Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 251 - Roy Palmer - Страница 5

2.

Оглавление

Santiago Espronceda überließ seinem Ersten Offizier die Führung durch das Dorf, dessen Namen de Salomon zwar ein paarmal genannt hatte, den sich aber kein Mann des Aktionstrupps richtig merken konnte.

De Salomon aber hatte nicht nur diesen Namen und viele andere Einzelheiten im Kopf, er fand sich in den Gassen und Gängen zwischen den Häusern so gut zurecht, als sei er schon einmal hier gewesen.

Natürlich war dem nicht so, Espronceda wußte es ganz genau. Der Erste war vielmehr ein Mann, der bei der Befragung von Gefangenen mit außerordentlicher Sorgfalt vorging und kein Detail vergaß.

So hatte er sich von den beiden Ägyptern aus Manfalut haarklein beschreiben lassen, wie man zu dem Haus des Sabr Chamal gelangte. Selbstverständlich hatten sie ihm die Wahrheit anvertrauen müssen, die volle Wahrheit, denn er hatte sie auf die schlimmste Weise gefoltert. Er hatte noch keine einzige Information gekauft. Alles, was den Spaniern zu den Schätzen verholfen hatte, die sich im Frachtraum ihrer Galeone stapelten, hatte er nur auf diese Art erfahren.

De Salomon blieb am Ende einer Gasse stehen, hinter ihm verharrten die dreizehn anderen Männer, ganz vorn ihr Kapitän. Espronceda blickte seinem Ersten über die Schulter und musterte die Front eines weißen Hauses, die sich ihnen gegenüber auf der anderen Seite eines kleinen quadratischen Platzes erhob.

„Ist es das?“ fragte er leise.

„Ja“, raunte de Salomon. „Das Haus des Sabr Chamal.“

„Und es gibt nicht nur ein paar Perlschnürenvorhänge vor den Türen, nicht wahr?“

„So ist es, Capitán“, flüsterte der Erste. „Wegen der Besitztümer, die er dort hortet, hat Chamal natürlich solide Türen einbauen lassen.“

„Unser Problem ist es also, uns Einlaß zu verschaffen.“

„Wir sollten zur Hintertür schleichen“, zischte de Salomon. „Sie hat das Schloß, das am leichtesten zu öffnen ist.“

„Auch das haben die Männer von Manfalut gewußt?“

„Auch das.“

„Sie wollten Chamal selbst einen Besuch abstatten?“

„Ja“, murmelte der Erste. „Aber dann überlegten sie es sich doch anders. Es war ihnen zu riskant. Chamal wohnt nur mit seiner einzigen Frau und einem Sklaven in dem Haus. Er hat keinen Harem, keine Eunuchen und auch sonst keine Wächter. Doch ein einziger Ruf genügt, und die ganze Umgebung wird mobil. Im Nu könnte ein Kesseltreiben beginnen, aus dem es kein Entweichen mehr gibt.“

Espronceda zog die Schultern etwas höher. Das unangenehme Gefühl, das ihm schon den ganzen Abend über zusetzte, war wieder da. Er vermochte es nicht abzuschütteln.

„Vielleicht werden wir schon beobachtet“, sagte er so leise wie möglich.

„Unmöglich“, wisperte einer der Männer hinter seinem Rücken. „Wir haben unsere Umgebung nicht aus den Augen gelassen, Capitán. Noch hat uns keiner bemerkt. Niemand ist uns nachgeschlichen.“

Espronceda wandte sich halb zu ihm um. Es war der Bootsmann, der gesprochen hatte.

„Ich weiß nicht“, flüsterte er ihm zu. „Hier gibt es hundert Augen und Ohren, die für uns unsichtbar sind.“ Sein Blick wanderte an den dunklen Mauern der Gasse auf und ab. „Wenn dem nicht so wäre, würde ich vorschlagen, wir warten noch, bis wir ganz sicher sein können, daß Chamal schläft. So aber halte ich es für besser, gleich loszuschlagen – ehe wir das halbe Dorf am Hals haben.“

„Sehr gut“, raunte Narciso de Salomon, der sich jetzt ebenfalls umgedreht hatte. „Sie sind also einverstanden, die Hintertür des Hauses aufzubrechen, Capitán?“

„Wenn sich Geräusche vermeiden lassen, ja.“

„Nicht ganz, aber der Schiffszimmermann hat genug Werkzeug dabei“, flüsterte de Salomon. „Wir tun, was in unseren Kräften steht, um niemand aufzuwecken.“

„Dann los“, sagte Espronceda und leitete mit diesen Worten ein Unternehmen ein, das in einigen wesentlichen Punkten so ganz anders verlaufen sollte, als sie sich ausgemalt hatten.

Fausia hatte sich nun ganz ihrer Kleidung entledigt und streckte ihre Arme nach Kabil aus, um ihn an sich zu ziehen und zu küssen. Der Shilh war für kurze Zeit versucht, sich auf sie zu stürzen und sie zu nehmen, doch dann bezwang er seine Triebe und schärfte sich ein, ja nicht den Kopf zu verlieren.

Nur an dem Schlüssel der Kammertür durfte ihm gelegen sein, an nichts anderem. Somit mußte sich sein Interesse dem Kleid der Frau zuwenden, denn am Leib trug sie den Schlüssel ja nicht. Gleichzeitig aber mußte er um jeden Preis verhindern, daß sie schrie, wenn er aus seinem Gefängnis zu fliehen versuchte.

Ich werde sie fesseln und knebeln, dachte er, das ist der einzige Weg.

Zunächst aber galt es, sie zu pakken und ihr den Mund zuzuhalten. Danach konnte er trachten, sie mit der einzigen Decke seines Lagers zu binden und ihr etwas zwischen die Zähne zu stopfen. Er mußte schnell und sehr entschlossen handeln und sie sofort sicher im Griff haben. Stärker als er war sie auf keinen Fall, doch sie konnte um sich schlagen, ihn treten und sich wieder losreißen.

„Komm zu deiner willigen Fausia“, flüsterte sie. „Ich werde dich in die Geheimnisse Ägyptens einweihen. So etwas gibt es bei dir zu Hause in Marokko nicht.“

Kabil hatte daran seine Zweifel, doch er hütete sich, mit ihr darüber zu diskutieren. Vorsichtig schob er sich auf sie zu und achtete genau darauf, wie sie die Hände hielt.

Sie wollte ihm die Arme um den Hals schlingen, sich auf das Lager sinken lassen und ihn auf sich zerren, doch plötzlich schossen seine Hände hoch. Er packte ihre Schultern, drehte sie mit einem Ruck herum und riß sie an sich. Seine linke Hand preßte sich auf ihre Lippen, mit der Rechten hielt er sie in einem eisenharten Griff fest. Sie versuchte vergebens, mit den Beinen zu strampeln und um sich zu schlagen – sie konnte sich kaum noch rühren.

Kabil wartete ein paar Atemzüge lang ab, dann warf er sie unvermittelt rücklings auf die Bettstatt. Ihren Mund hielt er immer noch zu, mit der anderen Hand jedoch fingerte er nach der Decke.

Ehe sie recht wußte, wie ihr geschah, hatte er die Decke zusammengerafft und über sie geworfen. Er rollte sie darin ein, so daß sie sich nicht bewegen konnte, dann schleppte er sie zu der Stelle, an der ihr Kleid lag. Er zerrte sie von seinem Lager und hielt sie neben sich fest.

Ihre Augen hatten sich vor Angst geweitet. Nicht im Traum hatte sie damit gerechnet, daß er sie angreifen würde. Sie war davon überzeugt gewesen, ihn allein mit dem Anblick ihrer weiblichen Reize überwältigen zu können.

Das wäre auch fast geschehen, aber im letzten Moment hatte Kabil sich doch beherrschen können. Jetzt, da er sie gegen sich gepreßt hielt und mit der freien Hand in ihrer Kleidung wühlte, spürte sie Panik in sich aufsteigen. Sie wollte schreien, doch es wurde nur ein Würgen daraus, denn seine Hand drückte ihren Mund fest zu.

Er bringt mich um, dachte sie mit zunehmendem Entsetzen. Sie bäumte sich auf und wollte die Bettdecke abwerfen, die sich wie eine Haut um ihren Körper wand, doch er ließ es nicht zu.

Kabil hatte gefunden, was er suchte: den Schlüssel der Tür und ein seidenes Halstuch seiner Herrin. Er ließ den Schlüssel auf dem Steinfußboden liegen und knüllte das Tuch zusammen.

Für einen winzigen Augenblick gab er Fausias Mund frei, dann aber steckte er ihr sofort das Tuch hinein. Anschließend fesselte er sie bis zum Kinn hinauf mit der Decke, so daß es ihr nicht gelang, den Knebel wieder auszuspucken.

Er brachte seinen Mund dicht neben ihr rechtes Ohr.

„Es tut mir leid, dich so zu behandeln“, flüsterte er. „Aber eigentlich hast du es ja nicht anders verdient. Du hattest recht, mir ist nur daran gelegen, aus diesem Haus zu fliehen. Du kannst mich nicht daran hindern. Was du Sabr, diesem räudigen Schakal, nachher erzählst, ist deine Sache. Hoffentlich legt er dich endlich mal übers Knie und haut dir deinen Hintern voll, das hast du nämlich verdient.“

Er vergewisserte sich, daß sie sich nicht regen konnte, richtete sich auf und schlich zur Tür, den Schlüssel in der Hand.

Natürlich würde sie sich irgendwann doch aus eigener Kraft befreien. Aber Kabil war sicher, bis dahin den Fluß erreicht und eins der Fischerboote genommen zu haben, die dort liegen mußten. Hatte er sich erst auf dem Wasser im Schutz der Dunkelheit davongestohlen, würde ihn so leicht kein Verfolger mehr finden.

Er steckte den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn um. Noch einmal wandte er sich zu Fausia um. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, hatte immer noch Angst, er würde ihr etwas antun.

So drückte Kabil vorsichtig die Tür auf, warf einen Blick in den angrenzenden Raum, in dem nur mit Mühe etwas zu erkennen war, und schob sich aus seinem Gefängnis.

Sorgfältig schloß er die Tür wieder zu. Den Schlüssel steckte er weg, er wollte ihn im Freien wegwerfen, und zwar so, daß er unauffindbar war.

Er war überzeugt davon, daß sich außer der Frau und ihm niemand im Haus befand. Sabr Chamal konnte nicht zurück sein, sie hätten ihn sonst hören müssen.

Was das betraf, so irrte Kabil sich nicht. Dennoch war es sein Fehler, sich so sicher zu fühlen und seine nähere Umgebung kaum noch in Augenschein zu nehmen. Anderenfalls hätte er die Männer bemerken müssen, die mittlerweile eingedrungen waren und sich hinter Möbelstücken und Verbindungstüren versteckt hielten, seit sie sein Auftauchen bemerkt hatten.

Kabil wollte zur Hintertür, doch er gelangte nur zehn Schritte weit. Jäh fuhr er herum, als er eine Bewegung hinter sich wahrnahm, doch es war zu spät. Gleich vier harte Hände packten ihn, er hatte keine Chance. Hätte er eine Waffe gehabt, wäre es vielleicht anders verlaufen, doch er hatte nicht einmal ein Messer und sich auch nicht die Zeit genommen, im Haus danach zu suchen.

De Salomon und der Bootsmann waren es, die ihn an den Armen und Beinen festhielten und ihm obendrein den Mund zupreßten, wie er es kurz zuvor bei Fausia getan hatte. Santiago Espronceda und drei andere Männer traten aus ihren rasch gewählten Verstecken hervor.

„Kein Licht entzünden“, zischte der Kapitän. „Wer ist der Kerl? Chamal?“

„Der Beschreibung nach, die ich über ihn erhalten habe, kann er’s nicht sein“, sagte der Erste Offizier gedämpft. „Ich schätze, er ist der Sklave. Es ist wohl das beste, ihn gleich zu erledigen.“ Schon wollte er nach seinem Messer greifen.

„Einen Augenblick“, sagte Espronceda. „Er kann uns verraten, wer sich noch im Haus befindet. Dann wissen wir wenigstens Bescheid und können uns darauf einrichten.“ Langsam näherte er sich dem Gefangenen.

De Salomon gefiel dieser Entschluß nicht, doch er ließ sich nichts anmerken. Espronceda sprach leise auf den jungen Mann ein und bediente sich der wenigen Worte Arabisch, die er während ihres Aufenthaltes in Ägypten gelernt hatte.

Kabil versuchte, seine rechte Hand zu bewegen.

„Der Hund will türmen“, zischte der Bootsmann.

„Nein“, brummte Espronceda. „Er will uns nur ein Zeichen geben. Nehmen Sie die Hand von seinem Mund, Bootsmann.“

„Aber Señor – was ist, wenn er schreit?“

„Dann schlagen Sie ihn nieder, so daß er nicht mehr schreien kann“, sagte Espronceda fast ärgerlich.

Der Bootsmann gehorchte. De Salomon stand unterdessen schon mit der erhobenen Faust bereit, um Kabil durch einen gezielten Hieb auf den Hinterkopf zu Boden zu schikken.

Kabil dachte jedoch nicht daran, um Hilfe zu rufen. Er holte zweimal tief Luft, dann sagte er leise: „Señores brauchen nicht arabisch zu sprechen. Verstehe Spanisch.“

Espronceda blieb dicht vor ihm stehen. „Wer bist du?“

„Kabil, der Sklave.“

„Wo hast du unsere Sprache gelernt?“

„Daheim in Marokko.“

„Gut.“ Der Kapitän der Galeone nahm ihm dies ab, denn Marokko war ja teilweise von Spanien-Portugal besetzt und führte außerdem einen regen Handel mit den Landsleuten Philipps II. „Wo ist Chamal?“ fragte er ihn.

„Fortgegangen“, erwiderte Kabil wahrheitsgemäß. „Chamal hat Verabredung mit Türken. Kehrt so schnell nicht zurück.“

„Auch gut. Und seine Frau?“

Kabil beschloß, Fausia nicht noch mehr zu gefährden, indem er sie verriet. Das hatte sie denn doch nicht verdient.

„Mit ihrem Mann fort“, erwiderte er daher.

Espronceda deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Was ist in dem Raum, den du verlassen hast?“

„Nichts – nur mein Bett.“

Narciso de Salomon tastete ihn vorsichtshalber ab und förderte den Schlüssel zutage.

„Wer hat dir diesen Schlüssel gegeben?“ wollte er wissen.

„Ich – gestohlen“, erwiderte Kabil. „Ich fliehen will. Fort.“ Er blickte Espronceda fest in die Augen und setzte alles daran, diese einmalige Chance für sich auszunutzen. „Nehmt mich mit – bitte. Auf euer Schiff, Señor Capitán. Ich arbeiten, hart arbeiten.“

Espronceda rieb sich das Kinn. Die Zeit drängte, er mußte einen Entschluß fällen. So ungelegen war ihm das Anerbieten des Jungen gar nicht, er konnte einen Aufklarer und Decksjungen noch gut gebrauchen. Außerdem schien dieser schwarzhaarige, dunkeläugige Marokkaner wirklich aufgeweckt und dienstbereit zu sein.

„Du willst Ägypten verlassen?“ fragte er.

„Ja, auf jeden Fall.“

„Viel Heuer kriegst du bei uns nicht, und der Dienst an Deck ist nicht leicht.“

„Kabil auch umsonst arbeiten!“ stieß der Shilh aufgeregt hervor. „Nur fort – nach Europa!“

„Na schön. Wir nehmen dich mit“, brummte Espronceda. „Weißt du, wo die Treppe ist, die in den Keller führt?“

„Ja. Ich führe hin“, beeilte sich Kabil zu sagen.

So stiegen sie in die geheimsten und am besten verriegelten Räume des Sabr Chamal hinunter, voran Kabil, dann der Kapitän, der Erste, der Bootsmann und schließlich die anderen Spanier des Aktionstrupps.

Esproncedas übrige Männer hatten sich in und um das Gebäude verteilt und hielten Wache.

Kabil wußte, wo der Schlüsselbund für die Kellerräume hing, und er zögerte nicht, den Spaniern Zugang zu all den Kostbarkeiten zu verschaffen, die Chamal hier im Laufe der Jahre angehäuft hatte.

Bald standen sie im rötlichdämmrigen Licht einer rasch entfachten Öllampe vor den Regalen, auf denen Chamal seine Güter säuberlich aufgereiht und geordnet hatte: Goldmasken, goldene Kanopen und Statuetten, die die alten ägyptischen Götter verkörperten, silberne Kleinodien und kostbare Diamant- und Perlenketten, Reifen, Ringe und Diademe.

„Es stimmt also“, sagte de Salomon mit einem triumphierenden Blick zu seinen Kapitän. „Der Hinweis, den wir erhielten, war im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert. Ich sehe, wir sind nicht die einzigen, die in diesem Land die alten Königsgräber ausnehmen.“

„Chamal hat viele Zuträger, wie?“ fragte Espronceda den Shilh.

„Viele Freunde, ja.“

„Und er verkauft dies alles nach und nach an die Türken?“

„Ja.“

„Schlau“, sagte der Kapitän. „Scheint ja wirklich ein gewitzter Kerl zu sein, dieser Chamal.“ Er winkte seinen Männern zu. „Packt alles ein. Wir sehen zu, daß wir hier so schnell wie möglich wieder verschwinden.“

Die Männer holten Säcke aus Segeltuch hervor und begannen sofort mit dem Zusammenraffen und Einstecken der Schätze.

Plötzlich aber fuhren sie alle zusammen, sogar de Salomon, der die besten Nerven von allen hatte.

Von oben ertönte ein gellender Schrei.

Bei Allah, das ist Fausia, dachte Kabil entsetzt, sie hat sich eher von dem Knebel befreit, als ich angenommen hatte. Der Himmel stehe mir bei!

„Er hat uns doch angelogen! Er ist nicht allein im Haus!“ zischte de Salomon, dann fuhr er zu Kabil herum und rammte ihm die Faust unters Kinn.

Kabil fühlte mit dem rasenden Schmerz, der ihn durchfuhr, seine Sinne schwinden. Er stürzte in einen schwarzen Sog, tiefe Finsternis deckte jede weitere Wahrnehmung zu.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 251

Подняться наверх