Читать книгу HARDCORE-WESTERN, BAND 2 - FÜNF ROMANE IN EINEM BAND - Ronald M. Hahn - Страница 5

1. DIE ROTE LOLA

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1.

Ein feuchter Wind pfiff durch die Main Street von Omaha als Roger O’Donnell sich mit gespielt fröhlicher Miene von einem Spieltisch im Northern Saloon erhob und seine Karten hinwarf.

»Bye«, sagte er mit einem Grinsen und setzte sich in Richtung Tresen in Bewegung. »Den Rest eures Geldes hole ich mir ein anderes Mal.«

Die Spieler lachten erheitert. Einer lachte besonders laut. Er war als Ken der Kartenhai bekannt und glaubte, einen sehr guten Grund zur Freude zu haben: Er hatte Roger nämlich bis aufs letzte Hemd ausgeplündert und war nun um 5.050 Dollar reicher.

Natürlich hatte Ken mit gezinkten Karten gespielt. Roger wusste es. Er hatte einen Blick dafür. Er nahm es ihm aber nicht übel. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, den Tisch umzuwerfen und seinen Gegenspieler schmutziger Tricks zu beschuldigen. Um die 50 Dollar tat es Roger allerdings Leid, denn sie waren fast seine ganze Barschaft gewesen. Auf die restlichen 5000 konnte er freilich leicht verzichten, denn dabei handelte es sich um die Aktien einer nicht existierenden Silbermine in New Mexico.

Pech im Spiel – Glück in der Liebe? Als Roger am Tresen stand, bestellte er ein Bier und dachte nach. In seiner Tasche klimperten die letzten fünf Dollar. Dafür konnte er hundert Bier trinken oder zehn Nächte im Hotel verbringen. Beziehungsweise fünf Nächte, wenn er Wert auf drei tägliche Mahlzeiten legte. Doch wenn das Geld verpulvert war... Sollte er als Mann von Welt wieder in ein Büro zurückkehren?

Er seufzte und schüttelte sich. Draußen krachte ein Blitz, dann prasselte Regen auf die Stadt herab. Nebraska war nicht Kalifornien. Im Gegensatz zur Westküste gab es hier gelegentlich richtiges Wetter.

Dann ging die Schwingtür auf. Ein Mann trat ein. Seine Kleidung ließ sofort erkennen, dass er aus dem Osten kam. Roger musterte ihn kurz und fragte sich, ob er wohl eine Chance hatte, ihm ein Pfund gefälschte Aktien anzudrehen. Doch dann stutzte er.

Der Neuankömmling sah ihn im gleichen Augenblick.

»Der Teufel soll mich holen«, sagte er. »Roger O’Donnell!«

»Pssst«, sagte Roger leise und schaute sich um. Doch niemand schien seinen Namen gehört zu haben. »Nenn mich nur Roger.«

Der Mann, der in etwa seine Statur hatte, trug einen teuren Bowler. An seiner Weste war die Kette einer goldenen Taschenuhr zu sehen. Er war ein Jahr älter als Roger, und sie hatten vor ungefähr zwei Jahrzehnten in New York zusammen die Schulbank gedrückt. Roger hatte es als Sechzehnjährigen in den Westen gezogen. Homer von Wallenstein war im zivilisierten Osten geblieben und hatte als Journalist Karriere gemacht. Wenn man es genau nahm, gehörte er zur New Yorker Prominenz. Er war als Reporter für mehrere einflussreiche und auflagenstarke Zeitungen tätig.

»Was führt einen gut erzogenen und gebildeten jungen Mann wie dich in ein solches Nest, Homer?«, fragte Roger.

»Die Arbeit.« Homer seufzte. Er war der Sprössling einer reichen Familie und hatte es eigentlich gar nicht nötig, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten. Aber der Journalismus war sein Leben. Er liebte den Geruch von Papier und Druckerschwärze. Und natürlich las er seinen Namen auch gern in der Zeitung. »Und du?«

»Nun jaaa...« Roger musterte seinen alten Freund und fragte sich, wie er es anstellen sollte, ihm einen Hunderter aus den Rippen zu leiern, ohne sich zu kompromittieren.

Im gleichen Moment wandte Homer sich an den Wirt und bestellte flink eine Runde für zwei. Die beiden Männer prosteten sich zu und tranken. »Um ganz zu offen zu sein«, sagte Roger dann, »ich sitz in der Scheiße.«

»Ach.« Homer musterte ihn. In seinen Augen saß der Schalk. »Das hätte ich von dir nicht erwartet.« Seine Stimme troff vor Ironie.

Roger deutete auf den Spieltisch. »Die haben mir das Fell über die Ohren gezogen.« Er hüstelte. »Ich bin blank.«

»Ach, wirklich?« Homer musterte interessiert Ken den Kartenhai und dessen Freunde. Sie waren gerade im Begriff, ein neues Opfer an ihren Tisch zu locken. Sie gingen dabei ziemlich gerissen vor, denn sie taten so, als hätten sie noch nie im Leben ein Kartenspiel gesehen. Zu ihrem Erfolg trug natürlich auch die Tatsache bei, dass ihre Gesichter von Natur aus sehr einfältig wirkten.

»Ich hätte auch Lust auf ein Spielchen«, sagte Homer.

Leichte Panik wallte in Roger auf. Er musste seinen Freund unbedingt auf andere Gedanken bringen. »Wie gesagt«, fing er an, »mir geht’s ziemlich dreckig, und...«

Homer winkte ab. Der Spieltisch schien ihn wirklich sehr zu interessieren. »Ich weiß schon, Roger. Keine Angst. Ich leih dir was.«

Roger atmete auf.

»Ich hab ohnehin nur wenig Zeit«, fuhr Homer fort, ohne ihn anzuschauen. »Ich muss Morgen früh raus. Ich fahr mit der Union Pacific nach Westen. Begleite ’ne berühmte Gräfin aus Europa, die ’ne Rundreise macht... Soll für ’n paar Zeitungen über sie berichten...« Er kniff die Augen zusammen. Roger sah ihm an der Nasenspitze an, dass er drauf und dran war, an den Spieltisch zu gehen und in sein Unglück zu rennen.

»Hör zu, Mann«, sagte er hastig, »bevor du völlig den Verstand verlierst.« Er räusperte sich. »Ich hab kein Dach über dem Kopf, und...«

»Ich wohn im Grand Hotel, gleich gegenüber.« Homer setzte sich in Richtung Spieltisch in Bewegung. »Zimmer fünfzehn. Da ist Platz für zwei. Ich lad dich ein. Geh schon mal rüber. Ich komm dann irgendwann nach...«

Rogers Blick folgte ihm zum Spieltisch hin. Homer nahm neben Ken dem Kartenhai Platz und rieb sich die Hände, wie jemand, der schon im Voraus weiß, dass er gleich einen Haufen Geld gewinnen wird.

Na schön, dachte Roger. Man kann nicht alles haben. Er trank sein erstes Bier aus und wollte gerade zum zweiten greifen, als sein Blick auf eine Dame fiel, die nur wenige Schritte entfernt allein an einem Tisch saß.

Ihr Blick war auf ihn gerichtet, und das Glitzern in ihren Augen sagte ihm, dass sie daran interessiert war, ihn kennen zu lernen. Die Dame war schwarzhaarig, gertenschlank und hatte braune Augen. Roger schätzte sie auf Ende zwanzig. Jedenfalls war sie mindestens zwei Jahre jünger als er. Neben ihr stand eine karierte Reisetasche, an deren Griff ein kartonierter Zettel hing. Er stammte der unverkennbar aus dem Fundus der Union Pacific-Eisenbahngesellschaft. Man brauchte nicht für die Pinkerton-Detektei zu arbeiten, um zu erkennen, dass die junge Frau auf Reisen war und auf den Zug wartete.

Roger schenkte ihr das charmante Lächeln, das er in der Regel immer dann aufsetzte, wenn er vorhatte, jemandem Aktien nicht existierender Silberminen zu verkaufen. Dann trat an den Tisch heran und frage: »Verzeihung, Lady, ist dieser Platz noch frei?«

Die junge Dame schaute sich kurz um. Nur am Tresen war Betrieb. Vom Spieltisch abgesehen war der Saloon leer. Ein Lächeln umspielte ihren roten Mund. Roger wusste sofort, dass er gewonnen hatte.

»Sehr witzig«, sagte sie. »Wirklich sehr witzig.« Sie zwinkerte ihm zu. Roger nahm das Bier, das Homer ihm spendiert hatte, und nahm ihr gegenüber Platz.

»Mein Name ist Roger... ähm... McGuinn.«

»Freut mich, Roger. Ich bin Fifi La Plume.«

Roger glaubte ihr kein Wort. Keine Frau auf de Welt hieß Fifi La Plume. Nicht mal in Frankreich. Es sei denn, sie war auf der Bühne tätig. Oder in dunklen Gassen.

»Ich wette, du bist auf der Bühne tätig«, sagte Roger. »Ich seh’s an deinen hübschen Beinen.«

Fifi grinste und zupfte an dem Kleid, das ihre Beine bis zu den Unterschenkeln bedeckte. Sie trug schwarze Lederstiefel mit hohen Absätzen und einen ausgestellten braunen Wildlederrock. Unter ihrer roten Bluse wölbten sich zwei ansehnliche Hügel, die Rogers Blick magisch anzogen.

Sie schien nichts zu tragen, was ihm den Blick auf ihre Brustwarzen verwehrte. Welch ein Glück für Fifi, dass sie beschlossen hatte, in diesem Saloon auf den Zug zu warten. Die in den anderen Kaschemmen Omahas tätigen Frauen hätten sie mit Sicherheit als unliebsame Konkurrenz empfunden. Roger zweifelte keine Sekunde daran, dass sie eine Hure war. Aber sie war auch sehr schön, und ihre Zutraulichkeit gefiel ihm so sehr, dass er spontan eine körperliche Reaktion zeigte.

Er hatte ein Dach über dem Kopf. Er hatte fünf Dollar in der Tasche, und vor ihm stand ein volles Bierglas. Ihm gegenüber saß ein Wesen, dessen Äußeres seine Phantasie beschäftigte. Was wollte er mehr?

»Ich bin nicht mehr künstlerisch tätig«, sagte Fifi. »Ich habe beschlossen, der Halbwelt Adieu zu sagen und mich zu verheiraten.« Ihre Augen glitzerten auf eigentümliche Weise. Roger hatte den Eindruck, dass sie es mit der Treue nicht sonderlich genau nahm.

»Wer ist der Glückspilz?«

»Ein Unternehmer in einer kleinen Stadt im Westen. Sie heißt Hard Times. Ich habe ihn über eine Zeitungsannonce kennen gelernt.« Fifi deutete auf ihre Reisetasche. »Ich nehme den Abendzug.« Sie warf einen raschen Blick auf die Kuckucksuhr hinter dem Tresen. »Bis der Zug abfährt, muss ich noch ein paar Stunden totschlagen...« Ihr Blick wanderte über Rogers Gesicht, als überlege sie, ob er ein Mann sei, mit dem es sich lohnte, die Zeit totzuschlagen.

Roger nutzte die Gelegenheit. »Ein paar Stunden?« Er räusperte sich. »Ich kenn da eine Räumlichkeit, die viel bequemer ist als die hier.« Er deutete hinter sich. »Was hältst du davon, wenn wir sie... ähm... aufsuchen? Sie liegt gleich gegenüber.«

Er deutete zur Main Street hinaus. Dort ragte das Grand Hotel auf, in dem Homer eingemietet war. Sein Freund saß am Spieltisch und begutachtete konzentriert sein Blatt. Wenn der Spielteufel ihn in den Krallen hatte, war er für einige Stunden schachmatt gesetzt. Auch wenn er verlor, würde es ihn nicht schwer treffen. Im Gegensatz zu Roger hatte Homer noch nie am frühen Morgen in der Unterhose eine Spielhölle verlassen.

Fifi grinste verdorben. »Was wollen wir da machen? Halma spielen?«

»Ich würde dir gern meine Briefmarkensammlung zeigen«, erwiderte Roger.

»Ach, wirklich?« Fifis Augen blitzten auf. Dann leerte sie ihr Glas mit einem Zug und deutete mit dem Kinn auf die Reisetasche.

Roger ließ sein Bier stehen. Er nahm die Tasche an die Hand und sie verließen den Saloon. Draußen stürmte und krachte es. Regen fiel vom Himmel, so dass sie eilenden Fußes über die Straße rennen mussten.

Der Hotelportier war ein Einäugiger mit einer schwarzen Augenbinde. Als er Fifi sah, kniff er sein gesundes Auge zu, und seine Miene zeigte, dass er wusste, wer sie war.

Ein Dollar wechselte den Besitzer. Roger fragte nach Homers Schlüssel, der ihm problemlos ausgehändigt wurde. Wie er sah, war das Hotel voll belegt. Am Empfang standen eine Menge Koffer herum. Also schienen noch andere Gäste auf den Abendzug nach Oshkosh zu warten. Als er hinter Fifi die steile Holztreppe hinaufstieg, riskierte er einen Blick auf ihre schwarz bestrumpften Unterschenkel. Das, was er zu sehen bekam, gefiel ihm.

2.

Homers Zimmer schaute zur Main Street hinaus, die allmählich im Schlamm versank. Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet. Das Wasser prasselte in die Tiefe. Trotz der nachmittäglichen Stunde war es inzwischen so finster wie am Abend.

Auf dem Nachtschränkchen neben dem Messingbett brannte eine Kerze. Roger lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen und einem schwarzen Zigarillo zwischen den Zähnen auf der gesteppten Tagesdecke und schaute Fifi La Plume zu. Sie stand am Fußende und schälte sich aus den Kleidern. Ihre straffen Schenkel steckten in Strümpfen, die von gerüschten roten Bändern gehalten wurden. Die Korsage, unter der sich ihr üppiger Busen wölbte, wirkte wie ein Pariser Modell. Fifis Haut war sonnenbraun, so dass sie eher spanisch als französisch wirkte. Dass sie keine Französin war, bewies schon ihre Aussprache. Doch aus welchem Kreis der Welt sie stammte, war Roger unklar.

»Weiß dein Glückspilz eigentlich, was du bis jetzt getrieben hast?«, fragte er als Fifi wie eine Schlange neben ihn glitt und anfing, ihn aus seinen Kleidern zu schälen.

»Um Gottes willen...« Sie zog ihm die Hosen herunter, betrachtete seinen Unterleib und machte große Augen. »Was ist das denn?«

Roger warf einen Blick auf seinen Junior. »In gebildeten Kreisen sagt man Pe...«

Fifi grinste. »Ich weiß schon, wie man so was nennt, mein Lieber.« Sie leckte sich die Lippen. »Aber wieso ist er so... ähm... groß?«

»Er freut sich, dich zu sehen«, sagte Roger achselzuckend. Er schaute interessiert zu, als Fifi den Kopf auf seinen Bauch legte. Sein Schwengel richtete sich auf und klatschte gegen ihre Wange. Seine Hand fuhr über ihren von einem engen schwarzen Schlüpfer bedeckten Hintern und griff in ihr Fleisch.

»Mmm...« Fifi griff ebenfalls zu. Roger zuckte zusammen. Gleich darauf spürte er ihre Lippen an seiner Männlichkeit, und er sank auf das Kissen zurück und schloss die Augen. Pech im Spiel. Glück in der Liebe. Nun ja, als Liebe wollte er das, was Fifi gerade mit ihm machte, nun doch nicht bezeichnen. Aber es war ein schönes Gefühl, sich von ihr verwöhnen zu lassen. Seine Hand fuhr in ihren Schlüpfer und streichelte ihr Fleisch. Sie strahlte Hitze aus, und als ihr Po sich ihm entgegen drängte, wusste er, dass auch sie das heiße Spielchen genoss.

Die Muskeln seines Schafts spannten sich, und als Fifis Lippen sein Ding umschlossen, stöhnte er sein Wohlbehagen leise heraus. Seine Linke zog ihren Schlüpfer langsam herunter und entblößte die festen Rundungen ihrer Backen. Fifi spreizte willig die Schenkel. Seine Hand glitt zwischen ihre Beine und ertastete feuchte Honigspuren. Ihr Kopf fuhr nun auf und ab, und das aus ihrer Kehle kommende Seufzen sagte ihm, dass er in ihrem heißen Schritt auf die richtige Stelle gestoßen war. Die Kuppe seines Zeigefingers hatte ihr hartes Knöpfchen erwischt und rieb es. Fifi wiegte sich wollüstig auf dem Bett, biss einmal fest in seinen Schwengel und setzte dann dazu an, ihn gänzlich zu verschlingen.

»Großer Manitou«, keuchte Roger. Sein Hintern setzte sich hektisch in Bewegung, und er tauchte in die Kehle der hübschen Frau ein. Sein Zeigefinger flutschte über ihre harte Liebesperle. Seine Ohren fingen wollüstige Laute auf, die seine Phantasie noch mehr anfachten. Er fragte sich, was Fifi wohl machte, wenn er seinen Teil der wortlos getroffenen Abmachung einfach vergaß und explodierte, bevor sie sich auf ihn gespießt hatte. Doch der Gedanke verging ihm, als Fifi ihn aus ihrer Kehle gleiten ließ. Sie richtete sich auf, schaute ihn kurz mit glitzernden Augen an und schwang sich dann mit einer gekonnten Bewegung auf ihn. Ihr Po fuhr hoch, sie packte Rogers Schwengel und richtete die Spitze auf ihre rosige, leicht klaffende Furche. Sie schloss die Augen, machte »Ahhh...« und setzte sich unendlich langsam auf ihn.

Roger hob den Kopf und sah sich halb in ihr verschwinden. Fifi verzog das Gesicht, als habe sie allerlei zu verkraften, dann ließ sie sich auf ihn fallen. Ihr üppiger Busen rieb sich an seiner unbehaarten Brust. Roger spürte ihre harten Nippel, die sich in sein Fleisch bohrten. Wogen der Lust ließen ihn stöhnen, als ihre festen Muskeln sein Gerät packten und kneteten. Er schlang die Arme um ihren Rücken, und sie küssten sich voller Leidenschaft. Dann fing Fifi an, ihn zu reiten. Sie keuchte und winselte vor Lust und spielte mit einer Hand an ihrer Liebesperle.

Rogers Unterleib setzte sich ekstatisch in Bewegung und hob die schlanke Frau in die Luft. Der Wind wehte durch das offene Fenster, setzte die Vorhänge in Bewegung und blies die Kerze aus. Nach einer Minute stieß Fifi ein kehliges Seufzen aus, und Roger wusste, dass sie zum Höhepunkt gekommen war. Er drehte sich mit ihr zusammen auf die Seite, positionierte sie auf dem Rücken, spreizte ihre Schenkel und fuhr erneut in sie ein. Während Fifi, die sich noch immer in einem heftigen Orgasmus wand, die Hände auf ihre Brüste legte und in ihre Warzen kniff, setzte Roger zum Endspurt an. Er war seit vier Wochen mit keiner Frau mehr im Bett gewesen und wunderte sich, wieso er es so lange aushielt. Doch er hatte den Gedanken kaum gedacht, als seine Lenden zuckten. Er wich blitzschnell zurück, denn er wollte keine Frau schwängern, die in Kürze den Bund der Ehe eingehen wollte. Sein Schwengel zuckte in der Luft und explodierte. Fifi drehte das Gesicht zur Seite, aber das Kissen würde er wohl unter Wasser halten müssen.

Roger ließ sich schwer atmend neben sie fallen. Fifi schlang die Arme um ihn und küsste ihn noch mal.

»Warum haben wir uns nicht eher getroffen?«, fragte sie nach einer Weile.

»Weil ich ein unbeständiger Typ bin«, sagte Roger, »und du anständig werden willst.«

»Soll das heißen...?«, setzte Fifi verblüfft an.

»...dass ich der gleichen Welt entstamme?« Roger nickte. Er richtete sich auf und nahm den Zigarillo an sich, den er zuvor auf dem Nachtschränkchen abgelegt hatte. »Du hast jetzt das Alter, in dem man nach Sicherheit sucht, wenn man vernünftig ist«, fuhr er fort. »Du bist eine Frau. Aber ich bin ein Mann. Ich kann’s noch ein paar Jahre aushalten.«

Er zündete den Zigarillo an, setzte sich auf die Bettkante, warf einen Blick aus dem Fenster und paffte blaue Wolken in die Luft. Die wenigen Menschen, die draußen zu sehen waren, saßen unter den Vordächern der Geschäfte und schauten dem prasselnden Regen zu.

»Wie alt bist du?«, fragte Fifi. Sie stand auf.

»Dreißig.«

»Und was machst du so?«

Roger grinste. »Ich verkauf Aktien.«

»Aktien?«

»Von Silberminen.« Roger schnippte Asche aus dem Fenster. Als er sich umdrehte und Fifi in ihrem leicht verdorben wirkenden Aufzug sah, regte sich zwischen seinen Beinen wieder etwas. Sein Blick fiel auf ihr kurzes schwarzes Schamhaar. Es war eindeutig gestutzt, und das gefiel ihm. »Komm doch mal her...«

Fifi setzte sich neben ihn, und er legte einen Arm um ihre Schulter. »Du bist ’ne hübsche Frau – und nicht dumm. Steig aus, solange du noch ’ne Chance hast. Lass dich nicht mit Kerlen wie mir ein. Die meisten taugen nichts und werden eines Tages mit ’ner Kugel im Kopf enden.«

Fifi schmiegte sich an ihn. Ihre Hände waren auf seinem Rücken und seinen nackten Schenkeln. »Es ist komisch, so was von einem Mann wie dir zu hören...«

Roger seufzte. »Die meisten Ganoven sind zu einfältig, um als Verbrecher Karriere zu machen. Sie bilden sich was auf ihre Stärke ein, aber sie ahnen nicht, dass die wirklich erfolgreichen schrägen Geschäfte von ganz anderen Leuten gemacht werden.« Er schaute Fifi an. »Ich kenn meine Grenzen, Fifi. Ich kann das nicht mehr lange machen. Aber solange es noch geht, mach ich es.«

Fifi stand auf und griff nach Rock und Bluse. Roger paffte seinen Zigarillo und schaute ihr beim Anziehen zu. Irgendwie fand er es erotischer, wenn Frauen sich auszogen.

3.

Zwei Stunden später – der Regen hatte inzwischen aufgehört – kehrte Roger O’Donnell vom Bahnhof ins Hotel zurück. Er hatte Fifi zum Zug gebracht und ihre Reisetasche in den Waggon getragen. Sie hatten sich noch mal umarmt und geküsst. Dass Fifi dabei ihren Schoß an dem seinen gerieben hatte, hatte ihm besonderes Vergnügen bereitet.

Doch nun stand der Ernst des Lebens wieder auf dem Terminplan. Er musste nach der Pleite am Spieltisch wieder auf die Beine kommen. Vor allen Dingen musst er Omaha und Nebraska verlassen, bevor Ken der Kartenhai mit seinen tollen Aktien am Montag zur Bank ging. Denn spätestens dann würde er erfahren, dass er auf jemanden reingefallen war, der mindestens so schräg war wie er selbst. Ken hatte in Omaha nicht den besten Ruf. Er galt als jährzornig und nachtragend. Wenn er erfuhr, dass die Aktien keinen Schuss Pulver wert waren, würde er sich rächen. Ob er einen Revolvermann schickte oder selbst kam, war Roger im Moment gleichgültig. Er war kein Held und wollte auch keiner sein. Helden waren seiner Meinung nach phantasielos.

Nachdem er in Brodericks Restaurant ein kleines Steak mit Kartoffeln und eine Tasse Kaffee zu sich genommen hatte, kehrte er ins Grand Hotel zurück. Der einäugige Portier zwinkerte ihm mit seinem gesunden Auge zu. Roger ignorierte ihn. Wie sich zeigte, war Homer noch nicht vom Spieltisch zurück. Sein Zimmerschlüssel hing noch am Empfang. Roger ließ ihn sich geben und ging hinauf. Als er am Fenster saß und den nächsten Zigarillo paffte, sah er seinen Freund durch die Schwingtür des Saloons ins Freie treten. Homer blieb auf dem Gehsteig stehen, schaute sich um und atmete tief die frische Luft des Abends ein. Dann überquerte er mit äußerst beschwingten Schritten die Straße.

Als er sich vor der Treppe des Hotels befand, fiel der Lichtschein aus dem Inneren auf sein Gesicht. Roger sah Homer grinsen und wusste auf der Stelle, dass er eine Menge gewonnen hatte. Kurz darauf polterten die Schritte seines Freundes die Treppe hinauf. Die Zimmertür ging auf, und Homer stand strahlend im Rahmen.

»Nun?«, fragte Roger.

»Dreimal darfst du raten«, sagte Homer. Er blieb im Türrahmen stehen und rieb sich die Hände.

»Du hast gewonnen.«

»Das kann man wohl sagen.« Homer griff grinsend in die Innentasche seines Nadelstreifenanzugs und entnahm ihr einen Haufen Papiere. »Aktien für fünftausend Dollar!«, sagte er freudestrahlend. »Was sagst du dazu?«

»Ähm...«, machte Roger. Er konnte es nicht fassen.

»Ich hab diese blöden Hornochsen bis aufs letzte Hemd ausgenommen«, sagte Homer aufgedreht. »Natürlich hab ich auch was verloren. Aber nur einen Tausender.« Er schnalzte mit der Zunge. »Ich bin jetzt Aktionär einer Silbermine in New Mexico! Ist das etwa nichts?«

»Doch, doch«, sagte Roger hastig, während er sich gleichzeitig innerlich verwünschte. »Ich hoffe nur, die tausend, die du verloren hast, waren nicht dein ganzes Bargeld...«

»Leider doch«, sagte Homer. »Aber das macht nichts. Sobald die Bank aufmacht...«

Er nahm seinen Bowler ab, und im gleichen Moment bildete sich auf seiner Stirn ein großer roter Fleck.

Homer öffnete den Mund, als wolle er schreien, doch aus seiner Kehle kam nur ein dumpfes Röcheln.

Erst dann hörte Roger den Knall. Im gleichen Moment gab Homer seine starre Haltung auf und flog wie jemand, dem man einen heftigen Stoß versetzt hat, dem Fußende des Bettes entgegen. Er breitete die Arme aus, die Aktien flatterten durch die Luft, und er schlug lang hin.

Draußen, auf dem Gang, ertönte das Scharren von Stiefeln, dann rannte jemand die Treppe hinunter.

Roger war vor Schreck wie gelähmt. Als er eine Sekunde später in den Gang hinaus hechtete, hörte er den Portier nach dem Sheriff schreien. Vom oberen Treppenabsatz aus sah er einen Mann mit einem großen weißen Champie-Hut und fliegenden Rockschößen durch die Empfangshalle auf die Main Street laufen. An seinen Stiefeln klingelten mexikanische Sporen. Roger eilte mit hämmerndem Herzen ins Zimmer zurück und warf einen Blick aus dem Fenster. Der Mann, der Homer von hinten mit einem Kopfschuss erledigt hatte, bog gerade in eine Seitengasse ein und tauchte im Dunkel der Nacht unter.

Ich muss hier raus, dachte Roger spontan. Wenn er mich gesehen hat, bin ich sein nächstes Opfer. Außerdem hielt er es für unklug, bei einer Leiche angetroffen zu werden, wenn der Sheriff kam.

Er schaute sich rasch um. Homers Reisetasche stand neben dem Bett...

4.

Die Nacht war finster und kalt, als Roger O’Donnell mit der Tasche seines toten Freundes aus dem Fenster sprang.

Als er sich aufrichtete und umschaute, erblickte er den Mann mit einem Champie-Hut. Er lugte aus der Gasse gegenüber und zog sich dann rasch zurück.

Verdammt! Ist er das? Roger machte einen Satz, bog in eine dunkle Gasse ein und bemühte sich, nicht in die vielen Pfützen zu treten, die der Wolkenbruch hinterlassen hatte. Er betete darum, dass der Kerl, der ihn aus dem Fenster hatte springen sehen, nicht mit Homers Mörder identisch war. Doch schon nach einer halben Minute wurde ihm klar, dass Beten nichts half. Hinter ihm wurden Schritte laut, und zwar nicht nur von einem Mann, sondern mindestens von dreien. Da ihn niemand anrief und zum Stehenbleiben aufforderte, konnten es kaum Gesetzeshüter sein. Der Killer mit dem Champie-Hut hatte ihn also gesehen. Und er war nicht allein. Vermutlich wollte er den missliebigen Zeugen nun aus dem Verkehr ziehen.

Roger biss die Zähne zusammen. Da er unbewaffnet war, hatte er jeden Grund, um sein Leben zu fürchten. Er musste die Kerle irgendwie abschütteln. Auf sein Ehrenwort, dass er nichts gesehen hatte, legten sie vermutlich keinen Wert. Außerdem hatte er nicht vor, vor Mördern zu katzbuckeln. Homer war sein Freund und eine Seele von Mensch gewesen. Er hätte ihm gewiss aus seiner momentanen Pechsträhne herausgeholfen.

Er musste Omaha verlassen. So schnell wie möglich. Aber wie? Er hatte kein Pferd. Er hatte nur eine Möglichkeit: die Eisenbahn. Ihm fiel ein, dass Homer gesagt hatte, er wolle am frühen Morgen mit der Union Pacific nach Westen fahren. Was hatte er dort gewollt? Roger hatte es vergessen. Aber es war jetzt nicht wichtig. Er musste erst Mal ein sicheres Versteck finden, um die Reisetasche zu durchsuchen. Wenn Homer eine Bahnreise geplant hatte, hatte er auch den dazu nötigen Fahrschein.

»He, Mann! Bleib doch mal stehen!«

Roger zuckte zusammen und warf einen schnellen Blick über die Schulter. Der Bursche mit dem Champie-Hut war etwa dreißig Meter hinter ihm. Ihm folgten mit wehenden Mänteln zwei andere Gestalten, in deren Händen Roger im Licht des silbernen Mondes Colts aufblitzen sah.

Roger schlug einen Haken nach rechts. Die Gasse war zu Ende. Hier begann die Second Street. Gleich an der Ecke öffnete sich ein Tor in einem Bretterzaun. Dahinter erstreckte sich ein Sägewerk. Vor ihm türmten sich Massen von Balken und mehrere Meter hohe Bretterstapel auf. Roger hatte das Grundstück im Nu betreten und jagte zwischen zwei Holzstapeln dahin. Im spärlichen Licht der Sterne sah er zwar nur wenig, doch der Besitzer des Sägewerkes schien über einen gewissen Ordnungssinn zu verfügen. Der Platz war aufgeräumt, so dass keine Gefahr bestand, dass er stolperte und sich die Knochen brach. Vor ihm ragte ein Schuppen auf. Die Tür stand offen. Im Inneren gähnte Finsternis. Roger eilte hinein und blieb stehen.

Hinter sich, am Eingang des Grundstücks, hörte er leises Getuschel. Dann zog eine Wolke vorbei, und der Mond beschien die drei Gestalten, die ihm auf den Fersen waren. Der Mann mit dem Champie-Hut und den mexikanischen Sporen redete hektisch auf seine Gefährten ein. Einer der Männer, ein hageres Individuum mit einem grauen Staubmantel und einem grauen Stetson nannte ihn »Georgie«.

Roger hielt den Atem an. Sein Herz schlug heftig. Georgie war offenbar davon überzeugt, dass der Mann, den sie verfolgten, durch den Torweg gegangen war. Seine Komplizen schienen ihm wenig gewogen zu sein, denn Roger entnahm ihren wütend geknurrten Worten, dass sie ihm am liebsten eine reingehauen hätten. »Bevor man jemandem umlegt«, knurrte der Hagere und gab Georgie eine Kopfnuss, »überzeugt man sich gefälligst, ob Zeugen in der Nähe sind, du Blödmann!«

Der dritte Mann brummte: »Wenn er überhaupt was von dir gesehen hat, wird er die Schnauze halten, Mann. Dass er sofort abgehauen ist, beweist doch, dass er die Hosen gestrichen voll hat!«

»Weißt du, wie er aussieht?«, fragte der Hagere.

»Ich hab ihn nur von hinten gesehen, Flint«, sagte Georgie. Er wirkte leicht verärgert, als hätte er sich die Sache viel leichter vorgestellt.

»Den finden wir jetzt nicht mehr.«

Georgie murmelte etwas vor sich hin. Schließlich gab er auf und zog mit seinen Gefährten von dannen.

Roger stellte die Reisetasche ab. Er wartete ein paar Minuten, bis er sich ganz sicher war, dass die Männer ihn nicht nur in Sicherheit wiegen wollten. Dann zündete er ein Streichholz an, schirmte es mit der Hand ab und untersuchte Homers Tasche. Er fand das Übliche, das ein Gentleman bei sich hat, wenn er auf Reisen geht: Unterwäsche, Hemden, eine Ersatzhose, ein Handtuch und Rasierzeug. Er stieß auch auf ein in Leder gebundenes Notizbuch, wie Journalisten es bei sich tragen und einige Schreibutensilien.

Kein Geld. Nicht einen Cent.

Keine Fahrkarte.

Homer musste beides am Körper getragen haben.

»Mist!« Roger fluchte unterdrückt. Dann stieß er auf ein kleines Etui. Er öffnete es, und sein Blick fiel auf ein Paar goldene Manschettenknöpfe. Na, immerhin etwas. Er steckte es in die Jackentasche, dann trat er vorsichtig ins Freie und ging in die Second Street hinaus. Nachdem er sich umgeschaut und außer einem einsamen Trunkenbold, der leise vor sich hin singend nach Hause wankte, keinen Menschen erblickt hatte, machte er sich auf den Weg. Er hatte gestern in der Nähe des Bahnhofs ein Leihhaus gesehen. Dass der Laden jetzt noch geöffnet war, hielt er für unwahrscheinlich. Aber vielleicht war der Besitzer noch anwesend. Oder er wohnte im gleichen Haus.

Die Glocke einer Kirche schlug zehn, als Roger sich durch ein Gewirr von Gassen in Richtung Bahnhof durchschlug. Er achtete sorgfältig darauf, keinem Deputy über den Weg zu laufen. Er hatte keine Lust, Fragen zu beantworten die die Aktien betrafen, die in Homers Zimmer am Boden verstreut lagen. Vielleicht wurde der Sheriff misstrauisch, wenn er hörte, wem die Papiere vor Homer und Ken dem Kartenhai gehört hatten. Vielleicht hing in seinem Office sogar schon ein Steckbrief, der vor dem Betrüger Roger O’Donnell und seinen Aktiengeschäften warnte.

Nein, er musste raus aus Omaha. Zum Glück war die Stadt keins der Nester, die er durchquert hatte, bevor er hier angekommen war. Omaha war eine große Stadt. Hier hatte die Union Pacific ihren Anfang genommen. Hier fuhren viele Züge ab, und es musste mit dem Teufel zugehen, wenn es ihm nicht gelang, einen zu erwischen, die in den nächsten Stunden abfuhr.

Das Leihhaus war tatsächlich schon geschlossen, nicht jedoch die Kaschemmen, die es umgaben. Roger fragte einen Cowboy nach dem Inhaber und bekam die genuschelte Antwort, er wohne im ersten Stock. Als er anklopfte, öffnete ihm ein rothaariges Mädchen mit einem kurzen Rock. Er schätzte es auf höchstens achtzehn Jahre. Unter ihrer Rüschenbluse wölbten sich zwei prächtige Äpfelchen, und sie hatte einen so süßen Silberblick, dass Rogers Schwengel sofort zuckte.

»Ja, bitte?« Der prüfende Blick, der ihn traf, hätte Eisberge schmelzen können.

Roger lüftete seinen Stetson. »Entschuldigen Sie, Miss«, sagte er und schaute sich um. »Ich befinde mich in einer finanziellen Notlage. Deswegen muss ich...« Er zückte das Etui mit den Manschettenknöpfen. »...mich von einem Teil meines Besitzes trennen.«

Die Rothaarige runzelte die Stirn, doch Roger sah ihr am Gesicht an, dass er Eindruck auf sie gemacht hatte. Das war vom Ansatz her schon mal positiv. »Wir haben schon geschlossen, Sir...«

Roger setzte sein charmantestes Lächeln auf. Eins wusste er: Sein Aussehen war sein Kapital. Und in seiner momentanen Lage musste er es ausnutzen. »Seien Sie so nett und machen Sie eine Ausnahme...« Er blickte nun ziemlich verzweifelt drein. »Ich muss unbedingt den Zug erwischen, aber ohne Fahrkarte...« Er zuckte hilflos die Achseln. »...wird man mich nicht mitnehmen.«

Die Rothaarige lächelte. Ihr Blick wanderte über Rogers Gesicht und seinen breiten Brustkorb nach unten, bis sie an der Beule haften blieb, die sich in seiner Hose zeigte. Ihre roten Lippen formten ein O, und ihre Augen leuchteten auf. Dann deutete sie mit einer flinken Handbewegung in den Laden.

»Kommen Sie rein.«

Sie ging mit wiegenden Schritten vor Roger her, so dass er ausgiebig Gelegenheit hatte, ihr dralles Hinterteil zu bewundern. Die junge Lady schien sich ihrer Reize bewusst zu sein. Als sie im Inneren des mit allerlei Waren vollgestopften Ladens an einem langen Tresen standen, warf sie einen Blick in einen kunstvoll verzierten Wandspiegel, zupfte an ihrem Haar und spitzte die Lippen. Aus irgendeinem Nebenraum kreischte eine schrille Stimme: »Wer ist da, Josie!?«

»Kundschaft, Mama!«, rief Josie zurück. Sie wandte sich an Roger. »Dann packen Sie mal aus...«

Ihre Augen glitzerten so eindeutig, dass Roger sich fragte, ob sie seine Ware oder ihn selbst zu sehen wünschte. Er beschloss, erst mal mit den Manschettenknöpfen anzufangen.

»Ah, Gold«, sagte Josie. Sie nahm das Etui und trat in ein fensterloses Hinterzimmer, in dem sich ein Schreibtisch und mehrere mit Wertgegenständen beladene Regale befanden. Roger folge ihr und schaute sich um. Josie klemmte sich eine Juwelierlupe ins linke Auge und nahm lässig auf der Ecke des Schreibtisches Platz. Ihre grünen Augen richteten sich auf Roger, und ein schelmisches Lächeln umspielte ihre Lippen. »Haben Sie es sehr eilig?«

Roger warf einen kurzen Blick auf eine leise tickende Standuhr. »Auf ein Stündchen mehr oder weniger soll es mir in Ihrer reizenden Gesellschaft nicht ankommen...«

»Fein, fein«, sagte Josie und legte die Lupe neben sich auf den Tisch. »Auch ich empfinde Ihre Gesellschaft als angenehm...« Sie spitzte erneut die Lippen, dann stützte sie sich mit den Händen auf der Tischplatte ab und spreizte leicht die Beine. Ihr Rock rutschte hoch und entblößte zwei gut gewachsene, sonnenbraune Schenkel. »Ich glaube, wir sollten uns näher kennen lernen«, hauchte sie.

»Ganz meine Meinung.« Roger trat zwischen ihre Schenkel und legte die Hände auf ihre Knie. Josie seufzte, als er sie berührte, und Roger vergaß seine Verfolger. Es war noch nicht Mitternacht, und so weit er wusste, fuhr der nächste Zug erst in den frühen Morgenstunden ab. Hier war er nicht nur sicher. Hier harrte seiner auch eine junge liebesbedürftige Frau. Als seine Hände über ihre Schenkel nach oben fuhren und die Hitze spürten, die unter ihrem Rock herrschte, griffen Josies aufgeregte Hände nach seinem Gürtel. Sekunden später, als Rogers Rechte zärtlich ihren von einem Baumwollhöschen bedeckten Schamhügel streichelte, hatte sie seinen Schwengel in der Hand und rieb ihn mit einem lüsternen Stöhnen auf und ab.

Roger musste an sich halten, um das dünne Textil nicht zu zerreißen. Es war ihm zwar persönlich unverständlich, wie er ausgerechnet in dieser Situation an solche Dinge denken konnte, aber natürlich war es nicht unwichtig, die Schäfchen ins Trockene zu bringen, bevor der Tag zu Ende war. »Sag mir«, keuchte er dem erregten Mädchen ins Ohr, »wie viel sind die Manschettenknöpfe wert?«

Josie, die sich inzwischen an seine linke Schulter schmiegte und sich ganz seiner zärtlichen Hand hingab, ächzte in sein Ohr: »Achtzig Dollar...«

»Sagen wir hundert...« Roger riss den Baumwollstoff nun doch in Fetzen und schob ihren Rock kurzerhand bis an ihre Oberschenkel hoch.

»Fünfundachtzig...«

»Oh, Baby«, raunte Roger ihr ins Ohr. Sein Prügel fuhr zwischen ihre Beine und dehnte ihre heiße Spalte. Josie quietschte entzückt, als sie seine Lanze spürte. »N-n-neunzig...?«

Roger spannte seine Muskeln an. Als er in sie hinein fuhr, biss Josie ihm vor Leidenschaft in den Hals.

Im gleichen Moment ertönte wieder die kreischende Stimme. »Josie! Wie lange dauert das denn noch?!«

»Mach w-w-weiter«, stöhnte Josie. Sie lehnte sich nach hinten, bis sie auf dem Schreibtisch lag und streckte einen Arm aus. Roger packte ihre Beine und legte sie über seine Schultern. Er legte los. Josie zog, ohne die Augen zu öffnen, eine Schublade auf und griff hinein. Während Roger sie schnaufend beglückte, reichte sie ihm einen 100-Dollar-Schein.

»Josie! Ich komm jetzt runter!«

Josie riss die Augen auf. Roger fluchte unterdrückt, zog sich zurück und verstaute seine Juwelen. So ein Mist! Auf der Treppe wurden Schritte laut. Er richtete hastig seine Kleider. Josie atmete mehrmals schnell durch, damit die Röte ihres Gesichts ein wenig verflog. Als die Tür aufging, stand Roger mit der Reisetasche an der Hand mitten im Raum und zwinkerte Josie zu.

»Vielen Dank, Miss Josie... War mir eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen...«

Eine Frau, die er auf Ende dreißig schätzte, schaute ihn neugierig an. Es war unglaublich, dass sie die Besitzerin der grauenhaften Stimme sein sollte, denn sie war so hübsch wie ihre Tochter.

»Mir auch, Sir«, sagte Josie und wandte sich ihrer Mutter zu. »Der Gentleman hat’s eilig, Mama. Er muss noch den Zug kriegen...«

Mamas Blick war voller Misstrauen. Möglicherweise wusste sie, welch nymphomanisches Früchtchen sie in die Welt gesetzt hatte. Aber natürlich konnte sie nicht beweisen, dass der Kunde, der vielleicht ein wenig schwer atmete, es mit ihrer Tochter getrieben hatte.

Sie brachte Roger zur Tür. Er zog den Hut, ließ seinen Charme noch einmal spielen und schlug sich in die nächste Seitengasse, um den Weg zum Bahnhof zu suchen.

Als er dort ankam, schlug die Kirchenglocke elf. Der Zug stand auf den Schienen und wurde gerade mit Wasser und Kohle beladen. Mehrere rußverschmierte Eisenbahner eilten mit Laternen hin und her, und ein paar Arbeiter der US Mail rollten mit Karren Post und Fracht ans Gleis. Roger erfuhr, dass er bis zur Abfahrt noch eine Stunde Zeit hatte. Er kaufte sich eine Zeitung, setzte sich ins Bahnhofscafé und bestellte einen Muntermacher. Zum Glück hatte er einen Fensterplatz erwischt. Von hier aus konnte er den Bahnhof von Omaha gut im Blickfeld halten.

Nachdem er die Zeitung durchgelesen hatte, warf er einen Blick hinaus. Der Zug war lang. Roger zählte neun Waggons sowie vier Fracht- und einen Salonwagen, der sich ganz am Ende befand. Er reckte den Hals, um zu sehen, ob der Salonwagen möglicherweise jemandem gehörte, der vielleicht noch ein paar Aktien brauchte, dann fiel ihm ein, dass er keine mehr hatte. Er fluchte leise vor sich hin.

Na schön, er hatte hundert Dollar, das war mehr als ein gewöhnlicher Kuhtreiber in drei Monaten verdiente. Aber als Mann von Welt musste er gut gekleidet sein und konnte nicht in verwanzten Absteigen wohnen. Garderobe und Rasierzeug hatte er zum Glück in Homers Reisetasche gefunden...

Gegen Mitternacht Uhr zuckte Roger plötzlich hoch und stellte fest, dass er geschlafen hatte. Er sprang auf, nahm die Tasche und eilte über den nächtlichen Bahnhof. Außer ihm waren alle Reisenden eingestiegen. Als er sich suchend umschaute, entdeckte er eine dralle Blondine in modisch-schicken Kleidern, die den Eindruck machte, als warte sie auf jemanden.

Da außer den Eisenbahnern und Roger O’Donnell weit und breit niemand zu sehen war, rief sie: »Homer von Wallenstein?«

Roger blieb verdutzt stehen. »Ja?«

Verdammt! Jetzt fiel es ihm wieder ein. Homer hatte ihm erzählt, er wolle mit irgendeiner Berühmtheit eine Reise durch den Westen machen.

»Ja, wo bleiben Sie denn?« Die Augen der Blondine sprühten wütende Funken. Sie hatte ein hübsches Gesicht und war für eine Frau ziemlich groß. Roger schätzte sie auf etwa siebenundzwanzig, und ihr Busen war auch nicht zu verachten.

»Entschuldigen Sie...«, stotterte er und überlegte flink, wie er aus dieser Situation wieder herauskommen sollte. War sie die europäische Berühmtheit, von der Homer gesprochen hatte? Offenbar hatten die beiden einander noch nie gesehen. Im gleichen Augenblick schrie der Zugführer: »Alles einsteigen! Der Zug fährt jetzt ab!«

»Jetzt aber schnell!«, sagte die Blondine und deutete auf die offene Tür des Salonwagens. »Die Gräfin wartet nicht!«

Die Gräfin? Roger fluchte stumm. Er schwang seine Reisetasche auf die hintere Plattform des Salonwagens, und plötzlich fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, einen Fahrschein zu lösen. Großer Manitou!

Aber als Gast der Gräfin würde ihn vermutlich niemand nach solchen Lappalien fragen. Es war auch gut möglich, dass die Gräfin eine Pauschale für ihren Salonwagen zahlte und die Anzahl ihrer Gäste niemanden interessierte. Mit anderen Worten: Er konnte einen Haufen Dollars sparen, und das war auch nicht schlecht.

Die Blondine eilte hinter ihm her. Als sie auf der Plattform standen, stieß der Stationsvorsteher einen schrillen Pfiff aus.

»Ich bin Roxanne Prentiss«, sagte die Blondine. »Die Gesellschafterin der Gräfin.«

»Angenehm«, erwiderte Roger. »Ich bin R... Homer von Wallenstein. Aber Sie können mich ruhig Homer nennen.« Er fand den Namen Homer ebenso albern wie der echte Homer.

Roxanne öffnete ihm lachend die Wagentür, und sie kamen in einen kleinen Raum, der wie ein Lesezimmer eingerichtet war. Auf dem Boden war ein Teppich. Die Wände waren mit kostbarem Edelholz verkleidet, und an den Fenstern befanden sich Gardinen. »Ihr Abteil ist gleich hier vorn, Mister von... Homer.« Sie deutete auf eine schmale Tür. »Sprechen Sie Deutsch?«

Roger spürte, dass ihm heiß wurde.

»Ähm, nein. Wie kommen Sie darauf?«

»Wegen Ihres Namens.«

»Ach so.« Roger zuckte verlegen die Achseln. Hätte der blöde Homer sich nicht irische Eltern aussuchen können? »Dritte Generation«, sagte er beiläufig. »Meine Großeltern haben meinen Eltern diese Sprache leider nicht beigebracht.«

»Gräfin Landsfeld spricht nämlich leidlich Deutsch«, erläuterte Roxanne. »Und da hat sie gern jemanden um sich, der sie beherrscht. Damit sie in Übung bleibt.«

»Verstehe.« Roger warf einen Blick in das Abteil, das Roxanne für ihn geöffnet hatte. Es war klein, als diene es normalerweise als Quartier für eine Zofe oder einen Butler, aber es enthielt ein Klappbett, einen Klapptisch, einen Stuhl und ein schmales Schränkchen, in dem er seinen Kram verstauen konnte. Er hatte die Reisetasche kaum aufs Bett gestellt, als Roxanne auch schon an seinem Ärmel zupfte. »Kommen Sie, Homer, Sie müssen sich der Gräfin vorstellen.«

Roger seufzte unterdrückt. Er hatte an Homers Stelle mit der Eisenbahn verduften wollen. Doch nun hatte er das nächste Problem am Hals. Er konnte nur hoffen, dass die geheimnisvolle Gräfin seinen Freund nicht persönlich kannte. Er hatte jetzt keine andere Wahl, als auf das Spiel einzugehen.

Doch in der nächsten Stadt, das schwor er sich, würde den Zug still und heimlich verlassen.

5.

Einen ersten Vorgeschmack auf die hohe Position der Gräfin Landsfeld erhielt Roger O’Donnell, als er am anderen Ende des Salonwagens die Gestalten dreier Männer erblickte. Einer von ihnen war ihm bekannt.

Jerry Grover war Anfang vierzig; ein glatt rasierter Bursche mit wachen grauen Augen und einem Grübchen am Kinn. Er trug, wie seine Kollegen, einen langen braunen Mantel, und an seinem Gurt baumelte ein Adams-Perkussionsrevolver. Als er Roger erblickte, verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln, und er hob die Hand, um ihn zu begrüßen.

Roger, der hinter Miss Prentiss ging, gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er die Klappe halten sollte. Grover verstand sofort. Er zuckte die Achseln und wandte sich wieder seinen Kollegen zu, die es sich im Abteil am Anfang des Waggons bequem gemacht hatten.

Roger wusste, dass Grover in den Diensten der berühmten Detektivagentur Pinkerton stand. Wenn er die Gräfin bewachte, musste sie eine wirklich hochgestellte Persönlichkeit sein. Er hätte Grover gern begrüßt und ihm auf die Schulter geklopft, aber er musste unter allen Umständen vermeiden, dass er ihn in Gegenwart Roxannes beim Vornamen ansprach.

Die Gräfin, fand Roger kurz darauf heraus, war nicht nur eine schöne Frau, in deren Gegenwart sich sein Schwengel gewaltig aufblies. Sie war auch ebenso schick gekleidet wie Roxanne. Weniger gefiel ihm jedoch die arrogante Miene, mit der sie den vermeintlichen Journalisten aus New York betrachtete.

Nachdem Roger Platz genommen hatte, schickte die Gräfin Roxanne fort, um Kaffee zu holen. Dann schlug sie ihre bemerkenswert hübschen Beine übereinander, steckte sich eine Zigarette an, klemmte sie in eine elfenbeinerne Zigarettenspitze und musterte ihr Gegenüber wie ein Stück Fleisch. Ihr Haar war kupferrot wie das Josies, doch glatt und lang. Eigentlich, fand Roger, wie sie eher ein Blondinentyp. Sie war für dieses puritanische Land recht heftig geschminkt, und er fragte sich, wie wohl die Bewohnerinnen der Kistenbretterstädtchen des Westens reagierten, wenn sie aus der Eisenbahn stieg, um sich umzuschauen.

Obwohl sie ziemlich freundlich mit ihm sprach, wurde er das Gefühl nicht los, dass sie hochnäsig war und ihn, den Tintenkuli von der Presse, für weit unter sich stehend hielt. Während sie sich nach seinen bisherigen Heldentaten erkundigte, was ihn zwang, ein paar Indianerschlachten zu erfinden, denen er im Auftrag seiner Zeitung beigewohnt hatte, erwähnte sie einen König, mit dem sie ein besonderes Verhältnis verband. Da Roger keine Ahnung hatte, von wem sie sprach, brach ihm bald der Schweiß aus. Nach einer Tasse Kaffee suchte er mit der Ausrede das Weite, er habe seit 36 Stunden nicht mehr geschlafen.

Auf dem Gang traf Grover, der sich von seinen Kollegen löste und stirnrunzelnd auf ihn zukam.

»Hast wohl keinen guten Tag heute, was?«, fragte er jovial und schlug Roger auf die Schulter. Er schaute sich um, ob ihnen auch niemand zuhörte. »Was hast du mit der Montez zu schaffen, alter Junge? Ich hoffe doch, du bist nicht hier, um ihr deine faulen Aktien anzudrehen?«

»Montez?«, fragte Roger. »Heißt die Gräfin so?«

»Ja, Mensch, kennst du sie denn nicht?« Grover machte große Augen. »In Europa ist die tolle Lola ’ne echte Berühmtheit. Sie hat einen deutschen König an der Angel. Er heißt Louis oder so. Er ist unser Auftraggeber.«

Roger zupfte sich an der Nase. »Ich muss zugeben, dass ich noch nie was von ihr gehört habe. Wo kommt sie her? Aus Mexico?«

Grover grinste. »Das weiß kein Mensch. Sie behauptet, Spanierin zu sein, aber ich habe in ’ner Zeitung gelesen, dass sie in Wirklichkeit aus Irland stammt und in England aufgewachsen ist.«

»Wieso heißt sie Lola...?«

»Lola Montez«, half Grover ihm aus. »Ist wohl ’n Künstlername. Bevor der König sie zur Gräfin gemacht hat, war sie ’ne berühmte Tänzerin.« Er deutete auf seine Kollegen. Der eine schlief, der andere verschanzte sich hinter einer großformatigen Zeitung. »Wir sollen ein Auge auf sie halten.«

»Verstehe.«

»Und was machst du hier?«, fragte Grover. »Bist du etwa der Reporter, den sie erwartet hat?«

Roger grinste gequält. »Sozusagen.«

»Was heißt sozusagen?«, fragte Grover. »Bist du’s oder bist du’s nicht?« Seine Miene zeigte unverhüllte Neugier, so dass Roger den Eindruck gewann, dass er vermutete, er sei auf irgendeine schlüpfrige Weise mit der königstreuen Gräfin verbunden.

»Hör zu, Mann...« Roger beugte sich vor. Er kannte Grover seit zehn Jahren, und sie hatten zusammen manches Fass aufgemacht. Einmal hatten sie sich sogar eine Geliebte geteilt. Er konnte ihm vertrauen, denn er war imstande, Beruf und Privatleben zu trennen. »Nenn mich Homer, wenn die Gräfin oder die Prentiss dabei sind...« Er berichtete, was ihm widerfahren und wie er in diese verzwickte Lage gekommen war.

Grover machte große Augen, doch er grinste. »Ich kenn außer dir niemanden, der es immer wieder schafft, sich in solche Schwierigkeiten zu bringen«, sagte er und lachte leise. »Aber mach dir keine Sorgen. Bei mir ist dein Geheimnis gut aufgehoben.« Er deutete auf die Tür des Abteils der Gräfin. »Diese Zicke ist ein entsetzlich verwöhntes Balg. König Louis...« Grover verzog das Gesicht. »...hat strengste Anweisung erlassen, dass wir jeden ihrer Schritte bewachen. Vor allem sollen wir darauf achten, dass sie sich schicklich aufführt und nicht mit Kuhhirten und Zeitungsschmierern fraternisiert«.

»Ach, wirklich?« Roger schaute Grover überrascht an. »Auf mich macht sie eigentlich nicht den Eindruck, als hätte sie Lust, sich mit Bürgerlichen abzugeben.«

Grover grinste erneut. »Dort, wo sie herkommt, hat sie alles andere als einen guten Ruf. König Louis ist wegen seines Umgangs mit ihr heftiger Kritik ausgesetzt.«

»Aus welchem Land kommt sie?«, fragte Roger interessiert.

»Bavaria«, sagte Grover.

»Kenn ich nicht.«

»Ich auch nicht«, erwiderte Grover, »aber mein Freund Schnauz ist dort geboren. Wenn er nicht weiter weiß, sagt er immer Jo, mei. Ich würd gern wissen, was es bedeutet, aber er sagt’s mir nicht.« Er deutete auf seinen Zeitung lesenden Kollegen, der frappierend einem Walross glich. Schnauz schaute kurz auf und streckte Grover die Zunge heraus.

»Ich hau mich jetzt was aufs Ohr«, sagte Roger und klopfte Grover noch mal auf die Schulter. »Ich hab seit Gott weiß wann kein Auge mehr zugemacht...«

»Na, dann Gute Nacht.«

»Pfüat di«, sagte Schnauz.

»Ja«, erwiderte Roger im Weggehen. »Du mich auch.«

6.

Trotz seiner Müdigkeit konnte Roger nicht einschlafen. Als er die Reisetasche auspackte und seine Sachen in den schmalen Schrank legte, fiel ihm Homers Notizbuch wieder in die Hände.

Er blätterte es durch und stieß auf zahlreiche Eintragungen, die sich mit der Gräfin beschäftigten. Allem Anschein nach hatte Homer seine Hausaufgaben ordentlich gemacht. Das, was er zusammengetragen hatte, war ein fast lückenloser Lebenslauf der berühmten Tänzerin.

Wenn seine Notizen stimmten, war die Gräfin Landsfeld 1822 unter dem Namen Eliza Marie Gilbert als Tochter eines Offiziers und einer Kreolin in dem schottischen Städtchen Montrose zur Welt gekommen. Ihrer Mutter sagte man große »Liederlichkeit« nach, denn sie hatte ihren Gatten mit einem Offizier namens James betrogen, sich scheiden lassen, James geehelicht und dann mit ansehen müssen, wie ihre Tochter ihr den neuen Gatten ausgespannt hatte.

Eliza und James waren nach Frankreich gegangen, hatten dort Bigamie betrieben und Elizas Mutter später mit Geld abgefunden. Dann war Mr. James mit seiner jungen Frau nach Indien gegangen, wo Eliza nicht nur allen Männern den Kopf verdreht, sondern nun ihrerseits Ehebruch mit dem bis dato unbescholtenen Lord Auckland, dem Generalgouverneur von Indien, begangen hatte, der daraufhin geschasst und von der Königin nach England zurückbeordert worden war. Elizas Gatte war danach dem Trunk verfallen und hatte eine Inderin aus einer angesehenen Familie entführt.

In Indien hatte Eliza sich eine Weile in finsteren Kreisen herumgetrieben, die Gunst eines Gewürzhändlers ausgenutzt, um ihn um 1000 Pfund in Gold zu erleichtern und war nach England zurückgekehrt, um dort als Tänzerin ihr Glück zu machen. Ein spanischer Tanzlehrer hatte sie ausgebildet und ihr zu spanischen Sprachkenntnissen verholfen. Bald darauf war sie unter dem Namen »Maria Dolores de Porris y Montez« aufgetreten. Sie hatte sich eine Abstammung aus der Linie eines gewissen Don Juan d’Austria erdichtet, eines Halbbruders des Königs von Spanien.

In Paris hatte sie den ihr sexuell hörigen Grafen Poincaré in den Selbstmord getrieben. In Brüssel hatte sie einen Monsieur Beulemans schwer verletzt, indem sie ihr Pferd hochriss, so dass dieser von dessen Hufen getroffen wurde – denn Monsieur Beulemans hatte sich die Frechheit herausgenommen, schlecht über sie zu reden. In Holland hatte ihr Geliebter Marquis de Villiers einen Mann ermordet, weil er in ihm einen Nebenbuhler zu erblicken glaubte.

In Russland war Graf Porwanski spurlos verschwunden, nachdem er angeblich in eine Orgie hineingeplatzt war, an der seine Geliebte Lola und fünf Herren teilnahmen. In Polen hatte ihr der Vizekönig Prinz Paskiewicz nachgestellt, dessen Liebeswerben sie jedoch ausgeschlagen hatte, weil er sechzig Jahre alt gewesen war.

Momentan sagte man ihr ein heftiges Techtelmechtel mit dem verheirateten deutschen König Ludwig nach, der sie, damit er standesgemäß mit ihr umgehen konnte, sogar in den Adelsstand erhoben hatte.

All dies war starker Tobak, fand Roger – aber auch ein gutes Mittel zum Einschlafen, denn er hatte noch nie verstanden, wieso ein Mann, der viele Frauen hatte, als Teufelskerl, und eine Frau, die viele Männer hatte, als Hure galt.

Am nächsten Morgen war der Himmel bedeckt, und es sah nach weiterem Regen aus. Als Roger fertig war, gehorchte er dem Knurren seines Magens und folgte dem Geruch frisch aufgebrühten Kaffees.

Im Salon des Salonwagens, der wie ein Wohnzimmer eingerichtet war, nahm er an einem gedeckten Tisch Platz. Kurz darauf rauschten die Gräfin und Roxanne herein und leisteten ihm Gesellschaft. Roger tafelte zum ersten Mal seit Tagen fürstlich und versuchte die Gräfin und ihre Gesellschafterin mit Bonmots zum Lachen zu bringen. Bei Roxanne hatte er teilweise Erfolg, doch Gräfin Landfeld betrachtete ihn nur aus kleinen Augenschlitzen, als frage sie sich, welchen Proleten man an ihre Seite gesetzt hatte.

Roger kramte im Schatzkästlein seiner Erinnerungen und erzählte drollige Geschichten aus dem Journalismus, die er von Homer kannte und über die er herzlich hatte lachen müssen. Doch dass die Gräfin für die amerikanische Presse, die in ihren Augen nur Krawall- und Revolverblätter unterhielt, nur Spott übrig hatte, zeigte sich bald.

Roger schlug seinem Frühstücksei frustriert den Schädel ein und bemühte sich, Charme zu versprühen, der nichts mit seinem angeblichen Beruf zu tun hatte. Doch vergebens. Die Gräfin gähnte, und ihm wurde immer klarer, dass sie wirklich eine hochnäsige Zicke war.

Als schließlich gar nichts mehr lief, griff er in seiner Verzweiflung zu der alten Masche, die er nur anwendete, wenn er jemandem Aktien andrehen wollte: Er lobte ihr tänzerisches Können, bewunderte ihren adeligen Umgang und versuchte sich bei ihr einzuschleimen, indem er vorgab, ein großer Bewunderer der europäischen Lebensart zu sein.

»Dass ein typischer Amerikaner wie Sie sich nach so etwas sehnen kann«, sagte die Gräfin, »ist mir völlig unverständlich. Sie sind laut, aufgeblasen und gehen mit der Zutraulichkeit eines Welpen auf andere Menschen zu.«

Roger schluckte. Was war falsch daran, seinen Mitmenschen offen entgegenzutreten?

»Auch wenn mein Freund, der König, mit Ihrem Verleger auf gutem Fuß steht«, fuhr die Gräfin fort. »Ich verabscheue die Kultur, die Sie vertreten. Genau genommen ist es überhaupt keine.«

Das war deutlich. Sie hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er gesellschaftlich meilenweit unter ihr stand.

Als sie aufstand, um in ihr Abteil zurückzukehren, atmete Roger auf. Zu seiner Überraschung entdeckte er im Gesicht Roxannes Sympathie für ihn. Als die Gräfin zur Tür hinausging, tippte sie sich an die Stirn, als wolle sie sagen, dass ihre Herrin einen Vogel hatte.

Als die Frauen gegangen waren, sagte er »Puh« und trat in den Gang hinaus, um sich zu Grover und den Pinkertons zu gesellen. Diesmal schlief Schnauz. Der dritte Mann war offenbar zum Frühstück in den Speisewagen gegangen. Der Zug ratterte am Platte River vorbei, und einmal sah Roger sogar eine kleine Bisonherde.

»Du siehst aus, als hätte dich ein Pferd getreten«, sagte Grover.

»Ich hatte gerade das Vergnügen, mit der Gräfin zu frühstücken.«

»Verstehe.« Grovers Miene zeigte echtes Mitgefühl. »Wir sind schon seit einer Woche mit ihr zusammen – seid sie in New York das Schiff verlassen hat. Mit uns spricht sie kein Wort. Sie gibt nur Anweisungen.« Er seufzte. »Jetzt versteh ich erst richtig, warum sich unsere Vorfahren gegen das europäische Adelspack erhoben haben. Sie hatten wirklich einen guten Grund.«

»Wem sagst du das...« Roger drängte sich an Grover vorbei in den vorderen Teil des Zuges. Er wollte sich ein wenig die Beine vertreten, um nicht einzurosten.

Die Waggons waren gut besetzt. Die meisten Reisenden schienen Geschäftsleute und Rancher zu sein und hatten sich in ihren Sonntagsstaat geworfen.

Roger sah auch drei Cowboys, die mit zwei Kavalleristen auf Urlaub Poker spielten. Er kiebitzte eine Weile und liebäugelte mit dem Gedanken, sich zu ihnen zu gesellen, um den Verlust vom vergangenen Tag wettzumachen. Doch dann sah er, dass sie nur um Kleingeld spielten und verwarf ihn wieder.

Als er die Tür des Speisewagens öffnete, fiel sein Blick auf einen Mann mit einem großen weißen Champie-Hut und er blieb starr vor Schreck stehen. Georgie. Homers Mörder. Neben ihm saßen der hagere Flint und ein kompakt gebauter Knabe, dessen Namen er nicht kannte.

Hatte das Trio ihn in den Zug steigen sehen? Waren sie an Bord gekommen, um ihn auszuschalten?

Natürlich, dachte er. Keine Frage. Ich bin erledigt...

Bevor ihn jemand sehen konnten, zog er die Tür zu und eilte durch die Waggons zum Salonwagen zurück. Er musste Grover ins Vertrauen ziehen und ihn um eine Waffe bitten...

Als er das Abteil der Pinkertons erreichte, hatte Grover sich auf einem der beiden Sitze zusammengerollt und schnarchte. Schnauz hielt Wache. Der dritte Mann war noch nicht zurückgekehrt.

»Er hat die ganze Nacht Wache geschoben«, sagte Schnauz mit starkem deutschem Akzent. »Es ist wohl besser, wenn du später noch mal wiederkommst...«

»Ja, mach ich«, sagte Roger. Zum Glück hatten die Lumpen ihn noch nicht gesehen...

7.

Als Roger den Salon betrat, stand Roxanne auf einem Stuhl und staubte mit einem Federwisch eine Blumenvase ab. Sie drehte ihm den Rücken zu und beugte sich so weit vor, dass er Gelegenheit hatte, ihre entzückenden Kniekehlen zu sehen. Ihre Beine erinnerten ihn an Josie, und ihm fiel ein, dass er wegen des plötzlichen Auftauchens ihrer Mutter nicht zum Abschuss gekommen war.

Zwar hätte er Roxannes Kniekehlen noch gern eine Weile angeschaut, doch er räusperte sich, wie es sich für einen Gentleman geziemte.

»Ah, Homer...« Roxanne drehte sich herum. »Wollen Sie mir beim Wedeln helfen?«

Ich hätte da was anderes, was du wedeln könntest, du süßes kleines Biest, dachte Roger und hoffte, dass sie seine Gedanken nicht lesen konnte. »Da wüsste ich was Schöneres«, sagte er und zwinkerte. Er war eigentlich in den Salon gekommen, um nachzusehen, ob es hier etwas gab, das er als Waffe verwenden konnte. Ein Schießeisen zum Beispiel wäre nicht schlecht gewesen... Aber es sah nicht danach aus.

»Sie sind mir ja ein ganz Schlimmer«, sagte Roxanne. Ihre blauen Augen glitzerten auf eigentümliche Weise. »Vielleicht helfen Sie mir erst mal vom Stuhl herunter.«

»Aber gern.« Rogers Arme zuckten hoch und packten ihre Taille. Bevor er sie am Boden abstellte, schaute er ihr in die Augen, wie immer, wenn er eine Frau im Arm hielt und darauf aus war, etwas von ihr zu kriegen. Zu seiner Verwunderung zuckte sie mit keiner Wimper, und er las in ihren Augen etwas, das seine Hose sofort spannte. Als sie am Boden stand, fragte sie, ob er Lust auf ein »Likörchen« hätte.

»Natürlich.«

Sie nahmen Platz. Die Flasche und mehrere Gläser standen auf dem Tisch. Roxanne schenkte ein. Das Zeug war süß wie Honig, brannte aber angenehm in der Kehle.

»Wo ist Ihre Durchlaucht?«, fragte Roger und deutete über seine Schulter.

Roxanne kicherte. »Sie hält ihren Schönheitsschlaf.«

»Was denn? So kurz nach dem Aufstehen?« Es war noch nicht mal zehn Uhr.

»Sie ist um fünf Uhr aufgestanden«, sagte Roxanne, »um ihr Reisetagebuch zu führen.«

»Reisetagebuch?« Roger runzelte fragend die Stirn.

»Der König verlangt es«, erwiderte Roxanne. Sie schenkte nach. »Er finanziert ihre Reise. Da möchte er wissen, was seine... Freundin so alles treibt.«

»Könige scheinen merkwürdige Angewohnheiten zu haben.« Roger trank das zweite Gläschen leer und empfand ein leichtes Schwindelgefühl. Er fragte sich, ob er Roxanne ins Vertrauen ziehen und sie fragen konnte, ob sie eine Schusswaffe besaß. Doch was sollte er ihr erzählen? Dass er nicht Homer von Wallenstein war, sondern der Aktienhändler Roger O’Donnell? Wie sollte er ihr erklären, dass Georgie, Flint und der dritte Mann im Speisewagen darauf aus waren, ihn zu skalpieren, ohne sich selbst in die Pfanne zu hauen?

»Sie sind ein netter Mensch«, sagte Roxanne, als sie beim dritten Likörchen angekommen waren. Ihr Blick war nun leicht glasig, und das Glitzern ihrer Augen erinnerte Roger an eine geile Katze. Er kannte diesen Blick. Wenn Frauen ihn aufsetzten, würde bald etwas passieren.

»Sie auch, Miss Prentiss«, erwiderte er.

»Nennen Sie mich Roxanne«, meinte sie. »Dasch... ich meine, das tun alle meine Freunde.«

»Ich bin gern Ihr Freund, Roxanne.« Rogers Kragen wurde eng. Er wurde noch enger, als sein Blick auf ihre entzückenden Knie fiel. Er hatte so dünne Strümpfe noch nie an den Beinen einer Frau gesehen – außer vielleicht bei den Huren in St. Louis, die gute Beziehungen zu Seeleuten hatten die öfters nach Frankreich kamen.

»Sie sind ein attraktiver Mann...«

Roger errötete. »Danke. Sie sind aber auch sehr attraktiv.« Irgendwie empfand er es immer als peinlich, wenn erwachsene Frauen sich unter dem Einfluss von Alkohol Männern gegenüber zum Affen machten. Andererseits hatte er sie immer als Engel im Bett empfunden.

»Bevor wir uns jetzt beide zum Affen machen«, sagte Roxanne, »musch ich... muss ich...« Sie stand auf, presste eine Hand vor den Mund und schaute Roger mit riesengroßen Augen an. »...mal eben rausch.« Sie flog förmlich aus der Tür.

Roger spitzte die Ohren, doch er hörte das Klackern ihrer Absätze nicht, da auch der Gang des Salonwagens mit einem Läufer versehen war. Er leerte sein Glas, schaute eine Weile missmutig vor sich hin, stand dann auf und öffnete alle Schränke und Schubladen. Er fand nur Gegenstände, die man in gut sortierten Salons fand, aber keine Schusswaffen.

Da Roxanne nicht zurückkehrte, ging er hinaus und schaute nach, ob Grover vielleicht wacht war. Doch er schlief wie ein Bär. Schnauz und der dritte Detektiv zuckten hilflos die Achseln.

Roger ging frustriert im Gang auf und ab. Solange die drei schwer bewaffneten Burschen den Salonwagen bewachten, brachte er sich wohl keine Sorgen um sein Leben zu machen. Aber andererseits war es wichtig, selbst eine Waffe zu haben, wenn man sich in einer solchen Situation befand. Er verharrte vor Roxannes Abteil, hörte jedoch kein Geräusch und nahm an, dass sie sich nach dem Ausspucken des Likörs erst einmal hingelegt hatte.

Roger öffnete grinsend die Tür seines Abteils. Erst jetzt fiel ihm auf, wie grau der Tag vor dem Fenster und wie bedeckt der Himmel war. Der Schornstein der Lokomotive spie dicke Rauchwolken aus, die der Wind nach unten drückte. Sie fuhren in halsbrecherischem Tempo an einem hügeligen Gelände vorbei, auf dem Longhorns grasten. Ein einsamer Cowboy, der auf einem mageren Klepper am Gleiskörper stand, schwenkte seinen Hut.

Roger legte sich aufs Bett und starrte an die Decke. Welch ein Blödian er gewesen war. Warum hatte er Homers Schießeisen nicht an sich genommen? Warum hatte er die auf dem Boden verstreuten Aktien nicht eingesteckt?

Er fragte sich, ob man ihn als Homers Mörder verdächtigte. Vielleicht hatte der Portier ihn beschrieben. Vielleicht wurde sein Steckbrief schon gedruckt. Vielleicht erinnerte sich Fifi La Plume an ihn, wenn sie seine Beschreibung las. Sie kannte seinen Decknamen. Zum Glück hatte der Sheriff von Omaha kein Foto von ihm...

Dass Reisen müde macht, merkte Roger, als er die Augen öffnete und feststellte, dass er drei Stunden geschlafen hatte. Er stand auf, suchte das Toilettenabteil auf und klatschte sich einige Hände voll Wasser ins Gesicht. Als er wieder auf den Gang hinaustrat und sein Blick zum Anfang des Salonwagens schweifte, erblickte er Grover: Er stand auf der Plattform zum nächsten Waggon und sprach mit einem der Männer, die an Georgies Tisch gesessen hatten.

Roger zuckte erschreckt zurück.

Was hatte das zu bedeuten, verdammt? Hatte man ihn etwa doch an der Speisewagentür gesehen? Durchkämmten sie nun die Waggons und erkundigten sich nach ihm? Der breitschultrige Bursche redete auf Grover ein, doch dieser zuckte die Achseln, als könne er ihm keine Auskunft erteilen. Gleich darauf tauchten Roxanne und die Gräfin hinter ihnen den beiden auf. Ihr Erscheinen lenkte die Männer ab.

Roger nutzte die Gelegenheit. Er huschte aus dem Toilettenabteil und riss die Tür seiner Unterkunft auf. Erst als sie hinter ihm ins Schloss fiel, erkannte er an der luxuriösen Einrichtung, dass er sich im Schlafzimmer einer Dame befand. Es musste das Abteil der Gräfin sein.

Er fluchte und sprang zur Tür zurück. Doch bevor seine Hand auf dem Knauf lag, hörte er die Stimmen der sich auf dem Gang unterhaltenden Frauen. Sie schienen im Speisewagen gewesen zu sein.

Roger schaute sich hektisch um. Wie sollte er erklären, was er in diesem Raum suchte? Er musste sich verstecken. Vielleicht blieben sie nicht lange. Ihren Schönheitsschlaf hatte die Gräfin schon gehalten. Vielleicht kehrten sie gleich in den Salon zurück...

Sein Blick fiel auf den riesigen Weidenkoffer am Fußende des Bettes. In seinem Inneren musste man genügend Luft kriegen, um nicht zu ersticken. Er riss den Deckel hoch. Leer! Gott sei Dank! Er kletterte rasch hinein, zog die Beine an und ließ den Deckel auf sich herabfallen.

Keine Sekunde zu früh. Als er mit angehaltenem Atem und heftig klopfendem Herzen da lag, ging die Tür auf, und die Gräfin schnarrte: »Ungebildete Bauerntölpel! Man sollte sie wenigstens einmal am Tag zur Vorbeugung auspeitschen!«

»Ich bitte dich, Schätzchen«, sagte Roxanne mit zuckersüßer Stimme. »Wie kannst du nur so grausam sein?«

Schätzchen?! Roger spitzte die Ohren. War diese Anrede nicht ein wenig vertraulich? Immerhin war die Gräfin eine Gräfin, und Roxanne ihre Bedienstete...

Kurz darauf hörte er die Gräfin kehlig lachen. Die Federn des Messingbettes quietschten. Legte sie sich etwa schon wieder hin? Roger stieß eine stumme Verwünschung aus. Wie lange konnte es dauern, bis sie einschlief? Woran konnte er erkennen, ob sie einen leichten oder einen tiefen Schlaf hatte? Er konnte schließlich nicht in diesem Koffer bleiben, bis die Teezeit anbrach oder das Abendessen serviert wurde... Plötzlich hörte er ein Rascheln und Knistern. Kleiderstoff? Zog sie sich etwa aus?

Natürlich war Roger ein Gentleman. Aber wo stand genau geschrieben, dass man als Gentleman nicht mal einen Blick riskieren durfte? Die Luftlöcher zwischen den Weidenästchen zwangen ihn praktisch dazu, in die Richtung zu schauen, in der das Bett stand. Er kniff die Augen zusammen und linste durch die feinen Schlitze... So ein Mist! Der Koffer stand zu nahe am Bett. Er sah nicht das Geringste!

Das Geknister und Geraschel nahm kein Ende. Dann quietschte das Bett wieder, als hätte noch jemand auf ihm Platz genommen. Ein sinnliches Seufzen aus der Kehle einer Frau drang an Rogers Ohren. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Was trieben die beiden da?

»Oh, Baby...«, hörte er die Gräfin plötzlich hauchen. »Zieh mir das Höschen aus...«

»Gleich, meine kleine Bestie«, keuchte Roxanne.

»Oh, jaaa...«, stöhnte die Gräfin. »Mach das noch mal...«

Die Geräusche, die auf Rogers Ohren trafen, ließen seinen Kragen eng werden. Außerdem führten sie dazu, dass sich seine Hose spannte. Das Lustgeseufze wurde lauter. Das sinnliche Atmen und Keuchen der Damen ließ seinen Puls rasen. Nach einer Minute hielt er es nicht mehr aus. Er schob vorsichtig den Deckel des Weidenkoffers hoch. Sein Kopf fuhr langsam in die Höhe, dann überschaute er das Bett.

Grafin Landsberg und ihre Gesellschafterin wälzten sich in schwarzer Pariser Spitzenunterwäsche auf dem Laken, umarmten und küssten sich auf geradezu obszöne Weise und streichelten ausgiebig ihre Brüste und Intimzonen. Rogers Blick fiel auf schwellende Brüste und erigierte Brustwarzen, zuckende Schöße und rosige Zungen, die einander lüstern umspielten.

Die Gräfin lag auf dem Rücken. Roxanne beugte sich über sie, knetete eine ihrer Brüste und streichelte mit der anderen Hand ihren Schoß. Ihre eigenen Beine waren weit gespreizt, und ihr Schoß drängte sich der Hand ihrer Herrin erregt entgegen. Schließlich rutschte sie am drallen Leib der Gräfin herab. Ihre Zunge umspielte zuerst die eine, dann die andere Brustwarze. Die Gräfin winselte vor Entzücken und ihre Hand in Roxannes Schlüpfer wurde noch aktiver.

Nun griff auch Roxanne zu. Ihre Linke lüpfte das Bündchen des altrosafarbenen Seidenschlüpfers ihrer Herrin, ihre Hand glitt hinein, streichelte den flachen Bauch und schob sich zwischen ihre Schenkel.

»Ohhh«, machte die Gräfin.

»Ahhh«, machte Roxanne.

Großer Manitou! Roger stöhnte stumm in sich hinein. Er schaute wie hypnotisiert zu, als Roxannes Hand sich Zentimeter für Zentimeter weiter in den Schlüpfer der Gräfin vortastete. Gottverdammter Mist! dachte er. Wie konnte ich mich in Roxanne nur so täuschen?

Es war frustrierend, plötzlich festzustellen, dass eine Frau, mit der er ziemlich erfolgreich geschäkert hatte, eine solche war, die in Wirklichkeit auf Damen stand.

Andererseits war das Bild, das die beiden ihm boten, dazu angetan, seine Hormone verrücktspielen zu lassen. Rogers Pint pulsierte wie schon lange nicht mehr, und er fragte sich, was die beiden wohl tun würden, wenn er aus dem Koffer stieg und sich zu ihnen gesellte...

Aber das war natürlich Wahnsinn. Er mochte sich das entsetzte Gekreisch der Frauen gar nicht erst vorstellen.

Kurz darauf zog Roxanne der Gräfin den Schlüpfer über die Schenkel, und er hatte das Vergnügen, ihren Schamhügel zu betrachten. Dass sie kaum behaart war, erfreute Roger, aber irgendetwas kam ihm nicht ganz richtig vor. Während Roxanne sich drehte, ihm ihr noch immer schwarz beschlüpfertes Hinterteil zuwandte, sich zwischen die Schenkel der Gräfin kniete und dazu überging, ihren glatten Schoß zu küssen, dachte Roger angestrengt nach. Obwohl das Nachdenken ihm nicht leicht fiel, kam er nach einer Weile darauf: Das Schamhaar der Gräfin war hellblond, und dies schien ihm nicht zu ihrem kupferroten Haupthaar zu passen.

»Oh, Schätzchen, küss mich«, stöhnte die Gräfin und ließ den Popo hoch zucken, bis ihr Schoß in Roxannes Gesicht schlug. »Mach... mach...«

Was nun kam, hatte Roger noch nie gesehen, jedenfalls noch nicht bei zwei Frauen: Roxanne stützte sich auf alle viere ab und drehte sich so, dass ihre Kehrseite aufs Gesicht der Gräfin deutete. Dann fuhr ihr Kopf zwischen die gespreizten Schenkel ihrer Herrin und ihre Zunge peitschte über ihren rosigen Schoß. Die Gräfin stöhnte. Sie packte Roxannes Schlüpfer und zerriss ihn. Dann umklammerte sie ihren Po und hob den Kopf.

Roger, dessen Hose nicht mehr weit vom Platzen entfernt war, sah, dass sie den Schoß ihrer Gesellschafterin küsste. Das Seufzen und Stöhnen der liebestollen Frauen war ebenso wenig zu ertragen wie das Pochen seiner Rute. Roger harrte tapfer aus, bis das sinnliche Gestöhn sich zum Crescendo steigerte und Roxanne seufzend auf dem halbnackten Leib der Gräfin zusammenbrach.

Anschließend lauschte er mit schmerzenden Nüssen ihrem schweren Atmen. Als es endlich flacher und regelmäßiger wurde und verkündete, dass die Damen im Begriff waren einzuschlafen, atmete Roger auf, drückte seinen steifen Pint mit der Hand nach unten und sank in den Weidenkoffer zurück. Sein Herz schlug heftig, und er verwünschte sich dreimal, weil es ihm missgönnt geblieben war, bei der hübschen Josie zum Ende zu kommen.

Er schloss die Augen, schaute zum Kofferdeckel hoch und empfand plötzlich bleierne Müdigkeit. Doch er durfte nicht einschlafen. Es bestand die Gefahr, dass er sich durch ein eventuelles Schnarchen verriet.

Er musste abwarten, bis die Frauen eingeschlafen waren. Falls sie überhaupt die Absicht hatten, nach der aufregenden Viertelstunde ein Nickerchen zu machen...

8.

Georgie ließ die Zeitung sinken, in der er geblättert hatte, zückte seine Taschenuhr und warf einen Blick aufs Zifferblatt.

Die Zeit war gekommen. Er faltete die Zeitung ordentlich zusammen und musterte seine Komplizen. McGilligan hatte den Kopf an die Fensterscheibe gelehnt und döste vor sich hin. Sein breites Gesicht wirkte entspannt, wenn es auch etwas blass war. Flint hatte gerade seinen Peterson-Colt geölt und spickte die Trommel mit fünf Patronen des Kalibers 36.

Georgie maß ihn mit einem verächtlichen Blick, denn er stammte aus besseren Kreisen und hatte für Analphabeten keine Sympathie übrig. Dass es ihm nicht gelungen war, auf die Universität zu gehen, hatte nur daran gelegen, dass die Eisfabrik sein Vater am Tag seines achtzehnten Geburtstags in Konkurs gegangen war. Wäre das nicht passiert, könnte er jetzt in Harvard oder Yale Jura studieren. Dann wäre er Anwalt geworden und vermutlich in die Politik gegangen. Doch nach seinem Wutanfall, der seinen Vater die Vorderzähne gekostet hatte, war er zum Schwarzen Schaf der Familie herab gesunken und musste nun mit Nullen wie Flint zusammenarbeiten.

Zum Glück war McGilligan von einem anderen Kaliber. Mit ihm konnte man sich hin und wieder auch über andere Dinge als Pferde, Whisky und Nutten unterhalten. McGilligan war mit ihrem Auftraggeber gut bekannt und hatte den Job für sie an Land gezogen. Auch er war das Schwarze Schaf seiner Familie. Der Abkömmling eines Pflanzers aus Georgia, den die Befreiung der Sklaven um Haus und Hof gebracht hatte. Hätte McGilligan seinen Grips richtig genutzt, wäre vermutlich trotzdem noch etwas Ordentliches aus ihm geworden. Doch er scheute regelmäßige Arbeit. Und außerdem lockten ihn Karten und Würfel. Als Mensch, der zweihundert Dollar ausgab, wenn er einhundert verdient hatte, war er ständig auf der Suche nach neuen Geldquellen.

Georgie seufzte. Zu dumm, dass er die Aktien, die er dem Kartenhai Ken in Omaha abgenommen hatte, gleich wieder an den dämlichen Reporter aus dem Osten verloren hatte. Und zu dumm, dass sein Versuch, die Papiere wieder an sich zu bringen, zum Scheitern verurteilt gewesen war: Er hatte den Burschen umgenietet und den Mann in seinem Zimmer erst in letzter Sekunde gesehen.

McGilligan machte die Augen auf und schaute ihn an. Seine Augen waren so grau wie sein Stoppelbart und ebenso stechend. Er gähnte, zückte ein Zigarettenetui aus Blech und schob sich ein Stäbchen zwischen die Zähne.

»Gleich ist es so weit«, sagte Georgie.

Flint ließ die Trommel seines Paterson rotieren und fletschte die Zähne. Er war dumm wie Bohnenstroh, aber ein guter Schütze. Außerdem kannte er kein Mitleid. Wenn er sich einmal in einen Gegner verbissen hatte, war er wie ein tollwütiger Hund. Er ließ nicht mehr los.

Draußen flog eine Landschaft vorbei, von der man aufgrund der Finsternis nichts sah. Dicke Rauchschwaden aus dem Schornstein der Lokomotive flogen am Fenster vorbei. Der Zugführer, ein backenbärtiger alter Knabe mit eisgrauem Haar, wanderte an ihrem Abteil vorbei und maß sie mit einem kurzen Blick. Wahrscheinlich kam es ihm nicht ganz koscher vor, dass drei Männer, die ihrer Kleidung nach eher Cowpuncher als Geschäftsleute waren, sich ein Abteil in der Ersten Klasse hatten reservieren lassen. Aber natürlich konnten sie auch Rancher sein, die nach Westen fuhren, um Rinder zu kaufen. Die Zeiten, in denen sich nur die Reichen eine Fahrt mit der Eisenbahn hatten leisten können, war längst vorbei.

McGilligan schaute auf seine Taschenuhr. »All right, Jungs«, sagte er dann. »Schreiten wir zur Tat.« Er stand auf, zog seinen Colt, überprüfte die Trommel und steckte ihn wieder ein.

Flint folgte seinem Beispiel. Georgie zog den breiten patronengespickten Ledergurt hoch, der sich um seine Taille schlang, nahm den weißen Champie-Hut aus dem Gepäcknetz und setzte ihn auf. Jetzt, da es zur Sache ging, beschleunigte sich sein Herzschlag.

Wenn es losging, hatte er immer Lampenfieber, doch sobald der erste Schuss gefallen war, beruhigten sich seine Nerven. Er hoffte, dass sie die den Salonwagen bewachenden Pinkertons im Schlaf überraschen und in die Ewigen Jagdgründe befördern konnten ohne sich selbst eine Kugel einzufangen.

Er hatte Angst vor Kugeln. Sie taten nämlich mörderisch weh. Als er neunzehn gewesen war, hatte ihn bei einem Banküberfall eine Kugel in den Oberschenkel getroffen, und er erinnerte sich nur mit Grauen daran. Deswegen nutzte er seit diesem Tag jede Gelegenheit für Zielübungen. Er wollte nicht irgendwann so narbig aussehen wie Flint, den im Laufe seiner vierzig Lebensjahre sieben Kugeln durchlöchert hatten. Es konnte ja sein, dass den Käuflichen, mit denen Flint seine Freizeit verbrachte, narbige Oberkörper gefielen, aber Georgie dachte anders: Kerle, denen man ansah, welchem Gewerbe sie nachgingen, waren leichter zu beschreiben. Deswegen hätte er es auch lieber mit einer Eselsstute getrieben, als sich tätowieren zu lassen.

»Dann gehen wir also jetzt«, sagte Flint.

»Yeah«, knurrte McGilligan. »Und vergesst nicht: Es wird erst geschossen, wenn ich es sage.«

Georgie und Flint nickten. Dann verließ McGilligan das Abteil. Die beiden anderen schlossen sich ihm an. Die restlichen Abteile waren dunkel. Die Reisenden schliefen. Sie kamen ungehindert bis ans Ende des Zuges und blieben stehen. Georgie reckte den Hals. Die Pinkertons hockten im ersten Abteil des Salonwagens. Es war dunkel. Zwei der Kerle schliefen vermutlich, so dass sie es nur mit einem zu tun hatten.

Der Mann, der auf dem Gang Wache hielt, war der German mit dem Walrossschnauzbart. Er riss gerade gähnend den Mund auf und drehte sich um seine Achse.

Als er ihnen den Rücken zudrehte, nutzte McGilligan die Gelegenheit. Er zog seine Waffe, stieß die letzte Waggontür auf, eilte lautlos über die Plattform und erreichte die des Salonwagens in dem Moment, in dem Schnauz die Drehung beendete und ihn anschaute.

Georgie und McGilligan folgten. Sie standen noch im nächtlichen Fahrtwind, als McGilligan die Tür des Salonwagens aufriss und einen Schuss abfeuerte. Dummerweise ruckte der Zug jedoch in diesem Moment auf den Schienen, so dass er den Pinkerton-Mann verfehlte und nur seinen Bowler lochte.

Georgie hörte McGilligan fluchen, dann flammte vor ihm wieder ein Mündungsfeuer auf und er hörte den Knall eines erneuten Schusses.

Diesmal hatte Schnauz geschossen. McGilligan ging fluchend in die Knie und ließ die Tür los, die sich sofort wieder schloss.

Nun waren Georgie und Flint an der Reihe. Die Mündungen ihrer Waffen blitzten auf. Sie zerschossen die Scheibe der Salonwagentür, hinter der nun das Gesicht eines weiteren Mannes sichtbar wurde. Weitere Schüsse krachten, bevor die Scherben des Fensters auf dem Boden der Plattform lagen. Der Mann, der mit gezückter Waffe aus dem Pinkerton-Abteil gekommen war und sich zu Schnauz gesellte, flog zurück, ließ die Waffe fallen und griff sich an die Schulter.

Georgie frohlockte. McGilligan, der drei Sekunden in der Hocke verbracht hatte, sprang auf, richtete sein Schießeisen ins dunkle Innere des Salonwagens und drückte ab.

9.

Das beständige Rattern des Zuges auf den Schienen hatte irgendwann endlich dazu geführt, dass Gräfin Landsfeld und Roxanne Prentiss eingeschlafen waren.

Roger hob vorsichtig den Kofferdeckel an und erhob sich mit steifen Knochen aus seinem Versteck. Als er auf leisen Sohlen und mit angehaltenem Atem zur Tür schlich, regte sich plötzlich eine der Frauen und murmelte etwas.

Roger glaubte, sein Herz müsse stehen bleiben. Er verharrte mitten in der Bewegung. Doch er hörte keinen zweiten Laut. Er legte die Hand auf den Türknauf und schickte ein stummes Gebet zum Himmel: Lieber Gott, lass die Tür weder knarren noch quietschen!

Er hatte großes Glück, denn sie schwang völlig lautlos auf. Roger zog sie leise hinter sich ins Schloss, dann schüttelte er sich.

Im gleichen Augenblick krachte ein Schuss, und eine Sekunde später noch einer. Er hörte das Klirren von Glas und warf sich zu Boden. Vor dem Abteil der Pinkertons herrschte Hektik.

Schnauz schrie die Namen seiner Kollegen. Hinter der nun zerschossenen Türscheibe entdeckte Roger Gestalten, die in der nur vom Mond erhellten Finsternis Waffen schwangen und das Feuer eröffneten. Bleikugeln pfiffen über seinen Kopf dahin. In dem Abteil, das er gerade glücklich verlassen hatte, wurden aufgeregte und ängstliche Schreie laut.

Grover tauchte geduckt im Eingang des Pinkerton-Abteils auf und hantierte schwerfällig mit seinem Schießeisen. Schnauz erwiderte geduckt das Feuer der unbekannten Angreifer. Der dritte Pinkerton stürzte in den Gang, fing sich eine Kugel ein und flog zurück. Sein Eisen schepperte über den Boden, und Roger nutzte die Gelegenheit: Er robbte nach vorn und riss die Waffe an sich. Dann beugte er sich über den Getroffenen, dessen Name er nicht kannte.

Grover schrie: »Wie schlimm ist es, Rocky?«

»Schlimm genug«, rief Rocky zurück und wollte sich aufrichten. An seinem Gurt baumelten zwei Holster. Er riss sein zweites Schießeisen heraus und ging stöhnend in die Hocke. Roger sah, dass der rechte Ärmel seines Jacketts in blutigen Fetzen hing.

»Was ist da los?«, fragte er. »Ein Zugüberfall?«

»Der Postwagen ist gleich hinter der Lok«, krächzte Rocky. »Ich glaube eher, es geht um...« Er richtete sich auf und drehte sich um, und im gleichen Moment durchbohrte eine Kugel seinen Schädel und warf ihn erneut zu Boden. Die Tür zum Abteil der Gräfin wurde aufgerissen. Roxanne schob sich mit blassem Gesicht ins Freie. Sie trug nur Unterwäsche. Roger sah, dass die Gräfin hastig in ihr Kleid stieg.

»Bleiben Sie drin!«, schrie er über das Krachen der Schüsse hinweg. »Es ist ein Überfall!«

Roxanne fuhr zurück. Roger schaute erneut nach vorn. Diesmal erblickte er auf der Plattform einen jungen Mann mit einem großen weißen Champie-Hut. Ihm wurde klar, dass es kein Raubüberfall war. Sie hatten es auf ihn abgesehen! Sie wollten ihn erledigen.

Unter diesen Umständen, dachte er zerknirscht, ist es wohl und recht und billig, wenn ich an der Verteidigung meines Lebens teilnehme...

Er robbte nach vorn, wo Schnauz und Grover alles taten, um sich die Eindringlinge vom Hals zu halten. Doch ihre Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt: Roger hatte gerade mal einen Schuss ins Blaue abgegeben, als Schnauz mit einem Seufzer auf den Lippen umfiel und sich an die Brust griff. Blut quoll zwischen seinen Lippen hervor.

Roger wurde von unbändiger Wut ergriffen. Er nahm Schnauz die Waffe aus der schlaffen Hand, ging in die Hocke und gab eine beidhändige Salve ab, die die Angreifer fluchend in Deckung trieb. Grover, den er eigentlich als ziemlich guten Schützen kannte, schien vom Pech verfolgt zu sein: Er schoss erstaunlicherweise nur Löcher in die Luft.

Er schien heute auch nicht sehr mutig zu sein, denn er machte keine Anstalten, das relativ sichere Abteil zu verlassen. So, wie er am Boden hockte, konnte er schwerlich jemanden treffen.

»Komm raus, Mann!«, rief Roger und deutete mit einer der erbeuteten Waffen auf die Tür. Grover schien ihn nicht zu hörten. Er verschoss sinnlos sein Pulver.

Nach der nächsten Salve machten Rogers Schießeisen Klick, und ihm wurde klar, dass es eine gute Idee gewesen wäre, sich Rockys oder Schnauz’ Patronengurt umzuschnallen. Als er fluchend nach hinten eilte, um das Versäumte nachzuholen, machte der Zug plötzlich einen harten Ruck und kam kreischend und Funken sprühend zum Stehen.

Roger verlor den Boden unter den Füßen. Er sah das Ende des Ganges mit rasender Geschwindigkeit auf sich zukommen. Seine Beine stolperten über den am Boden ausgestreckten Schnauz, und er segelte mit ausgebreiteten Armen wie ein riesengroßer Vogel durch das Nichts.

Als er gegen die Tür der hinteren Plattform knallte, blitzten vor seinen Augen eiskalte Sterne auf, und vor ihm entstand eine bodenlose Finsternis.

Jemand musste die Notbremse gezogen haben. Dann schwanden ihm die Sinne.

10.

In seinem Kopf war ein mörderisches Trommeln. Sein Magen gab sich alle Mühe, durch seine Kehle in die Freiheit zu gelangen.

Als Roger O’Donnell die Augen aufschlug, hörte er den Schrei einer Frau, den ruppigen Fluch eines Mannes, das Klatschen einer Ohrfeige und einen dumpfen Aufschlag. Irgendwo in seiner Nähe schien jemand zu Boden gegangen zu sein. Er tat sein Bestes, um den Kopf zu heben, doch sein Blick war verschleiert. Alles, was er sah, kam ihm wie ein Traum vor.

Roger sah die erschlafften Beine der Gräfin Landsfeld, die über der Schulter eines Mannes lag. Auf der Türschwelle zum Abteil lag Roxanne. Ihre Brüste pressten sich an das kalte Metall des Ganges. Sie schien besinnungslos zu sein.

Zwei Revolver schwingende Gestalten – die eine ein schlanker junger Mann mit einem großen weißen Champie-Hut – strebten hinter dem Mann, der die Gräfin trug, der Hecktür des Salonwagens entgegen und öffneten sie. Kühle Luft wehte herein, als sie ausstiegen. Roger wunderte sich, wieso der Bursche mit dem weißen Hut ihm keine Kugel zwischen die Augen verpasst hatte.

Er hat bestimmt geglaubt, ich wäre tot.

Als das Trio mit der Gefangenen ausgestiegen war, wollte er sich aufrichten, doch ein Anfall von Übelkeit ließ ihn auf den Boden zurücksinken. Er hörte das Geräusch sich nähernder Schritte, dann riss jemand die Tür mit der kaputten Scheibe auf, und der Zugführer und zwei Bremser, der eine weiß, der andere schwarz, stürmten auf ihn zu.

»Die Gräfin...«, nuschelte Roger und deutete zur offenen Hecktür hin. »Entführt...«

Die Bremser rannten an ihm vorbei nach hinten. Der alte Zugführer ging neben ihm in die Hocke. Hinter seiner runden Nickelbrille funkelten wache Augen.

»Was ist passiert?« Erst jetzt fielen ihm die grotesk verdrehten Leichen der Pinkertons auf, über die er zuvor, ebenso wie die Bremser, hinweg gesprungen war.

Roger winkte ab. Jedes weitere Wort, das spürte er, hätte ihn kotzen lassen. Der Zugführer stand auf und eilte zu seinen Leuten, die fassungslos in die Nacht hinaus starrten, in der nun der Hufschlag mehrerer Pferde zu hören war. Die Banditen hatten die Sache also vorbereitet. Sie waren nicht hinter ihm, sondern hinter der Gräfin her gewesen. Welch dämliche Ironie.

Roger wurde von einem trockenen Hustenanfall geschüttelt, doch er riss sich zusammen und schaute sich um. Erst jetzt sah er die hingestreckte Gestalt Grovers. Seine breite Brust war von mehreren Kugeln aufgerissen, aber er lebte noch. Seine rechte Hand, die noch den Revolver umklammerte, zuckte.

Als Roger sich ächzend auf die Knie erhob, ließen seine Kräfte nach. Er stürzte der Länge nach in den Gang und fiel erneut aufs Maul. Nun hörte er Grover stöhnen. Er robbte zu ihm hin und beugte sich über ihn.

»Wie sieht’s aus, Jerry?« Er sah es selbst. Es sah nach gar nichts aus. Der Mann würde die Nacht nicht überleben.

»Schweine...« Grover hustete. Seine Augen waren glasig, sein Gesicht totenbleich, seine Nase so spitz wie die einer Maus. Das Blut hatte sein Hemd völlig durchtränkt. »Diese verfluchten Schweine...« Er schaute Roger an und kicherte. »Ich nehm an, es geschieht mir recht...«

»Sag so was nicht, Jerry«, erwiderte Roger mitfühlend. »Nicht jeder Schuss kann ein Treffer sein.«

Grover kicherte erneut. »Nein, nein. Das mein ich nicht...« Er legte die Hand mit dem Colt auf seine Brust, als könne er ihn nicht mehr halten. Seine Lippen bewegten sich lautlos, als hätte die Sprache ihn verlassen. Roger beugte sich über ihn, doch er verstand das Flüstern des Todgeweihten nicht.

»Erzähl’s mir Mann«, sagte er. »Ich bin ganz Ohr.«

»Es wär zum Lachen, wenn es nicht so traurig wär«, röchelte Grover. »Pass auf, Mann..« Er wollte sich aufrichten und spuckte im gleichen Moment Blut. »Tut mir Leid...« Er schaute Roger an. »Ich bin einmal im Leben schwach geworden...«

»Sind wir doch alle mal, Jerry«, sagte Roger.

»Nein, du weißt nicht, was ich sagen will.« Grover schaute ihn mit glasigen Augen an. »Ich hab ihm den Tipp gegeben, dass König Louis bestimmt ’ne Menge Geld ausspuckt, um seine hübsche Tänzerin zurückzukriegen...«

»Was hast du?!« Roger fuhr zurück. Er konnte es nicht glauben. Jerry Grover, seit über fünfzehn Jahren im Dienste des Gesetzes, hatte gemeinsame Sache mit einer Bande mörderischer Entführer gemacht? Es war nicht zu fassen.

»Und das ist der Dank dafür«, sagte Grover und spuckte erneut einen Blutschwall aus. »Und das ist nun der Dank dafür... Sie haben mir eins verpasst...«

»Wer hat das Ding gedreht, Jerry?«, fragte Roger. »Wer steckt dahinter?«

»Ich sag’s dir, keine Bange...« Grovers Stimme war nur noch ein Flüstern. »Ich sag’s dir schon deswegen, damit die Schweine baumeln...«

Roger beugte sich wieder über ihn.

»Er wohnt in Hard Times«, keuchte Grover. »Dorthin sind diese Schweine jetzt unterwegs...«

»Den Namen, Jerry«, drängte Roger. »Den Namen!«

»Den Namen«, wiederholte Grover. Dann schloss er die Augen und machte sie nicht mehr auf.

11.

Während der Zugführer und die Bremser in die restlichen Waggons zurückeilten, um die aus dem Schlaf geschreckten Reisenden über die Lage aufzuklären, rappelte Roger sich ächzend vom Boden auf und näherte sich wankend der noch immer besinnungslosen Roxanne.

Als er sie vom Boden aufhob, wurde er von einem heftigen Schwindelgefühl erfasst, die ihm die Balance nahm, und so schoss er mit der halbnackten Last auf den Armen in das offene Abteil, rutschte auf einem roten Läufer aus und landete mit ihr in dem zerwühlten Bett.

Roxanne schlug die Augen auf, und Roger wünschte sich nach Schenectady. Er hoffte, dass er nicht so aussah, wie er sich fühlte – als hätte er eine Nacht in Gesellschaft streunender Hunde verbracht.

»Sie sehen grauenhaft aus, Homer«, sagte Roxanne. Erst dann bemerkte sie ihren mehrheitlich unbekleideten Zustand und bedeckte ihre Brüste schnell mit den Händen.

Roger wuchtete sich stöhnend von ihr und kämpfte gegen die Übelkeit an. In seinem Kopf kreisten allerlei Gedanken, und die meisten betrafen die Gräfin Landsfeld. Wenn ihre Entführung bekannt wurde, würde man jeden verhören, der zum Zeitpunkt ihres Verschwindens in ihrer Nähe gewesen war. Womöglich kam dann sein Bild in die Zeitung, und das konnte er sich nicht leisten. Er musste verschwinden.

Roxanne hob den Kopf und schaute sich um. »Wo ist...?« Erst jetzt schien ihr einzufallen, was passiert war. »Oh, mein Gott!« Sie sprang auf und raffte ihre Kleider zusammen. »Oh, mein Gott! Das darf nicht wahr sein!«

Roger schaute träge zu, als sie ihr Kleid anlegte und in die Stiefel sprang. In seinem Kopf funktionierte noch nicht wieder alles so, wie es funktionieren sollte. Er atmete tief durch und stellte sich die Frage, ob es nicht besser war, wenn er die Gelegenheit nutzte und in der Nacht untertauchte. Noch hatte er eine Gelegenheit dazu. Doch in welche Richtung sollte er gehen? Er hatte kein Pferd und wusste nicht, wie weit der nächste Ort entfernt war.

»Na, los«, sagte Roxanne. Sie knöpfte ihre Bluse zu und griff nach einer Weste, die neben der Tür an einem Haken hing. »Wir müssen hinterher!« Sie öffnete einen Schrank und entnahm ihm ein Gewehr und mehrere Päckchen Patronen.

»Zu Fuß?«

Auf dem Gang ertönte Gepolter. Der schwarze Bremser schob seinen Kopf durch den Türrahmen und sagte: »Es wird noch eine halbe Stunde dauern, bis wir weiterfahren können, Sir.«

Roger dankte ihm geistesabwesend, dann stand er auf.

»Natürlich nicht zu Fuß«, fauchte Roxanne und lud das Gewehr durch. Sie schien sich mit Waffen auszukennen. »Damen der Gesellschaft haben auf Reisen natürlich Reittiere dabei. Sie sind im Viehwaggon...« Sie deutete nach vorn. »Kommen Sie schon, bevor ihre Spur nicht mehr lesbar ist...«

»Moment mal«, sagte Roger. Er bemühte sich noch immer, sein Gleichgewicht zurückzufinden. »Wäre es nicht besser, wir fahren in die nächste Stadt? Dort wird es einen Marshal geben – vielleicht sogar einen Sheriff...«

»Papperlapapp!« Roxanne blitzte ihn an. »Das dauert viel zu lange! Und außerdem...« Sie schaute sich um, als hätte sie Angst davor, jemand könne sie hören. »Außerdem darf niemand erfahren, dass die Gräfin entführt worden ist!«

Roger machte große Augen.

»Und warum, wenn ich fragen darf?«

»Weil...« Roxanne suchte nach Worten. Sie trat an die offene Tür und warf einen Blick hinaus. Als sie die toten Pinkertons erblickte, würgte sie. »Mein Gott!«

»Sie sind wenig sanft mit den Männern umgesprungen«, sagte Roger. Er baute sich neben Roxanne auf. »Und ich könnte mir vorstellen, dass sie uns umlegen, wenn sie merken, dass wir sie verfolgen.« Natürlich war ein Unmensch. Er bedauerte die Gräfin, auch wenn er sie nicht hatte ausstehen können. Aber war es etwa sein Job, Verbrecher zu jagen? War dies nicht die Aufgabe der örtlichen Behörden – auch wenn von ihnen weit und breit nichts zu sehen war? Er war schließlich nur ein kleiner Aktienhändler, und...

»Sie verlangen ziemlich viel von mir«, sagte er. »Ich bin schließlich kein Revolvermann, sondern nur ein kleiner Aktien... Reporter.«

Roxannes Kopf flog herum. »Aktienreporter?«

»Ich hab früher Börsenberichte geschrieben«, sagte Roger gewandt und fasste sich an den Kopf. »Und außerdem ist die Gräfin eine elende Zicke.«

Zu seiner Überraschung verzog sich Roxannes Mund zu einem Grinsen. Sie griff in ihre Jacke und hielt ihm ein Banknotenbündel hin. »Das sind tausend Dollar, Mister von Wallenstein...«

Roger musterte das Geld. Die grünen Scheine versetzten sein Herz in Verzückung, vertrieben seine Kopfschmerzen aber nicht gänzlich.

»Und?«

»Sie gehören Ihnen, wenn Sie mir helfen, die Spur der Banditen aufzunehmen.«

»Und wenn wir sie gefunden haben?«

»Dann telegrafieren wir es der Agentur Pinkerton, damit sie ein Dutzend ihrer schwersten Kaliber schickt, um diese Bande hinter Schloss und Riegel zu bringen.«

Es klang nicht übel. Roger war ehrlich verlockt, ihr Angebot anzunehmen. Doch leider verstieß es gegen sein Lebensmotto, das da lautete: »Wenn du jemanden retten willst, rette dich selbst.«

»Bitte...«

Roxannes Augen waren ein einziges Flehen. Sie wirkte, als hinge die Rettung der Gräfin ganz und gar von ihr allein ab; als könne kein Sheriff der Welt dieser Aufgabe gerecht werden.

»Wenn der Zug in Kearney einläuft und der Zugführer den Überfall meldet, wird sofort die Presse Wind davon kriegen – und das kann ich mir einfach nicht leisten...«

»Darf ich den Grund dafür erfahren?«, fragte Roger.

»Nein.« Roxanne schüttelte den Kopf und wedelte mit dem Banknotenbündel. »Mein Angebot steht. Schlagen Sie ein?« In ihren Augen war plötzlich das gleiche sinnliche Glitzern, dass sie während ihres kleinen Likör-Umtrunks gezeigt hatte, der ihr offenbar nicht gut bekommen war. »Ich wäre sogar bereit, noch ein wenig draufzulegen.«

»Wie viel?«, fragte Roger interessiert.

»Mich.«

»Oh...« Roger war nicht oft sprachlos, und schon gar nicht, wenn eine hübsche Frau sich so verhielt wie ein Mann. Er hatte allerdings bisher nur selten Gelegenheit gehabt, mit Frauen aus Roxannes Kreisen zusammenzutreffen. Er hatte nicht gewusst, dass es auch dort Damen gab, die wussten, was sie wollten und kein Blatt vor den Mund nahmen, um es zu kriegen.

Die Lokomotive ließ pfeifend Dampf ab, und draußen, auf dem Gleiskörper, wurde das Geräusch sich bewegender Stiefel laut. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Zug sich in Bewegung setzte.

»Also schön«, sagte Roxanne. »Helfen Sie mir, wenn ich Ihnen den wahren Grund nenne?«

»Inklusive der tausend Dollar und der weiteren mir versprochenen Annehmlichkeiten?«, fragte Roger. Er war nun wirklich sehr neugierig und hielt es vor Spannung nicht mehr aus.

»Ja.«

»Okay, überredet.« Seine Rechte zuckte vor, riss das Bündel aus Roxannes Hand und schob es in seine Jackentasche.

»Ich bin Gräfin Landsfeld«, sagte Roxanne. »Wenn mein König erfährt, dass ich entführt wurde, kann ich mich auf allerhand gefasst machen.«

12.

Fünf Minuten später sprengten sie auf zwei Rassepferden durch die Nacht.

Sie hatten die Hufspuren der vier Entführergäule schnell gefunden. Der Zugführer hatte ihnen zudem sagen können, dass Hard Times nördlich von der Stelle lag, an der die Banditen die Notbremse gezogen hatten.

Roger hatte ihm gegenüber nur verlauten lassen, er habe – halb ohnmächtig – den Namen des Ortes gehört und wolle einfach nur sein Glück versuchen. Erstaunlicherweise war es dem Zugführer nicht im Geringsten verdächtig erschienen, dass sich die Begleiter der Gräfin an die Verfolgung der Rustler machten. Er hatte versprochen, den Marshal in Kearney zu informieren, sobald der Zug in die Stadt eingelaufen war. Zudem hatten er und die Bremser ihnen beim Ausladen und Satteln der Pferde und beim Packen der Satteltaschen geholfen, damit sie schnell von der Stelle kamen.

Roger hatte die Gelegenheit genutzt, um Jerry Grovers patronengespickten Revolvergurt an sich zu nehmen.

Er kam sich fast wie ein Held vor, als er an der Seite der echten Gräfin Landsberg durch die Landschaft ritt und zu den glitzernden Sternen aufschaute.

Ihr Geständnis hatte ihn nicht schlecht erstaunt. Wie er inzwischen wusste, hatten die Frauen ihre Rolle schon getauscht, bevor sie in New York das Schiff verlassen hatten. Sie hatten auch ihr Haar umgefärbt: Die ursprünglich hellblonde Roxanne – Roger erinnerte sich, einen Teil ihrer echten Behaarung am Abend zuvor gesehen zu haben – war nun kupferrot. Als Grund für diese Aktien hatte Gräfin Landsfeld angegeben, sie sei es leid gewesen, ständig unter Beobachtung zu stehen. Sie hatte vom Auftrag der Pinkertons, über jeden ihrer Schritte Buch zu führen, gewusst und ihrem König eins auswischen wollen.

Roger verstand ihre Beweggründe. Doch wie schlimm würde es für sie werden, wenn die Presse berichtete, die berühmte Lola Montez sei entführt worden?

Über den Telegrafen würde auch König Ludwig davon erfahren. Wenn er die falsche Lola auslösen ließ und sich dann zeigte, dass nicht seine Geliebte, sondern deren Gesellschafterin entführt worden war, würde er Fragen stellen: Warum hatte die Gräfin die Rolle mit ihrer Angestellten getauscht, wenn nicht, um sich in Liebesaffären auszutoben, von denen der Finanzier ihrer luxuriösen Reise nichts erfahren sollte? Möglicherweise machte er sich sogar persönlich in die Vereinigten Staaten auf, um an der Spitze einer Kompanie von Privatdetektiven nach den Banditen zu suchen...

Die Strecke zog sich endlos dahin. Gegen fünf Uhr morgens wurde es hell und die Landschaft übersichtlicher. Sie ritten einen grünen Hügel hinauf, hielten auf der Kuppe an und spähten nach Norden.

Vor ihnen erstreckte sich ein saftiges grünes Tal, auf dem Hunderte von Rindern weideten. Roger kniff die Augen zusammen. Schließlich sah er am fernen Horizont, in einer Entfernung von etwa zehn Meilen, einige Dutzend weiße Rauchsäulen in den Himmel steigen. Als die Sonne über die Hügel kletterte und das Land in aller Farbenpracht sichtbar wurde, gab Gräfin Landsfeld ihrem Grauschimmel die Sporen und sprengte mit einem ausgelassenen »Whopee!« ins Tal hinab.

Roger grinste, dann klopfte er seinem Braunen lässig auf Hinterteil und folgte ihr. Hard Times war nicht mehr fern. Er hoffte nur, dass der Ort seinem Namen nicht gerecht wurde, denn er hatte nun, bei Gott, genug harte Zeiten hinter sich.

13.

Hard Times war eine der zahllosen Kistenbretterstädte, die überall im Land aus dem Boden wuchsen, um die Massen der Einwanderer aufzunehmen, die es in Europa unter ihren despotischen Herrschern oder aus anderen Gründen nicht mehr aushielten.

Als Roger und die Gräfin durch die Main Street ritten, waren trotz der frühen Stunde schon allerhand Menschen auf den Beinen. Sie wurden von einem babylonischen Sprachgewirr empfangen, in dem slawische, skandinavische und deutsche Laute vorherrschten. Vor der Stadt bereitete man sich ein so genanntes Landrennen vor. Dort versammelten sich Dutzende von Reitern, die es darauf abgesehen hatten, sich eine der Heimstätten abzustecken, die die US-Regierung an Einwanderer verschenkte, die sich verpflichteten, auf ihrem Grund und Boden etwas anzubauen.

Die Main Street war staubig, die Hütten waren selten höher als ein Stockwerk. Auf manchen Grundstücken standen keine Häuser, sondern große Zelte, in denen Kneipiers und Händler residierten. Das Örtchen wirkte wie ein einziges Provisorium.

Roger ließ seinen Blick umherschweifen. Er zweifelte daran, dass das Nest auch nächste Jahrhundert überdauern würde.

Es gab allerdings ein Telegrafenamt, an dem sie kurz anhielten. Gräfin Landsberg betrat das Gebäude mit forschen Schritten. Sie kabelte der Agentur Pinkerton die betrübliche Nachricht vom Tod ihrer Mitarbeiter im Zug von Omaha nach Oshkosh, von der Entführung eines »weiblichen Passagiers«, teilte ihr mit, dass sie den Entführern nach Hard Times gefolgt sei und wies die Geschäftsleitung an, die Nachricht unter allen Umständen diskret zu behandeln.

Anschließend ritten sie zum einzigen Hotel der Stadt. Es trug den malerischen Namen Santa Cruz und war das höchste Gebäude in weitem Umkreis.

Der Portier war diesmal einarmig. Er musterte Roger und die Gräfin mit einem kritischen Blick. Roger fiel ein, dass es taktisch klüger war, als Ehepaar aufzutreten, deswegen legte er einen Arm um die Gräfin und sagte: »Wird Zeit, dass wir schlafen gehen, Darling. Der Ritt war wirklich sehr ermüdend.«

»Ihr Name, Sir und Lady?«, fragte der Portier.

»Mr. und Mrs. McGuinn«, sagte Roger.

»Wie lange werden Sie bleiben, Sir?«

»Das steht noch nicht fest«, sagte Roger. »Aber ein paar Tage bestimmt. Nicht wahr, Darling?«

Die Gräfin nickte. Der Portier gab ihnen den Schlüssel.

Während die Gräfin müde nach oben ging, brachte Roger die Pferde in den Mietstall nebenan und kehrte mit prallen Satteltaschen und Gewehren zum Santa Cruz zurück.

Als er in die Empfangshalle kam und an der offenen Tür des Hotel-Restaurants vorbeigehen wollte, fiel sein Blick in einen rotplüschigen Salon. Und er erstarrte.

Fifi La Plume saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem prächtig gepolsterten Sofa. Ihr gegenüber saß ein Mann, dessen Anblick Roger nicht weniger überraschte. Er kannte zwar seinen Namen nicht, aber sein Gesicht: Der Kerl, der mit Fifi lachte und scherzte und gerade an einem Glas nippte, in dem dunkelbrauner Whisky schwappte, gehörte zu den Entführern der falschen Gräfin.

Was, in aller Welt, hatte Fifi mit diesem Mann zu schaffen? Sie hatte nach Hard Times fahren wollen, um einen wohlhabenden Mann zu heiraten. Sollte es etwa dieser Kerl sein?

Roger schüttelte den Kopf. Wie kam es nur, dass Mädchen wie Fifi immer auf Kerle hereinfielen, deren Zugehörigkeit zur Unterwelt man ihnen schon am Gesicht ansah?

Nun ja, es ging ihn nichts an. Er war rechtschaffen müde, und oben wartete eine hübsche Frau auf ihn. Doch andererseits... Wenn Fifi den Mann kannte, konnte er vielleicht etwas über ihn in Erfahrung bringen...

Roger stellte Satteltaschen und Waffen an der Rezeption ab und ging in die Hotelbar, die dem Restaurant gegenüber lag. Er bestellte ein Bier – was der Keeper, urteilte man nach seiner säuerlichen Miene, angesichts dieser frühen Stunde offenbar für ungehörig hielt – und behielt Fifi und ihren Gesprächspartner im Auge. Nach dem ersten Schluck stand der Mann auf, verbeugte sich vor Fifi, küsste ihr die Hand und stiefelte aus dem Hotel.

Roger nahm sein Bierglas, fegte durch die Lobby und eilte in den Salon, den Fifi ebenfalls gerade verlassen wollte.

»Fifi!«, sagte er in gespielt überraschtem Tonfall. »Dass wir uns hier wieder treffen!«

»Roger!« Fifi fiel ihm um den Hals. Roger drückte sie an sich. Sie küsste ihn auf die Wange, doch bevor sich in seiner Hose etwas regte, schob er sie sanft auf das Sofa zurück.

»War das dein Bräutigam?« Er deutete nach draußen.

»Der? Ach, nein.« Fifi lachte glockenhell. »Es war Mister McGilligan, der Geschäftsführer eines seiner Unternehmen.«

»Eines seiner Unternehmen?« Roger machte große Augen. »Dann hast du ja wohl das große Los gezogen.«

Fifi kicherte. Sie sah trotz der frühen Stunde zum Anbeißen aus, und Roger bedauerte es, nicht länger mit ihr zusammen gewesen zu ein. Er fand die junge Frau nett und wünschte ihr von ganzem Herzen, dass sie einen Mann fand, der sie liebte und zärtlich zu ihr war. Aber im Moment sah es leider nicht so aus. Wenn der ominöse Mr. McGilligan wirklich die Position eines Geschäftsführers bekleidete, musste er auch gut verdienen und hatte es nicht nötig, nebenher Gräfinnen zu entführen. Es sei denn, der Chef des Unternehmens, für das er tätig war, war mehr als sein Chef. Vielleicht war er sein Komplize. Und dann hatte die arme Fifi wirklich die Arschkarte gezogen.

»Wie heißt denn der Glückliche?«, fragte Roger.

»Victor«, sagte Fifi strahlend. »Victor Kensington.« Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand. »Eigentlich heißt er sogar Lord Victor Kensington, aber seit er in Amerika lebt, verwendet er den Titel nicht mehr.« Es schien sie irgendwie zu enttäuschen. »Ich wäre nämlich gern eine Lady Kensington gewesen...«

»Man kann nicht alles haben.« Roger tätschelte ihre Hand. Herrgott, je länger er Fifi anschaute, desto heftiger war er versucht, sich in den Hintern zu treten. Was für eine wunderbare Frau sie doch war. Na schön, sie neigte vielleicht dazu, sich an die falschen Kerle zu binden, aber ihr treuer Blick verzauberte ihn.

»Wo steckt er?«, fragte Roger. »Irgendwo hier im Hotel?«

»Er kommt erst heute Abend«, erwiderte Fifi. »Er macht eine Geschäftsreise.«

Wahrscheinlich deswegen, damit er ein Alibi für den Tag und die Nacht der Entführung hat, dachte Roger. Er nahm sich vor, seiner Lordschaft mal heftig auf den Zahn zu fühlen.

»Vielleicht lerne ich ihn mal kennen?«

»Aber gern.« Fifi spitzte die Lippen. »Setz dich doch heute Abend zu uns. Das Hotel gehört ihm auch. Wir werden uns hier treffen. Ich sag einfach, du wärst mein Vetter oder so was.«

»Ausgezeichnet.« Roger leerte sein Glas, stand auf und tätschelte ihre Schulter. »Freut mich wirklich, dich getroffen zu haben, Fifi. Freut mich wirklich.«

»Ich freu mich auch«, sagte Fifi. Und er sah ihr an den Augen an, dass sie es ehrlich meinte.

14.

Als Roger mit den schweren Satteltaschen ins Zimmer kam, lag Gräfin Landsfeld im Bett und schlief. Sie hatte das kurze Reitkleid und was sie sonst noch so trug, fein säuberlich auf einem Stuhl zusammengelegt, und ihre Stiefel standen ordentlich ausgerichtet am Fußende.

Roger schloss die Tür, legte seine Last ab und schaute sie eine Weile an. Ihre regelmäßigen Atemzüge sagten ihm, dass sie wirklich in Morpheus’ Armen ruhte und nicht nur so tat. Er zog seine Jacke aus, und als er sie über den zweiten Stuhl hängte, vernahm er ein erotisches Knistern. Er griff in die Innentasche und nahm die grünen Scheine heraus, die Roxanne – beziehungsweise Lola, wie er sie jetzt wohl nennen musste – ihm gegeben hatte. Als er das Geld zählte, kam er sich ein wenig schofel vor.

Wieso hatte ihn erst der Mammon dazu gebracht, einer Frau in Not zu helfen? Lag es daran, dass sie reich und er seit der fatalen Pokerrunde mit Ken arm wie eine Kirchenmaus war? Lag es an seinem Charakter?

Neben der Waschschüssel am Fenster hing ein kleiner Spiegel. Roger musterte sich verstohlen und fragte sich, ob man ihm seinen miesen Charakter vielleicht ansah. Er hatte sich in seinem bisherigen Leben eigentlich wenig um Menschen und ihre Gefühle geschert. Andererseits hatte er jedoch so viel Moral, dass er sich nie an den Sparstrümpfen armer Witwen zu schaffen gemacht hatte.

Er hatte, wie Robin Hood, eigentlich immer nur die Reichen ausgenommen. Robin Hood hatte seine Beute allerdings immer mit den Armen geteilt, und das konnte er von sich nun nicht behaupten. Es sei denn, man zählte die Saloonbesitzer und Puffmuttern zu den Armen, in deren Etablissements er seine Gewinne verjubelt hatte.

»Du musst ein bisschen mehr auf die Nöte der Menschen eingehen, Roger«, murmelte er vor sich hin. »Es geht nicht an, dass du zuerst nach der Kohle fragst, bevor du einem Ertrinkenden die rettende Hand reichst.«

Er schlüpfte aus seinen Kleidern und schlug seine Hälfte des Bettes auf. Welch komisches Gefühl, zu einer Frau ins Bett zu steigen, ohne eindeutige Absichten zu haben. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er so was in seinem ganzen Leben noch nicht getan.

Roger schaute an die Decke, lauschte dem leisen Atmen der neben ihm liegenden Gräfin und stellte sich vor, ein Graf im fernen Lande Bavaria zu sein. Er hatte vor einigen Jahren abends am Lagerfeuer in einer alten Zeitung etwas über die Germans gelesen, deswegen wusste er, dass sie sich von Sauerkraut ernährten. Außerdem trugen sie Hüte aus Blech mit Hörnern und hatten lange Bärte. Die meisten waren blond und hatten blaue Augen. Auch konnten sie einen ordentlichen Stiefel vertragen... Fast so viel wie die Iren, von denen er abstammte...

15.

Als er Stunden später erwachte, stand die Gräfin in einem kurzen schwarzen Seidenhemdchen, das kaum über ihren Popo reichte, vor dem Spiegel und malte sich die Lippen an.

Rogers Blick fiel automatisch auf ihre entzückenden Kniekehlen, und irgendwas unter der Bettdecke baute ein Zelt. Erst nach einer Minute fiel ihm ein, dass ein Gentleman sich zu erkennen gab, wenn er eine ahnungslose Lady in einer für ihn vorteilhaften Situation erblickte, und so räusperte er sich.

»Geben Sie sich keine Mühe«, sagte die Gräfin, ohne sich umzudrehen. »Ich weiß schon lange, dass Sie wach sind. Ich sehe Sie im Spiegel, Homer.«

Roger errötete. Vermutlich hielt sie ihn jetzt für den Lustmolch, der er auch war. Wie peinlich.

»Ich habe Hunger«, sagte die Gräfin, die nun fertig war und drehte sich zu ihm um. »Wollen Sie nicht mal langsam aufstehen?«

»In Ihrer Gegenwart?«, fragte Roger pikiert.

Die Gräfin grinste völlig unadelig. »Haben Sie etwa Angst, ich könnte Ihren Popo betrachten – so, wie sie den meinen betrachtet haben?«

Herrjeh!, dachte Roger. Jetzt hat sie mich.

»Es geht weniger um mein Hinterteil als um das, was ich am Leibe trage«, verteidigte er sich tapfer. »Sie tragen schöne, zarte Sachen. Haben Sie schon mal gesehen, was der Durchschnittsamerikaner unter seinem Äußeren trägt? Ich will mich doch nicht lächerlich machen.«

Die Gräfin schlüpfte lachend in ihr Kleid. »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte sie. »Ich kenne diese grauenhaften Strampelanzüge, die ihr Amerikaner Unterwäsche nennt. Bei uns in Europa tragen so was nur Säuglinge.«

Roger richtete sich langsam auf, schlang die Bettdecke um seinen Körper und schob die Beine über die Bettkante.

»Na, schön, Sie Held.« Die Gräfin drehte sich um. »Vielleicht wagen Sie es jetzt.«

Roger war wie der Blitz in der Hose und schnallte eilig den Gürtel zu. Dann trat er an die Schüssel. Die Gräfin hatte frisches Wasser für ihn eingeschüttet, und nachdem er sich den Schlaf aus den Augen gewaschen hatte, kam er sich wie ein neuer Mensch vor.

Einige Minuten später verließen sie das Zimmer, gingen ins Restaurant hinunter und nahmen eine Mahlzeit ein. Der Nachmittag verging wie im Flug, da sie einen Fensterplatz hatten und die Gelegenheit nutzten, um sich das Treiben auf der Straße anzuschauen. Roger schätzte die Einwohnerzahl von Hard Times auf etwa tausend, aber in der Umgebung schien es einige Ranches zu geben, wie einige Fuhrwerke bezeugten, die vor den Geschäften standen und von Männern beladen wurden, die wie Cowboys wirkten. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, und wie sie von einem Kellner erfuhren, war der Ort in der Tat so etwas wie eine Durchgangsstation in den Westen.

Nach dem Essen gingen sie hinaus, genossen die letzten Sonnenstrahlen und machten einen Spaziergang. Dabei fiel Roger auf, dass es in Hard Times eine ganze Reihe von Firmen gab, die Victor Kensington gehörten. Sie kamen am Office des Marshals vorbei, das jedoch abgeschlossen war. Ein krakelig geschriebenes Schild an der Tür setzte die »sehr geehrten Bürger von Hard Times« in Kenntnis, dass er für einige Tage nach Fremont geritten war, um an der Hochzeit seines Bruders teilzunehmen. Damit stand fest, dass der Marshal noch nichts von der Entführung Roxannes und der in seine Stadt führenden Spur wissen konnte.

Im Telegrafenamt war für Gräfin Landsfeld inzwischen eine Botschaft der Pinkerton-Zentrale angekommen. Die Union Pacific hatte das Unternehmen von Kearney aus ebenfalls über den Tod der drei Detektive informiert. Man bedankte sich für den Hinweis auf die nach Hard Times führende Spur, versprach absolute Diskretion und kündigte an, so schnell wie möglich ein Kommando zu entsenden, um die Spur der Banditen an Ort und Stelle aufzunehmen.

Als Roger und die Gräfin das Ende der Main Street erreichten, fiel ihr Blick auf ein langes weißes Gebilde, das etwa zwei Meilen von der Stadt in den Himmel ragte. Ein Gentleman mit Backenbart, Kneifer und Zylinder, der des Weges kam, erzählte ihnen, dass es sich um ein altes Fort aus dem 17. Jahrhundert handelte. Es gehörte nun einem Briten namens Victor Kensington, einem der angesehensten und wohlhabendsten Bürger der Stadt.

»Ist das der gleiche Kensington, dem auch...?«

Die Gräfin kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen.

»...dem auch das Hotel Santa Cruz gehört?« Der alte Gentleman lächelte. »Gewiss, Lady! Ihm gehören auch das Sägewerk Kensington & Co., der Dog Star Saloon, die Eisenwarenhandlung J.M. Bucket, der Windy City Saloon, der General Store und das Waffengeschäft Olsen Brothers.«

»Er scheint wirklich eine wichtige Persönlichkeit zu sein«, sagte die Gräfin.

Der Gentleman nickte. »Die Sixtynine-Ranch gehört ihm übrigens auch. Sie ist die größte in diesem Landkreis. Für ihn reiten etwa vierzig Cowboys.«

16.

Die Sonne sank allmählich dem Horizont entgegen, als Roger und die Gräfin ins Hotel zurückkehrten.

Um sich den geschluckten Staub aus der Kehle zu spülen, gingen sie in die Bar und suchten sich einen Tisch am Fenster. Inzwischen herrschte ordentlicher Betrieb. Am Tresen standen die Männer in doppelten und dreifachen Reihen, und an den Tischen hatten sich die Feierabendspieler breit gemacht. Viele Gäste schienen Cowboys zu sein, aber man sah auch einige Geschäftsleute, drei durchreisende Offiziere der Kavallerie und einige hübsche Damen, deren Kleider zu kurz und deren Schminke zu grell waren, um ihnen Seriosität zu verleihen. Sie waren, wie man an ihrem schrillen Lachen erkennen konnte, Angestellte des Hauses, deren Aufgabe darin bestand, sich von einsamen männlichen Gästen einladen zu lassen. Eine fünfköpfige Kapelle hockte auf der kleinen Bühne und spielte zum Tanz auf. Der Sänger litt offenbar an Polypen, aber es war auch möglich, dass er Tennessee kam.

»Wie gefällt Ihnen Amerika?«, fragte Roger.

Die Gräfin lächelte. »Dieses Land ist zwar ein einziges Provisorium«, erwiderte sie, »aber ich kann mich seinem Reiz nicht entziehen.« Sie prostete Roger mit einem Bierglas zu und trank einen Schluck. »Das Bier ist allerdings nicht mit dem zu vergleichen, das man in Bavaria trinkt.«

»Vielen Dank«, sagte Roger, der ihre Aussage in seiner Ahnungslosigkeit für ein Kompliment hielt.

»Dafür ist der amerikanische Whisky allerdings nicht zu verachten«, sagte die Gräfin und reckte sich.

»Ach ja?« Roger bewunderte ihre prächtigen Lungenauswüchse. Sie drohten ihr Kleid zu sprengen. Ihr Dekolleté war auch nicht zu verachten. Einige Männer, die an den Nebentischen saßen, gafften sie von der Seite an. Roger empfand so etwas wie einen leichten Anfall von Eifersucht.

»Wie wollen wir weiter vorgehen, Homer?«, fragte die Gräfin.

Roger erzählte ihr von seiner Begegnung mit Fifi La Plume und dem ominösen Mr. McGilligan.

»Und Sie sind sicher, dass er zu den Entführern gehört?«

»Ganz sicher«, erwiderte Roger. »Ich habe ihn zweimal gesehen.«

Die Gräfin machte große Augen.

»Zweimal?«

Roger biss die Zähne zusammen. Ihr Dekolleté hatte ihn unvorsichtig werden lassen. »Ja, er ist mir in Omaha begegnet. Am Abend vor unserer Abreise. In einem Saloon.« Er wich ihrem fragenden Blick aus, denn natürlich konnte er nicht von dem Mord an Homer erzählen, ohne sich zu verraten.

»Und er ist Geschäftsführer einer der Firmen, die diesem Lord Kensington gehören?«

Roger nickte. »Das hat mir sofort zu denken gegeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann in einer solchen Position am Hungertuch nagt. Ich würde gern mal seinen Chef kennen lernen.«

»Sie glauben, sein Chef war der Auftraggeber?«

Roger nickte. »Es handelt sich um diesen Mister Kensington, dem offenbar die halbe Stadt gehört. Er ist Engländer und von Adel.«

Die Gräfin pfiff leise durch die Zähne. »Ja, sagte sie leise. »Das könnte eine Spur sein...«

»Es war nur sein Pech, dass seine Leute dann die Falsche erwischt haben.«

Die Gräfin setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Irgendwie erscheint mir Ihre Schlussfolgerung logisch. Kensington stammt aus England. Vielleicht hält er sich öfters in seiner alten Heimat auf und macht einen Ausflug auf den Kontinent...« Sie schaute Roger an. »Der europäische Adel verbringt nicht nur den Urlaub in den deutschen Bädern. Er trifft sich auch in Festspielstädten wie Bayreuth. Vielleicht hat er mich einmal dort gesehen. Er weiß von meinen guten Beziehungen zu Ludwig und ist auf eine Idee gekommen...«

»Der König?«, fragte Roger. Es lag ihm fern, ihr zu sagen, was er aus Homers Notizbuch alles über sie wusste.

Die Gräfin nickte. Doch das Thema schien ihr peinlich zu sein, denn sie wechselte es schnell. »Wenn er mich kennt, weiß er inzwischen bestimmt, wen seine Leute entführt haben... Außerdem wird Roxanne es ihm gesagt haben... Was kann er tun, um diese Scharte auszuwetzen?«

»Dann weiß er auch, dass der König nicht zahlen wird. Er wird er seine Lösegeldforderung wahrscheinlich gewaltig zurückschrauben und Sie zur Kasse bitten...«

»Oh, hallo!«

Roger schaute auf. Die Gräfin blinzelte überrascht.

Fifi La Plume stand vor ihnen. Sie trug ein knallrotes Kleid, das ihre Rundungen wunderbar betonte. Ihr schwarzes Haar wogte in fließenden Wellen auf ihre Schultern, und sie war weniger grell geschminkt als Roger sie in Erinnerung hatte. »Darf ich mich dazu setzen?«

Ein schneller Blick zur Gräfin sagte Roger, dass sie die junge Frau als unliebsame Konkurrenz empfand. Ihre Augen blitzten, ihre roten Lippen teilten sich, um eine bissige Antwort zu fauchen, doch Roger rettete die Situation, indem er Fifi als seine Cousine vorstellte.

»Sie ist Ihre Cousine?« Die Gräfin wirkte verdattert.

»Ja, wir haben uns gestern Abend nach langer Zeit zum ersten Mal wieder gesehen.«

Fifi nahm Platz. Sie setzte sich neben Roger, winkte dem Kellner und bestellte Wein. Die Gräfin tastete sie mit Blicken ab, von denen Roger nicht wusste, ob sie feindselig oder abschätzend waren. Auf jeden Fall schien Fifis Busen ihr zu gefallen: Der Blick, mit dem sie ihn musterte, wirkte irgendwie männlich.

Roger stellte die Damen einander vor.

»Miss Roxanne Prentiss, Fifi La Plume.«

»Fifi la was?«, fragte die die Gräfin.

»La Plume«, wiederholte Roger.

»Kein Mensch heißt Fifi La Plume«, sagte die Gräfin. »Es sei denn, er arbeitet im... auf der Bühne.«

Fifi errötete leicht. »Ich war früher Tänzerin.«

»Beim Ballett?«

Fifi errötete noch mehr.

»In Joe’s Night Club in St. Louis.”

»Ach, wirklich?” Die Gräfin kramte in ihrer Handtasche und entnahm ihr ein silbernes Zigarettenetui. Sie ließ es herumgehen, und Roger und Fifi griffen zu. Ehe Roger ein Zündhölzchen anzünden konnte, sprangen an den sie umgebenden Tischen mehrere Männer auf, halfen den Damen aus und übersahen Roger völlig. Er klemmte die Zigarette leicht missmutig zwischen seine Zähne.

»Ich war auch mal Tänzerin«, sagte die Gräfin. »Ich bin es eigentlich noch.«

»In Europa?«, fragte Fifi.

Die Gräfin nickte. »Ich habe auf allen großen Bühnen gestanden. In Paris, Rom, Florenz, Prag, Warschau, Moskau, London. Sogar in Bombay.«

Zu Rogers Überraschung wusste Fifi, wo Bombay lag, und das verwunderte ihn sehr, weil er es eben nicht gewusst hatte. Ehe er sich versah, waren die Frauen in ein Gespräch vertieft, bei dem er sich höchst überflüssig vorkam. Er winkte dem Kellner und bestellte noch ein Bier, aus dem bald fünf wurden. Irgendwann hatte er den Eindruck, dass das anfangs verspritzte Gift der Gräfin seine Wirkung verloren hatte. Die Frauen verstanden sich nicht nur blendend – sie nannten sich schon nach kurzer Zeit beim Vornamen –, sie verstanden auch, ihm das Gefühl zu vermitteln, dass er das überflüssigste Lebewesen auf der Erde war.

Erst als Roger einen Mann in einem maßgeschneiderten taubenblauen Anzug mit grauem Stetson in die Hotelbar kommen sah, fühlte er sich wieder gefordert. Der Mann erweckte den Eindruck, als suche er jemanden. Dann fiel sein Blick auf den Tisch, an dem Fifi saß. Seine Miene erhellte sich. Der Mann war glatt rasiert und wirkte gepflegt und kultiviert. Roger schätzte ihn auf Ende dreißig.

Er kam schnurstracks zu ihnen. Als er vor ihrem Tisch stand, schaute Fifi auf und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

»Victor?«

»Fifi?«

Fifi stand auf und fiel Victor um den Hals. Roger musterte Seine Lordschaft und erkannte, dass er jenen Blick aufgesetzt hatte, der für verliebte Idioten typisch ist. Es fiel ihm schwer, in Victor Kensington jemanden zu sehen, der Damen von Adel entführen ließ, um Lösegeld zu erpressen. Und doch war er im Augenblick der Hauptverdächtige. Roger wagte sich nicht auszumalen, wie Fifi reagierte, wenn er ihr von seinem Verdacht erzählte. Es war wohl am besten, wenn er mit seinen Vermutungen hinter dem Berg blieb, bis er hieb- und stichfeste Beweise hatte.

»Setz dich zu uns...« Fifi nahm Kensingtons Hand. Roger stand rasch auf, nahm an der Seite der Gräfin Platz, und Fifi zog ihren zukünftigen Gatten auf den Stuhl neben sich. Die Gräfin musterte ihn mit einem interessierten Blick.

»Darf ich vorstellen?« Fifi deutete auf die Gräfin. »Mein Vetter Roger und Roxanne Prentiss. – Lord Victor Kensington.«

»Victor tut’s auch.« Kensington lächelte freundlich. »Ich benutzte den Titel nicht mehr.«

Als Rogers Name fiel, fuhr der Kopf der Gräfin herum und Roger wünschte sich erneut, in Schenectady zu sein. Nun war das Kind in den Brunnen gefallen. Er biss die Zähne zusammen, zwinkerte ihr zu und hoffte, dass sie begriff, was er damit sagen wollte. Zum Glück kamen keine Spannungen auf, denn Kensington beugte sich über den Tisch, schüttelte ihnen die Hand und hieß sie in seinem Hotel willkommen.

»Ich freue mich, Sie kennen zu lernen«, sagte er und fasste die Gräfin und ihr Dekolleté ins Auge. »Fifis Freunde sind auch meine Freunde. Ich möchte Sie schon jetzt zu unserer Hochzeit einladen.«

Fifi gurrte wie eine heiße Katze und küsste ihn auf die Wange. Kensington schlang einen Arm um sie. Roger sah ihm an, dass er es kaum erwarten konnte, sie auszuziehen und abzuschlecken. Bei dieser Vorstellung spannte sich erneut seine Hose, und er fragte sich, wann die Gräfin wohl daran dachte, ihr Versprechen zu erfüllen. Vielleicht ergab sich heute Abend eine Gelegenheit, sie daran zu erinnern...

»Wir fühlen uns sehr geehrt«, schnurrte die Gräfin.

»Ich freue mich, dass meine Cousine an einen so netten Mann geraten ist«, sagte Roger artig.

»Woher stammen Sie?«, fragte Kensington. »Und womit bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?«

»Ich bin Journalist«, log Roger tapfer. »Ich lebe in New York. Ich bin momentan auf Reisen, da ich für einen neuen Reiseführer Informationen sammle.«

»Und Ihre entzückende Begleiterin?«

»Ich bin auch Journalistin«, sagte die entzückende Begleiterin. »Ich bin für die Börsenberichte zuständig.« Der Blick, der Roger traf, war vielsagend. Sie hatte nun endlich verstanden, dass er nicht Homer von Wallenstein war. Er hoffte nur, dass sie jetzt keinen Fehler machte und über Dinge plauschte, von denen Kensington als Unternehmer viel mehr verstand als sie. Doch die Gräfin riss sich zusammen.

Im weiteren Verlauf des Abends erwies sich Kensington als wohlgesitteter Mensch, der einen beträchtlichen Teil der Welt und viele europäische Berühmtheiten kannte und sogar Französisch sprach. Um bei den Damen nicht völlig ins Abseits zu geraten, schwindelte Roger ihnen haarsträubende Geschichten aus Homers Zeit als Korrespondent in aller Welt vor. Er bemühte sich jedoch, nicht zu sehr in die Details zu gehen, da er nicht wusste, ob Kensingtons Kenntnisse die seinen übertrafen.

Er machte jedenfalls großen Eindruck auf Fifi, die gebannt an seinen Lippen hing. Die Gräfin hingegen wirkte verschnupft, was vermutlich daran lag, dass sie nun wusste, dass er ein Schwindler war und sich fragte, welche Ziele er wirklich verfolgte.

Doch Roger gab nicht auf. Es war sein Ziel, etwas über Kensington zu erfahren und ihn dazu zu bringen, eine Persönlichkeit in ihm zu sehen, die wenigstens so interessant war, dass er ihn auf seinen Besitz einlud. Ihm war nicht damit gedient, nur heute Abend mit ihm zusammen zu sitzen. Er mussten eine Beziehung zu ihm aufnehmen, die so lange währte, bis die Pinkertons in Hard Times eintrafen und er ihnen die nötigen Hinweise zukommen lassen konnte. Der Haus- und Grundbesitz Kensingtons interessierte Roger aus diesem Grunde sehr. Irgendwo mussten die Entführer Roxanne versteckt halten. Und war das große alte Fort nicht sehr gut zu geeignet? Es lag außerhalb der Stadt. Seine Mauern waren dick und konnten jeden Hilfeschrei ersticken.

»Sie führen wirklich ein Interessantes Leben, Sir«, sagte Kensington. Er paffte eine Zigarre.

»Nennen Sie mich Roger«, sagte Roger großzügig.

»Schön. Dann müssen Sie mich aber auch Victor nennen.«

Roger prostete Kensington zu. Er hatte inzwischen sein achtes Bier gestürzt und befand sich in euphorischer Stimmung. Seine gute Laune verschlechterte sich jedoch, als McGilligan zu ihnen an den Tisch trat und die Lordschaft zu einem »ganz kurzen« geschäftlichen Gespräch in die Hotelhalle bat. Roger zog den Kopf ein, doch McGilligan erkannte ihn nicht.

Kensington hatte den Raum kaum verlassen, als die Gräfin an Rogers Ärmel zupfte.

»Ich habe geglaubt, Sie heißen Homer.«

Fifi schaute überrascht auf. Auch sie war angetrunken, aber ihr Gehör schien ausgezeichnet zu sein. »Du heißt Homer, Roger?«

»Nun... ähm...« Roger zupfte sich an der Nase. »Homer von Wallenstein ist mein... Künstlername... Ich benutze ihn nur, wenn ich für die Zeitung schreibe. Meine Freunde nennen mich Roger.«

»So, so«, sagte die Gräfin spitz. Roger sah ihr an, dass sie ihm kein Wort glaubte. »Soll das heißen, ich gehöre nicht zu Ihren Freunden?«

»Oh, nein«, sagte Roger. »Keinesfalls.« Er schüttelte den Kopf. Was sollte der Unfug? Warum tischte er ihr noch immer Geschichten auf, nachdem sie ihn ins Vertrauen gezogen hatte? »Ich bin nicht Homer von Wallenstein. Homer war mein Freund. Aber er ist tot.«

»Tot?!« Die Gräfin riss die Augen auf. »Sie sind gar kein Reporter?«

»Nein. Ich bin... ähm... Aktienhändler.«

Nun schauten beide Frauen ihn verwundert an.

Roger seufzte. »Na, schön. Es ist wohl besser, wenn ich die Wahrheit sage... In Omaha fing alles an. Ich kam in einen Saloon, in dem einige Leute Poker spielten...«

Als er fertig war, beschloss er, auch mit Fifi reinen Tisch zu machen. Er erzählte ihr, was während der Zugfahrt passiert war, dass er sie mit McGilligan, einem der Entführer, zusammen gesehen hatte und glaubte, dass Kensington der Chef der Entführer war.

Fifi erbleichte.

»Das darf doch nicht wahr sein...«

»Leider ist es so, Fifi«, sagte Roger. »Obwohl ich natürlich noch keinen handfesten Beweis habe.«

»Weißt du, was das bedeutet?« Sie funkelte ihn an. »Es bedeutet, dass ich mir eine Heirat abschminken kann! Es bedeutet, dass ich weiter in miesen und billigen Kaschemmen meine Haut zu Markte tragen muss!«

»Ich dachte, du wärst Tänzerin, meine Liebe?«, fragte die Gräfin überrascht.

»Ja, aber ich war bei meinen Tänzen meist nur mit einem Lächeln bekleidet«, fauchte Fifi. Aus ihrem Blick sprach nun Frust und Enttäuschung. Da hatte sie sich ernsthaft bemüht, dem Rotlicht-Milieu den Rücken zu kehren – und nun war sie schon wieder auf einen Mann reingefallen, der seine Finger in anrüchigen Geschäften hatte. »Ihr glaubt doch nicht, dass ich einen Kidnapper heirate! So viel Charakter könnt ihr mir ruhig zutrauen.«

Roger schaute betreten vor sich hin. Die Wahrheit war hart, zugegeben. Aber hätte er sie Fifi ersparen sollen? Hätte er sie sehenden Auges in ihr Unglück rennen lassen sollen?

»Nun«, sagte er, um sie zu besänftigen. »Wie gesagt: Es ist nur eine Vermutung. Ich habe keinerlei Beweise.«

»Wisst ihr was?« Fifi stand plötzlich auf. »Ich reise ab, und zwar sofort!«

Roger packte blitzschnell ihre Hand, und sein Blick sagte ihr sie solle wieder Platz nehmen. Überraschenderweise tat sie es auch.

»Mach jetzt keinen Fehler, Fifi«, sagte er hastig. »Wenn du einfach verschwindest, wird er nur misstrauisch. Außerdem kommst du so schnell nicht hier weg. Hier gibt es keine Eisenbahn, und die Postkutsche fährt auch nicht jeden Tag...«

»Wie stellst du dir das vor?«, fragte Fifi aufgebracht. »Soll ich freundlich zu ihm sein, die verliebte Braut spielen und auf die Pinkertons warten, die ihn vielleicht in ein paar Tagen festnehmen?« In ihren dunklen Augen glitzerten Tränen.

Roger kam sich wie ein Schuft vor. Er hatte ihre Illusionen zerstört.

»Ich bitte dich«, sagte er mitfühlend. »Tu dein Bestes, damit er nichts merkt.« Er stupste die Gräfin an. »Sagen Sie doch auch mal was, Durchlaucht.«

»Sag Lola zu mir«, sagte die Gräfin. »Nenn mich einfach Lola, alter Knabe.« Sie hatte offenbar auch schon einen im Tee.

»Sag was, Lola. Wir brauchen Fifis Unterstützung. Wenn sie Kensington nicht ablenkt, indem sie seine Geilheit schürt und er keinen Grund mehr hat, mit ihrem interessanten Vetter zu verkehren, sehe ich schwarz für uns. Ohne Fifi haben wir keine Chance, seinen Besitz aus der Nähe zu sehen.«

Lola nickte. »Es wäre mir sehr viel wert, wenn du bei der Stange bleiben würdest, Fifi.«

»Wie viel genau?«, fragte Fifi.

Man wurde sich schnell einig. Als Kensington zehn Minuten später zurückkam, sah man Fifi nicht mehr an, dass sie kurz vor einem Weinkrampf gestanden hatte. Sie hatte ihren Beruf halt gelernt.

Anschließend machte sich ihr schmucker Bräutigam bei Roger und Lola beliebt, indem er sie für den nächsten Abend in sein Fort einlud – zu einer kleinen Party zu Ehren seiner hübschen Braut.

17.

Die Nacht verlief ereignislos, wenn man davon absah, dass Roger von wüsten Träumen geplagt wurde, in denen Lola in einem kurzen Spitzenhemdchen, das ihr nur bis an den Zwickel reichte, vor ihm hertanzte, während er selbst mit festen Stricken ans Messingbett gebunden war. Um die Folter auf die Spitze zu treiben, gesellte sich dann auch noch Fifi in einem Hemdchen der gleichen Art dazu, nahm mit gespreizten Beinen auf einem Hocker Platz und spielte auf dermaßen aufreizende Weise an ihren Brüsten herum, dass Roger seine Fesseln zerriss und...

...erwachte. Schweiß bedeckte seine Stirn. Er stand auf, öffnete das Fenster, atmete die kühle Nachtluft ein und musterte eine Weile die schlafende Gestalt des wunderbaren Geschöpfs, das vor ihm im Bett lag. Irgendwann fielen ihm die Augen zu, und als er das nächste Mal zu sich kam, war die Sonne aufgegangen. Er war allein.

Lola hatte sich davongemacht. Roger stand schnell auf, machte sich fertig und ging nach unten. Wie er vom Portier erfuhr, hatte sich »Mrs. Smith« vor geraumer Zeit bei ihm nach einem Geschäft erkundigt, in dem man sich als Dame einkleiden konnte.

Roger atmete auf. Er frühstückte, dann ging er in die Stadt und suchte einen Friseur auf, um sich das Kinn schaben und das Haar schneiden zu lassen. Anschließend nahm er im Hinterzimmer des Barber Shops ein Vollbad, paffte einen schwarzen Zigarillo und las die Zeitung, die der Lehrling des Meisters ihm auf Kosten des Hauses brachte.

Am meisten interessierte ihn die Meldung über das unbekannte Banditentrio, das einen Zug der Union Pacific etwa dreißig Meilen vor Kearney mittels Ziehen der Notbremse zum Anhalten gebracht hatte, um einen nicht genannten weiblichen Fahrgast zu entführen. Roger nahm an, dass die Detektei Pinkerton dem Verfasser des Artikels entweder auf die Finger geklopft oder bestochen hatte, damit er den Namen des Opfers verschwieg. Eine Personenbeschreibung der Täter fehlte.

Als Roger gestiefelt und gespornt auf die Main Street zurückkehrte, lachte die Sonne zum ersten Mal seit Tagen. Er nahm unter dem Vordach eines Saloons Platz, steckte sich den zweiten Zigarillo des Tages an, ließ sich einen Kaffee servieren und beobachtete die Menschen.

Eine halbe Stunde später stolzierte eine Lady mit hochgestecktem kupferrotem Haar in einem engen grünen Kleid durch die Main Street. Die auf den Veranden herumlungernden Tagediebe warfen ihr bewundernde Blicke nach, und einige pfiffen sogar. Als echte Lady tat die Frau natürlich so, als sei sie stocktaub, doch Roger erkannte an ihrem wiegenden Gang, dass sie die Komplimente durchaus zu schätzen wusste. Er erkannte aber noch mehr: Die Lady war keine andere als Lola Montez alias Gräfin Landsfeld.

Als sie auf seiner Höhe war, blieb sie stehen und grinste ihn an.

»Ich bin entzückt.« Roger bewunderte ihr neues Kleid und die neue Frisur. »Was aber nicht bedeuten soll, dass ich zuvor nicht auch entzückt gewesen wäre.« Er hüstelte verlegen. »Darf ich dich zu einem Kaffee einladen?«

Lola setzte sich zu ihm. Ein italienischer Kellner mit pomadisiertem Haar und einer weißen Schürze wieselte ins Freie, erkundigte sich nach Lolas Wünschen und sonnte sich in der Aufmerksamkeit der Tagediebe, die ihren rechten Arm dafür gegeben hätten, eine schöne Frau wie sie auf irgendeine Weise zu bedienen. Lola bestellte Kaffee.

»Wir sollten jetzt unsere Strategie für den heutigen Abend besprechen«, sagte sie, als das Gewünschte gekommen war.

»Nun«, sagte Roger lässig und ohne den Zigarillo aus dem Mund zu nehmen, »ich schlage vor, wir gehen zuerst schön zusammen essen, dann tanzen wir eine Runde im Santa Cruz, und dann zeige ich dir meine Briefmarkensammlung.«

Lola kicherte.

»Ich könnte dir auch etwas aus einem Buch vorlesen«, sagte Roger. »Falls du eins hast.« Er schaute Lola an. »Du glaubst doch, dass ich lesen kann?«

»Als Aktienhändler solltest du wenigstens Zahlen lesen können«, erwiderte sie.

»Du hast wahnsinnig schöne Beine«, sagte Roger. »Das ist mir schon im Salonwagen aufgefallen. Kurz vor unserem kleinen Umtrunk.«

»Erinnere mich bloß nicht daran. Mir wird übel, wenn ich an das Zeug denke, das wir getrunken haben. Und bleib bei der Sache. Hast du eigentlich nichts anderes im Kopf?«

»Ich denke praktisch an nichts anderes mehr, seit ich dich kenne.« Roger stieß eine blaugraue Rauchwolke aus. »Ich würde sonst was dafür geben, noch mal deine Kniekehlen zu sehen.«

»Du bist ein echter Schwerenöter.«

»Ich bin halt ein Mann, der seine Gattin mag.« Roger hüstelte. »Du hast doch nicht vergessen, dass wir ein Ehepaar sind?«

»Es geht mir schon den ganzen Morgen im Kopf herum«, sagte Lola. Sie spitzte die Lippen, die, wie Roger sah, heute in einem anderen Rotton glänzten. »Schön, lassen wir den Kram. Ich bin sowieso keine echte Gräfin.« Sie streckte die Hand aus.

Roger griff zu und drückte sie.

»Ich heiße Roger O’Donnell.«

»Ich hab doch geahnt, dass der Name McGuinn falsch ist. Ich heiße Eliza Gilbert. Aber nenn mich Lola.«

Sie trank ihren Kaffee, und Roger glotzte auf ihren Busen. Er musste unbedingt etwas für sein Benehmen tun.

»Was machst du so, Roger?«, fragte Lola. »Ich meine, wenn du nicht gerade aus edlen Motiven Gräfinnen hilfst, ihre entführten Gesellschafterinnen zu finden?«

»Dies und das«, sagte Roger.

»Und das ernährt seinen Mann?«

»Ich kenne leider keine Königin, die mir Reisen in ferne Länder finanziert.«

»Touché«, sagte Lola und seufzte.

»Wir sind also Mann und Frau«, sagte sie. »Das heißt, wir werden heute Nacht in Kensingtons Fort wieder mal in einem – hoffentlich schöneren – Bett schlafen.«

»Ich hoffe, du nutzt es nicht aus«, sagte Roger mit todernster Miene.

»Ich hab nicht vergessen, was ich dir versprochen habe«, erwiderte Lola. »Aber ich wollte eigentlich darauf hinaus, wie wir vorgehen, wenn wir Roxanne finden wollen.«

»Ich schlage vor, dass wir jede Gelegenheit nutzen, um sein Haus auf den Kopf zu stellen. Ich denke da besonders an tiefer liegende Räume, denn in seinem Schlafzimmer wird er Roxanne wohl kaum gefangen halten.« Er hüstelte. »Außerdem wird er heute Abend darauf aus sein, Fifi dorthin zu verschleppen.«

»Ist sie wirklich deine Cousine?«

Roger schüttelte den Kopf. »Das hat sie nur gesagt, um mir die Möglichkeit einzuräumen, Kensington näher kennen zu lernen.«

»Hast du was mit ihr?«

Roger hatte den Eindruck, als sei es ihr nicht ganz gleichgültig.

»Kann man eigentlich nicht sagen.«

Irrte er sich, oder atmete Lola wirklich auf? Sie war ein irgendwie undurchsichtiger Mensch. Einerseits poussierte sie mit einem germanischen König herum, andererseits tauschte sie mit ihrer Gesellschafterin Kleider, Haarfarbe und Rolle. Welchen Grund konnte es dafür geben, wenn nicht den, dass sie sich mal richtig austoben wollte?

18.

Am Nachmittag ließ Victor Kensington sie von einem Lakaien mit einem Einspänner aus dem Hotel Santa Cruz abholen und auf seinen von hohen weißen Mauern umgebenen Besitz bringen.

Sie fuhren durch ein Tor in einen aufgeräumten Innenhof, in dem einige Fuhrwerke und ein alter Ziehbrunnen standen. Die Gebäude waren zwei Stockwerke hoch, doch keins überragte die sie umgebenden Mauern. Alte Bäume spendeten Schatten. Roger sah Stallungen. Hier und da schaute der Kopf eines Pferdes zu ihnen hinaus. Früher hatten hier bestimmt hundert Menschen gelebt. Heute waren es kaum mehr als ein Dutzend.

Sie wurden von Fifi in Empfang genommen. Die Aussicht auf die Belohnung Lolas hatte ihre Bedenken zerstreut und ihr schauspielerisches Talent zu neuem Leben erweckt. Auch in ihrem früheren Beruf hatte sie bei den Kunden den Eindruck erwecken müssen, außer ihnen gäbe es für sie niemanden auf der Welt. Sie wirkte fröhlich. Roger empfand ein leises Nagen von Eifersucht und fragte sich, ob sie die letzte Nacht in Kensingtons Bett verbracht hatte. Die Wahrscheinlichkeit war jedoch gering, denn sie wollte auf ihren Zukünftigen einen guten Eindruck machen, und da war es nicht angeraten, erfahrener zu sein als herrschende Moral verlangte.

Fifi führte sie in einen holzgetäfelten Salon, dessen Einrichtung teilweise aus Europa stammte. Roger sah zum ersten Mal im Leben eine jener unförmigen Rüstungen, die die Ritter der alten Zeiten bei ihren Schlachten getragen hatten: Sie stand, wie ein Burgwächter, gleich neben dem Eingang. An den Wänden hingen runde Eisenschilde und lange Schwerter und Säbel. Lola, die derlei Dinge kannte, war unbeeindruckt. Ein mexikanisch aussehendes Mädchen mit glutvollen Augen, blauschwarzem Haar, roten Lippen und einem schwarzen Kleid, das so kurz war, dass selbst Fifi es mit einem Stirnrunzeln betrachtete, bediente die Gäste.

Wie sich zeigte, hatte Kensington sie nicht allein in sein Fort geladen. Im Salon hielten sich sechs oder sieben Ehepaare auf, die er ihnen als Geschäftsfreunde und Nachbarn vorstellte. Der Hausherr begrüßte »Mr. und Mrs. McGuinn«, bat sie, sich wie zu Hause zu fühlen und nahm die nächsten Besucher in Empfang. Eine halbe Stunde später wimmelte es im Inneren des alten Forts von Menschen. Roger nahm an, dass es zwanzig oder mehr Personen waren.

Weniger erbaut war er freilich von der Ankunft dreier Gentlemen, die eine Stunde später in den Innenhof ritten. Sie saßen am Brunnen ab und unterhalten sich, und als er sie erkannte, wurde sein Kragen eng. Es waren Georgie und seine Komplizen Flint und McGilligan.

»Ist was?« Lola tauchte neben ihm an der Tür auf. Sie hielt ein Cocktailglas in der Hand.

»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht«, erwiderte Roger leise. »Die Gute lautet: Wir sind auf der richtigen Spur.« Er deutete mit seinem Zigarillo auf die Männer am Brunnen. »Die Schlechte: Die Kerle da drüben haben Homer auf dem Gewissen und Roxanne entführt.«

»Ich glaub, mir wird übel«, sagte Lola, als die Männer auf das Haus zukamen.

»Im Hotel hat McGilligan mich nicht erkannt«, sagte Roger. »Vielleicht haben sie mich bei der schlechten Beleuchtung im Zug gar nicht richtig wahrgenommen...«

»Ja«, sagte Lola. »Aber was ist mit mir? Einer von ihnen hat mich niedergeschlagen.«

»Oh, Scheiße«, sagte Roger erschreckt. »Daran hab ich überhaupt nicht mehr gedacht! Es war Irrsinn, hierher zu kommen!«

Georgie, Flint und McGilligan traten ein und schauten sie kurz an, doch niemand erweckte den Eindruck, sie zu kennen. Trotzdem registrierte Roger ein leichtes Zittern seiner Knie. Die Männer nahmen ihre Hüte ab und begrüßten Kensington, der sich daraufhin zu Roger und Lola umdrehte.

»Ich würde Ihnen gern einige meiner Freunde vorstellen...«

Roger schluckte und schüttelte den Neuankömmlingen die Hand.

»Angenehm. Ich bin Roger McGuinn.«

Die drei Männer murmelten ihre Namen, und Roger atmete auf, als sie Männer sich zu den anderen Gästen gesellten. Lola schüttelte sich.

Allerdings sollte man sein Glück nicht herausfordern. Roger nahm Lola an die Hand. Sie hielten sich von dem Trio fern, mischten sich unter die restlichen Gäste und bemühten sich, etwas über die Neuankömmlinge zu erfahren.

McGilligan war der Geschäftsführer von Kensingtons Sägewerk. Gary Flint und George Flannagan waren mit ihm befreundet. Sie waren nicht oft in der Stadt. Eigentlich wusste niemand genau, welchem Gewerbe sie nachgingen.

Der Nachmittag verlief unterhaltsam. Jemand setzte sich im Salon an ein Piano und sorgte für Musik. Einige Paare tanzten, doch die meisten Gäste standen herum, tranken und tratschten.

Fifi zeigte Roger und Lola die Küche, die Stallungen und das Zimmer, in dem sie die Nacht verbringen sollten.

»Hast du dich inzwischen umgesehen?« Lola zückte ein Blatt Papier und einen Bleistift.

»Ja.« Fifi nahm vor einem Sekretär Platz, zeichnete den Lageplan der ihr bekannten Räumlichkeiten und markierte die Zimmerflucht, die Kensingtons Lebensbereich war. Roger warf einen Blick aus dem Fenster und prägte sich die Lage der Räume ein, in die er nicht vorstoßen wollte, damit es nicht zu unvorhergesehenen Begegnungen kam.

Das Essen wurde im Salon aufgetragen. Danach, beim Kaffee, ließ Kensington sich ausgiebig über die Schlechtigkeit der Welt, die Verdorbenheit der Jugend und das Banditen-Unwesen aus, was ihm viel Beifall – besonders von Georgie, Flint und McGilligan – einbrachte. Roger, dem sich angesichts dieses Schwadronierens die Haare sträubten, wetterte über Betrüger, die ahnungslose Bürger mit Aktien nicht existierender Silberminen in New Mexico übers Ohr hauten, und Fifi setzte noch eins drauf, indem sie bitterlich den Verfall der Moral und der guten Sitten beklagte.

Der Abend ging fröhlich zu Ende. Gegen Mitternacht brachen die ersten Gäste mit ihren Einspännern zu ihren eigenen Besitzungen auf. Eine halbe Stunde später war das Fort bis auf die sechs Gäste leer, die hier übernachteten.

Georgie, Flint, McGilligan und Fifi zogen sich als erste zurück. Kensington wünschte Mr. und Mrs. McGuinn eine Gute Nacht. Die Mexikanerin mit den Glutaugen führte Roger und Lola zu ihrem im ersten Stock liegenden Zimmer.

19.

In der Ferne bellte ein Coyote. Das Mondlicht fiel silbern vom Himmel, als Roger O’Donnell einen Blick auf die Uhr warf und vom Bett aufstand.

»Drei Uhr«, sagte er. »Auf, meine Liebe...«

Lola, die neben ihm lag, öffnete die Augen schaute ihn an. Er hatte geglaubt, sie sei eingeschlafen, doch sie wirkte hellwach. Sie hatte sich, wie er, nur die Stiefel ausgezogen.

»Glaubst du wirklich, dass jetzt alle schlafen?«

Roger zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, aber wir müssen es riskieren.«

Er schaute aus dem Fenster. Das Fort lag in absoluter Finsternis da. Ein leiser Wind wehte, was ganz gut war, denn geräuschlose Nächte waren nicht von Vorteil, wenn man vorhatte, im Haus seines Gastgebers herumzuschleichen, ohne dass er etwas merkte. Es wäre ihm am liebsten gewesen, wenn draußen ein ganzes Coyotenrudel geheult hätte. Auch Gewitter waren in solchen Nächten nicht zu verachten. Alles, was die Geräusche übertönte, die sie vielleicht erzeugten, war ihm willkommen.

»Na schön.« Lola stand auf und reckte sich. »Nehmen wir uns also die Kellerräume vor.«

Fifi hatte ihnen den Eingang zum Keller gezeigt. Sie brauchten nur die Treppe hinunter zu gehen. Die Tür befand sich in der Nähe des Salons, in dem sie heute gefeiert hatten. Im Nebengebäude schlief das Personal. Dass dort jemanden gefangen gehalten wurde, war nicht sehr wahrscheinlich, es sei denn die gesamte Dienerschaft steckte mit Kensington unter einer Decke.

Roger öffnete die Tür. »Ich gehe zuerst runter. Warte fünf Minuten. Dann kommst du nach.« Zwei Personen machten vielleicht ungewollten Lärm. Sie konnten sich in der Finsternis anrempeln oder sonst wie behindern. Lola nickte, und er huschte hinaus.

Der Korridor lag still vor ihm. Am Ende war ein Fenster, durch das die Sterne leuchteten. Roger pirschte auf Zehenspitzen an der Tür vorbei, von der er wusste, dass sie in ein Marmorbad führte. Dahinter lagen die Zimmer Georgies, Flints und McGilligans. Er huschte lautlos an ihnen vorbei und atmete auf, als er den Mond durch das Fenster scheinen sah.

Plötzlich ein leises Knarren.

Roger hielt inne. Er lauschte dem Schlag seines Herzens. Ihm kam plötzlich ein schrecklicher Gedanke. Was war, wenn man ihnen eine Falle gestellt hatte? Sie hatten am Vortag darüber gesprochen, dass die Entführer inzwischen wissen mussten, dass sie die falsche Gräfin erwischt hatten...

Was hätte er in dieser Situation getan? Am Daumen gelutscht und auf den Tag gewartet, an dem ihm einfiel, was er mit seinem wertlosen Opfer anfangen sollte?

Angenommen, dachte er, Kensington steckt wirklich hinter der Sache und weiß, wie die echte Gräfin aussieht... Es muss ihm wie ein Geschenk des Himmels erschienen sein, Lola in Gesellschaft seiner Braut im Santa Cruz an einem Tisch sitzen zu sehen...

Wäre es nicht gerissen von ihm gewesen, sie daraufhin auf seinen Besitz einzuladen, wo er die Gräfin »entführen« konnte, ohne dass ein Schuss fiel? Er hatte nur seine Leute zu informieren brauchen...

Wieder das leise Knarren. Einen halben Meter vor ihm wanderte ein schmaler Lichtstreifen über den Boden. Roger spannte seine Muskeln an.

Urplötzlich ragte eine Gestalt vor ihm auf. Zwei Hände krallten sich in seine Weste, und er wurde energisch nach vorn gezogen. Er hob die Arme, um auf den unbekannten Angreifer einzuschlagen, doch im gleichen Moment drang lieblicher Parfümduft in seine Nase.

»Fifi?«, ächzte er überrascht.

»Pssst, sei leise...« Fifi zog ihn in ihr Zimmer und machte rasch die Tür hinter sich zu. Roger schaute sich verdutzt um. Er sah ein aufgeschlagenes Bett. Auf dem Nachtschränkchen stand ein Kerzenleuchter, und er begriff, was den Lichtstrahl auf dem Korridorboden erzeugt hatte.

Fifi trug einen transparenten weißen Fummel mit allerlei verspielt aussehenden Rüschen. Und nichts darunter. Sein Schwengel fing fröhlich an zu pochen. Eigentlich hatte er ja jetzt wichtigere Dinge zu tun...

»Fifi, was...?«

Fifi zog ihn zum Bett. Was hatte sie vor? Sie wollte doch nicht etwa mit ihm...? Sie befanden sich unter dem Dach ihres zukünftigen Gatten. In den Nebenzimmern schliefen drei ihm ergebene Revolvermänner. Auch wenn aus ihrer geplanten Ehe nichts wurde – Kensington ahnte nichts davon. Was war, wenn er ausgerechnet heute Nacht den Versuch unternahm, von seiner Braut einen Vorschuss auf die Hochzeitsnacht zu kassieren?

»Das geht doch nicht, Fifi«, keuchte Roger leise.

»Hör zu«, sagte Fifi. »Ich hab mir die ganze Sache noch mal ernsthaft überlegt.«

Roger machte große Augen.

»Was soll das heißen?«

»Da aus meiner Ehe mit Victor nichts wird, möchte ich aussteigen. Und zwar Sofort.«

»Aussteigen?« Roger empfand plötzlich ein heftiges Schwindelgefühl. »Und auch noch sofort? Ja, bist du denn von Sinnen? Weißt du nicht, in welche Lage du uns damit bringst?«

»Ja, ich will aussteigen.« In Fifis Augen funkelten Tränen. »Ich kann einen Mann, der mich heiraten will, nicht ans Messer liefern. So was wäre völlig charakterlos.«

Roger stöhnte auf. Damit hatte er nun nicht gerechnet.

»Und was ist mit der Belohnung?«, fragte er.

»Ich pfeif auf die Belohnung. Ich möchte mir lieber ein reines Herz bewahren.« Sie schaute ihn treuherzig an. Und irgendwie konnte Roger sie verstehen. Auch er lieferte nicht gern Leute ans Messer, mit denen er bekannt war.

»Was willst du tun?«, fragte er.

»Ich packe jetzt meine Koffer.«

»Fifi... Ich bitte dich.« In Rogers Kopf wirbelten die Gedanken. Wenn sie ihre Pläne sabotierte... Wenn sie ging, weckte sie das Haus auf... Das Personal hatte das Tor des Forts mit einem schweren Riegel geschlossen. Sie musste jemanden wecken, um ins Freie zu gelangen. Kensington würde wach werden und Fragen stellen. Jede Menge Fragen. Unangenehme Fragen.

Natürlich würde Fifi sich verplappern. Lola fiel ihm ein, die wahrscheinlich gerade in diesem Moment auf dem Weg in den Keller war. Vermutlich fragte sie sich schon, wo er steckte. Wenn Kensington, seine Vasallen oder jemand vom Personal erwachte, lief sie vielleicht jemandem in die Arme und machte sich verdächtig...

»Hör mal, Fifi, reiß dich zusammen...« Roger zog sie an sich.

»Er will mich doch heiraten...«, schniefte Fifi und schmiegte sich an seine Brust. »Ich kann ihn einfach nicht verraten... Eine Frau muss doch zu ihrem Mann stehen...«

»Auch wenn er ein Bandit ist?«

»Huhuh...« Fifi schlang die Arme um Rogers Hals und drückte ihren Schoß an den seinen. Roger registrierte instinktiv, wie heiß ihr Schoß war. Sein Schwengel spürte es auch. Er nahm sie fest in die Arme. Seine Hände streichelten ihren Rücken, glitten langsam tiefer, wanderten über ihren drallen Hintern. Ihm fiel der Nachmittag im Grand Hotel in Omaha ein. Sie hatte ihn gefragt, wieso sie einander nicht früher begegnet waren. Fifi war so verdammt anschmiegsam. Er hätte sie am liebsten aufs Bett und sich auf sie drauf gelegt.

Plötzlich spürte er ihre Lippen auf den seinen. Dann war ihre Zungenspitze in seinem Mund, und er hörte sie wollüstig stöhnen: »Ich bin wahnsinnig verzweifelt, Roger. Tröste mich...«

»Fifi?« Er legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an. Er sah, dass sie grinste.

»War ich gut?«, fragte sie.

Roger war fassungslos. »Du gemeine Bestie!«

Fifi lachte leise und zog ihn zum Bett. Normalerweise war Roger nicht darauf aus, die Bräute anderer Männer zu besteigen, doch nun übermannte es ihn. Fifi sank nach hinten. Ihr transparentes Nachthemd rutschte hoch und entblößte sie bis zum Bauch.

Oh, Mann! Roger fiel vor ihr auf die Knie. Er legte die Hände auf ihre Oberschenkel und presste den Mund auf ihren Schamhügel. Fifi seufzte ekstatisch und zog ihr Gewand bis an den Hals. Ihre Nippel waren groß und hart, wie auch Rogers Schwengel, der nun heftig seine enge Hose ausbeulte. Während seine Zunge ihr straffes Fleisch liebkoste, riss er sich mit bebenden Fingern den Patronengurt vom Leib, ließ ihn leise auf den Teppich sinken und nestelte an seinem Hosengurt. Sein Schwanz war so steif, dass es ihm kaum gelang, die Hose herunterzuziehen. Als er es endlich geschafft hatte, knallte seine Prachtlatte an die Bettverkleidung.

»Oh, Fifi... Du bist göttlich...« Rogers Zunge tanzte über rosiges Fleisch, begegnete einem kleinen Pickel und umtänzelte ihn.

»Yeah...« Fifi stöhnte so heftig, dass er es mit der Angst bekam.

20.

Lola hatte kaum zehn Meter des finsteren Korridors hinter sich gebracht, als sie ein Stöhnen hörte.

Sie blieb stehen und lauschte. Da war es wieder... Lang gezogen und brünstig... Sie kannte solche Laute. Sie hatte sie selbst oft genug ausgestoßen. Hatte der moralische Lord Kensington es tatsächlich gewagt, seiner Braut in dieser Nacht einen Besuch abzustatten?

Die Neugier übermannte sie. Lola ging zwei Schritte weiter, dann stand sie vor Fifis Schlafzimmertür. Durch das Schlüsselloch fiel Helligkeit hinaus. Sie schaute sich verlegen um, denn es wäre ihr ungeheuer peinlich gewesen, bei dem ertappt zu werden, was sie nun vorhatte. Dann grinste sie und warf einen Blick durch das Schlüsselloch.

Ui! Die hübsche Fifi lag mit weit gespreizten und hoch erhobenen Beinen auf einem breiten Messingbett und umfasste ihre Kniekehlen. Sie war nackt; der Fetzen, aus dem ihr Nachthemd bestand, war um ihren Hals gewickelt. Zwischen ihren Schenkeln hockte ein halbnackter Mann und verwöhnte sie mit dem Mund. Als er sich aufrichtete, erspähte Lola seinen Prügel. Ihre Kinnlade klappte herunter, als sie sah, wie sich sein monströses Gerät an Fifis rosigem Schlitz rieb und dann unendlich langsam in sie eindrang.

Das Herz schlug ihr bis zum Halse, als sie das heisere Stöhnen der schwarzhaarigen Frau hörte. Fifi schlang die Beine um den Rücken des Mannes. Er stützte sich nun rechts und links von ihr auf dem Bett ab und fuhr wie der Teufel in sie ein. Gestöhn und Geseufze kündeten von unverhohlenem Genuss. Ihr runder Hintern drängte sich dem Mann wippend entgegen. Sie schlang die Arme um seinen Hals, flüsterte ihm etwas ins Ohr und küsste ihn wild.

Lola sah, wie die Zungen der beiden sich umtanzten, und in ihrem eigenen Unterleib machte sich heiße Erregung breit. Ihr Puls wurde schneller. Ihre Knie fingen an zu zittern. Ihr Schoß juckte, und sie fühlte sich verlockt, ihr Kleid hochzuheben, um sich zu streicheln. Doch darauf konnte sie sich jetzt nicht einlassen, denn sie hatte eine Aufgabe zu erledigen, und Roger wartete sicher schon auf sie...

Erst jetzt erkannte sie, dass der Besitzer des Schwengels, der tief in der nackten und wonnig seufzenden Fifi steckte, Roger O’Donnell war.

Ihr Herzschlag setzte vor Schreck einen Takt aus.

Mein Gott, dachte sie, was mache ich hier? Roxanne ist in Gefahr, und ich stehe wie eine geile kleine Voyeurin vor einem Schlüsselloch und schaue einem Kerl zu, an dem mir ohnehin nichts liegt...

Trotzdem musste sie sich mit Gewalt von dem erregenden Anblick losreißen, den die beiden leidenschaftlich ineinander verkeilten Menschen ihr boten. Nun wechselten sie auch noch die Stellung.

Herrjeh, war das aufregend! Fifi drehte sich herum, legte sich auf den Bauch und reckte ihren Popo hoch in die Luft. Roger nahm seinen Schwengel in die Hand und flutschte wieder in sie hinein. Er setzte offenbar zum Endspurt an, denn seine Bewegungen wurden heftiger und schneller. Fifi stöhnte nun so laut, dass sie sich eine ganze Hand in den Mund stopfte, um die Geräusche zu ersticken.

Lola ignorierte ihr heftig schlagendes Herz. Dann sagte leise »Pah!«, als interessiere sie das Bild hinter der Tür nicht im Geringsten, und sie machte sich allein auf den Weg durch das finstere Haus, um Roxanne zu suchen.

21.

Georgie zog den Champie-Hut in die Stirn und zückte seinen Colt. Der Korridor war stockfinster. Nach den zwei Stunden, die er zusammen mit seinen Komplizen in Kensingtons Büro verbracht hatte, mussten sich seine Augen erst mal an die Dunkelheit gewöhnen.

Sie gingen wortlos und mit gezückten Waffen nach oben. Kensington führte sie an, dann kamen Georgie und Flint. McGilligan war die Nachhut. Es war eine gute Idee gewesen, »Mr. und Mrs. McGuinn« zu einem unverfänglichen kleinen Fest ins Fort einzuladen. Hier waren sie weit weg von der Stadt und konnten im Notfall so viel Lärm machen, wie sie wollten. Kensingtons Personal würde kuschen, wie immer. Die Leute hatten Angst um ihre Arbeitsplätze. Im Hotel würde sich niemand Gedanken machen, wenn die beiden nicht zurückkehrten. Da der Laden Kensington gehörte, brauchte man sie nur aus den Gästebuch auszutragen. Dann waren sie verschwunden.

Als sie vor der Tür der »McGuinns« standen, blieb Kensington stehen. Georgie trat vor, presste ein Ohr auf das Holz und lauschte. Er hörte nichts. Um diese Stunde lagen die beiden vermutlich im Tiefschlaf. Er grinste vor sich hin, als er sich ihre überraschten Gesichter vorstellte. Natürlich konnten sie nicht ahnen, dass Kensington das Gesicht der echten Gräfin aus der europäischen Presse kannte.

»Alles fertig?«, flüsterte Georgie seinen Gefährten zu.

Flint und McGilligan, beide mit Stricken bewaffnet, nickten kaltblütig.

Georgie glaubte in Kensingtons Gesicht so etwas wie Furcht zu erkennen. Aber er hatte sich längst daran gewöhnt, dass dieser adelige Waschlappen kein Mann seines Kalibers war. Nach der großen Pleite im Zug hatte er die ersten Gewissensbisse gekriegt. Am liebsten hätte er die Sache ganz abgeblasen.

Aber natürlich ließ Georgie Flannagan sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Er und die anderen hatten eine Menge investiert. Deswegen war die Erkenntnis, die Falsche geschnappt zu haben, doppelt frustrierend für sie gewesen. Sie hatten drei Männer umgelegt – für nichts! Sie hatten von Millionen geträumt, doch statt der Geliebten eines Königs nur eine Gesellschafterin erwischt! Wer hätte auch ahnen können, dass die verfluchte Gräfin auf die Idee gekommen war, mit ihr die Rolle zu tauschen und sich auch noch das Haar zu färben!

»Los«, sagte Georgie. Er öffnete die Tür. Flint und McGilligan hechteten ins Zimmer. Georgie richtete seinen Colt auf das Bett, damit McGuinn, sollte er zufällig wach sein, gar nicht erst auf die Idee kam, Widerstand zu leisten.

»Was...?«, krächzte Flint, als er das leere Bett sah. Das Licht der Sterne fiel durchs Fenster. Georgie sah zu seinem Schreck, dass ihre Beute ausgeflogen war.

»Sie sind weg!«, sagte McGilligan, als seien alle anderen Anwesenden blind. Er fuhr zu Kensington herum. »Was hat das zu bedeuten?«

Kensington schaute ihn mit großen Augen an. Sein Gesicht war bleich. Er sah aus als sei ihm übel.

Georgie steckte sein Schießeisen ein und schaute sich um. Flint öffnete den Kleiderschrank, als erwarte er, die Verschwundenen dort zu finden. »Wo können sie stecken?«

»Sie wissen Bescheid«, murmelte Kensington und wurde noch bleicher. »Sie haben uns von Anfang an durchschaut – wie auch immer. Wisst ihr, was das bedeutet?«

»Jetzt wissen sie, wer wir sind.« McGilligan zupfte sich nachdenklich am Ohr.

»Damit haben sie ihr Todesurteil unterschrieben«, knurrte Flint.

»Sie dürfen das Fort um keinen Preis verlassen«, sagte Georgie. »Los, durchsucht das ganze Anwesen!«

»Macht bloß keinen Lärm«, wandte Kensington besorgt ein. »Ich will nicht, dass meine Braut etwas von der Sache mitkriegt.«

»Meine Braut, meine Braut«, äffte Georgie ihn hämisch nach. »Hier geht’s um unseren Kopf. Wir haben schließlich die Pinkertons umgelegt – nicht du!«

»Bemüht euch trotzdem, nicht zu schießen«, sagte Kensington nervös. »Ich möchte bei ihr nicht in schlechtem Licht dastehen. Das ist kein Anfang für eine gute Ehe.«

Georgie hätte ihm gern gesagt, was er von seiner Braut hielt, doch er schluckte es herunter. Dafür war auch später noch Zeit.

Wenn sie McGuinn umgelegt und das Lösegeld für seine Begleiterin kassiert hatten.

22.

Roger starrte wie hypnotisiert auf das sich vor seinen Augen wiegende Hinterteil Fifis und seinen sie spaltenden Bolzen.

Fifi hatte keine Hemmungen. Während sie auf seiner Lanze zappelte, spielte sie an sich herum. Als ein kehliges Seufzen aus ihrem Mund ihm sagte, dass sie zum Höhenpunkt gekommen war, explodierte auch er. Es gelang ihm erst in letzter Sekunde, sich aus ihrem engen Ritz zurückzuziehen.

Fifi streckte alle viere von sich, und Roger sackte auf ihrem Rücken zusammen. Er brauchte eine halbe Minute, um wieder klare Gedanken zu fassen.

Sofort fiel ihm Lola ein. Er küsste die noch immer selig keuchende Fifi auf den Nacken und sprang mit einem leisen Fluch auf, um seine Hose zu packen zu richten.

»Was hast du vor?« Fifi hob den Kopf. Ihr Blick sagte ihm, dass sie mit seiner Leistung zufrieden war.

»Lola wartet auf mich...«

»Hast du was mit ihr?« Fifis Stimme klang irgendwie leicht eifersüchtig.

»Aber nein!« Roger schnallte den Patronengurt um seine Taille.

»Sag die Wahrheit«, sagte Fifi. Sie setzte sich aufrecht hin. Ihre Augen sprühten Blitze.

»Hör mal, Fifi«, erwiderte Roger. »Wir sind doch nicht miteinander verheiratet!«

»Aber du hättest gern was mir ihr«, sagte Fifi stur. »Ich seh’s dir an der Nasenspitze an!«

»Für eine Frau, die demnächst einen anderen heiratet, hast du aber komische Anwandlungen«, sagte Roger.

»Ich heirate ihn ja gar nicht.«

Roger stand inzwischen an der Tür und lauschte in den Korridor hinaus. Die Standuhr in Fifis Gästezimmer sagte ihm, dass er eine halbe Stunde hier verbracht hatte. Verdammt! Lola würde sich bestimmt Sorgen um ihn machen. Hoffentlich beging sie keine Kurzschlusshandlung...

»Ich muss jetzt gehen.« Er blies Fifi ein Kusshändchen zu. »Das Fort ist groß, und in zwei oder drei Stunden geht die Sonne auf.«

Fifi spitzte die Lippen. »Pass auf dich auf – und lass dich nicht mit fremden Frauen ein.« Sie kuschelte sich ans Laken und seufzte selig. Wahrscheinlich schwelgte sie in Erinnerungen an die letzten dreißig Minuten.

Roger zwinkerte ihr noch mal zu, dann öffnete er die Tür und schlich hinaus. Im Haus war alles still. Er kam an die Treppe und ging leise hinab. Eigenartigerweise bebten nach der Rammelei mit Fifi seine Knie, und das hatte er nur selten erlebt. Im Schutz der Finsternis schlich er nach unten, fand den Salon und suchte nach der Kellertür, die Fifi ihm am Nachmittag gezeigt hatte.

Er fand sie rasch, aber er auch noch etwas anderes, und das hatte er nicht erwartete: Ein dunkler Schatten löste sich von einer weißen Wand und stürzte wie eine riesengroße Krähe auf ihn zu. Zuerst glaubte er, es sei Lola, die, statt allein in den Keller vorzudringen, hier auf ihn gewartet hatte. Doch als ihn ein Faustschlag am Kinn traf und er zurücktaumelte, wusste er, dass er sich geirrt hatte.

Die Gestalt war ein Mann, und da er ihn nicht angesprochen, sondern gleich angegriffen hatte, wurde Roger sofort klar, was hier ablief: Kensington war ihnen auf die Schliche gekommen. Dass sein Gegner weder einen Laut von sich gab, noch Alarm schlug, konnte nur bedeuten, dass man keinen Wert darauf legte, das Personal oder Fifi zu wecken.

Na schön, dachte Roger. Ist mir Recht.

Sein Kinn tat weh, aber er ignorierte es. Er stürzte vor, hob beide Hände, bekam den Stetson des Unbekannten zu fassen und zog ihn ihm mit einem raschen Griff über beide Augen.

Sein Gegner grunzte verblüfft. Eine Sekunde später traf ein Haken sein Kinn und eine Kniespitze sein Gemächt. Der Kerl klappte zusammen wie ein Taschenmesser, und Roger nutzte die Gunst der Sekunde, um mit einem Hieb auf seine Nase nachzusetzen.

Offenbar hatte er den Angreifer nun so wütend gemacht, dass er sein Vorhaben vergaß, keinen Lärm zu machen. Im matten Licht der Sterne, das durch die großen Salonfenster fiel, sah Roger, dass die Rechte des Burschen nach seinem Schießeisen tastete. Im gleichen Moment fiel sein Blick auf eine bauchige Flasche, die neben ihm auf einem Tisch stand. Rogers Rechte scherte aus, bekam den Flaschenhals zu packen und riss ihn hoch. Als die Hand seines Gegners den Coltgriff umfasste, knallte die Flasche gegen sein rechtes Ohr.

»Oahh...«

Bong! Und noch einmal. Roger hörte das Eisen zu Boden scheppern. Sein Gegner – er sah nun, dass es Flint war – wankte. Seine Augen zeigten den stumpfsinnigen Blick eines Ochsen, der gegen eine Steinwand gelaufen ist. Aber er war nur benommen, nicht besinnungslos. Roger hieb noch einmal zu, diesmal von unten nach oben. Der Flaschenboden knallte gegen Flints Kinn. Sein Kopf flog nach hinten. Er taumelte und schlug mit dem Schädel gegen die Wand. Roger hörte ihn leise seufzen. Flint rutschte langsam an der Wand entlang zu Boden und blieb liegen.

Roger stieß keuchend die Luft aus. Dann bückte er sich und betrachtete sein Opfer eingehender. Flint regte sich nicht mehr. Er starrte mit hohlem Blick ins Leere. Er schien sich das Genick gebrochen zu haben.

Roger schüttelte sich. Dann trat er langsam zurück. Er hatte einen Menschen umgebracht, wenn auch in Notwehr. Wenn sie ihn erwischten, bevor er Roxanne Prentiss gefunden hatte, würde man ihn am nächsten Baum aufknüpfen. Kensington war in Hard Times ein angesehener Mann. Möglicherweise duzte er sich mit dem Marshal und dem Friedensrichter.

Rogers Karten standen schlecht. Er fragte sich, was Flint überhaupt hier gemacht hatte. Hatte er etwa den Kellereingang bewacht? Dafür musste es einen Grund geben.

Roger öffnete die Tür. Es war dunkel dort unten, doch an der Wand, rechts von ihm, befanden sich drei Haken, an denen zwei Laternen hingen.

Eine fehlte. Hatte Lola sie an sich genommen? Er nahm eine Laterne an sich und zündete sie an. Im Schein des Lichts stieg er eine Steintreppe hinab und kam in einen etwa zehn Quadratmeter großen Raum, von dem zwei Gänge abwichen. Der eine, rechts von ihm, war mit einer Tür versehen. Roger versuchte sie zu öffnen. Abgeschlossen. Er wandte sich dem finster gähnenden Gang zu, der ihm gegenüber lag. Er wich nach rechts und links ab. Vor ihm waren zwei kleine Räume, in denen Holzstapel lagerten. Brennmaterial für den Winter. Roger ging nach links. Er kam in eine typische Kellerzone mit etwa einem Dutzend offenen Lattenverschlägen, in denen sich Gerümpel und alte Möbel türmten.

Er ging zurück, nahm die linke Abzweigung. Auch hier stieß er auf zahlreiche Verschläge, aber nichts wies darauf hin, dass sie eine Gefangene beherbergten. Der Gang war mindestens fünfzehn Meter lang. An seinem Ende befand sich eine weitere Tür.

Roger ging in die Knie und warf einen Blick durch das Schlüsselloch. Er blickte in einen kleinen Raum oder einen weiteren Gang. So genau war es nicht zu erkennen. Vor sich sah er einen Türrahmen, der von einer in der Mitte geteilten Decke verhängt war. Durch den Schlitz in der Mitte glaubte er das Licht einer Kerze zu erkennen.

Roger schaute sich um und prägte sich den Rückweg ein. Dann löschte er die Laterne und stellte auf den Boden. Seine Hand legte sich vorsichtig auf den Türknauf. Klick. Die Tür ging auf. Ein rascher Blick zeigte ihm, dass es sich um einen Vorraum handelte. Er baute sich vorsichtig hinter der Decke auf und lugte durch den Spalt.

Dahinter befand sich ein wohnlich eingerichteter Raum. Ein Schlafzimmer? Er sah ein Himmelbett mit dicken Kissen. Die Decke war zurückgeschlagen, auf dem weißen Laken lag ein schwarzes Korsett. Vor dem Bett stand ein paar Stiefel, das er an den Beinen der Entführten gesehen zu haben glaubte.

Roger frohlockte. Er hatte das Versteck gefunden! Doch wo steckte Roxanne? Und wo, zum Henker, blieb Lola?

Im gleichen Moment ging in dem Raum eine Tür auf, die er bislang übersehen hatte. Roxanne trat ein. Sie trug goldene Sandalen mit hohen Absätzen und einen kurzen roten Spitzenunterrock, das sich so eng an ihren Leib schmiegte, dass er mehr zeigte als verbarg.

Roger fragte sich, ob sie ihm jetzt auch noch so hochnäsig entgegentreten würde.

Er schlug die Decke beiseite und trat ein.

»Hallo, Durchlaucht...«

Roxanne zuckte zusammen als sei er eine Klapperschlange. Sie riss Mund und Augen auf und zeigte ein heftiges Entsetzen.

»Überrascht?« Roger schaute sich kurz um. Das luxuriös eingerichtete Zimmer, in dem sie sich aufhielten, sah eigentlich kaum wie ein Gefängnis aus. Außerdem war es nicht verschlossen gewesen.

Was hatte Roxanne daran gehindert, es zu verlassen? Ziemlich unverständlich war ihm auch, wieso die Entführte nun einen roten Unterrock trug, wo er sie doch bei ihrer letzten Begegnung in einem schwarzen gesehen hatte. War Kensington ein so verständnisvoller Kidnapper, dass er ihr neue Unterwäsche gekauft hatte?

»Homer von Wallenstein!«, sagte die falsche Gräfin verdattert. »Wo, in aller Welt, kommen Sie denn her?« Sie machte keine Anstalten, ihre durch den fadenscheinigen Unterrock sichtbaren körperlichen Schätze zu verbergen.

Roger räusperte sich. »Ich stehe sozusagen in den Diensten Ihrer Herrschaft. Wir sind gekommen, um Sie zu befreien.«

»Ach, wirklich?« Roxanne schaute sich um, als rechne sie damit, dass jeden Moment jemand eintreten könne.

Roger empfand ihren Blick als irgendwie gehetzt, und er hatte nicht im Geringsten den Eindruck, dass sie sich über sein unerwartetes Auftauchen freute. Befürchtete sie etwa, das tollkühne Unternehmen könne in letzter Sekunde schief gehen? Wusste sie, dass Flint hier irgendwo lauerte und jeden Moment zurückkehren konnte?

»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte er. »Ich habe Flint erledigt.«

»Tatsächlich?«

Roger nickte. »So gut mir ihre reizende Unterwäsche auch gefällt, meine Liebe«, fügte er dann hinzu, »ich würde es vorziehen, wenn Sie sich nun anzögen. Wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden...« Er deutete über seine Schulter. »Es könnte sein, dass man Flint bald findet.«

»Ja, ja...« Roxanne machte sich fahrig an der Schublade eines Schränkchens zu schaffen. »Wo ist die Gräfin?«

»Das frage ich mich auch«, sagte Roger und runzelte die Stirn. »Sie hätte eigentlich vor mir hier sein müssen.« Er drehte sich um und fragte sich, ob er die Zeit nutzen sollte, um Lola zu suchen. »Hoffentlich hat sie sich in diesem Labyrinth nicht verlaufen...«

»Das wäre ja furchtbar«, hauchte Roxanne – wie Roger fand, aus ziemlicher Nähe. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmte.

Als er auf dem Absatz herumfuhr, blitzte etwas Silbernes vor seinen Augen auf, knallte gegen seine Stirn und knipste ihm sein inneres Licht aus.

Dass es der Leuchter war, erfuhr er erst später.

23.

In den dreißig Jahren seines Lebens war Roger O’Donnell mit der Weiblichkeit immer gut gefahren.

Die Damen mochten ihn, und er mochte die Damen. Doch als er diesmal zu sich kam, verspürte er das drängende Verlangen, einer Frau den Hintern zu versohlen. Nach Möglichkeit den nackten Hintern. Auf einem gut besuchten Marktplatz, damit alle braven Bürger etwas davon hatten.

Sein Schädel dröhnte, doch zum Glück war ihm weniger übel als beim letzten Niederschlag. Er konnte den Kopf zwar schütteln, ohne sein Abendessen ausspucken zu müssen, aber seine Sinne funktionierten irgendwie falsch. Als er die Augen öffnete, erblickte er ein Nebelmeer. In seinen Ohren rauschte die See. Erst nach und nach wurde ihm klar, dass es menschliche Stimmen waren.

Roxanne und...

Dass sie ihn so heimtückisch niedergeschlagen hatte, hatte vermutlich den Grund, dass sie nicht gerettet werden wollte.

Dies wiederum konnte nur bedeuten, dass sie von Anfang an mit Kensington unter einer Decke gesteckt hatte.

Dass seine dämliche Bande die Falsche entführt hatte, hatte sie nicht verhindern können, da einer der Männer sie groggy geschlagen und sogleich über seine Schulter geworfen hatte. Sie hatte auch nicht ahnen können, dass Lola sie auf dem Schiff nach New York dazu zwingen würde, sich das Haar zu färben. So hatte sie keine Gelegenheit gehabt, Kensington die wichtige Veränderung mitzuteilen.

Rogers Verdacht bestätigte sich wenige Sekunden später, als er jemanden sagen hörte: »Das hast du gut gemacht, Roxie! Jetzt brauchen wir nur noch die Zicke zu finden.«

Die Stimme gehörte McGilligan. Und vermutlich auch die Stiefelspitze, die kurz darauf in Rogers linke Seite krachte. Er verbiss sich den Schmerz, denn er wollte dem Kerl nicht zeigen, dass er wieder bei Sinnen war. So lange man ihn für ohnmächtig hielt, würde man ihn in Ruhe lassen. Und dann ergab sich vielleicht eine Gelegenheit. Zumindest eine Gelegenheit zum Nachdenken.

Die Zicke, die McGilligan erwähnt hatte, sollte wohl Lola sein. Nun redeten mehrere Anwesende durcheinander, und Roger vernahm auch das Organ Kensingtons. Dass sie Lola nicht geschnappt hatten, ließ hoffen. Hoffentlich war sie so gerissen, wie er vermutete, und...

Seine Hoffnung nahm zu, als er hörte, dass jemand die Decke am Eingang beiseite wischte und Lolas Stimme sagte: »Die Flossen hoch, aber ’n bisschen plötzlich!« Und dann, ziemlich erfreut: »Hallo, Roxanne! Da bist du ja!«

Roger riskierte einen Blick. Kensington saß auf dem Bett. Sein Mund stand sperrangelweit offen. McGilligan, der sich offenbar kurz zuvor gebückt hatte, um das Schnürband seines rechten Schuhs zu richten, verharrte mitten in der Bewegung. Roxanne Prentiss stand etwa einen Meter von Lola entfernt. Lola hielt einen Schießprügel in der Hand, den sie vermutlich dem toten Flint abgenommen hatte.

Roger wollte etwas sagen, doch seine Stimmbänder weigerten sich.

»Lola! Endlich!« Roxanne stürzte sich auf die Retterin, von der sie gar nicht gerettet werden wollte, doch Lola wich ihr geschickt aus und sagte: »Vorsicht! Geh aus der Schusslinie!«

Roxanne wich frustriert zurück. Den verbiesterten Blick, mit dem sie Kensington musterte, bekam nur Roger mit, dem es nun gelang, seinen Oberkörper aufzurichten. Als Lola ihn erspähte, machte es Bumm! Roger knallte mit dem Schädel an den Tisch, unter dem er gelegen hatte und sank erneut stöhnend zu Boden.

»Roger!«, rief Lola. »Bist du verletzt?«

»Hören Sie, Lady«, warf McGilligan nun ein. »Was soll das bedeuten?« Er wollte sich erheben, doch Lola war wie der Blitz bei ihm und trat ihm ins Kreuz, so dass er der Länge nach neben Roger auf den Boden schlug.

»Maul halten!« fauchte sie. »Was habt ihr mit meinem Freund gemacht?« Sie wandte sich an Roxanne. »Was haben sie mit ihm gemacht, Roxanne?«

»Er hat was auf den Kopf gekriegt«, erwiderte Roxanne und näherte sich dem gestürzten McGilligan von der Seite. »Ich nehme ihm die Kanone ab...«

Sie bückte sich, doch in diesem Moment gelang es Roger, sich aufzurappeln. Seine Hand zuckte vor und packte Roxannes Gelenk. Die Frau schrie auf, und Lola rief erschreckt: »Was machst du denn da?«

»Die verdammte Schlampe steckt mit den Kerlen unter einer Decke«, fauchte Roger. »Sie hat mich niedergeschlagen!«

»Was?!« Lola schaute von ihm zu Roxanne, als wisse sie nicht, was sie glauben sollte. Roxanne setzte eine empörte Miene auf und schrie: »Er lügt! Glaub ihm nicht! Er gehört zu der Bande! Er will dich nur in Sicherheit wiegen!«

Roger nahm McGilligan das Schießeisen ab und fletschte die Zähne. Roxanne schrie auf und wich zurück, als erwarte sie Prügel. Roger hatte die Schnauze nun voll. Man hatte seinen besten Freund ermordet und ihm zweimal auf den Kopf geschlagen. Irgendwann platzte auch dem sanftesten Gemüt der Kragen.

»Leg ihn um!«, schrie Roxanne. »Leg ihn um, Lola! Du kannst ihm nicht trauen!« Kensington saß totenbleich hinter ihr auf dem Bett. Er war zwar bewaffnet, schien aber nicht den Mut zu haben, sein Eisen zu ziehen, da Lola das ihre schon in der Hand hatte.

»Lass dich von dieser Schlange nicht einwickeln«, fauchte Roger. Er trat auf Kensington zu, der erschreckt zurückfuhr. Roger zog ihm den Revolver aus dem Holster und steckte ihn zu McGilligans Waffe in seinen Gürtel. Er überblickte schnell den Raum. »Lass und abhauen, Lola! Hier haben wir nichts mehr verloren. Deine Freundin fühlt sich wohl in diesem Haus. Du siehst es schon an ihrer Unterwäsche.«

Lola schaute Roxanne an. Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass sie anders gekleidet war als am Abend ihrer Entführung. »Woher weißt du, was sie vorgestern anhatte?«

»Erzähl ich dir später mal«, sagte Roger und verfluchte sein vorlautes Mundwerk. »Komm jetzt!« Er deutete auf den Ausgang. »Du wirst schon sehen, dass sie freiwillig hier bleibt.«

Lola schaute ihn zweifelnd an, dann setzte sie sich langsam rückwärts in Bewegung. Roger schlug die Decke zur Seite, und Roxanne rührte sich tatsächlich nicht von der Stelle. Lola warf ihr einen wütenden und zugleich sehr enttäuschten Blick zu, dann spuckte sie auf den Boden. »Schlange!«

Roxanne zuckte zusammen. Lola drehte sich um und folgte Roger aus dem luxuriös eingerichteten Kellerraum. Ihre Laterne stand angezündet vor der Tür. Roger nahm sie und eilte durch die Gänge bis zur Treppe. »Beeil dich!«

Er ließ Lola vorangehen. Als sie oben ankamen, schaute er sich schnell um. Sie waren erst in Sicherheit, wenn Georgie Flannagan ausgeschaltet war, der noch immer irgendwo im Haus umher streifte. Der Mann war gefährlich – er und seine Komplizen hatten keine Skrupel gehabt, drei Pinkertons zu töten. Wenn er seine Felle wegschwimmen sah, war er vielleicht zum Äußersten fähig.

Die Haustür war verschlossen, also öffnete Roger kurzerhand ein Fenster und deutete hinaus.

»Du gehst zuerst.«

»Was wird aus Fifi?«, fragte Lola.

»Niemand weiß, dass sie mit uns zusammen gearbeitet hat«, erwiderte Roger leise. »Also wird man ihr nichts tun.«

»Doch, ich weiß es«, sagte irgendwo im Salon eine hämische Stimme.

Dann krachte ein Schuss. Die Blumenvase, die Lola von der Fensterbank genommen hatte, um ins Freie zu klettern, zersprang in tausend Stücke.

Roger packte ihren Arm und riss sie zu Boden. Als der weite Schuss sein Echo warf, stürzte er einen Tisch um und verwendete ihn als Barrikade. Sein Colt flog in seine Hand und erwiderte das Feuer.

Roger hatte keine Ahnung, wo Georgie in dem halb dunklen Salon steckte, deshalb gingen seine ersten Schüsse ins Blaue. Dann sah er in der Nähe der in den ersten Stock führenden Treppe das Mündungsfeuer des Banditen aufblitzen. Er hatte sich hinter einer Ecke verschanzt. Roger gab zwei weitere Schüsse ab, und irgendwo fiel irgendetwas um.

Im ersten Stock schrie eine Frau auf. Fifi? Herrjeh, hoffentlich kommt sie jetzt nicht raus. Auf der Kellertreppe wurde das Stampfen von Schritten laut. Gleich darauf steckte McGilligan den Kopf aus der Kellertür und schrie: »Leg ihn um, Georgie! Er weiß alles!«

Roger schoss auf die Kellertür und hörte einen Schreckensschrei. Genau besehen war ihre Lage nicht allzu übel. Er hatte neben seinem eigenen Colt auch die erbeuteten Waffen Kensingstons und McGilligans, und Lola verfügte über Flints Schießeisen. So lange sie es nur mit einem bewaffneten Gegner zu tun hatten...

Plötzlich flogen ihm Holzspäne um die Ohren, und er ging erschreckt in Deckung. Von der Kellertür her richtete sich der Lauf einer doppelläufigen Schrotflinte auf seinen und Lolas Standort.

Mist! McGilligan musste irgendwo im Keller eine Waffe aufgetrieben haben. »Die Lage wird heikel«, raunte er Lola zu. »Ich kann nur hoffen, dass nicht auch Kensington bewaffnet ist... Offen gesagt, ich bin kein sehr guter Schütze...«

»Aber ich.« Lola zucke hoch und gab einen Schuss ab. Aus Georgies Richtung kam ein Fluch.

»Das beruhigt mich«, murmelte Roger.

»Was ist hier los?«, schrie Fifi plötzlich in der Dunkelheit. »Victor, wo bist du?«

Roger hob den Kopf und sah sie in ihrem Nachtgewand auf dem obersten Treppenabsatz stehen. Er wollte ihr zurufen, sie solle in Deckung gehen, doch im gleichen Moment zwang ihn eine weitere Schrotladung, den Kopf einzuziehen. Zu allem Übel ging nun auch die Sonne auf. Die ersten Strahlen erreichten das Haus. Als sein Blick ins Freie fiel, sah er, Kensingtons Hauspersonal verschlafen, zerzaust und notdürftig bekleidet aus dem Nebenhaus kommen und sich auf dem Hof versammeln. Zwei Männer rannten zum Tor des Forts, um es zu öffnen – aus welchem Grund auch immer.

»Hört auf!«, schrie nun Kensington. «Hört mit der Scheiße auf, verdammt noch mal! Noch ist niemand zu Schaden gekommen! Noch können wir die Sache rückgängig machen!«

Georgie Flannagan lachte wütend. »Du elender Feigling! Noch ist niemand zu Schaden gekommen? Und was ist mit den Pinkertons? Mac und ich werden baumeln, wenn die beiden hier rauskommen! Aber du bist fein raus!«

»Hör zu, Mann«, rief Kensington verzweifelt. Er wollte vor seiner Angebeteten wohl nicht als Krimineller dastehen. »Hör zu... Lasst die beiden laufen... Ich...«

»Ach, leck mich doch!« Georgie richtete seinen Colt auf die Kellertür und drückte ab. Roger hörte ein dumpfes Aufklatschen. Ihm sträubten sich die Haare. So klang es wohl, wenn jemand eine lange Treppe hinunter fiel.

»Victor!«, rief Fifi. »Bist du verletzt?«

»Er ist hin«, rief McGilligan zurück. »Geschieht ihm recht. Die feige Sau war von Anfang an nur halb bei der Sache! Außer der Idee hat er ohnehin nichts beigesteuert.«

Roger schaute erneut zum Tor hin. Es war nun sperrangelweit offen. Er erblickte ein Dutzend Berittene mit langen Staubmänteln und Bowlerhüten, die Gewehre durchluden. Sie wirkten sehr entschlossen. Fast alle zierten dicke Schnauzbärte.

Die Firma Pinkerton hatte ihr Versprechen erfüllt.

Roger musste plötzlich lachen.

»Was gibt’s da zu lachen, du Blödmann?«, rief Georgie Flannagan. »Gleich bist du tot!«

»Ich würd an deiner Stelle erst mal aus dem Fenster schauen.« Roger zwinkerte der blass ihre Waffe umklammernden Lola zu. »Da draußen sind nämlich ein paar Herren, die vermutlich mit euch sprechen wollen.«

Georgie riskierte einen Blick. Und fluchte.

»Was ist, Georgie?«, schrie McGilligan. »Was meint der Kerl? Von wem redet er?«

Die Pinkertons galoppierten nun auf das Haupthaus zu. Dort angekommen, sprangen sie ab und droschen mit den Kolben ihrer Gewehre auf die Tür ein. Einige andere nahmen sich die Fenster vor. Gleich darauf prasselten Scherben auf den Parkettboden des Salons.

Georgie hob sein Schießeisen und eröffnete das Feuer auf sie, doch die Männer gingen rasch in Deckung.

Roger O’Donnell duckte sich neben Lola hinter den Tisch. Dann flog die Haustür aus den Angeln. Die Läufe mehrerer Gewehre wurden in den Raum geschoben, dann krachte es.

»Krepiert, ihr Hunde!«, schrie Georgie. Er stellte sich in Todesverachtung aufrecht hin, und Roger sah, dass auch er zwei Revolver hatte. Die Läufe seiner Eisen spuckten Feuer und Blei. Doch hatte er in seiner Wut völlig vergessen, dass einen das Alter von zweiundzwanzig Jahren nicht automatisch unsterblich macht. Lola schloss die Augen, als ein halbes Dutzend Gewehrschüsse Georgies Brust zerrissen und er fluchend ins Jenseits hinüberwechselte.

McGilligan sprang mit vorgehaltener Flinte hinter der Kellertür hervor, doch er kam nicht dazu, einen Schuss abzugeben, denn er hatte das Nachladen vergessen. Ein schnauzbärtiger Pinkerton legte in aller Seelenruhe auf ihn an und drückte ab. McGilligan krachte gegen die Wand und blieb neben dem toten Flint liegen.

24.

»Roger!«

Roger schaute auf. Fifi La Plume flog in ihrem transparenten Hemdchen die Treppe herunter, durchquerte auf nackten Füßen den Raum, warf sich an seinen Hals und küsste ihn ab.

Die Pinkertons drangen nun in den Salon ein, verteilten sich und schauten sich um. Ihr Anführer, ein starkknochiger Ire mit rotem Haar und einem Grübchen am Kinn, warf einen verschmitzten Blick auf Fifis Hinterteil. Dann bemerkte er, dass er Lolas Blickfeld geriet. Er räusperte sich, griff in seine Manteltasche, zog ein Foto heraus und schaute es kurz an.

»Sind Sie Countess Landsfeld?«

»Ja?«

»Ich bin Hugh Farrell von der Pinkerton-Detektei.« Farrell schüttelte ihr die Hand. »Ich hoffe, wir sind noch rechtzeitig gekommen.«

»Es war buchstäblich in letzter Sekunde«, erwiderte Lola erschöpft. Sie musterte Fifi, die sich an Roger O’Donnell schmiegte, als wolle sie nicht mehr von ihm lassen. Nun ja, er hatte es ihr ordentlich besorgt, und was konnte sie von einem Mann seiner Art mehr verlangen?

»Hätte übel ausgehen können«, sagte Farrell. »Aber zum Glück haben Sie ja eine Nachricht für uns am Empfang Ihres Hotels hinterlegt.«

»Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich darüber freue«, sagte Lola.

»Die beiden Kerle sind tot, Hugh«, meldete ein anderer Pinkerton. »Und ein dritter liegt mit einem Kopfschuss und gebrochenem Hals am Fuß der Kellertreppe.« Er schaute sich um. »Haben wir die ganze Bande erwischt?«

»Schauen Sie mal im Keller nach«, sagte Roger. Er konnte sich allem Anschein nach nur mit Mühe von Fifi lösen. »Da finden Sie eventuell noch eine Dame der so genannten Gesellschaft.«

Farrell und vier weitere Pinkertons stiegen die Treppe hinunter. Der Rest stand in Gruppen herum, musterte die Toten und unterhielt sich leise. Roger zog eine Decke von einem Sofa und legte sie Fifi um die Schultern.

Er schaute Lola an, und sein Blick sagte: Ich glaube, ich kann jetzt nicht mehr darauf bestehen, dass du dein Versprechen erfüllst. Ich bin nämlich drauf und dran, mich anderweitig zu binden.

»Wie schade«, sagte Lola seufzend, als hätte sie seine Gedanken gelesen.

»Was ist schade?«, fragte Fifi. Sie hängte sich bei Roger ein und sah ganz so aus, als wolle sie für längere Zeit nicht mehr von seiner Seite weichen.

»Dass ich nun keine Gesellschafterin mehr habe.« Lolas Blick fiel auf das mexikanische Mädchen mit den glutvollen Augen und dem kurzen Rock, das mit dem restlichen Personal draußen auf dem Hof stand. Dann fügte sie hinzu: »Aber vielleicht finde ich auch bald eine neue...«

»Man soll die Hoffnung nie aufgeben.« Roger gab Fifi einen Klaps. »Geh jetzt rauf und zieh dich an. Den Kerlen hier fallen schon die Augen aus dem Kopf.«

Fifi grinste und lief die Treppe hinauf. Als Roger mit Lola allein war, sagte er: »Und was machst du jetzt?«

»Ich denke mir eine hübsche Geschichte aus, die meinen König erfreut«, erwiderte sie. »Über böse Männer, die mich entführen wollten, aber versehentlich eine andere erwischt haben. Und wir es mir gelungen ist, sie mit Hilfe eines tapferen Aktienhändlers zu befreien, nur um festzustellen, dass sie...« Sie runzelte plötzlich die Stirn. »Was ist, wenn sie auspackt?«

»Was soll sie schon auspacken?«, meinte Roger. »Dass du dir das Haar gefärbt hast? Was will sie damit beweisen? Bis du wieder zu Hause bist, hast du es längst umgefärbt. Außer Roxanne weiß niemand von eurem Rollentausch.« Er räusperte sich. »Oder sagen wir, jetzt weiß es niemand mehr.«

Lola nickte. »Und was machst du? Handelst du weiterhin mit Aktien?«

Roger drückte auf sein Jackett, und Lola hörte das Knistern von Papier. »Ich weiß noch nicht«, sagte er. »Wahrscheinlich werde ich eher welche kaufen. Und wenn ich dann steinreich bin, mache ich mit meiner Frau eine Reise nach Europa und besuche dich. Ich wollte schon immer mal einen König kennen lernen.« Er hüstelte. »Und ich wette, er brennt darauf, den tapferen Aktienhändler kennen zu lernen, der dich bei deiner schwierigen Mission unterstützt hat.«

»Ja, mach das mal.« Lola beugte sich plötzlich vor, krallte sich in Rogers Hemd und küsste ihn auf den Mund. »War nett, dich kennen gelernt zu haben.«

»Ganz meinerseits, Lola.« Er erwiderte ihren Kuss, doch dann wandte er sich der Treppe zu und meinte: »Ich schätze, jetzt fängt für mich der Ernst des Lebens an. Und ehrlich gesagt – ein wenig hab ich Angst davor.«

Dann ging er hinauf, um Fifi La Plume beim Packen ihrer Reisetasche zu helfen.

Und natürlich beim Anziehen.

ENDE

HARDCORE-WESTERN, BAND 2 - FÜNF ROMANE IN EINEM BAND

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