Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 70 - Roy Palmer - Страница 4
1.
Оглавление„Legt sie in Ketten!“
Philip Hasard Killigrews Ruf schallte über das tiefblaue, glitzernde Seewasser der Kraterbucht von Santorin, brach sich an den grauschwarzen Lavafelsen der Insel, die die dreihundert Yards tiefe Kaldera hufeisenförmig umklammerte, und wurde von ihnen zurückgeworfen.
Breitbeinig stand der Seewolf auf dem primitiven hölzernen Anleger, den die sechzehn wüsten Kerle des Sizilianers Lorusso gezimmert hatten. Sie würden hier nie wieder etwas errichten und nie wieder in den Höhlen über der Bucht hausen. Die Kykladen-Insel war der Schlupfwinkel dieser Piraten gewesen, doch jetzt mußten sie ihn aufgeben – zwangsläufig.
Hasard hatte fünf weiße Sklaven aus der Mine im Inselinneren befreit: Anschließend hatte er Lorusso und dessen Bande in einem tollkühnen Handstreich überwältigt. Und jetzt verfuhr er ungefähr so mit ihnen, wie sie mit den Zwangsarbeitern, diesen armen Teufeln, umgesprungen waren. Fast einen Monat lang rackerten sich die Bedauernswerten schon ab, für nichts und wieder nichts. Lorusso war von der Wahnsinnsidee besessen gewesen, Silber zu finden, aber bis jetzt waren die von Malta entführten Gefangenen nicht auf die Spur des kostbaren Metalls gestoßen.
Big Old Shane, Ferris Tucker, Carberry und Batuti schleppten die Ketten heran, die sie den soeben Befreiten abgenommen hatten.
„In den Hütten vor der Mine haben wir noch mehr Ketten gefunden“, erklärte Shane. „Ich dachte, es wäre wohl ratsam, sie gleich mitzunehmen.“
„Sie leisten uns jetzt beste Dienste“, sagte Hasard grimmig. Er sah zu Iride, während er weitersprach. Iride war Lorussos Geliebte. Sie und die anderen sieben Mädchen hatten sich sogleich ergeben, als der Sizilianer besiegt worden war.
„Sperrt sie im Vordeck ihres eigenen Schiffes ein“, fuhr Hasard fort. „Wir nehmen sie mit.“
„Was hast du mit ihnen vor?“ fragte Iride entsetzt.
„Glaubst du, ich lasse sie hier zurück?“
„Nein. Aber willst du sie – umbringen?“ In den dunklen Augen des Mädchens flackerte Angst. Sie war eine temperamentvolle, etwas derbe Schönheit aus Sizilien. Ihre schwarzen Haare umflossen wie Wellen ihr Gesichtsoval und hingen lang über ihre Schultern. Sie tat so, als sei ihr an Lorusso, dem Erledigten, plötzlich nichts mehr gelegen – aber ganz so schien es doch nicht zu sein.
Hasard musterte sie kühl. Ihre Blicke verschmolzen ineinander. „Du hast mir doch selbst erzählt, daß die Aradschy-Brüder, die auch hier ihren Schlupfwinkel haben, nach Malta aufgebrochen seien und die übrigen sechs Gefangenen mitgenommen hätten.“
„Ja.“
„Ist es die Wahrheit?“
„Ich schwöre es dir.“ Ihr Spanisch war voller Akzente, aber dennoch war sie gut zu verstehen.
„Na also.“ Mehr antwortete Hasard nicht. Sollte sie sich den Kopf darüber zerbrechen, was er nun mit den gefangenen Piraten vorhatte. Er ließ sich von ihr nicht in die Karten schauen.
Eins stand fest, er hatte es schon gesagt. Sie brachen so schnell wie möglich nach Malta auf. Ohnehin war die Insel sein Ziel, denn er hatte den Schatz der Malteserritter an Bord.
Shane und die anderen legten die Piraten in Ketten. Der Rest der Crew verharrte oberhalb des Anlegers und richtete unausgesetzt die Schußwaffen auf Lorussos Meute.
Lorusso, der große, fast kahlhäuptige Sizilianer aus Palermo, saß immer noch auf dem Hosenboden. Nach Hasards Fausthieb war er bewußtlos zusammengebrochen, dann aber wieder zu sich gekommen. Durch seinen gebrüllten Befehl hatte er verhindert, daß die letzten vier Piraten von ihrem Zweimaster aus mit den Bordgeschützen auf die Seewölfe feuerten. Er, Lorusso, hätte dafür mit dem Leben bezahlt. Hasard hielt die doppelläufige Radschloßpistole immer noch auf ihn gerichtet. Wenn die Niederlage auch deprimierend war – den Piraten galt der Befehl ihres Oberhauptes genausoviel wie vorher.
Haßerfüllt funkelte Lorusso seinen Bezwinger an.
„Das wirst du mir büßen, Diaz de Veloso. Ich zahle es dir heim, maledetto cane, verfluchter Hund.“
Ferris Tucker, Hasards rothaariger Schiffszimmermann, wollte dem Kerl einen Tritt versetzen. Aber Hasard winkte ihn zurück. Lorussos Flüche berührten ihn nicht.
Diaz de Veloso – um Lorusso zu überlisten, hatte er sich wieder einmal dieses Namens bedient. Er hatte ein Gebräu getrunken, das der Kutscher während der Nacht zubereitet hatte, und ihm war sterbenselend zumute geworden. Mehr noch, er war im Gesicht und am ganzen Körper gelb wie eine Quitte gewesen. Gelbsuchtsymptome. Das vollständige Erscheinungsbild einer gefürchteten Krankheit. Den Trick mit dem Trank hatte der Kutscher Doktor Freemont, seinem einstigen Herrn, abgeschaut.
Nachdem Hasard seine komplette Crew mit den beiden Beibooten zum Ostufer von Santorin geschickt hatte, hatte er die „Isabella VIII.“ allein direkt in die Höhle des Löwen gesteuert. Auf halbem Weg hatten die Piraten ihn in der Kaldera abgefangen. Sie hatten die „Isabella“ geentert und bis zum Anleger neben ihren Zweimaster geführt – wo sie auch jetzt noch lag.
Lorusso war Hasards List auf den Leim gegangen. Und er hatte den Seewolf leben lassen, weil dieser ihm zwischen zwei Ohnmachtsanfällen versichert hatte, ein zweites Schatzschiff sei von Malaga zur Republik Venedig unterwegs. Er wisse, wo es Zwischenstation einlege.
Lorusso hatte den wieder bewußtlos zusammengebrochenen Hasard daraufhin in die Mine bringen lassen. Lorusso hatte erfahren wollen, wo das zweite Schiff lag, fürchtete andererseits aber auch die Ansteckungsgefahr. So hatte er in seiner maßlosen Gier nach Gold, Silber und Juwelen seinen schwerwiegendsten Fehler begangen. Kaum in der Mine angelangt, hatte Hasard mit seiner Rettungsaktion für die Gefangenen begonnen.
Hasard war immer noch gelb im Gesicht, aber die Übelkeit hatte sich gelegt, wie ihm der Kutscher ja auch prophezeit hatte.
„Lorusso“, sagte er auf spanisch. „Es gibt kein Silber auf Santorin. Leuchtet dir das endlich ein?“
„Merda. Woher willst du das wissen?“
„Ich kenne die Neue Welt. Ich weiß, wie die Erde, in der Silber und Gold lagern, beschaffen ist. In diesem Lavagestein hättest du niemals auch nur die winzigste Ader entdeckt.“
Lorusso hob in ohnmächtiger Wut die Fäuste. „Lügen, nichts als Lügen wie die Geschichte mit dem zweiten Schatzschiff, die du mir aufgetischt hast. Fahr zur Hölle!“
„Du hast also endlich begriffen.“
„Gelbsucht! Pah!“ Lorusso spuckte aus. „Ich Narr, daß ich darauf hereingefallen bin!“ Er senkte den mächtigen Schädel, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wer bist du wirklich? Ich habe deutlich gehört, daß du mit deinen Hurensöhnen von Männern eine andere Sprache sprichst. Englisch? Du Hund – du bist nicht Diaz de Veloso.“
Hasards Miene wurde steinhart. Er hob die sächsische Reiterpistole etwas und zielte nun genau auf Lorussos Kopf. „Paß auf, wie du dich ausdrückst, Lorusso. Zügle deine Zunge, sonst vergesse ich mich doch noch und knalle dich nieder.“
Der Pirat erblaßte. Sein breites Gesicht war jetzt kalkweiß.
Er war ein fast sechs Fuß großer, massiv gebauter Mann, nur Knochen und Muskeln, kein Quentchen Fett auf dem Leib. Am Körper war er behaart wie ein Affe, auf dem Haupt hingegen nur spärlich. Seine blauen Augen spiegelten die ganze Grausamkeit, die in ihm steckte. Aber seine Miene hatte sich verändert, seit Hasard ihm die Faust unter die Kinnlade gerammt hatte. Lorusso wußte, daß er zum ersten Mal in seinem Leben einen Gegner gefunden hatte, der ihm haushoch überlegen war. In allem. Diese Gewißheit setzte ihm mehr als alles andere zu.
„Also gut“, sagte der Seewolf. „Ich heiße Philip Hasard Killigrew.“
„Verdammt“, entfuhr es dem Sizilianer. „Il lupo del mare.“
„Ja, el Lobo del Mar, so nennen mich auch die Spanier.“
Stille breitete sich aus. Lorusso blickte zu den Umstehenden, zu seinen Kerlen, zu den vieren, die jetzt mit erhobenen Händen den Zweimaster verlassen hatten und von Shane, Ferris, Carberry und dem Gambia-Neger in Ketten gelegt wurden – zu Iride und den anderen sieben Mädchen. Ein spöttischer Zug spielte um Irides Lippen, fiel jedoch von ihr ab, als der Blick des Anführers sie traf.
„Der Seewolf“, wiederholte Lorusso. „Al diavolo – zum Teufel. Ich habe vernommen, du hast Uluch Ali zu den Fischen geschickt.“
„Das stimmt.“
„Die Algerier erzählen die haarsträubendsten Geschichten über dich …“
„Und die syrischen Piraten werden es jetzt auch tun, denn ich habe einen ihrer Verbände völlig aufgerieben. Es ist erst ein paar Tage her.“ Hasard sagte es ohne Überheblichkeit. Es entsprach ja den Tatsachen. Im allgemeinen prahlte er nicht mit seinen Unternehmungen, aber es war gut, Lorusso noch ein wenig mehr einzuschüchtern.
„Vor einem, der den großen Uluch Ali erledigt hat, brauche ich mich nicht zu schämen“, sagte Lorusso.
Iride lachte auf. „Ach, so drehst du das Ganze! Um dich für die Niederlage zu rechtfertigen, erklärst du wahrscheinlich sogar noch, es sei dir eine Ehre, von dem legendären Seewolf überwältigt worden zu sein, wie?“
„Schweig!“ brüllte Lorusso sie an. „Beweg dich nicht in meine Nähe, sonst drehe ich dir den Hals um, du Miststück!“ Er bediente sich seiner Muttersprache, aber die Seewölfe nahmen doch genügend Vokabeln auf, um den Wortsinn verstehen zu können. Spanisch und Italienisch war einander schließlich sehr verwandt.
Lorusso wandte weiter den Kopf – und entdeckte Giuliano Salce.
Der Malteserritter stand hoch oben auf dem terrassenförmig gestuften Westufer der Insel, inmitten der Männer der „Isabella“ und der anderen fünf befreiten weißen Sklaven.
„Bastard!“ schrie der Pirat. „Jetzt erst sehe ich, daß auch du zurückgekehrt bist. Ich verfluche dich, elender Hund von einem Toskaner! Dir habe ich also alles zu verdanken!“
Salce nickte ernst. „Du nahmst wohl an, nach meiner Flucht sei ich im Sturm umgekommen. Du hast dich getäuscht. Ich wurde aus dem kaputten Kaiki auf eine winzige Insel gespült. Dann schickte ich die Katze auf einem Stück Treibholz aus. Ich hatte ihr einen Rohlederstreifen mit einer Botschaft um den Hals gebunden – und die Seewölfe fanden sie.“ Zärtlich strichen seine knochigen Finger über das Fell der Katze Micia. Er hatte sie auf seinen Arm genommen.
„Ich forderte dich zum Zweikampf heraus!“ rief Lorusso.
Hasard tat einen Schritt auf ihn zu, und er verstummte augenblicklich.
„Schluß jetzt“, sagte Hasard. „Wir haben uns dein Gekläff lange genug angehört. Schweig.“
„Warum duellierst du dich nicht mit dem Seewolf?“ fragte Iride ihren Geliebten. „Du traust dich jetzt wohl nur noch an so abgezehrte Gestalten wie den Toskaner heran, was?“
„Teufelshure!“ stieß Lorusso hervor.
Hasard beschrieb eine Gebärde mit der Pistole. Beide preßten nun die Lippen zusammen und äußerten kein Wort mehr.
In die lähmende Stille fiel der Ruf Dan O’Flynns. „Hasard – die ‚Isabella‘! Verdammt, sie macht sich selbständig!“
Der Seewolf fuhr herum und blickte zu den beiden Schiffen. Die jähe Erkenntnis traf ihn wie ein Hieb. Wirklich, seine Galeone hatte sich von dem Zweimaster, an dessen Backbordseite sie vertäut gewesen war, gelöst.
Sie dümpelte in die Kaldera hinaus.
Plötzlich ging alles sehr schnell. Eine ganze Kette von Ereignissen nahm ihren Lauf.
Hasard wollte sich von Lorusso abwenden, über den Laufsteg an Bord des Zweimasters stürmen und dann auf die „Isabella“ hinüberjumpen – er wollte! Kaum hatte er sich aber ganz umgedreht, fühlte er sich an den Beinen gepackt.
Lorusso! Der heimtückische Kerl nutzte seine Chance und unternahm einen Angriff. Er hatte sich einfach nach vorn geworfen und mit beiden Armen zugegriffen. Hasard fluchte unter der Umklammerung. Er versuchte, sich loszureißen, aber es gelang nicht. Lorusso hielt ihn wie mit Eisenzangen. Hasard geriet aus dem Gleichgewicht und schlug hin.
Er prallte mit dem Bauch auf. Es tat höllisch weh. Aber keine Sekunde vergaß er seine Pistole. Er hielt sie fest und paßte auf, daß sie ihm nicht entglitt.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde hatte Edwin Carberry, der Profos, mit offenem Mund dagestanden. Jetzt aber löste sich ein Fluch aus seiner Kehle: „Himmel, Arsch und Zwirn, so ein verfluchter Mist!“ Er duckte sich als erster, jagte wie der Blitz quer über den hölzernen Anleger und nahm die Gangway zum Piratenschiff mit zwei Sätzen.
Wer Carberry nicht genau kannte, traute ihm dieses Tempo keineswegs zu. Er war ein schwerer, bulliger Mann, aber er konnte laufen wie – ja, wie ein aufgebrachter Keiler, den man aus der Suhle aufgescheucht hat.
Hasards Männer schrien und richteten die Waffen auf Lorusso. Nur Ferris, Shane und Batuti, die jetzt ebenfalls die Pistolen gezückt hatten, paßten bei der Pier darauf auf, daß es keinem der Gefangenen einfiel, es dem Sizilianer gleichzutun. Die meisten waren schon mit Ketten versehen, aber zwei, drei standen noch frei.
„Hölle, warum haben wir den Hund Lorusso nicht als ersten in Eisen gelegt?“ schrie Big Old Shane. „Oh, ich könnte mir vor Wut in den Hintern beißen!“
Hasard unternahm trotz seiner Schmerzen einen zweiten Versuch, um sich aus Lorussos Griff zu befreien. Er bewegte sich ruckend, robbte praktisch über die Pier. Wieder hatte er keinen Erfolg. Der Sizilianer hielt ihn fest und zog ihn schließlich sogar zu sich heran.
Er warf sich mit der ganzen Wucht, die in seinem Sechs-Fuß-Körper steckte, auf den Seewolf. Hasard drehte sich und trachtete, den Schurken von sich zu wälzen, aber Lorusso war zäh. Schwer landete er auf seinem Todfeind.
„Hund, ich erdrossle dich“, stieß er aus.
Der Profos hatte die Kuhlgräting des Piratenschiffes passiert. Er bereitete sich schon auf den gewaltigen Sprung vor, den er zur wegtreibenden „Isabella“ hin vollführen wollte – da krachte es explosionsartig. Gleichzeitig blitzte es grellrot vor ihm auf.
Carberry verfügte über ausgezeichnete Reflexe. Er ließ sich fallen. Er landete wie Hasard auf dem Bauch, fing sich aber mit den Händen ab. Etwas orgelte über ihn weg und fauchte auf die Pier zu.
Carberry brüllte, daß die Planken des Zweimasters zu vibrieren begannen: „O Hölle und Verdammnis, diese Ratten, diese Mistfresser, diese dreimal verfluchten, hinterhältigen Hurensöhne – sie haben uns eine Falle gestellt, und was für eine!“
Auf dem Anleger und an Land gingen die Männer und Frauen ebenfalls in Deckung. Das, was da über den Profos hinweggesaust war, schlug mit dumpfem Laut in die Lavafelsen und blieb stecken. Ein paar Gesteinsbrocken wirbelten durch die Luft und klatschten ins Wasser.
„Eine Drehbassenkugel!“ rief Old Donegal Daniel O’Flynn.
Und Matt Davies schrie: „Von unserem eigenen Schiff!“
Carberry war bis zum Backbordschanzkleid des Piratenschiffes gekrochen. Er riß seine Pistole aus dem Gurt, spannte den Hahn, schob sie hoch. In diesem Augenblick sah er etwas, das ihn buchstäblich erstarren ließ.
Ein paar Festmacherleinen, die die Schiffe miteinander verbunden hatten, baumelten diesseits des Schanzkleides herab. Sauber durchgetrennt. Gekappt. Aber das war es nicht. Eine davon war keine Leine, kein Tampen, und sie hing auch nicht lose auf Deck, sondern führte bis zur Gräting, dann durch den Holzrost bis in den Schiffsbauch hinunter.
Eine Lunte. Ihr Ende glomm leise knisternd dahin. Zug um Zug schmolz es weg – Carberry gingen die Augen über. Er schluckte, dann packte er zu. Das Luntenfeuer sengte ihm die schwieligen Hände an, aber – o Schockschwerenot – es war ihm so verdammt egal. Wenigstens brachte er die Glut zum Ersticken. Dafür war kein Preis hoch genug.
Auf der Pier balgten sich immer noch der Seewolf und der Sizilianer. Hasard steckte zwei Hiebe ein, dann richtete er sich unter dem Gegner auf und preßte ihm die Mündung der Doppelläufigen gegen den Leib.
Die Crew sah es. Ben Brighton, Al Conroy und ein paar andere hatten schon ihre Waffen auf die Kämpfenden angelegt. Aber sie konnten nicht auf Lorusso abdrücken. Sie riskierten, ihren Kapitän mit zu töten oder zumindest zu verletzen. Ihnen waren im wahrsten Sinne des Wortes die Hände gebunden.
„Drück ab, Hasard!“ rief Al Conroy jetzt.
„Ja, töte ihn!“ schrie Gary Andrews.
Hasards eisblaue Augen fixierten den Gegner. Lorusso verhielt, spürte den Druck der Waffe, sah an sich hinunter und fuhr zusammen, als er die Waffe erblickte. In seinem blindwütigen Eifer hatte er nicht bedacht, daß der Seewolf die Radschloßpistole nicht verloren hatte.
„Bring mich nicht um“, sagte er entsetzt.
„Du Ratte“, erwiderte Hasard. „Ich habe einen Fehler begangen. Einen deiner Männer habe ich oben in der Mine getötet, fünf habe ich gefangengenommen. Fünf befanden sich auch in deiner Begleitung, als wir dich überraschten und festnahmen. Das sind elf – mit dem Toten. Vier Mann verließen das Deck deines Zweimasters. Macht fünfzehn. Ich habe den sechzehnten vergessen. Er versteckte sich auf meinem Schiff, dann, als keiner hinsah, kappte er die Taue.“ Hasard sprach so laut, daß es alle verstehen konnten, auch der Profos.
„Ich habe es nicht bemerkt“, flüsterte Lorusso. Der kalte Angstschweiß war ihm ausgebrochen.
„Du lügst.“
„Ich schwöre es.“
„Was ist denn dein Schwur wert?“
„Bei allem, was ich habe, bei allem, was mir etwas bedeutet – bei meinem Leben“, haspelte der Sizilianer hervor. „Ich schwöre, daß ich es nicht wußte.“
„Es war ein abgekartetes Spiel?“
„Nein, nein, bestimmt nicht.“
Carberry, immer noch hinter dem Schanzkleid des Piratenseglers in Dekkung, schrie: „Und eine Lunte zu den Pulverfässern im Frachtraum hat dieser Hundesohn gelegt und angezündet, bevor er mit der ‚Isabella‘ auf und davon gegangen ist!“
„Lösche sie, Ed!“ rief Matt Davies.
„Das hab ich doch schon getan, du Tintenfisch!“ dröhnte es zurück.
Immer weiter dümpelte die „Isabella VIII.“ in die Kraterbucht hinaus. Hasards Crew legte mit Musketen und Arkebusen auf das eigene Schiff an. Edwin Carberry entdeckte, daß eins der Backbordgeschütze auf dem Zweimaster fix und fertig geladen war. Er stieß die Stückpforte auf, brachte die Kanone in Feuerstellung und schickte sich an, die Lunte zu entfachen.
„Hasard!“ rief er. „Der Henker soll mich holen, aber ich muß auf die ‚Isabella‘ feuern. Gib mir den Befehl, und ich verpasse ihr mit der Kanone hier ein Ding, das sich gewaschen hat!“
„Warte, Ed!“
Von Bord der „Isabella“ klang ein hämisches Lachen herüber. Alle spähten hinüber. Auch der Profos lugte über den oberen Rand des Schanzkleides – nur Hasard hielt die Augen unverwandt auf Lorusso gerichtet.
Auf der „Isabella“ lief eine Gestalt auf und ab. Sie hatte die eine Drehbasse des Achterdecks abgefeuert, jetzt wechselte sie zu der anderen hinüber.
„Lorusso“, sagte Hasard. Er sprach nicht einmal besonders laut. „Du hast noch eine Chance. Bring diesen Schweinehund von seiner Wahnsinnsidee ab. Du hast dein Schicksal selbst in der Hand.“
Der Sizilianer fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Sie schmeckten spröde und salzig. In seiner Kehle schien ein Kloß festzusitzen, er würgte, kriegte ihn aber nicht herunter. Er drehte sich zu den Terrassen um.
„Ovidio!“ brüllte er heiser.
„Capo?“
Ovidio, der Kalabrese, war die rechte Hand des Piratenführers. Ihn hatte der Seewolf als ersten oben in der Mine übertölpelt. Er lag jetzt flach neben seinen Bewachern auf einer der Hangterrassen.
„Ovidio, wer ist der Hurensohn auf dem Schiff?“
„Ahmed, Capo.“
„Der Türke“, murmelte Lorusso. „Zerspringen soll er, daß er mir das eingebrockt hat …“
„Du verlierst Zeit“, sagte Hasard kalt. „Beeil dich.“ Er drückte nur etwas fester mit der Reiterpistole zu, und Lorusso richtete sich steif und voller Angst auf.
„Ahmed!“ donnerte seine Stimme aufs Wasser hinaus.
Stille breitete sich aus. Hasards Männer an Land kauerten bereits fertig zum Aufspringen. Ben Brighton hatte ein Zeichen gegeben. Jawohl, sie würden das Ufer hinabjagen und versuchen, sich zu Carberry zu gesellen. Ahmed konnte sie mit einem einzigen Drehbassenschuß ins Jenseits befördern, aber trotzdem würden sie es wagen.
Denn der einzige Weg, die „Isabella“ zurückzugewinnen, war die Verfolgung. Ben Brighton war zumindest davon überzeugt.
„Wir müssen diesem Halunken mit dem Zweimaster nach“, sagte er immer wieder. „Wir müssen es schaffen, sonst sind wir unser Schiff und den Schatz für alle Zeiten los!“
„Ahmed!“ schrie Lorusso noch einmal.
Wider Erwarten erfolgte die Antwort: „Ich höre dich!“
Schrill wehte die Stimme von Bord der „Isabella“ herüber. Sie schien einem total Übergeschnappten zu gehören. Ahmed hatte sämtliche Trümpfe in der Hand, aber das Spiel schien erheblich an seinen Nerven zu zerren.
„Dreh sofort bei und kehre zum Anleger zurück!“ brüllte der Sizilianer. „Das ist ein Befehl!“
„Den Teufel werde ich tun!“ gellte es zurück.
„Ich erwürge dich, du Bastard!“
„Versuch’s!“ schrie Ahmed triumphierend. „Mich kriegst du nicht mehr. Mich erwischt keiner mehr, denn ich habe ein wunderbares, schnelles Schiff ergattert, das auch ein einzelner Mann eine beträchtliche Strecke steuern kann.“
„Ahmed!“ Lorussos Stimme zitterte jetzt. „Der Seewolf – er bringt mich um, wenn du nicht augenblicklich umkehrst!“
Ahmeds Gelächter tönte meckernd herüber. „Soll er dich abservieren! Es ist mir scheißegal, was mit dir geschieht, Lorusso! Kratz ab! Du hast mich lange genug gepiesackt. Das Blättchen hat sich gewendet. Du kannst mich mal, du alter Narr!“
Lorusso war den Tränen nahe. Er versah auch jetzt, kurz vor dem Abschluß seines fluchwürdigen Daseins, seine Rolle mit südländischer Theater-Grandezza.
„Der Sturm soll dich zerschmettern, du Türkenhund!“ brüllte er. „Ich verfluche dich! Du wirst an dem Schatz ersticken und in der See ersaufen wie ein räudiger Hund! Drück ab, Seewolf, drück endlich ab!“
Hasard hatte geahnt, daß Ahmed seinem Anführer nicht gehorchen würde. Ohne daß Lorusso es bemerkte, hatte er den Pistolenhahn in Ruhestellung zurückgeführt, indem er den Abzug betätigte und den Hahn dabei mit dem Daumen festhielt. Jetzt zog er die Waffe einfach hoch. Er drehte sie, daß der Lauf steil nach oben wies und knallte Lorusso den Griff unter die Kinnlade.
Sie war ein bildschönes, wunderbar verziertes Modell, diese sächsische Reiterpistole. Der Knauf am unteren Griff war besonders dick ausgearbeitet – damit man einen Gegner traktieren konnte, wenn beide Schüsse fehlgingen.
Lorussos Kinn wurde also zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit poliert. Es knackte bedenklich darin, dann sank er hintenüber und schlug auf die Planken der Pier. Seine Arme sackten schlaff zu den Seiten weg. Danach lag er reglos.
Hasard verlor keine Sekunde Zeit. Er legte die Pistole hin, entledigte sich der Stiefel, der Hose und der Lederweste und glitt zwischen Anleger und Steuerbordseite des Zweimasters ins Wasser.