Читать книгу Seewölfe Paket 30 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 48
7.
ОглавлениеDer Sensenmann betrat das Deck der „São Pedro“, die in einem abgelegenen Teil des Hafens gemächlich an der Ankertrosse schwoite. Hier herrschte weniger Betriebsamkeit, und kaum jemand nahm von der Zweimastkaravelle und ihrer Crew Notiz.
Die Schnapphähne waren schon vor Tagesanbruch von ihrem zwielichtigen Kloster aus nach Lissabon gesegelt, um Einkäufe zu erledigen und ihren einträglichen Nebengeschäften nachzugehen.
„Ich muß dringend Antonio sprechen“, sagte der dürre Rodrigo zu Miguel Fernandez. „Ist er an Bord?“
Der kleine, stämmige Mann deutete mit dem Daumen nach achtern.
„Er sitzt in seiner Kammer und säuft“, lautete die lapidare Antwort.
„Da weiß ich Besseres für ihn zu tun“, sagte der Sensenmann und verschwand gleich darauf mit wehender Kutte in den Aufbauten des Achterdecks.
Antonio Gonzales hockte in der Tat vor einem Tonkrug, der mit Rotwein gefüllt war. Daneben lag eine zusammengerollte Seekarte auf der rissigen Platte des schweren Eichentisches. Eine blakende Tranlampe warf bizarre Schatten gegen die Wände der Kapitänskammer, die mehr einer schmuddeligen Räuberhöhle glich.
„Du bist schon zurück, Rodrigo?“ fragte er verwundert. „Habt ihr das ganze Zeug schon verkauft, oder gibt es irgendwelche Neuigkeiten?“
Der Sensenmann lächelte vielsagend.
„Wie man’s nimmt“, erwiderte er. „Die Geschäfte laufen bestens. Außerdem habe ich auf dem Marktplatz etwas beobachtet, das sich vielleicht recht gut für uns auszahlen könnte.“
Antonio Gonzales begriff. „Nimm dir einen Becher aus dem Schapp und setz dich zu mir, Rodrigo.“
Der Sensenmann gehorchte nur zu gern und goß sich den Rotwein, den Gonzales ihm einschenkte, gierig in die Kehle.
„Und jetzt schieß los“, sagte Gonzales. „Was hast du beobachtet?“ Sein Blick wurde lauernd wie der einer hungrigen Raubkatze.
Rodrigo räusperte sich.
„Die Sache ist so“, begann er. „Mir sind auf dem Marktplatz acht Kerle aufgefallen, die damit beschäftigt waren, größere Mengen Lebensmittel einzukaufen. Daraus schloß ich, daß sie zu einer Schiffsbesatzung gehörten, die ihren Proviant ergänzte …“
„Weiter!“ unterbrach Antonio Gonzales ungeduldig. „Das ist nichts Besonderes.“
„Nur langsam, Antonio, ich bin noch nicht am Ende.“ Der Sensenmann redete jetzt etwas schneller. „Zwei von den Kerlen lauschten hingerissen meiner Rede und kauften schließlich das Lebenselixier. Einer von ihnen war ein alter grauhaariger Bursche mit einem Holzbein, der andere ein etwas grobschlächtiger, bulliger Kerl. Ich habe von jedem zehn Silbermünzen für die Brühe verlangt, und wider Erwarten haben sie den hohen Preis anstandslos bezahlt. Doch nicht nur das hat mich in Erstaunen versetzt, sondern es waren vielmehr die raffiniert gearbeiteten Gürtel, die die Kerle umgeschnallt hatten. Ich sage dir, mir gingen fast die Augen über, als ich sah, wie prall diese Gürtel mit Gold- und Silbermünzen gefüllt waren, obwohl es sich meiner Meinung nach bei den Burschen nur um einfache Decksleute handelte. Also: Da ist garantiert was zu holen. Wenn die alle so gut bestückt sind, muß ihr Kapitän regelrecht in Gold schwimmen. Vielleicht ist er ein reicher Kaufmann, oder aber die Burschen sind von der anderen Seite und haben einen ergiebigen Beutezug hinter sich gebracht.“
Gonzales leerte seinen Becher.
„Das klingt nicht schlecht“, sagte er. „Was hast du in der Sache noch unternommen?“
„Ich habe Manuel losgeschickt. Es war kein Problem, ihnen bis zu ihrem Schiff zu folgen. Sie gehören zu einer großen dreimastigen Schebecke, die an einem Steg vertäut hat und die spanische Flagge führt. Die Kerle sind in der Tat voll damit beschäftigt, Proviant und Wasser zu fassen.“
„Sehr gut.“ Gonzales nickte zufrieden. „Hat Manuel herausfinden können, wer der Kapitän ist?“
„Noch nicht“, erwiderte Rodrigo, „aber das dürfte nicht besonders schwierig werden. Wenn die Burschen ihre Arbeit getan haben, werden sie bestimmt die Kneipen aufsuchen. Dabei wird sich rasch herausstellen, wer das Sagen hat.“
Antonio Gonzales füllte erneut die Rotweinbecher.
„Wir werden uns diese Goldfasane schnappen“, entschied er. „Wenn wir erst den Kapitän am Kragen haben und ihm ein bißchen Feuer unterm Hintern entfacht haben, werden die Kerle schnell die prallgefüllten Gürtel abschnallen und auch sonst alles zusammenkratzen, um ein ordentliches Lösegeld zahlen zu können.“ Er griff nach dem Becher. „Zum Wohl, Rodrigo, trinken wir auf ein gutes Gelingen!“
Nachdem er zusammen mit dem geschäftstüchtigen Rodrigo den Tonkrug geleert hatte, wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund.
„Hol Miguel her“, sagte er. „Wir haben noch einiges zu besprechen. Wer ein gutes Geschäft tätigen will, darf die gründliche Planung nicht vergessen.“
„La Bodega“ hieß die Kneipe, die Carberry zur Weinprobe auserkoren hatte. Sie lag in einer schmalen Gasse in der Nähe des Hafens und bestand in der Hauptsache aus einem langgestreckten Kellergewölbe mit zahlreichen Nischen und Winkeln.
Der kleine, kugelrunde Wirt, der selbst wie ein Weinfaß aussah, verstand sich nicht nur hervorragend aufs Einschenken, sondern unterhielt zudem noch ein umfangreiches Verkaufslager.
Es war Spätnachmittag, und die Sonne stand noch immer hoch am Himmel. Die Arwenacks hatten mächtig geschwitzt, bis die eingekauften Vorräte samt den schweren Wasserfässern an Bord gebracht und unter Deck verstaut waren.
Natürlich hatte der Kutscher darauf bestanden, daß zuerst die dringend benötigten Lebensmittel eingekauft wurden. Für „Wein und anderes Gesöff“ war seiner Meinung nach hinterher noch genug Zeit.
In dem Kellergewölbe herrschte im Gegensatz zu draußen eine düstere Atmosphäre. Die Öllampen, die teils in den Nischen aufgestellt waren und teils an der Decke hingen, waren die einzigen Lichtquellen. Dennoch waren die rohgezimmerten Holzbänke gut besetzt.
Die Luft war stickig und warm. Der Geruch von Wein, Rum und Schweiß vermischte sich mit dem Dunst von gebratenen Fischen und geräuchertem Fleisch, der der angrenzenden Küche entströmte.
„So richtig gemütlich ist das hier“, sagte Carberry und streichelte beinahe liebevoll den riesigen Weinkrug, den der Wirt auf den Tisch gestellt hatte.
Es war bereits der dritte.
Die anderen Arwenacks, die ihren Profos bei der verantwortungsvollen Tätigkeit des „Vorkostens“ nach Kräften unterstützten, nickten zustimmend.
„Es hat schon seine Vorteile, wenn man kein Blondschopf ist“, meinte Blacky mit philosophischem Blick. „Die armen Teufel hocken jetzt an Bord und langweilen sich, während wir uns hier im Vorhof zum Paradies befinden und an dem herrlichen Vinho verde laben.“
Der schwarzhaarige, dunkeläugige Bursche spielte damit auf den Befehl des Seewolfs an, gemäß dem alle auffallend blonden Männer der Crew die Schebecke nicht verlassen sollten. Dafür gab es ja genug gute Gründe, wie sie alle wußten.
Der Profos teilte Blackys Mitleid mit den „Blondies“ und hatte auch gleich eine Erklärung für deren hartes Schicksal bereit.
„Die Rübenschweine können einem schon leid tun“, sagte er. „Es muß schlimm sein, wenn man statt Haaren Stroh auf dem Kopf hat. Wahrscheinlich sind sie schon als Windelpisser von ihren Müttern zu lange in die Sonne gelegt worden. Da muß man ja schließlich ausbleichen. Oder aber ihre Eierköpfe sind zu häufig geschrubbt worden. Es ist doch völlig klar, daß da alle Farbe abgehen muß.“
Also tranken die Arwenacks auch einen Becher auf das Wohl der „Blondies“. Da ihr Kapitän und Don Juan de Alcazar aus Sicherheitsgründen ebenfalls an Bord geblieben waren, obwohl sie schwarzhaarig waren, wurde der nächste Becher zu ihrem Wohl geleert. Diesem folgte je ein Becher für den freiwillig an Bord gebliebenen Ben Brighton, den rothaarigen Ferris Tucker und für Batuti, der wie seine Stammesgenossen in Gambia am ganzen Körper schwarz war.
O ja, die Arwenacks verstanden es schon, die Qualitätsprüfung für den herben und spritzigen Vinho verde mit dem mitleidigen Gedenken an jene zu verbinden, die auf die Gemütlichkeit dieser Kneipe verzichten mußten.
Nur – die Gemütlichkeit hatte einen Haken. Sie hielt nicht lange vor.
Während Carberry im Geiste durchrechnete, wie viele Weinfässer sie wohl im Stauraum der Schebecke unterbringen könnten, wurde er bei seiner verantwortungsvollen Tätigkeit empfindlich gestört.
Ein schmuddeliger und etwas angesäuselter Kerl von der Sorte, die auf den Piers und Stegen herumzulungern pflegte, törnte von einem der Nachbartische herüber und ließ sich unaufgefordert auf dem freien Platz neben Carberry nieder. Der Kerl stank nach Rum, Schweiß und Knoblauch, außerdem hielt er einen leeren Becher in der Hand.
„Die Señores haben doch nichts dagegen?“ fragte er mit einem unverschämten Grinsen und stellte seinen leeren Becher auf den Tisch. „Der Wein schmeckt gut, nicht wahr?“
Der Profos warf ihm einen kritischen Blick zu.
„Das haben wir schon selber festgestellt“, erwiderte er. Dann griff er zu der riesigen Kruke, um die Becher nachzufüllen.
„Wenn die Señores nichts dagegen haben, trinke ich gern einen Schluck mit“, ließ sich der schmierige Kerl vernehmen, als der Profos die Kruke wieder auf den Tisch setzte.
„Die Señores haben aber was dagegen“, knurrte der Profos. „Außerdem könntest du ruhig ein Stück von mir abrücken, ich brauche nämlich viel frische Luft.“
„Oh, der Señor ist ein Geizhals“, sagte der Kerl frech. „Und ich dachte schon, man würde einem armen Mann wie mir einen Becher Wein nicht abschlagen.“
Auf dem narbigen Gesicht Carberrys zogen Gewitterwolken auf. „Dann solltest du nicht soviel denken. Davon kriegt man nämlich rasch einen Sprung in die Schüssel. Außerdem, du abgetakelte Filzlaus: Wenn du mich noch mal als Geizhals bezeichnest, zeige ich dir mal, wie freigebig ich bin.“
Er gebrauchte den Ellbogen und schob den Schnorrer einfach ein Stück von sich weg. Das schien dem Kerl jedoch nicht zu passen.
„Nur langsam, du Geizkragen!“ rief er. „Ich möchte wenigstens meinen leeren Becher mitnehmen.“
Er sprang von der Bank hoch, kehrte zum Tisch zurück und griff nach seinem Weinbecher. Dabei stieß er blitzschnell gegen die Kruke. Sie stürzte um, zerbrach, und der restliche Rotwein floß über den Tisch. Die Arwenacks mußten aufpassen, daß ihre Kleidung nicht bekleckert wurde.
„Wohl bekomm’s“, sagte der Kerl grinsend und wollte sich mit dem leeren Becher in der Hand verziehen.
Doch da packte ihn eine riesige Pranke am dreckigen Hemdkragen.
„Diese Tour zieht bei uns nicht, du blaukarierter Mäusemelker“, stieß Carberry grollend hervor. Dann hob er den Kerl ein Stück an, um ihn wie ein Bündel Lumpen zum Ausgang zu befördern.
Das wollte sich der Schnorrer nicht gefallen lassen. Noch während ihn der Profos unter dem lauten Gegröle der anderen Zecher durch den Schankraum trug, blitzte plötzlich ein Messer in seiner Hand auf.
Der Profos erkannte die Gefahr und stieß den Kerl, um Abstand zu gewinnen, einfach ein Stück von sich.
Der Schnorrer hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Er prallte gegen den wuchtigen Schanktisch, fing sich jedoch wieder und stellte sich Carberry mit dem Messer entgegen.
„Geizhälse steche ich besonders gern ab!“ rief er mit keifender Stimme. Seine kleinen Schweinsaugen funkelten mordlüstern.
Doch damit konnte er den Profos nicht beeindrucken. „Pieksen willst du auch noch, was?“
Gleichzeitig glitt der Profos mit einer Behendigkeit, die dem bulligen Mann niemand zugetraut hätte, auf den Kerl zu. Er wich der Hand mit dem Messer, die ihm entgegenzuckte, geschickt aus, dann schlug er übergangslos zu.
Der Radaubruder empfing einen gewaltigen Fausthieb unters Kinn, ächzte wie ein vom Sturm gebeuteltes Schiff und krachte rücklings gegen eine der mächtigen Steinsäulen, die das Gewölbe abstützten. Während er wie ein schlaffer Mehlsack daran zu Boden rutschte, klirrte sein Messer auf die Steinfliesen.
Der Profos aber war noch nicht fertig mit ihm. Er packte den Kerl jetzt am Hemdkragen und Hosenboden und wuchtete ihn hoch.
„Und jetzt sorgen wir für Reinschiff“, versprach er. „Du darfst sogar im Wein baden, du Rübenschwein, und dann wollen wir mal sehen, ob du mich immer noch einen Geizhals nennst.“
Er marschierte mit dem zuckenden Bündel in den riesigen Pranken zum Tisch der Arwenacks zurück.
Diese hatten bereits in weiser Voraussicht ihre Becher und die Scherben des Weinkrugs von der Tischplatte genommen, so daß einem erfrischenden Bad des Schnorrers nichts mehr im Wege stand.
„Eine Wanne kann ich dir leider nicht bieten“, sagte der Profos, „dafür aber herben und spritzigen Vinho verde von der besten Sorte. Viel zu schade für einen stinkenden Molch wie dich.“
Der Schnorrer kreischte, quiekte und fluchte, aber das half ihm nichts. Carberry tauchte ihn in die große Rotweinlache und wischte mit ihm so lange den Tisch auf, bis kein Tropfen mehr zu sehen war.
Danach trug der Profos den Kerl zum Ausgang, enterte die Treppenstufen hinauf, die vom Gewölbe zur Gasse führten und ließ ihn mit kräftigem Schwung davonsegeln.
Den Kurs hatte er so abgesteckt, daß die Ladung direkt in einer schmutzig-grauen Wasserpfütze erfolgen mußte. Und das tat sie auch.
Der Bursche war bedient, und der Profos verspürte nach getaner Arbeit einen mächtigen Durst. Als er zu den Kameraden zurückkehrte, stellte der Wirt gerade einen neuen Weinkrug auf den Tisch und kehrte die Scherben in einen Abfalleimer.
„Vielen Dank, Señor“, sagte er. „Sie haben mir die Arbeit abgenommen. Ich habe den Kerl schon einige Male rausschmeißen müssen, weil er für Ärger gesorgt hat.“
„Gern geschehen“, sagte Carberry. „Ich bin für meine Hilfsbereitschaft bekannt. Im übrigen kann ich nur hoffen, daß sich mein Arbeitseinsatz in deiner gemütlichen Kneipe etwas auf die Weinpreise auswirkt. Wir möchten nämlich gern einige Fässer von dem Trank kaufen, den du uns schon die ganze Zeit über kredenzt hast.“
Der kugelrunde Wirt wurde hellhörig, wie immer, wenn ein Geschäft winkte.
„Oh, die Señores möchten eine größere Menge von diesem herrlichen Wein kaufen?“ fragte er.
„Ich sagte von dem Trank“, erwiderte Carberry. „Und ich hoffe, daß sich auch das auf den Preis auswirkt.“
Er deutete auf einen freien Platz, und der Wirt ließ sich dienstbeflissen dort nieder. Das Feilschen um Mengen und Preise begann und wurde von so mancher Weinprobe begleitet.
Als man sich endlich handelseinig geworden war und der Wirt noch zugesichert hatte, die bestellten fünf Fässer gleich am nächsten Morgen auf Karren zum Liegeplatz der Schebecke schaffen zu lassen, war es endlich an der Zeit, zur Prüfung des Rums überzugehen.
Schließlich war laut Carberry auch für ein solches Getränk vor dem Einkauf von größeren Mengen eine Qualitätskontrolle unerläßlich.
Die Arwenacks kontrollierten. Und sie taten es ausgiebig und mit Sachverstand.
Daß sie bereits seit Stunden beobachtet wurden, hatte bis jetzt keiner von ihnen bemerkt. Dazu war auch viel zuviel Betrieb in der Kneipe. Niemand konnte über einen längeren Zeitraum sämtliche Zecher im Auge behalten, selbst der Wirt wäre damit überfordert gewesen.
Der hochgewachsene, schlanke Mann mit dem glatten schwarzen Haar, der von einer nahegelegenen Nische aus das ganze Gewölbe überblicken konnte, trank seinen Wein aus und bezahlte seine Zeche. Danach verließ er unauffällig den Weinkeller.
Die Arwenacks traten zu diesem Zeitpunkt in die Endphase der Rumprüfung ein.
Der Profos schnalzte genießerisch mit der Zunge.
„Wenn du auch dafür einen Rabatt einräumst“, verkündete er dem Wirt, „bringe ich gern noch einigen Schnorrern das Segeln bei.“
Man wurde sich auch in bezug auf den Rum einig – ohne daß der Profos noch einmal die Fäuste gebrauchen mußte. Dann allerdings begannen sich die Seewölfe an eine gewisse Schebecke zu erinnern, die „vollbeladen mit Blondies“ an einem gewissen Steg lag.
„Es wird langsam Zeit, in die Kojen zu steigen“, mahnte Al Conroy und genehmigte sich einen letzten Schluck.
Old O’Flynn, dessen Blick etwas verklärt wirkte, pflichtete ihm mit eifrigem Nicken bei. Der Blick, den er draufhatte, war jedoch nicht nur auf den Rum und den Wein zurückzuführen – o nein, da steckte auch eine gewisse Vorfreude auf den ersten Schluck aus der Flasche mit dem Lebenselixier dahinter. Mit dieser heiligen Handlung nämlich gedachte er den ereignisreichen Tag würdevoll abzuschließen.
Nachdem der dicke Wirt mit einem zufriedenen Grinsen abkassiert hatte, brachen die Arwenacks auf. Die Stimmung war hervorragend. Sam Roskill, der sich mit einiger Mühe von der Holzbank hochgestemmt hatte, schickte sich sogar an, das alte Lied von der Meerjungfrau anzustimmen.
Der Profos boxte ihm unsanft gegen die Rippen. „Willst du wohl die Luke halten? Vergiß nicht, daß wir Dons sind, und die bringen höchstens einer glutäugigen Señorita ein Ständchen.“
Sam winkte ab.
„Kann ja selber kaum noch stehen“, murmelte er mit schwerer Zunge, und trällernd fügte er hinzu: „Er war jung und kühn, sie liebte ihn. Er liebte sie, schon sank sie hin …“
Als die Arwenacks die schmale Gasse betraten, war es dunkel. Nur der Mond schüttete sein spärliches Licht über die Stadt. Wo tagsüber buntes Gewimmel herrschte, war es jetzt still und menschenleer. Ein Hund, der mit eingezogenem Schwanz zwischen zwei Häusern verschwand, war das einzige Lebewesen, das den Männern begegnete.
„Alles ist wie ausgestorben“, murmelte Old Donegal. „Da ist um diese Zeit ja selbst auf dem Friedhof mehr los.“
„Klar“, bestätigte Al Conroy, „da tanzen die Geister einen lustigen Reigen, und ihre Musikanten klappern dazu mit den Knochen.“
Blacky, der neben Al marschierte, schüttelte den Kopf. „Hört schon auf mit eurem Gespensterkram“, sagte er. „Vielleicht begegnen wir noch einigen hübschen Ladys, die uns mit ihren glühenden Blicken heimleuchten.“
Carberry hatte die Kameraden noch nicht eingeholt. Da er noch einige Sätze mit dem Wirt wegen der Anlieferung der bestellten Getränke gewechselt hatte, folgte er ihnen im Abstand von etwa dreißig Yards.
Und dieser lächerliche Umstand sollte dem bärenstarken Profos zum Verhängnis werden.
Er marschierte an einem großen, gewölbten Torbogen vorbei. In diesem Augenblick tauchten einige dunkle Schatten aus der Finsternis auf, und bevor der Profos begriff, was mit ihm geschah, krachte ein heftiger Schlag gegen seinen Hinterkopf.
Unter seiner Schädeldecke schienen tausend Fässer Pulver gleichzeitig zu explodieren. Für eine Gegenwehr blieb weder Zeit noch Gelegenheit. Alles spielte sich ungeheuer schnell und nahezu völlig lautlos ab. Als Carberry von einigen Fäusten gepackt und in das Dunkel des Torbogens gezerrt wurde, weilte er bereits im Reich der Träume.
Er kriegte auch nicht mehr mit, daß man ihn an Händen und Füßen fesselte, auf einen zweirädrigen Karren lud und eine Persenning über ihm ausbreitete. Diese wurde wiederum mit einer Lage Gemüse abgedeckt, damit alles völlig harmlos aussah.
Gleich darauf zogen die Männer, die in schwarzen Mönchskutten steckten, den Karren zu einem abgelegenen Teil des Hafens.
„Wo Ed nur bleibt?“ fragte Old Donegal verwundert.
Die Arwenacks wandten sich zum wiederholten Male um, aber von ihrem Profos war noch nichts zu sehen.
„Vielleicht nimmt er noch einen Becher Rum zur Brust“, meinte Big Old Shane. „Es soll ja passieren, daß Ed vom Durst übermannt wird.“
Al Conroy winkte ab. „Er redete doch noch mit dem Wirt, als wir den Weinkeller verließen. Er wird uns schon einholen.“
„Einholen?“ Der weinselige Sam Roskill wischte sich mit einer schwerfälligen Geste über die Augen. „Mir – mir war, als hätte ich ihn bereits hinter uns gesehen …“
„Quatsch“, sagte Al. „Wenn du jemanden gesehen hast, war das allenfalls eins von Donegals Gespenstern. Und das hättest du eigentlich schon doppelt sehen müssen.“
Sam schüttelte heftig den Kopf.
„Nichts da“, wehrte er sich. „Gespenster sind unsichtbar. Ich – ich habe den Profos gesehen. Er war noch ein Stück von uns entfernt.“
„Nun hört schon auf, herumzustreiten“, sagte Smoky. „Vielleicht hat er von der Nachtluft eine trockene Kehle gekriegt und ist umgekehrt. Um unseren Profos brauchen wir uns nicht zu sorgen. Womöglich hat er einen anderen Weg zum Hafen eingeschlagen und befindet sich längst an Bord.“
„Hihihi!“ Old Donegal kicherte. „Oder eine hübsche Lady hat ihn in ihr Kämmerlein gelockt.“
„Jetzt – mitten in der Nacht?“ fragte Paddy Rogers, dessen Gedankenfluß vom reichlich genossenen Vinho verde ziemlich blockiert war. „Was will sie wohl von ihm?“
Die Mannen lachten.
„Sie wird ihm die hübschen Tüchlein zeigen, die sie tagsüber gehäkelt hat“, sagte Al Conroy grinsend.
Jetzt verstand Paddy überhaupt nichts mehr, zumal sich die anderen nicht zu weiteren Erklärungen hinreißen ließen. Sie legten vielmehr einen Schritt zu und erreichten bald den Steg, an dem die Schebecke lag. Ihre Rückkehr wurde von Plymmie, der Bordhündin, mit Schwanzwedeln und einem leisen Winseln angekündigt.
Nils Larsen und Bob Grey, die zu den „Blondies“ gehörten, gingen Wache und halfen beim Aufentern etwas nach, wenn der eine oder andere infolge der ausgiebigen Wein- und Rumprobe plötzlich Blei in den Gliedern zu haben glaubte.
„Wo habt ihr denn unseren Profos gelassen?“ fragte Nils Larsen. „Ist er etwa in ein Weinfaß gefallen?“
Al Conroy zuckte mit den Schultern.
„Frag mich was Leichteres. Wir dachten schon, er hätte einen anderen Weg eingeschlagen und sei bereits an Bord. Da dem nicht so ist, muß er noch in der Kneipe hocken. Er stand ja noch beim Wirt, als wir losmarschierten.“
Old O’Flynn nickte bestätigend.
„Bestimmt ist er am Schanktisch hängen geblieben. Der gute Ed kriegt den Hals mal wieder nicht voll genug.“
Für Nils Larsen war die Sache damit erledigt. Der Profos brauchte schließlich kein Kindermädchen. Außerdem würde der Wirt irgendwann seinen Laden schließen und Carberry höflich auf den Nachhauseweg schicken.
Doch Edwin Carberry kam nicht.
Auch in den frühen Morgenstunden, als die Sonne hinter dem Horizont hervortauchte, war noch nichts von ihm zu sehen und zu hören.
Das wiederum erschien den Arwenacks reichlich spanisch, und das Rätselraten um den Verbleib des Profos’ begann aufs neue.
Auch der Seewolf blickte immer häufiger zu den Gassen.
„Wir werden ihn systematisch suchen müssen“, entschied er schließlich. „Solange er nicht zurück ist, sind wir hier festgenagelt, und das könnte unter Umständen ziemlich riskant für uns werden.“
Er stellte mehrere kleine Suchtrupps zusammen. Die einen sollten die nähere Umgebung in Augenschein nehmen, die anderen würden sich noch mal den Weg zur Kneipe, die Kneipe selber und die Seitenstraßen ansehen.
Die Arwenacks taten das mit der ihnen eigenen Gründlichkeit, während an Bord weiterhin die verschiedensten Überlegungen angestellt wurden.
Sam Roskill, der während der Nacht behauptet hatte, Carberry gesehen zu haben, konnte sich im nüchternen Zustand nicht mehr daran erinnern. Und an die Geschichte mit dem Kämmerlein der hübschen Lady mochte auch niemand so recht glauben. So blieb für die Männer an Bord zunächst nur das Abwarten und die Hoffnung auf einen Erfolg der Suchtrupps.
Die Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht.
Die ersten Mannen meldeten sich nach gut zwei Stunden zurück. Von Edwin Carberry keine Spur.
„Ich habe mir den Wirt vorgeknöpft“, berichtete Al Conroy. „Er behauptete, Ed habe noch kurz mit ihm über die für heute vereinbarte Wein- und Rumlieferung gesprochen und sein Haus gleich nach uns verlassen.“
„Insofern ist es durchaus möglich, daß Sam ihn tatsächlich gesehen hat“, überlegte der Seewolf. „Aber es paßt verdammt noch mal überhaupt nicht zu Ed, daß er sich still und leise, so quasi hinter dem Rücken der anderen, verholt haben soll. Wäre er andererseits überfallen worden, hättet ihr doch etwas bemerken müssen.“
Der schwarzhaarige Stückmeister zuckte hilflos mit den Schultern. „Keiner von uns hat etwas bemerkt, ganz davon abgesehen, daß es nicht so einfach sein dürfte, Ed so mir nichts dir nichts zu überfallen.“
„Dennoch muß etwas passiert sein“, beharrte Hasard. „Er kann sich nicht in Luft aufgelöst haben. Wir werden weitersuchen, und wenn wir sämtliche Kneipen von Lissabon auf den Kopf stellen müssen.“
Bei ihren weiteren Überlegungen und Planungen wurden die Seewölfe zweimal gestört. Beim erstenmal wurden die von Carberry bestellten fünf Fässer Rotwein und drei Fässer Rum von den Schankknechten des kleinen, dicken Wirtes auf den Steg gekarrt und an Bord gebracht. Beim zweitenmal war es Jung Philip, dessen Stimme die Arwenacks aufhorchen ließ.
„Da törnt ein Mönch auf den Steg zu“, sagte er sachlich. „Ob der zu uns will?“
In der Tat näherte sich der Kuttenträger mit raschen Schritten. Nach Meinung der Männer, die am Vortag zur Proviantbeschaffung unterwegs gewesen waren, mußte es sich um einen jener Mönche handeln, die auf den Marktplätzen das mysteriöse Lebenselixier verkauft hatten.
„Vielleicht bringt er Nachschub, Mister O’Flynn“, bemerkte der Kutscher mit einem spöttischen Seitenblick zu Old Donegal.
Der Alte aber lächelte wieder einmal das Lächeln der Wissenden und hielt es für unter seiner Würde, auf die Bemerkung einzugehen.
Der Mönch, bei dem es sich um einen mittelgroßen, schlanken Mann handelte, nahm tatsächlich Kurs auf die Schebecke. Die frische Brise, die am Vormittag wehte, brachte seine lange, schwarze Kutte zum Flattern.
„Gott zum Gruß, Señores!“ rief er. „Ich bin Bruder Manuel und habe euch einen Brief zu übergeben.“
„Interessant“, sagte der Seewolf zu Ben Brighton. „Der Mann soll aufentern.“
Während sich die Arwenacks verwundert anblickten und überlegten, wer ihnen wohl hier in Lissabon einen Brief schreiben könnte, kam Bruder Manuel an Bord.
Der Mönch blickte sich suchend um, dem Seewolf entging nicht, daß er nervös war.
„Wem darf ich diesen Brief geben?“ fragte er.
„Am besten mir“, sagte Hasard und trat auf den seltsamen Besucher zu. „Ich bin der Kapitän.“
„Der – der Capitán?“ Für einen Augenblick schien es, als sei der Mann verblüfft. Dann aber deutete er auf das Stück Papier. „Der Brief ist an die Mannschaft der Schebecke gerichtet.“
„Egal, an wen er gerichtet ist“, fiel ihm der stets ruhige und besonnene Ben Brighton ins Wort. „Wenn es um die Belange unseres Schiffes oder unserer Mannschaft geht, ist in erster Linie der Kapitän zuständig. Außerdem sind wir ja alle dabei.“
Die Arwenacks nickten zustimmend.
„Nun – nun, mir kann es gleich sein“, stotterte der Mönch. „Ich habe meinen Auftrag erfüllt, möge der Herr euch und euer Schiff weiterhin segnen.“
Der Kuttenmann wollte wieder von Bord gehen. Damit war der Seewolf jedoch nicht einverstanden.
„Moment noch“, sagte er. „Von wem stammt dieser Brief?“
Der Mönch vollführte eine Geste, die völlige Unwissenheit zum Ausdruck brachte.
„Ich habe keine Ahnung, Señores. Ein Mann sprach mich auf dem Marktplatz an, beschrieb mir euer Schiff und den Liegeplatz und bat mich um den Botendienst. Er gab mir dafür einige Silbermünzen für die Armen.“
„Und ich dachte schon, es sei das Dankschreiben einer Señorita“, meinte Pete Ballie grinsend.
„Das wird sich gleich herausstellen“, entgegnete der Seewolf, brach das Siegel und entfaltete den Bogen. Schon bei den ersten Worten fand er seine geheime Befürchtung bestätigt. Der Brief war kurz, und wie es schien, war sein Verfasser nicht besonders schreibkundig.
Der Seewolf las vor:
„Ihr wartet vergeblich auf euren Kapitän. Er ist in unserer Hand, und ob er jemals zurückkehrt, liegt ganz an der Höhe des Lösegeldes, das ihr für ihn bezahlt. Wir wissen, daß ihr keine armen Leute seid. Bringt alles, was ihr an Gold, Silber und sonstigen Wertgegenständen besitzt, bis um Mitternacht zur Kirche der Heiligen Teresa und legt es hinter den Altar. Dann kehrt sofort auf euer Schiff zurück. Wenn wir mit der Höhe des Lösegeldes zufrieden sind, lassen wir euren Kapitän frei. Wenn ihr aber Schwierigkeiten bereitet, wird er sterben.“
„O du heiliger Bimbam“, entfuhr es Al Conroy. „Man hat Ed irrtümlich für unseren Kapitän gehalten, und jetzt sitzt er dick in der Tinte …“