgeheim freute sie sich, ihren Klassenkameradinnen von den Ferien auf dem Land zu erzählen. Vor allem die Selbstständigkeit, mit der sie und Marie sich bewegen durften, gefiel Lotta sehr gut.
Tief in Gedanken versunken erreichten die Mädchen die nächste Ortschaft. "Sieh nur Lotta, das ist Omas Bauernhaus." "Welches Haus meinst du? Und hast du nicht gesagt, wir fahren zur nächsten Ortschaft?" Lotta war verwirrt. Marie lachte. "Hier am Dorf gibt es auch Ortschaften, die nur aus ein, zwei Häusern oder einem Gehöft bestehen. Schau, im Größeren der beiden Häuser wohnen Oma und Opa, meine Tante und mein Onkel und meine Cousins. Im Kleineren der Häuser übernachten häufig Feriengäste. Der Rest sind alte Ställe, Scheunen und vieles mehr, das nicht mehr wirklich genutzt wird." Jetzt verstand Lotta. "Das ist der ganze Ort und der Ort besteht sozusagen alleine aus eurem Familienbesitz? Cool!" Lotta und Marie stiegen von ihren Fahrrädern ab. Marie führte Lotta einmal über das Anwesen. "Hier sind die ehemaligen Ställe. Hier hat Opa mir angeboten, ein Pferd unterzustellen." "Daraus wird wohl nix", lachte Lotta. "Nee. Zur Zeit nutzt Wolf die Fläche als Werkstatt. Wolf ist mein Cousin, wir lernen ihn später kennen. Das Ferienhaus betreten wir eigentlich nie. Selbst dann nicht, wenn keine Feriengäste da sind. Mein Onkel will nicht, dass wir drin rumlungern. Und hier ist das Bauernhaus. Komm, ich zeig dir Omas Küche." "Omas Küche?", hörte Lotta eine spöttische Stimme. "Ihr werdet doch nicht etwa kochen wollen? Das könnt ihr doch gar nicht." "Lotta, darf ich dir meinen Cousin Wolf vorstellen? Und das ist sein jüngerer Bruder Benedikt. Sie sind manchmal etwas vorlaut, aber das liegt wohl in der Familie." "Komm, wir zeigen dir unser Geheimlager", meinte Benedikt wichtigtuerisch. Sofort wurde er von Wolf in die Seite gestoßen. Aber da war die Einladung schon ausgesprochen. Wolf war nicht begeistert. Musste Benedikt denn unbedingt bereits beim ersten Treffen den Mädchen imponieren wollen? Was Wolf nicht ahnte: auch Lotta war nicht begeistert. Viel lieber hätte sie sich durch das Anwesen führen lassen, als gleich zu Anfang irgendwelche ominösen Geheimverstecke zu sehen. Aber sie war hier Gast und wollte nicht unhöflich erscheinen. Selbstverständlich widersprach sie nicht. Lotta betrachtete die Jungs neugierig: Wolf war groß, blond und breitschultrig. Sein Haar war kurz geschnitten und er hatte wache Augen. Benedikt, sein kleiner Bruder war nicht wirklich kleiner aber blauäugig mit etwas zu lange nicht geschnittenen dunklen Locken. Beide waren ungefähr im Alter der Mädchen. "Zeigt ihr uns jetzt das Geheimversteck, wenn ihr uns schon die Zähne lang macht oder gibt es das etwa gar nicht?", fragte Marie in die Stille. Die Blöße konnten sich die Jungs nicht geben. Wolf und Benedikt baten die Mädchen, ihnen unauffällig zu folgen. Die Mädchen lächelten. Jungs konnten so süß sein, wenn sie unwichtige Dinge ernst nahmen. Aber das durfte natürlich nicht ausgesprochen werden. Sie gingen durch die große Wohnküche bis zum alten Treppenhaus und von dort aus hinauf ins Dachgeschoss. Geheimnisvoll öffneten die Jungs die letzte Tür. "Tada, unser Geheimversteck." "Heißen Geheimverstecke nicht deshalb Geheimversteck, weil sie so geheim und versteckt sind, dass kein anderer sie finden kann?", fragte Lotta erstaunt. "Das, das..." Benedikt kam seinem Bruder zu Hilfe: "Das mag man meinen. Aber der Clou an diesem Versteck ist, dass es so offensichtlich liegt, dass keiner auf die Idee käme, es könne ein geheimes Versteck sein." Die Mädchen lachten. Ab diesem Moment waren die Kinder auf einer Wellenlänge. "Ich werde euch Jungs nie verstehen", kicherte Marie. Die Jungs lachten zwar mit, insgeheim wurmte es Wolf aber, dass er bei den Mädchen nicht punkten konnte. Denen wird er es schon noch zeigen! "Du stehst also auf richtige Geheimnisse? Du magst also Unheimliches?", wandte er sich an Lotta. "Mehr als auf dieses Kleinjungenversteck", neckte Lotta ihn. "Gut. Dann möchte ich dir eine Geschichte erzählen. Wenn man am Waldweg zweimal abbiegt und dann kurz vorm Ende scharf rechts geht landet man auf einer Lichtung, die früher ein Kloster beherbergte. Das Kloster ist weg, aber die alte Klosterapotheke, die ist geblieben." "Aha, und was daran ist jetzt geheim oder unheimlich? Das weiß doch jeder aus dem Dorf", fragte Marie. Insgeheim lächelte sie. Der kleine Angeber wollte doch wirklich Lotta beeindrucken. Die beiden Jungs mochten sie also. Gott sei Dank. "In der Apotheke ereigneten sich seltsame Dinge." "Ach nee, wirklich?", lachte Marie. Langsam ärgerte sie sich über die angespannte Stimmung die aufkam. Während Wolf und Marie gerade dabei waren, sich zu streiten, fiel Lotta ihnen ins Wort: "Im Internet steht, das Kloster war ein altes Benediktinerkloster. Die Mönche verstanden sich darauf, ihre Heilkräuterkunde als Klostermedizin zu verkaufen. Unheimliches steht hier aber nicht." "Ist doch egal", meinte Benedikt. "Das alte verlassene Gebäude alleine mitten im Wald ist schon unheimlich. Wolf und ich werden es uns nächste Nacht näher ansehen. Ich nehme an, ihr traut euch nicht mitzukommen. Wir werden euch ein Foto schicken, wie wir im Inneren der Ruine die alten Flaschen ansehen und ihr könnt dann mit einem Foto in euren Nachthemden antworten." "Du denkst doch nicht etwa, dass wir bei so einem Abenteuer nicht mit von der Partie sind", fiel Marie ihm ins Wort. "Wann soll es losgehen?" "Wir treffen uns um dreiviertel zwölf an der Ruine und gehen dann gemeinsam hinein", beschloss Wolf. Marie war nervös. Der Streit hatte eine Eigendynamik entwickelt und jetzt schlugen sie gehörig über die Strenge. Aber sie wollte nicht einlenken. Lotta beschwichtigte: "Was soll schon passieren. Lasst uns hingehen."
Von jetzt auf gleich war der Streit belegt und die Kinder schmiedeten gemeinsam Pläne, wie sie am Besten unbemerkt von den Eltern abends das Haus verlassen könnten. "Lass uns im Garten zelten", schlug Marie Lotta vor. "Dann sind wir schon aus dem Haus raus und müssen nur noch mit den Rädern zur Ruine." Die Jungs beschlossen, im Heuschuppen zu übernachten und von dort aus aufzubrechen. Als sich Lotta und Marie auf den Weg nach Hause machten, war die Stimmung gedrückt. Hoffentlich war das keine Schnapsidee. "Was solls. Wir genießen einfach das Zelten im Garten mit Extraeinlage", beendete Marie letztendlich ihre Grübelei. Zuhause angekommen bauten die Mädchen sofort das Zweimannzelt im Garten auf. "Na, ist es deinem Besuch im großen Zimmer zu ungemütlich geworden", unkte Alexa, als sie die beiden Mädchen sah. "Nein, sie hat nur Angst, dass die Zimmernachbarn zu laut schnarchen."
Endlich war die Nacht gekommen. Die Mädchen hatten sich fest vorgenommen, nicht einzuschlafen. Kaum lagen sie in ihren warmen Schlafsäcken war dieser Vorsatz aber vergessen. Gut, dass der Wecker um elf Uhr klingelte. "Marie, aufstehen. Wir müssen zu den Rädern." Ganz leise zogen die beiden Mädchen ihre Schuhe an und schlichen zu den Fahrrädern. Im Dunkeln machten sie sich auf den Weg in den Wald. Noch nie war Marie der Weg so weit vorgekommen wie heute. Überall hörten sie Geräusche. Dazu kam die Angst, von den falschen Leuten gesehen zu werden. Nicht auszudenken, wenn sie bei Mama oder Papa angeschwärzt werden würden. Endlich waren sie an der Lichtung angekommen. Dort warteten schon die Jungs im Dunkeln. Gemeinsam stellten sie die Fahrräder ab und schlichen vorsichtig aus der Lichtung heraus. Umgeben von einem Nebelschleier sahen sie einen alten, unheimlichen Steinbau: die Ruine der Klosterapotheke.