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JUDE, JUDE, JUDE!
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Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jüdin, Jude, jüdisch, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jude, Jüdin, Jude. Seminare zum Antisemitismus gehen manchmal damit los, dass man erst einmal übt, das Wort laut und gleichzeitig ohne Hemmungen auszusprechen.

Für nicht jüdische Menschen in Deutschland – gerade für die historisch sensibelsten – ist das manchmal schwierig, da gehen Bilder durch den Kopf, es sind nicht nur schöne, und auch der Klang der eigenen Stimme lässt manche und manchen innehalten. Aber auch etlichen Juden selbst geht das so.

Die Frankfurter Soziologin Julia Bernstein zitiert einen jungen Mann, den sie interviewt hat und nur Manuel nennt: »Dadurch, dass allein das Wort Jude so negativ behaftet ist, sage ich selbst nicht ich bin Jude, sondern betrachte mich als jüdisch. …. Vielleicht kann ich mich selbst dann irgendwann auch Jude nennen, ohne dabei ein schlechtes Gefühl zu bekommen.«

Ich könnte jetzt ein schmissiges Essay schreiben, ein großes »Macht euch locker«, eine Portion Spott über verkrampfte Sprachrituale zur Umgehung des so gefürchteten J-Wortes ausgießen. Die 1992 als Kind aus Russland eingewanderte Schriftstellerin Lena Gorelik kann das auch: »Im Namen des Nichtvergessens haben die Nichtjuden gelernt, das Wort Jude besser vorsichtshalber nicht in den Mund zu nehmen und dafür besonders zuvorkommend zu den jüdischen Mitbürgern sowie den Nachbarn jüdischen Glaubens zu sein.«

Der sehr gute Kolumnist der »Jüdischen Allgemeinen«, Michael Wuliger, kann konzedieren: »Die jüdische Scheu vor dem Wort Jude hat Tradition.« Auch der 1992 verstorbene Präsident des Zentralrats der Juden Heinz Galinski sprach vorzugsweise von jüdischen Menschen oder, noch wolkiger, unseren Menschen. Der Kolumnist Wuliger kann das als verklemmt abtun: »Bleiben wir doch lieber bei Juden. Das sind wir. So heißen wir. Geben wir dem Wort seinen alten, stolzen Klang zurück!«

Und Anetta Kahane schließlich, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, die als Jüdin in der DDR aufgewachsen ist, kann mit einem bedruckten Kapuzenpullover in die Kamera lächeln, auf dem steht: »Du Jude! So what?«

Soll heißen: Man solle den Pöbeleien halt einfach lässig und souverän begegnen, drüberstehen, lachen, wenn Leute das Wort Jude wie etwas Negatives intonieren, im Englischen nennt man diese Strategie »owning the insult«. So wie einst auch das Wort schwul eine Herabsetzung war. Bis Homosexuelle es angenommen und damit zu einem gewissen Grad entschärft haben.

Nur, es ändert ja nichts. Das ist Deutschland. Und über die Wirkung eines Wortes entscheidet nicht allein seine strikt lexikalische Bedeutung. Darum geht es in dieser Streitschrift. Die Lösung kann nicht einfach sein, dass die von Antisemitismus Betroffenen (und nichts anderes als Antisemitismus ist es natürlich, wenn Leute mit dem Ausruf Jude eine soziale Abwertung intendieren) sich selbst locker machen.

Worte haben einen Klang, Worte haben eine Geschichte, ein Assoziationsfeld. Und das abzustellen, haben nicht die Betroffenen von Antisemitismus selbst in der Hand, sonst hätten sie es schon längst getan. Antisemitismus hat vielfach Spuren hinterlassen in unserer Sprache, unserem Vokabular. Das auszublenden oder wegzulächeln – das mag man jedem wünschen. Aber das ist ein Luxus, den nicht jeder hat.

Grimms Wörterbuch von 1877 verrät, wie das Wort Jude (man findet es gleich hinter Judasschweisz, metaphorisch für »von einem starken angstschweisze«) umgangssprachlich verwendet wurde. Jude, das bezeichnete unter anderem einen Studenten, der keiner Verbindung angehörte (heute sagt man Finke), einen struppigen, langen Bart (wie in dem Satz: »ich habe einen wahren juden im gesicht, musz mich balbieren lassen«) und in Ostfriesland eine fleischlose Mahlzeit. Wie tief die Erniedrigung reichte und wie lange sie noch nachwirkt: Solche Sprachgepflogenheiten sind Folge einer schon bestehenden Diskriminierung, aber auch ihr Instrument.

Das geht bis ins Mittelalter zurück, da braucht man noch nicht einmal an das 20. Jahrhundert zu denken. »Unter Jude wird auch blosz der hausirende Handelsjude verstanden«, fügt Grimms Wörterbuch hinzu, und eine letzte Definition zur Abrundung: »auch, abgesehen von der religion, der, welcher gewinnsüchtig und wucherisch verfährt«. Mit anderen Worten, Jude heißt nicht einfach Jude, das Wort funktioniert seit Langem auch losgelöst von realer jüdischer Religion oder Herkunft als griffiges Negativwort.

Heute leben wir im 21. Jahrhundert, über allem liegt »nun der Schatten des Holocaust und das erschrockene Schweigen von allen Seiten – stattdessen die Frage: Darf man denn überhaupt das Wort Jude laut sagen?«, wie der 1971 in Dnjepropetrowsk in der heutigen Ukraine geborene, 1993 nach Deutschland eingewanderte Historiker und Autor Dmitrij Belkin schreibt. »Deutsche können das Wort Jude bis heute nicht normal aussprechen«, beklagt die in Ostberlin geborene Schriftstellerin Mirna Funk.

Aber zur unschönen Wahrheit gehört, dass es nicht nur falsche Gründe gibt, beim Wort Jude unlocker zu werden – und dass selbst Charlotte Knobloch, die Münchnerin, die einen Großteil ihres Erwachsenenlebens damit verbracht hat, die jüdische Gemeinde ihrer Heimatstadt zu führen, es nicht ohne zu zögern über die Lippen bringt. Zu sehr ist es für sie, die sich als Kind vor den Nazis verstecken musste, beladen mit schlechten Erinnerungen, wie sie sagt. »Ich verwende es nicht, weil es ja ein Schimpfwort gewesen ist.«

»Echt?«, frage ich nach. »Nie?«

»Ich umschreibe es mit jüdisch«, sagt Charlotte Knobloch. »Nicht die Juden, sondern die jüdischen Menschen und so weiter.«

Mir geht es da anders, ich bin gerne Jude. Aber diese Erniedrigungen, diese Diskriminierungen und historischen Wortumdeutungen hinterlassen bei etlichen Menschen Assoziationen, die mir begreiflich sind und die man sich besser bewusst macht.

Darum geht es in dieser Schrift. Teils sind die Spuren des historischen Antisemitismus in der deutschen Sprache bis heute offensichtlich, bei Ausdrücken wie Keine jüdische Hast! etwa oder bei Hier herrscht ein Lärm wie in einer Judenschule (gemeint ist eine Synagoge). Oder bei einem Satz wie Das glänzt ja wie ein Judenei (gemeint ist eine Taschenuhr). Ausdrücke, so plump und in ihrer Verachtung für Jüdinnen und Juden so leicht erkennbar, dass ich über sie nicht viele Worte verlieren will.

Gideon Botsch, der am Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam lehrt, wendet hier ein, dass es sich bei seinem antijüdischen Lieblingssprichwort Für das Gewesene gibt der Jud nix zweischneidig verhalte. Klar, sagt er: Das sei antisemitisch, aber irgendwie stecke da auch viel Anerkennung für den »gesunden Menschenverstand« des »Juden« – hier in der Funktion als Geldverleiher – drin …

Ein dumpfes Klischee ist es trotzdem – Jud fungiert richtig gehend als Synonym für Geldverleiher, den Beruf, der vielen Juden zwangsweise und zu ihrem großen Leidwesen aufgedrückt wurde über die Jahrhunderte.

Interessanter sind für mich Wörter, bei denen es weniger offensichtlich ist. Wie das Wort Mischpoke, dem ich mich im folgenden Abschnitt über den Gebrauch von Jiddismen näher widme. Oder Synonyme für jüdisch wie mosaisch oder israelitisch, die einst nicht aus Antisemitismus, sondern im Gegenteil in Reaktion auf Antisemitismus geprägt wurden. In der Hoffnung, dem Antisemitismus zu entrinnen. Durch Rebranding. Vergeblich, versteht sich.

Es geht in dieser Streitschrift nicht um zionistische Lobby, nicht um Ostküste, Hochfinanz, globale Eliten, Kosmopoliten – Wörter, die, obwohl sie für sich genommen weder anstößig sind noch etwas Anstößiges bezeichnen, immer wieder von Antisemit*innen hergenommen werden, um ihr Ressentiment gegen Jüdinnen und Juden salonfähig zu camouflieren. Ein subtiler Wink an die Zuhörer*innen oder Leser*innen. Über solche Sprachmuster ließe sich viel sagen, darüber ist auch schon viel gesagt worden. Aber die Absicht dahinter ist so durchsichtig, das Ressentiment so geifernd, dass man über die eigentlichen Wörter nicht mehr viel zu sagen braucht.

Sie sind austauschbar. Der Antisemitismus sucht sich gewissermaßen bloß die gerade passende Vokabel. Das Wort Ostküste geht selbstverständlich in vielen Kontexten völlig in Ordnung. Die Ostküste der USA ist die Ostküste der USA, wie soll man sie sonst nennen?

Mauscheln hingegen – das geht nie. (Warum, damit setze ich mich von S. 25 an auseinander.) Mir geht es um jene Vokabeln, denen der Antisemitismus richtig gehend eingeschrieben ist. Wörter, die auch Menschen, die besten Willens sind und die sich bemühen, von Jüdinnen und Juden zu sprechen, ohne antisemitische Vorurteile zu bedienen, vor Fragen stellen.

Menschen, die innehalten. Ist dieses Wort treffend? Ist es respektvoll? Und wenn nein – wieso nicht?

Antisemitismus in der Sprache

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