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2.

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Hektischer Betrieb herrschte an Bord der „Vencedor“, der „Confianza“, der „San Mateo“ und der vier Kriegskaravellen. Ramón Firuso de Fernández’ Befehle hatten eine Kette von Aktivitäten ausgelöst. Rufe und Flüche ertönten auf den Schiffen, das Trappeln von Stiefeln und nackten Fußsohlen erzeugte einen Rhythmus, der von heraufziehendem Unheil kündete.

Mitten in den Vorbereitungen ließ der Generalkapitän seinen Stückmeister Jaime Rabel durch Gozálbez zu sich rufen – und wieder wunderte sich der Erste Offizier, als Fernández in seiner Kapitänskammer verschwand und kurz darauf auch Rabel das Achterkastell betrat.

Was hatte der Generalkapitän dem Stückmeister mitzuteilen? Warum gab er ihm seine Befehle nicht öffentlich, vor den Achterdecksgästen und der Mannschaft? Was sollte die Geheimnistuerei?

Auf dem Hauptdeck steckten ein paar Männer an den Geschützen die Köpfe zusammen und tuschelten miteinander. Gozálbez verfolgte es voller Unbehagen. Das seltsame Verhalten des Generalkapitäns konnte böses Blut erzeugen. Auch die Offiziere waren von dem, was vorging, alles andere als erbaut. Doch keiner von ihnen vermochte zu erraten, was in diesem Moment in der Kapitänskammer besprochen wurde.

Hätten sie die Möglichkeit gehabt, die Unterredung der beiden Männer zu belauschen, wären ihre Gesichter vor lauter Verwunderung lang und länger geworden. Nie zuvor hatte sich etwas Vergleichbares an Bord der „Vencedor“ zugetragen, und es war wohl auch das erstemal, daß auf einem spanischen Schiff ein Komplott wie dieses geschmiedet wurde.

Jaime Rabel war ein großer, hagerer Andalusier mit schulterlangem, schwarzem, strähnigem Haar. Er hatte feinnervige, lange Finger, die meisterhaft mit Lunten und Zündlöchern umzugehen verstanden. Wenn er Freiwache hatte, pflegte er auf seinem Saiteninstrument, der Vihuela, zu spielen und maurische Gesänge anzustimmen, die den Nordspaniern an Bord erheblich auf den Geist gingen. Auch Fernández konnte ihn nicht sonderlich gut leiden, doch für das, was er plante, war dieser finstere, meist schweigsame und sehr stolze Rabel, der ihn jetzt vom Eingang der Kammer her aufmerksam musterte, genau der richtige Mann.

„Setzen Sie sich, Rabel“, sagte Fernández. Er hatte hinter seinem Tisch Platz genommen. „Ich habe einen besonderen Befehl für Sie, und ich erwarte von Ihnen, daß Sie ihn mit größter Präzision ausführen.“

Rabel setzte sich. „Señor Capitán, soll ich dem Flaggschiff der Engländer das Rüder wegschießen? Ist es das, was Sie von mir verlangen?“

Fernández lächelte und setzte eine verschwörerische Miene auf. „Im geeigneten Augenblick sollen Sie natürlich auch das versuchen, mein lieber Freund. Aber hören Sie mir erst einmal zu.“

Rabel beugte sich mit gespanntem Gesicht vor. Es war noch nie passiert, daß der Generalkapitän persönlich ihn zu sich gerufen hatte. Es war allenfalls mal der Erste Offizier gewesen, der sich dazu herabließ, ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Es war bekannt, daß Ramón Firuso de Fernández das „gemeine Decksvolk“ verachtete und jeden direkten Kontakt zu den Männern, die vor dem Mast fuhren, vermied. Demnach mußte schon ein ganz besonderer Anlaß vorliegen, ihn hierherzubestellen. Aber welcher?

Rabels Augen verengten sich leicht. Die Sache war ihm nicht geheuer. Er war nicht der „liebe Freund“ des Generalkapitäns. Es war durchaus möglich, daß der Mann irgendein Himmelfahrtskommando plante, bei dem er ihn, Rabel, und vielleicht gleich noch ein Dutzend anderer Männer der „Vencedor“ zu verheizen gedachte.

„Sie kennen doch Adriano de Mendoza y Castillo“, begann der Generalkapitän.

„Den Kapitän der ‚Confianza‘?“ Rabel mußte lächeln. „Ja, natürlich. Mir sind die Namen sämtlicher Schiffskapitäne in unserem Geleit bekannt, Señor.“

„Gewiß, aber ich meine etwas anderes. Wie gut wissen Sie über Castillo Bescheid?“

War das eine Fangfrage? Rabel dachte angestrengt nach. Fernández war ein Mann von impulsiver und leicht aufbrausender Art, es war nur ratsam, ihn nicht zu reizen. Die Antwort mußte so neutral wie möglich ausfallen.

„Señor“, entgegnete er daher. „Ich habe über den Señor Castillo nur vernommen, daß er bei seiner Mannschaft sehr beliebt ist, aber persönlich kenne ich ihn nicht.“

„Beliebt!“ Fernández verzog das Gesicht, als er das Wort wiederholte. „Daß ich nicht lache! Er biedert sich bei seinen Leuten an, als ob er einer von ihnen wäre! Nicht zu fassen ist das!“ Sein Blick richtete sich auf Rabel, dessen Miene sich jetzt mehr und mehr verschloß. „Haben Sie einen Grund, Castillo zu schützen, Rabel?“

„Es ist meine Aufgabe und heilige Pflicht, nach bestem Vermögen jeden Mann an Bord unserer Schiffe zu schützen, Señor.“

„Ja, schon gut. Aber sonst gibt es nichts, was Sie mit Castillo verbindet?“

„Verzeihung, Señor Capitán, ich begreife wirklich nicht, auf was Sie hinauswollen“, sagte der Andalusier.

Fernández’ Stimme wurde scharf. „Ich verlange von Ihnen, daß Sie auf meine Frage antworten.“

„Es gibt nichts, was mich mit dem Capitán Castillo verbindet, er ist weder ein Verwandter noch ein guter Freund von mir.“

„Sehr gut.“ Fernández begann wieder, recht ölig zu lächeln. „Damit rücken wir meinem Anliegen schon näher. Ich kann Ihnen nicht sehr viel über den Auftrag verraten, den ich von höchster Stelle erhalten habe, Rabel, aber es muß Ihnen genügen, wenn ich Ihnen eröffne, daß Adriano de Mendoza y Castillo ein Verräter ist.“

Rabel zeigte sich entsetzt. „Ein Verräter? Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Sie sollen auch nichts tun, was Ihre Phantasie überfordert. Nehmen Sie die Information hin, und finden Sie sich mit der Tatsache ab. Castillo muß vernichtet werden, bevor er größeres Unheil anrichten kann.“

„Wie – meinen Sie das?“ Noch wehrte sich alles in Rabel dagegen, etwas von dem zu begreifen, was Fernández ihm auseinanderzusetzen versuchte. Aber unterbewußt schwante ihm schon jetzt, auf was das Ganze hinauslief.

„Ich beginne das Gefecht gegen die Engländer absichtlich“, erklärte der Generalkapitän. „Es ist mir Mittel zum Zweck – eine günstige Gelegenheit, die ich beim Schopfe packe, um meine Aufgabe zu erfüllen. Der Kampf ist nur eine Tarnung. Mitten im Getümmel werden wir uns an die ‚Confianza‘ heranpirschen, verstanden?“

„Ja.“

„Und dann verpassen Sie dem Schiff den Fangschuß, Rabel.“

„Den – Fangschuß? Ich? Aber …“

„Rabel!“ schnitt Fernández ihm scharf das Wort ab. „Ich erwarte, daß Sie meinen Befehl bedingungslos ausführen und nicht darüber diskutieren. Es ist im übrigen Ihre Pflicht, absolutes Stillschweigen über das zu wahren, was wir soeben miteinander besprochen haben. Jede Zuwiderhandlung wird mit dem Tode bestraft.“

„Ja, Señor!“

„Sie haben also keine Fragen mehr?“

„Doch, Señor!“ Rabel räusperte sich. Er war nicht versessen darauf, von seinem Kapitän als Meuterer und Rebell eingestuft zu werden, aber sein andalusisches Temperament ließ sich in diesem Augenblick nicht mehr zügeln. Was hatte Castillo verbrochen, daß er so hart bestraft werden sollte? „Die ‚Confianza‘ soll also mit Mann und Maus versenkt werden, wenn ich das richtig verstanden habe?“

„Genau das. Der Schuß muß unterhalb der Wasserlinie liegen, ich erwarte, daß dies einer Ihrer Meisterschüsse wird, Rabel.“

„Nicht nur der Capitán Castillo, auch die Männer der ‚Confianza‘ werden den Tod finden.“

„Die meisten von ihnen werden sich schon retten.“

„Das glaube ich nicht, Señor. Das Schiff wird sie mit sich in die Tiefe reißen. Und wer nicht ertrinkt, der wird in der Schlacht von Kugeln und Schiffstrümmern getroffen.“ Rabels Blick richtete sich fest auf das Gesicht des Generalkapitäns. Ihre beiderseitige Animosität verwandelte sich in diesem Moment in offene Feindschaft. „Sie wissen genau, daß die Kameraden keine Chance haben, Señor.“

„Mit anderen Worten, Sie wollen den Befehl verweigern – sich der Insubordination schuldig machen? Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet, Rabel.“ Fernández war drauf und dran, von seiner Sitzgelegenheit hochzufahren und die Faust auf das Pult zu schmettern. Was nahm dieser schmierige Gitano, dieser hergelaufene Dreckskerl, sich eigentlich heraus? War es doch ein Fehler gewesen, ihn einzuweihen und als den Mann auszuwählen, der den entscheidenden Schuß abfeuern sollte?

„Sie irren sich“, sagte Rabel mit fester Stimme. „Ich bin immer ein treuer Diener der Krone gewesen, und es würde mir nicht im Traum einfallen, einen Befehl zu verweigern. Ich werde auf die ‚Confianza‘ schießen, bitte Sie aber nur darum, mir eine Auskunft über die Schuld von Capitán Castillo zu geben.“

Ramón Firuso de Fernández atmete auf, seine Züge glätteten sich wieder ein wenig. „So ist das. Nun, ich kann Ihre Neugier befriedigen. Castillo ist des Hochverrats schuldig. Er hintergeht unseren König, Seine Allerkatholischste Majestät Philipp II., indem er heimlich Gold und Silber für sich auf die Seite schafft und in den Kolonien mit den Wilden kooperiert, die ihrerseits wieder gegen unsere Vizekönige und Gouverneure rebellieren. Leuchtet Ihnen jetzt nicht ein, wie niederträchtig dieser Mann ist? Seine Mannschaft – das nur nebenbei – scheint an seinem heimlichen Gewinn beteiligt zu sein. Darum brauchen Sie keinerlei Skrupel zu haben, Rabel, auch die Besatzung mit dem Schiff zu versenken.“

„Ja.“ Rabel war zutiefst erschüttert. Als echter Gitano und gläubiger Christ war er ein treuer Anhänger der Kirche und ein glühender Verehrer seines Königs. Sein Patriotismus überwog alle anderen Empfindungen wie Kameradschaftsgefühl und persönlichen Stolz. „Señor“, sagte er. „Verzeihen Sie mir, diese Einzelheiten waren mir nicht bekannt. Castillo stößt uns allen den Dolch in den Rücken – dafür muß er büßen.“

Fernández nickte und erhob sich. „Es freut mich, daß auch Sie das einsehen. Mir ist sehr daran gelegen, daß meine Männer aus voller Überzeugung handeln, wenn Sie einen Auftrag ausführen. Aber vergessen Sie nicht – die Sache ist streng geheim.“

Jaime Rabel stand ebenfalls auf, seine Gestalt straffte sich. „Señor Capitán, ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, daß kein Wort über meine Lippen dringt. Ich werde schweigen wie ein Grab.“

„Danke. Der Dank der Krone ist Ihnen schon jetzt gewiß.“

„Das Vertrauen, das Sie in mich setzen, erfüllt mich mit unendlichem Stolz, Señor“, sagte Rabel.

„Wenn alles so verläuft, wie ich mir das vorstelle, erhalten Sie auch eine Belohnung für Ihre Tat, mein Freund.“ Fernández trat hinter seinem Pult hervor. Für einen Moment war er versucht, dem Mann jovial auf die Schulter zu klopfen, unterließ es dann aber. Er beschränkte sich darauf, ihm noch einmal zuzulächeln. „Im richtigen Moment gebe ich Ihnen ein Zeichen.“

„Ja, Señor.“

„Gehen Sie jetzt. Auch ich kehre aufs Achterdeck zurück, und die Schlacht beginnt.“

„Ja, Señor.“ Rabel zeigte klar, drehte sich um und eilte davon.

Ramón Firuso de Fernández blickte ihm etwas versonnen nach. Er hatte es verstanden, den Mann bei seinen Vaterlands- und Ehrgefühlen zu packen, das hatte genügt. Rabel würde keine Fragen mehr stellen und auch nicht auf den Gedanken verfallen, daß das meiste von dem, was sein Kapitän ihm erzählt hatte, schlichtweg erlogen war. Rabel war ein hervorragender Schütze. Castillo hatte schon jetzt keine Chance, zu überleben. Die Wahrheit würde nie ans Licht gelangen, sie würde im Meer versinken.

Adriano de Mendoza y Castillo war in Wirklichkeit ein außerordentlich ehrlicher und sympathischer Mann. Er hatte bereits mehrere Reisen in die Neue Welt hinter sich, bei denen er erlebt hatte, wie die Ureinwohner rücksichtslos ausgebeutet und abgeschlachtet wurden – und wie die spanische Krone die neugewonnenen Kolonien systematisch ausplünderte, ohne jegliche Rücksicht darauf, daß auch die Inkas und Mayas, die Indios, die Patagonier, die Arkaner und die anderen Indianer dort lebensfähig blieben.

Nach seiner Rückkehr hatte Castillo in Spanien kritische Ansichten geäußert, die bei einflußreichen Persönlichkeiten und vor allem bei der Casa de Contratación und der Admiralität Mißfallen erregt hatten. Castillo indes, der ja selbst adliger Abstammung war, hatte geglaubt, seinesgleichen die Wahrheit sagen zu können.

Doch die Wahrheit, ohne Umschweife und vorbehaltlos dargelegt, war höchst unbequem und verursachte böses Blut. Castillo hatte jetzt Feinde – und er galt als Aufwiegler, der sogar vor den Offizieren und der Mannschaft an Bord seines Schiffes aufrührerische und unerhört freie Reden hielt. Die Denkart, die er verbreitete, war nicht erwünscht. Sie war ein Bazillus, der nach Ansicht der spanischen Hofintriganten unverzüglich mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden mußte.

Aus diesem Grund hatte Ramón Firuso de Fernández den Befehl erhalten, bei einer „passenden Gelegenheit“, möglichst in dichtem Gefechtsgewühl, der „Confianza“ den „Fangschuß“ zu verpassen und sie mit Mann und Maus sinken zu lassen. Auf diese Weise wollte die Krone das Problem Castillo auf elegante Weise aus der Welt schaffen.

Fernández verließ seine Kammer und das Achterkastell und enterte aufs Achterdeck. Er ignorierte die Blicke, die ihm besonders Gozálbez zuwarf, und konzentrierte sich völlig auf das Gefecht, das ihn erwartete.

„Lassen Sie der ‚Confianza‘, der ‚San Mateo‘ und den Karavellen signalisieren“, sagte er zu seinem Ersten. „Wir gehen auf Kurs Nordwesten und fallen dem Gegner in die Flanke. Ehe er richtig reagiert, haben wir ihn zu fassen. Der Abstand ist nicht mehr groß.“

„Ja, Señor.“

„Es kommt darauf an, daß wir das Überraschungsmoment für uns gewinnen und voll ausnutzen“, sagte Fernández. Er rechnete zwar damit, daß ihn die Engländer scharf beobachteten, doch er ahnte nicht, daß auch sie bereits klar zum Gefecht waren. Er wäre gut beraten gewesen, wenn er seinem Feind doch etwas mehr Umsicht und Klugheit zugestanden hätte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 331

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