Читать книгу Dem Glück auf der Spur Band 2 - Rosa van Dohm - Страница 13

Kapitel 1: “Die Sehnsucht zerriss mir das Herz - Würde ich meinen Sohn jemals wiedersehen?"

Оглавление

Barbara Felten (43) ist nach langen Jahren der Einsamkeit bitter geworden. Ihr Beruf als Lehrerin fällt ihr schwer, sie hat weder Partner noch Familie. Ihren Sohn aus der kurzen Ehe mit dem Amerikaner John hat sie seit 17 Jahren nicht mehr gesehen, seitdem John den Kleinen mit in die Staaten zurücknahm. An dieser Wunde leidet sie mehr als sie sich eingestehen will. Als sie sich nach einem Nervenzusammenbruch und darauf folgenden Krankenhausaufenthalt ein Herz fasst und dem nunmehr 22-jährigen Matt schreibt, weiss sie noch nicht, was auf sie zukommen wird. Der Besuch ihres Sohnes wird zu einer großen Mutprobe - für beide. Aber dabei erfährt Barbara auch die Lebenslüge ihres Ex-Mannes John.

Jedes Jahr zu Weihnachten traf das obligatorische Foto mit ein paar kühlen Zeilen meines Ex-Mannes ein, es zeigte immer das gleiche Motiv: Meinen Sohn Matthias, oder Matt, wie er in seiner neuen Heimat genannt wurde, jedesmal ein Jahr älter, jedesmal vor dem weihnachtlich geschmückten Kamin im stilvoll dekorierten Livingroom seiner neuen Familie, jedes Mal mit einem wunderschönen Hund im Arm. Aber ich sah nur seine Augen, sein hinreißendes Lächeln, das unbefangene frische Gesicht eines Heranwachsenden, dem die Welt offen stand. Ich presste das Bild an mich und umarmte es an seiner Statt, während ein scharfes Messer mir durch das Herz fuhr. Meinen Kummer verschloss ich tief in mir. Misstrauisch und eigenbrötlerisch wurde ich gegenüber dem Leben und gegenüber den Menschen. So vergingen die Jahre freudlos.

Der Zusammenbruch war gleichzeitig ein Anfang

Gerade an Matts 22. Geburtstag wurde ich mit einer schweren Nervenkrise ins Krankenhaus eingeliefert. Ich war mitten in einer Unterrichtsstunde zusammengebrochen, Englisch gab ich gerade. Den Youngstern der 10a war nicht entgangen, dass ich an diesem Tag besonders unkonzentriert und fahrig war. Sie nutzten meine Schwäche sofort aus, ein dichter Geräuschteppich, der aus Kichern und geraunten Gesprächen gewebt war, hing im Klassenzimmer. Einmal klingelte provozierend ein Handy, dann stöpselte sich Robby Knopfhörer ein und legte eine neue CD in seinen Player, den er unter der Tischplatte versteckt hielt. Ich wusste es längst, meist konnte ich mich in einer solchen Situation noch durchsetzen, an diesem Tag aber versagten alle meine Tricks, meine Beine waren schwer wie Blei, als ich vor der Tafel auf und ab ging. Die Jungs starrten mich an, vermutlich in der Hoffnung, dass ich stolpern würde, wie letzte Woche, als ich ein, zwei Minuten lang am Boden lag, unfähig, mich aus eigener Kraft zu erheben.

Ich hatte die ganze Nacht keinen Schlaf gefunden und mir noch lange im kalten Wohnzimmer alte Fotoalben angesehen. Jetzt summte ein langer Ton in meinen Schläfen, nur mühsam hielt ich mich aufrecht. Gott, die Jungs waren nicht böse, sie waren einfach nur junge Fohlen, die vor Kraft strotzten und keine Lust hatten, auf der Weide festgehalten zu werden. Wie hätten sie sich vorstellen können, wie es in meinem Innern aussah?

Ich bemühte mich Fassung zu bewahren, aber als Lars und Uwe, die beiden in der letzten Reihe, die sich ohnehin nur miteinander unterhielten, niemals mit mir, in aller Gemütsruhe ein Schachspiel hervorholten und die Figuren für eine Partie aufzustellen begannen, versagten mir die Nerven. Ich stürzte auf sie zu, ergriff das Brett und schüttelte es in der Luft, die Figuren prasselten durch die Gegend, die Klasse tobte und kreischte, ich selbst schrie mit einer nie gekannten Wut Dinge aus mir heraus, für die ich mich heute schäme. "Ihr seid es nicht wert, dass man sich um euch kümmert“, war noch das mildeste. Als der Lärm plötzlich abebbte und ich mich erschöpft umwandte, sah ich in der Tür des Klassenzimmers unseren Direktor stehen. Ich stolperte auf ihn zu, er fing mich auf, als ich schwankte. Dann wurde es schwarz vor meinen Augen.

Beinahe erleichtert fand ich mich im Städtischen Krankenhaus wieder, selbst dann noch als ich feststellen musste, dass ich auf der psychiatrischen Abteilung lag. Ein paar Tage Ruhe vor der Schule und meinen Quälgeistern, dachte ich noch, dann dämmerte ich wieder weg. Es war ein traumloser Schlaf, aus dem ich ungern erwachte. Zuerst fand ich mich nicht zurecht, doch das kühle glatte Betttuch, die Dämmerung, die ins Zimmer fiel, die ungewohnte Ruhe, all das hüllte mich ein wie ein sanfter Schleier. Hier war ich wie in Watte gepackt, und mein Alltag schien so fern wie der Mond; ich sehnte mich danach, nie mehr aus diesem Bett aufstehen zu müssen. Die Beruhigungspillen taten ein Übriges, ich sah alles wie durch ein mattgrünes Milchglas.

Dr. Waldheimer spürte, dass etwas mit mir nicht stimmte

Der junge Assistenzarzt sah in den folgenden Wochen oft nach mir; als er meinte, ich könne zum Wochenende entlassen werden, schrie ich entsetzt auf.

"Aber freuen Sie sich denn gar nicht? Es warten doch bestimmt Menschen auf Sie?", fragte er mich grinsend. "Meist können es unsere Patienten gar nicht erwarten, wieder ihre Siebensachen zu packen".

Ich schwieg eine Weile verlegen und malte mit dem Finger kleine Kringel auf die Bettdecke.

Dr. Waldheimer ließ nicht locker. "Nun aber raus mit der Sprache."

Wie sollte ich ihm erklären, was in mir wühlte? Ich wusste es ja selbst nicht. In den letzten Jahren war es immer leerer um mich herum geworden. Freunde und Bekannte von früher hatten sich mehr und mehr zurückgezogen. Die meisten klammheimlich, ein paar sagten mir offen ins Gesicht: "Barbara, es ist schwierig mit dir, du bist so unglaublich empfindlich geworden. Alles reizt dich, der kleinste Widerspruch macht dich gleich wütend. Und dann kannst du ganz schön verletzend sein. Wir sollten ein wenig auf Distanz gehen."

Klar, ich verstand sie irgendwie, denn ich konnte mich ja selbst nicht mehr leiden. Aber waren es jemals wirkliche Freunde gewesen? Ich vertraute meiner eigener Urteilskraft schon lange nicht mehr.

Daher versuchte ich Dr. Waldheimer etwas vorzumachen. "Sehen Sie, zuhause wird ja gerade renoviert, mein Lebenspartner will alles schön für mich richten, da kann ich jetzt noch nicht kommen."

Er musterte mich prüfend. "Ist das wirklich wahr?"

Ich nickte ein wenig vage, denn ich spürte, wie mich seine Anteilnahme rührte. Ich hatte davon so wenig, eigentlich interessierte es keinen Menschen, wie es mir ging. Daher bereute ich diese Lüge, aber nun war sie raus.

Dr. Waldheimer ließ nicht locker: "Aber Barbara - ich darf Sie doch so nennen - es muss doch einen Grund gegeben haben für Ihren Zusammenbruch. Organisch sind Sie ja ganz in Ordnung, was hat Sie an diesem Tag denn so besonders mitgenommen?"

Ich spürte, wie mein Widerstand schmolz, ich hätte mich so gerne an seine Schulter gelehnt, ich konnte nur stammeln: "Das waren einfach die Nerven, ich hatte so wenig geschlafen".

"Haben Sie Schlafstörungen?", hakte er nach. "Wie lange denn schon?"

Ich schluckte, ein dicker Kloß saß in meiner Kehle fest.

"Wollen Sie sich nicht einmal aussprechen?" Nun sah er mich sehr ernst an, nahm mein rechte Hand und drückte sie fest.

Da gab es kein Halten mehr, die Tränen stürzten aus meinen Augen, ich schluchzte wie ein Kind, das sein liebstes Spielzeug verloren hatte, und zitterte am ganzen Körper. Wie eine Lawine überschütteten mich Jahrzehnte lang verdrängte Gefühle.

Dr. Waldheimer wartete ab, bis der Anfall etwas nachließ und reichte mir ein Taschentuch. "Ist es so schlimm?" sagte er und das Mitgefühl in seiner Stimme tat mir gut.

"Ach, es ist eigentlich noch schlimmer, am liebsten würde ich sterben“, seufzte ich und ließ mich in die Kissen zurückfallen. „Na, na!“ Er rückte näher. Er ist ein Engel, dachte ich, so verständnisvoll, so anteilnehmend. "Ich habe Sie angelogen, ich habe gar niemanden, keinen Partner, keine Familie, keine richtigen Freunde“, flüsterte ich. Es war befreiend, sich jemanden anzuvertrauen. "Mein Leben ist ein Chaos. Als Lehrerin kann ich mich nicht durchsetzen, mit der Schulbehörde habe ich ständig Probleme, zuhause ertrage ich die Einsamkeit nicht und unter Menschen fühle ich mich fehl am Platz. Ich weiss nicht mehr, was ich machen soll. Ich bin am Ende."

"Aber es muss doch in Ihrem Leben schon Menschen gegeben haben, die Sie geliebt haben und die Ihnen nahe standen. Wo sind die denn abgeblieben?"

Ich fühlte meinen Magen zu Eis erstarren, Übelkeit stieg in mir hoch. Ich wandte schroff mein Gesicht zur Wand. "Das sind alte Geschichten“, entfuhr es mir, "die ich schon lange vergessen habe."

"Aber diese alten Geschichten setzen Ihnen offenbar ganz schön zu. Wollen Sie sich nicht erinnern?"

Ich nickte. "Nein, besser nicht. Es tut zu weh."

Der Arzt ließ mir Zeit. Vor dem Fenster wiegte sich ein Meisenpärchen auf einer Birke. Heller, lichter Frühling. Die Märzsonne wärmte schon, das erste helle Grün spross an den Zweigen.

Meine Lebensbeichte erleichterte mich sehr

Da brach es aus mir heraus: "Mein Sohn, Herr Doktor, mein Sohn Matthias, ich vermisse ihn so furchtbar. Er ist weit weg, und ich habe ihn seit 17 Jahren nicht mehr gesehen."

Nun, da sich die Schleuse geöffnet hatte, erzählte ich ihm alles. Als 20-Jährige hatte ich Hals über Kopf einen hier stationierten amerikanischen Soldaten geheiratet, bald danach wurde ich schwanger. Aber meine Familie lehnte John, den lässigen, schnoddrigen, lebenslustigen Filou, strikt ab. Ich meinte, ich müsste für meinen Mann einstehen, daher brach ich alle Bindungen zu meinen Eltern und meiner Schwester ab. Aber ich war von John abhängig, ich studierte ja noch an der Uni in Stuttgart. Unser Sohn Matthias - mein Goldjunge - wurde während eines längeren Aufenthalts bei Johns Eltern in den Staaten geboren. Er war also Amerikaner.

Zuhause in Deutschland fiel es mir schwer, Kind und Studium unter einen Hut zu bringen, vor allem, weil John sich wenig um den Haushalt kümmerte. Seine Freizeit verbrachte er mit seinen Kameraden bei Baseball und Cricket, mich nahm er dazu nicht mit. Seinen Sohn verwöhnte er allerdings, wo er konnte. Was hab ich für ein Glück, dass mein Sohn einen so guten Vater hat, dachte ich oft. Als Kind hatte ich mit ansehen müssen, wie mein oft betrunkener Vater meine Mutter schlug, wie meine Mutter sich aus seelischer Erschöpfung früh verbrauchte. Das hatte sich in meinem Körper eingebrannt. Eine heile Familie, das war es, wovon ich träumte.

Meine Ausbildung bedeutete mir nicht viel, das Studium fiel mir nicht leicht, nach meinem Abschluss sollte Matt auf keinen Fall ein Einzelkind bleiben. Einen Großteil meiner Zeit verbrachte ich auf dem Weg zur Uni, in staubigen Seminarräumen und mit Studienkollegen in der verräucherten Mensa, wo wir uns gegenseitig Tipps gaben, bei welchen Professoren man sich prüfen lassen sollte und bei wem besser nicht.

Aber auch als Hausfrau und Mutter war ich kein Vorbild. Irgendwie glitt mir alles aus der Hand. Matt wurde mit eineinhalb Jahren in den amerikanischen Kindergarten aufgenommen, er sprach früher englisch als deutsch. Mit seinem Vater schmuste er viel, mit mir war er eher abweisend. Am liebsten tobte der kleine Rabauke auf seinen kurzen Beinen im Indianerkostüm oder als Cowboy durch die Wohnung und verschaffte sich lautstark Gehör. Als ich mein Studium endlich abgeschlossen hatte, war ich so erleichtert und stolz, dass ich nicht merkte, wie sehr John und ich uns entfremdet hatten, und verschloss die Augen davor, dass mein Sohn mit mir nicht viel anfangen konnte.

Die Nachricht, dass John in die Staaten zurückversetzt werden sollte, traf mich wie ein Keulenschlag. Gerade stand ich vor meiner ersten Stelle als Gymnasiallehrerin in meiner Heimatstadt antreten können und nun sollte ich alles aufgeben? Aber es kam ganz anders: John teilte mir in kühlen Sätzen mit, dass er keinesfalls vorhatte, mich in seine Heimat mitzunehmen; er forderte die Scheidung und seinen Sohn würde er natürlich mitnehmen, Matt sei ja sowieso mehr Amerikaner als Deutscher. „Dein Recht als Mutter hast du verwirkt, du hast dich ja kaum um das Kind gekümmert“. Einer seiner Kameraden erzählte mir sehr viel später, dass John damals schon längst eine Beziehung zu einer weiblichen Armeeangestellten eingegangen war. Ich war längst ersetzt worden. Diese Anny würde natürlich auch zurückgehen, zusammen mit John und meinem damals fast 5-jährigen Sohn.

Für mich brach eine Welt zusammen

In meiner Not machte ich John eine wilde Szene, in der ich kreischend vor Wut und Schmerz mit Töpfen und Tellern warf und die Hälfte unseres Hausrats zerschlug. Matthias musste diesen schrecklichen Vorfall mit weit aufgerissenen Augen über sich ergehen lassen. Er klammerte sich an seinen Vater und beobachtete mich aus seinen dunkelblauen Augen mit sichtbarem Entsetzen. „Du bist eine Zumutung für mich!“ Johns waren ja bereits gepackt Koffer. Er verließ mit meinem Sonn unsere Wohnung, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte. Der Polizei, die er noch rief, sagte er mit einer Stimme, die vor kühler Verachtung klirrte: „Meine Frau - bald Ex-Frau - hat versucht, dem Kind etwas anzutun“. Diese gemeine Lüge konnte ich zwar im Verhör entkräften, aber die Polizei stellte mich dem Amtsarzt vor und dieser ließ mich für einige Wochen in eine Nervenklinik einweisen. Zu diesem Zeitpunkt zerbrach etwas in mir - der Rest meines Selbstwertgefühls! 17 Jahre waren vergangen, in denen ich meinen Sohn nicht ein einziges Mal sah. Anfangs schrieb ich Matthias noch sehnsüchtige Briefe, aber da ich darauf nie eine Antwort bekam, erlahmte mir der Mut. Einsamkeit, Schuldgefühle und das Warten auf ein Lebenszeichen hatten mich über die Jahre zu einem nervlichen Wrack gemacht. Ich glaubte nicht daran, Matt jemals wieder in die Arme nehmen zu können. Und der Tag, an dem ich in der Schule zusammenbrach, war sein 22.Geburtstag.

Als ich meinen Bericht geendet hatte, sah mich Dr. Waldheimer mitfühlend an. "Barbara, es gibt nur einen Weg, Sie müssen zu Ihrem Sohn Kontakt aufnehmen. Und das am besten noch heute. Es gibt bestimmt eine Brücke zu ihm. Selbst über den weiten Atlantik hinweg. Sie müssen Ruhe finden.“

Endlich fasste ich einen Entschluss, der Folgen haben sollte

Der junge Arzt hatte in mir etwas bewegt. Zuhause zögerte ich noch eine Weile, dann raffte ich mich auf und schrieb meinem Sohn einen langen Brief. Noch hatte ich nicht vor, ihn auch wirklich abzuschicken, nein, ich wollte mir einmal alles von der Seele reden, was in mir brannte. Dass ich ihn von Herzen liebte, dass er - auch wenn es nicht so ausgesehen habe - immer das Wichtigste in meinem Leben gewesen sei, dass es mir weh tat, nicht zu wissen, wie es ihm ging, wie er aufgewachsen war oder ob seine neue Familie - er hatte mittlerweile zwei Stiefgeschwister - auch wirklich zu ihm gut war, und vor allem - ob er mich nicht einmal besuchen könnte.

Als der Brief vor mir lag, schämte ich mich erst, weil ich mein Innerstes so weit geöffnet hatte, meinem eigenen Kind, von dem ich so gar nichts wusste. Lange trug ich ihn verschlossen und frankiert in meiner Tasche. Eines Tages, es war im Juli und draußen glühte die Luft – da hielt ich es nicht länger aus. Ich nahm den Umschlag an mich und warf ihn ein. Als er im Briefschlitz verschwunden war überfiel mich Angst. Sollte ich ihn nicht wieder herausfischen? Dann beließ ich es dabei. Eine Antwort erwarte ich ja doch nicht, sagte ich mir in der Selbsttäuschung, die mir zur zweiten Haut geworden war. Insgeheim fieberte ich jedoch einem Lebenszeichen von Matt entgegen.

Nach ein paar Monaten war ich schon entschlossen, alles zu vergessen, da läutete an einem stickigen Sonntagvormittag das Telefon. Wer sollte es schon sein? Höchstens eine Bekannte, die es wie ich leid war das Wochenende allein zu verbringen. Oder meine Mutter, die seit Vaters Tod im Seniorenheim lebte. In dieser Minute schaltete sich der Anrufbeantworter ein, und ich lauschte gebannt und mit plötzlich heftig pochendem Herzen einer gebrochen deutsch sprechenden jungen Stimme: "Hi, this is Matt. Oh yeah, German Sprach ist schwer. Ähm .. Ich bin in der Stadt, kann dich besuchen, wenn es dir angenehm ist. Komme so gegen zwei. Okay? Passt das? " Kleine Pause. Dann unterbrach der Pfeifton. Die Aufnahmezeit war zu kurz. Ich stürzte ans Telefon, doch Matt hatte schon aufgelegt.

Großer Gott, Matt würde kommen??

Als ich aus meiner Erstarrung erwachte, sah ich auf die Uhr. Das war ja schon in zwei Stunden! In plötzlich einsetzender Panik musterte ich die Wohnung, die mir jetzt besonders schäbig vorkam. Das abgewetzte Sofa - hätte ich das nicht schon längst mal ersetzen können? Die Vorhänge - lange nicht gewaschen, die billigen Stiche an der Wand? Plötzlich sah ich, wie sehr ich mich in den letzten Jahren vernachlässigt hatte. Würde Matt das nicht alles furchtbar finden? Und ich selbst? Ich sah an mir herab. Umziehen, schnell, Haare waschen - reicht die Zeit noch? Im Spiegel sah mich ein erregtes Gesicht an, mit roten Flecken auf den Wangen, verschreckten Augen. Irgendwie gelang es mir dann tatsächlich, mich mit einer heißen Dusche, Rouge und Lockenstab in einen Zustand zu bringen, den ich als ganz okay bezeichnen würde; der neue rote Pulli stand mir gut, die enge schwarze Hose auch; Matt sollte seine alte Mutter nicht hässlich finden. Wo war meine kleine Perlenkette? Mit fahrigen Fingern nestelte ich am Verschluss. O Gott, ich hatte Angst vor meinem eigenen Sohn. Was würde passieren? Ich löffelte eine Tasse Melissentee und versuchte, meine fliegenden Nerven zu beruhigen.

Nach Jahren der Isolation endlich das Wiedersehen mit Matt

Als es pünktlich um zwei Uhr läutete, durchwehten mich Fluchtgedanken. Dann straffte ich mich und biss die Zähne zusammen. Mein Herz pochte zum Zerspringen, das Ticken der Uhr brannte in meinen Ohren. Auf der Türschwelle konnte ich vor Verlegenheit und Aufregung nichts sagen. Vor mir stand ein hochgewachsener, schlaksiger junger Mann mit struppigem, blondem Haarschnitt, tiefblauen Augen und einer kecken Stupsnase. Er hatte meine zart geschwungenen Augenbrauen und die rechte Schulter zog er auch hoch, so wie ich es tue, wenn ich verlegen bin. Er trat zwei Schritte vorwärts und reichte mir mit einer schnellen kleinen Verbeugung einen Blumenstrauß, Sonnenblumen, wie ich sie liebte. Woher wusste er? - Oh Gott, es war Matt, mein wunderbarer, schöner, lieber Sohn Matt!

"Guten Tag“, sagte er. "How do you do?"

Himmel, wie förmlich! Ein scharfer Schmerz durchfuhr mich. Während ich in meiner Verlegenheit nur wirres Zeug stottern konnte, wurde mir immer bewusster, wie kühl seine Miene war, wie verschlossen er wirkte. Er war unglaublich höflich und gut erzogen, half mir mit dem Teeservice, lobte meine Kekse und saß kerzengerade in meinem Ohrensessel, die langen Beine unter dem Couchtisch verkrümmt, den Blick auf mich geheftet wie auf ein Insekt.

Allmählich wurde es mir klar: Er fühlte sich überhaupt nicht wohl in seiner Haut. Er machte einen Pflichtbesuch, mehr nicht, wie bei einer entfernten Verwandten, zu der man höflich und freundlich war, aber mit der einen nichts verband. Nun, wie hätte er auch etwas empfinden können, sagte ich mir leise, aber die Erkenntnis tat furchtbar weh. Zuerst siezte er mich sogar, bis ich mir dies verbat. Noch hatte ich ihn nicht einmal in die Armenehren können und sehnte mich doch so danach. Er hielt Distanz, war fast unnahbar, eine Liebkosung hätte ihn vermutlich peinlich berührt.

"Ich habe gerade mein Grundstudium beendet“, berichtete er mit wohlgesetzten, freundlich-sachlichen Worten, "Jura, sagt man wohl bei euch. Ich will Attorney werden, ja, ähm, Anwalt. Granny, also meine Großmama, hat mir diese Reise nach good old Europe geschenkt, weil ich Jahrgangsbester war. Da dachten wir, ich sollte auch meine alte Heimat kennenlernen, dich besuchen, schauen, wie es dir geht. Ich bleibe einen Tag in Stuttgart, dann geht es weiter ins Elsass, nach Südfrankreich, von dort nach Spanien.."

"Wie kommt es, dass du so gut deutsch sprichst?" unterbrach ich ihn verwirrt. '"Oh, auf dem College... ", antwortete er mit einer Stimme, die kühler nicht sein konnte, und erzählte von seinen Fächern. Ich nahm es gar nicht wahr, denn in meinem Innern murmelte eine bitterböse Stimme: Er wollte gar nicht DICH sehen, er besucht dich nur am Rande, so wie er Heidelberg und die Loreley besuchen könnte und du bist für ihn nicht einmal eine Sehenswürdigkeit. Das war es. Ich war wie erschlagen. Aber ich wollte mir keine Blöße geben, nur jetzt nicht weinen, nicht gekränkt sein, reiß dich zusammen, ermahnte ich mich und versuchte ein schiefes Lächeln.

Als ich ihm vorschlug, einen Spaziergang im nahen Schlosspark zu machen, stimmte Matt sofort zu. Eine Nacht wollte er hier bleiben, eine einzige Nacht. Meine letzte Chance, die sich in diesem Leben wohl nicht wiederholen würde. Doch wie sollte ich diesen dicken Panzer an zuvorkommend-kühler Gleichgültigkeit durchdringen?

Unser Wiedersehen in Gewitterstimmung endete beinahe in einer Katastrophe

Im Schlosspark war es still, nur noch ein paar wenige Menschen flanierten auf den geharkten Wegen. Der Himmel hing tief, scharf gezeichnete Wolkenbahnen zogen schöne dramatische Muster zum Horizont hin, es war ruhig, beinahe lautlos, als hielte die Natur den Atem an. Wo waren die Vögel geblieben? Ein paar flüchtige Spaziergänger umkreisten uns, als seien wir nicht vorhanden. Die Luft war schwül aufgeladen „Es scheint sich ein Gewitter zusammenzubrauen“, flüsterte ich ihm zu. Als die ersten schweren Windstöße Laub von den Bäumen holten, schien mir, als ob die ganze Atmosphäre meine innere Verfassung wiedergab: ein Gefühl von Bedrohung und Katastrophe.

Matt ging einen Schritt hinter mir her, er war in Gedanken, wir schwiegen beide beklommen. "Sollen wir nicht besser zurück? Es wird bald regnen", meinte ich. Plötzlich machte ich mir Sorgen.

Aber Matt wollte die Redoute sehen, na klar, sein Pflichtprogramm, er zückte sogar einen Reiseführer, und so bewegten wir uns wie zwei Marionetten weiter auf den abgezirkelten Kieswegen und gaben vor, den Spaziergang zu genießen. Der Gesprächsstoff war uns schnell ausgegangen, mir aus einem tiefen Gefühl der Vernichtung heraus, Matt wohl aus Langeweile oder Desinteresse, beides schien mir gleichermaßen fürchterlich.

Die früh einsetzende Dämmerung wurde vom ersten Blitz grell durchzuckt. Der nachfolgende Donner fuhr mir in die Glieder, auch Matt schien jetzt sehr angespannt zu sein. „My Goodness“, sagte er, „das sieht nach einem Tornado aus!“ Er grinste ein wenig schief, wie um mich zu beruhigen. Wie gerne hätte ich ihn jetzt umarmt. Doch wir beschleunigten unsere Schritte und bewegten uns auf einen Pavillon zu, der in einiger Entfernung aufleuchtete. Ein Donner rollte über den Park.

"Lass uns dorthin laufen“, schrie ich jetzt beinahe, „da, zum Pavillon - er bietet uns Schutz."

Der Wind böte mächtig auf, eine unsichtbare Kraft schob uns kraftvoll vorwärts, die Atmosphäre war plötzlich angefüllt mit unheimlichen Geräuschen. Schon prasselten die ersten Wassertropfen. Blitze liefen rasch nach einander über einen fast schwarzen Himmel. Der Sturm raste heran, stärker als erwartet. Die Allee, durch die wir jetzt gingen, wurde von steinalten Eichen bekrönt. Normalerweise hätte ich diesen Anblick geliebt, aber jetzt trieb mich eine unerklärliche Angst vorwärts.

Matt lief neben mir. "Schließ deine Jacke, mein Junge“, rief ich ganz automatisch, "du wirst sonst nass." Seltsamerweise befolgte er es und blieb einen kurzen Moment stehen, wie um in die Höhe zu horchen. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie er sich die Regenjacke zuknöpfte und den Kragen hochklappte. In den Höhen der Alleebäume rumorte es im starken Anprall des Sturms. Plötzlich ein grässlich lautes Knacken, ein Brechen und Splittern - In einem jähen Impuls wandte ich mich ganz nach Matt um und sah im Schein eines grellen Blitzes einen gewaltigen Eichenbusch nieder rasen. Mit einem wilden Aufschrei riss ich Matt zur Seite und umklammerte schützend seinen Kopf. Das schwere Gebälk krachte direkt neben meinem Sohn auf dem Boden auf; es hätte ihn umgerissen und sicherlich schwer verletzt, das war klar. Matt zuckte zurück, totenblass, der Schrecken machte uns beide stumm.

Dann hielten wir uns plötzlich fest umschlungen, eine Ewigkeit lang. Ich streichelte Matts Gesicht, seinen Nacken und drückte ihn fest an mich. Als würde ein Gletscher schmelzen, so fühlte es sich nun zwischen uns an, warm und pulsierend. Ich spürte, dass Matts Körper sich entspannte, wie er seinen Kopf an meine Schulter legte und zu schluchzen begann. "Mummy“, flüsterte er dann, "Mummy, warum hast du mich damals im Stich gelassen? Warum?"

Ich weiß nicht mehr, wie wir nachhause gekommen sind. Auf dem Weg sprachen wir uns endlich aus. Alles, was sich in 17 Jahren aufgestaut hatte, lag nun offen vor uns. Und ich erfuhr von der ungeheuerlichen Lebenslüge meines Ex-Mannes; John hatte Matt ein Märchen erzählt, dass seine Mutter sich geweigert hätte, mit in die Staaten zu gehen, weil sie frei sein wollte für einen anderen Mann. Dass sie sich gegen ihren eigenen Sohn entschieden hätte. Dass sie immer eine schlechte Mutter gewesen wäre. Dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte. Meine früheren Briefe, auch dieser wichtige letzte, waren nie in Matts Hände gelangt. John musste nicht einmal befürchten, dass ich es jemals erfahren würde: "Mummy, Dad kennt meine Reiseroute gar nicht. Er hätte es auch nicht erlaubt, dass ich nach Deutschland reise, zu Dir. Ich habe allerdings darauf bestanden, Granny war auch dafür. Aber ich hatte solche Angst, du könntest mich zurückweisen. Und alles umsonst wäre."

Ach John, wie feige und bequem, wie niederträchtig! Wie schändlich gegenüber deinem eigenen Sohn! Auf einer gemeinen Lüge hast du deine neue Familie dort über dem Atlantik, weit weg, aufgebaut. Ich konnte mich ja nicht wehren. Ob ich dir diese Grausamkeit je verzeihen werde? - So viel verloren Zeit, in der ich das Glück gehabt hätte, Matt aufwachsen zu sehen, seine Entwicklung verfolgt hätte und vor Stolz über diesen hübschen jungen Mann beinahe geplatzt wäre. Doch jetzt war es höchste Zeit, dass mein Sohn die ganze Wahrheit erfuhr. Ohne seinen Vater zu diffamieren aber auch ohne Schonung, erzählte ich Matt alles. Er lauschte reglos und mit angestrengter Miene. Als ich endete, saß er lange schweigend und sah mit unendlich traurigen Augen an. Dann nahm er mich in seine Arme. Nun war ich es, die getröstet wurde. „Wir können das nicht mehr aufholen“, murmelte ich, „doch ich unendlich froh, dass ich noch rechtzeitig eine Chance bekam - vom Schicksal!“ In Matts Augen standen ein paar Tränen. Aber dann sprang er auf und sagte: „Mumm, ich bleibe ein paar Tage länger. Ich möchte mehr Zeit mit dir verbringen.“ Das Glücksgefühl, das mich dann durchflutete, werde ich niemals vergessen.

Wie wunderbar – das Schicksal gab mir eine neue Chance!

Nun ist eine Tür weit geöffnet. Wir werden uns bald wiedersehen, denn Matt hat beschlossen, die letzten Semester in Deutschland zu studieren, und zwar ganz in meiner Nähe. Es ist eine späte Genugtuung, eine riesige Freude für mein armes Herz, das so lange die Liebe des eigenen Kindes entbehren musste. Er hat es gegen den Johns Willen durchgesetzt. „Mumm, ich hab Dad gesagt, dass er sich entsetzlich verhalten hätte. Er hat es gar nicht mehr abgestritten. Vielleicht weil er gespürt hat, dass ich ihm nichts mehr glauben würde.“

Seitdem lebe ich mein Leben ganz anders, ich gehe aufrechter, mein Blick ist fröhlicher, Menschen sagen mir, ich strahle Optimismus und Zuversicht aus. Kein Wunder, nun hat es ja wieder einen Sinn, morgens aufzustehen und den Tag mit Mut und Zuversicht anzugehen, jetzt, wo ich weiß, wofür ich lebe.

Eines habe ich fest beschlossen: Ich werde Matt in keinen Konflikt zwischen seiner amerikanischen Familie und mir bringen. Er soll selbst entscheiden, wie viel er mir geben kann und will und wie nahe wir uns sein wollen. Dass er dabei großzügig sein wird, fühle ich, denn Matt ist eben ganz und gar mein wunderbarer Sohn.

Ende

Dem Glück auf der Spur Band 2

Подняться наверх