Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 516 - Roy Palmer - Страница 6
1.
ОглавлениеGanz plötzlich waren sie aufgetaucht, diese Satansbraten. Frech und sozusagen gottesfürchtig waren sie mit ihrem kleinen Dreimaster, der „Empress of Sea II.“ hieß, in die Bucht von Virgin Gorda gesegelt. Und dann die Überraschung: Kapitän O’Flynn hatte sich in Begleitung von zwei Jungmannen bei Drake vorgestellt und vor einem Angriff auf Panama oder Cartagena gewarnt. Denn offenbar seien die Spanier vorgewarnt, so hatte er gemeint. Sie hatten ihre Befestigungsanlagen ausgebaut und die Zahl ihrer Kriegsschiffe erhöht.
Drake schlug das alles in den Wind. Er erkannte die drei Kerle als Männer des Philip Hasard Killigrew, des Seewolfes, wieder. Die beiden jungen Burschen, schätzungsweise fünfzehn Jahre alt, ähnelten einander nicht nur verblüffend, sie waren dem Seewolf auch wie aus dem Gesicht geschnitten. Seine Söhne! Damals, beim Überfall auf Cadiz, hatte er diese Schelme zum ersten Male gesehen. Jetzt hatten sie sich zu jungen Wölfen gemausert. Ungeheuerlich!
Sir Francis Drake hatte einen seiner Ansicht nach viel besseren Einfall gehabt, als auf Dan O’Flynns Warnungen zu hören. Er hatte die „Empress of Sea II.“ kurzerhand für seine Zwecke beschlagnahmt. Der Dreimaster wurde requiriert und dem Verband zugegliedert. Somit war er fortan Drakes Kommando unterstellt.
Kapitän O’Flynn, dieser Naseweis, konnte dagegen überhaupt nichts unternehmen. Schließlich hielt man ja Waffen auf ihn und seine neunmalkluge Crew gerichtet.
Also gaben die Kerle klein bei. Lieutenant Henry Butler, Corporal Mahoney und sieben Seesoldaten enterten an Bord der „Empress“ und hielten die Burschen in Schach.
Mahoney durchsuchte das Schiff und stieß prompt auf die Schatzbeute dieser Piraten: Perlen! Mehr als ein Dutzend Truhen, die bis zum Rand mit Perlen gefüllt waren. Mahoney stopfte sich die Taschen voll, Butler brüllte die Entdeckung zum Flaggschiff – der „Defiance“ – hinüber.
Verständlich, daß sich Sir Francis Drake daraufhin den Schatz selbst ansehen wollte. Er gedachte gewissermaßen, persönlich an Ort und Stelle zu überprüfen, was an der Sache dran war. So wurde er zur „Empress of Sea II.“ gepullt – und begab sich in eine teuflische Falle.
Ehe er reagieren konnte, hatte dieser höllische Kapitän O’Flynn ihn gepackt, hielt ihm ein Messer an die Kehle und zischte ihm zu, daß er, Drake, ein toter Mann sei, wenn er seinen Leuten jetzt befehle, anzugreifen.
Gleichzeitig geschah das Unfaßbare: Der Riese mit dem Narbengesicht, Edwin Carberry, fällte Corporal Mahoney mit einem gewaltigen Hieb. Und der Hund aus der Pantry – Mac Pellew – drosch dem Lieutenant Butler eine Pfanne aufs Haupt, wobei er eine todtraurige Miene schnitt. Der schwarze Riese – Batuti – rammte die Schädel von zwei Seesoldaten zusammen. Und die anderen Rabauken räumten mit den übrigen Soldaten auf. Schnell wie der Blitz. Drake konnte gar nicht so schnell schlucken, so flink waren diese Bastarde.
Die Kerle waren Donegal Daniel O’Flynn junior, Carberry, Batuti, Mac Pellew, die Zwillinge, Martin Correa, Sven Nyberg und Nils Larsen sowie Plymmie, die Wolfshündin, Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der Papagei. Am 29. Juli dieses Jahres hatten sich die Mannen in der Negril Beach von Jamaica vom Seewolf und dessen Crew getrennt.
Die „Isabella“ war zum Stützpunkt an der Cherokee-Bucht auf Great Abaco zurückgekehrt – mit dem verletzten Old O’Flynn an Bord, der sich dummerweise das gesunde Bein gebrochen hatte.
Somit hatte sein Sohn die „Empress“ als Kapitän übernommen. Ben Brighton hatte den Vorschlag unterbreitet, die „Empress“ loszuschicken, damit die restlichen Perlen des Korsen della Rocca eingesammelt werden konnten.
Es wäre doch ein Jammer gewesen, auf diesen Schatz zu verzichten. Alle waren einverstanden – und Dan erhielt den Auftrag, mit dem kleinen Dreimaster loszusegeln.
Carberry, Batuti und Mac Pellew befanden sich zur Verstärkung der kleinen Crew an Bord der „Empress“. Man hatte Ladegüter und Kartenmaterial an Bord – und natürlich das „Logbuch der Perlen“ des Piraten-Kapitäns della Rocca, der jetzt mitsamt seiner Bande von Hundesöhnen auf dem Grund der See ruhte.
Drei Monate hatten Dan und seine Mannen gebraucht, um die Truhen zu suchen, zu finden und zu heben. Dann das Ereignis: auf Guadeloupe waren sie auf den Verband von Sir Francis Drake gestoßen. Vorsichtshalber waren sie dem Verband gefolgt – bis in diese Bucht an der östlichen Nordküste von Virgin Gorda. Und was hatten sie sich eingehandelt? Verdruß.
Doch sie verstanden es, sich auch sehr schnell wieder aus der Affäre zu ziehen. Nachdem sie die Soldaten überwältigt hatten, mußte Drake nun seinem Verband verkünden, es gehe um sein Leben. Und dieses Leben sei nur garantiert, wenn man nichts unternehme und die „Empress“ auch nicht hindere, die Bucht zu verlassen.
Die „Empress“ ging ankerauf, die Segel wurden gesetzt. Der Dreimaster glitt aus der Bucht. Es wurde nicht geschossen. An Bord der Schiffe war man wie erstarrt. Drake als Geisel – wer hätte das gedacht?
Die „Empress“ segelte an den drei äußeren Ankerliegern vorbei, die die Bucht abriegelten. Auch dort blieb es ruhig. Carberry räumte nun die Taschen des Corporals Mahoney aus. Er hievte ihn achtern aufs Schanzkleid und beförderte ihn mit einem Tritt in den Hintern außenbords. Und die anderen Soldaten? Die durften springen.
Dan O’Flynn las Drake noch kräftig die Leviten. Dann mußte auch der Admiral außenbords hüpfen. In voller Montur sprang er in die Fluten. Es gab einen Klatscher, dann versank er.
Drake glühte zwar vor Wut, aber er empfand trotzdem die Kälte des Wassers. Schließlich war es nicht Juli oder August, sondern man schrieb den 8. November 1595. Und Sir Francis war auch nicht mehr der jüngste.
Er begann regelrecht zu schlottern. Er biß die Zähne zusammen und bewegte die Arme und Beine. Mit kräftigen Zügen kehrte er an die Wasseroberfläche zurück. Er spuckte einen Strahl Wasser aus und schöpfte japsend Luft. Da hörte er ihn wieder, diesen verfluchten Ruf.
„Arwenack!“ tönte es über die Bucht. „Ar-we-nack!“
Drake hieb mit der Faust ins Wasser und stieß einen saftigen Fluch aus. Er kannte ihn nur zu gut, diesen Schlachtruf. Wie ein Hohn gellte er ihm in den Ohren. Und er sah ihn wieder vor sich, diesen schwarzhaarigen Teufel mit den eisblauen Augen – Philip Hasard Killigrew!
Seine Kerle waren aus dem gleichen Holz geschnitzt wie er. Sie waren mit allen Wassern gewaschen. Beim Henker, er hätte sie nicht unterschätzen dürfen. Das sah er in diesem Moment ein. Aber die Selbstkritik erfolgte zu spät. Was passiert war, ließ sich nicht mehr ändern.
Wie ein Schemen verschwand die „Empress of Sea II.“ in der Dunkelheit. Wer wollte sie jetzt noch aufhalten? Es hatte keinen Sinn, den Kerlen nachzustellen. Sie waren mit ihrem kleinen, wendigen Dreimaster schneller als jedes Schiff des Verbandes.
Zwar war Drake in seinem Zorn versucht, das Feuer eröffnen zu lassen. Aber auf wen sollten die Geschützführer mit ihren Culverinen zielen? Schon hatte die Nacht die „Empress“ verschluckt.
Drake ging erneut unter. Vor lauter Wut und Aufregung hatte er mit dem Wassertreten aufgehört. Jetzt schluckte er noch einmal Wasser. Er kämpfte sich an die Oberfläche zurück, entledigte sich prustend des Wassers und stöhnte vor Haß und Ohnmacht. So etwas mußte ihm passieren! Ausgerechnet ihm! Nie würde er diese Schmach verwinden!
Etwas schob sich im Dunkeln auf ihn zu – eine Jolle. Drake verfolgte, wie sich Gestalten von den Duchten aufrichteten. Sie beugten sich außenbords. Seesoldaten! Von einer der vor der Buchteinfahrt ankernden Galeonen war also ein Boot ausgesetzt worden.
Die Bootscrew fischte jetzt die „Schiffbrüchigen“ aus den Fluten. Und wen hatten die Männer da soeben aus dem Wasser gezogen? Mahoney – Drake erkannte ihn an der Stimme.
„Pest noch mal!“ wetterte der Corporal. „Diese Bastarde! Hurensöhne! Ihnen nach!“
„Das wird wenig Zweck haben“, entgegnete der Bootsführer. „Sie haben schon zuviel Vorsprung. Wir erwischen sie nicht mehr.“
Mahoney heulte vor Wut auf. „Sollen wir sie entkommen lassen?“
„Vielleicht hätten Sie besser auf sie aufpassen sollen, Corporal“, sagte der Bootsführer unwirsch.
Mahoney wollte auf diese Äußerung eine geharnischte Antwort geben, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Eine Stimme gellte durch die Nacht. „Hilfe! Hiilfe!“
Das ist Butler, dachte Sir Francis Drake, dieser Narr. Wieder hatte Drake Mühe, sich über Wasser zu halten.
„Lieutenant Butler!“ brüllte Mahoney. Beim Brüllen dröhnte ihm zwar der Schädel ganz gewaltig, aber schließlich war es seine Pflicht, sich um diesen Idioten zu kümmern.
„Hier!“ kreischte Henry Butler.
„Wir kommen!“ rief der Bootsführer.
„Ich ertrinke!“ stieß der Lieutenant schrill hervor.
Drake hätte am liebsten den Befehl gegeben, den Milchbart ersaufen zu lassen. Aber das ging natürlich nicht. Man konnte Butler nicht einmal zur Rechenschaft für das ziehen, was geschehen war. Er, Drake, hätte selbst besser aufpassen sollen, dann hätten ihn die Killigrew-Bastarde nicht als Geisel genommen.
Die Jolle steuerte auf Butler zu. Der Lieutenant schrie, jammerte und gurgelte. Er zappelte im Wasser und machte dadurch alles nur noch schlimmer. Er war nicht nur ein schlechter Schwimmer, sondern auch ein Hasenfuß. Die Panik brachte ihn halb um. Außerdem litt er noch an den Folgen des Bratpfannen-Schlages, den Mac Pellew ihm verpaßt hatte. Benommen und schier verrückt vor Furcht tauchte Butler immer wieder unter. Er schluckte das Wasser gallonenweise.
Das Boot hatte ihn noch nicht ganz erreicht, da war Henry Butler plötzlich verschwunden.
Sir Francis Drake kämpfte ebenfalls mit dem Tod. Die Kräfte verließen ihn. Seine Schwimmbewegungen wurden langsamer. Er versuchte, das Boot zu erreichen, aber er sah voraus, daß er es nicht schaffen würde. Um Hilfe rufen wollte er aber auch nicht. Dazu war er zu stolz. Hölle und Teufel, dann verrecke ich eben, dachte er wütend.
An Bord der „Empress of Sea II.“ ging es unterdessen ausgelassen und heiter zu. Die Männer lachten und schüttelten sich die Hände. Carberry ließ seine Pranke krachend auf Mac Pellews Schulter landen. Mac Pellew zuckte zusammen und schnitt eine Grimasse, als plagten ihn gräßliche Schmerzen.
„Das mit der Bratpfanne“, sagte der Profos fröhlich. „Das war mal ein Ding, Mac, du alte Miesmuschel. So gut in Form habe ich dich schon lange nicht mehr gesehen.“
„Ach, so toll war das doch gar nicht“, erwiderte Mac brummelnd. Er wurde richtig verlegen.
„Nicht so bescheiden sein“, sagte Dan grinsend. „Du hast das Lob wirklich verdient, Mac.“
„Man sieht, daß du ein geübter Pfannenschwenker bist“, sagte Hasard junior.
„Willst du mich verulken?“
„Nein“, beteuerte Hasard. „Das würde mir nie einfallen, Mac.“
„Na, meinetwegen“, sagte Mac Pellew. „Aber ich hab’ die Hundesöhne ja nicht allein abgeräumt.“ Er blickte Carberry an und grinste schief. Das sah bei Mac aus, als wäre er kurz vorm Heulen. „Dein Hammer war auch nicht von schlechten Eltern, Ed.“
„Danke für die Blumen“, erwiderte der Profos. „Aber mit dem Hurensohn von einem Corporal hätte ich mich gern noch länger und ausführlicher unterhalten. Ich hätte mal nachgesehen, wieviel Kabelgarn eigentlich in seinem Gehirnkasten drin ist.“
„Na ja“, sagte Dan. „Jedenfalls sind wir aus dem Schlamassel raus. Und wir haben auch die Perlen noch. Was wollen wir mehr?“
„Wir können uns nicht beklagen“, sagte Martin Correa.
„Und jetzt geht’s ab durch die Mitte“, sagte Batuti. „Oder?“
„Heim zur Cherokee-Bucht“, sagte Nils Larsen. „Ja, das wird jetzt Zeit.“
„Darüber wollte ich mich mit euch unterhalten“, sagte Dan. „Aber ich will auch die Tradition nicht brechen, die mein Alter an Bord seines Schiffchens eingeführt hat. Die Kehlen sind trocken, wir brauchen einen guten Tropfen gegen den Durst und zur Stärkung. Richtig?“
„Goldrichtig“, meinte Carberry.
„Mac“, sagte Dan. „Hol bitte eine Flasche Rum aus der Pantry.“
„Aye, Sir.“
„Wir wollen ordentlich einen gluckern“, sagte Dan. „Das haben wir uns verdient, nicht wahr?“
„Wenn es einen feinen Brauch an Bord der ‚Empress‘ gibt, dann ist es dieser“, sagte Sven Nyberg feierlich.
Kurz darauf ließen sie die Flasche reihum kreisen. Jeder nahm einen tüchtigen Schluck Rum zu sich, dann ergriff Dan wieder das Wort.
„Ich finde, wir sollten doch noch nicht ganz abhauen“, sagte er.
„Du willst bleiben?“ fragte Carberry.
„Ja.“
„Das ist riskant“, gab Mac Pellew zu bedenken. „Höllisch riskant. Willst du auf dieser verdammten Insel verweilen, Sir?“
Dan grinste. „So ist es.“
„Das habe ich fast schon befürchtet“, sagte Martin Correa.
„Ich möchte gern herausfinden, was Drake wirklich plant“, sagte Dan.
„Plündern und rauben will er, dieser Oberbastard“, versetzte Carberry mit verächtlicher Miene. „Ob die Spanier ihre Bastionen ausbauen oder nicht, scheint ihm völlig egal zu sein. Schließlich kann er seine Leute gleich zu Hunderten verheizen, nicht wahr?“
„Ich muß das genau wissen“, sagte Dan beharrlich.
„Was ist, wenn Drake uns suchen läßt?“ fragte Philip junior.
„Er könnte Patrouillen losschicken“, sagte Batuti.
„Nicht im Dunkeln“, entgegnete Dan.
„Ein paar Jollen, vollgestopft mit Soldaten“, fügte der Gambia-Mann hinzu.
„Für heute nacht haben sie die Nase voll“, sagte Dan gelassen. „Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen, an dem wir ungestört sind. Dann sehen wir weiter.“
„Du bist der Kapitän, Sir“, sagte Carberry. „Du bestimmst, was geschieht.“
„Das ja, aber ich will eure Meinung hören“, erwiderte Dan. „Bist du gegen meinen Plan?“
„Nein“, brummte der Profos. „Von mir aus kann die Rückkehr nach Great Abaco noch eine Weile zurückgestellt werden. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Ich finde aber, wir sollten höllisch aufpassen, daß wir nicht wieder in die Klemme geraten.“
„Das tun wir, verlaß dich drauf“, sagte Dan mit grimmiger Miene. „Ich lasse nicht noch einmal zu, daß der Sir sich erdreistet, unser Schiff zu beschlagnahmen.“
„Das nächste Mal schießen wir gleich scharf?“ fragte Nils Larsen.
„Es wird kein nächstes Mal geben“, erwiderte Dan. „Das verspreche ich euch. Wir haben unsere Pflicht getan und Drake gewarnt. Mehr können wir nicht tun.“
„Das war schon mehr als genug“, sagte Hasard junior.
„Ja, da hast du recht“, pflichtete Dan ihm bei. „Aber man ist schließlich immer noch Engländer, nicht wahr? Also schön. Von jetzt an beschränken wir uns darauf, die Beobachter zu spielen. Ich bin gespannt, was sich morgen früh tut.“
„Wir kehren also nach Virgin Gorda zurück?“ fragte Mac Pellew mit essigsaurer Miene.
„Aye, aye, Sir“, erwiderte Dan lächelnd.
„Dann Prost!“ Mac hob die Flasche an die Lippen und gönnte sich noch einen Schluck.
Die Männer waren mit Dans Vorschlag einverstanden. Es lohnte sich vielleicht doch, Drake und Hawkins weiterhin im Auge zu behalten. Außerdem war Dan mißtrauisch. War es wirklich Drakes Ziel, den Spaniern zuzusetzen – oder verfolgte er noch andere Absichten, die möglicherweise gegen den Bund der Korsaren gerichtet waren?
Mahoney schaute mit verzerrtem Gesicht die Soldaten an, die in der Jolle hockten. Drei Männer hatte die Jollencrew aus dem Wasser gezogen, die anderen mußte man noch bergen. Wer war der beste Schwimmer? Der Lieutenant war am Absaufen – er brauchte Hilfe.
Es gab nur eine Möglichkeit: er, Mahoney, mußte selbst nach dem Bürschchen tauchen. Kein anderer kam dafür in Frage. Zwar hatte der Corporal immer noch das Gefühl, ein Gaul habe ihn getreten. Aber das spielte keine Rolle. Es mußte etwas geschehen, und er durfte sich vor den Soldaten keine Blöße geben. Zögerte er, wurde es als Schwäche ausgelegt.
Mahoney riß sich die Sachen vom Leib und glitt ins Wasser. Der Bootsführer wollte ihm noch etwas zurufen, aber es war zu spät. Der Corporal tauchte unter und war verschwunden. Der Bootsführer gab den Soldaten ein Zeichen, und sie hörten mit dem Pullen auf.
Unter Wasser herrschte tintenschwarze Finsternis. Mahoney riskierte, ohne Erfolg an die Oberfläche zurückzukehren. Vielleicht war der Lieutenant schon so weit abgesackt, daß er ihn nicht mehr packen konnte.
Aber Mahoney hatte Glück. Plötzlich stießen seine Hände auf Widerstand. Eine Gestalt! Der Corporal packte zu und zerrte sie zu sich heran. Er konnte Butler nicht erkennen und war doch sicher, ihn vor sich zu haben.
Aber Henry Butler wurde wieder quicklebendig. Er hieb um sich und strampelte wie verrückt mit den Beinen. Mahoney empfing einen Schlag an die Schläfe, und Butlers Knie bohrte sich in seinen Unterleib.
Die Schmerzen waren wie glühende Zangen. Mahoney hätte den Lieutenant am liebsten erwürgt. Doch die Pflicht ging vor. Mahoney beherrschte sich und übertraf sich selbst. Er zerrte den Lieutenant dicht zu sich heran, schlang ihm von hinten den Arm um den Hals und transportierte ihn an die Oberfläche.
Butler spuckte einen dicken Strahl Wasser aus. Er paddelte mit den Händen, gurgelte, stöhnte, schrie und zappelte. Seine Augen waren unnatürlich geweitet. Er stieß einen derart schrillen Schrei aus, daß es Mahoney in den Ohren dröhnte und er für einen Moment völlig taub war.
Der Lieutenant schien nicht recht zu begreifen, was geschah. Er war wie besessen von seiner Panik oder schien unter Schockwirkung zu stehen. Plötzlich packte er mit beiden Händen Mahoneys Hals und begann, den Corporal zu würgen. Er entwickelte dabei immense Kräfte.
Mahoney röchelte, ging unter und schluckte Wasser. Er begriff, daß er wie eine Ratte ersaufen würde, wenn er sich nicht sofort zur Wehr setzte.
Die Jolle hatte sich inzwischen weit genug genähert, daß die Insassen Butler an Bord hieven konnten. Sie streckten auch schon die Hände nach dem Lieutenant aus.
Der Bootsführer brüllte: „Lieutenant, Lieutenant, hierher!“
„Aaarrghh!“ kreischte Butler.
Er drückte Mahoney immer tiefer und rollte wie ein Irrer mit den Augen. Er schien überhaupt nicht wahrzunehmen, was um ihn herum vor sich ging.
Mahoney verteidigte sich. Die Luft wurde ihm bereits knapp. Ein Stechen quälte seine Lungen. Der Corporal knallte dem Lieutenant beide Fäuste in die Seiten, dann schoß er hoch und holte keuchend Atem.
Jetzt war es der Lieutenant, der untertauchte. Sein Geschrei verwandelte sich in ein undeutliches Blubbern. Der Corporal wartete, bis er wieder auftauchte, dann landete er einen Jagdhieb an seiner Schläfe. Butler wurde sofort ohnmächtig.
Mahoney schleppte den Lieutenant fluchend bis zum Boot. Man zerrte zunächst Butler, dann den Corporal an Bord, und weiter ging die Fahrt.
„Das wäre geschafft“, sagte Mahoney schwer atmend. „Hölle, es war nicht leicht.“
„Das habe ich gesehen“, erwiderte der Bootsführer.
„Wo steckt eigentlich Drake?“ fragte Mahoney.
„Wer?“
„Äh – Sir Francis Drake, meine ich, unser Admiral“, entgegnete Mahoney.
„Dort!“ stieß einer der Soldaten plötzlich aus.
Tatsächlich war es Sir Francis Drake, der nicht weit von der Jolle entfernt schwamm. Sofort nahmen die Männer Kurs auf ihn. Drake drohte unterzugehen, aber dann zogen ihn die Soldaten im letzten Augenblick noch aus dem Wasser.
Danach wurden die letzten Soldaten geborgen, die noch vor der Einfahrt der Bucht schwammen. Zitternd und schnatternd hockten sie schließlich nebeneinander auf den Duchten. Lieutenant Henry Butler erlangte das Bewußtsein wieder und schaute sich verdutzt und ratlos um.
„Wo – bin ich?“ stammelte er.
„In ’ner Jolle“, erwiderte der Bootsführer trocken.
„Was ist passiert?“ fragte Butler. Seine Stimme hatte schon wieder einen hysterischen Klang.
„Ach, Sie können sich nicht erinnern, Sir?“ erkundigte sich der Corporal höhnisch.
„Mir ist so übel“, klagte Butler. „Mein Kopf! Oh, ich glaube, er ist verletzt! Ich bin schwerverwundet!“ Er schnitt eine Grimasse und schien in Tränen ausbrechen zu wollen.
Die anderen sprachen kein Wort, sie bibberten und schnatterten um die Wette. Der Schreck steckte ihnen noch tief in den Knochen. Die Ereignisse hatten sie in Angst versetzt, das Wasser hatte sie mächtig abgekühlt. Nie hatten sie etwas Vergleichbares erlebt. Sie konnten es kaum fassen – fast erschien ihnen der jähe und wilde Zugriff der „Empress“-Crew wie ein böser Traum.
Unglaublich: nur acht Männer einer kleinen Dreimastkaravelle hatten zweitausendfünfhundert Mann – darunter etwa tausend Seesoldaten – auf siebenundzwanzig Schiffen, darunter sechs Kriegsschiffen, die Stirn geboten und diese ganze geballte Kraft mit der Geiselnahme Admiral Drakes buchstäblich an die Wand gespielt. Das war schon ein Ding – ein starkes Stück.
„Ich hoffe, daß Sie Ihr Erinnerungsvermögen wiedergewinnen, Lieutenant“, sagte plötzlich Drake. „Ich werde Sie nämlich für das, was geschehen ist, zur Verantwortung ziehen.“
Sehr langsam wandte Butler den Kopf und blickte zu Admiral Drake, der auf der achteren Ducht neben dem Bootsführer saß.
„Sir?“ flüsterte er betroffen. „Ach – Sie sind auch – hier?“
„Wie gut, daß Sie mich erkennen, Lieutenant“, sagte Drake sarkastisch. „Können Sie sich auch Ihres Namens entsinnen?“
„Gewiß“, erwiderte der Milchbart. „Ich heiße Henry Butler.“
„Sehr gut“, sagte Drake mit ätzendem Spott in der Stimme. „Und Ihnen, Lieutenant Butler, haben wir diese Schlappe zu verdanken. Soll ich Ihnen auf die Sprünge helfen? Die Schnapphähne haben uns zusammengeschlagen und von Bord gestoßen.“
„Die – Schnapphähne?“ ächzte Butler. „Ah – diese Schurken! Jetzt fällt mir alles wieder ein! Wo sind sie? Ich werde …“
„Sie sind abgehauen“, erklärte der Corporal nüchtern.
„Wir fangen sie wieder ein und exekutieren sie!“ stieß Butler hervor.
„Halten Sie doch Ihren Mund!“ fuhr Drake den Lieutenant an. „Sie begreifen ja überhaupt nichts!“
„Es ist nicht meine Schuld, daß die Halunken über uns hergefallen sind“, verteidigte sich Butler. Dann biß er sich auf die Unterlippe. War er denn verrückt, dem Admiral zu widersprechen?
„Sie haben alles falsch angepackt!“ wetterte Drake. „Sie haben mich, Ihren Admiral, nicht genügend abgeschirmt! Wenn Sie besser aufgepaßt hätten, wäre das nicht passiert! So eine Sauerei!“
Butler senkte den Kopf. Er sagte nichts mehr, aber er war wirklich den Tränen nahe. Mahoney äußerte auch nichts. Der Bootsführer schon gar nicht. Die Soldaten hatten sogar mit dem Zittern und Schnattern aufgehört. Es herrschte Grabesstille an Bord der Jolle.
Aber alle wußten, daß Drake dem Lieutenant unrecht tat. Es war nicht auf Butlers Verschulden zurückzuführen, daß sich die „Piraten“ freigekämpft hatten. Drake hätte umsichtiger vorgehen müssen.
Er hatte die „Arwenacks“, wie diese Killigrew-Bastarde sich nannten, glatt unterschätzt. Da er sie aber kannte, hätte ihm ein derartiger Fehler nicht unterlaufen dürfen.
Drake kochte immer noch vor Wut. Er hatte die Grenze seiner Beherrschung erreicht. Das ihm so etwas widerfahren mußte! Ihm! Er wußte, daß er diese Art von Blamage nicht verarbeiten würde.
Aber es wartete noch eine andere Art von Schmach auf Admiral Drake. Kaum befand er sich wieder an Bord seines Flaggschiffes „Defiance“, trat der Erste Offizier auf ihn zu.
„Sir“, sagte er. „Wir haben soeben eine Meldung von der ‚Elizabeth Bonaventure‘ erhalten.“
Drake schwante Böses. „Was ist los?“
„Admiral Hawkins wünscht Sie zu sprechen, Sir.“
Drake suchte zornschnaubend seine Kapitänskammer im Achterdeck auf. Er spielte mit dem Gedanken, so zu tun, als habe Hawkins’ Verlangen seine Ohren nicht erreicht. Doch das konnte er sich nicht erlauben. Er war der jüngere von beiden und mußte sich beugen.
Er entledigte sich der nassen Kleidung und zog trockene Sachen an. Dann ließ er sich zur „Elizabeth Bonaventure“ pullen.