Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 490 - Roy Palmer - Страница 6

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Irgend etwas lag in der Luft. Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, spürte es mit dem untrüglichen Instinkt des Naturmenschen. Er wußte, daß etwas geschehen würde. Entweder gab es neuen Ärger mit den Spaniern, oder das Wetter schlug um oder im Urwald der Insel lauerte eine Gefahr auf ihn. Genau wußte er seine Gefühle nicht zu deuten, doch er ahnte, daß es neuen Verdruß geben würde.

Batuti war allein. Er arbeitete sich durch die Inselwildnis voran, hielt nach allen Seiten Ausschau und war ständig auf Gefahr vorbereitet. Poch, zuviel Zeit durfte er auch nicht verlieren. So wurde er einerseits von Eile vorwärtsgetrieben, durfte andererseits aber auch die wichtigsten Sicherheitsmaßnahmen nicht außer acht lassen.

Mannigfach waren die Gefahren, die in einem Urwald wie diesem lauern konnten. Man konnte von Eingeborenen angegriffen werden, in die Falle blutrünstiger Schnapphähne tappen oder von einem wilden Tier gebissen werden, beispielsweise von einer Giftschlange. Ständig mußte man auf der Hut sein.

Der Gambia-Mann trug Pfeil und Bogen bei sich, außerdem sein Messer, das in einer Scheide des ledernen Waffengurtes steckte. Auf eine Pistole und eine Muskete hatte er absichtlich verzichtet, als er von Bord der „Isabella IX.“ gegangen war. Bei dem Auftrag, den er auszuführen hatte, wären sie ihm seiner Meinung nach nur hinderlich gewesen. Immerhin mußte er ja auch ein Spektiv mitschleppen.

Der Langbogen aus englischer Eibe war für den schwarzen Riesen Hand- und Feuerwaffe zugleich. Schließlich hatte er Brand- und Pulverpfeile dabei. Die waren im Kampf wirksamer als sein gefürchteter Morgenstern, den er – ebenfalls aus Gründen der Beweglichkeit – auch nicht hatte mitnehmen wollen.

Sollte es brenzlig werden, würden die Pfeile ihm außerdem als Signale für die Freunde dienen, die an Bord der Schiffe auf seine Rückkehr warteten. Ein aufsteigender Brandpfeil genügte, und ein ganzer Trupp Helfer setzte sich in Bewegung.

Batuti grinste. Möglich war alles, aber er hoffte, daß er keine Hilfe brauchen würde. In den meisten Lebenslagen wußte er sich allein bestens zu verteidigen. Schon mancher Kerl hatte es bereut, sich mit ihm angelegt zu haben. Wenn der Gambia-Mann so richtig loslegte, war er genauso schlimm wie Barba, der Riese von der „Caribian Queen“, der hin und wieder „die Kuh fliegen ließ“, wie er das nannte.

Das Licht des Tages begann allmählich blasser zu werden. Es war der späte Nachmittag des 9. Juni 1595. Allmählich ging es auf die Dämmerung zu. Bevor das Licht zu schwach wurde, mußte Batuti sein Ziel erreicht haben – die Westküste der Insel East Caicos. Von dort aus konnte er die Passage und die Spanier beobachten, die in die Bredouille geraten waren.

Old O’Flynn hatte die Spanier mit seiner „Empress of Sea II.“ ganz schön zum Narren gehalten. Der Verbandsführer de Campos schien im übrigen ziemlich blind oder in sein Ziel derart verrannt zu sein, daß er gar nicht richtig begriff, wie falsch sein Handeln war. Er hatte sich dazu verleiten lassen, in die Passage – Windward Going Through – zwischen Middle Caicos und East Caicos zu segeln. Prompt war die Kriegsgaleone „San Sebastian“ aufgebrummt. Jetzt mußte sie von der „Monarca“ wieder freigeschleppt werden.

Und das Flaggschiff des sehr ehrenwerten Don Diego de Campos, seines Zeichens Generalkapitän von Havanna und derzeit Vertreter des eingesperrten Gouverneurs Alonzo de Escobedo? Nun, die stolze „Sant Jago“ war wieder der „Empress“ nachgejagt und dummerweise auf ein Riff gelaufen. Batuti jedoch war dieser Umstand noch nicht bekannt, als er durch den Inseldschungel zum Westufer strebte. Er sollte erst etwas später davon erfahren.

Die „Isabella IX.“, die „Caribian Queen“ und die „Le Griffon“ ankerten an der unteren Ostküste von East Caicos hinter einer vorgelagerten kleinen Insel. Die drei Schiffe hatten geleichtert werden müssen, sonst konnten sie das Gefecht gegen den spanischen Dreier-Verband nicht aufnehmen, weil sie nicht wendig genug waren. Die Schatzlast hatte ihre Schnelligkeit und Manövrierfähigkeit beeinträchtigt. Immerhin war es ein Schatz von immensem Umfang, und entsprechend fiel das Gewicht der Truhen, Kisten und Fässer aus.

Don Antonio de Quintanillas Privatschatz! Er gehörte jetzt nicht mehr ihm, sondern dem Bund der Korsaren. Und auch Alonzo de Escobedo und Konsorten konnten sich daran nicht mehr bereichern. Hasard hatte den Señores den Schatz sozusagen vor der Nase weggeschnappt.

Aber nicht nur deshalb war de Campos derart in Fahrt. Ihm ging es vor allem darum, den gefürchteten und berüchtigten „El Lobo del Mar“ zu jagen und zu stellen. Spaniens härtesten Feind! War de Mello denn verrückt, daß er sich diesen Bastard durch die Lappen hatte gehen lassen?

Nein, er war keineswegs verrückt, dieser Capitán Don Gaspar de Mello. Er hatte aus vernunftmäßigen Erwägungen gehandelt, als er die Bucht bei Batabanó im Süden Kubas kampflos geräumt hatte. Der Seewolf hatte ihn abziehen lassen. Dabei hätte er die „San Sebastian“ mit seiner Übermacht von Schiffen mühelos versenken können.

Ein Mann wie de Campos begriff dies nicht. Als de Mello nach Havanna zurückgekehrt war und Bericht erstattet hatte, hatte ihn der Generalkapitän heruntergeputzt, denn seiner Meinung nach hätte de Mello den Gegner in der Bucht bei Batabanó „zerschmettern“ müssen. De Campos’ Reaktion war spontan und zornig zugleich gewesen: mit der „Sant Jago“, der „San Sebastian“ und der „Monarca“ war er ausgelaufen, den Seewolf das Fürchten zu lehren.

Damit klappte es allerdings nicht so ganz. Die Bucht bei Batabanó hatte man verlassen vorgefunden, wie nicht anders zu erwarten war. Doch wenigstens hatte man die vier Kerle Luiz, Pablo, Marco und Felipe schnappen können, die zu der Crew des Diego Machado gehört hatten. Die vier hatten wertvolle Hinweise geben können – was den Kurs des Feindes betraf. Luiz, Marco, Pablo und Felipe befanden sich inzwischen an Bord der „Sant Jago“ und versahen als Decksleute ihren Dienst. Von de Campos als Capitán waren sie genauso begeistert wie alle anderen Männer der „Sant Jago“, nämlich gar nicht.

Nun, da de Campos seinen Gegner endlich gefunden hatte, gab es „technische“ Zwischenfälle. Das mit dem Auflaufen war nicht eingeplant gewesen. Aber natürlich war es wieder mal de Mellos Schuld, daß etwas schiefgegangen war. Dieser Narr hatte nicht aufgepaßt! Nur deswegen war er aufgebrummt. Einer mußte der Sündenbock sein, und keiner eignete sich besser für die Rolle als dieser Gaspar de Mello.

Die Geschehnisse gingen Batuti durch den Kopf, während er weiter vordrang. Gleichzeitig hielt er immer wieder Ausschau. Konnten im Dickicht Feinde lauern? Gab es irgendwo Fallen? Oder war East Caicos unbewohnt, wie die Männer des Bundes der Korsaren eigentlich bereits angenommen hatten?

Der Gambia-Mann war geneigt, daran zu glauben. Er witterte keinen Feind – der Verdruß, der „in der Luft“ lag, schien aus einer anderen Richtung zu nahen. Was es damit genau auf sich hatte, würde er noch herausfinden, so schwor sich Batuti. Eingeborene, beispielsweise Insel-Karaiben, Arawaks oder ähnliche Stämme, schienen auf East Caicos nicht zu, existieren. Man hatte ja auch keine Boote gesehen, keine Hütten im Dickicht.

Und die Schnapphähne, die Piratenbanden, die man überall in der Karibik antraf? Nun, auf East Caicos schienen sie sich nicht angesiedelt zu haben, sonst hätten sie sich schon gezeigt. Wo es was zu plündern und zu klauen gab, waren diese Schakale sofort zur Stelle. Hätten sie die Schatzkisten und Schatztruhen gesehen, die von den Schiffen an Land geschafft wurden, wären ihnen sicherlich die Augen aus den Höhlen gequollen. Aber das Manöver der Mannen vom Bund der Korsaren verlief ungestört. Nicht einmal die Spanier konnten daran etwas ändern. Die hatten zur Zeit mit sich selbst genug zu tun.

Raubkatzen? Batuti wußte, daß man nur auf dem Festland auf sie stoßen konnte, nicht auf einer Insel. Hier hatte man es eher mit kleinerem Getier zu tun, mit Affen und Bisamratten, die aber für den Menschen keine Bedrohung darstellten.

Kaimane konnten an den Wasserläufen lauern, die sich über die Insel schlängelten. Batuti hielt sich den Bächen und Tümpeln fern und bewegte sich auf trockenem Boden voran. Nur eine Gefahr war stets gegenwärtig – die der Giftschlangen.

Plötzlich verharrte der Gambia-Mann und duckte sich. Blitzschnell nahm er den Bogen zur Hand und legte einen Pfeil auf. Er spannte die Sehne und fixierte das Dickicht. Richtig, er hatte sich nicht getäuscht: Dort regte sich etwas.

Batuti stand völlig starr da, nicht einmal seine Lider zuckten. Was immer sich im Gestrüpp verborgen hielt, gleich mußte es sichtbar werden. Es bewegte sich auf ihn zu. Da – jetzt kroch es unter den lappigen Blättern der Mangroven hervor.

Eine dicke Kröte! Batuti atmete auf, grinste und ließ den Bogen langsam wieder sinken. Doch jäh wurde seine Aufmerksamkeit von einer anderen Bewegung gefesselt. Von rechts näherte sich ein zweites Tier. Eine Giftschlange!

Wieder hob Batuti den Langbogen. Er wußte, daß er die Schlange, die nur ein schmales Ziel bot, mit Sicherheit treffen würde. Er war ein guter Schütze, das hatte er immer wieder bewiesen, wenn er mit Big Old Shane bei den Gefechten Zielschießen auf gegnerische Takelagen veranstaltete. Aber noch zögerte er. Hatte die Schlange es auf ihn abgesehen – oder auf die Kröte?

Die Schlange war über einen Yard lang und rot und gelb gezeichnet Batuti kannte die Art, sie gehörte zu den giftigsten im Bereich der Karibik und des südlichen Amerikas. Der Biß dieses Reptils war absolut tödlich. Es gab kein Gegenmittel, und auch ein mutiger Messerschnitt über der Bißwunde, der das Blut aus der Blessur laufen ließ, half nichts. Wen diese Schlange mit ihren dolchspitzen, winzigen Zähnen packte, der war verloren.

Jetzt stand es fest: Die Schlange glitt auf die Kröte zu. Nur noch wenige Zoll trennten sie von dem behäbigen; aufgequollen wirkenden Tier, da hob sie ihren Kopf und öffnete das Maul. Ein feiner, zischender Laut erklang. Die dünne, gespaltene Zunge schoß hervor, die Giftzähne waren zum Zuschnappen bereit.

Die Kröte verharrte. Plötzlich war sie wie gebannt. Ihr ängstlicher Blick richtete sich auf die Schlange. Statt sich in Sicherheit zu bringen, blieb die Kröte auf dem Fleck hocken.

Batuti verfolgte die Szene mit wachsendem Interesse. Er sah, wie sich die Blicke beider Tiere ineinander verfingen. Die Kröte war wie gelähmt. Ähnliche Begebenheiten kannte der schwarze Herkules aus seiner Heimat. Tatsächlich waren Schlangen wie diese imstande, ihre Beutetiere zu hypnotisieren. Sie versetzten sie in Trance und verschlangen sie.

Die Schlange schob sich näher an die Kröte heran. Die Kröte rührte sich nicht. Jetzt war es nur noch eine Sache von Augenblicken. Zupacken, zubeißen, vertilgen, die Kröte war verloren.

Batuti wollte den Lauf der Natur nicht aufhalten. Doch die dicke Kröte tat ihm irgendwie leid. Deshalb angelte er sich vorsichtig einen Ast, der nur einen halben Yard rechts von ihm am Boden lag. Der Ast wies vorn eine Gabel auf – ideal für Batutis Vorhaben.

Die Schlange beobachtete das Handeln des großen dunkelhäutigen Mannes nicht. Sie hatte nur noch Augen für ihr Opfer. Die Kröte schien sich in einen Stein verwandelt zu haben. Ihr Ende war gewiß – und doch kam es anders.

Batuti hatte den Pfeil weggesteckt und sich den Langbogen wieder über die Schulter gehängt. Er hielt nun den Ast in der rechten Faust und bewegte sich vorsichtig. Er tat zwei Schritte nach rechts und stand fast unmittelbar über dem Schwanz der Schlange.

In seiner Kindheit hatte Batuti gegenüber seinen jungen Stammesbrüdern viele Mutproben abgelegt. Das Einfangen von Giftschlangen gehörte dazu. Man mußte nur wissen, wie man es anzustellen hatte. Befand sich die Schlange in Angriffsposition wie jetzt, war sie abgelenkt. Auch wenn sie döste oder gerade richtig vollgefressen war, konnte man sie einfangen.

Wehe aber, sie hatte es auf einen selbst abgesehen! Dann konnte man sich nur mit einer Waffe verteidigen und mußte dabei noch aufpassen, im richtigen Moment zuzuschlagen oder zu stechen.

Der Gambia-Mann hob den Ast, die Gabel bewegte sich auf den Hals der Schlange zu. Eine energische, entschlossene Bewegung, und Batuti drückte den Kopf des Tieres auf den Boden. Die Schlange zischte und zuckte, aber er ließ sich nicht beirren.

Er packte sie am Schwanz und hob sie hoch. Entgegen der Annahme, die Schlange könne auch jetzt noch zubeißen, war das Tier bewegungsunfähig. Schlaff hing sie nach unten. Nur wirkliche Experten wußten darüber Bescheid und trauten sich auch zu, eine Schlange entsprechend zu überrumpeln. Es gehörte eine ordentliche Portion Mut dazu.

Batuti grinste und trug die Schlange ins Dickicht. Nicht weit entfernt gluckerte ein Bachlauf. Es schritt bis an das Ufer und ließ das Tier ins Wasser fallen. Da es sich um keine typische Wasserschlange handelte, hatte das Reptil seine Schwierigkeiten, wieder ans Ufer zu gelangen. Heftig schlug es mit dem Schwanz hin und her, tauchte auf und hielt verzweifelt auf das Ufer zu.

Batuti sah noch, wie die Schlange auf der anderen Seite an Land kroch, dann wandte er sich ab und kehrte zum Schauplatz des Geschehens zurück. Die Kröte war verschwunden.

Gut für dich, mein Freund, dachte der Gambia-Mann. Dann setzte er seinen Weg fort. Er beschleunigte seine Schritte und trachtete, den Zeitverlust wieder auszugleichen.

Das Gelände stieg an. Bald hatte Batuti eine dicht bewaldete Anhöhe erreicht. Sollte er auf einen Mangrovenbaum oder eine Zypresse klettern und Ausschau halten? Nein – Hasards Befehle waren eindeutig und nicht zu umgehen. Batuti sollte sich am Westufer postieren, nur von dort aus hatte er den richtigen Ausblick.

Batuti strebte weiter vorwärts. Es wurde ungewöhnlich heiß, er begann zu schwitzen. Der Dschungel atmete Feuchtigkeit aus, überall dampft es, und der Dunst stand in dichten Schwaden zwischen den Bäumen und Sträuchern.

Kündigte sich ein Wetterumschwung an? Der Gambia-Mann richtete seinen Blick zum Himmel. Nein – nirgends war auch nur die kleinste Wolke zu sehen, und das Kobaltblau, das sich wie eine Kuppel über den Inseln spannte, schien auch für die nächsten Tage anhaltend schönes Wetter zu versprechen.

Batuti wußte, daß das eine Täuschung sein konnte. Manchmal änderte sich die Wetterlage sehr schnell und völlig unerwartet. Von einer Stunde auf die andere konnte es Sturm geben. Das hing in erster Linie von der Windrichtung ab. Noch wehte der Wind aus Nordosten. Vielleicht dreht er in der Nacht, dachte Batuti. Sicher war er aber nicht.

Etwas später geriet Batuti in einen Bereich der Insel, in dem es wieder kühler wurde. Die schwarze Erde war naß und morastig. Wieder sah der Gambia-Mann eine Schlange, aber sie nahm vor ihm Reißaus, als er sich näherte.

Hundert Schritte weiter öffnete sich der Wald. Batuti glitt in eine Senke hinunter, deren Grund aus einem glitzernden See bestand. Wasservögel stiegen kreischend auf, als er am Ufer vorbeilief. Mit langen Sätzen eilte der schwarze Riese auf die Kuppe des nächsten Hügels. Von hier aus konnte er das Westufer von East Caicos bereits sehen.

Die Sonne hatte sich rötlich gefärbt. Bald würde sie als glühender Ball im Westen in der See versinken. Batuti lief durch eine Dünenlandschaft, in der Buschgruppen wucherten. Er entdeckte eine Schildkröte, die ihn aus schmalen, halb blinden Augen musterte. Etwas weiter entfernt kreisten Möwen über dem Wasser.

Batuti stieg auf einen Dünenkamm. Er konnte das Seewasser jetzt riechen und die Brandung rauschen hören. Vorsichtshalber legte er sich auf den Bauch und robbte das letzte Stück. Er blieb zwischen dichtem Strandhafer liegen und holte das Spektiv hervor. Er zog es auseinander und richtete es über den Strand und die Brandung hinweg auf die Passage, die sich jetzt vor ihm ausdehnte.

Die beiden spanischen Kriegsgaleonen waren durch die Optik wie zum Greifen nah. Batuti konnte die Gestalten der Männer an Deck deutlich erkennen und verfolgte auch, was sie taten. Ja, sie gaben sich wirklich Mühe. Die Männer der „Monarca“ halfen der Besatzung der „San Sebastian“. Man hatte zwei Heckanker ausgebracht, mit deren Hilfe versucht wurde, die „San Sebastian“ vom Riff zu ziehen.

Recht so, dachte Batuti, und wieder mußte er grinsen. Müßiggang ist aller Laster Anfang. Arbeitet mal fleißig, es wird euch nicht schaden!

Don Juan de Alcazar, der sich mit seiner Taina an Bord der „Empress of Sea II.“ befand, hatte Don Diego de Campos an Bord des Flaggschiffes „Sant Jago“ sehr wohl erkannt. Nur durch Don Juan wußten die Männer des Bundes, mit wem sie es zu tun hatten. Don Juan hatte auch zu berichten gewußt, daß dieser Generalkapitän ein knarscher Eisenfresser war – ein Kerl also, der alles, was er sich in den Kopf setzte, unbedingt verwirklichen wollte.

So war es de Campos’ Schuld, daß die „San Sebastian“ auf dem Riff festsaß. De Campos hätte gar nicht in die Passage segeln dürfen, es war unverantwortlicher Leichtsinn gewesen. Hasard und seine Mannen hingegen hatten den „Heimvorteil“ – sie kannten sich bestens aus.

Insofern konnte Batuti die Dons auf der „San Sebastian“ und der „Monarca“ eigentlich nur bedauern. Sie mußten ausbaden, was der Señor Generalkapitän ihnen eingebrockt hatte. Und sie konnten noch von Glück sagen, daß der Feind inzwischen nicht angriff.

Der Seewolf kannte Don Gaspar de Mello von der Bucht bei Batabanó her und schätzte ihn richtig ein. De Mello war ein besonnener, kluger Mann. Wie konnte er mit de Campos auskommen? Er hatte sich schon in Havanna mit dem Generalkapitän zusammenraufen müssen, aber wie lange würde der Burgfrieden dauern? Sicher, de Campos führte das Oberkommando, man hatte sich ihm zu beugen. Aber wenn er den Bogen überspannte, konnte es Unheil geben.

Meuterei, dachte Batuti. Ewig lassen sich die Capitáns der beiden Galeonen dort das Spiel auch nicht gefallen. Irgendwann riß ihnen der Geduldsfaden.

Er konnte sie fluchen und schimpfen hören. Natürlich waren sie wütend auf de Campos, dem sie diese Schlappe zu verdanken hatten. Batuti hatte das deutliche Gefühl, daß sich etwas zusammenbraute.

Das ist es wohl, was in der Luft liegt, dachte er – oder? Wieder hob er den Kopf und schaute zum Himmel auf. Nein, kein Wölkchen war zu sehen. Und der Wind wehte nach wie vor handig bis frisch aus Nordosten. Weit und breit waren auch keine anderen Schiffe zu entdecken, die möglicherweise in das Geschehen eingreifen konnten. Es blieb beim bisherigen Kräfteverhältnis: drei spanische Kriegsgaleonen gegen die „Isabella“, die „Caribian Queen“, die „Le Griffon“ und die „Empress of Sea II.“ Daran würde sich gewiß auch nichts ändern.

Der Gambia-Mann beobachtete weiterhin, was sich an Bord der beiden Kriegsschiffe tat. Er schätzte ab, wieviel Zeit die Spanier noch brauchten, um die „San Sebastian“ wieder flottzukriegen. Noch vor Einbruch der Dunkelheit läuft sie wieder aus, überlegte er.

Tatsächlich gelang es den Spaniern mit vereinten Kräften, die „San Sebastian“ bis zur Dämmerung mit Hilfe der beiden ausgebrachten Heckanker wieder freizuhieven. Allein hätte die Besatzung der Galeone es allerdings nicht geschafft.

Die Männer der „Monarca“ unter dem Kommando ihres Capitáns Juan de Alvarez befanden sich mit an Bord der „San Sebastian“. Sie spuckten ebenfalls in die Hände und halfen tüchtig mit. Als die Galeone von der Unterwasserbarriere glitt und endlich wieder freischwamm, stießen sie begeisterte Rufe und Pfiffe aus.

De Mello und de Alvarez ließen die Männer johlen. De Mello gab seinem Ersten Offizier sogar die Anweisung, eine Extraration Branntwein auszuteilen – was auch wieder seitens der Mannschaft mit Hurrarufen quittiert wurde.

„Recht so“, sagte de Alvarez. „Den Schnaps haben sich die Männer redlich verdient.“

„Das finde ich auch“, erwiderte de Mello. „Nur wäre de Campos nicht damit einverstanden. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, sagt er.“

De Alvarez schnitt eine Grimasse. „Er sagt so manches, was mir gegen den Strich geht.“

„Juan, Sie wissen, wie gefährlich es ist, gegen ihn aufzubegehren“, sagte de Mello.

Der Kapitän der „Monarca“ nickte. „Und ob ich das weiß. Aber zur Zeit befindet er sich ja nicht in Reichweite, der Señor Generalkapitän. Entschuldigen Sie, mein lieber Gaspar, aber auch ich muß mir mal ein bißchen Luft verschaffen.“

Sie waren weiß Gott sehr unterschiedliche Männer, dieser Don Gaspar de Mello und dieser Juan de Alvarez. Doch in zwei Punkten waren sie sich völlig einig, ohne erst groß darüber sprechen zu müssen: Don Diego de Campos war in ihren Augen ein unfähiger Narr – und das Wohl der Schiffsmannschaften war wichtiger als jeder strategische Erfolg.

De Campos hingegen war überzeugt, daß de Mello ein Versager und de Alvarez auch keine große Leuchte sei. Im übrigen galt es, den Feind zu stellen und niederzukartätschen. Er mußte sozusagen in der Luft zerfetzt werden. Zerschmettern mußte man ihn. Ob die Schiffsmannschaften dabei verheizt wurden, war zweitrangig. Ausschlaggebend war nur das Ergebnis. Der Zweck heiligte die Mittel. So einfach war das.

So einfach machten de Mello und de Alvarez es sich aber nicht. Ihre Offiziere, die Seeleute und die Seesoldaten wußten es. Sie segelten gern unter dem Befehl ihrer Kapitäne, nicht aber unter dem Kommando des Don Diego de Campos. Auf der „Sant Jago“ waren auch die meisten Männer gegen de Campos eingestellt. Viel lieber wären sie auf der „San Sebastian“ oder auf der „Monarca“ gefahren.

Aber so war das nun mal im Leben. Die Rollen waren ungerecht verteilt. Wer das Pech hatte, auf der „Sant Jago“ seinen Dienst tun zu müssen, der hatte nichts zu lachen. De Campos ließ nichts durchgehen und ahndete rigoros jedes Vergehen gegen die Borddisziplin und das militärische Reglement. Wer auch nur ausrutschte, der empfing Hiebe.

Luiz, Pablo, Marco und Felipe, die Neulinge an Bord des Flaggschiffes, hatten gleich in der Bucht bei Batabanó einen Vorgeschmack auf das erhalten, was sie erwartete: sozusagen zur Begrüßung hatte de Campos ihnen die Neunschwänzige verabreichen lassen. So wußten sie, woher der Wind wehte. Sie richteten sich danach. Aber leicht fiel es ihnen nicht, zu kuschen. Immer wieder gärte es, manchmal roch es nach Meuterei.

De Mello und de Alvarez wußten von dieser Stimmung an Bord des Flaggschiffes. Aber sie wollten das Feuer nicht noch mehr schüren, das da glomm. De Campos war nun einmal der Generalkapitän. Er wollte den Seewolf jagen? Bitte schön. Aber bei der Jagd würde es bleiben. Fangen würde er ihn nicht. Dazu war dieser englische Korsar viel zu gerissen.

Der Erste Offizier der „San Sebastian“ reichte auch den beiden Kapitänen je eine Muck mit Branntwein. Zuerst blickten sich de Mello und de Alvarez zögernd an. Dann nickte de Alvarez noch einmal – und grinste.

„Na los“, sagte er. „Zum Wohl!“

De Mello nahm die Muck entgegen, de Alvarez stieß mit ihm an. Sie tranken, und der scharfe Schnaps brannte in ihren Kehlen. O Gott, wenn der Alte das merkt, dachte de Mello. Er braucht nur unsere Fahnen zu riechen, dann sind wir dran.

Die Sonne näherte sich blutrot der Kimm, bald würde sie untergehen. Die Nacht warf ihre ersten Schatten. Die Dämmerung kroch heran und schlich über die Insel East Caicos. Die „San Sebastian“, die infolge eines Ausweichmanövers in der Passage auf das Riff gebrummt war, schwamm nun endlich wieder frei. Lecks waren nicht vorhanden. Das Ganze war also noch recht glimpflich abgelaufen.

Aber beide Kommandanten konnten nicht verbergen, daß sie verdammt schlecht auf ihren Verbandschef zu sprechen waren. Man sah ihnen an, wie gern sie mit ihm abgerechnet hätten.

Juan de Alvarez reichte seine leere Muck an den Ersten Offizier der „San Sebastian“ zurück.

„Besten Dank“, sagte er zu Capitán de Mello. „Nun, es bleibt mir dann wohl nichts anderes übrig, als an Bord meines Schiffes zurückzukehren.“

„Ich habe Ihnen zu danken, Juan“, sagte de Mello.

„Das ist doch nicht der Rede wert.“

„Ich weiß Ihre Hilfe sehr zu schätzen.“

„Das war völlig selbstverständlich“, entgegnete de Alvarez. „Aber die Frage ist, was wir jetzt tun.“

„Natürlich folgen wir der ‚Sant Jago‘“, antwortete de Mello.

„Ja, zum Teufel, ja“, brummte de Alvarez. „Aber wo sollen wir nach ihr suchen?“

„Der einzige Anhalt ist die ursprüngliche Südwestrichtung“, erwiderte der Kapitän der „San Sebastian“. „Auf diesen Kurs sollten wir also gehen.“

„Aber wir reißen uns kein Bein aus, wie?“

De Mello mußte nun ebenfalls grinsen. „Einverstanden.“

Wie zwei Verschwörer blickten sie sich an. Dann ging de Alvarez von Bord und setzte wieder zur „Monarca“ über. Er enterte an der Jakobsleiter auf, betrat das Achterdeck und gab seine knappen, klaren Befehle.

Antigua und Bonifacio, zwei der ältesten Seeleute an Bord der „Monarca“, standen auf der Kuhl nebeneinander und blickten zu ihrem Kapitän hoch.

„Der ist ganz schön sauer“, sagte Antigua. „Und recht hat er. Ich könnte de Campos den Hals umdrehen.“

„Der Kerl ist total verrückt“, meinte Bonifacio.

„Wenn er das wirklich wäre, könnte man ihn noch entschuldigen“, sagte Antigua mit ernster Miene. „Aber sein Zustand ist viel schlimmer, wenn du mich fragst. De Campos hat durch sein bisheriges Verhalten nicht gezeigt, daß er nach den Regeln guter Seemannschaft handelt.“

„Ein kluger Spruch“, erwiderte Bonifacio. Er war ein nicht sehr großer und auch nicht sehr kompakt gebauter Mann, aber in seinem hageren Leib steckten große Energien. Die dunklen Augen in seinem verschrumpelten Apfelgesicht blickten traurig wie die eines Hundes. Er lächelte nur selten, war aber kein Miesepeter, sondern ein guter Kamerad. „Du bist ja auch der Schlauere von uns beiden“, fuhr er fort. „Kannst lesen und schreiben. Wenn du’s sagst, muß es stimmen.“

„Das weißt du auch selbst“, sagte Antigua. Sein Haupthaar war weiß, aber immer noch dicht. Ein gestutzter Vollbart beherrschte sein Gesicht. „Das merkt ein Blinder. Auch ein Taubstummer. Man spürt es ja, wie unser Generalkapitän ist. Und er hat uns sein wahres Gesicht jetzt so richtig gezeigt.“

„Ich bin noch nicht so lange in Havanna wie du“, sagte Bonifacio. „Aber er stinkt mir, der Señor. Und wie er mir stinkt.“

„Trotz der Warnungen de Mellos, die er in den Wind geschlagen hat, ist er bei der Verfolgung der Engländer in die Passage gesegelt“, sagte Antigua. „Das hätte er niemals tun dürfen.“

„Und dann dieses Wendemanöver“, murmelte Bonifacio.

„Einfach unglaublich“, sagte der Weißhaarige. „Seine Kerle haben es glatt verpatzt.“

In der Tat – die „Sant Jago“ war achteraus getrieben, als der Mannschaft das Wendemanöver mißlungen war. Dies wiederum hatte zur Folge gehabt, daß de Mello mit seiner „San Sebastian“ ausweichen mußte. Andernfalls hätte er die „Sant Jago“ – logisch – gerammt. Daß die „San Sebastian“ also auf ein Riff gelaufen war, war nur die Konsequenz des Ausweichens. Dennoch war es in den Augen von de Campos de Mellos Schuld, daß sich alles so entwickelt hatte.

„Ein dicker Hund“, murmelte der Mann mit dem verschrumpelten Gesicht. „So was von wahnwitzig. Nein, ich werde das nicht wieder vergessen. Aber das hundsgemeine an der Geschichte ist, daß sich der Señor Generalkapitän nicht mal die Mühe bereitet hat, uns aus der Patsche zu helfen.“

Auch das war ein „feiner Zug“ von de Campos gewesen. Statt gemeinsam mit der „Monarca“ die „San Sebastian“ vom Riff zu ziehen, hatte der Generalkapitän sich weiter durch die Passage schleppen lassen. Er wollte sie unbedingt bewältigen, um sofort den „Piraten“ nachsetzen zu können.

Den Verbandsführer trieb die Ruhmsucht, den Seewolf zur Strecke zu bringen. Aber sein Schleppmanöver war gleichfalls ein Fehlschlag geworden, denn mit sechs Jollen war der schwere Brocken von Flaggschiff nicht auf Dauer durch die Passage zu ziehen. Die Kräfte der Bootsgasten – das hatte auch de Campos schließlich zähneknirschend einsehen müssen – reichten dazu nicht aus.

So war de Campos mit seiner „Sant Jago“ wieder umgekehrt – dieses Mal unter Segeln. Er entdeckte die vorbeisegelnde „Empress of Sea“. An Bord dieses kleinen, aber wendigen Schiffes befand sich der „Verräter“ Don Juan de Alcazar mit einer halbnackten Wilden. Auch diesen Hund mußte man stellen, denn er war ein Feind und eine Schande der spanischen Nation!

So hatte de Campos sofort den Befehl gegeben, die Verfolgung der flinken Dreimast-Karavelle aufzunehmen. Als er bei dieser neuen Jagd die „Monarca“ und die „San Sebastian“ passierte, brüllte er nur hinüber: „Mir folgen, wenn die ‚San Sebastian‘ wieder frei ist!“

So lautete also der letzte Befehl von Don Diego de Campos. An diesen Befehl waren Don Gaspar de Mello und Juan de Alvarez gebunden – leider, wie sie einhellig meinten. Denn sie wußten ja nur, daß die „Sant Jago“ hinter der kleinen Karavelle her nach Südwesten gebraust waren. Beide Schiffe waren längst außer Sicht. Von Sicht konnte auch keine Rede mehr sein, es wurde jetzt zusehends dunkler.

Ferner: Beide Kommandanten konnten auch nur die Köpfe schütteln, denn die kleine schnittige Karavelle war dem Flaggschiff an Geschwindigkeit und Wendigkeit haushoch überlegen. Dieser Idiot von einem Generalkapitän jagte einem Phantom nach! Wo also jetzt nach der „Sant Jago“ suchen, noch dazu bei Dunkelheit? De Mello hatte recht: Man konnte sich nur nach Südwesten wenden, eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Die „San Sebastian“ und die „Monarca“ gingen auf Kurs. Sie blieben auf Sichtweite nebeneinander. Der Wind wehte nach wie vor aus Nordosten. Daß sie vom Westufer der Insel East Caicos bei ihrem Manöver beobachtet wurden, ahnten die Spanier nicht. Die Ausgucks der Galeonen konnten den schwarzen Mann, der in den Dünen lag, nicht entdecken. Er verstand es zu gut, sich zu tarnen.

Dennoch war es für ältere, erfahrene Seeleute wie Antigua und Bonifacio klar, daß es noch ein übles Nachspiel gab.

„Diese Engländer werden uns noch die Zähne zeigen“, sagte der Weißhaarige. „Paß nur auf. Vielleicht kehren wir nie wieder nach Havanna zurück.“

Bonifacio bekreuzigte sich. „Hör bloß auf. Beschwör’s nicht noch herauf.“

„He, ihr beiden“, sagte de Alvarez. „Was habt ihr denn zu bekakeln?“

„Nichts Besonderes, Señor“, erwiderte Antigua. „Wir fragen uns nur, wo die ‚Sant Jago‘ abgeblieben sein mag.“

„Das frage ich mich auch“, entgegnete der Kapitän. Er hob wieder den Kopf und schaute voraus. Wo steckte de Campos – und was hatte er wieder angerichtet?

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 490

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