Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 151 - Roy Palmer - Страница 4
1.
ОглавлениеDer Freibeuter Gijsbert, der mit Hendrik Laas und vier anderen Männern zusammen zur Mittelwache an Bord der „Sparrow“ eingeteilt worden war, blieb auf der Kuhl stehen und bückte sich nach einem Tampen, den irgend jemand hier, dicht vor dem Kombüsenschott, hatte liegen lassen. Der bärtige Hendrik beugte sich im selben Augenblick ebenfalls und tat so, als ob auch er den Tampen aufheben wollte.
„Ich frage mich, ob wir es wirklich schaffen“, sagte Gijsbert leise. „Aber ich bin zu allem bereit.“
Hendrik warf ihm einen huschenden Seitenblick zu. „Wir schaffen es. Aber du kannst dich noch anders entschließen, wenn du willst.“
„Nein, das tue ich nicht. Auf gar keinen Fall.“
„Gut.“
„Du brauchst mich nicht mehr auf die Probe zu stellen, Däne“, wisperte Gijsbert, der Holländer. „Jetzt nicht mehr.“
„Ich vertraue dir. Schläft alles?“
„Im Mannschaftslogis noch nicht.“
„Samkalden?“
„Ich glaube, der Hund ist noch wach.“
„Wir warten“, flüsterte Hendrik.
„Und du gibst dann das Zeichen“, raunte der Holländer.
„Spätestens nach Ablauf von zwei Glasen“, flüsterte Hendrik Laas seinem Mitverschwörer zu. Dann richtete er sich wieder auf und kehrte Gijsbert den Rücken zu, während dieser mit dem Tampen in der Hand davonschlenderte.
Sie hatten sich auf englisch unterhalten, denn Gijsbert konnte kein Dänisch, und Hendrik war des Holländischen nicht mächtig. Beide sprachen sie jedoch ein ziemlich fließendes, wenn auch nicht ganz fehlerfreies Englisch.
In den Jahren, die Hendrik Laas als Junge in seinem Heimatort, einem winzigen und völlig unbedeutenden Fischernest im Norden von Jütland, verbracht hatte, hätte er sich nicht träumen lassen, daß er eines Tages eine fremde Sprache benutzen, fremde Länder kennenlernen, beunruhigende und wundersame Neuigkeiten sehen und erbittert um sein Leben kämpfen würde.
Hendrik Laas hatte viele Kämpfe hinter sich, aber er wußte, daß ihm in dieser Nacht die schwerste Auseinandersetzung seines Lebens bevorstand. Es fehlte hier die Chance, die ein aufrichtiger Mann seinem Gegner ließ, das Gebot der Fairneß. Ein Kerl wie Roel van Dyck, der sich zum Kapitän über dieses Schiff ernannt hatte, kannte keine Gebote der Ehrenhaftigkeit und keinen Moralkodex.
Plötzlich sehnte sich Hendrik nach Hause zurück – in die Hütte, in der er alles andere als eine beneidenswerte Jugend verbracht hatte, bevor er eines Tages an Bord einer Karracke auf und davon gesegelt war. Ja, er wünschte sich, nie fortgegangen, nie ausgerissen zu sein und das biedere Dasein eines Fischers geführt zu haben.
Er schüttelte unwillkürlich den Kopf, als er jetzt den Steuerbordniedergang zur Back hinaufstieg. Nein, für Rührseligkeiten war keine Zeit. Sentimentales Denken war Gift bei einem Vorhaben, in dem Mut und Schnelligkeit den Ausschlag gaben.
Hendrik Laas fürchtete weder Tod noch Teufel, aber er haßte Hinterhältigkeiten und Intrigen, Ungerechtigkeiten und sinnlose Grausamkeiten. Er wollte diesen Schlamm, in den er hineingeraten war, von sich abschütteln.
Auf dem Vorkastell drehte er sich noch einmal kurz zur Kuhl um. Er stand schon dicht vor dem Fockmast und war sicher, daß man ihn von Kuhl und Achterdeck aus kaum noch erkennen konnte. Das war gut so, denn auf diesem Schiff schienen jedes Schott und jede Planke Augen und Ohren zu haben, und allein ein Blick konnte von den Kerlen, die hier mit eiserner Hand regierten, falsch ausgelegt werden.
Gijsbert hatte wie vorgeschrieben seinen Platz in der Nähe des Großmastes eingenommen, keine drei Schritte vom Backbordschanzkleid der Galeone entfernt.
Bert Anderson versah etwas weiter achtern an der Steuerbordseite der Kuhl seinen Dienst. Auf dem Achterdeck konnte Hendrik die Gestalten von Sheldon Gee und dem Piraten Ligthart sehen. Ivo, einer der jüngeren Männer der Freibeutermannschaft, war weisungsgemäß in den Großmars aufgeentert.
Samkalden, der sich hier als Profos fühlte und wie ein Tyrann verfuhr, hatte bei Wachwechsel seine übliche Kontrollrunde gedreht und sich dann ins Logis zurückgezogen, ehe Gijsbert das Vordeck als letzter Mann der Mittelwache verlassen hatte. Gijsbert gehörte zu der Piratenbande, er kannte Samkalden, und er wußte, daß dieser, so, wie er sich auf dem Rand seiner Koje niedergelassen hatte, nicht hundemüde sein konnte. Zumindest in der ersten halben Stunde nach dem Wachwechsel war der Kerl noch auf der Hut – und es hieß, höllisch aufzupassen und keinen Fehler zu begehen.
Bert Anderson und Sheldon Gee waren die beiden anderen Verschwörer, die mit Hendrik Laas und Gijsbert das Komplott geschmiedet hatten. Anderson war auf der „Sparrow“ einst der Bootsmann gewesen, Gee der Segelmacher. Von der ursprünglichen Besatzung war außer ihnen nur Ewing Scott, ein einfacher Decksmann, übriggeblieben, aber mit dem konnten sie nicht rechnen.
Scott hatte sich auf die Seite der Piraten geschlagen – aus echter Überzeugung. Er erhoffte sich davon ein besseres, gefälligeres Leben und eine Serie von wilden Abenteuern, von denen er bei seiner bisherigen Tätigkeit nur geträumt hatte. Wegen seiner neuen Rolle war er für Laas, Anderson, Gee und den Holländer Gijsbert doppelt gefährlich.
Von Sheldon Gee vermutete kaum jemand, daß er imstande war, an einer Meuterei teilzunehmen. Er hatte bislang gekonnt den Stiefellecker und Untertanen gespielt und alles getan, was Roel van Dyck, Samkalden und die anderen Freibeuter ihm befahlen. Anderson stellte den Teilnahmslosen zur Schau, den gebrochenen Mann, nur Scott behauptete immer wieder von ihm, er habe noch Energien in sich. Van Dyck schenkte Scott in diesem Punkt jedoch keinen Glauben, und so war der einzige Gefangene, den man für wirklich unbeugsam hielt, Hendrik Laas.
Aber Laas hatte sich gehütet, bei der Überfahrt auch nur den Versuch eines Aufstandes und der Flucht zu unternehmen. In seinem Inneren schien nun das nüchterne Kalkül zu überwiegen, eine Rechnung, von der er annehmen mußte, daß sie ihm das geringste Risiko brachte – und außerdem noch einen bescheidenen Anteil an dem, was die Piraten früher oder später zu finden hofften.
So gesehen ahnte auch van Dyck nichts von dem Vulkan, der in Hendrik Laas schlummerte. Van Dyck hatte jedoch nie den Fehler begangen, den bärtigen Dänen zu unterschätzen. Er hatte seinen Männern eingeschärft, diesen Mann nie aus den Augen zu lassen.
So wußte Hendrik, daß Ligthart und Ivo ihn ständig scharf beobachteten. Er würde keine zehn Schritte weit gelangen, um einen entscheidenden Angriff zu unternehmen. Ausgeschlossen. Er hatte sich einen Trick einfallen lassen müssen. So einfach dieser Trick war, er schien den vier Verschwörern doch von allen Erwägungen, die sie getroffen hatten, das Beste zu sein.
Konnte man Gijsbert vertrauen?
Hendrik zweifelte nicht daran. Am Nachmittag hatten sie alle vier ganz kurz die Gelegenheit gefunden, unten im Vordeck miteinander zu sprechen. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und hastig geflüstert, und die ganze Zeit über hatte ihnen die unsichtbare Faust im Nacken gesessen, Samkalden oder sonst jemand könnte sie entdecken.
Hendrik hatte Gijsberts Augen in dem Halbdunkel des Vordecks recht gut sehen können. Er hatte ihn fixiert, aber Gijsbert war diesem bohrenden Blick der harten grauen Augen nicht ausgewichen. Kein Mann war fähig, einen solchen Blick ohne das geringste Flackern, ohne Zucken der Lider zu erwidern, wenn er es nicht von Grund auf ehrlich meinte. Hendrik war von seiner gefühlsmäßigen Menschenkenntnis überzeugt. Ja, er schenkte Gijsbert jetzt wirklich sein volles Vertrauen.
Gijsbert gehörte zu den Piraten, die die „Sparrow“ in Neufundland gekapert hatten. Seinem Herzen nach war er eigentlich kein schlechter Kerl – oder, anders ausgedrückt, der am wenigsten durchtriebene und hinterhältige Mann dieser Meute. Er hatte dieses Dasein satt und reichlich genug von den Schikanen Samkaldens. Er wollte nicht länger außerhalb jeder Legalität leben, sondern Ordnung in sein Leben bringen. Er hatte sich geschworen, neu anzufangen, indem er den Gefangenen der Piraten half, das Schiff durch einen kühnen Zug in ihre Hand zu kriegen.
„Heute nacht erobern wir die ‚Sparrow‘ zurück“, hatte Hendrik Laas im Vordeck seinen Kameraden zugezischt.
„Es ist ein Wahnsinnsunternehmen“, hatte Bert Anderson gedämpft zurückgegeben. „Aber gerade das Aussichtslose ist oft der einzige Weg, den man beschreiten kann.“
„Wir haben keine andere Wahl“, hatte Sheldon Gee gesagt.
Hendrik hatte erwidert: „Wir können auch nicht länger warten. Unsere Berechnungen stimmen, wir befinden uns nahe der Küste von Cornwall. Hier können wir landen und finden Unterstützung – nicht aber in den Sieben Provinzen, wo man die Kerle vielleicht noch wie die Helden feiern wird. Sind wir dort erst angelangt, bringt van Dyck uns um, weil er uns nicht mehr braucht.“
„Uns“, hatte Anderson geflüstert. „Dich würden sie doch noch brauchen, denn sie wollen mit verstärkter Mannschaft und besserer Ausrüstung wieder den Atlantik überqueren und dorthin fahren, wo …“
„Ich könnte das Märchen doch nicht aufrechterhalten. Wenn sie euch töten würden, würde ich ihnen ins Gesicht schreien, daß ich ihnen etwas vorgeschwindelt habe.“
Gijsbert hatte Hendrik unverwandt angeschaut. „Es gibt also kein Gold in Thule?“
„Nein. Man kann dort nicht graben, weil der Boden hart gefroren ist, aber selbst wenn man graben würde, würde man nichts entdecken. Nichts – außer vielleicht ein paar Knochen.“
„Aber es gibt dort Pelze.“
„Die Pelze liegen nicht auf dem Eis herum. Man muß sie sich mühsam erjagen. Man muß sich auskennen und bittere Kälte und enorme Entbehrungen ertragen können.“
„Ich glaube, ich würde nie bis dort hinaufsegeln“, hatte Gijsbert leise entgegnet. „Wenn alles klappt, heure ich auf einem Schiff an, das nach Westindien segelt. Wenn alles klappt – aber es darf nicht schiefgehen.“
Ein Ruf erklang von achtern und riß Hendrik abrupt in die Gegenwart zurück. Ligthart, der den Kolderstock bediente, ließ etwas über den Wind verlauten, und Hendrik stellte ebenfalls fest, daß der Wind schralte.
Er korrigierte die Stellung von Fock, Vormarssegel und Blinde, denn der Wind hatte von Westen auf Südwesten gedreht und fiel also nicht mehr achterlich, sondern raumschots ein. Hendrik belegte die Brassen und Schoten neu, während auch die anderen Männer der Deckswache die Segel nach Steuerbord braßten und Rudergänger Ligthart den Kolderstock ein wenig weiter nach Steuerbord drückte.
Hendrik Laas blickte voraus in die Nacht. Er konnte nichts dagegen tun, daß seine Gedanken wieder abschweiften. Im Geist sah er nicht die von Sterntupfern durchwirkte samtene Finsternis, sondern das Weiß jener unvergleichlichen uralten Landschaft, in der er Jahre verbracht hatte, Jahre, ohne nennenswerten Kontakt mit Menschen gehabt zu haben. Eine unvergessene Zeit, die ihm mehr Verbundenheit mit dem weißen, kalten Land geschenkt hatte, als er je für möglich gehalten hatte und hatte eingestehen wollen.
Nanoq, der Eisbär, lebte in jenen Zonen und die Robben und die Narwale und die Walrosse, die er, Hendrik Laas, unter dem fahlen Glanz der Mitternachtssonne gejagt hatte.
Er blickte an sich herab. Die weißen Eisbärhosen, die er sich selbst nach der Art der Ureinwohner des Landes gefertigt hatte, schienen hier fehl am Platze zu sein. Wehmut ergriff Hendrik, wenn er an Thule dachte. Er wünschte sich dorthin zurück, in die einsamen Breiten, in denen es Haß und Habgier nicht gab.
Hendrik Laas lauschte in die Nacht. Das Rauschen des Seewassers an den Bordwänden, das Knarren der Blöcke und Rahen waren vertraute Geräusche. Unter ihm im Vordeck schien alles still zu sein. Hendrik überdachte noch einmal alles, und nicht sehr viel später ertönte das vertraute Signal. Ligthart hatte das Stundenglas zum zweitenmal nach Mitternacht umgedreht und gegen die kleine Bronzeglocke geschlagen. Es war ein Uhr morgens.
Hendrik trat ans Backbordschanzkleid und warf einen scheinbar prüfenden Blick nach außenbords. Dies war das Zeichen für Gijsbert. Gijsbert sah es, wandte sich zu Anderson um und blickte diesen einfach nur kurz an.
Bert Anderson hatte verstanden.
Er griff mit der einen Hand ans Herz, gab einen röchelnden Laut von sich und brach plötzlich dicht vor der Querwand des Achterkastells zusammen.
Eric Winlow blieb plötzlich stehen. Er wirkte sehr fett, seine Glatze schimmerte ein wenig in dem schalen Mondlicht über Cornwall. Wer ihn nicht kannte, wußte nicht, welche Muskeln sich unter seinen Körpermassen verbargen. Immerhin, er hätte allein seiner Statur nach wie eine Festung im auflandig aus Südwesten über die Küste streichenden Wind stehen sollen – aber er tat es nicht. Er wankte und drohte aus der Balance zu geraten. Die Schuld daran trug nicht der Wind, sondern das süffige dunkle Bier, das er in der Spelunke getrunken hatte, an deren Namen er sich schon nicht mehr erinnern konnte.
Roger Lutz verharrte neben Winlow. Der Wind zerzauste seine schwarzen Haare. Winlow behauptete immer, Lutz trüge so viele Haare auf dem Kopf, daß sie für ihn mit ausgereicht hätten.
Roger war sonst immer mit Grand Couteau, seinem guten Freund, zusammen, aber an diesem Abend hatte er sich von dem französischen Landsmann getrennt und sich mit Eric, dem Koch der „Vengeur“, auf den Zug durch die Landschaft begeben. Es war einfach so eine Idee gewesen, die der Bemerkung Winlows entsprungen war, er kenne da eine Kaschemme außerhalb von Plymouth, deren Namen er zwar nicht wisse, in der es aber ein ganz ausgezeichnetes Bier gebe, wenn sich nichts geändert hätte.
Grand Couteau hatte nicht mitgehen wollen, aber Roger und Eric hatten es bislang noch nicht bereut, zumal sie in dieser Nacht voll und ganz auf ihre Kosten kommen sollten – wie es den Anschein hatte.
„Was ist?“ sagte Roger Lutz. Es fiel ihm nicht mehr besonders leicht, die Zunge zu bewegen, sie schien sehr schwer geworden zu sein.
Winlow streckte die Hand aus und vollführte eine wedelnde Gebärde zu dem dritten Mann im Bunde hin. Der aber bemerkte die Geste nicht. Er marschierte einfach weiter durch das grasbewachsene Küstenland – ein schlanker Mann mit breiten Schultern und einer Mütze auf dem Kopf. Sein Name lautete Hadley Allen.
„He“, sagte Eric rauh. „Bleib mal stehen, Harvey.“
Allen verhielt seinen Schritt, wandte sich zu ihnen um und setzte ein joviales Grinsen auf. „Hadley, wenn ich bitten darf. Ist aber nicht so wichtig. Wo drückt denn der Schuh? Könnt ihr nicht mehr laufen?“
Eric stieß einen schnaufenden Laut aus. „Nicht mehr laufen? Daß ich nicht lache. Aber, wenn’s recht ist, beschreibe uns doch bitte noch mal diese – diese …“
„Diese Kusinen“, vervollständigte Roger lächelnd den Satz. Er amüsierte sich ein bißchen über den Kameraden von der „Vengeur“, denn er hielt Winlow für stark angetrunken, sich selbst jedoch für stocknüchtern. Das entsprach ganz und gar nicht den Tatsachen. Sie waren beide mittelstark „angeheitert“ und hatten ein Quantum getrunken, das einen normalen Erdenbürger aus den Stiefeln gehoben und für mindestens vierundzwanzig Stunden gefechtsunfähig gemacht hätte.
Aber zwei so salzgewässerte Rauhbeine und Freibeuter wie Roger und Eric waren nun mal nicht das, was man unter normalen Erdenbürgern verstand.
Hadley Allen kehrte zu ihnen zurück und trat ziemlich dicht vor sie hin.
„Meine Basen?“ sagte er. „Pearl und Fay? Ich habe euch doch schon ein paarmal gesagt, was für Wonnegeschöpfe sie sind.“ Er erwartete eine Entgegnung, doch Roger und Eric sahen ihn nur gespannt an, so daß er mit den Schultern zuckte und die Hände hob, um weiche, rundliche Konturen in der Nachtluft zu skizzieren.
„Pearl ist etwas deftiger gebaut als Fay“, fügte er erklärend hinzu. Der Vollständigkeit halber formte er auch noch Pearls Körper mit den Händen und sagte: „Sie sind Basen ersten Grades, nämlich die Töchter des Bruders meines Vaters. Sie brennen darauf, ein paar handfeste Männer wie euch kennenzulernen, und das muß man verstehen, denn sie müssen für meinen Onkel sorgen, der seit einem Unfall mit seinem Boot krank und bettlägerig ist. Die Mädchen kümmern sich um den ganzen Haushalt und verlassen kaum noch das Haus, weil meinem Onkel obendrein vor ein paar Jahren noch die Frau weggelaufen ist.“ Diese und andere herzzerreißende Geschichten über das triste Schicksal der Basen-Familie hatte er schon den ganzen Abend über erzählt.
„Schrecklich“, sagte Eric Winlow dumpf.
„Aber den armen Mädchen kann geholfen werden“, meinte Roger Lutz, der sowieso ständig Frauenzimmer im Kopf hatte und seinen Kameraden von ihnen vorschwärmte. „Man muß ihnen Mut zusprechen“, fuhr er fort. Für seine Amouren war Roger bekannt. Er war überzeugt, in dieser Nacht ein Abenteuer zu erleben, das genügend Stoff für einen Bericht hergab, bei dem den Kameraden die Münder offenstehen und die Augen übergehen würden.
Eric blickte auf Hadley Allens Hände und sagte: „Richtig, und wie ich die Dinge so sehe, lohnt es sich durchaus, einen längeren Fußmarsch zurückzulegen, um Pearl und Fay zu besuchen. Buckley, wenn es keine Meilenreise wird, sind wir bereit, dir auch weiter zu folgen.“
„Hadley“, murmelte Hadley Allen berichtigend, aber er sagte sich im stillen auch, daß es wohl keinen Zweck hatte, diesen offensichtlich beschränkten Burschen dauernd zu korrigieren.
Vielmehr schärfte er sich ein, daß es ratsam war, den anderen Mann, diesen schlanken, ziemlich gut aussehenden Franzosen, ständig im Auge zu behalten. Der war nicht so leicht aufs Kreuz zu legen wie der Dicke. Man mußte ihm etwas bieten, etwas Schmackhaftes – und genau da schien sein wunder Punkt zu sein.
Hadley Allen beschloß, für die richtige Szene zu sorgen. Er hatte die beiden Burschen geködert, und jetzt durfte er sie nicht mehr aus den Händen lassen. Sie schienen zu wertvoll zu sein, durch eine Ungeschicklichkeit mißtrauisch gestimmt zu werden.
Hatte er, Allen, nicht ganz deutlich den kleinen Schweinslederbeutel gesehen, den der Dicke in der Kneipe zum Vorschein gebracht hatte? Prall gefüllt war dieser Beutel. Aller Wahrscheinlichkeit nach befanden sich Perlen und andere Kostbarkeiten darin, keine Kieselsteine. Dafür sprach auch das Verhalten des Franzosen. Er hatte nämlich rechtzeitig eingegriffen, bevor sein Kamerad den Beutel hatte öffnen können, und veranlaßt, daß der Dicke den Lederbehälter in die Wamstasche zurückstopfte.
Dann hatte der Franzose die Runden Bier, die sie zu dritt getrunken hatten, mit ein paar Münzen bezahlt. Es war offensichtlich, daß er mit dem Inhalt des Beutels kein Aufsehen hatte erregen wollen. Perlen und Schmuck hatten eine, gleichsam magische Anziehungskraft. Sie lockten Diebe und Räuber an wie ein Honigtopf einen Schwarm Wespen.
Hadley Allen hatte natürlich so getan, als hätte er von diesem kleinen Intermezzo nichts mitgekriegt.
Im Verlauf ihrer Gespräche am Biertisch hatte er schließlich noch etwas Wesentliches aufgeschnappt. Lutz und Winlow gehörten zu der Mannschaft der „Vengeur“. Die „Vengeur“ lag in Plymouth aufgedockt wie jene legendenumwobene „Isabella VIII.“ der Seewölfe, die vor einigen Tagen im Hafen eingetroffen war. Von der „Isabella“ hieß es, sie habe sagenhafte Schätze an Bord, an die jedoch keiner herankam. Zwischen den Männern der „Vengeur“ und denen der „Isabella“ schien eine dicke Freundschaft zu bestehen, wie Allen vernommen hatte – warum, zum Teufel, sollten dann nicht auch die Leute von der „Vengeur“ gold- und silberschwere Taschen haben? Allen grinste bei dem Gedanken daran, daß der viele Reichtum doch wohl ansteckend sein mußte.
Keiner traute sich an die Schiffe und ihre Besatzungen heran – schon gar nicht nach dem, was in der „Bloody Mary“ des Nathaniel Plymson geschehen war.
Aber Hadley Allen hatte keine Bedenken dabei, zwei dieser Leute in die Nacht hinauszulocken, zumal sie seiner Ansicht nach schon so starke Schlagseite hatten, daß ein Schubs genügte, um sie endgültig aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Ausnehmen wie die Hühner werden wir euch, dachte er.
Er hatte von dem dicken Mann gehört, daß dieser der Koch an Bord der „Vengeur“ war und daher in seiner Kombüse selbst mit schlachtreifem Getier zu tun hatte. Allen lachte leise über diesen Vergleich, blickte dann aber sofort über die Schulter zurück zu den beiden, um sich zu überzeugen, daß sie seinen Laut nicht vernommen hatten.
Sie schienen das Lachen wirklich nicht gehört zu haben. Schwerfällig stapften sie hinter ihrem Führer her.
Eric Winlow wollte schon wieder stehenbleiben und Allen eine ungeduldige Frage stellen, da tauchten vor ihnen die Umrisse eines Hauses auf. Allen drehte sich um und gab ihnen durch einen Wink zu verstehen, daß sie am Ziel angelangt seien.