Читать книгу Familienstellen mit Symbolen. Optimale systemische Lösungen auf dem Papier entwickeln - Roswitha Stark - Страница 7
ОглавлениеFASZINATION FAMILIENSTELLEN
Die systemische Arbeit »Familienstellen mit Symbolen« ist ein äußerst kreativer Gestaltungsprozess, der aus meiner Erfahrung wunderschöne Ergebnisse erbringen kann und für Therapeuten und Laien, Aufgestellte und Aufsteller, Leiter und Teilnehmer, Anwesende und nicht Anwesende immer neue, faszinierende Erkenntnisse hervorbringt und mich immer wieder staunen lässt, wie wir doch in unserer Realität untrennbar miteinander verbunden sind. Das systemische Gestalten mithilfe von Zeichen, Worten oder auch Farben auf dem Papier zeigt uns, wie wir über das Wirken für andere und vor allem für uns selbst sehr gute Ergebnisse und Lebensveränderungen erreichen können.
Wenn Sie sich für das Thema »Familienstellen« interessieren, dann haben Sie wahrscheinlich schon eine gewisse Vorstellung davon, was das ist. Oder Sie haben zumindest schon mal davon gehört oder von Freunden und Bekannten berichtet bekommen, was diese damit schon erlebt haben. Dass man Menschen für Familienmitglieder oder auch verstorbene Verwandte oder verleugnete Kinder »aufstellen« kann und dass dann derjenige, der stellvertretend für eine Person an einer bestimmten Position im Raum steht, dessen Gefühle und Emotionen spüren kann, ist sehr faszinierend und für viele auch erschreckend – oder gar abschreckend.
Die meisten Interessierten assoziieren die Methode des Familienstellens mit Bert Hellinger, der durch seine zum Teil recht provozierenden Bühnenauftritte die Gemüter gespalten hat. Seine »Ordnungen der Liebe«, die Hellinger auch in traumatisierenden Familienkonstellationen im Untergrund wirken sieht, sind durch die medienwirksame Präsenz der Person Hellingers wieder stark in unser Bewusstsein gekommen, auch wenn die Methode der »systemischen« Arbeit schon in den 50er-Jahren im Bereich der Psychotherapie, Familienberatung und Sozialarbeit neu belebt wurde. In das morphogenetische Feld unserer Erinnerungen, dieses unsichtbare Kommunikationsnetz, das unseren Gedanken Realität verleiht, wurde das Thema des Familienstellens bzw. die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit des systemischen Arbeitens, als Alternative zur Therapie von Einzelpersonen, durch unsere Gedanken im Laufe vieler Jahre immer mehr eingespeist, was seine Wichtigkeit für unsere Zeit bzw. für unser Bewusstsein anzeigt. Denn mittlerweile greifen immer mehr Menschen, Therapeuten oder auch einfach interessierte Laien auf eine wunderbare Möglichkeit zu, sich selbst und andere zu heilen, indem das gesamte Netz der Beteiligten berücksichtigt wird.
Nicht mehr das »Ich will!« zählt, sondern die Rücksicht auf alle Beteiligten und das »Gemeinsam sind wir stark!«. Damit haben alle Beteiligten die Chance, um ein Vielfaches stärker zu sein, als der Einzelne es jemals sein könnte.
Für mich persönlich ist Familienstellen bzw. systemisches Arbeiten Bewusstseinsarbeit höchsten Ranges, und das passt auch hervorragend in unsere neue Zeit des digitalen Wandels, in der das Thema Kommunikation und eine allumfassende Vernetzung immer weitere Kreise zieht. Dies ist nicht mehr aufzuhalten, und es würde auch gar keinen Sinn ergeben, diese Entwicklung aufhalten zu wollen. Auf einer tieferen bzw. übergreifenden Ebene des Menschseins möchte sich die Seele verwirklichen, ausbreiten und das Potenzial ihrer Unendlichkeit auf dieser Erde leben können – und zwar nicht mehr isoliert, gegeneinander und abgetrennt vom großen Ganzen und damit von dir und von mir, sondern im »Inter-Net« der Allverbundenheit aller lebendigen Wesen von Himmel und Erde. Wir haben genügend Kriege geführt, weil wir uns »anders« fühlten als die anderen, weil uns das andere fremd und unverständlich war. Weil wir vieles abspalten und nicht wahrhaben wollten, dass auch wir alle Anteile in uns haben: Das Bedürfnis, sich so zeigen zu können, wie man ist, die Anerkennung unserer Emotionen und Gefühle wie Wut, Trauer oder Enttäuschung, und die Anerkennung, dass auch das Du dies in sich hat, möchte immer mehr gesehen werden. Wenn ich etwas am anderen nicht leiden kann und dies deshalb im schlimmsten Fall bekämpfe, richte ich mich immer auch ein Stück weit gegen mich selbst.
Jeder möchte dazugehören, und jeder gehört auch dazu: zu seinen Eltern, zu seiner Familie, zu seinen Ahnen, zu seinen Freunden und Kindern, zu seinem Partner, zu seinen Arbeitskollegen, zu seiner Firma, zu seinen Erkrankungen. Ob wir das wollen oder nicht. Bewertungen und »Nicht-mehr-haben-Wollen« helfen hier nicht weiter. Unsere Erfahrungen, gute und schlechte, sind in uns gespeichert, und wir nehmen sie mit über den Tod hinaus. Je mehr wir Gewesenes oder Aktuelles nicht annehmen oder gar weghaben wollen, desto mehr wird es sich in den Vordergrund drängen und auf sich aufmerksam machen: durch Körpersymptome, Streit und Unfrieden, durch Vorhaben, die nicht klappen wollen, oder durch Situationen, wo wir uns die Haare raufen könnten oder an denen wir allmählich verzweifeln.
Die Wege, wie wir auf Ungleichgewichte, Unbewusstheit oder Nicht-Würdigung der anderen Lebewesen bzw. Elemente, mit denen wir verbunden sind, aufmerksam gemacht werden, sind zum Teil höchst ungewöhnlich und erstaunlich.
Mein Erlebnis mit dem Zeckenbiss
Ich erinnere mich an einen Zeckenbiss, den ich vor einigen Jahren erlitten hatte. Zunächst spürte ich ein Jucken an meinem Bauch, und als ich dort nachsah, bemerkte ich ein kleines schwarzes Etwas, das hier am Krabbeln war. Bei näherem Hinsehen erkannte ich eine winzige Zecke, die sich noch nicht einmal in der Haut festgebissen hatte. Ich entfernte sie und schnippte sie aus dem Fenster. Ich dachte darüber nach, ob mich das wohl beunruhigen sollte, hört man doch so vieles von Borreliose und den bösen Zecken und welch schlimme Symptome daraus folgen könnten. Nun ja, es ist nicht meine Art, gleich in Angstzustände zu verfallen, und Ärzte haben mich das letzte Mal vor 20 Jahren gesehen, als ich noch in einem Verlag arbeitete und für meine jährliche Woche Ausruhgrippe den gelben Zettel brauchte. Seither sehe ich in jedem und allem, was mir geschieht, einen Grund bzw. eine Ursache auf einer tieferen Ebene. Dieses auf den »Grund der Dinge gehen« nehme ich quasi als Information zwischen den Zeilen des Geschehens wahr, das sich in diesem Augenblick oder vielleicht auch schon längere Zeit bei mir meldet und jetzt oder wiederholt versucht, von mir bemerkt und verstanden zu werden. Auf diese Weise arbeite ich auch mit meinen Patienten und Klienten, nicht nur, wenn es um körperliche Symptome geht, sondern auch um Ungereimtheiten, Hindernisse, Konflikte oder einfach Unangenehmes und Hinderliches aus Beruf, Partnerschaft, Familie, Ausbildung oder sonstigen sozialen Beziehungen.
Die kleine unschuldige oder schuldige Zecke war also erst mal weg, und ich ignorierte das Geschehen zunächst, sehr wohl bemerkend, dass sich doch eine leichte Unruhe in meinen Gedanken nicht verleugnen ließ. Na gut, erst mal darüber schlafen, lenkte ich mich ab. Ich weiß sehr wohl, dass Gedanken der Angst Situationen anziehen können, die diese Angst bestätigen, aber wer ist schon wirklich frei davon? Sie kennen das bestimmt. Sie denken, das darf mir nicht geschehen, versuchen, diesen Gedanken vom Tisch zu wischen, aber er drängt sich nun mal immer wieder auf. Sie wissen vielleicht sogar um das Gesetz der Resonanz, dass Gedanken und Emotionen genau diejenigen Geschehnisse produzieren können, die Sie eigentlich vermeiden wollten. Über diese Vermeidungstaktik füttern Sie aber Ihre Aufmerksamkeit in genau dieser Richtung – »Denke nicht an den rosa Elefanten!«
Nun gut. Was unsere durchschnittlich 60.000 Gedanken pro Tag betrifft – wer zählt eigentlich so etwas? –, dürfen wir einfach wieder etwas gnädiger mit uns selbst umgehen. Ich muss nicht ständig meine Gedanken kontrollieren, diese Achtsamkeit stellt sich mit der Zeit von selbst immer stärker ein. Ihr Bewusstsein inklusive Ihrer Bereitschaft, immer angstfreier werden zu wollen, erschafft ein immer stärkeres Feld, in dem Sie auch immer sorgenfreier werden können.
Jedenfalls nützte meine ignorierte Zeckenangst wenig, denn am nächsten Tag zeigte sich ein roter Ring um die Bissstelle, wobei die Zecke ja sogar noch frei herumgekrabbelt war und sich nicht etwa schon festgebissen hatte. Also konnte ich jetzt nicht mehr umhin, mich um die Ursache des Zeckenbisses jenseits des Bösewichtes zu kümmern.
Ich benutzte mein Testinstrument, die Einhandrute, um zu fragen, ob es ein zu erlösendes unsichtbares Thema gäbe, auf das mich das Symptom »roter Ring um Bissstelle« aufmerksam machen wollte. Antwort: ja. Frage: Hat es etwas mit Menschen oder Situationen zu tun? Antwort: mit Menschen. Aus der Familie? Ja.
Ich checkte alle Familienmitglieder durch; Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Großeltern usw. Bei keinem der Lebenden kam ein Ja, woraufhin ich nach verstorbenen Familienmitgliedern fragte. An dieser Stelle fiel mir etwas ein, das mir seit vielen Jahren aus dem Gedächtnis entfallen war, weil einfach niemand aus meiner Familie mehr darüber gesprochen hatte, jedenfalls in den letzten 30 Jahren. Ich war immer das »älteste« Kind in der Familie gewesen und hatte schon früh auf meine beiden jüngeren Geschwister aufpassen müssen, was mich oft überfordert hatte. Ich war immer »die Große« gewesen mit viel aufgebürdeter Verantwortung für mich selbst und für die Kleineren. Immer war ich gefordert gewesen, »vernünftig« zu sein, was mich mein Leben lang in Form von nur äußerst mäßig vorhandener Lockerheit begleitet hat. Jetzt aber fiel mir wieder ein, dass ich ja gar nicht die Erstgeborene war! Meine beiden älteren Brüder waren recht kurz nach der Geburt verstorben.
Meine Mutter redete nicht darüber, weil ihr Mechanismus der Verarbeitung aus der großen Not heraus das Verdrängen gewesen war. Das möchte ich auch gar nicht bewerten, denn jeder versucht, sich zu helfen, so gut er eben kann. Das hieß aber, dass ich gar nicht »die Große« war, sondern »die Mittlere«, was sich, wenn ich nachspürte, wesentlich kuscheliger und geborgener anfühlte. Ich nahm also die Mitte in der Reihe meiner Geschwister wieder ein und würdigte meine vergessenen Brüder, indem ich ihnen sagte: »Schön, dass ihr da seid, ihr seid vor mir, ihr seid die Großen, und dann komme ich, und danach die beiden kleineren.« Die Vorstellung und das Gefühl waren richtig schön. Ich war sehr dankbar, dass mein Körpersymptom mich hierhergeführt hatte. Denn es war an der Zeit gewesen, meine Brüder zu ehren und die richtige Position in der Familie einzunehmen.
Am nächsten Tag war der rote Ring verschwunden, und seitdem sind niemals Symptome oder Beschwerden in Richtung Borreliose oder Ähnliches aufgetaucht; das ist nun ungefähr zehn Jahre her.
Die Familie als krank machendes Milieu?
Die erste Phase des familiensystemischen Denkens reicht bis in die 50er-Jahre zurück. Ihr Schwerpunkt lag damals in den USA. Die bekannte Psychologin Virginia Satir und zahlreiche ihrer männlichen Kollegen waren in dieser Zeit Pioniere und Verfechter einer neuen Vorgehensweise in der Behandlung von psychisch erkrankten Einzelpersonen, nachdem deren alleinige Behandlung nicht mehr die erhofften Fortschritte zeigte. Bisher war die Einzeltherapie die einzig akzeptierte Form innerhalb der psychotherapeutischen Praxis gewesen. Das, was heute für uns selbstverständlich ist, nämlich auch das soziale Umfeld, das »Milieu«, allen voran die Familie, auf der Ebene der Ursachen für Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten mit einzubeziehen, war damals noch nicht gängige, geschweige denn anerkannte Praxis. Je weniger jedoch die oft recht zahlreichen Einzelsitzungen bei den Patienten fruchteten, desto mehr holte man jetzt die anderen Familienmitglieder in die Beratung mit hinzu, zumindest versuchte man dies.
Aus der Einzeltherapie wurde die Familientherapie, die in der psychologischen Praxis heutzutage ein anerkanntes und wichtiges Element ist.
Die Erfahrungen, die die Therapeuten damals machten, waren sehr vielversprechend und für viele beratende Berufe sogar ziemlich revolutionär. Der Erfolg gab ihnen jedenfalls recht, da es gerade bei der Behandlung junger Patienten jetzt wesentlich weniger Rückfälle gab als vorher. Endlich waren durch das neue Vorgehen wieder bessere Fortschritte zu erzielen.
So verlagerten die Therapeuten also ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf die Familien ihrer Patienten. »Systemisch« im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise aller beteiligten Faktoren war dies jedoch noch immer nicht. Das geradlinige Denken in Ursache und Wirkung wurde jetzt eher vom Einzelklienten auf das »System Familie« verlagert. Das heißt: Vorher suchte man die »Schuld« für die Schwierigkeiten und Symptome beim einzelnen Menschen, und jetzt war eben oft die ganze Familie schuld an der Misere des Einzelnen. Das »gestörte Verhalten« der Familienmitglieder musste jetzt therapiert werden, in der Hoffnung, dadurch den Klienten zu heilen. Diese Vorgehens- bzw. Denkweise führte aber lediglich zu einer Verschiebung der Ursache und damit von der Schuld des »kranken« Individuums auf die »krank machende« Familie. Die Gefahr hierbei war, dass man versucht hatte, es sich einfacher zu machen, weil sich Vorgänge und Interaktionen zwischen Familienmitgliedern naturgemäß besser von außen beobachten lassen als psychisch-seelische Zustände innerhalb eines Menschen. Dieses Verhalten interpretierte man dann durchaus leichtfertig als richtig oder falsch im Hinblick auf eine gesunde geistige Entwicklung des auffälligen Klienten.
Mich erinnert das aus Sicht der Heilpraktikerin an das Konzept des geschädigten »Milieus« in Bezug auf körperliche Beschwerden, wenn zum Beispiel Pilze im Körper überhandnehmen und dann körperliche Symptome auftauchen. Hier, also im geschädigten Milieu, vermutete zum Beispiel der Hauptvertreter der Theorie »Das Milieu macht die Erkrankung«, Prof. Dr. Enderlein, dem wir die Methode der Dunkelfeldmikroskopie verdanken, den Schuldigen für die Ausbreitung von Pilzen und anderen Erkrankungen. Die Sichtweise war und ist, dass ein saures Milieu Krankheiten Vorschub leisten und ein ausgeglichenes, eher basisches Milieu Krankheiten verhindern kann. Therapiert wird auf dieser Vermutung mithilfe gezielter basischer Ernährung und bestimmter Präparate. Ähnlich wie beim »ungesunden Milieu Familie« wird also hier der Schuldige beim ungesunden Milieu Körper gesucht. Die Schuldfrage verschiebt sich also wieder von einem zum anderen.
Vor einigen Jahren hatte ich mich etliche Wochen lang vegan ernährt, um mein »Milieu« in den basischen Bereich zu bekommen. Der Anlass war eine Hauterkrankung, und ich vermutete als »Schuldigen« meine allzu weizenhaltige Ernährung in dieser Zeit – gepaart mit nervlicher Belastung. Also versuchte ich über eine vernünftigere, in dem Fall vegane Ernährung meinen Säure-Basen-Haushalt wieder in den grünen Bereich zu bekommen. Jeden Tag benutzte ich ein Teststäbchen, um den ph-Wert festzustellen. Jeden Tag kam das gleiche Ergebnis heraus: sauer! Nach drei Wochen unverändertem Ergebnis kasteite ich mich nicht länger mit dem Thema Milieuveränderung und genoss wieder mein gewohnt »unvernünftiges« Essen. Symptomatisch hatte sich bislang nichts verändert.
Die Frage ist doch: Was beeinflusst wiederum das Milieu bzw. die Familie in einer derart ungesunden Art und Weise, dass sich das Milieu in Richtung »sauer« – Streit, Konflikte, Rechthaberei und Gewalt –verändern muss, um über diesen Weg Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten hervorzurufen, die so auffallend sind, dass sie nicht mehr negiert werden können? Wir Menschen neigen ja sehr dazu, erst dann etwas zu verändern, wenn das Symptom zu hartnäckig und unangenehm wird.
Erfolgskonzept Familientherapie
In den 60er-Jahren hatte man also versucht, die Probleme einzelner Personen aus dem Kontext von Familie und Gesellschaft herauszugreifen, zu verstehen und daraus Behandlungsschlüsse zu ziehen. Die Begeisterung über die neue familientherapeutische Methodik war überall spürbar und verbreitete sich in der Psychotherapeutenszene der USA sehr schnell. Und die Welle schwappte alsbald auch nach Europa über. Auch hier versuchte man jetzt verstärkt, »abnormales« oder schizophrenes Verhalten der Patienten im Zusammenhang mit dem Verhalten der übrigen Familienmitglieder zu interpretieren. Die Therapie mit der ganzen Familie wurde mehr und mehr selbstverständlich. Auf den Erfahrungen der Pioniere aufbauend hatte sich eine sehr ausgeprägte Form der Praxis entwickelt, die auch begann, die Grenzen der klassischen Psychotherapie zu überschreiten. Familientherapie wurde in Erziehungsberatung und Jugendhilfe zu einem selbstverständlichen Instrument, und auch in anderen Feldern setzte sich systemisches Denken und Handeln mehr und mehr durch.
Die Begeisterung für diese Art von systemischer Arbeit ist verständlich, hatte man sich doch bisher viele Jahre lang die Zähne ausgebissen in dem Versuch, das Innerste des Klienten zu durchleuchten – auf der Suche nach der oder den Ursachen. Da erschien es doch einfacher und Erfolg versprechender, das Interaktionssystem Familie zu therapieren, das man schließlich besser beobachten konnte als das verborgene Innere eines Individuums. Die psychisch-seelischen Vorgänge eines Menschen, seine Gedanken und Gefühle hatte man bislang lediglich mithilfe sehr unsicherer hypothetischer Konstrukte zu erschließen versucht. Das war wohl ein Ausweichversuch vor allzu anstrengender Seelenklempnerarbeit einerseits, andererseits konnten die Therapeuten aber auch überraschende Erfolge damit erzielen, die gekoppelten anderen Teile des Systems zu beobachten, zu beachten und die Interaktion bzw. Kommunikation zwischen den Mitgliedern zu verändern.
Vom Familienstellen zum ganzheitlichen Coaching
Der Durchbruch zu einer wirklich neuen Methodik kam zu der Zeit, als in den 80er- und 90er-Jahren nicht mehr das bisher gewohnte Kausalitätsdenken »Ursache-hat-Wirkung« im Vordergrund stand, sondern sich eine Wissenschaft, Forschung und Therapie in Richtung allumfassender Vernetzung in den Vordergrund rückte, in der man nicht mehr so selbstverständlich das Täter-Opfer-Prinzip sah, sondern auch Rückkoppelungen der Wirkung auf die Ursache und noch viel mehr Verknüpfungen untereinander. Plötzlich sprach man vom »Flügelschlag des Schmetterlings«, der auf der einen Seite der Erde geschieht und große Veränderungen auf der anderen Seite der Welt verursachen kann. Und es rückte in den Vordergrund, dass wir alle miteinander verbunden seien, auch diejenigen außerhalb der eigentlichen Familie. Das Netzwerk des allumfassenden Bewusstseins und die Möglichkeit, dass alle Menschen irgendwie mit allen anderen Menschen auf der Erde verbunden sind – und wer weiß mit welchen anderen Wesen noch – schaffte sich mehr und mehr Raum.
Die Quantenphysik war geboren, und das Ursache-Wirkungs-Prinzip machte einem offenen Denken immer mehr Platz: dem Wir-sind-alle-eins-Bewusstsein oder dem Alles-ist-im-Hier-und-Jetzt-Bewusstsein.
Nachdem ich jedenfalls meinen Hautausschlag weder durch die Ursache »schlechte Ernährung bzw. saures Milieu« noch durch die Ursache »emotionale Blockade« (Ich bin sauer = Wut!) noch durch vielfältige Versuche mit meinen zahlreichen erlernten Methoden noch durch wunderbare alternative Medikamente beseitigen konnte, fiel mir auch gar nichts Gescheites mehr ein, und ich machte schlicht NICHTS mehr. Ich fuhr zwei Wochen an die Ostsee, um den Stress loszulassen und mich selbst zu therapieren – im Sinne von »Ich will die Symptome loshaben«. Jetzt genoss ich den wunderbaren frischen Fisch und schmiss mein veganes Stelldichein über Bord. Ich akzeptierte die Situation – und hatte in dieser Nacht einen Heiltraum, der deutlicher war als alle meine Träume bisher. Ich sah nicht gerade hübsch und gesund aus in diesem Traum, aber ich versuchte auch nicht, etwas zu vertuschen oder etwas zu überdecken. Die Essenz des Traumes war die Botschaft: Zeige dich so, wie du bist! Nach zwei Tagen war mein ph-Wert im Normalbereich, und die Hauterscheinungen klangen ab, bis sie nach wenigen Tagen komplett verschwunden waren.
Um die Lösung eines »Problems« zu finden, müssen wir nicht immer genau wissen, wo es herkommt – das ist aus meiner Sicht zu eindimensional in der alten Weise von Ursache und Wirkung gedacht, denn was tun wir, wenn wir wissen, wo es herkommt (oder von wem?). Haben wir dann den »Schuldigen« gefunden und bestrafen ihn? Zum Beispiel durch Maßregelung, Kündigung oder zumindest durch das Einreden eines schlechten Gewissens? Wenn das zugrunde liegende gemeinsame Thema nicht gesehen wird, kann es auch keine grundlegende Änderung im Gesamtsystem geben. Alle Beteiligten tragen ihre energetischen Schwingungen in die »Familie« mit hinein, auch diejenigen, die schon verstorben sind und die man vielleicht aus irgendeinem Grund gern vergessen möchte. Überhaupt müssen wir nichts mehr ganz genau wissen. Dieses Bedürfnis entspringt dem Verstand, der nichts so ungern leiden mag, wie die Kontrolle abgeben zu müssen. Wenn ich nicht mehr wissen muss, wo etwas herkommt, dann kann ich mich im ersten Schritt mit dem beschäftigen, was nun einmal JETZT ist. Erst wenn ich die Ist-Situation annehme und möglichst nicht mit gut oder schlecht, »will ich« oder »will ich nicht«, ja oder nein bewerte, habe ich die Sinnhaftigkeit der aktuellen Situation angenommen. Und schon daraus kann ein Schritt hin zur Veränderung zum Wohle aller Beteiligten entstehen.
Zeige dich so, wie du bist – alles darf sein!
Meine Hauterkrankung konnte sich also so lange nicht in Richtung Heilung bewegen, wie ich versuchte, sie mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln wegzubekommen. Sobald die Symptome aufgetaucht waren, hatte ich mich bemüht, die Schuldigen zu finden: die schlechte Ernährung, zu wenig Bewegung, zu viel Stress, unterdrückte Emotionen, was auch immer … Mein inneres Milieu blieb sauer – wie auch meine Stimmung ob der nutzlosen Versuche, beschwerdefrei zu werden. Dabei ist aus Sicht des Gesamtgefüges, dessen Bestandteile ich in der Regel ja gar nicht vollständig sehen kann, die Situation, in der ich mich »wiederfinde«, genau die richtige für mich. Das Feld der Symptome, Beschwerden oder unliebsamen Situationen und Ereignisse gibt mir die Chance und die Zeit, mich wiederzufinden in dem, was ich wirklich als Ganzheit bin.
Das gilt natürlich auch für alle anderen an diesem Prozess beteiligten Personen, zum Beispiel in einer Firma. Wenn ich einen Mitarbeiter aus egoistischen Gründen loshaben möchte, um zum Beispiel dessen Posten zu bekommen, dann bleibt dieser Egoismus im gemeinsamen Feld bestehen und wird sich mir früher oder später innerhalb dieses Feldes auch präsentieren, zum Beispiel, indem ich in eine ähnliche Situation gerate, wo ich mich aber diesmal in der Rolle des Gekündigten wiederfinde.
Wenn Sie sich also gerade in einer unschönen Situation befinden, unzufrieden mit Ihrer Arbeit sind, unter Ihrem Chef oder Partner leiden, nicht mehr wissen, wie Sie Ihren Kindern in der Schule helfen können, wie Sie die Schmerzen loswerden oder wo Sie das Geld für die nächste Miete herbekommen … dann unternehmen Sie die richtigen Schritte, aber erst, nachdem Sie diese Situation und damit das Jetzt zu 100 Prozent als passend angenommen haben! Denn Sie selbst haben Ihre momentane Lage als äußerst machtvolles Seelenwesen selbst erzeugt, um daraus etwas lernen zu können. So habe ich in meinem Heiltraum genau diese Lektion gelernt: »Zeige dich so, wie du bist« bedeutete nichts anderes als »Nimm das als sinnvoll an, was jetzt ist, und verstecke es nicht vor dir oder anderen«.
Erst wenn Sie dazu Ja sagen, können die nächsten Schritte zur Lösung erfolgen – aber gemeinsam mit allen anderen. Wer diese am Gesamtsystem Beteiligten sind, können wir nicht unbedingt so klar sehen, wie bei den Mitarbeitern einer Abteilung. Im System Körper kennen wir auch nicht jede Zelle persönlich – oder genau genommen nicht einmal einen einzigen dieser wunderbaren Mitarbeiter –, und dennoch findet Heilung statt.
Dass Heilung geschieht, so, wie es schon millionenfach ohne unser bewusstes Zutun geschehen ist, darauf können wir vertrauen, auch wenn wir nicht hineinschauen können. Wir müssen uns nicht darum kümmern, welche Zellen sterben, verschwinden, erneuert werden, reaktiviert werden oder eine Auszeit nehmen. Das tut das intelligente Gesamtsystem selbst.
Durch das bedingungslose Annehmen dessen, was jetzt ist, geben wir schon einen Startimpuls in Richtung Heilung bzw. harmonische Ordnung in das Gesamtsystem hinein. Wir delegieren sozusagen die Ausführung an die besten Mitarbeiter, lassen aber vollständig davon ab, jeden hinterher kontrollieren zu müssen. Das ist Vertrauen.