Читать книгу Dem Glück auf der Spur - Rosa van Dohm - Страница 5

Kapitel 2: Es muss wohl Liebe sein

Оглавление

Marielle (37) blickt auf die Reste ihrer Ehe. Sie kann nicht loslassen und klammert sich an die Hoffnung, ihr Noch-Ehemann Bernhard (39) käme wieder zu ihr zurück.

Über 14 Jahre kannten wir uns, 12 Jahre waren wir verheiratet, wir hatten zwei Kinder (Rupert und Saskia) und es ging uns gut. Keine Sorgen, keine Krankheiten. Aber dennoch war ich unzufrieden. Mein Mann war Verkehrspolizist, jemand, der Autofahrer nachts blasen lässt, wenn sie den Eindruck erweckt haben, dass Alkohol im Spiel sein könnte. Ehrgeiz hatte er für keinen Schimmer, er schien ganz zufrieden mit seiner bescheidenen Position. Befördert wurde er auch nicht. Ich habe mich nie wirklich für seinen Beruf interessiert, ganz im Gegenteil, ein wenig peinlich war er mir. Gegenüber Bekannten und Freunden sprach ich immer davon, dass Bernhard Kriminalkommissar sei, das hatte ja auch deutlich mehr Prestige. Als er sich nach 12 Jahren Ehe in Maximiliane, einer viel jüngeren Frau verliebte, wurde ich von Hass und Eifersucht zerfressen.

Das darf doch nicht wahr sein. Ich sitze gerade in meinem neuen Lieblingslokal, einem Bistro, in das ich während meiner Ehe nie gegangen bin, schon gar nicht mit Bernhard. Als er mir nach über 12 Jahren Ehe sagte, er sei mit einer viel jüngeren Frau zusammen, habe ich ihn hinausgeworfen und gesagt: "Versuch mir aus dem Weg zu gehen. Ich will euch nicht zusammen sehen. Dafür ist unsere Stadt zu klein."

Nun kommt er ausgerechnet hierher, mein Noch-Ehemann mit Maximiliane, der neuen Frau an seiner Seite. Jetzt setzen sie sich an einen Tisch nahe am Eingang, haben mich nicht bemerkt, ich kann sie ungeniert beobachten. Bernhard sieht verändert aus, viel entspannter, gelockerte Gesichtszüge, braun gebrannt, schlanker, er scheint jetzt Sport zu machen. Er legt den Arm um die schmalen Schultern der Frau. Sie trägt einen zu großen Pulli, offenbar handgestrickt, hat die Haare lose und offen und ist kaum geschminkt. Pur Natur also. Aber alles in ihrem Gesicht lächelt, ihr blauen, frischen Augen, die Grübchen, der fein geschnittene Mund. Und sie hat nur Augen für ihn. Bernhard bestellt, jetzt werden zwei Tassen Capuccino gebracht und ein Stück Apfelkuchen mit Schlagsahne mit zwei Kuchengabeln. Aber Bernhard lässt sich füttern. Dabei hält er die ganze Zeit ihre Hand. Sogar Schlagsahne schluckt er, die er immer verabscheute. Schluckt er alles, was sie ihm darreicht? Ich rühre in meinem Tee, der kalt geworden ist und kämpfe mit einem dicken Kloß im Hals. Meine Finger zittern und mein Herz klopft schneller.

Vor einem guten Jahr teilte er mir mit, er wolle sich von mir trennen, meine Welt brach auseinander. Als Grund nannte er, er habe jemanden anderen einfach lieber als mich. Das sei alles. Heute denke ich, ich hätte die Anzeichen an der Wand sehen können, wenn ich mich ein wenig mehr für ihn und das, was ihn so umtrieb, interessiert hätte.

Als wir uns vor 14 Jahren über den Weg liefen, war ich auf der Suche nach einer heilen Welt. Meine Vorstellungen von Familienleben waren diffus und idealisierend zu gleich. In meinem Elternhaus hatte es ständig gekriselt, meine Mutter war hypernervös und überkandidelt, so nannte es zumindest mein Vater, er selbst hatte ständig Affären, die sogar uns Kindern bekannt waren, wir lebten immer in der Angst, dass die Familie völlig auseinander fallen würde. Mein Vater war Hochschullehrer, uns Kindern hat er vor allem beigebracht, sich stets anzupassen. "Fallt im Leben möglichst wenig auf, dann kommt ihr gut über die Runden." Seltsamer Rat, den er selbst ja schon mal gar nicht befolgte, denn in unserer kleinen Stadt machten die Gerüchte über seine "Neben-Frauen" kontinuierlich die Runde und wir standen auf dem Präsentierteller, schamrot und peinlich berührt. Ich wollte so schnell wie möglich aus dem Haus, nach der sechsten Klasse Gymnasium ging ich ab, um eine Ausbildung zur Bankkauffrau zu machen.

Bernhard lernte ich kennen, als er mich einmal abends mit dem Streifenwagen anhielt und ins Röhrchen blasen ließ, weil ich ihm aufgefallen war. Ich hatte tatsächlich zwei, drei Glas Wein getrunken, es war nicht mehr im grünen Bereich, aber ich alberte mit ihm herum und lenkte ihn ab. "Ich will ein Auge zudrücken," sagte er. Hätte er eigentlich gar nicht tun dürfen, ich fand das sehr anständig. Wir verabredeten uns, ich dachte, das sei ich ihm auch schuldig, und diese Haltung blieb wohl in mir zurück. Unsere Beziehung nahm Formen an und eines Tages kam es wirklich so weit, dass er mir einen Antrag machte. Zu diesem Zeitpunkt steckte ich in einer Krise, in meiner Bank lief es nicht gut, der Abteilungsleiter mobbte mich, ich erhielt schlechte Bewertungen, - so klammerte ich mich an Bernhard, er war der Strohhalm, der mich an Land ziehen sollte.

Meinen Bekannten gegenüber war mir der Beruf meines Mannes peinlich, denn über das Streifenwagen-Dasein kam er nie hinaus, wollte es auch nicht. Ich sprach meinen Freunden gegenüber davon, dass er Kriminalkommissar sei, das hatte ja zweifellos viel mehr Renommee. Bernhard kam ohnehin selten mit, wenn wir eingeladen waren, weil er viele Abend- und Wochenenddienste übernahm, und wenn, dann saß er meist in einer stillen Ecke und unterhielt sich mit anderen Underdogs übers Angeln oder Modellbauen. Als es einmal fast soweit war, dass das Geheimnis platzte, nämlich als meine Freundin Ina ihn am Arm nahm, "Bernhard, Sie machen sich so rar, das liegt sicher an Ihrem verantwortungsvollen Beruf!", und ihn anderen Gästen als 'Kommissar Brückner' vorstellte, fast so, als sei er ein berühmter Fernsehkommissar, griff ich ein und zog ihn weg.

Zuhause machte er mir eine Szene: "Du schämst dich wohl mit mir, weil ich nur Streifenpolizist bin! Was soll dieses Theater.."

"Nein, nein," rief ich, "Ina hat da einmal etwas falsch verstanden und seitdem ist sie der Meinung ... - "

Das war wohl der erste schlimme Riss in unserer Beziehung. Ab diesem Zeitpunkt zog sich Bernhard noch mehr von uns zurück, blieb in seiner Freizeit viel im Hobbykeller und tüftelte an seiner Modelleisenbahn. Nur unser Sohn Rupert durfte da mitmachen.

Seltsam, wenn ich heute darüber nachdenke, kommt es mir vor, als hätten wir zwei verschiedene Leben nebeneinander her geführt und der Storch unsere Kinder gebracht. Aber ich war ein Muster an Anpassungsfähigkeit - ich hatte meinen Halbtagsjob und dieser füllte mich aus. Meine sinnlichen Bedürfnisse hielt ich gedeckelt. Es war ja kein schlechtes Leben, lauwarm und mittelmäßig, das führen ja viele.

Saskia fiel es zuerst auf. "Immerzu erzählst du von Maximiliane," moserte sie ihren Vater eines Tages beim Abendbrot an. "Maximiliaaaaaane! Blöder Name!" Es stimmte, von dieser jungen Kollegin, die neuerdings mit ihm Streife fuhr, erzählte er ständig, wie begabt sie sei, wie einfühlend, wie herzlich in ihrer Art, wie viel Spaß es machen würde, sie an seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Geradezu redselig konnte er da sein. Ich wurde misstrauisch. "Wer ist denn diese Frau?"

"Ach Gott, ein wirklich nettes junges Mädchen. Frisch von der Ausbildung."

"Na, noch unerfahren? Das gefällt dir wohl."

"Nein, unerfahren ist sie eigentlich nicht, sie hat viel Gespür und Instinkt, sie kann mit Leuten klasse umgehen."

"Muss man das denn als Verkehrspolizist?"

Bernhard sah mich erstaunt an. "Natürlich, das ist ja das Wichtigste. Denkst du, wir haben nur die Verkehrsregeln im Kopf?"

Mir wurde jäh klar, wie wenig ich von ihm wusste und senkte den Kopf über meinen Teller. Bernhard ging dann darüber hinweg, aber in der Folgezeit wurde er immer eigenbrötlerischer und verschlossener.

Worüber sprechen die beiden jetzt? Sicherlich über das drei Monate alte Baby, junge Eltern tun das ständig. Welche Laute es ausstieß, wann es wie gelächelt hatte. Gott wie peinlich! Er himmelt sie an, das ist so übertrieben sentimental, so kenne ich ihn gar nicht. Mir wird ganz heiß. Ich sitze da und mein Hass verstopft mir die Kehle. Am liebsten würde ich "Du Schwein" quer durch das Lokal an seinen Tisch schreien, aber das würde gar nichts helfen. Etwas an den beiden ist es, das mir den Mund verschließt und mich mutlos macht. Ist es die Ruhe, die sie beide ausstrahlen? Diese peinliche Glückseligkeit, die in ihrem hingebungsvollen Lächeln liegt?

Dann zog Bernhard zu Maximiliane. Ein paar Mal kam er zu uns, um die Kinder zu sehen. Jedes Mal hoffte ich inständig, er würde sagen: "Ich habe es mir überlegt, ich komme zu euch zurück. Das ist dir doch recht, oder?" Aber er ging durch die Wohnung, wie jemand der Abschied nimmt, strich über vertraute Sachen, Bilderrahmen, Andenken, sah sich Fotos an. "Mein Gott, und das gebe ich alles auf?", hörte ich ihn einmal murmeln. Beim Abschied war er dann traurig. Aber er ging und ich hatte nie das Gefühl, dass er von mir wegging, sondern von seinem alten Leben. Und das aufzugeben fiel ihm schwer.

Natürlich hatte ich Tobsuchtsanfälle, schlimme Ausbrüche, dann nannte ich ihn "Mistkerl, Schwein, Verräter", zertrümmerte Vasen und kehrte mein Innerstes nach Außen. Aber ich fürchte, das machte es für ihn nur noch leichter.

Als Rupert letzten Winter an einer schweren Grippe erkrankte, die in eine Lungenentzündung auszuarten drohte, wusste ich mir keinen Rat mehr und rief Bernhard um Hilfe. Er kam sofort und blieb einige Nächte bei uns, um sich mit mir in Ruperts Pflege abzuwechseln. Er war sehr besorgt um seinen Sohn und beinahe verliebte ich mich neu in ihn. Erwachsener war er geworden, selbstbewusster. Nun setzte ich alles auf eine Karte.

"Bernhard", ich nahm seine Hand, als wir einmal im Wohnzimmer alleine waren, "meinst du, wir könnten es noch einmal versuchen? Ich kann mich ändern, weißt du. Vielleicht, wenn wir uns Mühe gäben und mehr Zeit miteinander verbrächten?" Ich fühlte mich elend, als ich das sagte, früher hätte ich es demütigend gefunden, zu bitten, machte lieber zu allem gute Miene, auch wenn mein inneres Gefühl ein ganz anderes war. Es kostete mich Überwindung.

Aber Bernhard sah mich nur lange an und meinte dann langsam und leise: "Marielle, laß es uns in Frieden beenden. Maxi nimmt mich so, wie ich bin, das baut mich unheimlich auf. Bei dir musste ich immer kämpfen, um Aufmerksamkeit, um Akzeptanz, am Ende wurde es mir einfach egal was du von mir dachtest. Verstehst du das nicht? Du meinst doch gar nicht mehr mich als Person. Du hängst einfach noch am Vertrauten, an einer Idee von Familie, die du nicht aufgeben willst."

Das war verdammt starker Tobak. Doch hatte er nicht Recht? In dieser Nacht stellte ich mir mein künftiges Leben ohne Bernhard vor, und ich hatte Angst.

Ab diesem Zeitpunkt machte Bernhard aus seiner Beziehung Maximiliane keinen Hehl mehr. Nachdem es nicht mehr zu verheimlichen war, kamen die guten Freunde zu mir und sagten: "Er war ja eh nicht gut genug für dich." Das gab mir zu denken. Ich konnte plötzlich nachvollziehen, warum Bernhard sich so zurückgezogen hatte. Es war ihm einfach nicht gegeben, sich dagegen abzugrenzen. Er hat die Verachtung gespürt, die mir selbst gar nicht bewusst war.

Dass die beiden einen Sohn bekommen haben, erfuhr ich von anderen. Ich stellte Bernhard zur Rede. Er sagte: "Aber Marielle, was erwartest du? Du hättest mir doch die Augen ausgekratzt. Ich wollte dich nicht noch mehr aufregen."

Ja, es stimmte, es nagte und bohrte in mir wie heiße Nägel, die mir ins Fleisch geschlagen wurden. Seitdem ich es wusste, konnte ich fast nichts mehr essen. Als meine Kinder ihren Halbbruder sehen wollten, brach ich fast zusammen.

Nun zahlt Bernhard. Sie lehnt den Kopf an seine Schulter und er streichelt ihre Haare. Liebevoll. Zärtlich. Mein Gott, tut das weh. Ich gehe jetzt hinüber und reiße die liebe, unschuldige, kleine Maxi an ihrem Arm hoch und ohrfeige sie. Diese Schlampe hat mir meinen Mann weggeschnappt!

Alles ist immer eine Frage des Blickwinkels. Das war auch so eine Weisheit meines Vaters, des Frauenhelden. Natürlich ohrfeige ich sie nicht. Tief in mir frage ich mich, ob man wirklich sagen kann, sie habe mir den Mann weggenommen?

Lag mir denn immer noch etwas an Bernhard, an seiner Nähe, seiner Körperlichkeit, dem was man Eheleben nennt? Hab ich ihn jemals so zärtlich gestreichelt, grundlos, einfach so? Nein, keine Ahnung, wenn ja, war es lange her. Der Sex der ersten Jahre war schön, ich war ja nicht sehr erfahren und wir genossen es, ganze Sonntage im Bett zu verbringen, wenn Bernhard dienstfrei hatte. Vielleicht wenn wir öfter miteinander geredet hätten? So ernsthaft, richtig mit Liebe und Verständnis und Neugier für den anderen. Aber genau genommen, wollte ich in seine Welt gar nicht eindringen, ich wollte sie mir vielmehr vom Leib halten, das ging mich im Grunde nichts an. Hatte ich ihn nicht schon längst aufgegeben? Lange, bevor er ging?

Ich zerkrümele den Keks und tippe die Brösel mit den Fingerspitzen von der Tischplatte auf. Was findet er bei ihr? Warum gerade eine solch unscheinbare Frau? Nur weil sie so viel jünger ist? Frischer? Naiver? Zärtlicher? Hingebungsvoller? Aufmerksamer? Liebevoller? Achtsamer? Da fällt mir auf, dass das eine Menge Gründe sind, sich in jemanden zu verlieben.

Gerade stehen sie auf, Bernhard blickt kurz in meine Richtung, ich ducke mich, dann dreht er sich um. Wieder legt er den Arm um Maxi, zieht sie näher an sich, sie gehen eng aneinander geschmiegt hinaus.

Bald wird unsere Scheidung ausgesprochen. Zeit einen Schlussstrich zu ziehen. Für mich. Worauf warte ich noch? Ich stehe auf, werfe einen Schein auf den Tisch und habe es plötzlich ganz eilig. Als ob ich mich hier schon viel zu lange aufgehalten hätte.

An der Tür sehe ich sie immer noch, Bernhard und Maximiliane, sie laufen gemeinsam die Straße hoch, immer noch Arm in Arm. Ganz eng. Man macht ihnen Platz. Gerade beugt er sich zu ihr und streichelt ihre Wange. Sie gehören zusammen, das sagt das Bild ganz klar aus. Sie sehen so glücklich aus. Es muss wohl Liebe sein. Ich seufze. Mir wird klar, dass ich loslassen muss.

Und noch immer kann ich die Augen nicht von den beiden lassen, Masochismus in Reinkultur? Nein, es scheint mir eher, dass ich es genau sehen muss, wie eine Tür sich schließt.

Als die beiden um die Ecke verschwinden, suche ich endlich mein Auto, das ich in der Nähe geparkt habe. Ein Mann so Anfang Vierzig steht neben ihm und guckt sich den rechten Kotflügel an. Als ich auf ihn zukomme, rudert er aufgeregt mit den Armen. "Ist das Ihr Wagen? Gut, dass Sie kommen. Mir scheint, ich hab ihn gerade beim Einparken angerempelt. Tut mir wirklich leid."

Ich blicke in sein Gesicht. Er hat die Stirn in bekümmerte Dackelfalten gelegt und sein Blick ist hilfeflehend. Etwas in mir regt sich, Neugier, Lachlust, Interesse? Anders als ich früher reagiert hätte, sage ich fast fröhlich: "Ist ja nur Blech!"

Der nette Blonde lacht auf. "Gott sei Dank nehmen Sie es gelassen. Dachte schon, Sie würden gleich die Polizei rufen."

"Nein, die brauchen wir nicht. Das machen wir ganz unter uns aus."

Als er mir seine Visitenkarte herüberreicht, stelle ich fest, dass seine Augen strahlend-blau sind wie bei Götz George, diesem Inbegriff eines urwüchsigen Fernsehkommissars. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Dem Glück auf der Spur

Подняться наверх