Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 541 - Roy Palmer - Страница 6
1.
ОглавлениеAuf dem Basar von Masquat ging es schon am frühen Morgen rege zu. Es war nicht leicht, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Turbanträger palaverten und handelten, Verkäufer priesen ihre Ware lautstark an, Musikanten spielten auf einem Podium – die Männerwelt war in einem Chaos aus Farben und Geräuschen unter sich.
In den alten Gemäuern der Kasbah tauchte hin und wieder das verschleierte Gesicht einer Frau hinter einem winzigen Fenster auf, verschwand aber sogleich wieder, wenn sich der Blick eines Passanten auf sie richtete.
Edwin Carberry, der mit einem siebenköpfigen „Stoßtrupp“ der „Santa Barbara“ in den engen Gassen unterwegs war, ließ sich von dem Getümmel nicht beeindrucken.
Er hatte einen Auftrag, und diesen Auftrag gedachte er strikt und rigoros auszuführen. Großeinkauf – der Kutscher hatte eine Liste angefertigt, auf der vom Maismehl bis zu geschlachteten Hühnern so gut wie alles aufgeführt war, was das Herz der Mannen begehrte.
Nur Wein, Bier und Schnaps hatte der Kutscher nicht mit aufgeschrieben. Diese Flüssigware galt im Reich der Muselmanen als „Teufelszeug“ und war deshalb durch die Gesetze des Korans verboten. Aber immerhin – der Seewolf und seine Mannen hatten davon noch genügend Vorräte an Bord.
Beim Einkauf ging es in erster Linie darum, wieder frische Lebensmittel in den Proviantlasten der Galeone zu verstauen. Aus diesem Grund hatte der Seewolf Masquat angelaufen und war im Hafen vor Anker gegangen. Dies war im Morgengrauen geschehen. Jetzt, um sechs Uhr, bewegte sich der Trupp durch die Kasbah.
Die Mannen – außer dem Profos waren Mac Pellew als „Kombüsenexperte“, Matt Davies, Higgy, Jack Finnegan, Paddy Rogers, Don Juan de Alcazar und Stenmark mit von der Partie – hielten aufmerksam nach geeigneten Marktständen oder Läden Ausschau, in denen die begehrten Güter angepriesen wurden.
Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der karmesinrote Aracanga, begleiteten die acht Männer. Sir John hockte auf Carberrys mächtiger Schulter – neugierig wie immer. Arwenack trottete neben Higgy her und griff hin und wieder nach dessen Hand.
Die beiden verstanden sich ausgezeichnet, was wiederum oft zu Witzeleien Anlaß gab. Higgy trug es mit Gelassenheit. Nichts konnte sein irisches Gemüt erschüttern, auch der seltsame Humor eines Edwin Carberry nicht.
Die Männer stiegen Treppen hoch und begaben sich in den etwas höher gelegenen Teil der Kasbah. Immer wieder blieb Carberry stehen, warf Blicke auf die Liste und kratzte sich an seinem Rammkinn.
„Maismehl“, sagte er gedehnt. „Weiß der Henker, wo wir das kriegen.
Matt stieß einen leisen Fluch aus, weil er um ein Haar über die ausgestreckten Beine eines an einer Hauswand hockenden Bettlers gestolpert wäre.
„Wie wär’s, wenn wir erst mal einen zur Brust nehmen?“ fragte er mit verdrossener Miene. „Hier ist es im Monat März schon verdammt heiß, finde ich. Und die Zunge klebt mir am Gaumen fest.“
Der Profos drehte sich gemächlich zu ihm um. „Du hast wohl schon wieder vergessen, daß in arabischen Ländern nicht gesoffen wird, was, Mister Davies? Wie?“
„Ja, zur Hölle, das habe ich.“
„Dann schreib es dir hinter deine Segelohren.“
„Aye, Sir.“
„Außerdem sind wir im Dienst“, sagte Carberry. „Und im Dienst wird, nicht gesoffen.“
Mac Pellew trat vor den Profos hin. „Warum fragen wir nicht einfach jemanden, wo wir unsere Sachen kriegen, statt wie die Idioten durch die Gegend zu laufen?“
Carberry deutete auf einen bis auf die Knochen abgemagerten Araber, der sich an ihm vorbeidrücken wollte. „Frag ihn.“
„Wo erhalten wir hier frischen Proviant?“ erkundigte sich Mac bei dem Kerl, der sofort ein leutseliges Grinsen aufsetzte.
„Yallah, Yallah“, antwortete der Kerl, dann verschwand er.
„Frag noch ein paar Leute“, sagte der Profos. „Irgendwann triffst du bestimmt einen, der Englisch kann.“
„Wir hätten doch die Zwillinge mitnehmen sollen“, sagte Stenmark. „Die hätten sich verständigen können.“
„Wir haben sie aber nicht dabei“, sagte Carberry. „Außerdem wird hier nicht Türkisch gesprochen, sondern arabischer Dialekt oder so was. Im übrigen kommen wir auch allein zurecht. Also, Mac, wir gehen dann schon mal weiter.“ Er schaute zu Higgy und Arwenack. „Los, setzt eure Affenärsche wieder in Bewegung.“
Der Trupp marschierte weiter. Mac Pellew murmelte eine Verwünschung und schloß sich den Kameraden wieder an. Was blieb ihm anderes übrig? Hier konnte gewiß keiner Englisch. Überhaupt, nirgends war auch nur ein Mensch zu entdecken, der annähernd wie ein Europäer wirkte. Seltsam. Gab es hier nicht einmal Spanier, Portugiesen oder Franzosen?
Carberry betrachtete ein paar Stände, vor denen sich schnatternde Araber stritten.
„Mist, hier gibt es nur Klamotten“, sagte er vernehmlich.
Die Araber verstummten und blickten ihn nachdenklich und mißtrauisch an. Dann nahmen sie ihr Palaver wieder auf.
Plötzlich trat aus einem schmalen, dunklen Gang ein feister kleiner Mann auf den Trupp zu. Er trug ein angeschmutztes weißes Gewand und einen grünen Turban. Er lächelte und verneigte sich.
„Sidi“, sagte er zu Carberry. „Du Spanien? Portugal?“
„Nein, England“, knurrte der Profos.
„Schade“, flüsterte der Mann auf Portugiesisch. „Du nicht verstehen. Ich weg.“
„Ich doch verstehen“, entgegnete Carberry. „Ich kann Spanisch.“
„Oh, auch ich. Ein bißchen“, sagte der Araber.
„Wunderschön“, sagte Don Juan de Alcazar. „Vielleicht kannst du uns weiterhelfen. Wir suchen etwas.“
Der Kerl verbeugte sich wieder. „Oh, gut. Ich haben. Du Frau?“ Er blinzelte Carberry zu. „Nett, fett? Ich führen.“
„Wir haben was zu erledigen“, erwiderte der Profos.
„He, Moment mal“, mischte sich Higgy ein. „Kannst du uns nicht für ’ne halbe Stunde beurlauben, Ed?“
„Ausgeschlossen. Und arabische Frauenzimmerwollen mit Kerlen, die wie Affen stinken, nichts zu tun haben.“
Higgys Miene war zerknirscht. „Daß man dauernd in der Richtung verarscht werden muß!“ Er schüttelte Arwenacks Hand ab. „Los, lauf mal allein ein Stück weiter.“
Arwenack senkte den Kopf und sonderte sich einen halben Yard ab. Er war nun mal ein sensibler Affe und verkroch sich am liebsten ganz, wenn seine Leute schlechte Laune hatten oder sich ein Bordgewitter anbahnte.
„Sidi“, sagte der Araber vergnügt und zupfte an Carberrys Hemdsärmel. „Du Sklavin kaufen? Ein Zauber, sauber. Nicht teuer.“
„Wir brauchen Proviant“, sagte der Profos mit einem Gesicht, als wolle er den Kerl auf der Stelle mit Haut und Haaren verschlingen.
„Brot, Mehl, Fleisch und Fisch?“ fragte der Araber.
„Ja.“
„Ich haben. Ich führen.“
„Na endlich.“ Carberry atmete auf, und sogar sein Gesicht wurde etwas freundlicher. „Das wurde aber auch Zeit. Los beeil dich, wir wollen den Kram endlich hinter uns bringen.“
Der Araber setzte sich an die Spitze der Gruppe. Man tauchte in dem Gang unter, marschierte etwa fünfzig Schritte weit und stieg dann Treppenstufen hinunter, die in gähnende schwarze Finsternis führten.
„Hoffentlich ist das keine Falle“, sagte Don Juan.
„Ausplündern lassen wir uns nicht, keine Sorge“, brummte der Profos. Aber ganz geheuer war auch ihm die Sache nicht.
„Wo ist Arwenack?“ fragte Paddy Rogers den Iren.
„Weggelaufen“, erwiderte Higgy. „Aber der findet sich schon wieder an.
Sir John hatte von der Profos-Schulter abgehoben und flatterte hinter dem beleidigten Affen her. Es war nicht das erste Mal, daß die Maskottchen der Seewolf-Crew ihre eigenen Wege gingen – beziehungsweise flogen. Man brauchte sich deswegen nicht zu sorgen. Sie fanden immer wieder zum Schiff zurück.
Öllampen wiesen den Mannen der „Santa Barbara“ den Weg in die Tiefe. Sie blieben stehen und stellten fest, daß sie sich in einem riesigen Kellergewölbe befanden.
Carberry hielt den Araber an der Schulter fest.
„Was ist das hier?“ fragte er drohend. „Eine Kaschemme?“
„Eine Markthalle, Sidi“, versicherte der Kerl treuherzig.
„Wenn das nicht stimmt, kannst du schon jetzt dein letztes Gebet sprechen“, sagte der Profos.
„Ich ehrlich“, sagte der kleine Dicke.
Im dämmrigen Licht der Lampen schritten die Männer durch das Gewölbe und bogen um eine Ecke. Wieder verharrten sie unwillkürlich. Vor ihnen türmten sich Fässer, Kisten und Säcke. In einem schier unüberschaubaren Durcheinander von Waren standen weiße Männer und Araber.
Es duftete nach Pökelfisch und Rosinen, nach Tee und Gewürzen. Einer der Männer – ein vollbärtiger Hüne wandte sich zu ihnen um und blickte den kleinen Dicken fragend an.
Als dieser ihm ein beschwichtigendes Zeichen gab, lächelte der Mann und sagte: „Willkommen in Masquat.“ Er sprach portugiesisch.
Sultan Quabus bin Said war ein großer, gutaussehender Mann um die Mitte der Vierzig, mit glattem Gesicht und durchdringend blickenden dunklen Augen. Wie versteinert war seine Miene an diesem Morgen, als er durch den Park seines Palastes schritt.
Mustafa, sein wichtigster Berater, folgte ihm auf dem Fuß. Entsetzen und Bestürzung herrschten im Haus. Lähmende Furcht hatte die Haremsfrauen, die Eunuchen und Bediensteten gepackt. Keiner vermochte sich das Verbrechen zu erklären, das in der Nacht geschehen war.
Schweigend betraten die beiden Männer das Frauenhaus. Mustafa hatte Sonderrechte – er war außer dem Sultan der einzige Mann, der hier ein- und ausgehen durfte. Quabus bin Saids Vertrauen in den hageren, wendigen Mann war absolut. Vor Jahren hatte er Mustafa das Leben gerettet. Mustafa war ihm dafür ewig dankbar.
Weinen und klagende Laute erfüllten die Haremsgänge. Quabus bin Said schritt durch den Perlschnürenvorhang in eins der Gemächer und blieb vor der Frau stehen, die gekrümmt auf einem Kissenlager hockte. Sie hielt die Hände vors Gesicht gepreßt und schluchzte.
„Zaira“, sagte der Sultan. „Du solltest endlich aufhören. Von deinem Weinen wird Lamia nicht wieder lebendig.“
Zaira, eine vollbusige Brünette, stöhnte verzweifelt auf. Sie war es gewesen, die in der Nacht Lamia gefunden hatte – tot, in einer Blutlache, von mehreren Messerstichen durchbohrt. Zaira gehörte ebenfalls zu den Lieblingsfrauen des Sultans.
Gemeinsam mit Lamia hatte sie in der Nacht ihren Herrn aufsuchen und beglücken sollen. Doch alles war ganz anders gekommen. Schreiend hatte Zaira Alarm geschlagen.
Die Eunuchen hatten den Täter überall gesucht. Vergebens. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Es fehlte jegliche Spur von ihm.
Mit tränenüberströmtem Gesicht sah die Frau zu ihrem Herrn auf.
„Wer hat es getan?“ fragte sie mit bebender Stimme. „Wer kann so grenzenlos grausam und gemein sein?“
„Ich werde den Mörder finden“, erwiderte der Sultan.
„Wir werden ihn stellen“, sagte Mustafa.
Zaira atmete tief durch. „Du hast uns alle verhört, o Herr“, sagte sie. „Aber es kann keiner von uns gewesen sein.“
„Wer sonst?“ fragte der Sultan mit ruhiger Stimme. „Kein Mensch kann diesen Palast betreten, ohne daß er mir gemeldet wird. Sämtliche Ein- und Ausgänge werden Tag und Nacht bewacht.“
„Trotzdem muß sich jemand eingeschlichen haben“, sagte Zaira.
„Wie?“ wollte Mustafa wissen.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“
„Wir werden Lamia bestatten“, sagte Quabus bin Said. „Dann werde ich nachdenken. Ich werde jeden einzelnen sorgfältig überprüfen. Und der, auf den mein Verdacht fällt, dem gnade Allah.“
Zaira begann wieder zu weinen. „Die arme Lamia! Sie hatte doch keinem etwas getan!“
„Der Mörder will mich treffen“, erklärte der Sultan. „Wer immer es ist, er will sich an mir rächen, mir eins auswischen. Wenn ich ihn gefaßt habe, werde ich ihn aufspießen und vierteilen lassen.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und verließ das Gemach.
An den Räumen, in denen die anderen Frauen den Tod der schönen Lamia beklagten, ging der Sultan nur vorbei. Er begab sich in Lamias Gemach.
Sie lag in der Mitte des Hauptraumes aufgebahrt. Quabus bin Said gab Mustafa einen Wink. Mustafa verschwand wie ein Geist. Quabus bin Said wollte mit der Toten allein sein.
Fast eine halbe Stunde lang hielt der Sultan mit der Toten ein stummes Zwiegespräch. Dann küßte er sie ein letztes Mal. Er verließ den Harem und kehrte in das Hauptgebäude des Palastes zurück. Mustafa durfte ihm nun wieder Gesellschaft leisten. Sie setzten sich und blickten sich schweigend an.
„Ich habe sie wirklich geliebt“, sagte der Sultan schließlich.
„Das weiß ich, o Herr“, erwiderte Mustafa.
„An dem, der sie umgebracht hat, werde ich mich furchtbar rächen.“
„Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.“
Quabus bin Said sah seinen engsten Vertrauten voll an. „Hast du keinen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?“
„Nein, noch nicht.“
„Eine der Frauen“, sagte der Sultan. „Sie war eifersüchtig auf Lamia.“
„Die Frauen haben zusammengesessen, als es geschah“, erklärte Mustafa. „Und keine von ihnen hat einen Dolch. Wir wissen aber, daß Lamia mit einem Dolch getötet wurde. Der Wundarzt hat sie genau untersucht.“
„Ich traue ihm. Und wenn Zaira es getan hat?“
„Sie hat ebenfalls keinen Dolch und konnte auch aus der Waffenkammer keinen Dolch entwenden“, entgegnete Mustafa. „Wir haben die Waffenkammer kontrolliert. Es fehlt kein einziges Messer.“
„Was ist mit den Eunuchen?“
„Sie schwören, unschuldig zu sein.“
„Wenn ich den Mörder nicht finde, werde ich die Kerle dem peinlichen Verhör unterziehen“, sagte Quabus bin Said. „Und auch das Gesinde.“
„Die Möglichkeit, daß der Täter von außen eingedrungen ist, müssen wir aber auch prüfen, Herr“, sagte Mustafa. „Es ist immerhin denkbar, daß er sich eingeschlichen hat. Vielleicht hat er einen der Wächter bestochen.“
Der Sultan rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wir werden es in Erfahrung bringen. In diesem Palast hat es noch nie einen Mord gegeben. Ein Fluch lastet über dem Haus. In Wirklichkeit hat man es auf mich abgesehen. Man will mich vom Thron stürzen, indem man mich verunsichert und mir Angst einzujagen versucht.“
Mustafa sah seinen Herrn entgeistert an. „Aber – das kann ich nicht glauben. Das bildest du dir nur ein, Herr!“
Quabus bin Said schüttelte den Kopf. „Ich ahne, daß sich etwas zusammenbraut. Ein Komplott. Eine Palastrevolution. Aber ich werde meine Gegner vernichten! Ich werde sie eigenhändig in der Luft zerreißen!“ Er sprang auf und schüttelte zornig die Fäuste.