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2.

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Hasard beugte sich über den hageren Bengalen und vergewisserte sich, daß dieser auch wirklich besinnungslos war. Dann wandte er sich um und gab seinen wartenden Männern ein Zeichen.

Sie schlüpften aus dem dichten Gestrüpp hervor und zu ihm: Carberry, Big Old Shane, Blacky, Batuti, Dan O’Flynn, Smoky und Matt Davies. Blacky und Batuti legten dem überwältigten Gegner Hand- und Fußfesseln an. Sie verschnürten ihn so, daß er sich nicht mehr rühren konnte, und steckten ihm dann einen Stofffetzen als Knebel zwischen die Zähne.

Hasard teilte die Zweige des Gebüschs, das zwischen ihm und dem Strand war, mit den Händen und spähte durch den Regen zu der Gestalt des zweiten Wachtpostens hinüber.

„Es ist nicht so leicht, sich an ihn heranzuschleichen“, teilte er seinen Begleitern dann flüsternd mit. „Er sitzt ziemlich weit vom dichten Gebüsch entfernt und könnte sich umdrehen, ehe wir ihn zu fassen kriegen. Wenn er Krach schlägt, vereitelt er womöglich unseren Überraschungsangriff auf das Hüttenlager.“

„Es liegt eine Meile entfernt, hat Yasin gesagt“, raunte Shane. „Und wenn der Kerl dort unter dem Baum auch noch so brüllt, seine Spießgesellen oben auf dem Hügel können ihn bei dem Lärm, den der Regen verursacht, doch nicht hören.“

„Es sei denn, er feuert seine Pistole oder seine Muskete ab“, meinte Matt Davies leise.

Carberry warf ihm einen geringschätzigen Blick zu. „Manchmal frage ich mich, ob du mit dem Kopf denkst oder mit einem anderen Körperteil, Mister Davies. Bei diesem Guß ist keine Schußwaffe mehr zu gebrauchen, du Stint, denn das Zündkraut wird naß.“

„Es sei denn, man bewahrt sein Schießeisen im Trockenen auf“, zischte Matt. „Könnte doch immerhin sein, oder, Mister Carberry?“

Der Seewolf brachte sie durch eine Gebärde zum Schweigen, ehe sich ihre Gemüter zu sehr erhitzten.

„Ob er nun eine schußbereite Waffe hat oder nicht, wir gehen kein Risiko ein“, raunte er. „Warten wir eine Weile ab, vielleicht fängt er an, seinen Genossen zu vermissen.“

Tatsächlich stand der Große wenige Augenblicke später auf und setzte sich in Richtung auf das Dickicht in Bewegung.

„Satan von einem Bengalen“, sagte er ärgerlich. „Wo steckst du? He, was ist das für eine Art, seinen Posten zu verlassen und so lange wegzubleiben? Bei Shiva, ich pfeife auf dein elendes Regendach.“

Eine Antwort erhielt er nicht.

Verwundert trat er noch einen Schritt näher an das Gestrüpp heran. Der Regen flutete auf ihn nieder und troff an seiner Gestalt hinunter.

„Bist du hier?“ fragte er dann noch einmal, diesmal lauter, um sich gegen das Rauschen des Wassers zu behaupten: „He, du Galgenstrick, bist du noch da?“

Ein lautes Rascheln ertönte plötzlich aus den Büschen. Der Pirat stieß einen Fluch aus. Er glaubte, seinen Begleiter entdeckt zu haben und hielt schon eine neue, noch üblere Verwünschung zu seiner Begrüßung bereit, aber da brach etwas ungestüm aus den Sträuchern hervor und flog auf ihn zu. Es war eine wuchtige, bullige menschliche Gestalt, die den Freibeuter mit ihrem Gewicht unter sich begrub, ehe er ihr ausweichen konnte. Beide Männer landeten im Schlamm.

Carberry hielt die Arme des Inders mit seinen Knien fest, so daß dieser sie nicht mehr bewegen konnte. Er hieb nur einmal mit seiner Faust zu, und der Mann unter ihm erschlaffte und blieb mit geschlossenen Augen reglos liegen.

Hasard, Shane und die anderen traten aus dem Gebüsch. Sie suchten die nähere Umgebung nach weiteren Wachtposten ab, konnten aber niemanden entdecken.

„Zwei Wächter an der Bucht, hat Yasin gesagt“, brummte Big Old Shane. „Und zwei waren es auch nur. Der Bursche scheint also wirklich die Wahrheit zu sprechen.“

Hasard sagte: „Es hat den Anschein. Aber ich bin immer noch nicht ganz davon überzeugt, daß er aufrichtig ist.“

„Warum haben wir ihn dann nicht bei uns behalten?“ fragte der graubärtige Riese.

Hasard blickte ihn an. „Weil es mir lieber ist, wenn er Bens Gruppe zum Lager hinaufführt. Der Pfad von der Flußmündung bis zum Versteck ist schwerer zu verfolgen als der, der von hier aus zur Lichtung verläuft. Jedenfalls behauptet Yasin das. Ich habe Ben aber eingeschärft, er soll ihn im Auge behalten.“

Matt Davies hatte sich über den bewußtlosen Piraten gebeugt.

Carberry richtete sich soeben wieder auf und sagte unfreundlich: „Sieh ihn dir ruhig ganz genau an. Er trägt eine Pistole, aber sie ist klatschnaß. So schlau, die Waffe in einen ölgetränkten Lappen zu wikkeln, wie wir es getan haben, war er nicht. Meiner Meinung nach ist er ein Idiot.“

„Mister Carberry, Sir“, sagte Matt in gespielter Ehrfurcht. „Ich bewundere deinen Scharfsinn.“

Hasard näherte sich ihnen, deshalb verkniff sich der Profos eine geharnischte Antwort.

„Smoky und Matt“, sagte der Seewolf. „Ihr fesselt auch diesen Kerl, und dann bleibt ihr als Wachtposten hier am Strand zurück. Versucht, jeden zurückzuhalten, der sich möglicherweise den Booten nähert. Wir sechs anderen versuchen jetzt, so schnell wie möglich das Hüttenlager zu erreichen.“

Kurze Zeit später hatte er mit dem Profos, Shane, Blacky, Batuti und Dan den Pfad entdeckt, der sich durch den Busch zum Hügel hinaufwand. Yasin, der früher bei den Spaniern in Madras als Lakai gedient hatte und die spanische Sprache ziemlich gut beherrschte, hatte eine ausgezeichnete Beschreibung von den Ortsverhältnissen gegeben.

Hasard und sein Trupp mußten also von Südwesten her auf das Lager stoßen. Ben und seine Gruppe hatten es inzwischen zweifellos vor sich, ihr Weg traf von Westen her auf die Lichtung.

Gemeinsam wollten sie in das Lager eindringen und versuchen, die Mädchen zu befreien.

Außer Yasin befanden sich bei Ben Brighton Old O’Flynn, Luke Morgan, Bob Grey, Jeff Bowie, Stenmark und Sam Roskill.

An Bord der „Isabella“ waren somit nur noch Ferris Tucker, der Kutscher, Pete Ballie, Gary Andrews, Al Conroy, Will Thorne, Bill und Philip junior und Hasard junior, die Söhne des Seewolfs – ein kleiner Haufe nur, aber immer noch stark genug, um im Bedarfsfall die Geschütze zu zünden, die unter den Regendächern aus Persenning gefechtsbereit standen.

Narayan und Chakra hatten den Seewolf unbedingt begleiten wollen, doch er hatte ihre Unterstützung energisch abgelehnt. Chakra konnte sich gewiß nicht auf den Beinen halten, und auch Narayan war von Raghubir so schwer verwundet worden, daß er in einem neuen Kampf gegen die Piraten keine Hilfe, sondern eher eine Last dargestellt hätte.

So harrten Narayan, Chakra und Kankar bangen Herzens in der Achterdeckskammer der „Isabella“ aus, in der der Seewolf sie untergebracht hatte. Sie flehten in ihren stummen Gebeten Brahma, Vishnu, Krishna, Shiva, Indra und die anderen Gottheiten der Hindus an, sie mögen den weißen Männern bei ihrem tollkühnen Unternehmen beistehen – damit Shandra, Ginesh und die anderen Mädchen von Kadiri nicht sterben mußten.

Ginesh hatte das Lager der Piraten verlassen und hastete auf dem Pfad zur Bucht hinunter. Ihr Herz schlug schnell und heftig, und die Angst vor etwaigen Verfolgern saß ihr wie eine Faust im Nacken. Immer wieder drehte sie sich um und blickte zurück in den grünen, dampfenden Wald. Aber niemand erschien hinter ihr, um sie festzuhalten und zurück zu den Hütten zu schleppen.

Sie rutschte auf dem morastigen Untergrund aus und stieß sich beinah den Kopf an einem der mächtigen Baumstämme. Fast hätte sie aufgeschrien, aber sie konnte sich im letzten Augenblick noch beherrschen. Sie zwang sich zu eiserner Disziplin, rappelte sich wieder auf und lief weiter.

„Du mußt stark sein und hart gegen dich selbst werden.“ Diese Worte hatte Shandra ihr mit auf den Weg gegeben. Jetzt, da sie ganz auf sich allein angewiesen war, wollte Ginesh um jeden Preis zeigen, daß sie nicht mehr das törichte Kind war, das bei jedem Anlaß zu weinen anfing.

Shandra, ich will so wie du werden, dachte sie, und sie eilte weiter durch den Regen, der sie bis auf die Haut durchnäßte, aber auch den gröbsten Schmutz von ihrem dünnen Gewand wusch.

Sie glaubte, das Herz würde ihr stehenbleiben, als sie mit einemmal eine dicke Schlange gewahrte, die keine fünf Schritte vor ihr behäbig von links nach rechts über den Pfad wechselte. Sie fürchtete sich davor, durch einen Sprung über das Reptil hinwegzusetzen, deswegen drückte sie sich nach links ins Dickicht und wartete ab, bis es verschwunden war.

Riesenschlangen wie diese bissen ihre Opfer nicht tot, sie fingen sie mit ihren Leibeswindungen ein und erwürgten sie. Ginesh hatte schon von Männern vernommen, die über eine Python gestolpert, gestürzt und dann von ihr gepackt worden waren, ehe sie wieder hatten aufspringen können. Wie wahr solche Geschichten, die in den Fischerdörfern erzählt wurden, tatsächlich waren, vermochte sie nicht abzuschätzen. Sie konnte aber nicht Herr über ihre Angst werden und versteckte sich zitternd im Gestrüpp.

Plötzlich drangen Stimmen an ihr Ohr.

Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Täuschte sie sich – oder näherte sich da jemand?

Ihre Knie begannen immer heftiger zu beben, so stark, daß sie nachzugeben drohten. Nur mühsam hielt Ginesh sich aufrecht und spähte im prasselnden Regen nach den Männern, die jetzt ganz dicht vor ihr waren und sich offenbar in einer fremden Sprache unterhielten.

Es waren sechs Männer. Sie schritten an ihr vorbei, ohne sie zu entdekken. Soweit das Mädchen erkennen konnte, handelte es sich um einen großen Schwarzhaarigen, einen bulligen Mann mit Narben im Gesicht, einen Bärtigen, einen schlanken Dunkelhaarigen und einen noch etwas schmaleren, jungen Mann mit hellblondem Haar. Diese fünf waren Weiße, aber der sechste, ein wahrer Herkules an Gestalt, war pechschwarz. Menschen solcher Hautfarbe hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie erschrak zutiefst. Wer waren sie?

Wie gelähmt wartete sie ab, bis sie in Richtung auf das Piratenversteck verschwunden waren. Dann kehrte sie auf den Pfad zurück.

Auch die Riesenschlange war fort. Der Weg war frei. Ginesh lief weiter, so schnell sie konnte. Immer wieder blickte sie über die Schulter zurück.

Für sie gab es nur eine Erklärung für das unvermittelte Auftauchen der sechs Männer: Sie gehörten der Bande der Freibeuter an, hatten vorher unten an der Ankerbucht Wache gehalten und begaben sich jetzt ins Lager, um an der Feier teilzunehmen, die dort begonnen hatte.

Warum sollte Raghubir keine Männer in seine Meute aufgenommen haben, die anderer Herkunft als er und die übrigen Kerle waren? Möglich war alles, und die weißen Männer, von denen ihr Vater ihr manchmal erzählt hatte, waren dem Vernehmen nach auch nicht besser als die, die in Indien zu Hause waren. Sie hatten Madras besetzt und die Macht über die Stadt an sich gerissen; sie töteten, raubten und brandschatzten und wollten das ganze Land ihrem Einfluß unterwerfen. So jedenfalls stellten es die Pandas, die Schriftgelehrten, die Brahmanen und die Dorfältesten dar.

Shandra hatte nicht bedacht, daß Raghubir bei den Schiffen und Booten Wachtposten zurückgelassen haben konnte. Ginesh dankte den Göttern dafür, daß sie den sechs Männern entgangen war.

Vielleicht hat Brahma die Schlange geschickt, damit ich mich versteckte, dachte sie, wer weiß.

Sie hoffte inständig, daß es jetzt keine Wächter mehr an der Ankerbucht gab und der Weg zu den Beibooten der Schiffe frei war.

Auf nackten Fußsohlen lief sie durch den Regen. Sie fiel nicht mehr, begegnete weder Tieren noch Männern und erlebte auch sonst keinen Zwischenfall. Das Tor zur Freiheit schien jetzt endgültig offenzustehen.

Shandra hatte mit der Steinschloßpistole und der Muskete Raghubirs die Hütte verlassen und schlich zu der benachbarten Behausung hinüber. Sichernd blickte sie nach allen Seiten, konnte aber niemanden entdecken, der sie beobachtete und aufzuhalten trachtete.

Und wenn sich jemand zeigt, dann schieße ich ihn nieder, dachte sie. Sie hatte es Raghubir und seinen Kerlen abgeschaut, wie man die seltsamen Feuerrohre bediente: Man spannte mit dem Daumen den oberen Hahn, bewegte mit dem Zeigefinger den anderen, gebogenen Hahn unter dem hölzernen Rahmen – und schon spuckte das Rohr Feuer und Eisen und brachte den Tod.

Shandra pirschte an der Wand der Hütte entlang, die dem Dschungel zugewandt war. An dieser Seite gab es keinen Einlaß. Die Tür war vorn und öffnete sich zu dem Platz hin, der sich als kleines Rondell zwischen den acht Gebäuden erstreckte.

Sie hatte sich vorgenommen, erst ganz um die Hütte herumzugehen, bevor sie eindrang und auf die Piraten schoß. Wenn es im Freien niemanden gab, der ihren Plan vereitelte, gelang es ihr vielleicht, die Mädchen in dieser Hütte zu befreien und mit ihnen einen Vorstoß zu der nächsten Hütte hin zu unternehmen. Sie konnte den Piraten, die sie tötete, die Waffen abnehmen, und Shandra war sicher, daß ihre Stammesschwestern voll Haß gegen die übrige Bande kämpfen würden. Nichts konnte sie aufhalten. Lieber starben sie, als daß sie sich von diesen Teufeln noch einmal demütigen ließen.

Geschrei und Gelächter drangen aus den Hütten, und zwischendurch war immer wieder das Klagen und Wimmern der Mädchen zu hören.

Shandra hielt die Steinschloßpistole in ihrer rechten Hand. Ihre Miene war hart, ihre Lippen hatte sie zusammengepreßt, und sie wußte, daß sie sofort abdrücken würde, wenn ihr jemand den Weg verstellte. Wie sie im Urwald von Kadiri den gräßlichen Jammur, Koppals Kumpan, getötet hatte, als er über Ginesh hergefallen war, so würde sie auch jetzt wieder töten, um ihre Ehre zu verteidigen und die anderen Mädchen vor einem grausigen Schicksal zu bewahren.

Im dichten Regen schob sie sich auf die Ecke der Hütte zu.

Sie zuckte zusammen, als vor ihr eine Gestalt erschien – irgendwie hatte sie es erwartet. Es wäre schon fast ein Wunder gewesen, wenn sie den Eingang zur Hütte ohne jeglichen Aufenthalt erreicht hätte.

Der Mann, der die Ecke umrundet hatte, war Koppal.

Er blieb stehen, und seine Züge verzerrten sich zu einer Grimasse des Hasses und der Verschlagenheit.

„Ich wollte nur einen Kontrollgang unternehmen“, sagte er so leise, daß sie es gerade noch verstehen konnte. „Nur eben um die Hütte herum und dann zu Raghubir hinüber, denn ich traute dem Braten nicht.“ Seine Hand senkte sich auf den Griff seines Säbels. „Wie recht ich gehabt habe.“

Sie richtete die Mündung der Pistole auf seine Brust.

„Stirb“, sagte sie. „Stirb wie dein Führer. Tod euch allen, verflucht sei euer Teufelsnest.“ Sie drückte ab.

Aber statt des erwarteten Schusses ertönte nur ein schwaches metallisches Klicken. Feuer und Rauch blieben aus, keine Wirkung zeigte sich Verstört blickte Shandra den narbigen Mann an.

Er grinste in diabolischer Freude „Wußtest du das nicht? Bei Nässe zünden die Waffen nicht, sie sind unbrauchbar. Wie einfältig du doch bist.“ Seine Augen verengten sich, er packte den Säbel und zog ihn aus dem Gurt. „Was ist mit Raghubir geschehen? Was habt ihr mit ihm getan? Niemals hätte er euch laufen lassen, niemals.“

Sie ließ die Pistole fallen, packte die Muskete mit beiden Händen an ihrem Lauf und schwang sie durch die Luft.

Koppal duckte sich und stieß einen Fluch aus. Er wollte einen heftigen Streich mit seinem Säbel führen und Shandras Beine treffen, doch der Kolben der Muskete strich nicht über seinen Rücken weg – wie er erwartet hatte –, sondern traf seinen Hinterkopf.

Shandra hatte geistesgegenwärtig auf seine Bewegung reagiert und den Schlag tiefer geführt, als ursprünglich vorgesehen. Koppal gab einen eigentümlichen, spuckenden Laut von sich und strauchelte über die Klinge seines Säbels. Sein Kopf flog unter der Wucht des Hiebes ein Stück vor, sein Körper kippte auf die Hüttenwand zu.

Er stieß mit der linken Schulter gegen die Wand, dann sank er daran zu Boden, lehnte sich auf die Seite und rührte sich nicht mehr.

Shandra eilte weiter.

Die Wand hatte sich ein wenig bewegt, und ihre groben Holzbohlen hatten ein schwaches Knacken verursacht, als Koppal dagegengeprallt war. Vielleicht hatten die Piraten im Inneren der Hütte den Laut nicht vernommen, weil das Rauschen des Regens es übertönte. Aber möglich war, daß sie das leichte Beben bemerkt hatten.

Shandra lief um die Ecke herum und an der Seitenwand entlang nach vorn, um den Eingang zu erreichen. Sie bereute es, nicht den Säbel des Narbigen an sich gerissen zu haben, und sie sagte sich in diesem Moment auch, daß sie das ganze Unternehmen wohl doch falsch begonnen hatte.

Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.

Sie sah die Tür vor sich. Sie stand halb offen, und in dem dunklen Spalt war eine undeutliche Bewegung zu registrieren. Shandra preßte sich mit dem Rükken gegen die Außenwand und schob sich langsam nach rechts weiter. Sie hielt die Muskete jetzt wieder so in ihren Händen, als wolle sie damit schießen, aber sie ahnte natürlich, daß auch die Muskete nicht funktionierte, wenn schon die Pistole Raghubirs den Dienst versagt hatte.

Die Gestalt eines großen, halbnackten Mannes trat halb aus der Tür hervor. Er spähte ins Freie und sagte: „Verdammt, was hatte das Wackeln der Wand bloß zu bedeuten? Er hat einen Kontrollgang unternehmen wollen – hat er gesagt. Oder hat er sich den Hals schon so vollgetrunken, daß ihm schlecht geworden ist? He, Koppal!“

Koppal antwortete nicht. Er konnte es nicht, denn er lag in tiefer Bewußtlosigkeit im Morast hinter der Hütte.

Der Pirat rief den Namen des Narbigen noch einmal, dann drehte er sich zu den anderen hin um, die im Inneren der Hütte lärmten. „Was meint ihr, ob er wohl umgekippt ist und seinen Rausch auspennt?“ fragte er.

„Das weiß der Henker!“ brüllte jemand zurück. „Laß den Bastard doch in Ruhe, und komm zu uns zurück!“

Der Pirat blickte noch einmal in den Regen – und da sah er Shandra, die ihn erreicht hatte und die Mündung der Muskete auf ihn richtete.

„Du?“ sagte er entsetzt. „Bei Vishnu – töte mich nicht.“

Sie begriff, daß er – anders als Koppal – davon überzeugt war, sie könne ihn mit der Waffe erschießen. Diese Chance nutzte sie sofort aus. „Geh langsam vor mir her – zurück in die Hütte!“ zischte sie.

Er wandte sich um, hob die Arme an und kehrte in die Hütte zurück, in deren Mitte nur noch die Glut eines Feuers glomm. Die Gestalten, die rund herum versammelt waren, blickten erstaunt auf, als sie bemerkten, daß er nicht mehr allein war.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 212

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