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2.

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Sie standen in der Kammer und lauschten dem Bericht des Alten. Am Ende sagte Ed Carberry: „So ein Quatsch. Ich habe auch schon hundertmal geträumt, daß wir abgesoffen sind, besonders, wenn ich was Schweres zu Abend gegessen hatte. Einmal, ich glaube, es war in der Biskaya, war mir im Schlaf sogar so, als wären wir mit der ‚Isabella‘ auf den Strand einer Insel gerauscht. Die Kannibalen krabbelten wie die Ameisen an den Bordwänden hoch und packten uns. Sie hatten Zähne wie Haie, und ich hatte tatsächlich das Gefühl, sie würden sie mir in die Beine schlagen.“

„Hör auf“, sagte Shane. „Das ist ja ekelhaft.“

„Es war aber so …“

„Und dann haben uns die Kannibalen doch nicht erwischt“, erwiderte der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack Castle. „Weder auf Kalimantan noch sonstwo – das wolltest du doch sagen, oder?“

„Ja.“

„Ich weiß schon, auf was ihr hinauswollt“, sagte der Alte finster. „Träume sind Schäume, alles Humbug, nicht wahr? Aber nicht jeder besitzt die Gabe, die Trugbilder zu deuten und eine Vorausschau zu treffen. Du schon gar nicht, Profos.“

„Was willst du damit sagen?“ Carberry reckte sein Kinn noch etwas weiter vor und musterte O’Flynn wie eine Laus, die sich in seine Koje verirrt hat. „Du bist doch auch nicht der Jonas, der hinter den Horizont blikken kann.“

„Hast du vergessen, was nördlich von Formosa war, wie mißtrauisch ich damals war?“

„Ach, Formosa, das ist doch lange vergessen“, sagte Carberry.

„Und der Kommandant do Velho?“

„Der auch. Den sind wir los.“

„Du scheinst dich ja sehr sicher in deiner Haut zu fühlen“, zischte der Alte. „Aber sei bloß nicht zu überheblich. Übermut tut selten gut, verstanden, Profos? Vielleicht bist du der erste, der über die Klinge springt.“

„Sir“, ächzte Carberry. „Ich geb’s auf. Soll er doch denken, was er will. Ich glaube einfach nicht daran, daß wir noch mehr Ärger kriegen, bevor wir die Themse erreichen. Wir sind doch schon an Brighton und Eastbourne vorbei. Die Straße von Dover ist nicht mehr fern.“

„Schon gut, Ed“, sagte der Seewolf. „Wird schon schiefgehen. Ich sehe auch nicht ein, warum wir uns selbst Angst einjagen sollen.“

„Ich auch nicht“, meinte Shane. „Donegal, pack dich wieder in deine Koje und vergiß dein Holzbein nicht. Bis zum Morgengrauen sind noch acht Glasen, wir sollten eine Runde schlafen.“

„Ja, du“, giftete der Alte. „Rede du nur. Du zählst mich ja sowieso zum alten Eisen. Aber du wirst sehen, wie recht ich habe, und dann schütte ich mich aus vor Lachen.“

„Kutscher“, sagte Matt Davies. „Ich schätze, es liegt wirklich am Essen. Hölle, setze uns keine sauren Nieren mehr vor, so wie heute abend. Die liegen zu schwer im Magen.“

Der Kutscher fühlte sich in seiner Ehre als Koch der „Isabella“ berührt.

„Sir, ich stelle hiermit den Antrag, Old O’Flynn untersuchen zu dürfen“, sagte er. „Ich werde den Beweis liefern, daß sein Zustand nichts mit meiner Küche zu tun hat.“

„Wenn Donegal damit einverstanden ist, kannst du von mir aus deines Amtes walten“, entgegnete Hasard. Ein Lächeln konnte er sich dabei nicht verkneifen, denn er wußte schon, was jetzt folgte.

Old O’Flynn sah den Kutscher näher treten. Abwehrend hob er die Hände. „Zustand? Was für ein Zustand? Mir geht es großartig, mir fehlt nichts. Kutscher, du alter Knochenflicker, tu keinen Schritt weiter, oder ich schnall mein Holzbein ab. Ich schwöre dir, daß ich dich damit vertrimme, wenn du mich auch nur antickst, du elender Quacksalber.“

„Hör mal, Donegal“, sagte Bob Grey, während der Kutscher vorsichtshalber verharrte. „Der Kutscher will dich ja nicht zur Ader lassen oder so. Er will dir auch keine Schröpfköpfe oder Blutegel auf die Haut setzen. Er will dir nur in die Augen sehen, vielleicht auch in den Hals und in die Ohren.“

„In die Ohren?“ fragte Matt Davies. „Wieso, hat er auch Bohnen darin?“

„Maul halten, Matt“, schnauzte der Profos den Mann mit der Eisenhakenprothese an. „Noch so eine Bemerkung, und du verschwindest für vierundzwanzig Stunden im Kabelgatt.“

„Untersuchen!“ wetterte der Alte. „Zustand! Seid ihr verrückt? Ich habe noch nie einen Knochenflicker an mich herangelassen, auch nicht, als ich das Bein verloren hab. Unsereins kuriert so was selber aus. Und außerdem – mir fehlt nichts.“

„Weißt du das?“ fragte Shane. „Es gibt Sachen, die keiner von uns so richtig kapiert. Leiden, die den Geist und die Seele betreffen. Du hast ja keine Ahnung, was mit dir los ist.“

„Was? Willst du behaupten, ich sei – besessen?“

„Mindestens“, sagte Shane respektlos. Er kriegte sich mit dem Alten öfter mal in die Wolle, und meistens lag das an Old O’Flynns Schauermärchen und Wahrsagungen.

„Nimm das zurück, oder ich fahre aus der Haut!“ schrie Old Donegal. Er traf jetzt ernste Anstalten, sich das Holzbein abzuschnallen.

Big Old Shane ließ sich nicht beeindrucken, er war die Ruhe in Person. „Kutscher, wie nennt man das, wenn einer alt und klapprig und nicht mehr ganz richtig im Kopf ist?“

„Nun – er wird senil. Das hat mit der Verdickung im Blut zu tun“, erklärte der Kutscher. Er war sehr stolz darauf, seinem damaligen Brotgeber Doc Freemont immer aufmerksam zugehört zu haben.

Shane grinste. „Bei Donegal muß schon statt des Blutes Lehm durch die Adern rieseln, anders kann ich es mir nicht vorstellen. Es wird immer schlimmer mit ihm.“

Draußen auf dem Gang liefen immer mehr Männer zusammen – Ben Brighton, Ferris Tucker, Smoky, Dan O’Flynn junior und einige andere. Sie blieben vor der offenen Kammertür stehen und schauten sich untereinander, teils besorgt, teils belustigt an. Gab es wirklich eine Keilerei?

Sicherlich wäre Old O’Flynn jetzt mit dem Holzbein auf den Riesen Shane losgegangen, wenn der Seewolf nicht ein Machtwort gesprochen hätte.

„Schluß jetzt“, erklärte er. „Seid ihr nicht bei Trost? Ich dulde keinen Streit. Und das, was du eben gesagt hast, geht über den Rahmen eines Scherzes hinaus, Shane.“

Betreten blickten die Männer zu Boden. Big Old Shane fuhr sich mit der rechten Hand durch das graue Bartgestrüpp und schien angestrengt nachzudenken. Schließlich hob er den Kopf und blickte zu Old O’Flynn.

„Ja“, meinte er. „Also, um ehrlich zu sein, tut es mir leid. Donegal, ich werde nie mehr behaupten, daß du nicht mehr ganz dicht bist.“

Der Alte grinste plötzlich. „Fein, dann sage ich dir natürlich auch nicht, was für ein Hornochse du bist.“

Carberry atmete auf. „Damit wäre der Frieden wohl wiederhergestellt, was? Donegal, du hast uns aber wirklich einen schönen Schreck eingejagt. Als ich das Poltern hörte, dachte ich schon, wir hätten einen blinden Passagier an Bord. Bei dem, was uns in der letzten Zeit so passiert ist …“

„Sollen wir die Frachträume durchsuchen, Sir?“ fragte Matt Davies den Seewolf. „Vorsichtshalber, meine ich.“

„Nicht nötig“, antwortete Ferris Tucker an Hasards Stelle. „Das habe ich eben schon getan. Man kann schließlich nie wissen, was kommt. Wir haben schon Pferde meckern und Ziegen wiehern hören, stimmt’s?“

„Richtig, richtig“, entgegnete Ben Brighton. „Nur in einem Punkt bin ich sicher und muß dir leider widersprechen, Donegal. Die See ist ruhig, und der Wind bläst stetig aus Südwesten. Wenn es nicht aufbrist, kriegen wir heute nacht garantiert keinen Sturm.“

„Wenn es nicht aufbrist …“

„Das ist sehr unwahrscheinlich.“

„Dann stürmt es eben nächste Nacht“, sagte der Alte halsstarrig. „Oder am Tag. Ihr werdet noch die Mäuler und die Augen aufsperren.“

„Schluß der Vorstellung“, sagte Hasard. „Wir haben genug debattiert. Ed, Matt und Bob, ihr kehrt auf eure Posten zurück. Der Rest legt sich aufs Ohr. Ich will am Morgen keinen unausgeschlafenen Haufen an Oberdeck sehen.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderten die Männer.

Sie verließen die Kammer. Bevor Hasard die Tür schloß, sah er noch, wie sich Old O’Flynn auf seiner Koje ausstreckte. Er murmelte irgendwelche Worte, wahrscheinlich Flüche. Er fluchte für sein Leben gern und kannte fast noch mehr Kraftausdrücke als Carberry.

Hasard gab Ben Brighton ein Zeichen. Sie traten auf die Kuhl und unternahmen eine Kontrollrunde. Unverändert frisch fiel der Wind aus Südwest ein. Die „Isabella“ lief raumen Kurs und gute Fahrt. Der Seewolf verharrte am Schanzkleid, schaute zunächst außenbords und drehte sich dann zu seinem Bootsmann und ersten Offizier um.

„Langsam fange ich an, mich um Old Donegal zu sorgen“, sagte er.

„Wegen seiner Träume?“ erwiderte Ben Brighton. „Ich glaube ebensowenig wie du daran, daß sie sich bewahrheiten.“

„Natürlich. Und der Umstand, daß sich seine Ahnungen hin und wieder bestätigen, ist selbstverständlich darauf zurückzuführen, daß wir uns immer wieder in Gefahr begeben – zwangsläufig. Etwas anderes wäre es, wenn wir hinter dem Deich liegen und einer geruhsamen Tätigkeit nachgehen würden.“ Der Seewolf stützte beide Hände aufs Schanzkleid. „Ich glaube, Donegal sorgt sich um die Zwillinge, wenn er es auch nicht zugeben will.“

„Immerhin ist er ihr leiblicher Großvater.“

„Er hat Angst, daß man sie uns wegnehmen könnte oder ihnen etwas zustößt.“

Ben hob die Augenbrauen. „Hat er denn nicht selbst dafür gesprochen, daß sie an Bord bleiben und zu handfesten Seeleuten erzogen werden?“

„Ja, aber er würde es sich selbst nicht verzeihen, wenn ihnen etwas passierte. Ich weiß, ich weiß, wir können sie nicht in Watte verpacken und gegen jeden Einfluß von außen schützen. Sie müssen sich selbst behaupten und viel lernen, auch wenn sie erst sieben Jahre alt sind.“

„Bald werden sie acht.“

„Und auch wir werden älter – wolltest du das sagen?“ Hasard lächelte.

Ben mußte auch grinsen. Er schob die Mütze etwas weiter zurück und antwortete: „Nein. Ich will auf etwas anderes hinaus. Gerade die letzten Ereignisse haben bewiesen, daß Philip und Hasard auch schon ganz gut um sich beißen können. Wenn Donegal irgendwie um sie bangt, kann ich ihn natürlich verstehen, aber seine Sorgen sind letzten Endes doch unbegründet.“

Hasard war wieder ernst geworden. „Hoffentlich“, sagte er.

Der Schlaf nahm Old O’Flynn gefangen und entführte ihn sanft, aber wieder waren es keine rosigen, friedlichen Bilder, die vor seinem geistigen Auge Gestalt annahmen.

Eine Nußschale im Sturm – nirgends Land, keine Bucht, kein Schiff, das die Rettung brachte. Verlassen im Tosen des Wetters, einsam, verzweifelt – die Hoffnung war eine weiße Möwe, die über den schäumenden Wogen entschwand, und die Panik hatte ihren freien Lauf.

Er war gefesselt und konnte sich nicht bewegen. Es gab kein Messer, das er zu seiner Befreiung benutzen konnte, und wenn er es gehabt hätte, was hätte es ihm letztlich genutzt, die Taue abzustreifen, die in seine Haut schnitten?

Keine Pistole, mit der er seinem Leben ein Ende bereiten konnte, ehe der nasse Tod nach ihm griff …

Wer war er? Der Seewolf? O’Flynn? Er konnte nicht an sich hinuntersehen, sondern blickte nur über den Bug der Nußschale in das Brodeln der Fluten.

„Seewölfe!“ gellte die Greisenstimme in seinen Ohren. „Dies ist euer Ende! Fahrt zur Hölle, Bastarde, ihr habt es nicht anders verdient! Was glaubtet ihr denn? Mehr zu sein als jeder schmutzige Pirat, der euch auf euren Fahrten begegnet ist? Privilegien zu genießen? Wer steht euch bei, wenn ihr in Not seid? Die Königin? Nein! Keiner will euch, keiner hat euch gerufen! Bastarde sind unerwünscht!“

Ein irres Lachen folgte.

„Nein“, sagte er selbst. „Lüge! Wir werden es beweisen, daß wir zu etwas taugen und keine grausamen Glücksritter und Abenteurer sind, Schnapphähne, die jedem die Kehle durchschneiden, der ihnen über den Weg läuft. Trotz allem wissen wir noch, was ein Menschenleben wert ist.“

Plötzlich sah er vom gischtenden Kamm einer Woge aus Land. Er begann zu lachen und wollte nicht mehr aufhören zu lachen, auch nicht, als das Meer ihn mit Wucht auf dieses Land stieß, als die Nußschale in tausend Stücke zerschellte und er auf dem Sand landete, der rot, nicht gelb oder grau oder weiß war.

Der Sand glühte wie Feuer. Er wälzte sich darauf, aber die Fesseln erlaubten ihm nicht, sich aufzurappeln und davonzulaufen. Er wollte schreien, aber er brachte keinen Laut heraus. Was war schlimmer – der nasse oder der heiße Tod?

Unvermittelt wurde er von jemandem an den Beinen gepackt und fortgezerrt. Er sah zwei Gestalten, die in Lumpen gehüllt waren und ihre Haare schulterlang trugen, und als sie sich nach ihm umdrehten und kicherten, stellte er fest, daß sie Mädchen waren.

Sie schleppten ihn fort von dem heißen Sand, eine Anhöhe hinauf, in einen schattigen Wald, dessen Baumstämme wie marmorne Säulen wirkten. Hier ließen sie ihn vor einer geduckten Hütte aus Reisig liegen. Die Tür der Hütte öffnete sich knarrend, eine dicke Frau trat heraus. Sie trug das Schwert eines Henkers in den Händen und schritt mit verschlossener Miene auf ihn zu.

„Es gibt nicht nur einen nassen oder einen heißen Tod“, sagte sie mit Greisenstimme. „Man kann auf vielerlei Art krepieren.“

„Nein“, stieß er hervor.

Die Mädchen liefen im Kreis um ihn herum, es waren nicht nur zwei, sondern jetzt viele, so viele, daß er sie nicht zählen konnte. Sie tanzten und kicherten und verhöhnten ihn.

„Nein“, keuchte er. „Nicht so. Nicht auf eine so schimpfliche Weise.“

Das dicke Weib lachte und hob mit beiden Händen das Richtschwert. Schrille Laute tönten in seinen Ohren, dann krachten die marmornen Bäume gegeneinander, es brach und splitterte, das Dach der Welt stürzte ein. In seinem Schädel toste und kreiste es. Er fiel in einen Abgrund, aber das Schwert eilte ihm nach und holte ihn ein.

Old O’Flynn schlug die Augen auf und atmete schwer. Er vermochte kaum mehr zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Taumelnd bewegte sich das Schiff in der See, höher schlugen die Wellen. Er mußte sich mit beiden Händen am Rand der Koje festklammern, um nicht wieder hinauszufallen.

Draußen, im Mittelgang des Achterkastells, auf der Kuhl, überall war das Trappeln von Schritten. Die Männer riefen sich etwas zu, das er nicht verstand, und doch wußte er, was geschehen war.

Der Sturm war über sie hergefallen, noch in dieser Nacht.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 154

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