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Kapitel 4
ОглавлениеIch habe heute keine Erklärung dafür, warum es sich so verhielt, aber als ich zu Karl zurückkam, pressten sich meine Sehnsüchte durch jede Pore. Es schien, als wäre das, was sich die ganze Zeit versteckt gehalten hatte, nicht nur freigelassen worden, sondern nun auch nicht mehr wahllos. Mit einem Mal wusste ich, was ich wollte, und vor allem, wen ich wollte. Doch das machte es keineswegs leichter, denn der Aufenthalt bei Karl bestand damit aus einem Verbergen von Lust - einer Restscham, die täglich abnahm. Denn meine Bemühungen, mein Verlangen für mich zu behalten, wurden immer geringer.
*
»Bist du noch wach?«, flüsterte ich. Für den Fall, dass er unerwarteterweise antworten würde, hatte ich mir etwas Belangloses im Kopf zurechtgelegt, dass ich ihn dann fragen wollte. An diesem Abend brauchte ich es nicht. Er lag bewegungslos da. Nur sein Brustkorb hob sich ruhig und senkte sich erst nach einer kurzen Pause wieder, was mich vermuten ließ, dass er tatsächlich schlief. In langsamsten Bewegungen rutschte ich Stück für Stück an ihn heran. Zunächst mit dem Oberkörper, abwartend, ob Karl etwas hörte, dann mit dem Rest. Wenn ich ihm nahe kam, fühlte ich, wie warm er war. Ich strich ihm über das Haar, behutsam, um ihn nicht zu wecken. So hatte ich es die letzten Nächte gemacht. Oft war mir dabei die Hand tiefer und damit auf seine Schulter geraten, während mir vor Aufregung das Blut durch die Adern schoss, weil ich befürchtete, dass er es merkte.
Bis auf eine Unterhose schlief er nackt. Dadurch war das, was ich berührte nur ein Bruchteil dessen, was ich mir vorstellte.
Ich arbeitete mich unauffällig vor. Eroberte ein neues winziges Stück seiner Haut und genoss es.
Plötzlich gab er einen Laut von sich. Ich schreckte zusammen und stellte mich augenblicklich schlafend. Dann könnte ich so tun, als hätte ich mich in der Nacht versehentlich zu ihm gedreht, und wäre genauso erstaunt darüber, wie dicht wir beieinanderlagen.
Ich war eine grauenhafte Schauspielerin.
Als ich eine Weile nichts mehr hörte, blinzelte ich und sah, dass er noch im Schlaf lag. Karl hatte sich nur auf den Rücken gedreht und dabei die Decke etwas abgestreift. Seine Brust war entblößt. Sie wirkte kräftiger, als ich gedacht hatte. Das musste die muskulöseste Stelle seines Körpers sein. Ich wäre gern vorsichtiger vorgegangen, aber mit diesem Ziel vor Augen ging es nicht. Mir reichten die Schultern und der Hals nicht mehr. Meine Finger berührten seine Haut fast nicht, nur die feinen Härchen darauf nahmen mich wahr. Dort wo sie entlangfuhren, hinterließen sie Gänsehaut. Es war mir unmöglich, mit meinen Lippen nicht an seine Brust zu kommen. Ich küsste sie, umfuhr sie mit den Händen. Seine Augen blieben geschlossen. Ich wollte tiefer – musste an diesem Tag tiefer, um nicht vollends den Verstand zu verlieren und erklärte auch jeden Ort abwärts seiner Brust ungefragt zu meinem.
Karl hätte sich wehren können, wenn er es nicht gewollt hätte. Aber das tat er nicht. Er tat gar nichts. Solange, bis ich unterhalb seines Bauchnabels war.